GAARSON-GATE: Die 4. Kompilation - Wilfried A. Hary (Hrsg.) - E-Book

GAARSON-GATE: Die 4. Kompilation E-Book

Wilfried A. Hary (Hrsg.)

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Beschreibung

GAARSON-GATE: Die 4. Kompilation

Wilfried A. Hary (Hrsg.):

„Die Bände 31 bis 40 der Serie hier in einem Buch zusammengefasst!“

 

  1. November 2452 = Die von den Astro-Ökologen prophezeite Gaarson-Katastrophe tritt ein (Bände 1 bis 3) - ab diesem Zeitpunkt befindet sich die Erde in einer Zone der veränderten Naturgesetze, innerhalb derer die GAARSON-GATES (kurz: GG) wie Transmitter fungieren können, aber die bisherige Raumfahrt nicht mehr möglich ist. Diese Zone breitet sich unaufhaltsam mit Lichtgeschwindigkeit aus.

Die neue Raumfahrt benötigt in der Folgezeit sogenannte Mutanten. Man nennt sie von nun an in Anlehnung an einen Begriff aus der Science Fiction des ausgehenden 20. Jahrhunderts PSYCHONAUTEN.

Auf PULSAR-7 wird Jagd auf Mutanten gemacht, um sie für die ehemaligen Machthaber der Erde als Psychonauten nutzbar zu machen.

Die Mutanten versuchen, zu entkommen...

 

Die in dieser Kompilation enthaltenen Romane sind:

 

31 »Prupper-Menschen« W. A. Travers (7/02)

32 »Die sterbenden Städte« W. A. Travers (8/02)

33 »Rückkehr ins Paradies« W. A. Travers (9/02)

34 »Bruderkrieg« W. A. Travers (10/02)

35 »Das Geheimnis der zwei Monde« W. A. Travers (11/02)

36 »Entscheidung im All« W. A. Travers (1/03)

37 »Legion der Verlorenen« W. A. Travers (3/03)

38 »Rätsel aus dem All« W. A. Travers (5/03)

39 »Insel der Grauen« Wilfried Hary (7/03)

40 »Coras Flucht« Wilfried Hary (9/03)

 

Klammerangaben: Ersterscheinung nach Monat und Jahr!

 

Immer Ihr Wilfried A. Hary (Hrsg.)

 

Gaarson-Gate - die große, in sich abgeschlossene Science-Fiction-Serie!

 

Diese alternative SF-Serie umfasst in der Heftversion insgesamt 77 Bände.

 

GAARSON-GATE ist die Schwesterserie von STAR GATE - das Original!

 

Verfolgen Sie die Abenteuer der Menschheit in über vierhundert Jahren. Erleben Sie die ferne Zukunft hautnah – und bangen Sie mit: Wird die Menschheit das größte Abenteuer ihrer Geschichte heil überstehen?

 

 

Sämtliche Rechte und uneingeschränktes Copyright weltweit: hary-production.de

 

Copyright neu 2019 by HARY-PRODUCTION * Canadastraße 30 * D-66482 Zweibrücken * Telefon: 06332 48 11 50 * HaryPro.de * eMail: [email protected]

 

Sämtliche Rechte vorbehalten!

Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung von HARY-PRODUCTION!

 

Titelbild: Gerhard Börnsen

Covergestaltung: Anistasius

Lektorat: David Geiger

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Wilfried A. Hary (Hrsg.)

GAARSON-GATE: Die 4. Kompilation

„Die Bände 31 bis 40 der Serie hier in einem Buch zusammengefasst!“

Nähere Angaben zum Herausgeber und Autor siehe WIKIPEDIA unter Wilfried A. Hary: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Impressum:

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

 

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

 

ISSN 1614-3299

 

Diese Fassung:

© 2019 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: [email protected]

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

 

Coverhintergrund: Anistasius

Titelbild: Gerhard Börnsen

Logo: Gerhard Börnsen

GAARSON-GATE 031

 

Prupper-Menschen

W. A. Travers: „Ihre Vorfahren lebten auf der Erde - und doch sind sie ein lebendes Rätsel!"

Die drei Verbannten John Millory, Petro Galinksi und Cora Stajnfeld geraten auf ihrer unfreiwilligen Reise durch das GG-Netz auf eine Welt, die von ihren Bewohnern Erde genannt wird und auf der vor etwa einhundert Jahren ein irdischer Mythos Wirklichkeit wurde: Atlantis und das sagenumwobende Land Mu sind durch vulkanische Tätigkeiten neu entstanden!

Mitten im Inferno finden sie den Eingang in eine kleine, abgeschottete, künstliche Welt: Ein Raumschiff, das seit Jahrtausenden verschüttet ist. Sie erfahren, daß genau das gleiche auch einst auf der Erde geschah und dort die Legende von Atlantis und Mu verursachte.

Und dann begegnet ihnen an Bord jemand, der nur ein Geist sein kann...

*

»Ihr habt viele Rätsel angetroffen auf eurer Reise. Das Zentralrätsel ist zunächst: Wer sind die Prupper-Menschen, wie ihr sie nennt? Wer sind sie, die auf den von euch besuchten Welten leben? Sie haben diese Welten nach dem Großen Krieg der eigentlichen Prupper als Ruinenwelten übernommen und neue Zivilisationen gegründet - mit der Technik der eigentlichen Prupper. Aber woher kamen sie, die sie wie aus dem Nichts auftauchten, und wieso sehen sie aus wie Menschen? Dabei ist diese Frage sehr leicht zu beantworten. Es SIND Menschen! Es sind Menschen von der Erde. Nicht sie selbst allerdings kamen von der Erde, sondern ihre Vorfahren, die sich vor Jahrhunderten auf vielen Planeten - wenn auch bei weitem nicht auf allen, wie ihr noch feststellen werdet - des ehemaligen Prupper-Imperiums niederließen.«

»Das ist Quatsch!« sagte Cora Stajnfeld ruhig und leidenschaftslos. »Es sind viele Milliarden von Prupper-Menschen. Wenn so viele in einem gigantischen Exodus vor Jahrhunderten die Erde verlassen hätten, also über die inzwischen erfolgten Besiedlungen entdeckter Planeten hinaus... Wir werden belogen - erst von dem Computer, der anscheinend in Ihrem Auftrag handelte - und jetzt von Ihnen. Und ich habe Ihre Stimme wiedererkannt, trotz der Verzerrung, denn ich gelte als einer der größten Experten, was Ihre Arbeit betrifft.«

»Neben mir!« bestätigte John Millory. »Wir sind beide unangefochten Experten in diesem Thema, glauben Sie mir.«

»Ich weiß!« sagte die Gestalt. Es klang bedauernd. »Eigentlich schade, daß ihr die Stimme erkannt habt. Aber ihr irrt euch trotzdem: Ich bin es nicht persönlich, zumindest nicht körperlich.«

»Tipor Gaarson - und zwar nicht der gegenwärtige gleichnamige Weltpräsident auf der guten, alten Erde, sondern das Genie Tipor Gaarson, das uns den Gaarson-Effekt bescherte - damals im Jahre 2052!« sagte John Millory gedehnt.

Petro an seiner Seite glotzte ihn an, als sei er ein Gespenst.

»Wie gesagt, John, ich bin kein lebender Mensch mehr. Ich starb, wie ihr wißt, am 13. Januar 2091.«

»Nein, das weiß heute niemand mehr so genau. Es gab eine Beerdigung. Es gab Festreden... Aber ist es nicht vielmehr so, als wäre das unglaubliche Genie Tipor Gaarson damals einfach... verschwunden?«

»Eine Legende, die später entstand, Cora. Glauben Sie mir. Ich bin gestorben, wie jeder normale Mensch auch. Was jetzt hier zu euch spricht... Das bin ich nicht wirklich, also nicht im Original, sondern... eine Art Kopie von mir, entstanden im Augenblick meines Todes.«

»Eine Kopie!« Cora nickte. »Als Sie vorhin sagten, vor Jahrhunderten wären all diese Menschen direkt von der Erde hierher gekommen, um die Planeten zu besiedeln... Das ist unmöglich. Es wäre geschichtlich verankert, wenn so viele Menschen verschwunden wären. Es müßte ja im einundzwanzigsten Jahrhundert geschehen sein - vielleicht waren Sie am 13. Januar 2091 der erste dieser Art, aber eben nicht der einzige? Wie dem auch sei: In der Tat haben wir viele Dinge aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert auf unserer Reise entdeckt - nur eben entsprechend weiterentwickelt. Auf jeder Welt, die wir besuchten, in einem anderen, in einem gewissermaßen individuellen Maße.«

»Ich sehe schon, es nutzt alles nichts. Es war vielleicht ein Fehler, euch dreien das alles jetzt schon zu offenbaren. Man kann euch nichts vormachen.«

»Kopien!« sagte Petro betont. »Jetzt kapiere ich es endlich auch. Sie sind die Kopie von Tipor Gaarson. Seit Jahrhunderten am Leben, wenn ich das einmal so nennen darf. Oder sind Sie die x-te Kopie von der Kopie?«

Keine Antwort.

»Und alle Menschen, die hierher kamen, ins ehemalige Imperium der Grauen Prupper«, sagte John: »Es sind Menschenkopien! Sie haben sogar die Namen mitgebracht. Aber warum haben sie nicht auch ihre Sprache mitgebracht? Wieso?«

»Kommt ihr da nicht selber drauf?«

»Ja, natürlich!« rief Petro aus. »Sie haben keine eigene Technik mitgebracht, sondern nur gewissermaßen ihre nackten Körper - und deshalb griffen sie auf das hier Vorhandene zurück, auch auf die vorhandene Pruppertechnik - zumindest auf das, was nach dem Großen interstellaren Krieg von der Pruppertechnik übriggeblieben war.

Sie waren Menschen und bekamen eine neue Sprache - und nahmen Planeten in Besitz, auf denen diese Sprache vorher gesprochen worden war.

Wie weit sind wir hier eigentlich von der Erde entfernt? Sind wir überhaupt noch innerhalb der uns bekannten Galaxis?«

»Nein, es ist eine andere Galaxis, viele Millionen von Lichtjahre entfernt.«

»Was? Viele Millionen...?« Petro verschlug es die Sprache - ausgerechnet ihm.

