6,99 €
Was im Leben wirklich zählt Zu seinem 10. Geburtstag hat Henry auch dieses Jahr nur einen Wunsch: einen Hund. Aber seine reichen und vielbeschäftigten Eltern wollen davon nichts wissen. Henry bekommt bloß einen Leihhund fürs Wochenende – Fleck! Bei beiden ist es Liebe auf den ersten Blick. Als er Fleck wieder abgeben soll, flieht Henry kurzerhand – zusammen mit vier weiteren Hunden, die es satthaben, an irgendwelche Leute vermietet zu werden. Eine abenteuerliche Odyssee quer durch England zu Henrys Großeltern beginnt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 235
Eva Ibbotson
5 Hunde im Gepäck
Aus dem Englischen von Sabine Ludwig
Mit Vignetten von Sharon Rentta
Deutscher Taschenbuch Verlag
Ungekürzte Ausgabe
2014 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
© für den Text: 2011 Eva Ibbotson
Titel der englischen Originalausgabe: ›One Dog and His Boy‹,
2011 erschienen bei Marion Lloyd Books
An imprint of Scholastic Children’s Books, London
© für die Vignetten: 2011 Sharon Rentta
Reproduced by permission of Scholastic Ltd
© für die deutschsprachige Ausgabe:
2012 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen
Umschlagbild: Eva Schöffmann-Davidov
Lektorat: Dagmar Kalinke
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart
eBook ISBN 978-3-423-41655-9 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-71591-1
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website
www.dtv.de/ebooks
Für Milly, Hugo und Hilding,drei sehr bedeutende Hunde
1. Kapitel
Henrys Geburtstag
Henry hatte immer nur einen einzigen Wunsch gehabt und das war – ein Hund.
Er hatte sich zu seinem letzten Geburtstag einen Hund gewünscht und zum Geburtstag davor und zu jedem Weihnachtsfest. Und nun, da sich sein Geburtstag erneut jährte, wünschte er sich einen Hund sehnlicher denn je. Er hatte alles über Hunde gelesen. Er wusste, wie man sie füttern und wie man sie abrichten musste. Doch jedes Mal, wenn er seine Mutter um einen Hund bat, meinte die nur: »Sei nicht albern. Was sollen wir mit einem Hund? Denk nur an die Unordnung, überall hat man Haare auf dem Teppich und Kratzer an der Tür. Und erst der Geruch … von den Pfützen auf dem Boden ganz zu schweigen.« Albina Fenton konnte an Hunde nur mit einem Schaudern denken.
Und wenn Henry dann entgegnete, dass er dafür sorgen wollte, dass der Hund nicht roch, dass er ihn ständig ausführen würde, damit er keine Pfützen auf den Boden machen müsste, sah sie ihren Sohn gekränkt an.
»Du hast so ein schönes Zuhause. Ich hätte dich für dankbarer gehalten.«
Das mit dem schönen Zuhause stimmte ja auch, irgendwie. Henrys Eltern waren reich, sie wohnten in einem Vorort von London in einem großen modernen Haus, das mit seidenen Vorhängen ausgestattet war und mit Teppichen, die so dick waren, dass die Füße darin versanken. In der Garage standen drei funkelnagelneue Autos – eins für Henrys Mutter, eins für Henrys Vater und eins für Henrys Kindermädchen, damit brachte sie ihn in die Schule. Es gab fünf Badezimmer mit goldenen Wasserhähnen und Regenduschen und eine Sauna. In der Küche summten und brummten die neuesten technischen Geräte und die Diele war mit Marmorfliesen aus Italien ausgelegt.
Doch im ganzen Haus gab es nichts Lebendiges, nicht den kleinsten Käfer, nicht die zarteste Spinne, nicht die scheueste Maus. Albina und die Hausangestellten achteten peinlichst genau darauf. Im Garten gab es natürlich auch keine Blumen, nur geharkten Kies, denn Blumen bedeuteten Erde und damit Dreck.
Obwohl er wusste, dass es sinnlos war, länger zu hoffen, wollte Henry es noch ein letztes Mal versuchen. Zehn Tage vor seinem zehnten Geburtstag stand er früh auf und trat auf den dunkelblauen Teppich, den seine Mutter in der kommenden Woche auswechseln wollte, denn Blau war nicht mehr modern. Henry hatte erwidert, dass er Blau schön fände, doch seine Mutter hatte ihn nur mit diesem mitleidigen Lächeln bedacht, das sie jedes Mal für ihn hatte, wenn er etwas sehr Dummes sagte.
