2,49 €
Der vermeintliche Selbstmord einer jungen schwedischen Sekretärin führt ihre Freundin auf die Spur der internationalen Finanzmafia.
Das E-Book Funny Money Teil 1 wird angeboten von BookRix und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Südafrika, Apartheid, Korruption, Waffen
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Marinella Charlotte van ten Haarlen
Funny Money
„Geld und Macht“
Kriminalroman
Deutsche Ausgabe
Aus dem englischen und afrikaansen Original
Van die oorspronklike Afrikaans en Engels
Uitgawe in Afrikaans :
„Geld en Mag“
Zweiter Teil
„Die feine Gesellschaft“
„Die Hoë Vereniging“
Dritter Teil
„Das Erbe der Gier“
„Die Nalatenskap van die Gierigheid“
Dieses Buch ist erschienen im
kasaan media publishers
Johannesburg, R.S.A
ISBN: 978-3-96593-171-8
5. Ausgabe Dezember 2011
All copyrights by Marinella Charlotte van ten Haarlen, 1985-2021
Kapstadt, Südafrika, im Mai 2010
Immer, wenn ich an das so bunte, lebendige Kapstadt erinnert wurde, dachte ich an Südafrika Anfang der Achtzigerjahre. Entzückte mich unwillkürlich an einer schnell formulierten Liebeserklärung, an das unter rotem Sand liegende, doch so grüne Land, an die schillernde, über Jahre scheinbar entstandene Regenbogennation.
Die, die Südafrikaner aller Hautfarben, aller Gesinnungen, zweifellos im Jahr der Fußball-WM, 20 Jahre nach dem Fall, dem Ende der Apartheid sein wollten. Die Erinnerung an die so vielen unterschiedlichen Menschen und an die einzige Frau, die ich wirklich dereinst, wo meine gelebte und außergewöhnliche Geschichte vor vielen Jahren ihren Ausgang nahm, liebte.
Eine Fahne der berühmten Bafana wehte über dem kleinen Restaurant, das wir passierten.
Aber in dieser so vergangenen Zeit war die Liebe zwischen Frauen nicht platonisch, staatlich verfolgt, reglementiert, unterdrückt, verfolgt, bestraft.
War es das, was sich damals abgespielt hatte?
War es eine Strafe, gleich einem göttlichen, von jeder damaligen Kanzel der radikalen Kirchen gepredigten Jüngsten Gericht?
Der lässige Taxifahrer, ein junger Xhosa, gab Gas an der Kreuzung, hupte, als ein verbeulter Ford Pick-up hinter einem langsam, kriechend fahrenden Castle-Brauerei-Lastwagen ausscherte. Für mich war es, als wäre ich nach Jahrzehnten des unfreiwilligen Exils in die gemisste Heimat zurückgekehrt.
Mit Kapstadt, dem angrenzenden Hafen in Oudsbay, mit Muizenberg, mit der geschäftigen Adderley Street verband ich das letzte gemeinsame Wochenende. Einen unruhigen Flug in einer altersschwachen Dakota DC-4, um eine Boeing 727 der SAA nach Johannesburg zu erreichen.
Auf dieses unvergessliche Wochenende folgte jäh der Dienstag.
Der damals so sonnige Morgen, zurück in Johannesburg, an dem ich Anna das letzte Mal lebend sah. Ja, dieser Tag lag mehr als ein Vierteljahrhundert zurück.
Der Mai 1982, im Spätherbst am Kap der Guten Hoffnung
Vergangen wie die gewöhnlichen, afrikanischen Jahreszeiten, wie die sich färbenden Blätter, die den schmutzig weißen Holden in der Einfahrt, neben dem Checkers-Supermarkt und dem vergitterten Bottlestore in der Claim Street, bedeckten.
Einzig der Geruch und der Wind fühlten sich noch gleich an.
Anna verblasste zusehends in meinen Gedanken. Ihre helle, unverwechselbare Stimme verstummte, flüsterte noch ab und zu, zu selten. Aus weiter Distanz.
Jahre, 25 lange Jahre. Eine Generation.
Ohne Gewissheit, ohne irgendeine Erklärung.