»Aber wieso das Ganze?« fragte Cora eindringlich. »Ein solcher Aufwand... Einmal ganz abgesehen von den wissenschaftlichen Voraussetzungen, die ein solches Unternehmen bedingt: Was ist denn überhaupt der Sinn? Und vor allem: WER hat das getan? Die haben sich doch nicht selber kopiert.«

»Es ist ein ziemlich unzutreffender Ausdruck: Kopieren! Es sind lebende Menschen. Sie fühlen, sie denken, sie leiden, sie lachen. Sie lieben auch und bekommen Kinder. Sie haben sich in den vergangenen Jahrhunderten fortgepflanzt, Generationen vergingen und entstanden neu. Sie sind in nichts zu unterscheiden von ihren Vorfahren, und diese Vorfahren entsprechen haargenau Menschen der Erde, allen dort vorhandenen Rassen.«

»Nein, Sie lügen schon wieder, Tipor Gaarson - oder was auch immer Sie sein mögen: Sie sind ganz und gar nicht wie wirkliche Menschen. Machen sie sich Gedanken über ihre Vergangenheit? Sie übernehmen einfach Begriffe aus der irdischen Mythologie, und wir haben hier das krasse Beispiel: Es geschieht etwas, was die Prupper-Menschen an Vorgänge auf der Ursprungserde erinnert - und schon assoziieren sie es damit. Sie haben Sprache und Technik der Prupper übernommen, aber leben in der Geschichte der irdischen Menschheit. Ein Widerspruch in sich, über den sie sich noch nicht einmal wundern! Und dann, wenn sie sterben...«

»...wenn sie sterben, dann entweicht ihre Seele - und diese Seele hat nichts gemein mit der von einem wirklichen Menschen, absolut nicht das Geringste!« ergänzte John Millory und knirschte hörbar mit den Zähnen. »Wir haben es unterwegs selber erlebt!«

»Ihr habt diesmal viel erfahren«, sagte der Schatten in dem hellen Viereck, der sich Tipor Gaarson nannte - besser gesagt eine Kopie vom verstorbenen Original, falls das überhaupt der Wahrheit entsprach. Auf die letzten Worte von John ging er gar nicht direkt ein. »Es ging nicht anders. Es war einfach an der Zeit. Aber jetzt seid ihr ein wenig verwirrt. Nicht alles ist so völlig richtig, was ihr schlußfolgert. Aber ich verspreche euch, ihr werdet eines Tages alles erfahren.«

»Wann?«

»Die Zeit wird kommen.«

Das Viereck erlosch.

»Tut mir leid!« meldete sich die telepathische Stimme des Computers zurück, und dann redete er weiter, als sei das soeben Erlebte überhaupt nicht geschehen: »Willkommen auf meinem Schiff. Es ist das, was die Diener von Mu die Herrlichkeiten von Mu nennen.«

»Woher wußten sie denn überhaupt davon?« hakte Cora sofort ein.

»Ich bin vorhin erst erwacht. Woher also soll ich das also wissen?«

Es war ganz klar eine Lüge, ohne daß er sich die geringste Mühe machte, dies zu verschleiern. Aber wieso? Warum belog der Computer sie in dieser Frage?

Vor hundert Jahren war dieser kontinentgroße Insel aus dem Meer aufgetaucht und damit auch das Raumschiff. Was war in den hundert Jahren geschehen?

Sie begriffen, daß mit der für sie nur scheinbaren Lösung der Rätsel nur noch neue - um nicht zu sagen: größere! - Rätsel entstanden.

»Und wann können wir endlich das Schiff bewundern?« begehrte Petro Galinksi auf, als würde es sonst überhaupt nichts mehr geben, was für sie interessant sein könnte.

Cora und John sahen ihn überrascht an. Dann dachten sie: Was soll's? Wir werden sowieso nur noch belogen. Also fragen wir gar nicht mehr. Und das Schiff könnte tatsächlich interessant sein.

»Da gibt es nicht viel zu sehen«, behauptete der Computer, und dann geschah das Überraschende: Eine Öffnung tat sich auf.

Sie traten zögernd hindurch. Ein langer Gang verlor sich in der Dunkelheit.

Die Wände wurden transparent, während sie ihn betraten. Mehrere Räume lagen dahinter. Einer bildete die Kältekammer. Nur noch mumifizierte Leichname waren darin zu sehen. Sie waren nicht menschenähnlich.

»Ich lese in Ihren Gedanken, daß Sie nicht erschrecken. Das spricht für Sie.«

In der Tat hätte ein unbedarfter Beobachter das Grausen kriegen können. Jeder der Leichname sah anders aus. Eine bunte Palette.

Auch erinnerten sie an die Darstellungen irgendwelcher heidnischer Gottheiten.

Einer besaß vier Arme. Sein Körper war mit einem dichten Schuppenkleid bedeckt.

Der andere besaß einen Teufelsschädel mit einer Art Ziegenklaue und Bockshörnern, der dritte einen Schlangenkörper mit Krötenkopf.

Andere sahen weniger schrecklich aus.

»Ganz normal bei uns zu Hause!« erläuterte der Computer in seiner unnachahmlichen Art. »Vielfalt der Formen in allen Variationen. Die Natur ging andere Wege als auf der Erde. Die Evolution orientierte sich an allen Arten, die überleben konnten. Andere Grundbedingungen. Schon in der untersten Stufe der Entwicklungsgeschichte kristallisierten sich Veranlagungen heraus, die allgemein gültig blieben. Sie sind es, die allen gleichermaßen zu eigen sind: Telepathie, also Gedankenübertragung, und Psychokinese!

Ein solches Wesen braucht keine Hände zu entwickeln, um Werzeuge zu formen, denn es hat die Gabe, mit reiner Gedankenkraft in die Materie einzugreifen. Die Verständigung untereinander ist weder vom Beherrschen einer Sprache noch von der Entwicklung einer Schrift abhängig. Entfernungen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Ich könnte die Reihe der Erklärungen fortsetzen, doch das wäre müßig. Auf jeden Fall war die Natur nicht darauf angewiesen, spezifische Rassemerkmale entstehen zu lassen.

Dennoch sind unsere Leute alles andere als von Natur aus friedliebend. Als der Platz auf unserem Planeten zu klein wurde, begann man, Waffen zu bauen und sich gegenseitig umzubringen - wie überall auch. Bis man technisch weit genug gereift war, den Planeten zu verlassen - und ihn zu vernichten!

Da erst kam man zur Vernunft. Die Vernichtung fand letztlich doch nicht statt, und das Kollektiv der homogenen Gedanken entstand!«

»Dann war die Verbindung zwischen den Beobachtungsstationen, wie du sie nennst, und mit eurer Heimatwelt... telepathisch!« sagte Cora fasziniert. »Ich begreife: Ihr habt mit den sogenannten Beobachtungsstationen eine andere Art von Imperium geschaffen: Ihr hattet das Netzwerk der Gedanken. Als wäre das Universum selbst zu einem Bewußtsein erwacht. Deshalb habt ihr keine fremden Welten besiedelt. Warum solltet ihr denn? Alles war richtig, wie es war. Aber es war auch nicht von Bestand, denn jemand oder etwas hat eure Heimatwelt zerstört. Die sogenannten Beobachtungsstationen waren wie die Sinnesorgane eines gigantischen Geist-Körpers. Das Gehirn dieses Geist-Körpers, um bei diesem Vergleich zu bleiben, war der Heimatplanet. Als dieser starb, war alles vorbei. Ihr seid hiergeblieben, bis die Naturgewalten dieses Planeten euch begraben haben. Nicht nur hier, sondern wahrscheinlich überall sonst geschah dies, wo die Teile des Geistkörpers isoliert wurden. Sie starben ab, als hätte sie jemand amputiert.«

»Ich weiß es nicht im Detail«, sagte der Computer emotionslos. »Ich bin noch nicht lange genug bei Bewußtsein, und ich habe sehr lange gebraucht, um allmählich wieder begreifen zu lernen.«

»Tipor Gaarson hat dir dabei wohl geholfen? Hat er dich denn vollends geweckt? Und wann? Erst in jüngster Vergangenheit? Schon von hundert Jahren? Hat er die sogenannten Diener von Mu auf den Plan gerufen - und wieso?«

Kein Antwort. Das war auch nicht anders zu erwarten gewesen.

Cora dachte im stillen: Es ist, als würde allem ein bestimmter Plan zugrunde liegen. Und in diesem Plan spielen wir drei eine Rolle. Und die Diener von Mu, die auf die Jünger von Mu warteten. Damit wir einem von ihnen begegnen würden auf unserer Reise? Daß wir im letzten Moment fliehen könnten, um genau hierher zurückzukehren und auf dieses Raumschiff - und somit auf ein Wesen zu treffen, das sich eine Kopie von Tipor Gaarson nennt?

Dann sagte der Computer: »Also schaut euch um! Ich glaube fast, ihr werdet enttäuscht sein!«

Das waren sie in der Tat. Nirgendwo war auch nur das geringste Anzeichen von Instrumenten oder Bedienungselementen zu sehen. Diese Wesen brauchten das einfach nicht. Sie standen mit dem Computer gedanklich in Verbindung, ohne technische Vermittler.

Ein Wunder fast, daß es überhaupt so etwas wie einen Computer gab...

Cora dachte es, und in ihren Augen blitzte es auf einmal.

»Und wenn du überhaupt kein Computer bist?«

»Was sonst?« Es klang ein wenig... amüsiert!

»Sage es mir!«

»Ich bin, was ich bin - ein denkendes Schiff. Alle unsere Schiffe waren denkende Schiffe. Die Denkeinheit koordinierte das Sensorensystem. Um das Schiff brauchte sich die Besatzung nicht zu kümmern. Die Besatzung war nur Gast.«

»Wie die Biogehirne, die bei uns eingesetzt werden, nur in erheblichem Maße weiterentwickelt«, sagte John Millory. Er mußte es ja wissen - als Kommandant eines eigenen Raumschiffs, als der er viele Jahre durch das von Menschen besiedelte Universum gereist war.

»Es war ein kleiner Witz, als ich vorhin Bedenken äußerte«, sagte die Stimme des Computers. »In der Tat könnte ein Mensch mit dem Schiff nichts anfangen. Es sei denn, er bedient sich meiner!«

Die Computerstimme... räusperte sich.

»Übrigens habe ich zu erwähnen vergessen, daß wir Besuch erwarten. Zwei Menschen - Prupper-Menschen würdet ihr sagen - vom Camp der Wissenschaftler stehen vor der Tür und begehren Einlaß.«

»Wie?« rief John Millory aus. Waren die ihnen denn gefolgt?

»Ja!« bestätigte der Computer seine Gedanken. »Sie wollen euch befreien. Dabei wissen sie gar nicht, daß ihr hier sicherer seid als draußen.«

»Eine Frage noch«, sagte Cora. »Inwieweit wäre das Schiff noch flugtauglich?«

»Natürlich gegenwärtig überhaupt nicht. Der gegenwärtige Zustand ist nicht der beste. Ich habe meine Reparatureinheit bereits bemüht.

Aber meine Kapazität ist auf fatale Weise reduziert, wie ich schon sagte. Deshalb wird sich die Arbeit verzögern. Ich schätze, mindestens noch zwei hiesige Wochen. Vorher besteht keine Chance.«

»Ich fürchte fast, daß zwei Wochen zu lang sind«, meinte John Millory brüchig. »Für uns auf jeden Fall. Außerdem: Die Katastrophe wiederholt sich. Es sieht so aus, als wollte der neue Kontinent wieder verschwinden.«

»Mit Sicherheit nicht!« widersprach der Computer. »Aber es wird einiges passieren. Darin muß ich Ihnen rechtgeben. Keiner der Wissenschaftler und keiner der Freibeuter, die sich an Ihre Fersen geheftet haben, wird überleben, wenn es nicht gelingt, sie zu retten. Und was ist mit euch? Ihr würdet gern mit mir wegfliegen? Womöglich auf direktem Weg zu eurer Erde? Das schminkt euch am besten gleich wieder ab. Meine Pläne sind andere. Eure Reise geht anderweitig weiter: Ihr werdet mit dem Gerät fliehen, das ihr GAARSON-GATE nennt!«

»Dazu müssen wir erst einmal wieder hier raus!« murrte Petro Galinksi.

