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Die von Hohensinns sind eine Adelsfamilie, wie es sie so echt wohl nur noch im Salzkammergut gibt. In übermütiger Erzähllaune schildert Hera Lind das bewegte Schicksal einer modernen Fürstendynastie, lässt reichlich blaues Blut kochen oder fließen und deckt schonungslos die zahlreichen Charakterschwächen der einzelnen Familienmitglieder auf. Eine Hommage an das herrliche Salzkammergut, eine köstlich kitschige Fürstengeschichte und ein unwiderstehlicher Angriff auf die Lachmuskeln der Leserinnen und Leser! Es beginnt mit einer Katastrophe – und von da an geht es bergab. Nachdem die Hochzeit von Prinzessin Anne-Sophie mit einem ungarischen Adeligen abgesagt werden muss, weil der Bräutigam verschwunden ist und die Braut im Koma liegt, versinkt Fürst Leopold im Alkohol, der Erbprinz schlägt mit einer Axt um sich, der Enkel soll ins Kloster geschickt werden, Prinzessin Charlotte droht fremdzugehen und die Fürstin wahrt nur mühsam die Contenance. Schuld an allem sind, wie so oft, die Bürgerlichen, nämlich Christel und Renate aus Oberhausen, die Prinzessin Charlotte nicht mal auf der Damentoilette in Ruhe lassen ... Als sich am Ende der Rauch verzieht und die Alpengipfel wieder leuchten, ist allen klar: Unter dem roten Teppich des Adels sieht es nicht besser aus als bei Hempels unterm Sofa.
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Seitenzahl: 364
Veröffentlichungsjahr: 2023
Hera Lind
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Die von Hohensinns sind eine Adelsfamilie, wie es sie so echt wohl nur noch im Salzkammergut gibt. In übermütiger Erzähllaune schildert Hera Lind das bewegte Schicksal einer modernen Fürstendynastie, lässt reichlich blaues Blut kochen oder fließen und deckt schonungslos die zahlreichen Charakterschwächen der einzelnen Familienmitglieder auf. Eine Hommage an das herrliche Salzkammergut, eine köstlich kitschige Fürstengeschichte und ein unwiderstehlicher Angriff auf die Lachmuskeln der Leserinnen und Leser! Es beginnt mit einer Katastrophe – und von da an geht es bergab. Nachdem die Hochzeit von Prinzessin Anne-Sophie mit einem ungarischen Adeligen abgesagt werden muss, weil der Bräutigam verschwunden ist und die Braut im Koma liegt, versinkt Fürst Leopold im Alkohol, der Erbprinz schlägt mit einer Axt um sich, der Enkel soll ins Kloster geschickt werden, Prinzessin Charlotte droht fremdzugehen und die Fürstin wahrt nur mühsam die Contenance. Schuld an allem sind, wie so oft, die Bürgerlichen, nämlich Christel und Renate aus Oberhausen, die Prinzessin Charlotte nicht mal auf der Damentoilette in Ruhe lassen ... Als sich am Ende der Rauch verzieht und die Alpengipfel wieder leuchten, ist allen klar: Unter dem roten Teppich des Adels sieht es nicht besser aus als bei Hempels unterm Sofa.
Hauptteil
Nebenan pinkelt eine Prinzessin!«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich hab sie reinkommen sehen!«
»Caroline von Monaco?«
»Psssst!«
»Ich warte jetzt, bis sie rauskommt!«
»Mensch, bist du peinlich!«
Ja, dachte Prinzessin Charlotte. Das ist sie wirklich. Noch nicht mal in Ruhe pinkeln kann ich. Hoffentlich hauen diese blöden Weiber bald ab.
Verärgert blieb sie auf dem geschlossenen Klodeckel sitzen und wartete.
Aber das Getuschel im Waschraum ging weiter.
»Sie muss eben auch mal dahin, wo sogar der Kaiser zu Fuß hingeht.«
Das finden die wohl witzig, dachte Charlotte sauer.
Wie sind die hier bloß reingekommen? Das ist doch eine geschlossene Veranstaltung! Hat denn der dämliche Bodyguard nicht aufgepasst? Die Prinzessin schlüpfte aus ihren Riemchensandalen, kletterte auf den Klodeckel und spähte über die Toilettentür. Da standen sie.
Die bürgerlichen Gänse in ihren Lurex-Fetzen von C & A.
Sie machten nicht den Eindruck, als wollten sie den Waschraum für den Adel freigeben.
Die dünnere der beiden aufgedonnerten Touristinnen, die vor dem großen, goldumrahmten Spiegel im Waschraum des angesagten »Serail« standen und sich die Nase puderten, musterte ihre dicke Freundin unbeeindruckt.
»Wer soll denn da drin sein? Die Olle vom Tschaals?«
»Uralter österreichischer Adel!«, wisperte die Dickere mit der turmhohen Frisur. »Sie ist die Schwester von der, die morgen heiratet!«
Was Charlotte nicht wissen konnte und auch nicht wissen wollte, verrate ich Ihnen jetzt:
Die dicke Renate aus Oberhausen hatte zwei Opernkarten für Salzburg gewonnen, in einem Gewinnspiel aus den »Adelsnachrichten«. Die Frage hatte gelautet: Wer schrieb die »Entführung aus dem Serail«?
a) Wolfgang Amadeus Mozart
b) Dieter Bohlen
c) Edgar Wallace
Und bevor die dicke Renate mit Klaus-Jürgen nach Salzburg fuhr, der in Opern sowieso immer einschlief, hatte sie lieber ihre dünne Freundin Christel mitgenommen. Na gut, die »Entführung aus dem Serail« war nicht der Hit gewesen. Alles ganz furchtbar lang und schrill und dann noch auf Italienisch. Aber jetzt begann der Abend doch noch interessant zu werden.
Renate und Christel waren aus Versehen in eine Veranstaltung hineingeraten, auf der es von Adligen und Promis nur so wimmelte. Sie waren einfach dem Schild »Serail« gefolgt, weil sie glaubten, das gehöre immer noch zum Stück, und waren sehr erfreut gewesen, dass es hier Unmengen von lecker Essen und Trinken ganz umsonst gab. Außerdem sang keiner mehr, und man durfte endlich rauchen.
»Deine Prinzessin braucht aber verdammt lange«, mäkelte Christel, während sie die Beschaffenheit ihrer pinkfarbenen Fingernägel betrachtete.
»Wahrscheinlich hat sie einfach keine Lust auf die ganzen Lackaffen und blaublütigen Angeber da draußen«, überlegte die dicke Renate laut.
Charlotte auf ihrem Klodeckel verdrehte die Augen.
Irgendwann werden sie das Interesse an mir verlieren, hoffte sie und zündete sich eine Zigarette an.
Nun rauchten sie alle: Christel und Renate lehnten am Waschbecken und starrten von außen auf die Klotür, und Charlotte hockte mit angezogenen Knien auf dem Klodeckel und starrte von innen dagegen. Das war ein Gepaffe in der Damentoilette!
»Irgendwann muss sie da ja rauskommen«, stellte Christel fest.
Renate war zum Äußersten entschlossen. »Ein Autogramm vonne Hoheit muss mindestens dabei rausspringen, wennnich sogaa n Fotto mit mir und de Prinzessin. Meine Mutti in Recklinghausen fällt vom Hocka!«
Die bürgerlichen und die adligen Rauchschwaden krochen unter und über der Toilettentüre hervor und vereinigten sich.
