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STAR GATE – das Original: Die 14. Kompilation
Wilfried A. Hary (Hrsg.): „Die Bände 131 bis 140 der laufenden Serie STAR GATE – das Original – zusammengefasst!“
Die Serie STAR GATE – das Original existiert nun schon seit 1986(!). Einige Autoren sind daran beteiligt. Viele Leser schätzten das frühere Heftformat und genießen das Taschenbuchformat, in dem die Serie inzwischen erscheint, aber es gibt nicht wenige Leser, die immer wieder auch nach einem umfangreichen Buchformat verlangen, vergleichbar etwa mit den Silberbänden der Perry-Rhodan-Serie.
Für diese haben wir nun die nächste Kompilation geschaffen, basierend auf den folgenden Bänden der laufenden Serie:
131 »Nestol« Wilfried A. Hary
132 »Fendsal« Wilfried A. Hary
133 »Soasoll« Wilfried A. Hary
134 »Reanimation« Wilfried A. Hary
135 »Exodus« Wilfried A. Hary
136 »Snadrojs Welt« Wilfried A. Hary
137 »Spur im Nichts« Wilfried A. Hary
138 »Verschollen« W. A. Travers
139 »Verfolgt« W. A. Travers
140 »Die Zuflucht« W. A. Travers
Viel Freude beim Lesen dieser immerhin wieder ganze 10(!) Bände umfassenden Kompilation!
Euer Wilfried A. Hary (Hrsg.)
Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie
STAR GATE - das Original:
Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary,
Frank Rehfeld
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch)
by hary-production
Achtung: „STAR GATE - das Original“ ist eine eigenständige Serie, die nachweislich Jahre vor Serien ähnlichen Namens begann, wie sie im Fernsehen laufen oder liefen oder im Kino zu sehen sind oder waren! Daher der Zusatz „das Original“!
ISSN 1860-1855
© neu 2019 by HARY-PRODUCTION
Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken * Telefon: 06332-481150 * eMail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.
Coverhintergrund: Anistasius, Logo: Gerhard Börnsen
Nähere Angaben zum Herausgeber und Hauptautor siehe Wikipedia, Suchbegriff Wilfried A. Hary
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Die 14.
Kompilation
Wilfried A. Hary (Hrsg.)
Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie STAR GATE - das Original: Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary, Frank Rehfeld.
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de.
ISSN 1860-1855
Diese Fassung basiert auf den Romanen
der laufenden Serie!
© 2019 by HARY-PRODUCTION
Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken
Telefon: 06332-481150
www.HaryPro.de
eMail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und
Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.
Lektorat: Werner Schubert
Logo: Gerhard Börnsen
Coverhintergrund: Anistasius
Achtung: „STAR GATE - das Original“ ist eine eigenständige Serie, die nachweislich Jahre vor Serien ähnlichen Namens begann, wie sie im Fernsehen laufen oder liefen oder im Kino zu sehen sind oder waren! Daher der Zusatz „das Original“!
Die Serie STAR GATE – das Original existiert nun schon seit 1986(!). Einige Autoren sind daran beteiligt. Viele Leser schätzten das frühere Heftformat und genießen das Taschenbuchformat, in dem die Serie inzwischen erscheint, aber es gibt nicht wenige Leser, die immer wieder auch nach einem umfangreichen Buchformat verlangen, vergleichbar etwa mit den Silberbänden der Perry-Rhodan-Serie.
Für diese haben wir nun die nächste Kompilation geschaffen, basierend auf den folgenden Bänden der laufenden Serie:
131 »Nestol« Wilfried A. Hary
132 »Fendsal« Wilfried A. Hary
133 »Soasoll« Wilfried A. Hary
134 »Reanimation« Wilfried A. Hary
135 »Exodus« Wilfried A. Hary
136 »Snadrojs Welt« Wilfried A. Hary
137 »Spur im Nichts« Wilfried A. Hary
138 »Verschollen« W. A. Travers
139 »Verfolgt« W. A. Travers
140 »Die Zuflucht« W. A. Travers
Viel Freude beim Lesen dieser immerhin wieder ganze 10(!) Bände umfassenden Kompilation!