Nun knipste er sein Nachtlicht aus, das aussah wie eine fliegende Untertasse, und überlegte, warum er genauso schlecht mit einer Lampe schlief, die wie eine fliegende Untertasse geformt war, wie mit einer, die die Form eines Wolkenkratzers hatte.
Er ging ins Badezimmer hinüber und wusch sich ganz besonders gründlich, sogar hinter den Ohren, dann putzte er ausgiebig seine Zähne mit der elektrischen Zahnbürste, bevor er den Hochdruck-Atemerfrischer benutzte, der an der Wand hing.
Er wollte, dass alles in Ordnung war, bevor er den Zettel für seine Mutter schrieb, denn der war wichtig. Wenn sie ihn bemerkte, würde alles gut werden, wenn nicht …
Er setzte sich an seinen ergonomisch geformten Schreibtisch, nahm einen Füllhalter und einen Bogen von seinem feinen Briefpapier, denn seine Eltern hassten Schlampigkeit, und schrieb in Schönschrift:
Bekomme ich einen Hund zum Geburtstag? Bitte, Bitte!
Er schrieb es dreimal, denn er wollte, dass es richtig gut aussah – seine Eltern hatten ihn von seiner letzten Schule genommen, weil sie meinten, er mache dort nicht genug Fortschritte – und dann tappte er über den Flur und schob den Briefbogen unter der Schlafzimmertür seiner Mutter durch. Seinem Vater zu schreiben war sinnlos, denn sein Vater war in Dubai, oder etwa in Hongkong? Henry wusste es nie genau, obwohl er sich alle Mühe gab, sich zu merken, wo sein Vater sich gerade befand. Sein Vater war ein »Vielflieger« und befand sich mehr in der Luft als auf der Erde.
Albina war gerade in ihrem begehbaren Kleiderschrank und überlegte, was sie anziehen sollte.
»Also wirklich, das sind doch alles nur Lumpen«, murmelte sie, während sie eine Reihe schimmernder Abendkleider abschritt und dann zurück an einer Reihe eleganter Kostüme entlangging, sie öffnete Schubladen mit Rüschenblusen und Spitzenschals.
»Ich werfe den Plunder weg und kaufe alles neu. Höchste Zeit für einen ausgiebigen Einkaufsbummel.«
Als sie aus der Garderobe kam, sah sie, dass jemand einen Zettel unter ihrer Tür durchgeschoben hatte, und ihr Herz wurde schwer. Er war bestimmt von Henry. Nicht dass sie seinen Geburtstag vergessen hatte, im Gegenteil. Sie hatte ein Geschenkset im Kaufhaus Hamleys und ein zweites bei Harrods in Auftrag gegeben. Dort stellte man Passendes für einen Jungen in Henrys Alter zusammen und lieferte es pünktlich am Abend vorher. Bisher hatte das immer wunderbar funktioniert. Ein stadtbekannter Partyservice würde das Essen bringen, aber was die Party selbst betraf, so tat sich Henry schwer damit, in der neuen Schule, die für ihn in jeder Hinsicht die bessere war, auch Freunde zu finden.
Sie hob den Zettel auf. Hoffentlich geht es nicht wieder um das eine, dachte sie.
Doch, das tat es und sie würde ihm wieder erklären müssen, wie unmöglich das war, und müsste dann sehen, wie er sich wegdrehte und auf seiner Unterlippe herumbiss und dabei aussah wie ein armes Waisenkind und nicht wie ein Junge, der alles auf der Welt hätte haben können.