Aber eben nur die Rauchschwaden. Ansonsten lagen Welten zwischen ihnen.
»Vielleicht hat se ihre Tage.«
Haut endlich ab, dachte Charlotte. Und wenn ich hier drin übernachte!
»Vielleicht will sie nicht«, sagte Renate schlau.
»Wir haben Zeit«, setzte Christel grausam nach.
Charlotte fühlte eine unbändige Wut in sich aufsteigen.
Warum muss ich eine Adelige sein, dachte sie frustriert, während sie ihren Kopf zwischen den Armen vergrub.
Warum darf ich nicht mal in Ruhe aufs Klo gehen?
»Wahnsinn«, hörte sie die Dicke seufzen. »Dat ich mal neben na echten Prinzessin gepinkelt hap!«
»Und? Frierste dein Pipi getz ein?«
»Wenn ich das in Recklinghausen erzähle … das glaubt mir kein Schwein.«
»Wer is dat denn getz da drin? Machet nich so spannend!«
»Ruhig!«, zischte die Dicke. »Sie kann uns hören!«
Ich ermorde euch, dachte Charlotte. Ich erwürge euch. Ich zerhacke euch in Stücke und spüle jedes einzelne davon die Toilette herunter.
»Caroline von Monaco?«, hörte sie Christel nachbohren.
»Prinzessin Charlotte von Hohensinn!«, zischte Renate.
»Kenn ich nicht«, sagte Christel enttäuscht. »Ich hatte schon gehofft, es ist diese wilde Hilde, die es mit Bademeistern und Würstchenverkäufern auf Campingplätzen treibt! Die hätte ich echt gern mal kennengelernt.«
»Die von Hohensinns sind ein ganz altes Adelsgeschlecht«, wusste die dicke Renate zu berichten. »Die hocken seit Kaiser Willem dem Zweiten oder zumindest seit vielen Generationen in einem Wahnsinns-Schloss hoch über so’m versteckten See im Salzkammergut. Das ist der einzige See, der für die Touristenschifffahrt gesperrt ist. Der Berg heißt Schwarzenberg und ist der Sage nach sehr steil.«
»Und DARUM machst du so ein Tamtam?«
»Morgen heiratet die jüngere Schwester!«
»Das hast du eben schon gesagt.«
»Anne-Sophie! Die Cello-Spielerin! Die heiratet morgen!«
»Wieso spielt die Cello?«
»Weißidonich, Mensch! Weil ihr dat Spaß macht!«
»Wenigstens Prinz Albert oder Prinz William oder sonst einen, den man kennt?«
»Nein. Frederic von Tatzmannsdorf. Ungarischer Adel. Kann toll Klavier spielen.«
Christel war in keinster Weise beeindruckt. »Nie gehört.«
»Der soll aber ihre ganz große Liebe sein.«
»Na toll. Heul doch.«
»Dat is ein Traumpaar, sage ich dir! Beide so jung und schön und so musikaaaaalisch …«
Jetzt HAUT doch endlich ab, dachte Charlotte und knirschte vor Wut mit den Zähnen. Sie ballte die Fäuste, bis das Weiße an ihren Knöcheln hervortrat. Natürlich ist Anne-Sophie viel interessanter als ich. Schöner und jünger und musikalischer, und jetzt heiratet sie auch noch ihren Traumprinzen … Und wer hockt auf dem Klodeckel und kann nicht raus, weil zwei dämliche Ruhrpottweiber da draußen ihre Zelte aufgeschlagen haben? Ich.
»Liest du denn gar keine Klatschblätter?«, ging das Getratsche draußen weiter.
»Nur beim Friseur. Und beim Zahnarzt.«
Das behaupten sie alle, dachte Charlotte. Dass sie sich nicht für unsereinen interessieren. Aber in Wirklichkeit bewachen sie die Klotür, als wäre ich ein seltenes Reptil.
Und wenn ich hier drin meinen Fünfzigsten feiere, nahm sie sich trotzig vor. Ich bleibe hier!
Charlotte spürte einen kalten Luftzug von der Waschraumtüre her. Endlich kam jemand rein!
»Hee, das ist nur für Damen«, hörte sie Christel empört kreischen.
»Haben Sie eine Einladung?«, sagte in barschem Ton eine Männerstimme.
Hastig kletterte Charlotte wieder auf den Klodeckel und spähte über den Türrand.
»Hallo! Hier ist das Damenklo!«, keifte Christel den bulligen Bodyguard an.
»Das ist eine geschlossene Veranstaltung!«, gab der Bodyguard zurück. »Ich muss Sie bitten zu gehen.«
»Raus hier, Sie Lümmel!« Renate hieb mit ihrer Handtasche auf den Bodyguard ein.
Charlotte verzog ihr Gesicht zu einem Grinsen. Endlich, dachte sie. Bis der mal in die Gänge kommt, schlage ich hier noch Wurzeln. Ich hätte hier mit Zwillingen niederkommen können, und der Trottel hätte es nicht gemerkt!
Der Bodyguard murmelte etwas in seinen Ärmel, und innerhalb weniger Sekunden war der Waschraum voll mit bulligen, glatzköpfigen Kerlen.
»Ist ja gut, wir gehen schon!«
»Lassen Sie mich los, Sie Grobian! Sie zerdrücken mir ja noch das Kleid!«
Um den Lurex-Fetzen ist es nun wirklich nicht schade, dachte Charlotte, als sie endlich wieder in ihre Riemchensandalen schlüpfte und den Zigarettenstummel im Klo hinunterspülte.
Ich bin so was von wütend, dass ich heute Abend noch jemanden umbringe!
Im »Serail« herrschte ohrenbetäubender Lärm. Und zwar trotz der lauten Musik. Na ja, Charlotte fand nicht, dass das Musik war – das war Lärmbelästigung, sonst nichts, verursacht von einem kleinen Dicken auf der Bühne, der einen gehäkelten Klorollenüberzug als Kopfputz trug. Trotz des aggressiven Krachs wurde nun eine Ansage gemacht, die niemanden wirklich zu interessieren schien. Eine bekannte österreichische Moderatorin schrie etwas ins Mikrofon, nachdem sie mehrmals daran geklopft und sich eine Serie durch Mark und Bein gehende Pfiffe eingehandelt hatte. Es ging irgendwie um die roten Ferraris, die draußen parkten, und um den berühmten Rennfahrer, der einen davon dem Hochzeitspaar schenken würde.
Das ist auch schon wieder so eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dachte Charlotte, die an der Türe lehnte und ihre kleine Schwester aus zusammengekniffenen Augen ansah. Jetzt spielen die schon Cello und Klavier und machen sich unnötig wichtig damit, und da schenkt ihnen der Rennfahrer auch noch einen Ferrari. Als ich vor sieben Jahren den Eberhard geheiratet habe, bekamen wir vom Fuschler Bürgermeister einen Bildband über das schöne Salzkammergut. Na toll.
So ganz aus reiner Selbstlosigkeit wird der Rennfahrer seine Karre auch nicht herschenken, dachte sie bissig. Doch immer trifft es die Falschen, denn was soll dieses Weichei von einem klavierspielendem Bräutigam schon mit einem Ferrari anfangen!
Aber den soll er sich erst mal verdienen!
