Fünfzig geistliche Homilien - Makarios der Ägypter - E-Book

Fünfzig geistliche Homilien E-Book

Makarios der Ägypter

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Beschreibung

Makarios der Ägypter war einer der berühmtesten frühchristlichen Einsiedler, geboren um 300 n. Chr., gestorben 390. Er war ein Schüler des heiligen Antonius und Gründer einer klösterlichen Gemeinschaft in der Sketischen Wüste . Durch den Einfluss des heiligen Antonius wurde er zum Priester geweiht. Der Ruhm seiner Heiligkeit zog viele Anhänger an, und seine Klostersiedlung zählte bei seinem Tod Tausende. Die Mönche waren an keine feste Regel gebunden, ihre Zellen lagen eng beieinander, und sie trafen sich nur samstags oder sonntags zum Gottesdienst. Das Prinzip, das sie zusammenhielt, war das der gegenseitigen Hilfsbereitschaft, und die Autorität der Ältesten wurde nicht als die von Klosteroberen im strengen Sinne des Wortes anerkannt, sondern eher als die von Führern und Vorbildern der Vollkommenheit. In einer Gemeinschaft, deren Mitglieder danach strebten, sich in Kasteiung und Entsagung zu übertreffen, wurde die Vorrangstellung des Makarios allgemein anerkannt. Mehrere Klöster in der libyschen Wüste tragen noch heute seinen Namen . Es sind fünfzig Homilien erhalten, die seinen Namen tragen, aber ihm nicht mit absoluter Sicherheit zugeordnet werden können.

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Seitenzahl: 541

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Fünfzig geistliche Homilien

 

MAKARIOS DER ÄGYPTER

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

 

 

50 geistliche Homilien, Makarios der Ägypter

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849680211

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Einleitung zu Makarius. 2

Fünfzig geistliche Homilien. 27

1. Homilie.27

2. Homilie.36

3. Homilie.40

4. Homilie.43

5. Homilie.61

6. Homilie.77

7. Homilie.82

8. Homilie.86

9. Homilie.90

10. Homilie.97

11. Homilie.101

12. Homilie.111

13. Homilie.122

14. Homilie.123

15. Homilie.128

16. Homilie.157

17. Homilie.165

18. Homilie.173

19. Homilie.179

20. Homilie.184

21. Homilie.188

22. Homilie.191

23. Homilie.192

24. Homilie.194

25. Homilie.198

26. Homilie.206

27. Homilie.220

28. Homilie.233

29. Homilie.237

30. Homilie.242

31. Homilie.248

32. Homilie.252

33. Homilie.259

34. Homilie.262

35. Homilie.265

36. Homilie.267

37. Homilie.269

38. Homilie.276

39. Homilie.279

40. Homilie.280

41. Homilie.284

42. Homilie.286

43. Homilie.288

44. Homilie.294

45. Homilie.300

46. Homilie.305

47. Homilie.310

48. Homilie.319

49. Homilie.323

50. Homilie.327

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Einleitung zu Makarius Sprache: deutsch Bibliographie: Einleitung zu Makarius In: Des heiligen Makarius des Ägypter fünfzig geistliche Homilien / aus dem Griechischen übers. von Dionys Stiefenhofer. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 10) Kempten; München : J. Kösel, 1913.

 

Titel Version: Fünfzig geistliche Homilien (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Fünfzig geistliche Homilien In: Des heiligen Makarius des Ägypter fünfzig geistliche Homilien / aus dem Griechischen übers. von Dionys Stiefenhofer. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 10) Kempten; München : J. Kösel, 1913. Unter der Mitarbeit von: Ottmar Strüber und Rudolf Heumann

 

 

Einleitung zu Makarius

§ 1. Das Leben Makarius’ des Ägypters.

Makarius der Ägypter, auch der Ältere oder der Große genannt, zählt zu den Altvätern des Mönchtums, die im vierten Jahrhundert in der Wüstenwildnis Ägyptens wie Friedenssterne einer ruhelosen, zuckenden Welt leuchteten. Ihr Vollkommenheitswandel und Heiligkeitsstreben übte einen wundersamen Zauber auf die Zeitgenossen aus, Tausenden von Gottsuchern und Wahrheitsringern waren sie Licht und Kraft und Leben.

Über Makarius berichten Palladius[1], der ein Jahr nach dessen Tode in Ägypten mit Makariusschülern zusammentraf, Rufinus[2], Sokrates und Sozomenus. Für die ersten dreißig Lebensjahre des Makarius sind die einzige Quelle die in mehreren Rezensionen vorliegenden Apophthegmata Patrum[3], Sammlungen von Aussprüchen der Patriarchen des Mönchtums, die in ihrer ersten Gestalt ins vierte und fünfte Jahrhundert hinaufreichen. Schon Evagrius Pontikus, ein vertrauter Schüler und Gefährte des Makarius, hat solche Apophthegmen gesammelt.

Makarius der Ägypter wurde um das Jahr 300[4] in einem Dorfe Oberägyptens[5] geboren. Er scheint in einfachen, ja dürftigen Verhältnissen aufgewachsen zu sein. Eine lebensernste, tief religiöse Natur, wählte er den Asketenstand. Er zog sich in eine Zelle in der Nähe eines oberägyptischen Dorfes zurück. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich durch Korbflechten. Um das Jahr 330 flüchtete er in die nördlich gelegene sketische Wüste, um hier in wildschauerlicher Einsamkeit als Anachoret zu leben[6]. Von dem nach dem Natrontal benannten und im vierten Jahrhundert wegen seiner Mönchskolonien hochberühmten nitrischen Gebirge aus, das einige sechzig englische Meilen südwärts von Alexandrien lag, erstreckte sich nach Nordosten bis zum Nil hin eine grauenvolle Einöde, die von dem Orte Skete ihren Namen trug. Sechzig Jahre lang[7] lebte hier Makarius in unablässigem Gebet und Fasten, in angestrengter Arbeit und mystischer Gottversenkung. Sich und andere zur Einswerdung mit Christus, zum vollen Gotterlebnis, zu innerer Harmonie zu erziehen, war das ideale Streben dieser hochgestimmten, gottfrohen Natur. Wegen seiner ungewöhnlichen Urteilskraft und Verstandesreife, wovon er schon in verhältnismäßig jungen Jahren staunenswerte Proben gab, nannten ihn ältere Brüder Knabengreis (παιδαριογέρων) [paidariogerōn][8]. Er machte wunderbare Tugendfortschritte. Immer höher stieg sein Ansehen, immer mächtiger zündete sein Wort und Beispiel. Er war wie ein Feuerbrand, glühend von Gottesgeist und Jesusleben, von Menschenliebe und Seeleneifer. Wo seine Lichtfunken flammten, da schwand Herzensfrost und Sündennacht, da erstrahlte ein frühlingswarmer Sonnentag, der keinen Abend kannte. Eine zaubermächtige, herzbezwingende Kraft ging von ihm aus. In weite Fernen drang sein Ruf. Bald war er der geistliche Mittelpunkt, der väterliche Führer einer gleichgesinnten Schar. Wie die Mönche der angrenzenden Cellienwüste (Κέλλια) [Kellia], so wohnten wohl auch die sketischen Einsiedler in Zellen, die so weit voneinander entfernt lagen, daß man sich gegenseitig weder sehen noch hören konnte[9]. Makarius hatte zwei Schüler. Der eine, namens Johannes, war sein Diener und beständig um ihn, während der andere in unmittelbarer Nähe seine Zelle hatte. Johannes mußte ihm beim Empfange der vielen Besucher zur Seite stehen. Bei sehr starkem Fremdenandrang zog sich Makarius durch einen selbstgegrabenen, unterirdischen Gang von der Länge eines halben Stadiums[10] in eine verborgene Höhle zurück. Einer seiner treuergebenen Schüler erzählte dem Palladius, daß er hin und zurück jedesmal vierundzwanzig Gebete sprach[11]. Am Samstag und Sonntag versammelten sich die Mönche der Skete zur gemeinsamen Gottesdienstfeier. Sie verteilten sich auf vier Kirchen[12]. Makarius war im Alter von vierzig Jahren zum Priester geweiht worden[13]. Mit hohem Interesse lauschten die Brüder seinen Katechesen oder Predigten. Er hielt sie wohl in koptischer Sprache[14]. Wiederholt ward er ersucht, ins nitrische Gebirge zu kommen, um auch die dortigen Einsiedler durch sein Flammenwort zu erbauen[15]. Zuweilen besuchte er den „Stern der Wüste, den Vater der Mönche“, den heiligen Antonius, der dreizehn Tagreisen von ihm entfernt lebte[16]. Bereits hochbetagt mußte er als treuer Anhänger des nicänischen Glaubens in die Verbannung gehen. Nach dem Tode des großen Bekennerbischofs Athanasius hatte der Arianer Lucius den Patriarchenstuhl von Alexandrien bestiegen. Gestützt auf ein Edikt des mönchsfeindlichen, arianischen Kaisers Valens begann er eine Verfolgung der sketischen Mönche. Makarius wurde mit mehreren anderen auf eine Nilinsel verbannt. Die Inselbewohner waren Heiden. Mit apostolischem Feuereifer verkündeten ihnen die neuen Ankömmlinge die Lehre des Evangeliums. Bald prangte auf der Insel das Zeichen des Kreuzes. Die Kunde hiervon löste beim christusgläubigen Volke von Alexandrien helle Begeisterung für die Glaubensboten aus. Zugleich erhob sich ein Sturm der Entrüstung gegen den Patriarchen Lucius, der solch hochgesinnte Gottesmänner ins Exil geschickt. Aus Furcht vor einem Aufruhr erlaubte er den Mönchen die Rückkehr in die sketische Wüste[17]. Dort beschloß Makarius kurz vor dem Jahre 390[18] sein gottgesegnetes Leben. Bei seinem Tode war „die sketische Wüste einer der wichtigsten Sammelplätze ägyptischer Mönche geworden“[19].

§ 2. Schriften unter dem Namen Makarius des Ägypters.

Zahlreiche Handschriften weisen Makarius dem Ägypter Werke zu. Makarius-Handschriften hat einst Harles bei Fabricius[20] zusammengestellt, viele neue hat Lambros[21] in den Klosterbibliotheken auf dem Athos entdeckt.