Es schien wie am ersten Tag ohne Verstand, ohne Motiv. Ohne Sinn, ohne Logik.
Was geschah in diesem muffigen Appartement, wofür Anna 350 ZAR Miete im Monat zahlte?
Was geschah an diesem Tag?
In der Nacht davor?
Unzählige Male hatte ich mir im Laufe der Zeit den Kopf darüber zermartert.
Zu einem schlüssigen Resultat war ich nicht gekommen.
Vielleicht musste ich ja dem südafrikanischen Beamten in seiner mit goldenen Sternen besetzten, dunkelblauen, schlecht sitzenden Uniform, die seinen gewöhnlichen Schmierbauch bedeckte, irgendwann, wenn auch widerwillig, Recht geben.
Der vermeintliche, nicht beweisbare Mord an einer schwedischen Sekretärin eines großen Bergbauunternehmens, einer ehemaligen Austauschstudentin, war das eigene Leben, die eigene scheinbar sichere Existenz nicht wert.
Wenn es überhaupt Mord gewesen war.
All die Jahre versuchte ich einen Fehler in dem sich in der Erinnerung verändernden Bild der Auffindesituation auszumachen.
Erweckte die Gestalten, die mit dem Tod arbeiteten, immer wieder zu gesichtslosen Dienern eines vergessenen, überkommenen Systems.
Anna lag, kauerte auf dem Boden, daneben der umgestürzte, geschwungene, zersplitterte Stuhl.
„Ein jeder Selbstmörder steigt auf einen Stuhl“, meinte der Polizist träge, rauchte dabei eine Lexington. Er stank nach Bier, von ihm ging eine Übelkeit erregende Alkoholfahne aus.
„Das ist so“, erklärte der Beamte nach einem weiteren stillen Moment.
Aus dem Radio, nebenan in der Küche, dudelte Congratulations. Cliff Richard auf Springbok Radio. Einer der gelangweilten SAPler spielte am Senderwahlknopf. Fand die SABC, die Nachrichten in Afrikaans mit Sarel Marais. Schnell gesprochene Nachrichten über die gescheiterte Politik einer grausamen, schneller eskalierenden Diktatur am Kap.
Die letzten, wenn auch verkrampften Züge des zunehmend wirr werdenden Alleinherrschers aus Paul-le-Roux. Das wütende Volk sehnte sich nach seinem Tod. Weiße wie Schwarze. Das konnte und wollte niemand mehr verhehlen.
Er, der blonde, muskulöse Lt. Retief, betrachtete, musterte die Leiche kritisch. Zumindest für einen Augenblick. Ich war versucht, etwas über den obligatorischen gelben Ford mit den zwei Insassen zu sagen, der wochenlang in der Straße gestanden hatte.
Verkniff es mir dann aber.
Es war offensichtlich, dass Lt. Retief Lesben nicht mochte.
Er betrachtete mich abschätzig, während mir die Tränen aus den Augen liefen. Auf den abgelaufenen Teppich neben die Leiche tropften.
Er fixierte meine Brust, mein orangefarbenes Top mit widerlichen, anzüglichen Blicken. Sah mir zwischen die Beine. Lächelte dabei.
Retief trug sich schon bei der ersten, ersichtlich oberflächlichen Tatortbesichtigung mit großen, wirren Zweifeln, die ihm wahrscheinlich, so mutmaßte ich, von seinem vollkommen desinteressierten, überforderten Vorgesetzten Krans, einem hageren, kettenrauchenden Buren, aufgetragen, befohlen worden waren.
Dieser schwülwarme Morgen, der strahlende, blaue, wolkenlose Himmel über Johannesburg, der so pulsierenden Metropole, der für mich in der Zeit stillzustehen, stehen geblieben schien. Für immer.
Distant Drums, ein Lied von Jim Reeves, erklang, erscholl in meinem Ohr.
Kimberley Jim. 1962 im Vrystaat gedreht, als die hasserfüllte Rassentrennung, als postkoloniales Benehmen in den Augen der stummen Weltgemeinschaft noch salonfähig wirkte.