»Es ist so ungerecht«, sagte sie zu ihren Freundinnen, als die sie am Vormittag auf einen Kaffee besuchten und Henry vom Kindermädchen in seinen Freizeitclub gebracht worden war. »Ich tue wirklich alles für den Jungen, aber meint ihr, er wäre mir dankbar?«
Ihre Freundinnen, deren Namen alle mit G begannen – Glenda, Geraldine und Gloria –, waren wie immer voller Mitgefühl. »Aber er sieht ziemlich blass aus«, sagte Gloria. »Ich sag dir mal was, ich hab gelesen, dass es Leute gibt, die Kindern Grußbotschaften an ihrem Geburtstag überbringen. Die sind dann als Affe oder irgendein anderes Tier verkleidet, singen ein lustiges Lied und gratulieren. Vielleicht findest du jemanden, der als Hund verkleidet kommt?«
Nachdem ihre Freundinnen gegangen waren, rief Albina im Büro ihres Mannes an und bat die Sekretärin, ihm in Dubai eine Nachricht zu hinterlassen. »Erinnern Sie ihn bitte daran, dass Henry am Freitag Geburtstag hat. Vielleicht kann er ein Geschenk für ihn im Duty Free besorgen.«
Mehr konnte sie nun wirklich nicht tun, dachte Albina und griff nach einer der Wohnzeitschriften, die in einem großen Stapel auf dem Couchtisch lagen. Es hieß, die angesagteste Farbe in diesem Jahr wäre Beige, sie musste unbedingt den weißen Teppich im Esszimmer loswerden … obwohl es sich eigentlich nicht mehr lohnte. Es war doch wirklich eine Schande, dass sie noch immer in einem Haus ohne Swimmingpool wohnten.
Bis zur letzten Minute hoffte Henry auf ein Wunder. Er stellte sich vor, wie er am Morgen die Augen öffnete und vor der Tür wäre ein Schnüffeln zu hören und dann käme auch schon der Hund in sein Zimmer gestürzt … Manchmal war der Hund braun und flauschig, manchmal weiß mit glattem Fell. Aber eigentlich war es Henry egal, wie der Hund aussah, Hauptsache, er war lebendig und gehörte ihm und würde da sein, wenn sein Vater in Dubai war, seine Mutter unterwegs mit ihren Freundinnen und er allein im Haus mit einem Kindermädchen, das praktisch jeden Monat wechselte und immer nur Heimweh hatte und traurig war.
Aber der Hund in seiner Fantasie blieb ein Phantom. Niemand kratzte am Geburtstagsmorgen an seiner Tür und das Bellen, bei dem Henrys Herz heftig zu schlagen begann, kam von einem Hund auf der Straße.
Henry zog sich an und ging hinunter, wo seine Mutter schon neben dem mit Geschenken überladenen Frühstückstisch auf ihn wartete. Hamleys war nicht umsonst der bekannteste Spielzeugladen von ganz London, sie hatten die aktuellste Spielkonsole geschickt, das neueste Brettspiel, eine Laserpistole und ein ferngesteuertes Auto mit eingebautem Metalldetektor. Von Harrods stammte ein iPod, ein riesiger Chemiekasten und ein Spielzeugroboter …
»Na, freust du dich?«, fragte seine Mutter, während sie ihm dabei zusah, wie er die Pakete öffnete, und Henry nickte. »Ja, ich freue mich.« Sie sagte, dass am Abend sein Vater zurückkommen und ihm etwas vom Flughafen mitbringen würde.
»Ist etwas von Opa und Oma gekommen?«, fragte Henry, woraufhin Albina seufzte und ihm ein kleines, in braunes Papier gewickeltes Päckchen reichte.
Die Eltern ihres Mannes waren nicht reich, sie lebten im Norden Englands in einem kleinen Häuschen an der Küste. Als Henry noch klein gewesen war, waren sie einmal zu Besuch gekommen. Schon der Koffer war eine Zumutung gewesen, abgeschabt und mit einer Strippe zugebunden, wie peinlich! Sie waren nie mehr wiedergekommen, aber dafür schickten sie Henry zu Weihnachten und zum Geburtstag sehr seltsame Dinge. Wenn man schon kein Geld für ein anständiges Geschenk hatte, war es doch besser, man schickte überhaupt nichts statt einer ordinären Muschel oder einem Stück Felsen, dachte Albina.
Und doch schien sich Henry jedes Mal über die Geschenke seiner Großeltern zu freuen. Nun schaute er verzückt auf ein kleines, braunes, schrumpliges Etwas, das ihm mehr zu bedeuten schien als die anderen Geschenke.
»Das ist ein Seepferdchen«, sagte er und las die beigefügte Karte. »Es ist auf einen der Felsen gespült worden. Die Fischer glauben, dass es Glück bringt.«
Dann nahm Henry seine Geschenke mit nach oben und spielte mit ihnen.
Am Nachmittag erschien dann der Wagen vom Partyservice mit einer Geburtstagstorte, die wie ein Paar Turnschuhe aussah. Alles, was Albina bestellte, musste eine andere Form haben als die natürliche. Eine Torte, die wie eine Torte ausgesehen hätte, wäre schließlich langweilig gewesen. Henrys Freunde kamen, aber eigentlich waren es keine richtigen Freunde, die hatte er an der alten Schule zurücklassen müssen. Sie spielten mit seinen neuen Spielsachen, zerbrachen das ferngesteuerte Auto mit dem Metalldetektor und kippten den Inhalt des Chemiekastens auf den Boden.