Die letzte Ausgabe der Makarius-Schriften hat H. J. Floß († 1881) besorgt. Sie findet sich abgedruckt bei Migne P. G. XXXIV, Paris 1860 und enthält Apophthegmata, vier Briefe, zwei kleine Gebete, fünfzig geistliche Homilien und die sieben Traktate (Opuscula): De custodia cordis, De perfectione in spiritu, De oratione, De patientia et discretione, De elevatione mentis, De charitate und De libertate mentis. Diese sieben Abhandlungen sind nur eine Überarbeitung von Makarius-Homilien durch Simeon Logothetes oder Metaphrastes. Er hat in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts „eine Sammlung von Makarius-Homilien in der Weise bearbeitet, daß er besonders ansprechende Stellen auszog und zu sieben asketischen Traktaten zusammenfaßte“[22]. Eine Ausnahme macht nur der zweite Traktat. In seiner ersten größeren Hälfte (n. 1—11) schöpft er nicht aus den Homilien, sondern aus der kleinen Schrift Gregors von Nyssa Περὶτοῦκατὰθεὸνσκόπου [Peri tou kata theon skopou], „Über das Endziel in Gott“[23]. Der erste Herausgeber der Traktate, Petrus Possinus[24], hat sie irrigerweise für echte Makarius-Werke gehalten. In den Handschriften selbst heißen sie Exzerpte des Logotheten. Die Herkunft der Gebete ist in Dunkel gehüllt. Von den vier Briefen wird der erste, nur in lateinischer Übersetzung erhaltene Brief Ad filios Dei[25] mehrfach mit dem von Gennadius[26] erwähnten Lehrschreiben des Makarius an jüngere Mönche identifiziert[27]. Nach C. Flemming[28] läßt sich die Identität dieser beiden Schreiben „durch die stärksten Beweise“ erhärten. Er wird sie in einer nächstens erscheinenden Schrift erbringen. Durch gütige, briefliche Mitteilung bin ich in der Lage, die Hauptresultate seiner Untersuchungen hier anzuführen. Danach ist dieser Brief die lateinische Übersetzung eines griechischen Originals. Inhaltlich repräsentiert er sich als eine unlogische und zusammenhanglose Aneinanderreihung asketischer Gedanken, die sich nach Form und Inhalt wiederholen. Er ist eine Kompilation aus griechischen Apophthegmen, wie sie in ägyptischen Mönchskreisen gang und gäbe waren. Bei Amélineau[29] finden sich zwei koptische Apophthegmen, von denen das eine sich mit dem Anfang, das andere mit dem Schlusse des lateinischen Briefes vollkommen deckt. Diese lose zusammengestellten Apophthegmen sind dem ägyptischen Mönchsvater Makarius zuzuschreiben. Das beweist schon das koptische Apophthegmenkorpus, das unter dem Namen Makarius des Ägypters überliefert ist. Dazu kommen noch zwei sichere historische Zeugnisse: Cassian., De coenob. V 44 und Gennad., De vir. ill. c. 10 beziehen sich auf unseren lateinischen Brief. Gennadius, der ausdrücklich von einer „epistula“ redet, ist ohne Zweifel die schriftliche Zusammenstellung der Apophthegmen vorgelegen, Kassian dagegen denkt nur an einen mündlichen Makarius-Ausspruch. Danach ist dieser Brief in der Zeit zwischen Kassian und Gennadius, etwa um 450, aus makarianischen Apophthegmen entstanden. Der Kompilator des Briefes und der Schreiber der Homilien sind nicht identisch. Denn der Brief unterscheidet sich nach Komposition und Gedankeninhalt vom Homilienwerke.

Der zweite, wahrscheinlich an einen Abt oder Mönchsvorsteher gerichtete, umfangreiche, griechische Brief[30], in dessen zweite Hälfte, wie Stiglmayr[31] wahrnahm, die größere, zweite Hälfte der erwähnten Schrift Gregors von Nyssa „Über das Endziel in Gott“[32] aufgenommen und verarbeitet ist[33], stammt nach den Untersuchungen C. Flemmings[34] vom gleichen Verfasser wie die Homilien. Der dritte Brief ist stilistisch und inhaltlich vom Homilienwerke verschieden, der vierte erweist sich als eine Kompilation des ersten und dritten Briefes[35]. Die unter des Ägypters Namen stehenden, von dem französischen Patristiker Jean Baptiste Cotelier († 1686)[36] zum erstenmal aus dem Griechischen herausgegebenen Apophthegmen machen nach Bardenhewer[37] „im großen und ganzen den Eindruck voller Zuverlässigkeit“. Sie sind wohl kein „Nachhall der Homilien“[38]; denn sie weichen „nach Ton und Anlage“[39] und Lehrinhalt von den Homilien ab.

Die fünfzig geistlichen Homilien, ὁμιλίαιπνευματικαί [homiliai pneumatikai], Vorträge über das geistliche Leben, sind zum erstenmal von Johannes Picus[40] nach Handschriften der königlichen Bibliothek in Paris 1559 unter dem Namen Makarius des Ägypters veröffentlicht worden. Im gleichen Jahre ließ Picus eine gesonderte lateinische Übersetzung der Homilien im Drucke erscheinen. An die Spitze jeder Homilie setzte er eine kurze Inhaltsangabe (argumentum)[41]. Auf deutschem Boden besorgte Zacharias Palthen[42] 1594 eine Edition der Homilien in griechischer Sprache und neuer lateinischer Übersetzung. Den Homilien sind die von Picus beigegebenen Summarien vorgedruckt. In Frankreich erfolgte eine Neuausgabe der Homilien mit der lateinischen Übersetzung des Picus im Jahre 1622[43]. Die den Homilien vorausgesetzten Inhaltsangaben sind viel weitschweifiger als die in den bisherigen Ausgaben. 1698 und von neuem 1714 wurden die Homilien griechisch und lateinisch von dem Leipziger Professor J. G. Pritzius herausgegeben[44]. In seiner Vorrede[45] bemerkt er, er habe den griechischen Text des Zacharias Palthen sorgfältig revidiert und die jämmerliche, vielfach unrichtige lateinische Übersetzung korrigiert. Zugleich hat er, soweit es ihm möglich war, die in den Homilien verwendeten Schriftstellen angemerkt und den Text abgeteilt. In der Kapitelabteilung folgte er dem deutschen Übersetzer. Im Jahre 1696 hatte nämlich Gottfried Arnold eine deutsche Übersetzung der Homilien erscheinen lassen und dieselbe zur besseren Übersicht in Kapitel abgeteilt. Pritzius sagt, er würde häufig anders abgeteilt haben, wenn er freie Hand gehabt hätte. Allein er habe die griechische Textabteilung der deutschen angepaßt, um nicht eine Verwirrung bei den Lesern hervorzurufen, die den griechischen Text und die deutsche Übersetzung miteinander vergleichen. Die Summarien in der Ausgabe von Palthen behielt er bei, obwohl er überzeugt war, daß der Inhalt der Homilien viel bündiger und präziser hätte angegeben werden können[46]. Vermehrt und verbessert gab der Oratorianer A. Gallandi 1770 die Homilien nebst den sieben asketischen Traktaten des Metaphrasten und den Apophthegmen heraus[47]. H. J. Floß hat den von Gallandi veröffentlichten, vielfach korrupten Text bei Migne P. G. XXXIV Paris 1860 abdrucken lassen, ohne ihn zu verbessern. Die Aufschriften der Homilien entsprechen genau denen der Pariser Ausgabe vom Jahre 1622. Floß hat nach einer Berliner Handschrift die Homilien 5[48] und 50[49] ergänzt. Sieben weitere Makarius-Homilien in einem Codex Barroccianus der Universitätsbibliothek in Oxford (Bodleiana) harren noch der Edition[50].

Zwei Fragmente, die Floß in dem Bonner Universitätsprogramm zum 3. August 1866 unter dem Namen Makarius des Ägypters herausgab, gehören, wie Gildemeister[51] nachgewiesen, einer unter den Werken Ephräms des Syrers stehenden Schrift an[52].

§ 3. Der Schriftsteller Makarius im Lichte der Literatur[53].

Das erste literargeschichtliche Zeugnis für ein von Makarius dem Ägypter stammendes schriftliches Dokument findet sich in dem 467—480 verfaßten Schriftstellerkatalog des Presbyters Gennadius von Marseille. Er weiß von dem berühmten, ägyptischen Mönche Makarius nur einen Brief an jüngere Mönche anzuführen. Er kennzeichnet ihn kurz nach seinem Inhalt, offenbar auf Grund persönlicher Lektüre[54]. Ein anderes Schriftstück von Makarius kennt er nicht. Makarius-Homilien sind ihm völlig fremd. Und doch, wie hätte ein so bedeutsames Schriftwerk dem Literarhistoriker entgehen können? Dazu kommt, daß Gennadius Semipelagianer war. Nun enthält das Homilienkorpus verschiedene semipelagianisch gefärbte Stellen, die auffallende Ähnlichkeit mit Stellen in den semipelagianischen Schriften eines Kassian, Faustus u. a. haben. Darum bestehen Verbindungslinien zwischen dem Homilienwerk und dieser semipelagianischen Literatur. Gleichwohl sind die Homilien dem Gennadius und den anderen Vertretern des Semipelagianismus gänzlich unbekannt. Das wäre undenkbar, hätten sie damals als geschlossenes Ganze existiert. Hätte nicht Kassian, der Kollator, der eine innige Vertrautheit mit der griechischen Sprache und Literatur bekundet und in persönliche Beziehungen zu den Vätern der Skete trat, von einem so gewaltigen Werke des Altvaters der sketischen Wüste Kunde erhalten müssen? Aber auch er gibt durch verschiedene Äußerungen[55] genugsam zu erkennen, daß er von einem Homilienkorpus oder einem ähnlichen Schrifterzeugnis des Makarius nichts weiß. Desgleichen erwähnen die Schriftsteller, die über das Leben des sketischen Mönches berichten, Palladius, Rufinus, Evagrius, Sokrates, Sozomenus, nichts von einer literarischen Tätigkeit des Makarius. Asketische Schriftsteller, die der Zeit des Makarius nahe stehen, wie Isidor von Pelusium († um 440) und Nilus († um 430) deuten mit keiner Silbe dieses Homilienwerk an, das doch ganz in der Art und Sphäre ihres literarischen Schaffens liegt. Umgekehrt aber werden seltenere Termini und Wendungen dieser Schriftsteller in den Homilien gebraucht. Ohne Beweiskraft ist das Zeugnis des Isaak von Ninive, eines gegen Ende des siebten Jahrhunderts[56] lebenden Syrers, der in seinen asketischen Schriften sich auf Makarius als Gewährsmann beruft. Der byzantinische Schriftsteller Suidas, Mitte des zehnten Jahrhunderts, kommt auch auf Makarius den Ägypter zu sprechen. Er erwähnt jedoch von ihm keine Schriften, wohl aber solche von seinem Schüler Evagrius Pontikus[57]. Der erste und unzweifelhafte Zeuge für die Existenz von Makarius-Homilien ist Simeon Metaphrastes aus der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts. Wie oben erwähnt[58], hat er sie zu sieben asketischen Abhandlungen verarbeitet. Der Patriarch Johann von Antiochien um 1100 spricht von einem „Buch des heiligen Makarius“[59]. Der Abt Johannes Trithemius († um 1516 zu Würzburg) zählt Makarius zu den Kirchenschriftstellern, Schriften von ihm führt er nicht an[60].