Ich erinnerte für einen Moment an die prächtige, von Proteen gesäumte, scheinbar ewig blühende Mainstreet, an Anglo, de Beers. An die Wärme, die wohl jetzt dort herrschte. An die langen Straßen, die gedeihenden Jakaranda-Bäume in Hillbrow, Germiston, Dunkeld West. Die nirgendwo hinführten, außer tiefer in die Höhle eines brutalen Repressionsregimes. Eines der vielen geduldeten während des Kalten Krieges.
In dieser so gottlosen, doch so südafrikanischen Zeit, in dieser so verabscheuungswürdigen Apartheid.
Was war aus meiner kläglichen Suche nach ihren Mördern geworden?
Nichts!
Sie blieben ausdruckslos. Wie viele Mörder in dieser rastlosen Zeit.
Ich war gescheitert, unerträglich erfolglos. Mein Leben war aus den Fugen, vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten. Seit diesem Tag, seit diesen Stunden.
Die vage Spur zeigte mir in den folgenden Jahren Schatten der schmutzigsten Geschäfte auf dieser Welt: Politik, Geldwäsche und die Gier einiger weniger auf.
Wie konnte ich damals, als sich Retief zum Abschied vor mir mit einem feinen, wohl gewählten Lächeln aufbaute, dann vor mir stand, mit unvergleichlicher Süffisanz meinte, dass er die Leiche zur Feuerbestattung freigab, ahnen, was dem folgen sollte.
Zunächst zahlte ich die trostlose Beerdigung. Es waren etwa 2000 ZAR, inklusive eines dunkelvioletten Proteengestecks in einer schmalen, dunklen Grabkammer auf einem privaten, schmucklosen Friedhof.
Als ich die Wohnung einige Tage später auflöste, fielen mir die beiden Männer, die Anna so oft erwähnt hatte, auch auf. Der eine, groß und bullig, der andere nur korpulent, stand an der Ecke, rauchte stundenlang Zigaretten in der gepflasterten Einfahrt. Zertraten gemeinsam missmutig die Kippen neben schmierig öligem Papier, in das zuvor kross gebratenes Fischfilet eingewickelt worden war. Die zahllosen Wanderarbeiter genossen dieses aus Gewohnheit in ihrer Mittagspause. Es war auch billig, ein wenig mehr als ein Rand kostete das Filet mit halb garen Pommes frites, die mit einer dunklen, undefinierbaren Tunke schmeckten.
Ich fand in der Wohnung nichts Persönliches von Anna, ich wunderte mich. Gut, es gab einen winzigen Beweis, ein Indiz, dass es Mord gewesen sein musste, so mutmaßte ich1982.
Wo waren ihre Handtasche, der Pass, die Autoschlüssel?
Auf einem Zettel stand der Name Karl Schwan. Daneben eine Nummer aus Benoni. Ein Autohändler, er verkaufte Nissan, Volvo und gebrauchte Fahrzeuge.
Wer war der Unbekannte, der tagelang, nächtelang zuvor bei ihr angerufen hatte?
Wollte er wissen, ob sein potenzielles Opfer im Haus war?
Damals in Südafrika.
Es war das politische System im Land. Ein feines, engmaschiges Netz der Angst, gespannt über jeden Quadratzentimeter der wunderschönen Landschaft, mit einer ganz hässlichen, rassistischen Fratze, die die reich machte, unterhielt, förderte, die sich bedingungslos der gesetzlich garantierten Versklavung der heimischen Rasse anschlossen.
Ein solcher politischer Schmarotzer war Karl Schwan, gab sich als ein bärbeißiger, vollbärtiger Profi aus einem südlichen Vorort von Johannesburg, hatte Anna 1979 nach Pretoria, wo er damals in einer Villa mit Pool noch wohnte, geholt. Über eine dubiose Au-pair-Agentur in London. Anna hatte eines Tages, etwa zwei Monate vor ihrem Tod, beiläufig darüber gesprochen. Zwar wenig, aber was ich erfuhr, täuschte nicht über die beunruhigenden Zustände hinter den Kulissen hinweg.
Erst gut vier Jahre danach suchte ich aus diesem intuitiven Gefühl heraus in Schweden nach irgendeinem Anhaltspunkt, dass es Anna überhaupt jemals gegeben hatte, nach ihrer Familie, ihrer absichtlich nebulös gehaltenen Herkunft.