»Dem steht nichts im Wege. Die beiden Wissenschaftler sind auch schon sehr ungeduldig. Mir bleibt nur die Hoffnung, daß mir die neuerliche Katastrophe wirklich genug Zeit läßt, das Raumschiff wieder flottzukriegen.«

«Viel Glück bei der Arbeit!« wünschte John und meinte gleichzeitig das Gegenteil: Er war wütend wegen dem Korb, den sie bekommen hatten.

»Kopf hoch, alter Junge!« fügte Petro Galinksi hinzu und hätte anscheinend viel lieber gesagt: »Kopf ab!« So jedenfalls hörte es sich an.

Cora Stajnfeld hingegen meinte: »Es wäre eine Schande, wenn ein solches Wunderwerk in die Brüche ginge - auf jedenfall. - Aber wohin wirst du fliegen, wenn du es wirklich schaffst? Etwa dorthin, wo euer Heimatplanet war?

»Ja, das kann ich jetzt. Das Wesen, das ihr... gesprochen habt... Es hat mich tatsächlich erst endgültig... aktiviert und auch befreit. Ich kann also ab jetzt völlig frei handeln.«

»Aber du kannst uns nicht mehr sagen als du uns bereits verraten hast - und du kannst uns auf deiner Reise auch nicht mitnehmen, selbst wenn du es wolltest?«

»Ganz genau, liebste Cora!«

Der Eingang öffnete sich.

Sie sahen direkt in die Abstrahlfelder zweier Strahler.

Reginald Younger und Roddy Gavin hatten ihren Gleiter verlassen und bedrohten sie.

Die Stimme des Computers meldete sich, allerdings nur »hörbar« für die drei Gatereisenden: »Meine Kapazität hat wirklich bedeutend nachgelassen. Früher wäre es mir nie passiert, das mit den Strahlern unerwähnt zu lassen. Tut mir wirklich leid.« Es klang allerdings für sie viel zu scheinheilig.

So blieb den drei Überwältigten nichts anderes übrig, als sich von den beiden Wissenschaftlern gefangennehmen zu lassen.

Und dann waren sie draußen.

*

Die beiden Wissenschaftler schauten sich beunruhigt um. Nicht wegen dem Sturm. Das war offensichtlich.

Die drei Gatereisende begriffen: Die beiden Wissenschaftler hatten nichts von dem Computer mitbekommen. Sie hatten anscheinend nicht einmal mitbekommen, daß sie an Bord eines Raumschiffs gewesen waren.

»Eine Höhle mit einer Tür!« sagte Petro Galinksi grinsend. »Das hat uns geschützt. Trotzdem schön, daß ihr gekommen seid, um uns zu retten. Es wurde allmählich nämlich recht langweilig. Eure gute Tat weiß ich durchaus zu schätzen.«

Die beiden reagierten gar nicht darauf.

Sie hielten den Ansturm des Windes ab, indem sie ein Kraftfeld aufbauten.

Ein solches Feld hätte auch das Lager zusätzlich geschützt, doch durfte man es nicht zu lange aufrechterhalten, da es ungeheuer viel Energie verbrauchte, und die hatten sie in dem Inferno eben nicht im unbegrenzten Maße.

Petro Galinksi schaute in die verkniffenen Mienen der beiden Wissenschaftler. Was hatten die mit ihnen vor?

Sie stiegen ein, von den beiden in Schach gehalten.

Reginald Younger übernahm wieder die Steuerung. Er schaltete das Kraftfeld ab.

Roddy Gavin legte den Strahler nicht aus der Hand. Er verzichtete darauf, die von Petro Galinksi erbeutete Waffe an sich zu nehmen. Das wäre nur möglich gewesen, hätte er hautnah Kontakt mit dem Ingenieur bekommen.

Er hätte sie auch so fordern können. Aber dann hätte Petro die Waffe zuerst in die Hand nehmen müssen... Er betrachtete Petro eingehend. Dabei kam er zu dem Schluß, besser dieses Risiko nicht einzugehen.

»Was soll das eigentlich?« protestierte Astro-Ökologin Stajnfeld nachdrücklich.

Reginald Younger befleißigte sich einer Antwort.

»Sie dürfen uns nicht falsch verstehen, Bürgerin Stajnfeld, aber wir sind uns nicht darüber im klaren, was wir von Ihnen zu halten haben.«

»Wir sind schließlich freiwillig mit euch gekommen, nicht wahr? Oder mußtet ihr Gewalt anwenden? Ihr seid aufgetaucht und wir sind mit euch gegangen! Das hätten wir auch ohne die vorgehaltenen Waffen.«

»Über eure Motive reden wir später. Zunächst einmal bringen wir euch ins Lager. Dort sehen wir weiter. Auf den wachen Instinkt von Edua Grindell können wir uns verlassen!«

Das sagte ausgerechnet er, der ewige Rivale des weiblichen Kommandanten!

Es zeigte, wie ernst er die Lage einschätzte.

Roddy Gavin enthielt sich einer Meinung. Seine verkniffene Miene blieb. Desgleichen der drohende Strahler.

Die Gatereisenden fügten sich in ihr Schicksal. Dabei beobachtete Petro sorgfältig, wie man mit dem Gleiter umging.

Möglicherweise war es für sie nützlich.

Zu Fuß schafften sie es nicht, zum GAARSON-GATE zu gelangen. Mit einem Bodengleiter hatten sie Chancen.

Im Moment war eine Übernahme ausgeschlossen. Dafür war Roddy Gavin zu wachsam.

Petro wartete auf eine passende Gelegenheit.

*

Plötzlich war ein Heulen und Kreischen in der Luft über dem Lager. Charlie Ruggles stand stocksteif. Er wußte nichts damit anzufangen, dachte aber sofort an die Bemerkung des bewußtlosen Roger Firbeck.

Edua Grindell lief ihrem Mitarbeiter nach. In ihrem Gesicht stand Todesangst.

Blitzschnell bückte sich Charlie Ruggles.

Egal, was auch passierte, er dachte zunächst an sich selbst und suchte in der Kleidung von Firbeck nach einem Strahler.

Es gab auch einen, nur war Edua Grindell schneller als Charlie Ruggles.

Sie schoß sofort.

Zwar traf sie nicht genau, aber Ruggles spürte die Schockwirkung. Sie warf ihn um. Wie ein Käfer fiel er auf den Rücken.

Die nur teilweise wirksame Paralysierung würde nur eine Minute anhalten. Dabei blieb er bei vollem Bewußtsein. Er verlor nur die Herrschaft über seinen Körper.

Seine Glieder zuckten.

Schon begann sich der zusammengeschlagene Roger Firbeck zu regen.

Das Brausen und Heulen in der Luft orgelte heran, riß aber im nächsten Augenblick ab.

*

Die drei Freibeuter sahen es ebenso wie die beiden Wissenschaftler, die sich mit den Gatereisenden auf dem Rückweg befanden.

Letztere erreichten gerade das Lavafeld.

Reginald Younger stoppte unwillkürlich. Seine Gefangenen starrten hinaus.

Auch Roddy Gavin wurde von dem Geschehen in den Bann geschlagen. Trotzdem vernachlässigte er nicht seine Aufmerksamkeit beim Bewachen der Gatereisenden.

Im letzten Augenblick stabilisierte die Automatik des unbemannten Rettungsgleiters vom Festland die Flugbahn. Der Absturz konnte zwar nicht verhindert werden, aber die Automatik gab Umkehrschub und verstärkte somit die Wirkung des wütenden Sturms.

Als Folge davon wurde der Gleiter wie ein welkes Blatt davongeweht.

Er kam in einer Entfernung von einem halben Kilometer zum Lager herunter und explodierte.

Ein tiefer Krater entstand. Die Druckwelle rauschte heran und verstärkte die Wirkung des Sturmes.

Aus dem Krater der Absturzstelle schoß Lava und bildete einen blutigroten Teich aus flüssiger Erde.

Der Bodengleiter mit den Gatespringern kam wieder auf Touren. Er bewegte sich mit hoher Beschleunigung auf das Lager zu.

Aber noch ein Gleiter hatte dieses Ziel: Es war das Fahrzeug der Freibeuter.

»Also soll nichts unversucht bleiben, um die Wissenschaftler des Camps zu retten!« begründete Son Chuang sein Tun. »Wir werden mit von der Partie sein. Der Kampf darf als verloren betrachtet werden. Alles kalkulierten wir in unsere Pläne ein, nur nicht die unberechenbaren Naturgewalten.«

»Du willst doch nicht etwa wirklich das Camp erobern?« fragte Karel Kachyna erschrocken.

»Genau das will ich!« beharrte Son Chuang.

»Ob das im Sinne unserer Auftraggeber ist?«

Son Chuang sah ihn an. »Ich gebe dir einen Tip, Karel: Es gibt eigentlich nur einen einzigen Auftraggeber!«

Karel erschrak.

Blake Miller blickte grimmig drein.

»Nur einen einzigen?«

»Ja, Ich bin derjenige unter uns, der ihn persönlich kennt. Du weißt, was für Verhörmethoden heutzutage gebräuchlich sind. Dabei ist die Wahrheitsdroge noch das harmloseste Mittel. Die bekommen alles heraus. Um meinen Auftraggeber zu schützen, bleibt mir kein anderer Weg, als mich dem Zugriff zu entziehen. Zu diesem Zweck müssen wir das Camp übernehmen. Wir bestimmen, wohin uns der nächste Rettungsgleiter bringt.«

»Geradewegs in die Hölle!« bemerkte Blake Miller bitter. »Der erste ist schon gescheitert!«

»Vielleicht wird auch der zweite und dritte abstürzen. Aber du vergißt einen Umstand, Blake: Alle Gleiter stehen in direkter Verbindung mit dem Computer der Leitstelle. Dieser Computer lernt aus jedem Fall, zieht Konsequenzen, sieht, was falsch gemacht wurde, und sorgt dafür, daß es beim nächsten Mal besser klappt. Außerdem hat sich die Gewalt des Sturmes etwas gelegt. Das Wetter wird zumindest vorübergehend besser. Es gibt eine echte Chance, obwohl ich es vor einer Stunde selber nicht glauben wollte.«

Karel Kachyna ritt noch immer auf dem alten Thema herum.

»Wenn unser Auftraggeber wirklich soviel Einfluß hat, wie er den Anschein erweckt - schließlich schleuste er uns hier vorbildlich ein -, dann glaube ich kaum, daß ihm jemand etwas anhaben kann, wenn seine Machenschaften ans Tageslicht dringen.«

»Im Grunde hast du recht, aber es birgt gewaltige Nachteile für ihn, Kachyna. Im übrigen möchte ich dich bitten, das Thema zu beenden.«

Kachyna verstand den Wink. Son Chuang befürchtete, bereits zuviel gesagt zu haben.

Es war nicht mehr weit bis zum Lager. Sie konzentrierten sich auf die bevorstehende Aufgabe.

»Möchte wissen, was inzwischen aus Charlie geworden ist«, murmelte Blake Miller.

*

Edua Grindell hob den Kopf. Sie blickte zur Decke, als könnte sie etwas erkennen.

Der erwartete Tod kam nicht.