Euer Wilfried A. Hary (Hrsg.)
STAR GATE – das Original 131:
Nestol
„Ein ganzer Planet soll versteigert werden!“
Das Randall-Team befindet sich mit seinem Schiff, der Chamäleon, im Paralleluniversum und gelangte dort in den abgeschotteten Re-na-xerv-Sektor. Im Reich San-dir-um gab es Vorbereitungen, einen Vernichtungskrieg gegen alles Humanoide durchzuführen. Das Randall-Team schaffte es, das Schlimmste zu verhindern.
Damit ist ihre Hauptmission, Frieden zu schaffen zwischen den Reichen San-dir-um und Gro-pan, nur zur Hälfte erfüllt. Um als nächstes Gro-pan anzusteuern, übernehmen sie den einzigen Gro-paner, den es im abgeschotteten Sektor gibt, nämlich Ser Clahk, und bringen ihn zum Planeten Medos. Die einzige Möglichkeit, sein Gedächtnis wieder herzustellen.
Nachdem dies gelingt, erfahren sie endlich, wie die gegenwärtige Lage überhaupt im Reich Gro-pan ist – und von den Schwierigkeiten auf der Zentralwelt namens Soasoll…
DIE HAUPTPERSONEN:
Ken Randall – tut alles, um seine Zuversichtlichkeit nicht zu verlieren.
Nek Somer – der Präsident über einen ganzen Planeten ist so gut wie tot, doch niemand wagt, dies zu bestätigen.
Seli Somer – seine Frau, brachte ihren Mann nach Medos – als ihre letzte Hoffnung, und sie berichtet, wie die Lage wirklich ist auf Soasoll mit seiner totalen Überbevölkerung…
*
Ziss musste sich zuweilen insgeheim eingestehen, dass er sich die kleine, überschaubare Welt innerhalb seines Stammes zurück ersehnte. Zwar hatte ihm einiges dabei nicht gepasst, aber es war eben im Vergleich zu heute alles unverhältnismäßig einfacher, weil überschaubarer gewesen.
Selbst die Tatsache, dass er seine Stammesmitglieder, die zu führen und zu beschützen er geschworen hatte, andererseits hatte belügen müssen. Mit kleinen, aber im Grunde genommen miesen Tricks, um sie bei der Stange zu halten. Ja, sogar der ewige Konflikt in seinem Innern, betreffend die Götter, die er durch seine Tricks ja im Grunde genommen verhöhnte, war nichts gegen das, was heute war.
Eigentlich war er ja einen Weg gegangen, den er die ganze Zeit über durchaus hatte begrüßen können. Alles war ja extrem aufregend und herausfordernd gewesen. Aber damals, in seiner Rolle als Zauberpriester, Medizinmann und Stammesführer… Sogar die Tatsache, dass er als Stammesführer niemals hätte Nachkommen haben dürfen, wäre zu verkraften gwesen.
Er hielt inne mit seinen Schwelgereien: War es das tatsächlich?
Als Stammesführer war er jene Verpflichtung eingegangen. Er hätte niemals Geschlechtsreife entwickeln dürfen. Er hatte sich daher vor jeglicher individueller Sympathie gegenüber einem Stammesangehören hüten müssen.
Menschen hätten es wohl so formuliert: Ziss hätte sich niemals verlieben drüfen!
Doch wie heißt es so schön: Man vermisst im Grunde genommen nur das, was man kennt! Und jenes überwältigende Gefühl, wenn man sich als Echsenwesen in ein anderes Echsenwesen verliebte… Das war für ein solches Echsenwesen bedeutend mehr als es jemals für einen Menschen hätte sein können. Denn ein solches Echsenwesen hatte dabei nicht nur jene typischen Gefühle, sondern es begann, sich körperlich zu verändern: Es gelangte dabei zur sogenannten Geschlechtsreifung.