Wer war Anna wirklich gewesen?
Woher kam sie?
Was war das wirkliche Ansinnen ihres Aufenthaltes in Südafrika?
Schweden stand 1986, schon viereinhalb Jahre nach Annas Tod, unter dem Eindruck der Ermordung Olof Palmes, der von einem Unbekannten auf offener Straße, scheinbar grundlos, niedergestreckt worden war.
Es schien, wollte ich die Zusammenhänge deutlicher sehen wie der unvollständige Plot zu einem weiteren Buch von Sjöwall und Walhöö.
Die schwedische Vertretung in Pretoria meinte später, es hätte um den Tod von Anna sehr viele Ungereimtheiten gegeben. Dümmliche, diplomatische Ausreden für seltsame, unerwünschte Anfragen an die Botschaft, direkt gestellte Fragen. Ein nichtssagender Typ mit einem abgekauten Kugelschreiber und ein paar Blättern in der Hand, inmitten eines zugigen Raumes.
Der im ölverschmierten Overall lebende, augenscheinlich existierende Schwan kannte die Au-pair-Vermittlung von einem schwedischen Bankier namens Kjell Evardson.
In den Büros der Bergwerke wurde unter den Weißen systematisch der Hass geschürt, eine starke Bewegung der Nationalen Partei von Südafrika. Wie die Zeugen Jehovas zogen sie von Tür zu Tür, sammelten Unterschriften für die Rassentrennung. Reichten das Beitrittsformular in jeden Haushalt, bedrängten die Bürger, auf die zahllosen Parteiveranstaltungen der vielen kleinen Bothas und Bezuidenhouts zu kommen. Zu gehen. Zu klatschen.
Was machte eine junge Schwedin, die als Au-pair arbeitete, die nach dem ersten Schein Anna Lindquist hieß, zwischen den Helfern des Systems, die sie vorgeblich langer Gespräche hasste wie den Teufel selbst?
Anna mutmaßte Konzentrationslager für Regimekritiker, sprach über die ausufernde Gewalt auf allen Seiten.
Ich versuchte erneut meine Gedanken zu ordnen.
Ich setzte mich in die Ledergarnitur, lauschte dem Verkehr auf der Straße, den Schreien der spielenden Kinder in den angrenzenden Hochhausfluchten.
Schwan war in Benoni dafür bekannt, dass er eifrigen Kontakt auch zu einer rechtsradikalen Gruppe im Freistaat, die Söldner aus aller Herren Länder in den blutigen Krieg gegen Angola schickte, unterhielt. Ein kurioser Deal des Kalten Krieges zwischen der Burenrepublik und der satellitenartigen UNITA. Die rechtslastige Afrikaaner Weerstandsbeweging übernahm über verschlungene Wege die direkte Ausführung für die vielschichtigen Interessen der Diktatoren. Eine weitere Firma in JHB, die sich sehr verbunden zu der AWB fühlte, semistaatlich agierte, nannte sich Oxygen. Diese unterhielt diverse Kontakte nach Angola zu den Getreuen von Savimbi. Schwan war einer der Besitzer dieser regierungstreuen Firma. Das erfuhr ich einige Tage später von einem mir bekannten Journalisten, Jacky Leumaar, der ein kleines, geheimes Zeitungsarchiv unterhielt. Wir trafen uns in einem dieser Fast-Food-Restaurants, wo es penetrant nach altem, verbranntem Fett und scharfem Essigreiniger roch.
Der hagere Leumaar nippte an seinem dampfenden Kaffee, rührte ihn nochmals um.
„Die haben ein Sicherheitsunternehmen und einen Chef, der aus Kroonstad im Freistaat kommt, Claas Kopper. Der sollte dir bekannt sein.“
Ich nickte kurz, der Kaffee schmeckte bitter, ich spielte verlegen mit meinem rechten Ohrring.
„Das kann natürlich sein, dass die SAP sie umgelegt hat“, meinte er, zuckte dabei mit den Schultern, als wäre es das Normalste auf der Welt.