Gegen Makarius als Verfasser der Homilien wendet sich mit Entschiedenheit der gelehrte Prämonstratenser Kasimir Oudin[61], und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen: 1. Die Homilien sind keine eigentlichen, an das Volk gehaltenen Vorträge, sondern ein Allerlei (farrago), eine private Sammlung und lose Zusammenstellung verschiedener Materien von der Hand eines Archimandriten, vielleicht des Markus Eremita in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts. 2. Die Homilien lehren „den feinsten und reinsten Pelagianismus“. Nun war aber Makarius der Ägypter längst tot, als Pelagius mit seiner Irrlehre auftrat. Darum kann Makarius von Ägypten nicht der Autor sein. Oudin beruft sich auf den gelehrten Elias du Pin[62] als Vertreter derselben Ansicht. Aus Unerfahrenheit habe Pritzius die Homilien dem Makarius zugeschrieben. Der anglikanische Kirchenhistoriker William Cave († 1713)[63] vermutet Interpolationen von späterer Hand im Text und möchte Makarius dem Alexandriner die Autorschaft zuerkennen. Der berühmte Kirchenhistoriker Tillemont († 1698)[64] will an der Echtheit der Homilien nicht rütteln. Gallandi[65] tritt entschieden für die volle Authentizität ein. Daran habe bis auf Petrus Possinus[66] niemand gezweifelt. Erst dieser habe einen anderen Makarius, einen Genossen des Amathas und Schüler Antonius des Großen als Verfasser ausgedacht. Ihm gegenüber verweist er auf die Autorität der Gelehrten Cave, Pritzius und besonders Tillemont, die an der Echtheit festhalten. Desgleichen verwirft er die Ansicht Oudins, Markus Eremita sei der Autor. Der theologische Literarhistoriker Ceillier (O. S. B. † 1761)[67] dagegen spricht das Homilienwerk Makarius dem Ägypter ab und drückt es ins fünfte Jahrhundert herab hauptsächlich deshalb, weil darin der Pelagianismus vorgetragen werde. Ebenso bekämpft der protestantische Theologe Joh. Salomon Semler († 1791) [68] aus äußeren und inneren Gründen die Echtheit der Homilien. Die geschichtliche Beglaubigung sei sehr schwach und ungenügend. Die zeitgenössischen wie späteren Schriftsteller schweigen. Ein so bedeutendes Werk wäre einem Hieronymus und Gennadius nicht unbekannt geblieben. Letzterer erwähne nur einen Brief von Makarius. Auch innere Kriterien sprechen gegen die Authentizität. Das Werk weise keine einheitliche Komposition auf, sondern sei ein Konglomerat. Das zeigen die vielen Wiederholungen, die in den Text eingestreuten, den Zusammenhang unterbrechenden Fragen, auf die nicht selten unpassende Antworten folgen, die vielfach keine Antworten zu sein scheinen.

Die neueren Forscher halten fast ausnahmslos an der Autorschaft Makarius des Ägypters fest, so Th. Förster[69], R. Löbe[70], Schiwietz[71], C. Gore[72] und J. Stoffels[73]. Bardenhewer[74] urteilt: „Die äußeren Zeugnisse sind freilich ungenügend. Der Text aber scheint allerdings nach dem Ägypter zu rufen“. Allerneuestens nun haben C. Flemming[75] und besonders J. Stiglmayr[76] die Frage nach dem Verfasser der Homilien zum Gegenstand eingehender Forschung gemacht und beide sind zu dem Resultat gekommen, daß Makarius der Ägypter nicht der Autor des Homilienwerkes ist. Stiglmayr faßt das Ergebnis seiner gründlichen Untersuchungen in die vier Punkte zusammen: 1. Das Homilienwerk als Ganzes ist nicht in der sketischen Wüste in Ägypten entstanden. 2. Es kann nicht dem Abt Makarius von Ägypten zugeschrieben werden. 3. Es muß chronologisch über das vierte Jahrhundert herab in spätere Zeit verlegt werden. 4. Es ist eine lose Zusammenstellung[77]. Sowohl die formale Redaktion wie der materielle Inhalt des Homilien-Werkes nötigen zu diesem Resultat. Im folgenden sollen die gewichtigen Gründe Stiglmayrs und Flemmings kurz angeführt werden.

§ 4. Das Homilienkorpus nach seiner formalen Seite.

Konsequenzen für die Autorschaft des Makarius[78].

Beachtenswert ist vor allem der sprachliche Charakter des Homilienwerkes. Zahlreiche Wörter — Stiglmayr[79] führt deren sechzig an — passen nicht in den Sprachschatz der Koine, der allgemeinen griechischen Volkssprache der ersten christlichen Jahrhunderte, sondern verweisen als Neologismen, sei es hinsichtlich ihrer Bildung oder Bedeutung, auf eine spätere (byzantinische) Periode. Mehrfach werden griechische Wörter etymologisiert und analysiert, wie ἐκκλησία [ekklēsia] h. 12, 15, πυρετός [pyretos] h. 9, 9, παράκλητος [paraklētos] h. 17, 1 Ἰσραήλ [Israēl] h. 47, 5 u. a.[80]. Solch subtile Worterklärungen und Zerlegungen gab schwerlich ein Mönch der Wüste, der keine Schulbildung genossen hatte und wohl nur der koptischen Sprache[81] mächtig war. Etymologisieren war „eine unausrottbare grammatische Sucht der Byzantiner“[82]. Auch die in den Homilien gebrauchten volkstümlichen Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten „scheinen echte Erzeugnisse der byzantinischen Periode zu sein“[83]. Ebensowenig flossen die vielen griechischen, zur Erläuterung dogmatischer und moralischer Gedanken verwendeten Wortspiele und Redefiguren (Anaphora, Paranomasie, Hypotypose usw.) aus der Feder eines ägyptischen Mönches, der jeder schulmäßigen Ausbildung ermangelte[84].

Zu dem gleichen Resultate führt eine Betrachtung der Struktur des Homilienwerkes. Anlage und Aufbau entbehren jeglicher Planmäßigkeit. Die vorwiegend ethisch-asketischen, mit mystischen Zügen durchsetzten Gedankenmassen sind willkürlich und zusammenhanglos aneinandergereiht. „Einzelne herzliche und einfache Ermahnungen wechseln mit dogmatischen oder exegetischen Problemen, allegorisierenden Stücken, psychologischen Bemerkungen und scholastisch-spitzfindigen, kleinlichen Aporien“[85]. Eine zielbewußte und systematische Verarbeitung des reichen und bunten Materials, eine konsequente und organische Gedankenabfolge vermißt man gänzlich. „Die Gedankenentwicklung der einzelnen Themata zeigt bald eine behagliche Breite und fast wörtliche Wiederholungen, bald eine abgerissene, sprunghafte Darstellung mit unvermittelten Übergängen und lässigen Abschweifungen“[86]. Der Aufeinanderfolge der Homilien liegt kein bestimmter Plan, kein leitendes Gesetz zugrunde. Einige sind zu weitschweifigen, ungebührlich langen Traktaten angewachsen, z. B. h. 15 mit 53 Nummern und 19 Kolonnen in der Migneausgabe, h. 26 mit 26 und h. 27 mit 22 Nummern. Andere dagegen umfassen nur einige Zeilen und behandeln einen einzigen Gedanken, so die Homilien 13, 22 und 39, die bloß den Raum von einer Drittelskolonne bei Migne einnehmen. Flemming[87] hat nachgewiesen, daß zwei Homilien aus völlig ungleichen Hälften zusammengesetzt sind, nämlich h. 20 (c. 1—3 gegenüber c. 4—8) und h. 18 (c. 1—6 gegenüber c. 7—11). Nach c. 3 in h. 20 und c. 6 in h. 18 steht die doxologische Schlußformel. Außerdem begegnen uns viele unvermittelte, aus fremden Quellen entlehnte Einschübe, die den Zusammenhang gewaltsam durchbrechen. Ein Muster in dieser Hinsicht ist die fünfzehnte Homilie. Namentlich erweisen sich zahlreiche Bilder und Gleichnisse, an denen die Homilien überreich sind, in ihrer formelhaften, oft völlig unterlassenen stilistischen Verwebung mit dem Organismus der Rede als Interpolationen von späterer Hand. Man denke nur an die wirre Bilderfülle in h. 36, 1—2, 40, 6 und 43. Die Motive hat der Kompilator häufig aus fremden Quellen geschöpft, er hat sie aus den Werken der großen christlichen Altmeister geholt. Aber bei seinem Schilderungstalent liebt er Kleinmalerei. Manche Bilder und Vergleiche, die am Fundorte knapp und maßvoll gehalten sind, führt er mit minutiöser Breite aus. Man vergleiche beispielsweise die detaillierte Naturschilderung in h. 4, 2. „Ein vornehmes Prunkstück“[88] ist das Doppelbild in h. 23, 2. Eine andere stilistische Eigentümlichkeit des Homilienwerkes sind die zahlreichen, ziel- und zusammenhanglos in den Text eingefügten heterogenen Fragen. Man lese z. B. h. 6. Wiederholt folgt auf eine aufgeworfene Frage eine gänzlich unpassende Antwort. Man vergleiche h. 7, 2; 8, 6; 12, 6; 26, 9; 37, 6. 8 usw. Schon diese wenigen Beispiele rechtfertigen den Schluß Stiglmayrs[89], daß der Redaktor des Homilienkorpus entweder eine schon vorher angelegte Sammlung solcher „Fragen“ zur Hand hatte oder sie nebenher, als er die „Homilien“ zusammenschrieb, eiligst anderen Werken seiner eigenen Erinnerung entnahm“.

§ 5. Das Homilienwerk nach seinem materiellen Inhalt. Folgerungen für den Autor.

J. Stoffels hat mit feinem kombinatorischen Talent und liebevoller Hingabe die losen Gedankenmassen der Homilien in ein wohlgegliedertes System gebracht, er hat eine „mystische Theologie Makarius’ des Ägypters“ verfaßt.