Einer plötzlichen Eingebung folgend, bahnte sich Charlotte den Weg vor zur Bühne und flüsterte der Moderatorin etwas ins Ohr. Diese verstand erst nicht – bei dem Lärm war das schließlich auch kein Wunder –, doch dann lachte sie begeistert auf.
»Da wäre allerdings noch eine Sache zu meistern«, schrie die Moderatorin, nachdem es dem Veranstalter gelungen war, wenigstens den kleinen Dicken mit der Häkelmütze zum Schweigen zu bringen. Alle anderen redeten und lachten und kreischten laut weiter.
»Der hochverehrte Baron von Tatzmannsdorf muss nämlich heute Nacht noch für seine Braut …« Die Moderatorin lauschte noch einmal auf das, was ihr Prinzessin Charlotte da ins Ohr flüsterte, als klar wurde, dass ihr sowieso keiner zuhörte. Ein Gelächter und Geplauder, ein Gläsergeklirre und Gekratze von silbernen Gäbelchen und Messerchen auf goldenen Tellerchen, wie man es das letzte Mal auf der Hochzeit von Schneewittchen gesehen hat, als sich die sieben Zwerge den Bauch vollschlugen.
Mit fahriger Geste strich sich Charlotte die dunkelblonden Haare aus der Stirn, nachdem sie wieder von der Bühne gesprungen war. Ja, das war eine gute Idee. Aus der Nummer kam der Schwager in spe nicht mehr so schnell raus. Die Moderatorin schrie wieder in ihr Mikrofon, aber nur die ganz vorn an der Bühne stehenden Leute schien zu interessieren, was sie zu verkünden hatte. Es ging um irgendeine Nachtwanderung, die der arme Baron noch zu absolvieren hatte. Keiner bekam mit, dass der Bräutigam seiner Braut erst noch ein Edelweiß pflücken musste, damit er den Ferrari geschenkt bekam.
Charlotte warf einen Blick auf ihre kleine Schwester, die glücklich umschlungen mit ihrem Frederic am Fuße der Bühne stand. Die beiden lachten und klatschten und fanden die Idee offensichtlich sehr romantisch. Charlotte spürte auf einmal, wie sich eine tiefe Zufriedenheit in ihr ausbreitete. Die beiden Touristenweiber aus der Damentoilette waren längst vergessen.
»Fürstin, die Vorbereitungen für die Hochzeit wären dann soweit abgeschlossen!«
Der treue Butler räusperte sich und blieb abwartend stehen.
»Gut, Johann. – Ist sonst noch was?«
Die Fürstin, fiel Johann auf, sieht in diesem altrosafarbenen Festtagsdirndl mit der olivgrünen Schürze trotz ihres hohen Alters noch fantastisch aus. Das muss man den Hohensinn-Damen lassen, dass sie alle wie aus dem Ei gepellt daherkommen. Und zwar aus dem abgeschreckten. Kein Gramm Fett, kaum eine Falte, und dann diese Haltung, als würden sie den ganzen Tag nur an der Ballettstange stehen. Johann durfte sich solche Gedanken erlauben, denn er war schon seit 67 Jahren Butler im Hause Hohensinn. Die feine alte Fürstin war nur drei Jahre älter als er, und man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass sie zusammen aufgewachsen waren. Hier im Salzkammergut sah man das ganz locker: Die Kinder der Herrschaft wurden mit den Kindern der Dienerschaft in ein und denselben Sandkasten gesteckt. Nur später trug man dann unterschiedliche Kleidung. Johann steckte in schwarzblaugestreiften Hosen und einem Wams mit goldenen Knöpfen, während die Fürstin wie schon erwähnt ein festliches Seidendirndl in altrosé trug, handgeklöppelt und bestickt. Das gestärkte Bluserl gab ein überraschend glattes, propperes Dekolleté frei.
Zur Feier des außergewöhnlichen Tages – immerhin heiratete heute ihre ebenso hübsche wie begabte Lieblingstochter Anne-Sophie einen ungarischen Baron, der zu allem Überfluss auch noch Klavier spielen konnte – hatte sie das schwere Diamant-Diadem aufgesteckt. Ich weiß jetzt nicht, ob so was zum Dirndl passt, aber sie hat’s jedenfalls gemacht. Trotzdem ließ sie den Kopf nicht hängen – was andere Brautmütter ja auch ohne so einen kiloschweren Kopfschmuck tun. Von wegen »Brautmutter war die Eule, nahm Abschied mit Geheule«. Die Fürstin nicht.
Sie wird auch keine Miene verziehen, wenn ich ihr gleich sage, was los ist, dachte Johann.
Denn es war was los. Eine ganze Menge sogar. Von irgendwas muss dieser Roman ja handeln.
Aber Johann wollte den schönen Augenblick noch nicht zerstören. Die Fürstin stand gerade so gut gelaunt am Fenster. Sie betrachtete interessiert die Schar der sich über die Freitreppe ergießenden Hochzeitsgäste, die zum Teil in schweren Limousinen, zum Teil aber auch mit Bussen angereist waren. Heutzutage reist man auch in Adelskreisen mit Bussen an, das ist praktischer, und außerdem gibt es dann schon vor der Feier Schnaps und man ist von Anfang an locker drauf. Und um ehrlich zu sein, ist ja noch lange nicht jeder Adelige im Besitz eines Rolls-Royce samt Chauffeur. Man spricht in solchen Fällen von verarmtem Adel. Aber auch die verarmten Adligen werden zu prunkvollen Adelshochzeiten eingeladen. Hauptsache, sie haben einen Adelstitel.
Johann beschloss, erst selbst noch mal einen Blick nach draußen zu riskieren.
Ach ach ach, dachte er betrübt. Das hat die Fürstin wirklich nicht verdient, dass sie diese Leute gleich wieder nach Hause schicken muss. Denn eine Hochzeit wird es nicht geben.
Der See war an diesem frühen Maimorgen so blau wie der wolkenlose Himmel, und die herrliche Bergkulisse erinnerte an mit Puderzucker bestäubtes Feingebäck. Der schroffe Schwarzenberg erhob sich majestätisch hinter dem dunkelgrün schimmernden Schwarzensee und sein schneebedeckter Gipfel spiegelte sich in seiner ganzen Pracht darin. Diesen Postkarten-Anblick genoss man auf Schloss Hohensinn seit vielen Generationen. Falls man ihn überhaupt noch genoss. Denn man war so gewöhnt an diese Aussicht, dass man sie gar nicht mehr wahrnahm.
Die Fürstin schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte.
»Ist noch was, Johann? Sie sehen bedrückt aus!«
Irgendwann hatten die beiden natürlich angefangen, sich zu siezen, ich kann aber nicht mehr sagen, wann genau.
Ich schätze, als sie neunzehn war und er sechzehn.
Der Butler hüstelte. Mir geht’s auch beschissen, dachte er. Wie sage ich es ihr nur? Man kann doch nicht einfach so mit der Tür ins Haus fallen und die arme Frau zu Tode erschrecken! Gleich wird ihre ganze Welt zusammenbrechen!
»Die Gäste wären soweit vollzählig erschienen«, kreiste er die Sache schon mal ein. Er benutzte gern den Konjunktiv, auch wenn es sich um Tatsachen handelte, die längst passiert waren. Er servierte zum Beispiel abends die Suppe mit den Worten: »Das wäre jetzt eine klare Schildkrötenbouillon!« – und niemand antwortete: »Aber?«
Deshalb ließ sich die Fürstin auch jetzt nicht irritieren.