„Was ist da in dem Autohaus von diesem Schwan geschehen?“, fragte er vorsichtig, betrachtete dabei die farbige Köchin, die mit einer zu engen, blutig verschmierten Schürze gerade einen Dagwood abkassierte.
„Ich kam dahin, der war gerade unter einem Lkw am Schrauben. Er kannte Anna angeblich nicht, zumindest behauptete er das.“
Leumaar grinste.
„Warum sollte er das auch zugeben?“
An der Kasse des Fast-Food-Restaurants bildete sich eine lange Schlange, schwarz-weißer Rauch aus der Küche zog über den halbhohen Holztresen. Die neuen Burger waren fertig. Dazu fettige, tropfende Pommes frites, die der schmale Verkäufer mit Salz und reichlich Essig würzte.
„Interessant aber war, dass dieser Schwan einige Minuten später, nachdem ich sagte, dass ich die Nummer bei Anna gefunden hatte, meinte, dass sie vielleicht die Anruferin aus der letzten Woche mit den neuen Reifen gewesen war.“
„In welcher Sprache habt ihr gesprochen?“
„In Deutsch, ich wollte keine Zuhörer!“
Ich sah auf die Straße, die Kotzestraat. Ein Audi parkte ungeschickt vor der kleinen Filiale der Standardbank ein, fand eine Lücke vor einem überdimensionierten Plakat von Stevie Wonder am elfenbeinfarbenen Flügel.
„Anna war mit uns zusammen, war in der Kirchengemeinde von Johannes Vorster“, presste Leumaar nervös hervor.
„Vielleicht bringt dich das etwas weiter, solltest mal mit ihm sprechen, ist eine freie evangelische Gemeinde.“
„Von denen ist jeder mittlerweile durch die SAP vernommen worden“, stierte ich auf die weiß-goldene Packung Benson und Hedges auf dem Tisch vor mir.
„Das, was die Johannes Vorster anhängen, den ANC mit Waffen zu versorgen, ist auch kein Pappenstiel.“
Sein Afrikaans klang hektisch.
Der Kellner, der eine telefonische Bestellung entgegengenommen hatte, legte den Hörer auf.
„Ich habe nie wieder etwas von der Sache gehört. Gott sei Dank, wenn ich ehrlich bin“, gestand der Journalist ein.
„Sag mal, etwas ganz anderes, kannst du ein paar Artikel für eine Zeitung aus dem Untergrund schreiben? Die meisten Fakten habe ich schon zusammen, es geht um eine Einheit des Innenministeriums in Pretoria, die auf Sabotage, Raub, Entführung, Erpressung, Mord und Terrorismus spezialisiert ist.“
Ich riss die Augen weit auf. Nickte aber mit dem Kopf.
„Ich denke, so kannst du auch das Vertrauen rechtfertigen, dass unser gemeinsamer Kontaktmann in dich setzt.“
Der gemeinsame Kontakt war eine schmuddelige Telefonzelle in Johannesburg, die man nur einmal täglich, zur bestimmten Stunde, erreichen konnte. Eine Woche später war es wieder eine andere Telefonzelle. So ging das hin und her.
Sicherheit schien in diesen Tagen das oberste Gebot der Stunde.
Es war einen oder zwei Tage später, als ich die Wohnung, nachdem ich alle Möbel verkauft hatte, reinigte. Die beiden Männer rauchten immer noch an der Einfahrt zum Hof, während ich begann, den Boden zu schrubben. Mehrere Dielen waren lose, lagen nur provisorisch auf dem nackten, schwarz verfärbten Steinfußboden.
Ich hob die Bohlen ab, da sich durch die Jahre die Profile gegeneinander verschoben hatten, das morsche Holz spliss, zerriss förmlich.
Darunter waren kurioserweise leuchtende Plastiktüten von Pick´n´Pay, die zunächst wie gewöhnliches Dämmmaterial anmuteten.
Einige Augenblicke später wurde mir klar, welches Motiv jemand gehabt haben konnte, Anna zu ermorden. Hunderte von Negativen, einige entwickelte Schwarz-Weiß-Bilder, die rauchende, verkohlte Trümmer nach Anschlägen des ANC zeigten. Townships, die von Panzern und Lafetten, Soldaten, regulären und paramilitärischen Truppen durchkämmt worden waren. Tote, verbrannte, noch qualmende Kinder, deren Gliedmaßen so unwirklich und verdreht neben den schwarz lodernden Autoreifen wirkten.