Dabei gab es unter den Echsenwesen keine Männer und Frauen. Sie waren alle neutral. Im Normalfall. Aber auch die Geschlechtsreifung machte sie nicht zu Angehörigen eines bestimmten Geschlechtes, weil jedes Echsenwesen nach Geschlechtsreifung sowohl Mann als auch Frau war.
Im Grunde genommen hätte sich ein solches Echsenwesen dabei auch selbst befruchten können, doch dies war die schwerste Sünde, die ein Echsenwesen überhaupt jemals hätte begehen können. Vor allem würde ihm dabei der absolute Höhepunkt der Geschlechtsreifung entgehen: Die Vereinigung! Dabei befruchteten sich die Echsenwesen gegenseitig. Das hieß, jeder Part war dabei eben sowohl männlich als auch weiblich. Und sobald sie sich gegenseitig die Eier befruchtet hatten, die in ihrem Bauch entstanden, trugen sie diese gemeinsam aus.
Die erste Geburt war dann das, was Menschen das Eierlegen nennen würden. Die zweite Geburt war mithin das Schlüpfen der Eier, wobei die Brütung davor von beiden Partnern abwechselnd vorgenommen wurde.
Wohlgemerkt, die Eier von beiden befanden sich im gleichen Nest und waren am Ende nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Das war durchaus so beabsichtigt, denn der Nachwuchs war ja im wahrsten Sinne des Wortes ein gemeinsamer.
Es gab innerhalb eines Stammes strenge Regelungen, was die Aufzucht der Brut betraf. Vor allem hatte jeder Stamm so etwas wie klare Geburtenkontrolle. Immerhin waren geschlechtsreife Paare in der Lage, innerhalb von nur wenigen Jahren einen kompletten Stamm neu entstehen zu lassen, ehe sich ihre Geschlechtsreifung allmählich wieder zurückbildete. Nach erneuter Neutralität blieben solche Paare zwar in der Regel bis zu ihrem Lebensende zusammen, doch sie waren zu keinem neuen Nachwuchs mehr fähig.
Ihr Stammesreglement sah zwingend vor, in Einklang mit der Natur zu bleiben. Daher war weiterer Nachwuchs sowieso schon während der Zeit der Geschlechtsreife streng untersagt.
Stämme waren sesshaft, gaben ihr Lager also erst auf, wenn die Umstände sie dazu zwangen. Notfalls waren sie natürlich in der Lage – falls es eine Dezimierung ihres Stammes gab beispielsweise durch eine Naturkatastrophe -, relativ schnell wieder zur alten Stammesstärke zurückzukehren, auf Grund ihrer Vermehrungsfreudigkeit, die dann vorübergehend ungebremst erfolgen durfte.
So kam es auch, dass es auf dem ganzen Planeten Sossas nur relativ wenige Stämme gab, die sich in der Regel kaum jemals in die Quere kommen konnten. Zwar wusste jeder Stamm, dass es auch noch andere Stämme gab, doch das interessierte im Grunde genommen nur wenig.
Das war auch der Grund, dass Sossaner gewalttätige Auseinandersetzungen mit ihresgleichen überhaupt nicht kannten.
Wenn Ziss dagegen an die Probleme der Gro-paner aber auch an die anderer Wesen innerhalb der Föderation dachte… Das hatte er erst einmal begreifen lernen müssen. Genauso wie die gegenwärtigen Probleme von Gro-pan mit seiner offensichtlichen Neigung zur Überbevölkerung. Für einen Sossaner völlig unverständlich, auch wenn er sich noch so viel Mühe gab, es begreifen zu lernen.
Wenn er in diesem Zusammenhang allein nur daran dachte, dass er solche Wesen einst einmal als die wahren Götter angesehen hatte…
Wäre er ein Mensch gewesen, hätte er an dieser Stelle den Kopf geschüttelt über sich selbst.
Überhaupt, alle Gedanken, die sich mit der Vergangenheit beschäftigten, muteten an, als wären es Erinnerungen eines Fremden.