Edua hielt sich nicht lange damit auf. Sie lief zu Charlie Ruggles hinüber, der immer noch als zuckendes Bündel am Boden lag.

Seine Augen weiteten sich erschreckt, als er sah, was die Kommandantin vorhatte. Sie legte mit dem Energiestrahler an, um ihn zusätzlich zu paralysieren.

Ihre Rechte zitterte. Dann ließ sie die Waffe wieder sinken und trat einen Schritt zurück.

Roger Firbeck richtete sich auf. Stöhnend griff er nach seinem schmerzenden Schädel. Ein giftiger Bück traf Ruggles.

»Dieses Schwein hat einfach zugeschlagen. Er hätte mir den Schädel zertrümmern können.«

»Für ihn war das eine Existenzfrage, Roger. Er mußte im Grunde tun, was er tat.«

»Du mußt ihn auch noch verteidigen!« Firbeck stöhnte. Eine mächtige Beule zeigte sich an seinem Schädel. Er betastete sie vorsichtig. Dann versuchte er, aufzustehen. Es gelang nur, wenn er sich eisern beherrschte. Butter schien in seinen Knien zu stecken. Er wankte in Richtung Zentrale davon. Edua Grindell blieb zurück.

Draußen, außerhalb des Lagers, tat sich etwas. Edua Grindell registrierte es am Rande. Waren Reginald Younger und Roddy Gavin zurück? Wenn ja, hatten sie die Fremden retten können?

Daran dachte sie einen Augenblick. Dann widmete sie sich wieder Charlie Ruggles.

Die Symptome eines Paralysetreffers verschwanden allmählich. In wenigen Sekunden würde der Freibeuter seinen Körper wieder beherrschen und sich erholen.

Edua Grindell wartete ab. Sie hatte sich nicht verrechnet:

»Ich warne Sie, Ruggles! Damit kommen Sie nicht durch. Mit jeder Aktion, die Sie gegen uns starten, reiten Sie sich immer tiefer in die Sache. Ich hoffe, wir verstehen uns.«

Charlie Ruggles blickte sie noch nicht einmal an. Er stand auf und wankte unaufgefordert in sein Gefängnis zurück. Edua Grindell schloß hinter ihm sorgfältig ab. Dann erst betrat sie die Zentrale.

Die beiden Ausflügler waren tatsächlich wieder eingetroffen.

*

»Leider funktioniert der Ortungsschirm nicht mehr«, bedauerte Karel Kachyna.

Son Chuang deutete nach vorn. »Nicht notwendig, wir sind bereits da. Ich nehme an, die haben uns bereits im Visier. Wir können nichts daran ändern. Eben nähert sich ein Gleiter. Dasselbe Modell wie unserer. Er gehört den Wissenschaftlern.«

Verwundert betrachtete ihn Blake Miller von der Seite. Er hatte nichts sehen können. Dafür war die Sicht draußen zu schlecht, und er fragte sich, wieso Son Chuang soviel hatte erkennen können. Allmählich wurde ihm der Chinese unheimlich. Der besaß Fähigkeiten, die niemand in ihm vermutete.

Blakes Nervosität wuchs. Er fragte sich, was der Chinese im Schilde führte.

Lange brauchte er nicht darauf zu warten.

»Ich schalte den Bodengleiter auf Automatik!« erklärte Son Chuang rasch. »Wir steigen hinten aus!«

»Aussteigen?« fragte Karel Kachyna verblüfft.

»Ja, wir bleiben im Sichtschatten des Fahrzeuges. Sie werden uns nicht orten. Der Gleiter wird in voller Fahrt auf das Lager zuschießen.«

Son Chuang nahm ein paar Schaltungen vor.

Blake Miller wollte protestieren. Doch Son Chuang unterband es mit einer ärgerlichen Handbewegung.

Er eilte nach hinten, öffnete die Luke und sprang.

Blake Miller und Karel Kachyna blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Sie berechneten den Sprung so, daß sie nicht in den Bereich des Prallfeldes kamen, auf dem der Bodengleiter schwebte.

Alle drei fielen der Länge nach hin. Sofort rappelten sie sich wieder auf. Die Strahler in den Fäusten, rannten sie dem Bodengleiter nach.

Nur noch hundert Meter bis zum Lager.

Was würde mit dem Gleiter geschehen? Wenn die Wissenschaftler nicht reagierten, blieb von ihrem Gebäude nicht viel übrig. Der Gleiter hatte hinlänglich bewiesen, wie robust er war.

*

Mit vorgehaltener Waffe trieben die beiden Wissenschaftler ihre Gefangenen zum Eingang.

»He!« Petro Galinksi deutete über die Schulter.

Zunächst nahm Roddy Gavin an, es handele sich nur um eine Finte. Aber Petro Galinksi meinte es ernst.

Jetzt hörten sie auch das Triebwerkgeräusch des heranschießenden Fahrzeuges. Ein helles Singen, das trotz des Sturmes zu hören war.

»Wer ist das? Er ist wahnsinnig geworden! Er fährt euer schönes Lager über den Haufen!«

Roddy Gavin riskierte einen Blick.

Es blieb dabei! Fassungslos starrte er dem unförmigen Bodenfahrzeug entgegen. Es machte einen reichlich verbeulten Eindruck. Die Absicht war klar. Petro Galinksi hatte nicht übertrieben.

Auch Reginald Younger blickte hinüber.

Jetzt hatte Petro die Chance, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte.

Ein blitzschneller Griff nach Reginald Younger genügte, um den Strahler zu erbeuten.

John sprang Gavin an und rang mit ihm.

Die beiden Wissenschaftler waren in solchen Dingen nicht trainiert. Sie hatten gegen John und Petro keine Chance.

Die beiden Freunde drängten die Wissenschaftler ins Innere des Gebäudes. Sie hatten die Zentrale zum Ziel. Hoffentlich entdeckten die Leute dort auch den heranschießenden fremden Gleiter.

Es war bereits geschehen, wie sie beim Eintreten feststellen konnten.

Auch Edua Grindell kam rechtzeitig hinzu. Dorothy Evans rief den Gleiter per Funk an.

Keine Antwort. Sie versuchte es wieder.

Die Ortung spielte verrückt. Der Alarm schrillte auf - laut und unangenehm.

Noch fünfzig Meter war der Bodengleiter entfernt, noch dreißig Meter.

Jetzt durften sie nicht mehr länger zögern. Es ging um ihr Leben.

Edua Grindell gehorchte endlich den Vorschriften bei Alarm. Sie drückte den Feuerknopf.

Der überschwere Strahler, für die Sicherheit des Camps gedacht und auch als Werkzeug benutzbar, wenn es darum ging, größere Hindernisse beiseite zu räumen, erwachte zum Leben.

Ein ungeheuer greller Lichtblitz zuckte auf, mit sonnenheißen Temperaturen in seinem Zentrum.

Die Automatik hatte das Zielen übernommen. Der Computer sorgte dafür, daß der Strahlschuß nicht den Gleiterreaktor traf, sondern den Rumpf.

*

Die drei GAARSON-GATE-Reisenden atmeten auf. Deutlich zeigte der Hauptschirm, daß der Strahlschuß voll getroffen hatte.

Der Gleiter verlor den Kurs. Das Prallfeld war auf einmal nicht mehr da. Die rauchenden Trümmer schlitterten gegen die Außenwandung des Gebäudes, ohne jedoch Schaden anzurichten.

»Peilung!« rief Dorothy Evans. »Drei Menschen!«

Aber es war zu spät. Die drei waren schon im Lager. Sie kamen zur Zentrale! Mit ein paar mächtigen Sätzen erreichten sie den Eingang.

Petro Galinksi wirbelte herum. Er schoß, obwohl noch niemand zu sehen war.

Einen Augenblick später tauchte Blake Miller auf. Er hatte es geschafft, vor Son Chuang da zu sein. Darauf war er stolz. Er konnte ja nicht wissen, was ihn erwartete.

Die Restenergie des Strahlschusses traf ihn voll und schickte ihn ins Land der Träume.

Jemand fluchte draußen. Es war Son Chuang, der über den Leichtsinn von Blake Miller empört war. Er und Karel Kachyna gingen anders vor.

Wild feuernd erschien Karel Kachyna. Unglücklicherweise traf er Reginald Younger. Das würde für den Wissenschaftler unangenehm werden. Es war der zweite Treffer an diesem Tag.

Dann hatte Karel Kachyna keine Gelegenheit mehr, seine Waffe einzusetzen. Petro Galinksi hatte die Nerven behalten und machte der Sache mit einem gezielten Schuß ein Ende.

Er zögerte keine Sekunde länger lief hinaus, vor die Zentrale.

»Die Seitentür!« brüllte Edua Grindell - fast laut genug, daß es Son Chuang hörte.

Fast!

Petro Galinksi erinnerte sich dunkel, daß es eine solche gab. Er hetzte den kurzen Gang entlang, der an der Zentrale vorbei führte. Die Tür war so in die Wand eingelassen, daß man sie kaum erkennen konnte. Petro war sie dennoch aufgefallen, als man sie in den Raum D geführt hatte.

Son Chuang hatte keine Ahnung davon. Er hatte sich rechtzeitig zurückgezogen und überdachte seine nächste Strategie. Daß ihn jemand in die Zange nehmen könnte, das berücksichtigte er nicht - noch nicht!

Petro Galinksi riß die Tür auf und sprang hinaus. Er sah sich im Rücken von Son Chuang.

Son Chuang hörte hinter sich etwas und ließ sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen.

Dadurch ging Petros Schuß über ihn hinweg.

Chuang wollte seinerseits schießen.

Petro war schon heran und kam Son Chuang zuvor. Es zeigte sich, was er als ausgebildeter und trainierter Sicherheitsmann drauf hatte: Er trat mit dem rechten Fuß zu und traf Son Chuangs Waffenhand. Der Strahler des Chinesen flog in den Dreck.

Petro sah die Muskeln, die sich unter der Montur abzeichneten, und ging sofort wieder auf Abstand.

Fluchend rappelte sich Son Chuang auf. Sein Handgelenk mußte höllisch schmerzen, doch er ignorierte es einfach. Hätten seine Blicke töten können, wäre Petro auf der Stelle tot umgefallen.

Cora Stajnfeld erschien unbewaffnet in der Tür.

Petro Galinksi betrachtete den Chinesen. Er war froh, wenn es nicht zu einem Zweikampf mit ihm kam. Vielleicht hätte er bei diesem Burschen sogar den kürzeren gezogen?

»Ihr seid Freibeuter!« sagte er.

Son Chuang grinste breit. »Das ist ja nicht schwer festzustellen, nicht wahr?«

Petro Galinksi warf einen Blick zur Seite. Bei der ganzen Aktion war ihm gar nicht aufgefallen, daß sich der Sturm überraschend gelegt hatte. Es herrschte praktisch Windstille. Die Luft war fast nicht zu ertragen ohne Atemmaske. Aber Petro blieb tapfer.

»Mu ist abgeriegelt!« redete er weiter.

Astro-Ökologin Stajnfeld betrachtete Petro. Sie ahnte, worauf dieser hinaus wollte.

Unbeirrt fuhr der Ingenieur und Sicherheitsexperte fort: »Wer ist euer Auftraggeber? Er hat euch durch die Absperrung geholfen!«

Son Chuang grinste breiter.