Innerste Triebfeder der gottliebenden Seele ist das Sehnsuchtsstreben nach dem „wahren Leben in Gott“. Wurzelgrund alles Gotteslebens ist das der Seele eingeprägte natürliche und übernatürliche Gottesbild. Es schmückt die Seele mit unvergleichlichem Adel und macht sie der Gottvermählung würdig. Das natürliche Bild besteht im Vollbesitz der menschlichen Natur. Seine Grundlage ist die Willensfreiheit. Sie begründet die Würde der menschlichen Persönlichkeit und verleiht dem Handeln sittlichen Wert. Das übernatürliche oder himmlische Bild, das in vollendeter Schöne in Adam strahlte, besteht in einer besonderen Gottähnlichkeit. Es ist gleichsam „eine himmlische Seele in der Seele“, ein Lebensbrunn, der die Seele mit Höhenkraft befruchtet, ein Sonnenquell, der sie mit Himmelsglanz durchflutet. In Gottes Licht und Leben wachsen ihr „die Taubenflügel des Heiligen Geistes“[90]. Auf ihnen erhebt sie sich in die reine, freie Gottesluft, zur lebensvollen, seligen Gotteinigung.

Dieses einzigartige Seelenglück störte gewaltsam die Paradiesessünde. Verlust des übernatürlichen Gottesbildes, des „wahren Lebens“, Entstellung und Schwächung des natürlichen waren die Wirkungen der Sündentat für Adam und das ganze Geschlecht. Dem Stammvater folgten alle Adamskinder in die Knechtschaft der Sünde nach, wie einem kriegsgefangenen König seine Diener und Untertanen in die Gefangenschaft folgen müssen[91]. An Stelle des Gottesbildes trat das „Kainsbild“, der Typus des Unsteten und Ruhelosen. Zur „Wüste“ ward der Gottesgarten, zur „Witwe“ die Gottesbraut, „vereinsamt und verlassen vom himmlischen Gemahl, ein Spielball der feindlichen Mächte“[92]. Der „Todesstachel“ drang verwundend in die Seele ein, das „Reich der Finsternis“ umnachtete sie mit grausen Schwingen. Es lebte die böse Schlange als „eine andere Seele in der Seele“ [93], die Seele trat in Lebensgemeinschaft mit Satan.

Dieses schaurige Schauspiel wiederholt sich bei jedem „irdischen Menschen“, der das Kainsmal auf der Stirne trägt. Durch Lug und Trug gelingt es Satan in die Seele einzudringen. Seine Lockmittel sind die Weltgüter. Sie sind an sich nicht bös und schlecht, aber gar leicht ziehen sie die Seelengedanken von Gott, dem wahren Lebensziel, ab und öffnen Satan die Herzenstüre. Es entbrennt nun in der Seele ein gewaltiger Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gott und Satan, zwischen Gnade und Sünde. Die Macht der Bosheit beginnt ihr „Ränkespiel“ und ihre Eroberungszüge im Innern. Wehe der Seele, die schwach ist und die Satanspläne nicht durchkreuzt. Plötzlich liegt sie in abgrundtiefem Sündenpfuhl, eine elende Sklavin des Teufels. Wie ein mächtiger Sturm in finsterer Nacht alle Pflanzen und Gewächse erschüttert und bewegt, so schüttelt und rüttelt der Sündenwind die in Dunkel und Finsternis schmachtende Seele und durchdringt und befleckt die ganze Natur[94]. Ein grausamer Tyrann, legt Satan ihr eherne Fesseln an und knechtet sie, wie die Fronvögte Ägyptens die Israeliten[95]. Ja, er vergewaltigt und schändet die Gottesbraut und verführt sie zum Ehebruch. Dann hat die Seele ihren traurigsten Tiefstand erreicht, der Seelentod ist vollendet.

In diese Todesnacht der Seele strahlt versöhnend mild wie Friedenssonnenschein das unbegrenzte Gotterbarmen. Gott kann die Seele, die Ewigkeitswert besitzt und am Gottesleben teilnehmen soll, nicht im Verderben lassen. Um jeden Preis will er sie Satans Zwingherrschaft entreißen. Er sendet ihr als Erlöser seinen eingeborenen Sohn. Dieser kommt in Knechtesgestalt wie einer der Verwundeten[96]. Hochdramatisch vollzieht sich der Loskauf der Seele aus Satans Gewalt. Der König des Lebens und der Fürst des Todes verhandeln über den Lösepreis. Christus überlistet Satan. Er überläßt seinen sündenlosen Leib als Ersatz für die gefesselten, unter der Todesherrschaft seufzenden Seelen dem ahnungslosen „Tode“, der doch keinen Rechtsanspruch auf ihn hatte, da Gottes Sohn niemals unter dem Sündenjoche stand. In Christi makellosem Sühneleib war die Erlösung und das Licht und das Leben[97].

Nun muß jede Einzelseele Christi erlösende Kraft erfahren, das neue Leben in Christus durch den Geist beginnen. Voraussetzung ist die Geburt der Seele aus Gott oder besser die Wiedergeburt, die gleichbedeutend mit der Wiederherstellung des Gottesbildes in der Seele ist. Das Paradies der Seele, das Satan zerstört, soll in neuer Pracht erblühen. „Aus seinem Geiste, aus seinem unaussprechlichen Lichtwesen“[98] malt Christus sein eigenes Bild Zug für Zug in die Seele, den himmlischen Menschen pflanzt er als göttliches Lebenselement ihr ein. Denn wertlos wie eine Goldmünze ohne des Königs Bild ist die Seele, die nicht das Bild Christi, sein Siegel und Gepräge trägt“ [99]. Dieses muß immer klarer und deutlicher herausgearbeitet und herausgemeißelt werden, bis es endlich in reiner Himmelsschönheit erstrahlt[100]. Es bedarf fortwährender Ziselierarbeit, soll die Seele zur mystischen Vollendung gelangen, es gilt die Überwindung zahlreicher Hindernisse. Das ist nun einmal der Weg des Christentums: „Wo der Heilige Geist ist, da folgt wie ein Schatten die Verfolgung und der Kampf“[101]. Nur langsam und allmählich wie das Samenkorn unter den Winterstürmen im Erdenschoß reift der Gottessame in der Seele unter den Anstürmen der feindlichen Macht köstlicher Frucht entgegen. Göttliche Gnade und freier Wille sind die ethisch-mystischen Kräfte, die die fortschreitende innere Lebensgestaltung bewirken. Sie sind das Flügelpaar, auf dem sich die Seele zu Gottes Sonnenhöhen schwingt. Ohne die Gnadenhilfe bringt der Wille die Seele nicht zum Höhenleben, so wenig ein Vogel sich mit einem Flügel in die Lüfte heben kann. Aber der Mensch muß mit seinem natürlichen Erkennen und Wollen zuerst zu Gott kommen und ihn um Gnade bitten, wie der Kranke nach der Hilfe des Arztes ruft[102] oder das hilflose, unmündige Kindlein nach seiner Mutter weint und schreit[103].

Die Stufen, auf denen die Seele empor in die Lichtsphäre des Geistes steigt, sind Glaube und Hoffnung, Reinigung und Weltentsagung, Gottes- und Menschenliebe, Demut und Gebet, das „der Reigenführer im Chor der Tugenden ist“[104]. Immer näher kommt die Seele ihrem sonnigen Ziele. Immer reiner und geläuterter wird sie unter dem segnenden Einflusse der vergeistigenden Kraft des Wesens Christi, des göttlichen Feuers, des himmlischen Lichtes. Das Feuer der Gottheit verzehrt alles Erd- und Sündhafte in der Seele und führt sie schließlich zur Leidenschaftslosigkeit (ἀπάθεια) [apatheia]. Es ist für sie unersetzliches Lebenselement, Nahrung und Gewandung, Wachstum, Odem und Leben[105]. Das Reich des Lichtes strahlt in der Seele, das Gottesbild leuchtet in ungetrübtem Glanze. Es beginnt ein Geistesleben von höchster Klarheit und Erkenntnis. Der Heilige Geist verbindet sich unmittelbar mit der feuergeläuterten, lichtverklärten Seele. Sie wird mit ihm „zu einem Geiste und zu einer Mischung“[106], sie wird „ganz Licht, ganz Auge, ganz Geist, ganz Freude und Wonne und Jubel, ganz Liebe und Erbarmen, ganz Güte und Milde“[107].

Durch Vermittlung des Geistes vollzieht sich die Vereinigung mit Christus, dem Herrn. Dies ist das höchste Ziel mystischen Strebens. Der Herr kommt und nimmt Wohnung im Innern in der Kraft des Geistes. Er lenkt die Seele „mit den Zügeln des Geistes“[108]. „Christus wird für sie alles, Paradies und Lebensbaum, Perle und Krone, Baumeister und Landmann, Dulder und Leidensloser, Mensch und Gott, Wein und lebendiges Wasser, Kämpfer und Waffe, alles in allem“[109]. Die lichtstrahlende Seele ist die holde Gottesbraut, mit der sich Christus vermählt zum unauflöslichen Liebesbunde. Das ist der Höhepunkt menschlichen Glückes auf Erden. Denn die Seele „ist wieder zu ihrer Verwandtschaft zurückgekehrt“[110], es sprießt und blüht in ihr „das wahre Leben“, ein neuer Geistesfrühling.

Die mystische Vollendung bringt der Auferstehungsmorgen und die Himmelsseligkeit. Bei der Auferstehung strömt die Lichtherrlichkeit Christi und das himmlische Feuer der Gottheit im Innern der Seele auch auf den Leib über und vergeistigt ihn. In dem einen Himmel sind „viele Stufen und Unterschiede und Grade“ [111], aber für alle ist er der Gipfelpunkt des Glückes und der Seligkeit. Da „gibt es keine Sorge und Drangsal und Mühe, kein Alter und keinen Satan und Kampf mehr, sondern nur noch Erquickung und Freude, Frieden und Heil [112]. „Alle sind eins in Christus, alle ruhen in einem Lichte“[113], alle sind „Könige und Herren und Götter“[114], „alle herrschen mit Christus in endlose Ewigkeit“[115].