Zuviel war inzwischen geschehen, aus seiner Sicht gesehen. Und vor allem eines: Er hatte bei seinen Missionen, wobei er als Mittler diente zwischen Medos und seiner Heimatwelt, die Erfahrung gemacht, dass er… sich verlieben konnte. Ausgerechnet in einen Zauberpriester, Medizinmann und Stammesführer eines anderen Stammes.
Es hatte beide wie ein Blitz aus heiterem Himnmel getroffen. Sie hatten sich dagegen wehren wollen, wie es ihr Brauch eigentlich verlangte, aber wandte sich dieser Brauch denn nicht ausschließlich gegen Mitglieder des eigenen Stammes? Und überhaupt: Die Dinge hatten sich nun einmal geändert. War da nicht auch ein gewisses Umdenken erforderlich?
Darüber hatten sie beide zu lange gegrübelt, um dann noch die Kraft aufbringen zu können, zu verhindern, was inzwischen unvermeidbar geworden war: Die Geschlechtsreifung hatte bei beiden eingesetzt!
Aber dann war es wieder an der Zeit gewesen für Ziss, Sossas zu verlassen, um nach Medos zu reisen. Dafür stand ihm sogar ein eigenes Raumschiff zur Verfügung, ihm ganz allein. Er hätte seinen neuen Partner am liebsten gleich mitgenommen nach Medos, aber das musste er erst hier mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten Plas-soll absprechen. Er durfte in dieser Hinsicht nicht eigenmächtig handeln. Soviel war klar.
Und dann war die Sache mit der Rückkehr von Ser Clahk dazwischen gekommen. Es hatte keine Gelegenheit gegeben, sich Plas-soll gegenüber zu erklären.
Nun, diese Zeit ging ja glücklich vorüber, und er hatte sich schon riesig darüber gefreut, dass es ein so gutes Ende genommen hatte. Jetzt hieß es nur noch, ein wenig abwarten, ehe er Plas-soll eröffnen konnte, was mit ihm los war. Von allein würde Plas-soll wohl erst darauf komen, wenn die Geschlechtsreifung offensichtlicher wurde.
Und genau in dem Moment, als er mit der Wahrheit hatte herausrücken wollen, um Plas-soll zu bitten, seinen Partner Miniss als zweiten Kontaktmann für Sossas anzuerkennen, damit er möglichst viel mit diesem hätte zusammen sein können… Genau da musste jener Präsident von Soasoll her gebracht werden. Und jetzt war dessen Genesung natürlich so vorrangig, dass Ziss erneut seine eigenen Wünsche zurückhalten musste.
Er schaute auf die Anzeigen: Es war soweit. Der Präsident befand sich in Stasis, also in einem Zustand, in dem man eigentlich nicht feststellen konnte, ob ein Wesen bereits tot oder noch wiederbelebungsfähig war. In diesem Zustand hätte der Präsident die nächsten tausend Jahre verbringen können, ohne dass für ihn auch nur die geringste Veränderung eingetreten wäre.
Für Ziss hieß es, dass jetzt sein Einsatz begann. Sobald er sich mit dem Präsidenten näher beschäftigen konnte, weil sämtliche technischen Voraussetzungen erfüllt waren, würde er gemeinsam mit dem restlichen Ärzteteam trotz der widrigen Umstände eine Diagnose versuchen. Dabei musste keiner von ihnen in persönlichen Kontakt mit dem leblosen Körper treten.
Die Sekunden vor seinem Einsatzsignal verbrachte Ziss damit, gegen seine Sehnsucht anzukämpfen. Sehnsucht nach Miniss. Und das war eine Sehnsucht von völlig anderer Qualität als es bei einem verliebten Menschen der Fall gewesen wäre. Weil diese Sehnsucht nicht nur irgend ein Gefühl war, sondern der Motor, der die drastische Veränderung seines Körpers bewirkte.