Nachdem sie Tee getrunken und Kuchen gegessen und einem Zauberer zugeschaut hatten, kam die Überraschung.
Ein Lieferwagen fuhr vor, die Türglocke schellte, die Tür öffnete sich und ein … ein Wesen … stürzte ins Zimmer. Es war groß, in gelbes Fell gehüllt, hatte schwarze Schlappohren, einen Schwanz und eine rosa Zunge, die ihm seitlich aus dem Maul hing.
Das Wesen stellte sich auf die Hinterbeine, dann ließ es sich wieder auf alle viere fallen und gab seltsame Geräusche von sich, die wie »Wuff! Wuff!« klangen.
Es krabbelte zu Henry, ließ eine Glückwunschkarte vor ihm auf den Boden fallen und begann mit heiserer Stimme zu singen:
»Ich bin dein Geburtstagshündchen,
dein Hündchen für ein Stündchen,
streichel mich, dann werde ich …«
Doch der Gesang brach mit einem gurgelnden Laut ab, denn Henry zerrte am Kopf des vermeintlichen Hundes und schrie: »Aufhören! Raus hier!« Endlich hatte er den Kopf abgerissen und das verschwitzte rote Gesicht des Mannes von der Grußbotschaft-Agentur starrte ihn an.
»Wie können Sie so tun, als wären Sie ein Hund?« Henry trat dem Mann gegen das Schienbein. »Sie sind widerlich. Verschwinden Sie. Gehen Sie weg!«
Doch Alfred Potts, der Mann in dem Hundekostüm, hatte an dieser Vorstellung hart gearbeitet. Er hatte seit einer Stunde keine mehr geraucht und das Bier hatte er sich auch verkneifen müssen, da würde er sich von so einem verzogenen Bengel doch nicht treten lassen!
»Nun halt mal die Luft an«, sagte er und griff nach Henrys Arm. »Deine Mutter wollte dir eine Freude machen und du undankbarer kleiner …«
Aber bevor er den Satz beenden konnte, entwand sich Henry seinem Griff und lief schluchzend aus dem Zimmer.
Und damit war die Party beendet.
Es war bereits sehr spät, als der große Mercedes die Auffahrt hochkam und dann in der Tiefgarage verschwand.
Ein paar Minuten später betrat Donald Fenton das Haus, wo ihn seine Frau bereits erwartete.
»Hast du ein Geschenk für Henry?«, begrüßte sie ihn. »Du hast doch nicht etwa seinen Geburtstag vergessen?«
Donald schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Er hatte ihn vergessen. »Ich steckte bis eine Stunde vor Abflug in einem Meeting. Ich hätte fast die Maschine verpasst.«
»Du meine Güte! Er hat die ganze Zeit gefragt, wann du kommst. Dann geh wenigstens hoch und sag ihm Gute Nacht, er ist sehr schlecht drauf.« Und Albina erzählte ihm die Geschichte von dem als Hund verkleideten Mr Potts.
Donald ging langsam die Treppe hinauf. Er hätte Henrys Geburtstag nicht vergessen dürfen, aber er hatte den Tag über nicht eine Minute zum Nachdenken gehabt. Außerdem hatte Albina bestimmt dafür gesorgt, dass der Junge tonnenweise Geschenke bekommen hatte. Als er in Henrys Alter war, war sein einziges Geschenk eine selbst gemachte Angel gewesen.
Henry saß aufrecht in seinem Bett, er hatte die ganze Zeit gewartet. Klein und blass sah er aus, dunkle Schatten lagen unter seinen Augen.
»Ich komme direkt vom Flugplatz«, sagte sein Vater. »Leider hab ich es nicht geschafft, noch ein Geschenk für dich zu besorgen. Aber wir gehen morgen zusammen einkaufen, ich kann früher Schluss machen. Gibt es etwas, das du dir wünschst?«
Henry schüttelte den Kopf. »Das Einzige, das ich mir immer gewünscht habe, ist ein Hund.«
Aber er sagte es völlig teilnahmslos, es war vorbei. Dieser schreckliche Mann, der nach Zigaretten und Bier gestunken hatte, hatte es geschafft, seinen Traum endgültig zu zerstören.