Die theologischen Grundgedanken des Homilienwerkes zeigen keine Originalität, sondern spiegeln die Lehrtradition der ersten vier Jahrhunderte wider[116]. Gott ist dem Verfasser der persönliche, absolute, hoch über allen geschaffenen Wesen stehende Geist. In der Trinitätslehre nimmt er den korrekten dogmatischen Standpunkt ein, den er durch die den einzelnen Homilien angefügte Doxologie geflissentlich hervorhebt. Bezüglich der Menschwerdung teilt er die Auffassung des hl. Athanasius. Energisch bekämpft er den Doketismus und Apollinarismus. Die Erlösungstat Christi stellt er fortwährend in den Mittelpunkt der Heilslehre[117]. In der Hamartologie[118] folgt er einem Klemens von Alexandrien, Origenes, Athanasius, den Kappadoziern, Chrysostomus, Kassian u. a. Hinsichtlich der Fortpflanzung der Erbsünde reproduziert er die Lehrmeinung der großen griechischen Väter. In der Gnadenlehre steht er auf dem Boden des Semipelagianismus[119]. Er schreibt im Gegensatz zum Augustinianismus die Initiative im Heilswerke dem natürlich guten Willen des Menschen zu und betont an zahlreichen Stellen mit großem Nachdruck dessen freie Selbstbestimmung. „Die ersten positiven Bemühungen von seiten des Menschen sind Fasten, Wachen und Beten; seufzen, rufen (nach dem Herrn) und um Hilfe schreien; Schritte tun und durch andere tun lassen, mitwirken; Früchte der natürlichen Anlagen und Kräfte hervorbringen; Glauben, Vertrauen, Hoffen; Aushalten und Beharren“[120]. Negativ kann und soll der Mensch der Sünde widersprechen, sie verabscheuen und bekämpfen. Ebenso nachdrucksvoll, wie der Verfasser den Anfang im Heilswirken von den natürlichen Kräften des Menschen ausgehen läßt, lehrt er die unumgängliche Notwendigkeit der göttlichen Gnade zu einem fruchtbringenden christlichen Wandel und zur Erlangung der mystischen Gottgemeinschaft. Freier Wille und göttliche Gnade sind die beiden Heilsfaktoren. Im Widerspruch mit Augustin nimmt er einen positiv universalen Heilswillen Gottes an, fordert für die Beharrlichkeit im Guten die menschliche Tätigkeit und betrachtet die Gnade nicht als unwiderstehlich. Die Sakramente, überhaupt die kirchlichen Kultmittel, haben, wie Stoffels[121] mit Recht gegen Stiglmayr[122] betont, in der mystisch-spiritualistischen Gedankenwelt des wohl vom Spiritualismus der alexandrinischen Theologie beeinflußten Homilienschreibers keinen Platz. In der Eschatologie[123] adoptiert er die Denkweise der großen altchristlichen Theologen. Die Möglichkeit einer Auferstehung des Leibes mit allen seinen Gliedern begründet er nach dem Vorgang eines Methodius von Olymp, Cyrill von Jerusalem u. a. mit dem Hinweis auf die göttliche Allmacht. Bezüglich der Beschaffenheit des Auferstehungsleibes verwirft er die Lehre des Origenes, dagegen teilt er dessen Ansicht von der Existenz mehrerer Himmel und mehrerer Höllen und der Dämonen der Luft, die wie Zollbeamte die aus dem Leibe geschiedene Seele anhalten und sie nicht in den Himmel eingehen lassen, falls sie nicht völlig rein ist. Einen besonderen Akzent legt er auf die den Auferstehungsleib verklärende Lichtherrlichkeit, die bereits auf Erden in der gottgeeinten Seele strahlt und bei der Auferstehung auf alle Glieder des Leibes überströmt.

Die Askese des Homilienwerkes bewegt sich nicht mehr in den „grotesken Formen“[124] und „rigoristischen Spezialitäten“[125] des älteren Mönchstums, wie es uns in der Vita Antonii, in den Apophthegmen, in der Historia Lausiaca und in der Vita monachorum des Rufinus entgegentritt. Nirgends begegnen wir „krassen Teufelserscheinungen“ oder der Forderung außerordentlicher körperlicher Abtötung. Dagegen dringt der Verfasser energisch auf Verinnerlichung des Christentums und Seelenbildung durch Beherrschung der Sinne, der inneren Gedanken und Gefühle. Er verfügt bereits über eine „fest ausgebildete Terminologie für Konzepte des asketischen Lebens“[126]. Charismen der Mönche kennt er aus persönlicher Erfahrung, er fand sie nicht selten bei eifrigen Brüdern[127].

Außer dem theologisch-mystischen und asketischen Gedankenmaterial enthält das Homilienwerk viele kulturgeschichtliche Bemerkungen, die meist byzantinische Zeitverhältnisse betreffen. Mit unverkennbarer Vorliebe entnimmt der Verfasser Bilder und Vergleiche dem byzantinischen Hofleben. Er verrät darin eine auffallende Detailkenntnis. Stiglmayr[128] hat die in den Homilien zerstreuten einschlägigen Notizen übersichtlich zusammengestellt. Sie beziehen sich auf den kaiserlichen Palast, die Person des Kaisers, die höfischen und amtlichen Kreise und auf Einzelheiten aus der Hofsphäre.

Ein beträchtlicher Teil der Stoffmasse des Homilienwerkes ist für das vierte Jahrhundert ein Anachronismus. Der Semipelagianismus, den der Verfasser mit Nachdruck zeitgenössischen Gegnern, Anhängern des Augustinianismus gegenüber vertritt, verweist ins fünfte oder sechste Jahrhundert. Verurteilt wurde er auf dem Konzil von Orange 529, nachdem der Streit hierüber fast ein Jahrhundert in der abendländischen Kirche gedauert hatte. Ebenso paßt das Bild, das die Homilien von dem mönchisch-asketischen Leben entwerfen, nicht in den Rahmen des vierten Jahrhunderts. Die eingehende Kenntnis des byzantinischen Hoflebens weist auf eine nahe Beziehung des Verfassers zum Kaiserhof in Byzanz hin. Jedenfalls hat er nicht wie Makarius der Ägypter in weltabgeschiedener Wüste gelebt. Noch ein anderes Moment fällt schwer ins Gewicht. Gerade in der Zeit des vierten Jahrhunderts, in die nach gewöhnlicher Ansicht die Abfassung der Homilien fällt, nahmen die byzantinischen Kaiser eine überaus feindselige Haltung gegen das orthodoxe Christentum und speziell gegen das Mönchtum ein. Unmöglich hätte ein damals lebender orthodox-christlicher Asket, wie es Makarius war, die byzantinischen Hofverhältnisse mit solcher Pietät zu geistlichen Lehrzwecken herangezogen[129].

Nach gründlicher Würdigung der formellen und materiellen Seite der Homilien urteilt mit Recht Stiglmayr[130]: „Das Homilienwerk ist ein Konglomerat von alten und neuen Stoffen, die nur äußerlich in ein loses Ganze vereinigt worden sind. Von dem echten Makarius dem Ägypter mag sich manches Eigengut in den Homilien finden und dazu dürften vor allem die einfachen, frommen und herzlichen Ermahnungen gehören. Aber die Zuweisung im einzelnen ist noch nicht möglich, vielleicht für immer ein mutmaßliches Verfahren“.

§ 6. Quellen. Verfasser.

Die Hauptquelle, aus der der Homilienschreiber mit vollen Händen schöpft, ist die Heilige Schrift. Mit ihr zeigt er sich aufs innigste vertraut. Schriftworte fließen ihm wie von selbst in die Feder. Namentlich ist es das Neue Testament, aus dem er das Beweismaterial für seine mystischen Ideen holt. Die Paulusbriefe sind reichlich ausgebeutet. Auch die Geschichtsbücher des Alten Testamentes liefern ihm wertvolles Material. Er bringt jene Offenbarungstatsachen in mystischen Zusammenhang mit der christlichen Seele. Das geschieht auf dem Wege der allegorischen Schrifterklärung. In der Schriftexegese wandelt er in den Spuren eines Klemens von Alexandrien, Origenes, Methodius, Gregor von Nyssa u. a.[131]

Neben der Schrift bildet eine ergiebige Fundgrube die altchristliche Literatur. Der Verfasser bekundet darin eine große Belesenheit. Nirgends jedoch führt er eine Quelle an. Stiglmayr[132] hat nun zahlreiche Parallelen und Berührungspunkte aufgezeigt, die sich bei der Vergleichung der Homilien mit Werken altchristlicher Schriftsteller ergeben.

Auch die Profanliteratur hat der Autor zur Veranschaulichung seiner mystischen Gedanken verwertet, wie Stiglmayr[133] gleichfalls wahrgenommen. Die Fabel von Feuertieren in h. 14, 7 entstammt Älians Tiergeschichten. H. 45, 4 ist eine asketische Umformung der Kap. 6—9 von Platons Apologie des Sokrates. Der Vergleich in h. 26, 24 erinnert an Jason, den Helden der Argonautensage, das Beispiel in h. 45, 5 an eine bekannte Gestalt des homerischen Sagenkreises, an die von Freiern bedrängte Penelope. Die naive Anschauung über den Sonnenuntergang in h. 49, 3 hat der Verfasser mit antiken, heidnischen Schriftstellern gemein. Die heidnische Wissenschaft schätzt er im allgemeinen sehr niedrig ein. Er hält sie geradezu für unfähig, über geistliche Dinge zu sprechen[134]. In h. 45, 2 fällt er ein merkwürdiges literarisches Urteil über die Gelehrten und Künstler, deren er verschiedene aufführt: Ihre Wissenschaft und Kunst nützte ihnen nichts, da sie Sklaven der Sünde und Gefangene der bösen Macht waren.

J. Stoffels[135] hat in scharfsinniger Darlegung die Hypothese vertreten, „Makarius habe zum formalen Ausbau seiner mystischen Theologie in erheblichem Maße stoische Naturphilosophie verwertet“. Darin sieht er „den Schlüssel zum Verständnis der Ausdrucksweise des sketischen Mönches“. Allein nach den Untersuchungen Stiglmayrs kann es nicht mehr zweifelhaft sein, daß die stoisch klingenden Redewendungen ihre Analoga in der altchristlichen Literatur haben. Vielfach „bleibt nur das Wort das Gemeinsame zwischen Stoizismus und christlicher Lehre“[136], der Inhalt ist ein völlig anderer geworden.

Die Ρerson des Homilienschreibers ist rätselhaft. Jedenfalls kann nach dem heutigen Stand der Makariusforschung der Abt der sketischen Wüste, Makarius von Ägypten, als Autor des Homilienwerkes nicht mehr in Betracht kommen. Der gelehrte Verfasser, ein nach dem Höchsten strebender, nach Gottgemeinschaft ringender Idealist, der auch andere, „Brüder“, auf diese Hochstufe der Vollkommenheit heben wollte, war wohl Vorsteher eines Klosters. Er hat die Homilien für Mitglieder einer christlichen Genossenschaft geschrieben[137], für Brüder, die das gemeinschaftliche Leben der Koinobiten führten, die nicht wie die sketischen Mönche in getrennten, oft weit voneinander entfernten Zellen für sich lebten[138]. Der Zweck, den er mit seinem Werke verfolgt, „zielt auf erhöhte Erkenntnis in geistlichen Dingen, größere Herzenseinfalt, sicheres Streben nach dem Heile, Befreiung von den lästigen Nachstellungen des Teufels, siegreiche Vollendung und Verherrlichung am Tage des Gerichtes“[139].