Ein einsamer Soldat schien den Ort des Geschehens zu begehen. Er kaute sichtbar Kaugummi, ließ lässig seine Waffe über die Schulter hängen. Mir wurde übel, schlecht, ich begann zu würgen. Die nächsten Bilder zeigten eine augenscheinlich verlassene Farm im Freistaat. Schwer mit hohem Stacheldraht und Strom führenden Kabeln umzogen. Gerüchte gab es genug über eingerichtete Konzentrationslager, irgendwo im Land, wo die Machthaber die vielen Gegner im Falle eines Falles unterbringen wollten. Das Kriegsrecht regierte seit Monaten das Land.
Eine kurze Notiz auf einem Zettel der Mine Venter 2 erregte meine Aufmerksamkeit:
„Er hat zwei missratene, ständig Bier saufende Söhne, nimmt Geld von einer Firma Odeon in Zug, Schweiz.“
Ich begann zu zittern, als ich Annas Reisepass in der nächsten Plastiktüte fand, unter einem Stapel weiterer Negative. Einen Bierdeckel aus einem bekannten Steakhaus in der Joubertstraat. Sie führte zu Lebzeiten ein unergründliches, unverständliches Doppelleben. So viel war mir klar. Ein Notizbuchkalender aus dem Jahr 1980, eine Adresse in Stockholm in der Gamlagatan. Auf den nächsten Seiten Fotos aus Schweden, wenn ich mich an der Architektur der Häuser orientieren durfte. Eine Plastikkarte mit einer Kontonummer und etlichen Telefonnummern, darunter die des Schwedischen Generalkonsulats in Gaborones. Die anderen wahrscheinlich aus Schweden. Es blieben nur noch eine Tüte und ein unscheinbarer Briefumschlag. In diesem befanden sich Rand, Dollar, Pula, Deutsche Mark und Franken, ich schätzte etwas mehr als 25 0000 US-Dollar, in einer bunten Mischung aus Scheinen. Dazu ein Schlüssel, ein ziemlich ungewöhnlicher Schlüssel, der eher wie der eines Bankschließfaches anmutete.
Eine Mappe, gleichermaßen ein Logbuch, eine Ansammlung von Grauen, die die Kriege auf dem afrikanischen Kontinent hinterlassen hatten, lag wie unscheinbare Fotos anbei. Genaue Umsatzzahlen belegten die Profitabilität der Waffen. Die Globeassembly Ltd. verkaufte spezielle Technologie an die Konten, die wahrscheinlich staatlichen Organisationen geliefert wurden. Seit 1980 führte Anna genauestens Buch. Verdrehte, verkohlte Leiber nach vernichtenden Bombenangriffen, einige abgeschossene Mirage-Bomber der Air Force. Jedes Bild für sich ein spezielles Grauen, eine Firma in Nordirland, genau verzeichnete Bombenanschläge, dazu: Zeitungsausschnitte aus den Siebzigern, wieder verbrannte Leiber, die in Blutlachen lagen, im Zypernkonflikt, 1974, Frauen, die mit ihren Kindern, mit den Alten auf der Flucht waren, stumme und schweigende verzerrte Gesichter, zu Fratzen verzogene Visagen. Etwas aus dem Libanon, ein zerstörtes Hotel in Beirut, nahe einer von Granaten umgepflügten Strandpromenade, die rauchenden Trümmer einer Bank, eines blechernen Briefkastens. Ein unleserlicher Notizzettel, Menschen, erschlagen, geschändete Leichen schemenhaft in Massengräbern zu erkennen. Angola 1976, Artillerie, die getestet wurde. Aus Deutschland. Bis zu kleinen, mobilen Raketen. Uganda, Idi Amins Reich: Massengräber, davor ein Dutzend Soldaten, die Maschinengewehre bedienten, der Diktator, der seine Reihen nicht ohne Stolz in einer Fantasieuniform abschritt. Verkaufsschlager waren Munition, Bilder aus Nicaragua, der dichte Dschungel, der unerbittliche Krieg, Guerilla-Lager, blecherne Kessel, die über der Feuerstelle