Ziss war jedoch hundertprozentig sicher, dass er seine Arbeit trotzdem unbeeinträchtigt erledigen konnte. Wäre er nicht so sehr davon überzeugt gewesen, hätte er sich sofort bei Plas-soll gemeldet, um diesem endlich zu sagen, was mit ihm los war.
Nach der Diagnose – frühestens!, nahm er sich indessen vor.
*
Nahe Vergangenheit
(Soasoll, ehemalige Zentralwelt des Reiches Gro-pan, Ursprung aller Gro-paner)
„Das ist nun schon der zweite Morgen nach Ihrem Besuch bei Retep Fendsal. Hätten Sie gedacht, dass in nur zwei Tagen dermaßen viel passieren kann?“, fragte Weltpräsident Nek Somer.
Senator und Regierungssprecher Derf Tantor sah auf.
„Wir haben Resnad und Dumtrah total unterschätzt. Es gelang ihnen, uns noch weiter ins Abseits zu drängen, indem sie sogar die Volksabstimmung privat durchführten, ehe bei uns das Gesetz dazu fertig war. Glauben Sie wirklich, dass die Bevölkerung der Welt abgestimmt hat?“
Nek Somer nickte.
„Ich kenne nur noch nicht die Tendenz. Morgen wird es in den Zeitungen stehen.“ Er deutete auf die Tür zum Sitzungssaal. „Gehen wir in die Höhle des Löwen und hoffen, dass uns die wilden Tiere dort drinnen nicht zerreißen. Die meisten sind schon da.“
Tantor brachte sogar ein Grinsen zuwege, als sie aufstanden. Da trat eine junge Frau auf den Präsidenten zu.
„Präsident Somer, ein Gespräch für Sie!“
Somer blickte unschlüssig zu Derf Tantor. Dann packte er diesen einfach am Arm und folgte gemeinsam mit ihm der jungen Frau.
Der Bildschirm war klein. Dennoch ging nichts von dem mächtigen Eindruck verloren, den Pak Resnad in seinem Arbeitszimmer machte. Er lächelte jovial.
Tantor registrierte eher am Rande: Eine abgeschirmte Geheimverbindung!
„Sie wollen mit mir sprechen?“, erkundigte sich Somer ungläubig.
Pak Resnad nickte.
„Vor drei Tagen wäre es mir wohl kaum gelungen, mit dem mächtigsten Mann dieses Planeten eine Unterredung zu haben - auch nicht per Visiophon.“
Nek Somer zuckte mit keiner Wimper.
„Um was geht es, Bürger Resnad?“, entgegnete er unterkühlt.
„Ich wollte Ihnen das Ergebnis der Umfrage bekanntgeben – höchstpersönlich sogar“, gab Pak Resnad zurück.
„Für uns ist sie keinesfalls bindend!“, warnte ihn Somer vorsichtshalber.
Resnad hob beschwichtigend die Hände.
„Nun mal langsam. Immerhin stimmten fünfundvierzig Prozent der allgemein Wahlberechtigten ab. Davon knapp siebenundachtzig für uns und der Rest gegen das Projekt. Ich würde Ihnen wünschen, Präsident, dass Sie ebenfalls einmal ein solches Ergebnis bei den nächsten politischen Wahlen erzielten.“
Das Lächeln wurde unverschämt.
Bevor Somer seinem Ärger Luft machen konnte - was einem Präsidenten nicht würdig gewesen wäre -, tastete Tantor geistesgegenwärtig die Verbindung aus.
*
Die beiden begaben sich endlich in den Sitzungssaal. Tantor bemerkte des Präsidenten verkniffene Miene, jedoch nicht, dass Somer verstohlen mit der Hand die linke Brustseite abtastete. Das Herz machte ihm wieder zu schaffen. Er hatte gegenüber seiner Frau untertrieben, was seine Beschwerden betraf. Er wollte sie nicht noch mehr beunruhigen. Tatsächlich war er gesundheitlich so gut wie am Ende. Nur noch Medikamente hielten ihn aufrecht. Eine Operation war unumgänglich, nur wie sollte er das tun - gerade jetzt? Nicht nur, dass ihn eine solche Operation eine Weile komplett aus dem Verkehr gezogen hätte: Sein Körper befand sich insgesamt in keinem guten Zustand. Die Operation würde auf jeden Fall ein tödliches Risiko darstellen.