»Ich habe mir die ganzen alten Schabracken mal angesehen«, lächelte sie verschmitzt und blickte über ihre Schulter nach draußen. »Schauen Sie, da kommt die unsägliche Auguste von Austritt, nein, wie geschmacklos, das Grüne! Und die Gans von Zitzewitz hat sich in Orange gezwängt! Wenn Sie mich fragen, mein Lieber, haben die alle nicht den Mut, zu ihrem Alter zu stehen.«
»Ganz meiner Meinung«, dienerte Johann verlegen.
»Aber ich habe ja das Glück«, blieb die Fürstin in seichtem Gewässer, »einen so versierten Modeberater zu haben wie Sie!«
Johann setzte ein schiefes Lächeln auf. Ich kann es ihr nicht sagen, dachte er, nicht jetzt.
»Fürstin sehen wie immer ganz fantastisch aus. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Man könnte meinen, dass Sie zu Ihrer eigenen Hochzeit gehen, und nicht zu der Ihrer zweiten Tochter!«
»Sie sind ein charmanter Lügner, Johann«, lächelte die Fürstin. »Aber dafür werden Sie ja schließlich bezahlt, nicht wahr? Ich bin fast siebzig Jahre alt, das wissen Sie genau! Ist noch was?«
»Nein.« Dabei war da durchaus noch was. Aber Johann war ein kleiner Feigling. Übrigens sein bevorzugtes Getränk, wenn er auf der Schihütte weilte und die Fürstin in weiten Schwüngen auf der Mühlbacher Piste zu Tal fuhr.
»Dann sagen Sie dem Fürsten, dass ich bereit bin, mit ihm die Gäste zu begrüßen. Wo steckt er denn, mein lieber Leopold?«
So, dachte Johann, jetzt wird es ernst. Ich kann hier nicht rumstehen und der alten Patricia Komplimente machen, während sich da draußen etwas zusammenbraut, das ich nachher nicht mehr stoppen kann. Die läuft mir ja ins offene Messer!
»Der Fürst wäre im Grunde fertig, aber das ist nicht das Problem, Fürstin.«
»Sondern?«
»Wenn ich ehrlich sein dürfte …«
»Johann! Spucken Sie es endlich aus! Ich merke doch schon die ganze Zeit, dass … Ist etwas passiert? Sie sind ja ganz blass! Und haben rote Flecken am Hals!«
»Das kann man noch nicht mit Gewissheit sagen, Fürstin.«
»Was kann man noch nicht mit Gewissheit sagen?«
»Es ist sicherlich etwas ungewöhnlich, dass sowohl die Braut als auch der Bräutigam spurlos verschwunden sind …« Er räusperte sich wieder, weil ihm plötzlich heiß wurde.
Johann musste sich an der barocken Spiegelkommode festhalten, die zwischen den sattgelben Samtvorhängen stand. Was heißt hier verschwunden, dachte er. Wenn sie wenigstens noch leben würden, dann wären wir schon einen ganzen Schritt weiter!
Die Fürstin lachte. »Aber Johann! Warum hat Paula nicht an Anne-Sophies Schlafzimmertür geklopft? Oder Charlotte?«
Dass Charlotte auch verschwunden ist, sage ich ihr lieber nicht, beschloss Johann. Ihm brach der Schweiß aus, was ihm dienstgradmäßig nicht zustand und auch wegen seines engen Kragens äußerst unschön war.
»Dann wird sie sich gleich melden!«
»Das halte ich für ausgeschlossen.«
»Die jungen Leute haben doch gestern noch eine Riesenparty gefeiert. Ich habe das zwar nicht gebilligt, aber was soll man machen! Sie waren in diesem angesagten Laden in Salzburg, wo auch dieser Tennisspieler und dieser Rennfahrer verkehren. Wie heißt der Schuppen noch gleich … Versailles?«
»Serail, Fürstin.« Johann bekam nun wacklige Knie. »Wir haben in Erfahrung gebracht, dass sie dort gegen Mitternacht weggefahren wären.«
»Na also.«
Nee, nix na also. Diesmal nicht, Durchlaucht.
»Wie einer der Begleiter des jungen Paares dem Besitzer des Etablissements erzählte, wollten Prinzessin Anne-Sophie und ihr Bräutigam noch mit Freunden …« Er unterbrach sich und betrachtete seine blank geputzten Schuhe.
»Johann! WAS wollten die jungen Leute um Mitternacht noch? Sie werden doch nicht zu viel Alkohol konsumiert haben? Oder Marihuana? Am Abend vor ihrer Hochzeit? Das wäre natürlich peinlich!«
»Nein, Fürstin, das ist es nicht.« Johann fasste sich an den Hals, als wollte er seine Fliege lockern. Das wollte er auch, aber das war in Adelskreisen genauso verboten, wie wenn sich unsereins in der U-Bahn die Zehennägel schneidet. »Ihre Tochter Charlotte war auch dabei, und ich fürchte, sie hat das junge Paar da zu etwas angestiftet … Also eigentlich war es diese Fernsehmoderatorin, aber die hat ja nur gesagt, was Charlotte ihr gesagt hat, das sie sagen soll …«
»Johann! Sie faseln!«
»Es ging wohl um eine Wette oder einen Ferrari oder so was.«
»Ja also was denn jetzt! Wette oder Ferrari?«
»Nun ja … der Baron von Tatzmannsdorf kommt ja bekanntermaßen aus Ungarn und ist das Bergsteigen gar nicht gewöhnt. Erst recht nicht nachts, und auf dem Schwarzenberg liegt ja nun auch noch Schnee …«
Die Fürstin war bleich geworden. Sie sank auf das Kanapee und fächerte sich Luft zu. »Charlotte ist Extremsportlerin! Sie wird doch die unschuldigen Kinder nicht …«
»Wem sagen Sie das, Fürstin. Für sie ist kein Gipfel zu hoch, kein Berg zu steil und kein Abenteuer gefährlich genug. Aber sie sollte nicht unterschätzen, dass andere Leute nicht so geübt sind wie sie … Erst recht nicht in dieser unpassenden Kleidung …«
»Sie wollen mir doch jetzt nicht sagen, dass Frederic und Anne-Sophie heute Nacht auf den Schwarzenberg …«
»Prinzessin Charlotte ist sogar während ihrer drei Schwangerschaften bis zuletzt auf den steilsten Skihängen herumgesaust oder im Galopp geritten«, versuchte der Butler noch einmal Land zu gewinnen. »Sie erinnern sich, Fürstin, der Hofrat Kirchengast hat daraufhin seine medizinische Verantwortung für die Fürstenfamilie niedergelegt …«
»Johann, jetzt hören Sie endlich auf, über Charlotte zu reden! Ich WEISS, dass Charlotte verrückt und wahnsinnig ist!« Die Fürstin fasste sich mit fahriger Geste an die Schläfe. »Wahrscheinlich habe ich sie zu früh vom Topf geholt«, schalt sie sich selbst. Die Fürstin war nun ziemlich außer sich, ein Zustand, der Johann so noch nicht geläufig war.