»Das würden Sie gern wissen, wie?«

Petro schüttelte den Kopf. »Vielleicht ein Sympathisant der Diener von Mu? Aber auf die wird längst Jagd gemacht, wie Sie wissen. Eine Frage der Zeit, daß man auch die Sympathisanten dieser Bewegung festsetzt, so sehr sie sich auch zu tarnen vermögen.«

»Sie als Regierungsvertreter müssen es ja wissen.«

»Ich als Regierungsvertreter? Wie kommen Sie auf die absurde Idee, wir wären im Auftrag der Regierung hier?«

»Wieso sonst?«

»Fragen Sie doch einfach die Wissenschaftler!« schlug Petro vor.

Mit der Waffe dirigierte er Son Chuang ins Innere.

Astro-Ökologin Stajnfeld machte Platz.

Petro führte den Gefangenen zum Raum D und sperrte ihn dort zu Charlie Ruggles.

»Freibeuter unter sich!« bemerkte er dabei ironisch.

Charlie Ruggles reagierte nicht darauf. Er war viel zu erschrocken darüber, daß es nun auch Son Chuang erwischt hatte.

Petro kehrte zur Zentrale zurück. John hielt die Wissenschaftler alle in Schach. Er hatte die Situation voll im Griff. Der Angriff der Freibeuter hatte letztendlich das Blatt zu ihren Gunsten gewendet.

»Festland ruft Camp der Wissenschaftler!« schnarrte eine Stimme aus der Funkanlage.

Edua Grindell schielte zum Mikrophon. John nickte ihr zu. Sie griff nach dem Ding und meldete sich.

»Der zweite Gleiter ist unterwegs. Er wird in wenigen Minuten landen. Der Sturm hat sich gelegt. Das ist die Gelegenheit, die wir brauchen. Lassen Sie alles im Stich und steigen Sie sofort ein! Ich glaube, alles, was ihr drüben erlebt habt, war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch folgen wird!«

Da war keiner, der anderer Meinung war.

*

»Den Bodengleiter draußen brauchen Sie wohl nicht mehr?« fragte Petro. Er sah Edua Grindell an. Sie zuckte die Achseln.

»Dann erlaube ich mir, ihn mir auszuleihen.«

John Millory sammelte sämtliche Waffen ein. Dann eilten sie hinaus.

Die Waffen deponierten sie vor der Tür. Mitnehmen wollten sie diese nicht, und die Wissenschaftler würden sie brauchen, um die Freibeuter in Schach halten zu können, wenn sie gemeinsam mit denen den Ort des Schreckens verließen.

Dafür sorgte Cora dafür, daß sie und ihre beiden Begleiter nicht ihre eigenen Paralyser vergaßen mitzunehmen.

Sie stiegen endlich in den Bodengleiter. John sagte dabei: »Ich glaube kaum, daß die Freibeuter im Auftrag der letzten Diener von Mu handelten. Denn dann hätten sie was von dem getarnten Gaarson-Gate gewußt. Aber das ist jetzt sowieso nicht mehr unsere Sorge...«

Petro widmete sich den Kontrollen. Zunächst folgte ihnen keiner der Wissenschaftler. Die ahnten ja nicht, daß die drei die Waffen zurückgelassen hatten.

Ein Schatten tauchte über dem Lager auf.

Der versprochene Fluggleiter. Er setzte zur Landung an.

Jetzt waren die Wissenschaftler nicht mehr zu halten. Sie erschienen in der Tür.

Die Gatereisenden achteten nicht darauf. Petro startete die Triebwerke. Das Bodenfahrzeug setzte sich ruckfrei in Bewegung und verließ mit hoher Beschleunigung das Lager.

»Mit den Betäubungsstrahlern können sie uns nichts mehr anhaben«, sinnierte Astro-Ökologin Stajnfeld. »Aber was ist mit diesem schrecklichen Strahler, mit dem sie den anderen Gleiter gestoppt haben?«

John Millory sah sie von der Seite an.

»Ja, glauben Sie wirklich, die bringen uns kaltblütig um?«

Cora Stajnfeld schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht! Das sind schließlich Wissenschaftler und keine Killer!«

Sie warf einen Blick zurück. Sie mußten sehr schnell sein, ehe man noch auf die Idee kam, ihnen mit dem Fluggleiter zu folgen.

*

Die großartigen Ortungsinstrumente des erbeuteten Bodengleiters zeigten genau an, wie breit das Lavafeld war. Fast so ausgedehnt, daß Petro Galinksis Vorhaben zum Scheitern verurteilt war.

Er riskierte es dennoch!

Mit Vollschub jagte er den Gleiter los.

Die ungeheure Hitze wurde nicht von der Unterseite des Gleiters absorbiert. Sie wurde rotglühend.

Dann waren sie darüber hinweg und befanden sich auf dem Geröllfeld.

Weiter ging die Höllenfahrt. Der Radartimer zeigte ihnen unbestechlich den Weg.

Sie hatten das Ziel längst noch nicht erreicht, als Astro-Ökologin Stajnfeld bereits den Impuls zum Öffnen der GAARSON-GATE-Station gab.

Ein fliegender Wechsel erfolgte. Die drei sprangen aus dem Gleiter, der automatisch gesteuert ohne sie weiterfuhr, um eventuelle Ortungen vorerst von dem getarnten GAARSON-GATE abzulenken, und traten ein.

Es blieb ihnen gerade noch Zeit, auf die Panoramagalerie zu blicken.

Keine Sekunde zu früh hatten sie gehandelt, denn erneut wurde die Erde erschüttert. Eine neue Serie von Eruptionen begann - schlimmer als die vorangegangene.

Wenn das so weiter ging, würde die Station nicht auf Dauer bestehen können. Aber bis dahin würden sie längst weg sein.

Die drei dachten an den seltsamen Computer von einem fernen Planeten. Er würde es schaffen, ganz bestimmt. Denn wenn ER keine Möglichkeit hatte, seine Chancen zu bestimmen...

Sie hatten durch die Begegnung viel erfahren, aber richtig befriedigend waren die Ergebnisse bei weitem nicht.

*

Alle befanden sich an Bord. Der automatische Fluggleiter gewann rasch an Höhe.

Charlie Ruggles und Son Chuang wurden von Roddy Gavin in Schach gehalten. Er hatte inzwischen Routine in dieser Art von Arbeit. Blake Miller und Karel Kachyna hatten noch nicht das Bewußtsein wiedererlangt.

Als sie kaum die vorgeschriebene Höhe erreicht hatten, tat sich unter ihnen die Hölle auf.

Die Erdspalte, die den Freibeutern in ihrem Gleiter beinahe zum Verhängnis geworden war, verbreiterte sich rasch. Lava kam zum Vorschein.

Noch mehr Risse zeigten sich.

Einer der Vulkane detonierte mit der Gewalt von Wasserstoffbomben.

»Möchte wissen, was es mit den drei Fremden auf sich. hatte!« murmelte Edua Grindell.

Roger Firbeck neben ihr verstand es nicht. Er glaubte, sie spräche von der neuerlichen Katastrophe, die das Land Mu heimsuchte.

»Ob der Kontinent wieder versinkt?« fragte er.

Edua Grindell schüttelte den Kopf. »Nein, er wird irgendwann wieder zur Ruhe kommen. Dann kehren wir zurück und machen uns erneut auf die Suche. Allerdings habe ich den Verdacht, daß wir dann erst recht nichts mehr finden werden. Wo wir die drei Fremden vorfanden, war das Zentrum des Fremdartigen. Alle anderen Punkte, bei denen wir Strahlung feststellten, waren meiner Ansicht nach lediglich Fühler, die diese fremde Macht einst ausstreckte. - Die Jünger von Mu oder die Herrlichkeiten von Mu... Sie werden uns ein Rätsel bleiben, fürchte ich.«

Roger Firbeck sagte nichts mehr. Er blickte hinaus und war froh, daß es gelungen war, aus dieser Hölle gerade noch rechtzeitig zu fliehen.

*

Ein ungeheurer Schlag traf die GAARSON-GATE-Station, zeitgleich mit der Materialisierung von Astro-Ökologin Cora Stajnfeld und ihren zwei Begleitern Raumschiffskommandant John Millory und Sicherheitsingenieur Petro Galinksi. Der Schlag sorgte für Erschütterungen auch im Innern, so daß die Gitterpyramide, in der sie materialisierten, bedenklich wackelte. Hinzu kam ein Energieschock. Die normalerweise gar nicht spürbare Übertragung von einem Gate zum anderen war dadurch äußerst schmerzhaft.

Zum quasi Materialisierungsschock kam die Todesangst: Was war hier los? In welcher Hölle waren sie denn diesmal wieder gelandet?

Sie hatten einen Zwischenstopp gemacht, nachdem sie der Welt den Rücken gekehrt hatten, in der sie auf einem vulkanischen Kontinent mehrmals beinahe ihr Leben gelassen hätten. Aber dort hatten sie auch eine denkwürdige Begegnung gehabt: Sie waren auf dieses Raumschiff aus grauer Vorzeit getroffen, das unter den Gesteinsmassen verschüttet lag, und der intelligente Bordcomputer erzählte ihnen, daß es ein Äquivalent zu ihm auch irgendwo auf der Erde geben müßte...

Darum werden wir uns zur Zeit wohl nicht kümmern können! dachte Petro in einem Anflug von Galgenhumor. Erst mal müssen wir das hier überleben!

Petro Galinksi hatte jedenfalls die Vision, daß dieser Planet sie absolut nicht mochte, den sie hier besuchen wollten.

Blitze zuckten quer durch die Station, knisternde Funken tanzten über die Außen- und auch Innenwände der Gitterpyramide, in der sie drei steckten.

Ein grausamer Schmerz fraß sich in die Eingeweide Petros. Tausend Ameisen zugleich schienen sich auf seiner Haut auf den Weg zu machen, um ihn zu peinigen.

Und dann war alles wieder vorbei.

Die Panoramagalerie draußen in der Station funktionierte, als sei gar nichts geschehen. Die Schmerzen zogen sich zurück wie ein grausamer Dämon, der seinen Opfern eine Ruhepause gönnen wollte, um danach noch schrecklicher zuzuschlagen.

Petro blieb mißtrauisch. Er hörte das Stöhnen seiner Gefährten, und die Panoramagalerie zeigte ein Rundumbild. Viel konnte er damit nicht anfangen. Nicht nur, weil das engmaschige Drahtnetz, aus dem die Pyramide inmitten der Stationshalle bestand, die Sicht behinderte: Einheitliches Grau zeigten die Schirme, durch keinen Farbtupfer gestört. Der Grund war sicherlich nicht, weil die Anlage fehlerhaft war. Draußen schien sich vielmehr dichtester Nebel zu befinden, der selbst durch die Ortungssensoren der Station nicht durchdrungen werden konnte. Oder waren die etwa doch ausgefallen?

Und wodurch?

Na, wenigstens der Ausgang aus der Gitterpyramide öffnete sich selbsttätig. Das bedingte zwar, daß sie jetzt nicht mehr von hier verschwinden konnten, so lange der Ausgang offen blieb, aber sie konnten sich jetzt wenigstens einmal davon überzeugen, was hier Sache war.