Gerade deshalb hieß es für ihn, gewissermaßen alles auf eine Karte zu setzen, eben in der Hoffnung, es heil zu überstehen.
Alle, die hatten kommen können, waren bereits anwesend.
„Seit drei Tagen die dritte Sitzung“, sagte der Präsident zur Eröffnung. „Ungewöhnliche Dinge erfordern ungewöhnliches Vorgehen. Uns sind die Ergebnisse der inoffiziellen Abstimmung bereits bekannt. Die Zahlen wurden uns soeben mündlich von Bürger Resnad übermittelt.“
Die Senatoren hörten schweigend zu, als die Daten bekannt gegeben wurden. Es blieb verhältnismäßig ruhig danach.
Senatorin Cora Grest meldete sich zu Wort:
„Wenn wir nicht zustimmen, haben wir also den größten Teil des Volkes gegen uns!“
Ein leises Gemurmel im Saal war die Antwort.
Die Körperhaltung Somers versteifte sich.
Er ergriff wieder das Wort:
„Mein Vorschlag: Wir beugen uns, stellen jedoch Bedingungen. Anders geht es einfach nicht mehr. Hier haben wir den praktischen Fall einer partiellen Kapitaldiktatur über die Entscheidungsfreiheit der Politiker. Die Verwirklichung wird folgendermaßen aussehen: Jeder interessierte Bürger bekommt einen gleich großen Anteil des Planeten Nestol. Keiner soll bevorzugt werden. Anteile sind nicht übertragbar, sondern bleiben bis zum Tode des Erwerbers in dessen Besitz - vererbbar nur von den Eltern auf die Kinder. Auch sind die jeweiligen Anteile unteilbar. Nähere Punkte hierzu und im allgemeinen werden noch festgelegt. Wir müssen rasch und unkonventionell handeln, soll nicht alles noch schlimmer werden. Spätestens morgen muss die Vollversammlung des Parlaments einberufen sein — unter Vorsitz der Minister. Dort wird endgültig ein Beschluss gefasst. Schnelligkeit ist unsere einzige und letzte Chance, sollen Pak Resnad und Sal Dumtrah nicht endgültig die wahren Herren dieses Planeten werden.“
Erschöpft hielt der Präsident inne.
Sein Vorschlag wurde tatsächlich vom Kabinett gebilligt. Jeder hatte erkannt, was das Gebot der Stunde war.
Einen Tag später, in der Vollversammlung, willigte sogar die sonst immer überaus kämpferisch sich gebende Opposition ein. Dem ging nur eine relativ kurze Debatte voraus - ein absolutes Novum in der Weltpolitik von Soasoll.
Die Minister als letzte Instanz hatten keine weiteren Einwände und unterschrieben das Gesetz, was Wort für Wort dem Vorschlag des Präsidenten entsprach.
Ein weiterer Tag verging, bis die Öffentlichkeit davon unterrichtet wurde. Die Hoffnung war auf der Seite der Weltregierung - die Hoffnung, dass die Politik als ein wichtiges Regulativ und nicht als Hemmschuh für den Fortschritt erkannt wurde.
*
„Dumtrah und ich können nicht alles allein machen. Wir sind keine Grundstücksmakler. Wir müssen auf Fachleute zurückgreifen - Fachleute wie Sie, mein lieber Bürger Domis. Makler wollen wir um uns scharen, die uns die größte Arbeit abnehmen. Wie ist es - wollen Sie mitmachen?“
Resnad sah sein Gegenüber erwartungsvoll an.
„Wo wird die Versammlung sein?“ Luap Domis konnte es nicht fassen, dass dieser überaus mächtige Mann sich ausgerechnet in dieser so delikaten Angelegenheit an ihn wandte.