»Was ist mit dem Brautpaar?«, fuhr sie herum. »Sagen Sie mir bitte nicht, dass die beiden noch im Berg hängen, eine Stunde vor ihrer feierlichen Trauung im Schloss!«
Unpassenderweise begann in diesem Moment das Streichquintett, das mit Mozart-Perücken und in historischen Kostümen auf der Freitreppe stand, die »launische Forelle« von Schubert zu spielen. Die Fürstin sprang auf und knallte die Fenster zu. Doch das war mehr eine hilflose Geste des Zorns als eine nützliche Tat. Johann machte sich nicht mal die Mühe, der Fürstin beim Fensterschließen zu helfen.
Vom Park her war nach wie vor Stimmengewirr und Gelächter zu hören. Immer mehr prunkvolle Limousinen und überfüllte Busse fuhren vor, immer mehr fein herausgeputzte Gäste entstiegen ihnen und staksten vornehm über den roten Teppich. Die Pressefotografen drängelten sich hinter der Absperrung wie in New York Ratten um eine Mülltonne und riefen: »Durchlaucht! Bitte einmal lächeln!« Dann entstand aufgeregtes Gerangel. »Mein Gott, sie kommt in Stulpensöckchen! Prinzessin Stephanie! Nicht so ernst! Baron von Eulenberg! Schauen Sie auch einmal zu uns herüber?! Großherzogin Maria Teresa! Einmal hier, bitte freundlich winken! – Kann denn mal einer die dicke Justine aus dem Bild zerren?«
Es war das übliche Zeremoniell. Die adligen Herrschaften produzierten sich einige Augenblicke lang mit einem eingefrorenen Lächeln wie Pfauen aus dem Tierpark Hellbrunn und schritten dann die Freitreppe hinauf ins Innere des Schlosses, wo keine Pressefotografen zugelassen waren. Im Vorbeigehen schnappten sie sich noch schnell ein Glas Champagner oder einen bonbonfarbenen Cocktail, der von livrierten Pagen gereicht wurde.
Johann straffte sich. Es hatte ja doch keinen Zweck, die Sache noch weiter hinauszuzögern.
»Leider ist es sehr wahrscheinlich«, sagte er so würdevoll wie möglich, »dass die drei jungen Leute nach Mitternacht noch auf den Schwarzenberg gestiegen sind.«
So. Nun war es heraus. Der Butler sehnte sich so sehr nach einem Schnaps, dass er schon fast halluzinierte.
Fürstin Patricia versuchte, tief ein- und auszuatmen.
»Johann, Sie sind albern. Da oben liegt meterhoch festgefrorener Altschnee! Es herrscht absolute Lawinengefahr, und das weiß Charlotte ganz genau!«
»Das entspricht leider den Tatsachen, Fürstin.«
»Sie würden nie wagen, in so einer Angelegenheit mit mir zu scherzen!«
»Nein, das würde ich nicht. Das hielte ich für ausgesprochen … geschmacklos.«
»Ich würde Sie aus dem Fenster werfen. Das wissen Sie.«
»Natürlich, Fürstin. Ich muss gestehen, dass mir diese Variante noch lieber wäre als die, mit der wir uns nun leider abfinden müssen.«
Gut gelaunt auf einer ziemlich abgelutschten Zigarre herumpaffend, verließ der alte, schon leicht klapprige Fürst Leopold sein Ankleidezimmer. Es hatte etwas gedauert, bis er mithilfe seiner zwei Butler in die offizielle Uniform mit den goldenen Schulterklappen gelangt war, denn die war nicht unbedingt aus schmuseweicher Stretchqualität, aber nun war die Verkleidung perfekt. Immerhin war Fürst Leopold ein direkter Nachfahre Kaiser Wilhelms des Zweiten, und sein eigener Vater hatte noch im Ersten Weltkrieg gedient. Und im Zweiten auch, aber das führt uns jetzt in die Normandie und in den strengen Vierundvierziger Winter, und das muss jetzt wirklich nicht sein. Auf seiner alten Vaterbrust prangten die vielen Orden, die Fürst Leopold im Laufe seines Lebens errungen hatte. Es war allerdings nicht so, dass Leopold noch selbst im Krieg gewesen wäre: Die Orden bekam man als Landesfürst auch zu ganz anderen Anlässen. Die Österreicher vergeben und tragen gerne Orden, und das war dem alten Fürsten ganz recht. Wenn man schon sonst nicht mehr so viel Spaß im Leben hatte – immerhin näherte sich der Fürst seinem zweiundachtzigsten! –, konnte man sich wenigstens seine besten Erinnerungen an die Uniform stecken. Eine blaue Schärpe, die nur zu besonderen Anlässen getragen wurde, krönte die ganze fürstliche Erscheinung. Fürst Leopold von Hohensinn hatte sie schon bei seiner eigenen Hochzeit getragen, im Jahre 1960, als er Patricia zu seiner Frau machte, was übrigens im Nachhinein betrachtet keine Fehlentscheidung gewesen war. Die Vorfreude auf die Hochzeit seiner hübschen und begabten Lieblingstochter Anne-Sophie stand dem alten Fürsten deutlich ins Gesicht geschrieben. Er hatte schon vor Jahren die Begegnung zwischen ihr und dem Baron Frederic von Tatzmannsdorf aus Ungarn arrangiert. Der junge Mann spielte fantastisch Klavier, und seine Tochter Anne-Sophie beherrschte virtuos das Cello. Das wurde zwar schon mehrfach erwähnt, aber der Fürst freute sich immer wieder darüber.
Die junga Leit passen wirklich guat zamm, dachte er vergnügt. Wenn er dachte, dachte er immer in seiner Pinzgauer Mundart. Des taugt ma, dass ich den jungen Bursch’n zum Studiern ans Mozarteum g’holt hab, den ungarischen. A Ehepaar sollt’ a gemeinsame Leidenschaft ham, dachte er, dann wird des auch was. Patricia und ich san jetzt 45 Jahr glücklich verheirat und ham vier prächtige Kinder. Ja, sowas kimmt doch net von ungefähr! Wir ham a gemeinsame Leidenschaft, und des ist unser Fürstentum, unser Besitz Schloss Hohensinn. Charlotte, dachte er erbost. Sieben Jahr is sie jetzt mit diesem Nichtsnutz Eberhard zu Fragstein verheirat, nur weil er ihr damals schöne Aug’n g’macht hat. Aber auf’s Geld war er aus, der Sauhund, und total unglücklich ist des Dirndl. Charlotte und Eberhard, die kenna nach außen hin noch so harmonisch tun, dachte der alte Fürst betrübt, mich täuschen’s nicht. Die ist ja schon ganz verrückt mit ihrem Extremsport, rennt immer um den ganzen Attersee und den Wolfgangssee noch dazu. Ganz narrisch is word’n und fetzt mit ihrem Rennradl umeinand, dass einem ganz schwindlig wird. Sie kümmert sich net um die Kinder, weil ihr der Eberhard so auf die Nerven geht, und was der für Weiberg’schicht’n am Laufen hat, dachte er, will i goa net wissen. Und auch bei meinem Ältesten, dem Ferdl, ist nicht alles zum Besten bestellt, ging es ihm weiter durch den greisen Kopf – und das alles, während er schon in voller Montur vor seiner Kammertüre stand, nicht wissend, wohin er eigentlich hatte gehen wollen, bevor ihn diese Gedanken überfielen. Aber ihr dürft dem Fürsten nicht böse sein, denn er denkt das ja alles nur deshalb in dieser Ausführlichkeit, damit ihr, liebe Leser, die Fürstenfamilie mal eben schnell kennenlernt. In einer Fernsehserie laufen die Hauptdarsteller ja immer wieder durchs Bild, und irgendwann erkennt man sie dann auch wieder. Die mit dem breiten Hut zum Beispiel ist die Senta Berger als Fürstin. Iris Berben gibt die angeheiratete Schwägerin und Ruth Maria Kubitschek die Baronin Justine. Oder wie heißt diese andere noch gleich, die immer die feinen Damen spielt? Christiane Hörbiger, genau. Und da schnallt man irgendwann: Das ist jetzt die Fürstin. Susanne Uhlen kann ja dann eigentlich nur noch die Schwiegertochter sein und Barbara Wussow die Tochter. Sascha Wussow gibt den Förster und Sascha Hehn ist der Baron mit der eigenen Pferdezucht. Und der Christian Kohlund, na ja, der wird auch immer dicker. Aber im Roman muss man die einzelnen Protagonisten alle mühsam erklären, und deshalb, liebe Leser, denkt der alte Fürst das alles. Aber er denkt nie lange. Nur noch ein letzter Gedanke über seinen zukünftigen Schwiegersohn Frederic:
Dieser ungarische blasse Baron ist vielleicht net ganz von unserm Schlag, dachte er. Der kann keinen Hirsch net schießen und keine zehn Schnapserl trinken, ohne dass er zu schwanken anfangt. Aber geh, Dirndl, sag i, der Mann kann Klavier spüln und dös is genau, was du brauchst, damit du amol glücklich und zufrieden bist. Und jetzt heirat’st den, und a Rua is.