Hoffentlich ist es nur interessant und nicht lebensgefährlich! dachte Petro zerknirscht und verließ als erster die Pyramide. Er war jedenfalls ziemlich skeptisch. Sein sonstiger Optimismus fehlte ganz und gar.

Der Grauschleier draußen riß auf. Ein eigenartiges Gebilde zeichnete sich ab, dessen Umrisse undeutlich zu erkennen waren. Petro kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als könnte er so besser sehen.

Was war das da draußen für ein Gerät?

Der graue Nebel wallte und bildete ein neues Loch, und in diesem Loch schwamm wie in dunklem, unergründlichem Wasser ein Gesicht - verzerrt, verdreckt und schweißüberströmt.

Der Mund öffnete sich.

Zum ersten Mal übertrugen die Außenmikrophone ein Geräusch. War es, weil es vorher nichts gegeben hatte, was sie hätten aufnehmen können? Oder waren die Mikrophone einfach vorübergehend ausgefallen?

»Fremdartige Energiefelder!« kommentierte Astro-Ökologin Cora Stajnfeld und deutete auf die entsprechenden Anzeigen an der Panoramagalerie der Station. Keiner ihrer Begleiter ging darauf ein, denn immer noch knisterten sporadisch Funken über die Pyramide. Was sie mit bloßen Augen sehen konnten und zuvor schmerzlich am eigenen Leib erfahren hatten... Wieso sollten sie dazu auch noch die entsprechenden Meßanzeigen bemühen?

Aber Cora sah das anders: Sie hatte kein Auge für das, was draußen geschah. Ihre Sorge galt in erster Linie der Station und ihrer Gitterpyramide im Innern - wie sich die Mutter zunächst um ihr Kind kümmert, ehe sie Sinn für anderes entwickelt. In erster Linie jedoch, weil die Pyramide die einzige Möglichkeit war, von hier so schnell wie möglich zu verschwinden, falls es wirklich erforderlich wurde. Und eine funktionierende Station mit einem funktionierenden Stationscomputer natürlich genauso, denn ohne einen solchen gab es auch keine Gate-Steuerung - und ohne Gate-Steuerung auch keinen Sprung zurück in Sicherheit!

Die Stimme draußen wurde übertönt durch fernes Wummern und Kreischen. Dennoch vermochte Petro Galinksi die Worte zu verstehen:

»Geschafft! Denen werden wir es zeigen!«

Und dann kamen die anderen Gesichter.

*

Keine Sekunde zweifelte Petro daran, daß die Stimme sie drei meinte. Deshalb schnellte seine Rechte vor, um eine Alarmtransition vorzubereiten.

Inzwischen hatten sie ja ihre Erfahrungen damit, wie sie die Instrumente und die Bedienungsanordnungen der Panoramagalerie verstehen mußten. Die GG-Stationen waren im Grunde genommen alle nach dem gleichen Muster aufgebaut. Zwar gab es Abweichungen, aber die waren in der Regel nicht so gravierend. Nur auf Vetusta, wo sie damals (damals? Wie lange war das denn eigentlich jetzt her?) unfreiwillig zum ersten Mal materialisiert waren, Millionen von Lichtjahre von der Erde entfernt, wie sie inzwischen wußten... Dort war alles ziemlich anders gewesen. Da hatte es auch zunächst keine Panoramagalerie gegeben, denn diese hatte sich in einem anderen Raum befunden. Kein Wunder, denn Vetusta war irgendwann einmal ein relativ bedeutender Gate-Bahnhof gewesen, der zentral gesteuert worden war. Davon war allerdings nicht mehr allzu viel übrig, nachdem im Großen Krieg des Prupper-Imperiums (wohl nur ein Bürgerkrieg, wie sie Anlaß hatten zu vermuten, ohne allerdings bisher die Chance gehabt zu haben, wirklich Konkretes darüber zu erfahren) der Bahnhof zum größten Teil zerstört worden war.

»He, Stationscomputer!« unterstrich er noch verbal die Maßnahme. Seltsam, wieso hatte sich der Stationscomputer bisher noch nicht gemeldet? Er hatte doch auf ihr Kommen reagiert, und in einem solchen Fall wäre eine entsprechende Begrüßung fällig gewesen. Die Radartimer, die jeder von ihnen am Handgelenk trug, sendeten nach einer Materialisierung sofort einen entsprechenden Erkennungs-Code, der sie als berechtigt auswies. Der Stationscomputer von Vetusta hatte sie ihnen mit auf den Weg gegeben, als er die drei gezwungen hatte, ins GG-Netz des Prupper-Imperiums einzudringen, um herauszufinden, was seit dem Großen Krieg überhaupt geschehen war, denn der Stationscomputer von Vetusta war seitdem abgeschnitten von der Außenwelt. Wenn er automatische Sonden geschickt hatte, war keine von denen jemals wieder zurückgekehrt, aber automatische Sonden besaß er schon lange keine mehr...

»Nein!« brüllte John Millory, der die Alarmtransition verhindern wollte.

Und der Stationscomputer reagierte auch nicht auf die direkte Anrede von Petro.

Petro zögerte. Seine Hand schwebte über dem schicksalhaften Schalter.

Sie griff nicht zu.

Sie hätten nur noch zwei Sekunden gehabt, um in die Pyramide zurückzuspringen, damit sich hinter ihnen der Durchgang schloß und das FluoreszenzFeld aufzucken konnte, um sie von hier wegzureißen.

Aber das hätte nur funktionieren können, wenn durch die Erschütterungen und die fremdartigen Energieemissionen (wie Cora sie bezeichnete) nicht eine Störung der Transistionsfähigkeit eingetreten war. Es würde zwar nicht unbedingt gefährlich werden für sie, aber der Vorgang an sich würde unsteuerbar sein. Im besten Fall würde es überhaupt keine Transition geben...

Die Gesichter draußen schoben sich indessen heran. Es handelte sich um eine Ausschnittsvergrößerung, denn die Gesichter waren menschlich, aber viel zu groß. Ja, eine Ausschnittsvergrößerung! bekräftigte Petro in Gedanken. Anders kann das doch gar nicht sein.

Und der Stationscomputer meldete sich immer noch nicht.

»Was ist los?« rief Petro ärgerlich. »Wieso meldest du dich nicht?«

»Störung!« erläuterte Cora, die sich immer noch mit den Kontrollen und Meßanzeigen beschäftigte. Sie war eine der genialsten Wissenschaftler ihrer Zeit. Man konnte ihr durchaus zutrauen, daß sie genau wußte, was sie tat. »Der Stationscomputer ist nur noch eingeschränkt verfügbar. Die Energieeffekte können von ihm nicht erklärt werden. Es gibt keine brauchbaren Meßergebnisse zumindest.«

»Nur wegen der Störung?« vermutete John Millory.

Der Nebel draußen verzog sich mehr und mehr und gab die Gestalten frei, die zu den Gesichtern gehörten.

Die Männer und Frauen zeigten wenig Interesse an der GAARSON-GATE-Station.

Sie drängten vielmehr vorbei wie von Furien gehetzt.

Es wurden immer mehr!

Jetzt fand Petro heraus, was dieses Wummern und Kreischen war, das sich verstärkte und wie ein Orkan über sie hinwegbrauste: Sirenen!

Welche Gefahr lauerte dort hinten? Was trieb die Menschen zur Flucht?

Mindestens zweihundert hatten bereits die Stelle passiert, wo die Station stand.

Der Strom riß nicht mehr ab.

Cora zeigte sich von allem ungerührt. Sie atmete auf einmal erleichtert auf:

»Die GAARSON-GATE-Station ist soweit unbeschädigt, daß ihre Funktion nicht entscheidend eingeschränkt ist«, umschrieb sie das Ergebnis ihrer Untersuchung. In den Ohren ihrer Mitstreiter klang es ein wenig zu geschraubt. Sie fuhr fort: »Mit anderen Worten: Wir könnten jederzeit von hier verschwinden.«

»Und wieso tun wir es dann nicht?« beschwerte sich Petro und warf einen schrägen Blick auf John.

Cora ging gar nicht darauf ein: »Die fremdartigen Energiefelder haben zwar die gesamte Sprachsteuerung und Außenerfassung gestört, aber das hat ansonsten keine Auswirkungen.« Sie warf einen Rundumblick auf die Panoramagalerie und schien erst jetzt bewußt wahrzunehmen, was da draußen abging. Sie stemmte sich verblüfft hoch. »Was geht denn da vor?«

John knirschte mit den Zähnen. »Eine Million Belohnung für den, der es mir auf der Stelle sagt!«

Petro fügte dazu: »Und eine Million zusätzlich von mir. Ich halte mit!«

Doch da war niemand, der es ihnen erklären konnte. Am wenigsten die Station, die aufgrund ihrer Teilstörung sprachlos blieb.

*

Seit zwei Jahren schon, seit es existierte, belagerten sie das energetische Abwehrfeld, das sie alle zu Gefangenen degradierte. An vielen Punkten gab es ähnliche Versammlungen. Anfangs wurden sie immer mit Schockwaffen versprengt. Jetzt hatten die Ordnungskräfte diese Maßnahmen als auf die Dauer sinnlos aufgegeben.

Harold Dedham befand sich seit einer halben Stunde in vorderster Linie. Die übrigen hielten sich mit zweihundert Meter Abstand zurück. Immer nur ein Mann wurde als Wache eingeteilt, denn es war schon passiert, daß sich das Energiefeld sprunghaft änderte und Menschen in den Tod riß.

Wohl fühlte sich Harold Dedham nicht in seiner Haut. Doch jeder mußte sich dieser Gefahr einmal aussetzen. Es gehörte einfach dazu.

Nur hier war es möglich, eine Lücke im Feld rechtzeitig zu erkennen.

Ja, das gab es tatsächlich: gelegentliche Aussetzer. Dann bildete sich an gewissen Stellen ein Loch, durch das man entweichen konnte - wenn man schnell genug war.

Harold Dedham blickte über das freie Feld. Die Stadt befand sich fünfhundert Meter hinter ihm. Sie sagten nur noch »das Wohnmonster«: Zehn Millionen Menschen, verteilt auf zehn Gebäude, insgesamt auf einer Grundfläche von zehn mal zehn Kilometern. Dazwischen, zwischen den himmelstürmenden Wohnsilos, befanden sich künstliche Parkflächen, die längst nicht ausreichten, und Verkehrsverbindungen. Zehn Millionen Menschen in gigantischen Wohntürmen, die wie Pilze ohne Pilzdach wirkten, zusammengepfercht, mit Mindestwohnanspruch und Nulltarif bei der Miete und beim Essensempfang. Die total geplante Stadt als Tortur für jeden Individualisten. Und Individualismus war gerade deswegen zur Zeit auf diesem Planeten ganz besonders »in«.

Harold Dedham spürte etwas. Es kündigte sich mit einem Kribbeln auf der Haut an.

Er ahnte, was kam, und wandte sich augenblicklich zur Flucht.

Zu spät. Das Unheil brach über ihn herein.

Grelle Blitze fraßen sich in das Energiefeld, mächtige Entladungen erschütterten die Erde.

Harold Dedham sah sich im Kreuzfeuer der Hölle. Die Pein schleuderte ihn zu Boden.