Resnad zuckte die Achseln.
„In einer halben Stunde erfahren Sie mehr. Rufen Sie einfach den Zentralcomputer an.“
Nachdem die Verbindung unterbrochen war, blieb Luap Domis wie betäubt noch eine Weile sitzen. Träumte er oder war das eben wirklich der mächtige Pak Resnad in Persona gewesen?
Als er sich endlich aufrichtete, trat gerade seine rechte Hand Sirk Gnimalf ein.
Domis nickte ihm zu.
„Rufen Sie Ihre Frau an, Sirk! Wir werden verreisen müssen.“
*
Der Mann war sehr nervös. Oft blickte er auf seine Armbanduhr. Dann murmelte er Unverständliches vor sich hin. Es war nicht erkennbar, ob er das tat, weil er mit der Zeitanzeige nicht einverstanden war.
Nach einer Weile - er hatte abermals auf die Uhr gesehen - kam ein Straßenpassant vorbei.
Die beiden Männer tauschten einen kurzen Blick aus.
Das mochte Zufall sein. Immerhin war es selten, dass sich Gro-paner zu Fuß fortbewegten, wenn nicht aus rein sportlichen Gründen, was ebenfalls eher selten geworden war. Obwohl in den dreidimensionalen Videoprogrammen immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass auch die moderne Medizin nicht ausreichte, die durch Bewegungsarmut entstehenden körperlichen Schäden komplett auszugleichen.
Der zweite Passant ging fünfzig Meter weiter, blieb dann stehen und lehnte sich dort an eine Hauswand.
Seltsam, auch er hatte diesen Tick, in unregelmäßigen Abständen auf seine Armbanduhr zu sehen und dabei Unverständliches vor sich hin zu murmeln.
Inzwischen hatte sich der erste Mann entfernt.
Der zweite blickte ab und zu über die Straße hinweg. Das prächtige Haus, das dort stand, gehörte einem Mitglied des Regierungskabinetts. Ging man näher heran, sah man das kleine Schild neben dem Eingang: Derf Tantor. Auch auf dem Dach befand sich ein Eingang - bestimmt für Besucher, die mit dem Gleiter kamen. War es ein Zufall, dass auf dem Nachbardach ein Gleiter stand, dessen Insasse einen guten Ausblick herüber hatte?
Gerade trat Tantor oben, auf dem Dach, heraus. Er bemerkte nicht, dass er beobachtet wurde.
Er ging zu dem breiten Aufbau des Dachparkplatzes und ließ die automatische Tür aufschwingen. Sein Gleiter stand vor ihm.
Die Beobachter warteten, bis Derf Tantor damit vom Dach seines Hauses abhob. Vorher waren sie machtlos. Das Haus wurde von unzähligen Sensoren überwacht. Hier wurden Techniken angewendet, die in der freien Wirtschaft nahezu unbekannt waren. Kein Gro-paner auf Soasoll wurde so streng bewacht wie die Mitglieder des Weltparlaments. Sie durften keinen Zwängen ausgesetzt sein, um stets frei entscheiden zu können. Auch der Gleiter war hundertfach gesichert. Er besaß sogar ein relativ leistungsstarkes Energiefeld.
Tantor hatte mit seinem Gleiter schließlich den automatischen Überwachungsbereich des Hauses verlassen und schickte sich an, sich in den Luftverkehr einzufädeln, um zu seinem Ziel zu fliegen.
Seine Beobachter hatten etwas dagegen. Der Mann auf der Straße sprach hastig in das winzige Mikrofon in seiner Armbanduhr.
Der Führer des Gleiters auf dem Nachbargebäude drückte einen Signalknopf am Armaturenbrett.
Fast zwei Dutzend Schwebefahrzeuge erhoben sich gleichzeitig von den umliegenden Dächern. Sie rasten auf Tantor zu.
*
Der Regierungssprecher erschrak schier zu Tode. Das war das erste Attentat seines Lebens auf ihn!