Genüsslich paffte er an seiner Zigarre. Elisa, das dralle Stubenmädchen im ersten Lehrjahr, stand in respektvollem Abstand mit dem silbernen Aschenbecher hinter ihm. Wie lange schon, weiß ich jetzt gar nicht. Ich habe sie nicht kommen hören. Fürst Leopold legte seine abgelutschte Zigarre mit wohlwollendem Blick auf Elisas appetitliches Dekollet hinein.
Das dralle Stubenmädchen knickste.
Gut gelaunt klopfte der Fürst, der sich schon drei oder vier Schnapserl gegönnt hatte, an die Tür der Privatgemächer der Fürstin Patricia.
»Weiberl! Loss mers angehn! I bin so weit!«
Auf der schon erwähnten Freitreppe wurde indes ungeachtet der sich anbahnenden Dramen in den höheren Etagen unverdrossen weiter Champagner getrunken. Die erlauchten Gäste versammelten sich, einander neugierig musternd, im großen Spiegelsaal, wo zwei Dutzend adrett angezogener Zofen und junge Butler mit Silbertabletts voller zierlicher Appetithäppchen umhergingen. Auf einer Anhöhe unter den Marmorsäulen spielte das große Mozarteum-Orchester zur Einstimmung die »Kleine Nachtmusik«. Ähnlich wie gestern im Serail hörte jedoch auch hier niemand zu. Der Dirigent konnte drauflosrudern, wie er wollte, er hätte sich auch das Toupet vom Kopf reißen können: Niemand war bereit, ihm Beachtung zu schenken.
Später, während der kirchlichen Trauung im Dom zu Salzburg, würde das Orchester mitsamt Chor, Solisten und Dirigenten die »Krönungsmesse« von Mozart zu Gehör bringen. Die unerschrockene Gräfin Esterhazy, ihres Zeichens ausgebildete Mezzosopranistin, würde das »Agnus Dei« singen, eine Partie, die erst einmal durchgestanden werden will. Zuerst aber sollte die standesamtliche Trauung im Schloss stattfinden. Und zwar in zwanzig Minuten, wenn ich jetzt auf die Uhr schaue! Auf der fürstlichen Einladung hatte gestanden, dass man um elf Uhr dreißig nach einem Champagnerempfang mit »musikalischen Schmankerln« ins Fürstenzimmer des Schlosses bitte, wo Prinzessin Anne-Sophie dem Baron von Tatzmannsdorf das Jawort zu geben gedenke.
Hinter einer samtverkleideten Tür hörte man, wie sich zwei Sängerinnen einsangen. »Schöne Nacht, o Liebesnacht, o stille das Verlangen«, ertönte das Duett der Sopranistin mit dem Mezzo aus »Hoffmanns Erzählungen« von Jacques Offenbach. Die Sopranistin war eine gefeierte Russin, die extra aus Chicago eingeflogen war, wo sie gerade die Titelpartie in »La Traviata« sang, und die Gräfin Esterhazy wohnte sowieso in Ering am Inn. Ein berühmter englischer Bariton, der sonst im »Don Giovanni« glänzte und sich bereits mit dem Titel »Sir« schmücken durfte, probte am anderen Ende des Saales mit dem Pianisten »Ich liebe dich« von Beethoven.
Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass der warm bebende Bariton seine Noten und seinen Pianisten einpacken und gehen würde, bevor es vom Schlossturm her zwölf Uhr schlug.
Die adligen Gäste plauderten also immer noch ahnungslos, hier und da wurden kleine Gehässigkeiten ausgetauscht oder man schlug die Zeit durch hohles Geschwätz tot. Die jovial den Bauch herausstreckenden Herren protzten mit ihrem letzten Jagdabenteuer, die Damen heuchelten Begeisterung, was die Festtracht ihrer Gesprächspartnerin anbelangte, oder schwärmten von ihren Segelyachten, Gärtnern, Chauffeuren oder Golflehrern.
Die Söhne des Fürstenpaars, Erbprinz Ferdinand und sein jüngster Bruder Alexander, genannt Sascha oder von gleichgeschlechtlichen Nahestehenden auch Saschi, liefen nervös durch die Reihen. Die Hände in den Trachtensmoking-Taschen, die Schultern hochgezogen, ahnungslos. Noch.
Wo blieben denn ihre Eltern, das Fürstenpaar? Das war doch alles andere als schicklich, die adligen Herrschaften hier unten im Saal sich selbst zu überlassen! Die »Kleine Nachtmusik« hatte sich längst zu einer Großen Nachtmusik ausgeweitet; inzwischen war man beim dritten Durchgang angelangt! Das merkte zwar niemand, aber dennoch: Hier stimmte etwas nicht!
Und warum war das Brautpaar noch nicht aufgetaucht?
Auch vermissten die beiden jungen Fürstensöhne ihre Schwester Charlotte, die Extremsportlerin. Sie würde doch wenigstens heute darauf verzichten, einen Vierzig-Kilometer-Höhenlauf zu machen? In dieser Hinsicht war sie ihrer direkten Vorfahrin Kaiserin Sissi sehr ähnlich. Wahrscheinlich hatte sie dieses Extremsport-Gen von ihr geerbt. Auch Sissi war ja bekanntermaßen im Laufschritt über die Berge geeilt. Also bei Bad Ischl die Kathrin-Alm rauf und runter, ganz ohne Gondel oder so, voll durch die Schneisen und über die Bergrücken im langen Rock mit geschnürter Taille, sodass ihre Dienstboten mit dem Picknickkorb gar nicht hinterherkamen. Sie war süchtig nach Bewegung gewesen und hatte sich, genau wie ihre Nachfahrin Charlotte von Hohensinn, täglich durch extremes Hungern und extremen Sport kasteit. Trotz ihrer sechs Kinder hatte sie Kleidergröße 34 gehabt, und genau das war das Ziel, das Charlotte immer im Auge behielt.