dampften. Soldaten, denen etwas erklärt wurde, von einem paramilitärischen Instruktor. Probleme, die er mit den verschiedenen Waffentypen erlebt hatte. Dann der Iran-Irak-Krieg, Trümmer, nichts als Trümmer. Tote, Leiber wie hingerichtet, auf dem Scheiterhaufen der Ideologien, menschliche Gebeine, auf denen sich Fliegen niederließen. Die SABC spielte zynischerweise oder gerade deshalb Guy Lombardo – After You've Gone. Ein jeder natürliche, zivilisatorische Kreislauf wurde wieder aufgenommen. Giftgas, Tabun, Lost, getötete Soldaten in verschiedenen Uniformen, enthauptete Leiber, ihre Köpfe danebengerollt wie ein alter, unpassender Hut, einfach neben sie gelegt. Raketen, die detonierten, in die Innenstadt von Teheran einflogen, die SABC sendete Bunny Paul – Such A Night von 1954. Ich blickte auf die Bilder, lauschte The Hilltoppers – Till Then, dann Flüchtlinge, im Kurdengebiet, die sich mit angstvollen Grimassen aus dem Schlachtgetümmel versuchten in Richtung Gebirge zu verziehen, an Laternenpfählen hängende Männer und Frauen; Zerschossene, Exekutierte, mit jeder schmutzigen Methode menschlicher Gabe zur Zerstörung, getötet. An Kränen Aufgehängte, an deutschen Auslegern eine geschwungene, eindeutige Aufschrift eines Unternehmens. Die rauchende Ruine eines zerbombten Krankenhauses, die Rakete war direkt eingeschlagen, hatte alles in sich zerfallen lassen. Zu brennendem Staub vergehen lassen. Gedrosselte Verräter, Kollaborateure und Deserteure. Wieder Giftgas, blaugraue Kinder, die wie friedlich schliefen, schon auf dem Foto zu verwesen schienen. Kopie einer Akte des südafrikanischen Geheimdienstes an der Front, Kriegsverbrechen aller Art, in Sequenzen fotografierte Hinrichtungen. Ein Kaleidoskop der Vergewaltigungen an der Zivilbevölkerung Angolas, Hinrichtungen von Kriegsgefangenen.
„Warum sind sie hingerichtet worden?“, fragte ich mich leise.
Bilder mutmaßlich aus Afghanistan, bei einer Stippvisite im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, Menschen, die aufgeschlitzt, unkenntlich gemacht, entlang eines Weges lagen. Erstochene, Kastrierte, Enthauptete, Verbrannte, dann wieder russische Piloten, ein Verendeter, der seinen Gegner um den Gnadenschuss bat, der diesem letzten Wunsch mit einem Maschinengewehr mit Freude nachkam. Nackte, geschändete Frauen, die vergewaltigt wurden in Afghanistan, schrien, Peiniger, die sie begierig festhielten. Ein betrunkener Soldat, ein rauchender Einbeiniger, der eine Panzerfaust an einem Pass, irgendwo, hielt. Bomben, Granaten, ein rauchendes, ein in Trümmern versunkenes Dorf, ein mit einem Flammenwerfer verbrannter Soldat, der sowjetische Besatzer neben seinem Motorrad, eine kniende Frau neben ihrem toten Kind, in der rechten Schläfe ein Kopfschuss. Fleisch, in das Dumm-Dumm-Geschosse eingeschlagen waren, wieder ein anderes Dorf, irgendwo in Arabien oder Afrika. Gewehre zum Zeichen des Sieges in die Luft erhoben. Heimische Szenen bei Händlern des Todes. Produktbeschreibungen für weitere Geschäfte. Ein zerfledderter, fotokopierter Katalog, gegliedert in verschiedene Sparten, unterteilt dann wieder in herausragende Produkte innerhalb der angebotenen Auswahl. Dann die produzierenden Länder, die, die davon lebten, die, die es abtransportierten, Ronneman, der daran das meiste verdiente. Ronneman, den ich kennengelernt hatte Wochen zuvor. Der, der