Die Heimat des Redaktors ist jedenfalls nicht die Wüste und nicht Ägypten. Nach Stiglmayr [140] ist sie „viel eher in oder bei einer griechischen Metropole (kaiserlichen Residenz)“ zu suchen. Einen Fingerzeig für das Ortsdatum gibt der mazedonische Monatsname Xanthikos in h. 5, 9, der als der erste Monat des Jahres bezeichnet und zugleich mit dem römischen Monatsnamen Aprilis identifiziert wird. In Ägypten waren in der römischen Kaiserzeit die mazedonischen Monatsnamen, also auch der Xanthikos, längst unbekannt, wohl aber kannte man sie in Syrien und in verschiedenen Landschaften und Städten Kleinasiens. Darum ist ein „griechisch schreibender Kleinasiate (Syrer?) hinter diesen Ausführungen zu vermuten“[141]. Auch Flemming[142] hat die Frage nach dem Wohnort des Verfassers erörtert. Er ist der Ansicht, daß das Kloster des Homilienschreibers in der Nähe einer mit starken Mauern umgebenen, öfters von Feinden bedrängten Stadt lag, weil er in h. 15, 47 und 42,1 eine große, mit Mauern befestigte und feindlichen Angriffen ausgesetzte Stadt zum Vergleiche heranzieht. Auf Grund des syro-mazedonischen Monatsnamens Xanthikos und der Erwähnung der Kriege zwischen Römern und Persern in h. 15, 46 und 27, 22 vermutet er diese Stadt im Orient, in Syrien oder Asien. Er hält sie für eine römische Kolonie mit Theatern, römischen Schulen und dem Sitz eines römischen Legaten. H. 15, 42 bezieht er nämlich auf eine römische Stadt mit griechischen und lateinischen Schulen. Die Identifizierung des mazedonischen Monatsnamens Xanthikos mit dem römischen Aprilis in h. 5, 9 findet er nur erklärlich, wenn das Kloster des Schreibers im Gebiete einer römischen Kolonie lag, in der man auch lateinisch sprach. In den h. 15, 8 erwähnten ἔπαρχοι [eparchoi] und κομήτες [komētes] sieht er Beamte des römischen Kaisers. Sie werden als bekannt vorausgesetzt. Das sei nur möglich, wenn das Kloster in der Nähe einer Stadt mit römischen Beamten lag. In h. 15, 8; 27, 20; 40, 4 redet der Verfasser von Theatern, die die Christen meiden müssen. Daraus gehe hervor, daß sein Kloster nicht ferne einer Stadt lag, in der ein den Brüdern bekanntes Theater sich befand. Flemming möchte Bostra, die Hauptstadt der römischen Provinz Arabia, vorschlagen. Allein er verhehlt sich nicht, daß die aufgeführten Merkmale auch auf andere Städte des Orients passen. Man kommt hier über bloße Vermutungen nicht hinaus, eine sichere Entscheidung ist nicht möglich.

Ebensowenig läßt sich die Abfassungszeit des Homilienwerkes mit Sicherheit bestimmen. Der Redaktor mag im fünften oder sechsten Jahrhundert gelebt haben.

Wenn nun Makarius der Ägypter nicht der Verfasser ist, wie erklärt es sich dann, daß sein Name an der Spitze des Homilienkorpus steht? Nach Flemming[143] ist der Sachverhalt folgender: Das Homilienwerk trug anfänglich den Namen Makarius. Es war ursprünglich nur für die Mönche des Klosters bestimmt, in dem der Verfasser Abt war. Nach dessen Tode aber gelangten die Homilien, die von den Brüdern wegen ihrer Weisheitstiefe und ihres Frömmigkeitsgehaltes hochgeschätzt und immer wieder abgeschrieben wurden, auch in andere Klöster. So scheinen sie sehr wahrscheinlich vor dem sechsten Jahrhundert auch zu den Mönchen Ägyptens gekommen zu sein. Dort kannte man jedoch den wahren Verfasser der Homilien nicht. Gleichwohl aber stand fest, daß sie von einem gewissen Makarius stammen. Was ist nun wahrscheinlicher, als daß man sie jenem gefeierten sketischen Mönchsabte Makarius zuschrieb, der nicht bloß in Ägypten in hohem Ansehen stand, dessen Ruf von den Gottesmännern, die die Skete besuchten, um das dortige Mönchsleben kennen zu lernen, auch ins Abendland getragen wurde? Sehr zu statten kam der Umstand, daß viele Apophthegmen Makarius des Ägypters wegen ihrer Weisheit und Frömmigkeit bei den ägyptischen Mönchen große Verehrung genossen. So kam es, daß alle Schriften, die den Namen Makarius trugen, Homilien und Briefe, Makarius dem Ägypter zugeschrieben wurden. Eine andere Hypothese hat Stiglmayr[144] aufgestellt. Er rechnet mit der Möglichkeit, daß „ein Späterer“ den in h. 27, 6: μακάριοςεἶ [makarios ei] „vermeintlich mit Namen ausgesprochenen Makarius („du bist Makarius“) zum Verfasser der Homilien gestempelt“. Stiglmayr versucht noch einen anderen Weg zur Lösung der Frage. Der Name Makarius kehrt in den Apophthegmen immer wieder und mußte sich dem Gedächtnis der Leser fest einprägen. „Um so leichter war es dann, mit diesem Namen auch die Homilien zu schmücken, von denen einige ja unzweifelhaft recht alte Züge und Anschauungen aus jener Mönchswelt von Skete enthalten.“

§ 7. Übersetzungen.

Eine lateinische Übersetzung der Homilien, der mehrere andere folgten[145], lieferte Johannes Picus, Paris 1559, eine belgische Kornelius Kiel, Antwerpen 1580, eine englische Thomas Haywood, London 1721[146]. Die erste deutsche Übersetzung der Homilien besorgte Gottfried Arnold, „Geistliche Reden um das Jahr Christi CCCXL gehalten“, Leipzig 1696, Goslar 1702. 1716. Andere deutsche Übersetzungen liegen vor von Nikolaus Casseder, „Schriften des heiligen Makarius des Großen aus Ägypten, nach der von J. G. Pritzius im Jahre 1698 in Leipzig gedruckten griechischen und lateinischen Ausgabe übersetzt und mit einer Vorrede begleitet“, 1. und 2. Bd., Bamberg 1819 und 1820, und von M. Jocham, „Sämtliche Schriften des heiligen Makarius des Großen aus dem griechischen Texte übersetzt“, 2 Bd. Sulzbach 1839 und wiederum Kempten 1878 (Bibliothek der Kirchenväter). Casseder wollte keine philologisch korrekte Übersetzung geben, sondern laut Vorrede (S. XXIX) bemühte er sich vor allem, „in den Sinn des frommen Vaters einzudringen und ihn, soviel es in Worten geschehen kann, gehörig darzustellen“. In Jochams Übersetzung der Homilien für die Kirchenväterbibliothek sind zahlreiche Stellen unrichtig wiedergegeben, auch dem deutschen Sprachempfinden wurde vielfach nicht entsprechend Rechnung getragen. Viele Stellen des Homilienkorpus sind auch in den Makarius-Arbeiten von Stoffels und Stiglmayr übersetzt.

Vorliegende Übersetzung erstrebt bei aller Berücksichtigung des deutschen Sprachgebrauchs eine möglichst getreue Wiedergabe des Originals. Außer den Schriftstellen wurden auch die von Stiglmayr aufgedeckten Parallelen zwischen den Homilien und der altchristlichen Literatur in den Anmerkungen angeführt, damit der Leser ein anschauliches Bild von der Komposition des Homilienwerkes gewinnt.

Fünfzig geistliche Homilien

1. Homilie.

1.

Allegorische Erklärung der beim Propheten Ezechiel geschilderten Vision.

Der Prophet Ezechiel hat eine einzigartige, herrliche Erscheinung und Vision, die er geschaut, erzählt; ein Gesicht voll unaussprechlicher Geheimnisse hat er beschrieben[147]. Er sah nämlich in der Ebene einen Wagen von Cherubim, vier lebende Wesen, an jedem Wesen vier Gesichter: das eine Gesicht war das eines Löwen, das andere Gesicht das eines Adlers, das dritte das eines Stieres und das letzte Gesicht das eines Menschen. An jedem Gesichte hin waren Flügel, so daß man nicht unterscheiden konnte, was vorn oder was hinten war. Ihr Rücken war voll Augen; der Bauch war gleichfalls mit Augen angefüllt. Es gab keine Stelle, die nicht voll Augen war. Und Räder waren nach jedem Angesichte hin drei rund herum. In den Rädern war Geist. Und er sah etwas wie eine Menschengestalt und, was unter seinen Füßen war, wie Saphirwerk. Und es trug der Wagen die Cherubim und die lebenden Wesen [trugen] den Herrscher, der darauf einherfuhr. Wohin immer sie gehen mochten, es geschah in der Richtung eines Gesichtes. Und er schaute unter den Cherubim etwas wie eine Menschenhand, die sie stützte und trug.

2.