Doch er starb nicht: Die entfesselten Energien tobten sich auf einer höheren Ebene aus: Was Dedham mitbekam, waren gewissermaßen nur die kleineren Ausläufer.

Das Feld pumpte regelrecht. Es hatte sich zusammengezogen, daß Dedham schon mit seinem Leben abgeschlossen hatte, doch im nächsten Augenblick hatte es sich sprunghaft ausgedehnt, weit über die übliche Grenze hinaus.

Und da sah Dedham das Gebäude, das dort draußen stand. Es war eine Pyramide, die überhaupt nicht in das Stadtbild paßte.

Er hatte keine Ahnung von GAARSON-GATE, weil er als Städter ganz andere Sorgen hatte.

Niemand in einer solchen Wohnhölle interessierte sich für Dinge, die außerhalb eine Rolle spielten, und schon gar nicht für Dinge, die sogar außerhalb des Planeten abliefen.

So wußte er gar nicht, daß sich gewissermaßen vor den Toren der Stadt eine GAARSON-GATE-Station befand, wie sie zum halben Dutzend über den ganzen Planeten verteilt standen. Sie waren zwar allesamt initiiert und wurden von den jeweiligen Stationscomputern ständig überwacht, aber niemand aus der Stadt hatte Interesse daran, sie auch wirklich zu benutzen, zumindest keiner der »üblichen« Bürger, die in der Regel gar nicht um ihr Vorhandensein wußten.

Genauso wenig eben wie Harold Dedham!

Selbst diejenigen, die von ihrer Existenz wußten, hatten kaum Interesse an ihr, denn auch sie hatten ganz andere Sorgen: Ständige Unruhen nämlich zur Zeit in den von Unzufriedenheit und offenen Auseinandersetzungen geprägten Millionenstädten, gegen die man einfach kein gültiges Mittel fand - außer eben tödliche Energiefelder, die jede Stadt einhüllten und sie von der Außenwelt mehr oder weniger hermetisch abriegelten.

Das Feld erreichte eine Ausdehnung, die sich fatal auf das pyramidenförmige Stationsgebäude auswirkte. Es wurde in den Grundfesten erschüttert. Wenn es nicht extrem robust gebaut, offensichtlich sogar mit einer Metallverkleidung versehen gewesen wäre... Es wäre wahrscheinlich hochgegangen, wie von einer Bombe getroffen.

Aber Harold Dedham begriff dabei, was hier wirklich geschah: Diese Pyramide selbst, die ihm wie aus dem Nichts entstanden erschien, hatte das Energiefeld regelrecht angesaugt. Es war erst unruhig geworden, hatte zu pumpen begonnen und sich anschließend ausgedehnt bis zur Station.

Er hatte keine Ahnung, wieso das so war. Er wußte ja nichts von einem FluoreszenzFeld, das im Innern aufgezuckt war, um drei Besucher aus einer anderen Welt materialisieren zu lassen. Das FluoreszenzFeld vertrug sich nicht mit der Energieglocke. Etwas, was die Stadtväter offensichtlich nie berücksichtigt hatten, sonst hätten sie entsprechende Vorkehrungen getroffen.

Er wollte wieder aufstehen, aber da trat das Ereignis in die Schlußphase ein: Das Energiefeld zerplatzte wie eine zu groß gewordene Seifenblase.

Die Luft wurde von irren Energieerscheinungen heimgesucht, die aus der klaren Luft undurchdringlichen Nebel machten.

Er verlor das Bewußtsein.

*

Der Nebel war noch da, als er erwachte. Harold Dedham erinnerte sich sofort. Er wandte sich in die Richtung, in der er die für ihn sehr eigenartige Pyramide wußte.

Es war mit allem zu rechnen, aber es zählte nicht mehr für ihn: Dedham sah mit aller Deutlichkeit, daß es den Energieschirm nicht mehr gab!

»He!« schrie er aus Leibeskräften.

Jetzt mußten die anderen aufmerksam werden, wenn sie nicht schon durch die Ereignisse neugierig gemacht worden waren.

Rechneten sie damit, daß er nicht mehr lebte?

»Geschafft! Denen werden wir es zeigen!«

Diese Worte von Harold Dedham waren das Signal für die allgemeine Flucht durch den geborstenen Energieschirm. Eine wahre Völkerwanderung setzte ein. Zirka fünftausend Menschen hatten sich versammelt, um auf ihre Chance zu warten. Jetzt war die Chance da, und jeder wollte der erste sein, der sie wahrnahm.

Dedham eilte ihnen allen voraus. Wenn diese Pyramide vielleicht sogar eine Beobachtungsstation der Ordnungskräfte war, dann versagte sie, denn es erfolgte von dort keinerlei Gegenmaßnahme gegen die Flucht.

Es blieb ihm auch nichts anderes übrig, als mit allen anderen diese Richtung zu nehmen. Sonst hätten sie ihn einfach überrannt und in den Boden gestampft.

An der Pyramide fand niemand Interesse. Und Gefallen auch nicht. Vielleicht war sie ja doch eine Einrichtung der Ordnungskräfte - irgendwie -, die allerdings versagte, zu ihrem Glück?

*

»Das darf doch nicht wahr sein!« stöhnte Jason Cock. Seine Instrumente spielten verrückt. Er griff in die Bedienungselemente und versuchte, den alten Zustand wiederherzustellen.

Vergeblich. Der Schirm in Sektor »B«, für den er zuständig war, zerplatzte wie eine Seifenblase. Dabei entstanden unbekannte Energiefelder, die den Computer vor unlösbare Probleme stellten. Es zeigte sich einmal mehr, daß die Energieschirme eine Technik waren, die sie längst nicht völlig im Griff hatten. Sie hätten noch über Jahre erprobt werden müssen. Vor allem hatte niemand daran gedacht, daß von der GAARSON-GATE-Station außerhalb auch nur die geringste Gefährdung hätte ausgehen können. Zumal sie das letzte Mal seines Wissens vor über zwei Jahren benutzt worden war, um sogenannte Traummaschinen zu importieren. Zu einer Zeit also, als es die Energieschirme noch gar nicht gegeben hatte.

Es war alles so gut wie nicht erforscht. Aber die Zeit hatte gedrängt. Die politische Führung hatte befürchtet, es würde einen Massen-Exodus aus den Wohnhöllen der Millionenstädte geben. Sie wollten einfach nicht wahrhaben, daß dieses Konzept absolut gescheitert war, und hatten alles tun wollen, dieses Scheitern doch noch zu verhindern - auch mit Gewalt!

Eine solche Maßnahme, diktiert von dem Willen zur Gewalt, das waren eben diese Energieschirme.

Für Jason Cock spielte es zunächst keine Rolle, was denn nun wirklich bei der Station den Anlaß gegeben hatte. Es interessierte ihn nur, daß eben die Energieglocke zusammengebrochen war, und das erzeugte genau das Chaos, das die Energieschirme hatten verhindern sollen...

»Verdammt!« knurrte Jason Cock.

Die anderen in der Steuerzentrale wurden aufmerksam. Sie schauten herüber. Einer sprang auf und verließ vorschriftswidrig seinen zugeteilten Platz.

Er sah die verzweifelten Bemühungen von Jason Cock und daß sein Energieschirm zusammengebrochen war.

Der schlimmste aller denkbaren Fälle!

Selbst die Bildschirme zeigten nur noch wirre Farbmuster und dann grauen Nebel, in dem Blitze zuckten wie bei einem schweren Gewitter.

Was war passiert?

Cocks Kollege kehrte schleunigst auf seinen Platz zurück. Er befürchtete, daß ihm dasselbe passieren könnte. Man würde Cock für die Sache verantwortlich machen, auch wenn er nichts dafür konnte. Deshalb waren die politischen Beobachter da. Sie mußten jeden Übergriff im Keim ersticken und durften dabei nicht zimperlich in der Auswahl ihrer Mittel sein.

Jason Cock bemühte sieh noch immer verzweifelt, die Ursache der Katastrophe festzustellen und ihre Folgen zu verhindern, aber der Computer gehorchte nicht. Es war unmöglich, das Energiefeld neu aufzubauen. Erst einmal mußten die Energieausbrüche ein Ende gefunden haben.

Er dachte an die etwas fünftausend Bürger, die allein den Schirm von Sektor »B« belagerten. Insgesamt gab es in der Zehn-Millionen-Metropole mindestens sieben Millionen, die lieber jetzt als später aus der Stadt geflohen wären. Nur mit dem Energieschirm konnte das Schlimmste verhindert werden. Sonst hätten die Ordnungskräfte im Innern der Stadtgebäude mehr Gewalt anwenden müssen - noch mehr Gewalt! Es wäre zur Eskalation gekommen und damit zu einem blutigen Bürgerkrieg.

Und jetzt war das Schlimmste passiert: Der Energieschirm dieses Sektors war ausgefallen! Ein Loch in der Verteidigung nach innen - sozusagen. Erst diese rund fünftausend Bürger, die fliehen würden. Und dann?

Aber es blieb vorerst unmöglich, das Energiefeld in Sektor »B« wieder aufzubauen. Der Computer hatte durch die Störung, die letztlich zum Zusammenbruch geführt hatte, ebenfalls etwas abbekommen.

Und jetzt flohen nicht nur die Menschen, die das Feld belagert hatten, sondern es kamen einige weitere hinzu, die das nächstgelegene Gebäude verließen und zu rennen begannen.

Jason Cock legte den rot gekennzeichneten Alarmhebel um. Die ganze Stadt wurde von heulenden, wummernden und kreischenden Sirenen gemartert. Sie erreichten Phonstärken, die jeden gesunden Menschen zum Nervenbündel werden ließen.

Generalalarm für Stratford, wie diese Stadt hieß!

Jason Cock betätigte als nächstes die Sprechanlage, um sich mit dem obersten Sicherheitsbüro in Verbindung zu setzen. Er würde seine Niederlage erklären müssen.

Keiner der Kollegen schaute herüber. Sie beneideten ihn nicht um seine Lage und waren heilfroh, nicht in seiner Haut zu stecken.

Und die politischen Beobachter standen längst bereit. Sie beobachteten jede seiner Maßnahmen. Sie würden die maßgeblichen Zeugen sein, wenn es später zur Verhandlung seines Falles kam. Er durfte also nicht den geringsten Fehler machen. Nichts durfte man ihm nachweisen können an Versagen. Sonst war er erledigt.

Jason hatte berechtigt Angst!

Aber dann sagte er sich: Mehr als den Kopf abreißen können sie mir nicht!

Das machte ihn ruhiger, so ruhig, wie er sein mußte, um wirklich keinen Fehler zu machen.

Als auf dem Kommunikationsschirm ein zorniges Gesicht auftauchte, wirkte er fast gelassen.

»Kommandant«, sagte Jason Cock, »es ist den Bürgern in Sektor 'B' gelungen, den Schirm zu knacken. Zur Stunde ist es für mich unmöglich, die Angelegenheit zu klären, da mein System beim Zusammenbruch des Schirms ein Schaden abbekommen hat.«

*

Die einzigen, die Jason Cock eine einigermaßen plausible Erklärung hätten geben können, waren die Gatespringer. Doch die wußten immer noch nicht, was um sie herum passierte.

»Wir müssen raus hier!« ermahnte Astro-Ökologin Cora Stajnfeld ihre beiden Gefährten.