Tulpen züchtete, verkaufte in alle Herren Länder Munition, den monatlichen Clou, das kultivierte, zivilisierte Töten, den Tod anderer Unschuldiger. Ich hielt die Luft an, Gewehre aus Deutschland, von deutscher Hand gefertigt. Dienstbar für jeden kleinen, diktatorischen Teufel zwischen hier und dem Nordkap. Die Wirkung verschiedener Geschosse am Opfer, vorher am gemeinen Hausschwein ausprobiert, dann direkt gezeigt, aufgerissene Leiber, zersplitterte Knochen, zerfetzte, blutende Beine, Arme. Aufgeplatzte Rücken, riesige, klaffende Löcher, Kanonen aller Art, Reichweiten für den Tod, garantierte Sicherheit durch die verwendeten Geschosse aus der präzisen Produktion, Verweise auf Filme, die sich mit der Wirkung der panzerbrechenden Waffen aus verschiedenen Waffenschmieden befassten; hier wurde die Tschechei besonders angepriesen, dort war es Nordkorea. Auf der letzten Seite befand sich ein eingelegter Zettel, klein und unscheinbar, auf diesem stand in ungelenkem Afrikaans: „Zwanzig Jahre habe ich an diesem Katalog gearbeitet, muss immer auf dem neusten Stand bleiben. Ganz schöne Arbeit, auch die gesammelten Erklärungen dazuzuschreiben. Es ist ein ziemliches Kreuz!“
Lkws, Jeeps, Ausrüstungsgegenstände aus taiwanesischer Produktion, mit oder ohne Sichtfenster – unwillkürlich dachte ich an den Mann, der mich Wochen zuvor, als ich Anna besuchen wollte, er kam gerade aus dem Block wie ein Schatten, niederschlug. Weder die SAP noch die Zeugen, konnten sich das erklären. Anna zitterte, bebte innerlich, verstand die Motivation des Angreifers nicht. Eine Ewigkeit fasste ich mich, wenn man die Produktpalette betrachtete. Gasmasken, durchlässig für den Feind, metallene Stricke zum lautlosen Töten, Uniformen, Fahnen, Medaillen, Gase, Elektroschockgeräte, Hubschrauber, Flugzeuge, U-Boote. Raketen aus chinesischer Produktion, aus japanischer, nordkoreanische Hoovercrafts aus sowjetischer Produktion, aus dem Ausland ins Inland, hieß einer der zynischen Slogans, die sich mit der Säuberung hinter der Front, dem wahllosen, sorgsam werbewirksam verpackten Tod der Zivilbevölkerung befasste. Minenfallen, zerrissene Leiber garantiert, Kopien der international verurteilten SM-70 an der DDR-Grenze, hier in dieser Welt der umspannenden Wirtschaftsverbindungen besonderer Art garantierte die deutsche Teilung, verurteilt und geschmäht, den Erfolg, tödliche Verletzungen.
Von was für Kreaturen wurden wir regiert?
Bei Nichtgefallen wurde wie bei einem Pepitarock oder einem Leinenkleid die Rücknahme der Ware durch den Hersteller verbrieft. Tretminen, Gasauslöser, Spieße, Sprengsätze, Infrarotferngläser, Gifte, Armbrüste, Pfeile, mit detonierenden Aufsätzen, explodierende Pflanzen, täuschend echte Bäume, die sich in lodernde Fackeln verwandeln konnten, explodierende Briefkästen, Kopfhörer. Autobomben, die nur zu dem Zweck von einer Spezialfirma gebaut wurden, um als Autobombe zu töten, in einem unerklärten Krieg. Kondome mit Widerhaken bildeten ein Highlight, der Schoß der Frau als Kampfzone. Nebelgranaten im Zigarettenschachtelformat, die Erfinder lobten sich mit der langjährigen Erfahrung verschiedener Geheimdienste auf die Seite der vernichtenden Gimmicks wie aus einem Comic-Heft. Fotos vom Londoner Flughafen, Anna war auf diesen Aufnahmen. Sie trug ein Kostüm wie Ingrid Bergmann seinerzeit in Casa-