»Weißt du, was ich glaube?«, fragte der älteste, Erbprinz Ferdinand im steifen Lodenanzug, seinen jüngsten Bruder Sascha. »Die pennen noch.«
»Quatsch. Mami hätte sie längst aus dem Bett geworfen.«
»Und unser liebes Kindermädchen Paula hätte sie unter die kalte Dusche gesteckt.«
»An seinem Hochzeitstag verschläft man nicht. Jedenfalls nicht in unseren Kreisen«, äffte Ferdinand das gute alte Kindermädchen nach.
»Also ist irgendwas im Busch. Hatten die gestern Nacht Krach?«
Alexander, genannt Sascha, der als Einziger von den vier Fürstenkindern noch nicht in festen Händen war – und, wie alle wussten, es im bürgerlichen Sinne auch nie sein würde, da er den warmen Händedruck bevorzugte –, hatte einen besonders guten Draht zu Paula, dem behäbigen Kindermädchen. Paula war eigentlich kein Mädchen mehr, denn sie zählte bereits 67 Lenze und brachte gut und gern das Doppelte in Kilo auf die Waage.
»Ich frage Paula. Vielleicht ist Anne-Sophie bei ihr und heult.«
Das ist ja bekannt, dass Bräute zwanzig Minuten vor ihrer Hochzeit kalte Füße kriegen und alles rückgängig machen wollen. Dabei haben sie einfach deshalb kalte Füße, weil Socken in Riemchensandalen scheiße aussehen.
Gerade als Sascha – also Prinz Alexander, der jüngste Fürstensohn – ins Stammhaus hinübergehen wollte, um das geliebte, alte, klobige und grobschlächtige Kindermädchen aufzusuchen und in Erfahrung zu bringen, warum hier alles so schleppend in Gang kam, lief er seinem verhassten Halbbruder Gerthold von Schweinitz über den Weg.
Den muss ich jetzt leider auch noch anmoderieren, liebe Freunde. Den kann ich euch nicht ersparen, denn der wird noch eine entscheidende Rolle spielen in der ganzen Fürstensülze. Aber dann haben wir sie auch, die gesamte Adelssippe.
Jetzt nicht auch noch Holdi, das Schwein, schoss es Sascha durch den Kopf. Jetzt nicht auch noch der. Jeder, aber der nicht. Da hör ich lieber noch ein viertes Mal die »Kleine Nachtmusik«. Er wollte schon eilig den Rückzug antreten, als sein verhasster Halbbruder Holdi auch schon direkt Kurs auf ihn nahm. Er hatte wie immer ein Häppchen in der einen und ein Glas in der anderen Hand und wahrscheinlich auch noch ein bis zwei Häppchen im Mund. Auf seiner Krawatte war jedenfalls ein Fleck.
Der Baron Gerthold von Schweinitz war das Produkt eines vorehelichen Abenteuers seines Vaters Leopold mit der Baronin Justine von Schweinitz, und wenn er wenigstens cool gewesen wäre, hätte man ihm seine Herkunft verziehen. Aber da konnte man lange darauf hoffen.
Holdi, das Schwein, lebte mit seinen zweiundfünfzig Jahren immer noch bei seiner Mutter, der Baronin Justine von Schweinitz. Sie war im Gegensatz zu Fürstin Patricia eine dickliche, unansehnliche alte Frau geworden. Ihren Gram darüber, vom Fürsten Leopold nicht geehelicht worden zu sein, betäubte sie seit einem halben Jahrhundert mit übermäßigem Essen, vorzugsweise von Sachertorte, und mit Trinken von beispielsweise Eierlikör oder süßem Sherry.
Alles völlig sinnlose, nährwertarme Kalorienbomben, die nicht jedermann gut tun.
Holdi, das Schwein, fraß sich mit Vorliebe bei anderen Leuten durch. Da war er nicht wählerisch. Kein Bankett, bei dem Holdi nicht als Erster am Buffet stand. Kein Dinner, bei dem er nicht hungrig bei Tisch saß, keine Party, bei der es irgendwas umsonst gab, ließ er sich durch die Lappen gehen. Holdi, das Schwein, war so sicher anwesend wie das Amen in der Kirche.
Ausgerechnet Holdi, der alte Schleimer, stellte sich nun Alexander, den Freunde Sascha nannten, und ganz enge Freunde Saschi, in den Weg.
»Saschi, Bruderherz!«
Da hatte er seinen jungen Halbbruder aber auf dem falschen Fuß erwischt. Wenn Alexander etwas nicht leiden konnte, dann war es der falsche Kosename zur falschen Zeit am falschen Ort vom falschen Mann.
»Hoffentlich hast du deine Alte heute zu Hause gelassen.« Das war zwar keine offizielle Begrüßung auf einem Hochzeitsbankett, aber Holdi, das Schwein, peilte sowieso nichts.
»Ist eine Hochzeit nicht ein Fest der Liebe? Und wenn ich mein Schwesterlein in den heiligen Ehestand begleite, werde ich doch meine alte ehrwürdige Mutter nicht allein zu Hause lassen! Hier, magst an Schluck Schampus? Siehst aus, als hättest du ’ne Alko-Pille dringend nötig!«
»Holdi, geh leck mi …«
»Wie sieht’s denn mit dir aus, Bruderherz? Immer noch kein Weibsbild gefunden, das deinen elitären Ansprüchen genügt?«
Ich bin so schwul, wie du ein armseliger Gratis-Fresser bist, dachte Alex, genannt Sascha, aber das werden wir zwei wohl nie klären.
»Wenn du eine Frau findest, die bereit ist dich zu heiraten, reden wir weiter.« Sascha warf seinem ungeliebten Halbbruder Holdi einen Blick zu, der nichts als Abscheu enthielt.
Neben seinem unterirdischen Benehmen war jedoch das Schlimmste an Holdi, dass er immer versuchte aufzufallen, um überhaupt bemerkt zu werden. Eben noch hatte er sich stundenlang auf dem roten Teppich herumgedrückt und immer wieder versucht, hinter besonders berühmten Hoheiten her zu schreiten, um wenigstens im Hintergrund eines Fotos zu sehen zu sein, bis er schließlich aus dem Bild gewinkt worden war.
»Der Herr da im Hintergrund! Könnten Sie mal zur Seite gehen?«
Solcherlei Erniedrigungen schienen Holdi nicht im Mindesten zu kränken.
»Also, schleich di, Holdi, i hab heute noch was vor!«
»Saschi, dein Humor ist mal wieder überwältigend! Von der ganzen fürstlichen Bagage bist du mir der Liebste!« Der schwabbelige, bleiche Gerthold versuchte Alex zu umarmen – eine Vorstellung, bei der mir ganz schlecht wird.
Alexander ging es da ganz genauso. Er wollte sich schleichen, aber der klebrige Holdi ließ immer noch nicht von ihm ab:
»Sag, wird denn die bezaubernde Braut auch heute an ihrem Ehrentag ihr Cello zwischen die Beine nehmen?«
Was für ein Widerling! Meine Lektorin findet diesen Ausspruch zu vulgär und bat mich ihn zu streichen.
Aber wenn Holdi doch so redet! Was soll ich denn machen!
Ich kann ihm ja nicht den Mund verbieten. Schließlich ist er ein Fürst – zumindest der Bastard von einem Fürsten –, und ich bin eine Bürgerliche. Dafür allerdings ehelich geboren.