Das, was der Prophet in der Ekstase geschaut, ist wahr und gewiß gewesen. Es ward aber damit etwas anderes angezeigt, etwas Geheimnisvolles und Göttliches angedeutet, verborgen wahrhaftig vor den Geschlechtern, „in den letzten Zeiten aber geoffenbaret“[148] bei „der Erscheinung Christi“[149]. Er schaute nämlich das Geheimnis der Seele, die im Begriffe steht, ihren Herrn aufzunehmen und „ein Thron seiner Herrlichkeit“[150] zu werden. Denn die Seele, die gewürdigt worden, teilzunehmen an dem Geiste des Lichtes selbst, der sie zu seinem Thron und seiner Wohnstätte zubereitet, die durchleuchtet ist von der Schönheit seiner unaussprechlichen Herrlichkeit, wird ganz Licht, ganz Antlitz, ganz Auge; es ist keine Stelle mehr an ihr, die nicht voll geistiger Lichtaugen wäre, d. h. nichts ist finster [an ihr], sie ist vielmehr ganz und gar Licht und Geist geworden, sie ist ganz voll Augen, sie hat darum keine hintere oder vordere Seite mehr, sondern auf allen Seiten ist sie Angesicht, wenn die unaussprechliche Lichtherrlichkeit Christi über sie gekommen ist und sie in Besitz genommen hat. Und wie die Sonne auf allen Seiten gleich ist und keinen schwächeren oder mangelhaften Teil hat, sondern ganz und gar im Lichte strahlt und ganz Licht ist und aus lauter gleichen Teilen besteht, oder wie das Feuer, beziehungsweise das Licht des Feuers sich ganz gleich ist und kein Vorder oder Hinter, kein Größer oder Kleiner in sich hat: so wird auch die Seele, die von der unaussprechlichen Lichtherrlichkeit des Antlitzes Christi vollkommen durchleuchtet und vollkommen des Heiligen Geistes teilhaftig ist, die gewürdigt worden, eine Wohnstätte und „ein Thron Gottes“[151] zu werden, ganz Auge, ganz Licht[152], ganz Angesicht, ganz Herrlichkeit, ganz Geist. Also bereitet sie Christus zu, trägt und treibt sie, hebt und hält sie, so schmückt und ziert er sie mit geistiger Schönheit. Denn es heißt: „Eines Menschen Hand war unter den Cherubim“[153]. Er selbst nämlich ist es, der in ihr fährt und sie leitet.

3.

Es versinnbildeten aber die vier lebenden Wesen, die den Wagen führten, die Hauptvermögen der Seele. Wie nämlich der Adler König über die Vögel ist, der Löwe über die wilden Tiere, der Stier über die zahmen Tiere und der Mensch über die Geschöpfe, so gibt es auch unter den Seelenpotenzen solche, die über die anderen König sind: ich meine den Willen, das Gewissen, den Verstand, die Liebeskraft; denn durch sie wird der Seelenwagen geleitet und in diesen ruht Gott. In einem anderen Sinne jedoch bezieht sich [die Vision] auf die himmlische Kirche der Heiligen. Wie es dort (= bei Ezechiel) heißt[154], daß die Wesen sehr erhaben waren, voll Augen, daß man unmöglich die Zahl der Augen oder ihre Erhabenheit fassen konnte, weil deren Kenntnis nicht gegeben ward, und wie alle Menschen die Sterne am Himmel betrachten und bewundern können, es aber niemandem möglich ist, ihre Zahl zu wissen: so können alle, die den Kampf aufnehmen wollen, in die himmlische Kirche der Heiligen eingehen und an ihr teilnehmen, aber ihre Zahl zu wissen und zu fassen, diese Erkenntnis kommt einzig und allein Gott zu. Es wird also vom Wagen und vom Throne der ganz mit Augen ausgestatteten Wesen der getragen und gefahren, der darauf sitzt, oder vielmehr von jeder Seele, die sein Thron und Sitz geworden, die Aug und Licht ist, nachdem er über sie gekommen und sie nun lenkt mit den Zügeln des Geistes und sie leitet, wie es ihm gut dünkt. Wie nämlich die geistigen Wesen nicht dahin gehen durften, wohin sie gehen wollten, sondern wohin der bestimmte und wollte, der auf ihnen saß und sie lenkte, so führt er auch hier selbst die Zügel, ist Lenker und Leiter durch seinen Geist. So wandern sie auch nicht nach ihrem Willen, wann sie wollen, in den Himmel. Und ist die sterbliche Hülle gefallen, so zügelt und lenkt er die Seele im Himmel durch seinen Verstand. Und wiederum, wann er will, kommt er in den Leib und die Gedanken, und, wann er will, an die Grenzen der Erde und zeigt ihr die „Offenbarungen der Geheimnisse“[155]. Fürwahr, ein herrlicher, vorzüglicher, einzig zuverlässiger Lenker! So werden aber auch die Leiber bei der Auferstehung zu Ehren gelangen, während die Seele jetzt schon auf solche Weise im voraus zur Herrlichkeit gelangt und mit dem Geiste vereinigt wird.

4.

Daß aber die Seelen der Gerechten himmlisches Licht werden, hat der Herr selbst zu seinen Aposteln gesagt: „Ihr seid das Licht der Welt“[156]. Er selbst hat sie ja zu Licht gemacht und angeordnet, daß durch sie die Welt erleuchtet werde. „Man zündet keine Leuchte an“ sagt er, „und stellt sie unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter, auf daß sie allen leuchte, die im Hause sind. So leuchte euer Licht vor den Menschen“[157]. D. h. verberget nicht das Gnadengeschenk, das ihr von mir empfangen habt, sondern gebet es allen, die es wollen. Und wiederum [spricht er]: „Die Leuchte des Leibes ist das Auge. Ist dein Auge licht, so ist dein ganzer Leib erleuchtet. Ist aber dein Auge schlecht, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!“[158]. Denn wie die Augen des Leibes Licht sind und wie bei gesunden Augen der ganze Leib erleuchtet ist, wie jedoch der ganze Leib finster ist, wenn etwas in die Augen fällt und sie sich verfinstern, so wurden die Apostel als Augen und Licht der ganzen Welt aufgestellt. Der Herr wollte ihnen also sagen und einschärfen: Wenn ihr, die ihr das Licht der Welt seid, feststehet und nicht wanket, siehe, dann ist der ganze Leib der Welt erleuchtet. Wenn aber ihr, die ihr Licht seid, in Finsternis sinket, wie schrecklich wird dann die Finsternis d. i. die Welt sein! Licht geworden also, brachten die Apostel Licht denen, die glaubten, ihre Herzen erleuchteten sie mit dem himmlischen Lichte des Geistes, womit sie auch selbst erleuchtet waren.

5.

Da sie auch Salz waren, würzten und salzten sie jede gläubige Seele mit dem Salze des Heiligen Geistes. Denn es sprach zu ihnen der Herr: „Ihr seid das Salz der Erde“[159], wobei er die Seelen der Menschen als Erde bezeichnete. Ja, in die Seelen der Menschen brachten sie das himmlische Salz des Geistes, würzten sie und bewahrten sie vor Fäulnis und Schaden und vor vielem Übelgeruch. Fleisch, das kein Salz hat, fault und verbreitet großen Gestank, so daß alle ob des so üblen Geruches sich abwenden. Würmer kriechen in das faule Fleisch, leben, zehren und verbergen sich darin. Kommt aber das Salz, dann werden die Würmer, die darin fressen, getilgt und getötet und der üble Geruch hört auf. Denn es liegt in der Natur des Salzes, die Würmer zu vertilgen und den Gestank zu vertreiben. Ebenso ist auch jede Seele, die nicht gesalzen ist mit dem Heiligen Geiste, die nicht teilhaft ist des himmlischen Salzes, d. i. der Kraft Gottes, in Fäulnis übergegangen, sie ist vom großen Gestanke schlechter Gedanken erfüllt, so daß Gottes Angesicht sich abwendet von dem schrecklichen Übelgeruch der eitlen Gedanken der Finsternis und der Begierden, die in einer solchen Seele wohnen. Und die bösen, furchtbaren Würmer, d. h. die Geister der Bosheit und die Mächte der Finsternis, kriechen in ihr umher, leben in ihr, verstecken sich, schleichen umher, verzehren und richten sie zugrunde. „Denn es riechen“, heißt es, „und faulen meine Beulen“[160]. Wenn sie aber ihre Zuflucht zu Gott nimmt, glaubt und ihn um das Salz des Lebens, den guten, menschenfreundlichen Geist, bittet, dann kommt das himmlische Salz, tilgt die schrecklichen Würmer, verscheucht den greulichen Gestank und reinigt sie durch seine wirksame Kraft. Und so wird sie von dem wahren Salze gesund und unversehrt gemacht und dem himmlischen Herrscher wieder zum Gebrauch und Dienst zurückgegeben. Deshalb hat ja auch Gott vorbildlich im Gesetze befohlen, jedes Opfer mit Salz zu würzen[161].

6.

Es muß [das Opfertier] zuerst vom Priester geschlachtet und getötet, dann zerteilt und gesalzen, und so hernach aufs Feuer gelegt werden. Denn bevor der Priester das Schaf nicht schlachtet und tötet, wird es nicht gesalzen noch als Brandopfer dem Herrn dargebracht. So muß auch unsere Seele, wenn sie sich dem wahren Hohenpriester Christus naht, von ihm geschlachtet werden, der Hoffart und dem so schlimmen Leben, das sie führte, d. i, „der Sünde absterben“[162] und wie ein Leben[163] muß aus ihr die Bosheit der Leidenschaft ausziehen. Denn wie der Leib, aus dem die Seele scheidet, stirbt und nicht mehr das Leben lebt, das er führte, weder hört noch wandelt, so stirbt die Seele, wenn der himmlische Hohepriester Christus durch seine Gnadenkraft das Leben für die Welt schlachtet und tötet, dem Leben der Bosheit, das sie führte, sie hört nicht mehr, sie redet nimmer, sie wandelt nicht mehr in der Finsternis der Sünde. Denn durch die Gnade ziehen die boshaften Begierden gleichsam als ihre Seele[164] [von ihr] aus. Der Apostel ruft aus: „Mir ist die Welt gekreuzigt und ich der Welt“[165]. Denn eine Seele, die noch in der Welt und der Finsternis der Sünde lebt, die von ihm (= Christus) nicht getötet wurde, sondern noch die Seele der Bosheit d. h. die Wirksamkeit der finsteren, sündigen Begierden in sich trägt und von ihr genährt wird, gehört nicht zum Leibe Christi, gehört nicht zum Leibe des Lichtes; sie ist vielmehr ein Leib der Finsternis und gehört noch der Finsternis an, wie umgekehrt die, welche die Seele des Lichtes d. i. die Kraft des Heiligen Geistes haben, dem Lichte angehören.

7.