Donald Fenton schaute seinen Sohn nachdenklich an und plötzlich hatte er eine Idee. »In Ordnung, Henry. Wir gehen morgen zusammen los und holen einen. Versprochen.«
Unten hörte Albina Fenton einen Freudenschrei aus Henrys Zimmer.
»Was ist passiert?«, fragte sie ihren Mann, als er die Treppe herunterkam. »Was ist los?«
Donald lächelte, er war sehr zufrieden mit sich.
»Ich hab ihm gesagt, dass wir morgen einen Hund holen.«
»Einen Hund! Du musst verrückt sein, Donald. Ich hab es dir und Henry schon tausendmal gesagt: Ich will nicht, dass mein Haus von einem Tier zerstört wird.«
»Es ist doch nur für das Wochenende, Albina. Länger verleihen sie sie auch nicht.«
»Wer ist ›sie‹? Wovon sprichst du?«
»Die Leute von Rent-a-Dog. Das ist ein Laden, wo man Hunde mieten kann, er ist um die Ecke von meinem Büro. Meine Sekretärin hat mir davon erzählt. Du kannst jeden Hund bekommen, den du willst, für eine Stunde oder einen Tag. Die Leute leihen sie aus, um ihre Freunde damit zu beeindrucken oder um einen Ausflug zu machen. Die Hunde sind sorgfältig ausgewählt, stubenrein und alles.«
»Gut, aber was ist, wenn wir den Hund wieder zurückbringen müssen? Erzählst du Henry, dass es nur für ein Wochenende ist?«
»Lieber Himmel, natürlich nicht! Das ist auch nicht nötig. Wenn der Hund zurückmuss, wird Henry ihn sowieso längst überhaben, du weißt doch, wie schnell Kinder sich mit den Dingen, die man ihnen schenkt, langweilen. Erinnerst du dich an den Space Projektor, den wir ihm zu Weihnachten geschenkt haben? Mit dem hat er auch nur ein paarmal gespielt und das Ding hat uns ein Vermögen gekostet.«
»Hoffentlich hast du recht, ich kann wirklich keinen weiteren Ärger ertragen.«
»Ich habe recht«, sagte Donald bestimmt.
Und selbst wenn nicht, an dem Tag, an dem der Hund zurückgebracht werden musste, würde er schon auf dem Weg nach New York sein.
2. Kapitel
Rent-a-Dog
Die Rent-a-Dog-Agentur gehörte Myron und Mavis Carker. Die Carkers waren gierig und gemein und liebten nichts mehr auf der Welt als Geld.
Aber sie waren auch schlau. Sie hatten begriffen, dass die Menschen von heute nichts so sehr schätzten wie Abwechslung. Ständig wechselten sie ihre Häuser und Autos, sie wechselten die Schulen ihrer Kinder und die Orte, an denen sie ihre Ferien verbrachten, ja sie wechselten sogar ihre Ehepartner, wenn die anfingen, langweilig zu werden.
Warum sollte man sich also an einen Hund hängen? Der Slogan »Hunde sind nichts für Weihnachten, Hunde sind fürs Leben« galt für die meisten Menschen nicht. Hunde, genau wie Kinder, waren eine Fessel. Wer einen Hund daheim hatte, konnte nicht machen, was er wollte.
Andererseits waren Hunde aber auch nett. Sie waren lustig und manche sogar richtig schön. Sich mit einem eleganten Windhund oder einem fröhlich herumtollenden Foxterrier im Park sehen zu lassen, das hatte schon was. Was lag also näher, als einen Hund zu mieten, für eine Stunde, einen Nachmittag oder sogar für ein ganzes Wochenende? Natürlich mussten diese Hunde reinrassig sein, mit langem Stammbaum versehen. Man könnte sie sogar farblich passend zur Kleidung auswählen: Ein roter Setter würde perfekt zu einem rostroten Herbstoutfit passen und ein schneeweißer Pyrenäenberghund zu einem Mann oder einer Frau, die gern Weiß trugen.
Natürlich wäre es kein billiges Vergnügen, einen derartigen Hund auszuleihen, schließlich mussten die Hunde gepflegt und entwurmt und von einem Tierarzt untersucht werden. Ein Hundefriseur musste sie regelmäßig scheren und trimmen. Aber die Leute würden das bezahlen, da waren die Carkers sich sicher und sie behielten recht. Ein Jahr nach Eröffnung von Rent-a-Dog waren sie auf dem besten Weg, sehr reich zu werden. Und weil sie so viele Spezialisten bezahlen mussten, achteten sie darauf, dass diejenige, die die Käfige säuberte und die Hunde fütterte, umso weniger verdiente.