»Geh Holdi, konnst mir ’n Hobel blasen!«
»Das hättst wohl gean, was, alter Schwerenöta! Aber i bin vom richtigen Ufer!«
»An deinem Ufer möchte i net tot übam Zaun hängen!«
Nach diesem unerfreulichen Disput zwischen zwei ungleichen Halbbrüdern gelang es Prinz Alexander endlich, den feisten Gerthold stehen zu lassen.
So, jetzt haben wir den auch abgefrühstückt.
Eilig lief Sascha zu seiner alten, gütigen, behäbigen Kinderfrau Paula hinüber, die fein ausstaffiert im schwarzgoldgestickten Trachtengewand mit resch gestärkter Bluse im Stammhaus auf und ab ging.
»Gell, Alex, du spürst auch, dass etwas nicht stimmt!«
»Also Paula, wenn du mich fragst, dann hängen die noch im Berg, die Narrischen!«
Paula nickte unter Tränen. »Ich hab ihnen versprechen müssen, dass ich euren Eltern nix sag …«
»Paula! Weißt du irgendwas? Los! Sag schon!«
Die alte Kinderfrau drückte Alex an sich. »Wie oft hab ich zu euch gehalten, wenn ihr wieder was ausgefressen habt! Immer hab ich euch gedeckt! Verteidigt hab ich euch, wie eine Glucke ihre Küken! Aber diesmal war’s ein Fehler, nix zu sagen!«
»Was denn, Paula, was denn?« Alex ergriff die Hände der alten Kinderfrau. Sie waren eiskalt, rau und rissig.
»Auf’n Berg haben’s halt unbedingt noch müssen! Mit Fackeln wollten’s auffi, um Mitternacht! Die Charlotte hat die Idee gehabt, weil des ja so a Verrückte ist!«
»Woher willst du das wissen?«
»Sie hat’s mir ja selbst erzählt, gestern in der Früh! Der Tatzmannsdorfsche, hat sie gesagt, der soll genau so’n Polterabend kriegen wie die andern Mannsbilder hier. Und ich denk mir für den noch irgendwas aus, dass er zeigen kann, dass er a Mannsbild ist.«
»Ich dachte, das hatte was mit dem Ferrari zu tun!«
Ja, das dachte ich jetzt eigentlich auch, so hatte ich das ja eigentlich eingetütet, aber egal jetzt.
»Und die Moderatorin, die damische, hat’s dann ganz laut verkündet, da konnte der junge Baron nimmer z’ruck! Glück soll’s bringen, in der Nacht vor der Hochzeit bei Vollmond auf’m Gipfel vom Schwarzenberg zu stehen … Und der Braut soll er frisches Edelweiß ins Haar stecken, weil’s dann viele Kinder bekommen. So ist es bei uns der Brauch …«
»Also ich weiß nur was von ›nem Ferrari«, beharrte Alexander. Der hätte ihn jedenfalls mehr interessiert als die Sache mit den vielen Kindern.
Paula brach in Tränen aus. »Wenn’s jetzt noch nicht zurück san, dann kommen’s auch nimmer!«
»Scheiße!«, schrie Prinz Alexander. »Und ich hab wieder mal nix mitgekriegt!«
Jedenfalls musste jetzt gehandelt werden, so viel war ihm klar. Auch wenn er sich nun darüber ärgerte, dass er sich um Mitternacht mit einem Kellner namens Thorsten abgesetzt hatte, statt die Gaudi mit dem Schwager mitzuerleben: Jetzt hieß es keinen falschen Handgriff mehr tun. Er schob Paula zur Seite und griff zum Telefon.
Die Rettung war bereits alarmiert worden. Der Oberförster Matthias Freinberger hatte bei seinem frühmorgendlichen Rundgang bemerkt, dass das Jagdhaus des Fürsten Ernst von Solms benutzt worden war. Es lag oberhalb des Mayrsteigs am Ende des Forstwegs, beim Aufstieg zum Schwarzenberg, aber noch unterhalb der Schneegrenze. Ich könnte euch das jetzt noch genauer erklären, aber das wollt ihr wahrscheinlich gar nicht.
Mehrere Jeeps mussten in der Nacht hier heraufgefahren sein, der Förster sah Spuren im Waldboden. Der Fürst von Solms, ein gutmütiger alter Dicker, dessen Joppe schon über dem Wohlstandsbauch spannte, weilte gerade in Monte Carlo, um dort ein bisschen mit seiner Yacht herumzuschippern. Das tat er gern, wenn es im Mai in Salzburg noch kühl war, und er den Frühling auf dem Mittelmeer begrüßen konnte. Also konnte er das Haus nicht bewohnt haben, und ihr könnt ihn auch gleich wieder abhaken. Mit einem Zweitschlüssel, den ihm der Fürst anvertraut hatte, öffnete der Förster die Tür. Der Jagdhund Benno schnüffelte sofort im Wohnzimmer herum. Es roch nach vielen Menschen, nach Alkohol und kaltem Rauch. Auch eine leichte Marihuanawolke lag noch in der Luft. Auf dem Tisch standen ein Dutzend leere Flaschen Röderer Kristall. Was Benno weitaus mehr begeisterte, waren die Reste von der Gänseleberpastete. Aufgeregt sog er ihren Duft ein. Und zwar weil er ein gut erzogener Jagdhund war. Schlecht erzogene, überzüchtete Golden Retriever wie meiner beispielsweise halten sich nicht lange mit Schnüffeln auf, sondern verziehen sich mitsamt der halbleeren Gänseleberpastetendose sofort in irgendeine Sofaecke.
Der Oberförster hob eine halbleere Dose hoch: Es war George Brück. Vom Feinsten. Hier hatte ganz offensichtlich eine Party stattgefunden, und man hatte noch nicht die Gelegenheit gehabt, aufzuräumen.
Er inspizierte noch die anderen Räume, fand aber niemanden vor.
Die Schlafzimmer waren unbenutzt, aber auf der Stiege entdeckte er Blutspuren.
»Da is was faul. Komm, Benno!«
Der Förster war kein Freund langer Selbstgespräche, aber er kam nicht umhin, seinem Hund mitzuteilen, was in seinem Kopf vorging.
»Da regt sich in mir ein ganz fürchterlicher Verdacht …«
Eilig lief er zu seinem Geländewagen, Benno sprang auf den Beifahrersitz.
»Wenn das mal nicht die Hochzeitsg’sellschaft war!«
Matthias Freinberger schaute auf die Uhr an seinem behaarten Unterarm, der aus einem blauschwarzkarierten Flanellhemd unter einer Lederweste hervorschaute. Halt volle Möhre das Försterklischee.
»Gerade mal sieben Uhr früh. Da kann ich die hochherrschaftlichen Schläfrigkeiten noch nicht aus ihrem Alkoholrausch reißen, was meinst, Benno?«
Der Hund hechelte. Erwartungsgemäß. Der Förster war ein kluger Mann, er machte sich keinerlei falsche Vorstellungen darüber, wie einseitig die Unterhaltung mit einem Hund doch letztendlich sein kann.
»Schaun wir mal, was los is!«
Der Hund hechelte weiterhin. Der Förster wertete das als Zustimmung, wenn nicht sogar als Vorfreude auf ein kleines Abenteuer. Wenn der Förster ehrlich mit sich war, musste er zugeben, dass es ihm genauso ging.