Petro sah auf die wogenden Menschenmassen und dachte sich, daß dies ein sehr schlechter Rat war. Sie hatten allerdings einen kleinen Vorteil, denn die Ausstiegsluke der Station befand sich in der Richtung, in die die Menschen flohen. Also liefen sie nicht unbedingt Gefahr, überrannt zu werden. Doch sie würden die Flucht wohl oder übel mitmachen müssen - wovor auch immer.

Aber wozu sollten sie das? Wieso verschwanden sie nicht einfach wieder von dieser Welt?

Petro schaute Cora an.

Sie erwiderte den Blick:

»Willst du denn nicht wissen, was hier vor sich geht? Was nutzt es denn, einfach von hier wieder abzuhauen? Wir könnten zur unserer letzten Zwischenstation zurückkehren. Und was dann? Sollen wir dort versauern? Von dort gibt es nur zwei Ziele. Das eine ist diese Station hier - und das andere ist zurück nach Mu, mitten in das Inferno unberechenbarer Vulkanausbrüche. Na?«

»Es muß doch auch eine andere Möglichkeit geben!« beharrte Petro.

»Welche denn? Der Stationscomputer ist nicht zu hundert Prozent klar. Er wäre zur Zeit nicht in der Lage, ein anderes Ziel ausfindig zu machen.«

»Auch wenn wir die Sachlage hier klären könnten: Was dann? Wir müssen ja trotzdem wieder mit diesem Gate hier zur Zwischenstation zurück...«

»Nicht unbedingt!« gab Cora zu bedenken. »Denke an die Möglichkeiten der Station: Sie kann sich selbst reparieren. Aber das dauert eine Weile. - Und je länger wir hier debattieren, desto mehr kostbare Zeit verstreicht vielleicht unnötig. Oder willst du riskieren, daß am Ende jemand hier auftaucht und wir in Erklärungsnot geraten?«

»Also gut!« knurrte John, der ähnliche Gedanken hegte, »machen wir halt den Volkslauf mit. Soll ja sehr gesund sein.«

Er war als erster an der Luke und drehte das Handrad, weil der Stationscomputer keine Anstalten machte, sie automatisch zu öffnen.

Astro-Ökologin Cora Stajnfeld nahm noch ein paar Berechnungen vor. Petro mußte sie fast mit Gewalt losreißen, obwohl sie doch gerade noch sehr gedrängt hatte.

Die Luke schwang auf. Hintereinander sprangen sie hinaus.

Es roch stark nach Ozon. Eine Folge der Energieentladungen?

Petro wunderte sich, daß diese Entladungen keine Folgeschäden bei ihnen verursachten. Er fühlte sich sich jedenfalls ganz so wie sonst.

Petro warf die Luke zu. Auch das tat der Stationscomputer nicht selbständig.

War er denn doch mehr beschädigt, als Cora nach ersten Untersuchungen festgestellt hatte?

Keiner der Vorüberhetzenden achtete auf die drei Gatereisenden.

Aber John mußte seine Ansicht schnell berichtigen. Da war jemand, der sogar sehr reges Interesse an ihnen zeigte. Er machte auch die allgemeine Flucht nicht länger mit, sondern stand abwartend im Schatten der Station, damit ihn niemand umrannte, und betrachtete sie wie drei Wesen, die geradewegs aus dem Jenseits angekommen waren.

*

Harold Dedham lief nicht weit. Kaum erreichte er den Schatten der Pyramide, hielt er inne. Es war ihm ein wahnwitziger Gedanke gekommen.

Der Zusammenbruch der Energiekuppel mußte einen Sinn haben. Von den Ordnungskräften konnte sie wohl doch nicht stammen. Warum sollten sie ihren eigenen Schirm auf so spektakuläre Art und Weise zerstören? Also war die Pyramide keine Überwachungsstation, wie er anfangs angenommen hatte. Tatsache war für ihn nämlich, daß die Pyramide für den Zusammenbruch der Energiekuppel verantwortlich war - wie auch immer - und ihnen somit die Flucht ermöglichte. Das allein zeigte deutlich genug, daß die Leute, die dafür verantwortlich zeichneten, auf ihrer Seite standen.

Harold Dedham hatte das Gefühl, als wäre die Station nicht unbemannt. Möglich, daß er sich irrte; dann war immer noch Zeit, die Flucht fortzusetzen.

Deshalb stand er da und betrachtete das metallisch glitzernde Gebäude.

Schauder rieselten über seinen Rücken. Wirkte die Pyramide nicht, als stamme sie aus einer fremdartigen Welt?

Und da war eine Luke. Der Beweis, daß er mit seiner Vermutung richtig lag.

Aber wo blieb die Besatzung? Womöglich machte sie gar nicht auf?

Dedham dachte nach. Welchen Sinn hatte dieses Gebäude? Wenn man vermutet hätte, daß die Pyramide eine Gefahr für die Energiekuppel war, hätte man sicher Maßnahmen ergriffen. Wie lange stand das Gebäude denn schon hier? Er hatte sich noch nie dafür interessiert, was sich unmittelbar außerhalb der Stadt befand, noch nicht einmal für das, was außerhalb seines zugeteilten Wohngebäudes war.

Nur für die Energieglocke, seit es diese gab - und die wilde Natur weit außerhalb des gesamten Areals, unerreichbar, so lange die Energieglocke sie aufhielt, und deshalb den Stadtflüchtlingen wie das wahre Paradies erscheinend...

Ja, dafür hatte er alles getan, um die Stadt verlassen zu können. Wie die meisten der Bewohner auch. Ein Widerspruch in sich, denn die wußten genauso wenig wie er, was sie hier draußen letztlich wirklich erwartete, jenseits von ihren verklärenden Erwartungen.

Solche Pyramiden etwa, deren Bestimmung unklar war?

Was denn noch?

Es kam ihm auf einmal gar nicht mehr so als großer Vorteil vor, die Stadt zu verlassen. Sie alle waren es gewöhnt, versorgt zu werden. Das hatte sie zwar auch entmündigt, aber keiner der Städter hatte jemals lernen müssen, aus eigener Kraft zu überleben.

Er traute sich nicht, noch näher an die Luke heranzugehen.

Und da wurde die Luke doch von innen geöffnet!

Die drei Menschen, die herausstiegen, waren zwar seltsam gekleidet, doch wirkten sie so normal wie jeder andere Bürger in Stratford. Harold Dedham war beinahe enttäuscht. Doch seine Vorsicht blieb.

Die drei wurden auf ihn aufmerksam. Sie erwiderten seine forschenden Blicke.

Es sind tatsächlich Menschen! konstatierte Dedham im stillen. Hatte er denn etwas anderes erwartet?

*

Die drei Gatespringer wußten im ersten Augenblick nicht, wie sie reagieren sollten. Der Mann rührte sich nicht von der Stelle.

Petro machte einen Schritt auf ihn zu. Der Mann wurde unsicher.

»Wer sind Sie?« stieß er plötzlich hervor.

»Eine gute Frage. Erwarten Sie eine Antwort?« entgegnete Petro trocken.

Harold Dedham bewegte sich. Die drei sahen nicht nur aus wie Menschen, sie sprachen sogar dieselbe Sprache. Er packte Petro am Arm.

»Es ist mir egal, wie ihr es gemacht habt, aber lange wird es nicht mehr dauern, dann ist hier wieder alles beim alten. Ich schlage vor, wir verschwinden von hier. Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, daß die Ordnungskräfte davon erbaut sein werden von dem, was ihr getan habt!«

Einige der Vorbeihastenden schauten sie an und machten überraschte Gesichter. Sie hatten scheinbar mitbekommen, daß die drei aus der Pyramide gestiegen waren. Doch widmeten sie dem Ereignis keine große Aufmerksamkeit.

Und dann mußten sie sich sputen, denn auch im Schatten der Pyramide wurde es eng. Immer mehr Menschen flohen.

Wieso und wovor? fragten sich die drei.

Petro dachte an das seltsame Gebilde, das er auf einem der Sichtschirme anfänglich gesehen hatte. Nur eine Energieerscheinung?

Er schaute um die Pyramide herum, was nicht ganz ungefährlich war.

Nein, es war dieses riesige Gebäude dort drüben gewesen. Es stand weit genug weg, aber es war eben so riesig, daß es ziemlich nahe wirkte.

Es erinnerte an die Milliardenstädte auf der Erde, auch wenn diese noch wesentlich größer waren. Es wurde sogar behauptet, New-Manhattan sei so groß, daß man es vom Mond aus sehen würde. Das hatte Petro zwar noch nie kontrolliert, aber er wußte, daß man die Milliardenstadt von einem Tower-Satelliten aus sehen konnte.

Gemeinsam mit Harold Dedham, der sich knapp vorgestellt hatte, mischten sie sich unter das Volk und ließen sich mittreiben.

»Wohin geht es hier eigentlich?« erkundigte sich Cora keuchend.

Dedham betrachtete sie befremdet.

»In die Freiheit natürlich!« sagte er, als wäre es die richtige Antwort auf eine dumme Frage.

*

»Sie sind fristlos entlassen, Cock!« sagte das zornige Gesicht. »Warten Sie noch, bis der Ablöser übernommen hat!«

Es spielte für Cocks obersten Vorgesetzten keine Rolle, daß diese Maßnahme den Wiederaufbau des Schirms in unverantwortlicher Weise verzögerte.

Er wollte auch noch mehr sagen, aber Jason Cock hatte genug gehört. Er wußte, daß jetzt nichts mehr half. Das letzte Wort war gesprochen.

Er tastete die Verbindung aus. Keiner der anderen blickte herüber. Betretenes Schweigen herrschte in der Zentrale. Jeder dachte sich, daß es nur dem Zufall zu verdanken war, daß ausgerechnet Jason Cock hatte daran glauben müssen - und sie nicht.

Die politischen Beobachter verhielten sich nach wie vor abwartend. Sie hatten keinen entsprechenden Befehl bekommen, und sie hatten mitgehört, daß Cock auf jedenfall auf seine Ablösung warten mußte.

Die Tür öffnete sich. Die Ablösung trat ein. Immer befanden sich ein paar Männer in Bereitschaft, um im Notfall helfend eingreifen zu können. Seit den ersten größeren Zwischenfällen waren die Ordnungskräfte auf der Hut. Sie scheuten keine Mühen.

Jason Cock ignorierte seinen Nachfolger. Er hatte Besseres zu tun.

Mit beiden Händen griff er in die Kontrollen. Seine Finger tanzten wie selbständige Wesen über die Tastaturen.

Es war eine Sache von Sekunden, dann hatte er erreicht, was er wollte. Er gab das Programm ein und löschte die Vorinformationsgabe. Jetzt würde es fast unmöglich sein, die Daten nachzukontrollieren, die er eingegeben hatte.

Ohne Übergang widmete sich Jason Cock den Ereignissen am geplatzten Schirm.

Der Computer sprach endlich wieder an und begann, den Schirm erneut aufzubauen.

Die Beobachter hatten Cock gerade gewaltsam von seinem Sitz entfernen wollen, aber als sie sahen, daß er Erfolg hatte mit seinen Maßnahmen, zögerten sie.

Aber der Aufbau des Schirmes kam trotzdem zu spät für Tausende von Bürgern, die bereits auf der Flucht waren.