Es war ein junges Mädchen namens Kayley, das jeden Morgen mit der U-Bahn aus Tottenham kam und, ohne zu murren, den ganzen Tag arbeitete, weil sie Hunde liebte, und natürlich – wie konnte es anders sein? – liebten die Hunde auch sie.
Das Gebäude von Rent-a-Dog befand sich in einer eleganten Straße mitten in London in der Nähe einer Reihe exklusiver Geschäfte. Im hinteren Bereich gab es ein Freigehege, in dem die Hunde schliefen, und eine Grünfläche, auf der das Training abgehalten wurde.
Früh am Morgen weckte Kayley die Hunde und tröstete die, die schlecht geträumt hatten. Wie zum Beispiel den riesigen Mastiff, der aus Versehen seinem Frauchen den kleinen Finger abgebissen hatte, als sie ihn mit einer Wurst füttern wollte. Er war dafür nie bestraft worden und keine Strafe zu bekommen, wenn man sie eigentlich verdient hat, ist für einen Hund das Allerschlimmste und der Mastiff litt noch immer darunter, vor allem nachts.
Nach dem Wecken ließ Kayley die Hunde sich auf dem Rasen ein wenig austoben, bevor sie ihnen ihr Frühstück gab.
Danach wurden sie gebadet und gebürstet und frisiert, die Krallen wurden poliert und die Zähne geputzt. Zum Schluss wurden sie mit einem speziellen Duft eingesprüht, denn der Geruch ist nicht unbedingt das, was reiche Leute an einem Hund schätzen. Für jeden Hund war ein eigenes Parfüm komponiert worden. Das des Bernhardiners hieß Mountain Glory, die Pudel wurden mit Dark Dancer eingesprüht und die Collies mit Heather Mist.
Die Hunde konnten diese Duftsprays nicht leiden, der Geruch eines Hundes gehört schließlich genauso zu ihm wie sein Bellen oder die Art, mit dem Schwanz zu wedeln, und sie leckten sich das Fell oder rollten sich auf dem Boden, aber es war nicht möglich, das ekelhafte Zeug wieder loszuwerden.
Waren sie dann endlich fix und fertig, wurden sie zu einer Reihe von Räumen geführt, in denen elegante Käfige standen. Dort gab es sanftes Licht und weiche Teppiche. Über jedem Käfig stand der Name des Hundes und darüber der des Züchters.
Gummibälle und Quietschtiere zum Spielen oder Plastikknochen, auf denen die Hunde hätten herumkauen können, waren verboten. Um die Kunden zu beeindrucken, mussten die Käfige sauber und ordentlich sein. Die Hunde durften nur eins: still dasitzen und möglichst gut aussehen.
Wenn sie zu Rent-a-Dog kamen, waren die Hunde noch voller Hoffnung. Wenn jemand den Laden betrat und sie auswählte, glaubten sie, es wäre für immer. Sie dachten, derjenige würde ihnen ein Heim geben und sie würden zu ihm gehören. Hoch erhobenen Hauptes und mit vor Freude wedelndem Schwanz waren sie mitgegangen, doch jedes Mal waren sie zurückgebracht worden, manchmal nach einer Stunde, manchmal nach einem Tag … und das Warten begann von Neuem.
Immerhin hatten die Hunde sich und sie hatten Kayley. Sie versuchten das Beste daraus zu machen, aber das war nicht immer leicht.
In Raum A lebten fünf Hunde. Es war der kleinste Raum, er lag direkt neben der Kammer, in der Kaley arbeitete, wenn sie sich nicht draußen aufhielt. Im Laufe der Zeit waren die fünf Hunde in Raum A Freunde geworden.
Der größte war Otto, ein Bernhardiner mit einem weiß und hellbraun gefleckten Gesicht und tief liegenden traurigen Augen. Otto war klug und stark, dabei trotzdem sanft. Sein Leben hatte tragisch begonnen. Seine Mutter, die selbst für eine Bernhardinerhündin sehr groß und schwer gewesen war, hatte sich im Schlaf aus Versehen auf ihre Jungen gerollt und sie zerquetscht. Nur Otto hatte überlebt.