Aber es könnte jemand sagen: Wie kannst du die Seele einen Leib der Finsternis nennen, da sie doch nicht deren Erzeugnis ist? So merke denn auf und verstehe es recht! Gleichwie das Kleid, das du trägst, ein anderer gemacht hat und du es anhast, wie auch das Haus ein anderer erbaut und errichtet hat und du in ihm wohnst, so hat auch Adam, als er Gottes Gebot übertrat und der bösen Schlange Gehör schenkte, sich selbst dem Teufel verkauft und verhandelt und es ist der Böse (= der Teufel) in die Seele eingedrungen, in dieses herrliche Gebilde, das Gott nach seinem Bilde geschaffen, wie auch der Apostel sagt: „Da er die Mächte und Gewalten entwaffnet, triumphierte er über sie am Kreuze“[166]. Denn deshalb ist die Ankunft des Herrn erfolgt, daß er sie austreibe und sein eigenes Haus, seinen eigenen Tempel, den Menschen, wieder in Besitz nehme. Darum wird die Seele ein Leib der Finsternis und Bosheit genannt, solange in ihr die Finsternis der Sünde herrscht, weil sie da für die arge Welt der Finsternis lebt und da in Banden liegt, wie dies auch Paulus einen Leib der Sünde und einen Leib des Todes nennt, wenn er sagt: „Auf daß der Leib der Sünde vernichtet werde“[167]; und wiederum: „Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“[168]. Andrerseits wandelt in gleicher Weise die Seele, die an Gott glaubt, die von der Sünde erlöst und dem Leben der Finsternis ertötet worden ist, die das Licht des Heiligen Geistes wie ein Leben empfangen hat und darin lebt, fortan in diesem Leben, weil da das Licht der Gottheit sie gefangen hält. Denn die Seele ist weder göttlicher Natur noch von der Natur der Finsternis und Bosheit, sie ist vielmehr ein vernünftiges, herrliches, hohes und wundersames Geschöpf, ein schönes „Gleichnis und Bild Gottes“[169]. Infolge der Übertretung [des Gebotes] ist in sie die Bosheit der finsteren Begierden eingezogen.

8.

Übrigens ist die Seele mit dem, mit welchem sie vermischt ist, zugleich auch vereinigt im Willen. Deshalb hat sie entweder das Licht Gottes in sich und lebt in ihm in allen Tugenden, dann ist Licht und Ruhe ihr Anteil; oder sie trägt in sich die Finsternis der Sünde, dann ist Verdammnis ihr Los. Denn eine Seele, die bei Gott in ewiger Ruhe und ewigem Lichte leben will, muß, wie gesagt, zum wahren Hohenpriester Christus hinzutreten, muß geschlachtet werden, der Welt und dem früheren Leben der Bosheit und Finsternis sterben, und in ein anderes Leben und göttliche Zucht übertreten. Wie einer, der in einer Stadt gestorben ist, weder die Stimme der dortigen Bewohner noch Gespräch noch Töne hört, sondern ein für allemal tot und an einen anderen Ort versetzt ist, wo es keine Stimmen und Rufe von jener Stadt mehr gibt, so vernimmt auch die Seele, die einmal geschlachtet und gestorben ist der Stadt der bösen Begierden, in der sie weilt und lebt, nicht mehr in sich die Stimme der Gedanken der Finsternis; man hört nicht mehr Gerede und Geschrei eitler Unterredung und Erregung der Geister der Finsternis; sie wird vielmehr in eine Stadt voll Güte und Friede, in eine Stadt göttlichen Lichtes versetzt, dort lebt und hört sie, dort verkehrt, redet und beratschlagt sie, dort vollbringt sie geistige, gotteswürdige Werke.

9.

Darum wollen auch wir bitten, daß wir durch seine (= Gottes) Kraft geschlachtet werden und der Welt der Bosheit und der Finsternis sterben, daß in uns der Geist der Sünde ertötet werde und wir himmlisches Geistesleben anziehen und empfangen, daß wir aus der Bosheit der Finsternis ins Licht Christi versetzt werden und ruhen im Leben in alle Ewigkeit. Denn wie in der Rennbahn die Wagen laufen und der vorausfahrende dem andern im Wege steht, ihn aufhält und hindert, vorwärts zu kommen und zum Siege zu gelangen, so laufen die Gedanken der Seele und der Sünde im Menschen. Trifft es sich, daß der Gedanke der Sünde vorankommt, so stellt er sich der Seele in den Weg, hält sie ab und hindert sie, sich Gott zu nahen und den Sieg über die Sünde zu erringen. Wo aber der Herr selbst aufsteigt und die Zügel der Seele führt, da siegt er immer, verständig lenkt und leitet er den Seelenwagen allwegs zu himmlischer, göttlicher Gesinnung. Denn er führt keinen Krieg mit der Bosheit, sondern als allezeit unumschränkter Machthaber und Herrscher trägt er den Sieg davon. Sonach werden die Cherubim nicht [dahin] getrieben, wohin sie gehen wollen, sondern wohin der sie führt, der darauf sitzt und die Zügel hält; wo er will, da gehen sie hin, und er trägt sie. Denn „eines Menschen Hand, heißt es, war unter ihnen“. Die heiligen Seelen werden vom Geiste Christi, der die Zügel führt, getrieben und gelenkt, wohin er will; wann er will, in himmlischen Gedanken, wann er will, im Leibe; wo er will, da dienen sie ihm. Denn wie für die Vögel die Füße Flügel sind, so erfaßt das himmlische Licht des Geistes die Flügel der guten Seelengedanken, leitet und lenkt sie, wie es ihm gefällt.

10.

Du nun habe, wenn du dieses hörst, acht auf dich, ob du dieses in der Tat und Wahrheit in deiner Seele besitzest. Denn es sind dies nicht leere gesprochene Worte, es ist dies vielmehr eine Tatsache der Wirklichkeit, die sich in der Seele vollzieht[170]. Und wenn du es nicht besitzest, sondern bettelarm an solch geistigen Gütern bist, dann sollst du unablässige Trauer, Leid und Schmerz haben. Du bist ja wie ein noch Toter fern vom Reiche und wie ein Verwundeter; darum rufe immerdar zum Herrn und flehe vertrauensvoll zu ihm, daß auch du dieses wahren Lebens gewürdigt werdest. Denn als Gott diesen Leib schuf, verlieh er ihm nicht die Kraft, aus seiner eigenen Natur, aus sich selbst das Leben, die Speise, den Trank, die Kleider und die Schuhe zu haben, vielmehr sollte er den ganzen Lebensbedarf von außen beziehen, da er den Leib an sich nackt schuf und es für den Leib unmöglich ist, ohne seine Außenwelt, d. i. ohne Speise, Trank und Kleidung zu leben. Stellt er sich aber nur auf seine eigene Natur und nimmt er nichts von außen auf, so stirbt er und verdirbt er. Ebenso erhält auch die Seele, die das göttliche Licht nicht besitzt, aber nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, — denn so hat er sie eingerichtet und beschlossen, daß sie das ewige Leben habe — nicht aus ihrer eigenen Natur, sondern aus seiner eigenen Gottheit, aus seinem eigenen Geiste, aus seinem eigenen Lichte, geistige Speise und Trank und himmlische Gewandung; darin besteht das wahre Leben der Seele.

11.

Wie also der Leib, wie gesagt, das Leben nicht von sich selbst, sondern von außen, d. i. von der Erde hat, und wie er ohne das, was außer ihm ist, unmöglich leben kann, so kann auch die Seele, wenn sie nicht jetzt schon für jenes Land der Lebendigen geboren wird und von dort durch Fortschritt im Herrn geistige Nahrung empfängt und mit geheimnisvollen, himmlisch schönen Gewändern von der Gottheit bekleidet wird, ohne jene Nahrung unmöglich von sich aus in Genuß und Erquickung leben. Denn es hat die göttliche Natur auch ein Brot des Lebens, den, der gesprochen hat: „Ich bin das Brot des Lebens“[171], und „lebendiges Wasser“[172] und „Wein, der des Menschen Herz erfreut“[173] und „Freudenöl“[174] und mannigfache himmlische Geistesnahrung und himmlische Lichtgewänder von Gott. Darin besteht das ewige Leben der Seele. Wehe dem Leibe, der sich auf seine eigene Natur stellt; er verdirbt und stirbt. Und wehe der Seele, die sich nur auf ihre Natur stellt und nur auf ihre Werke vertraut, ohne des göttlichen Geistes Gemeinschaft zu besitzen; sie stirbt, ohne des ewigen Lebens der Gottheit gewürdigt zu werden. Denn wie die Kranken sich selbst aufgeben, wenn der Körper gar nicht mehr fähig ist, Nahrung aufzunehmen, und alle echten Freunde, Verwandte und Bekannte weinen, so weinen Gott und die heiligen Engel über die Seelen, die sich nicht mit der himmlischen Geistesspeise nähren und in Lauterkeit leben. Dies aber sind, ich sage es noch einmal, nicht leere gesprochene Worte, es ist vielmehr eine Tatsache geistigen Lebens, eine Tatsache der Wirklichkeit , die sich in der würdigen und gläubigen Seele vollzieht[175].

12.

Bist du also „ein Thron Gottes“ geworden, ist über dich der himmlische Lenker gekommen, ist deine Seele ganz geistiges Auge und ganz Licht geworden, wurdest du mit jener Geistesspeise genährt und vom lebendigen Wasser getränkt, hast du die Gewänder des unaussprechlichen Lichtes angezogen, ist all das deinem inneren Menschen zur Erfahrung und Gewißheit geworden, sieh dann lebst du auch das wahrhaft ewige Leben. Denn von diesem Augenblicke an ruht deine Seele beim Herrn. Sieh, du hast dieses in Wahrheit vom Herrn erlangt und empfangen, damit du wahres Leben lebest. Bist du dir aber nichts von dem bewußt, dann weine und trauere und klage, daß du bis jetzt den ewigen, geistigen Reichtum noch nicht erlangt und das wahre Leben noch nicht empfangen hast. Hab’ also Sorge ob deiner Armut und flehe zum Herrn Tag und Nacht, weil du in die schreckliche Armut der Sünde geraten bist. O daß man sich doch ob seiner Armut Sorge machte! Daß wir doch nicht wie Gesättigte in Sorglosigkeit dahinlebten! Denn wer Sorge hat und sucht und den Herrn bittet ohne Unterlaß, wird schnell die Erlösung und den himmlischen Reichtum erlangen, wie der Herr in seiner Rede von dem ungerechten Richter und der Witwe sagte: „Um wieviel mehr wird Gott denen Recht schaffen, die Tag und Nacht zu ihm rufen? Wahrlich, sage ich: Er wird ihnen schnell Recht schaffen“[176]. „Ihm sei die Ehre und die Macht in Ewigkeit. Amen“[177].

 

 

2. Homilie.

 

1.

Das Reich der Finsternis d. i. der Sünde; Gott allein kann von uns die Sünde hinwegnehmen und uns aus der Knechtschaft der bösen Fürsten erlösen.

Das Reich der Finsternis, „der böse Fürst“[178] hat den Menschen von Anfang an zu seinem Gefangenen gemacht und so die Seele wie einen Menschen mit der Macht der Finsternis umgeben und umkleidet. „Und sie sollen ihn zum König machen, sollen ihm königliche Gewänder anziehen, vom Kopf bis zu den Zehen soll er sich königlich tragen“[179]