Er war in den Schweizer Alpen aufgewachsen, in einem Kloster, das berühmt gewesen war für seine Bernhardinerzucht. Seit Hunderten von Jahren lernten die Hunde dort, Menschen, die im Schnee verschüttet waren, aufzuspüren und in Sicherheit zu bringen.
Wenn einem so etwas zustößt wie Otto, verschwendet man keine Zeit, sich über Nichtigkeiten aufzuregen.
Otto war zu einem tapferen und nützlichen Rettungshund herangewachsen. Und als ein reicher junger Engländer ihn unbedingt kaufen und mit nach England nehmen wollte, hatte Otto versucht, das Beste daraus zu machen, obwohl er viel lieber bei den Mönchen geblieben wäre. Selbst nachdem der junge Mann feststellen musste, dass man einen Bernhardiner schwerlich in einem Londoner Apartment halten konnte, und ihn an Mr Carker verkauft hatte, war Otto würdevoll und ruhig geblieben und hatte sogar die anderen Hunde beruhigt, wenn die sich über das schlechte Essen oder das ekelhafte Parfüm oder die Langeweile beklagten.
Im Käfig neben Otto befand sich ein Hund, der so klein war wie Otto groß, ein winziger Pekinese mit dem Namen Li-Chee. Li-Chee hatte goldenes Haar, das bis zum Boden reichte, und ein schwarzes Knautschgesicht.
Li-Chee betete Otto an und jede Nacht, wenn er im Gehege seinen Platz zum Schlafen suchte, schmiegte er sich so eng an Otto, wie er nur konnte.
Pekinesen sind ursprünglich Palasthunde und waren früher ausschließlich dem chinesischen Kaiser vorbehalten, den sie bewachen durften. Li-Chee war so kämpferisch und aufbrausend wie Otto friedfertig und gelassen.
Der Käfig daneben war besetzt von einer schwarzen Pudelhündin. Francines Fell war auf diese alberne Weise zurechtgestutzt worden, die man von Pudeln kennt. An den Beinen und am Schwanz trug sie flauschige Pompons, ihr Rücken hingegen war kurz geschoren. Normalerweise wurde sie von Schauspielerinnen oder anderen Leuten aus dem Showgeschäft ausgeliehen, die etwas zum Angeben haben wollten. In Wirklichkeit war Francine eine praktisch veranlagte Hundedame, darüber hinaus auch noch überaus klug. Sie entstammte einer Familie von Zirkushunden, die seit Generationen die schwierigsten Kunststücke vollführt hatte: steile Leitern hinaufklettern, durch brennende Reifen springen, Bälle auf der Nase balancieren …
Francine hatte das Zirkusleben geliebt – die Kameradschaft, das Herumreisen im Wohnwagen, die täglichen Auftritte. Doch dann hatte es geheißen, es sei grausam, Tiere zu dressieren und sie Kunststücke vorführen zu lassen, und der Zirkus war geschlossen worden und nun saß Francine den ganzen Tag im Käfig und wartete darauf, von irgendjemandem für ein paar Stunden ausgeliehen zu werden.
In dem Käfig gegenüber von Otto, Francine und Li-Chee saß eine Colliehündin. Honey war sehr schön mit ihrem langen seidigen Behang in schwarz, weiß und sandfarben und den sanften vertrauensvollen Augen. Trotzdem war sie schwer zu vermitteln, weil immer und ständig der Hütehund in ihr durchkam. Da es aber in London keine Schafe gab, trieb Honey alles Mögliche zusammen. Einmal hatte sie eine ganze Kindergartenschar in einen Konzertpavillon gescheucht oder ein Dutzend quakende Enten in einem Bushäuschen festgehalten.
Bevor sie zu Rent-a-Dog kam, war Honey eine gut ausgebildete Hütehündin gewesen, aber der Bauer, dem sie gehörte, hatte seinen Hof aufgeben und Honey verkaufen müssen. Alle Hunde leiden darunter, wenn sie nicht mehr nützlich sein können, aber für einen Collie ist das Fehlen von Arbeit eine Katastrophe. Die anderen Hunde machten sich Sorgen. Mr Carker wurde nämlich jedes Mal sehr ärgerlich, wenn Honey früher als geplant zurückgebracht wurde. Alle wussten, was mit Hunden geschah, die Mr Carkers Unwillen erregten, sie verschwanden von einem Tag auf den anderen und waren nicht mehr gesehen.
Die letzte Bewohnerin von Raum A war Queen Tilly. Sie lag die meiste Zeit auf einem Kissen mit einer Wärmflasche unter dem Bauch. Bei Queen Tilly handelte es sich um einen mexikanischen Nackthund, eine besonders hässliche Rasse mit haarloser, fleckiger Haut und stockdürren Beinchen. Mexikanische Nackthunde sind äußerst selten und die meisten von ihnen sind nett, wenn auch sehr empfindlich, ständig zittern sie vor Kälte. Queen Tilly zitterte zwar auch, aber sie war alles andere als nett. Bevor sie zu Rent-a-dog kam, hatte sie einer reichen Erbin gehört und von silbernen Tellern gegessen und auf den seidenen Kissen ihres Frauchens geschlafen und nun war ihr alles nicht gut genug.
Zuerst hatten die anderen Hunde versucht, freundlich zu ihr zu sein, aber Queen Tilly schüttelte nur unwillig den Kopf und gähnte. Sie reagierte nur, wenn ihre Wärmflasche kalt wurde, dann jaulte und quiekte sie, bis Kayley erschien und sie wieder mit heißem Wasser füllte. Sie war von allen Leihhunden der teuerste, aber eigentlich keinen Penny wert.
Es gab noch einen Käfig in Raum A, aber der war zurzeit leer.
Es hatte aufgehört zu regnen und Otto, dessen Käfig am Fenster stand, konnte sehen, wie die Leute ihre Schirme zusammenklappten, und das bedeutete, dass bald Kundschaft erscheinen würde. Er setzte sich in Positur und die anderen Hunde folgten seinem Beispiel.
Um zehn Uhr führte Kayley eine Dame herein, die einen eleganten schwarzen Rock und eine lila Bluse trug. Ihre Absätze waren so hoch, dass sie wie auf Stelzen ging.
»Ich glaube, Francine ist die Richtige für Sie«, sagte Kayley und ging zu dem Käfig mit der Pudeldame. »Sie ist eine besonders intelligente Hündin und außerdem an Restaurantbesuche gewöhnt.«
»Sie passt auf jeden Fall zu meinem Outfit«, sagte die Dame. »Es ist ein wenig heikel, müssen Sie wissen. Ich habe gestern Abend auf einer Party einen interessanten Mann kennengelernt. Er erzählte mir, er würde Hunde lieben, also hab ich gesagt, ich fände Hunde ebenfalls großartig, und da hat er mich zum Essen eingeladen. Jetzt hab ich gedacht, ich nehme einen Hund mit und tue so, als wäre es meiner. Eine gute Idee, finden Sie nicht?«
Nein, das fand Kayley ganz und gar nicht. Sie hielt es für eine absolut idiotische Idee, aber sie war an die verrückten Einfälle der Kunden gewöhnt, also lächelte sie nur und streichelte Francines Kopf durch die Gitterstäbe des Käfigs.
»Bestimmt könnte ich bei Ihnen auch einen kleineren Hund bekommen, aber den müsste ich dann womöglich auf den Schoß nehmen und hätte überall Hundehaare oder ein Kellner würde aus Versehen auf ihn drauftreten.«
»Francine wird Ihnen gefallen«, sagte Kayley noch einmal. »Sie ist daran gewöhnt, unter dem Tisch zu liegen. Es gibt da nur eins: Francine ist sehr musikalisch, wenn es sich um ein Restaurant mit Livemusik handelt, wird sie sehr unruhig, vor allem wenn ein Walzer gespielt wird.«
Aber die Dame sagte, dass es ein sehr teures Restaurant wäre, in dem die Gäste nur ganz leise miteinander sprechen würden, gewöhnlich übers Essen.
Francine wurde weggebracht, um ein mit Kristallen besetztes Halsband zu bekommen, außerdem wurde ihre Schleife ausgetauscht gegen eine, die besser mit der Bluse der Dame harmonierte. Und dann gingen die beiden miteinander fort.
Als Francine bereits eine Stunde weg war, erschien eine dünne, ängstlich aussehende Frau, um einen besonders großen Hund auszuleihen, denn sie wollte ihren Sohn besuchen, der in einem Teil der Stadt lebte, in dem es viele Ausländer und arme Leute gab. Sie befürchtete, überfallen zu werden.
Kayley, die selbst in einem solchen Viertel lebte, lag es auf der Zunge zu sagen, dass Menschen, nur weil sie arm oder fremder Herkunft waren,