Er drückte panikartig den Beschleunigungshebel nach vorn, hob damit die automatische Steuerung auf.
Das war gefährlich. Aber er wollte unter allen Umständen aus der Reichweite der fremden Gleiter kommen. Wahrscheinlich war der Gegner schwer bewaffnet. Wenn alle gleichzeitig schossen, hatte das schützende Energiefeld nur noch die Wirkung einer übergroßen Seifenblase.
Der Gleiter machte wunschgemäß einen Satz nach vorn.
Zwei, drei unbeteiligte Luftfahrzeuge stellten sich ihm unbeabsichtigt in den Weg. Im letzten Moment konnten sie ausweichen.
Der Gegner nahm sofort die Verfolgung auf.
Der Regierungsgleiter war natürlich schneller. Seine einzige Chance, denn es gab in Schussweite gegen die Übermacht keinen Schutz. Dass die Verfolger nicht schon geschossen hatten, war wohl aus Rücksicht geschehen, den übrigen Verkehr betreffend.
Terroristen und Attentäter, die Rücksicht nahmen?
Tantor fiel der Widerspruch nicht auf. Er litt Todesängste, während er zu fliehen versuchte.
Der Abstand vergrößerte sich zusehends. Die Verfolger blieben zurück. Sein Bemühen war zwar letztlich nichts als ein Akt der Verzweiflung gewesen, doch jetzt schien sein Kalkül tatsächlich aufzugehen, denn er geriet außerhalb der gefährlichen Schussweite. Das hieß, sein Energieschutzschirm würde ab diesem Abstand höchstwahrscheinlich einem direkten Beschusss standhalten können.
Und dann begriff er, dass sie seine Flucht einkalkuliert hatten. Sie hatten von vornherein gewollt, dass er in eine bestimmte Richtung floh.
Eine Falle mithin.
Natürlich!
Zu spät, etwas dagegen zu unternehmen.
Die Panik und Todesangst siegten in ihm endgültig. Er verlor die Beherrschung und griff voll in die Kontrollen.
Sein Gleiter zog hoch. Er orgelte mit Höchstbeschleunigung in den Himmel.
Wären Andruckkräfte aufgetreten, hätten sie Tantor zerschmettert.
Er sah bald ein, dass dies ein Fehler war, und drückte die Nase des Gleiters wieder nach unten.
Mit mehr als einem Mach raste er in den dichten Verkehrsstrom hinein. Die Katastrophe erschien unabwendbar.
Seine Augen waren schreckgeweitet. Er war unfähig, einzugreifen. Er wusste einfach nicht mehr, wie er das Schlimmste noch aufhalten konnte. Er hatte ganz einfach durch die unüberlegten Eingriffe in die Steuerung die Kontrolle über den Gleiter verloren.
Allein, er kam nicht weit. Eine Gigantenfaust schien plötzlich seinen Gleiter zu packen. Der rasende Flug verlangsamte sich rapide, ja, das Luftfahrzeug verlor auf einmal an Höhe, sank in Richtung Boden.
„Ein Traktorstrahl!“, rief Tantor aus.
Endlich fiel ihm etwas wirklich Brauchbares ein: Er drückte den Alarmknopf. Damit setzte er einen Sender in Betrieb, der automatisch den genauen Standort in den Äther strahlte.
Hundert Empfänger gleichzeitig würden diesen Notruf empfangen. Der Sicherheitsdienst würde aktiv werden.
Aber Derf Tantor hatte wieder einmal die Rechnung ohne den sprichwörtlichen Wirt gemacht. Normalerweise hätte sofort ein Bestätigungszeichen kommen müssen. Die grüne Lampe vor ihm hätte rhythmisch blinken müssen. Aber das geschah nicht!
Das konnte nur eines bedeuten: Der gut vorbereitete Gegner hatte ein starkes Störfeld aufgebaut. Der Notruf hatte keinerlei Möglichkeiten, von den zuständigen Stellen empfangen zu werden.
Und immer tiefer sank der Regierungsgleiter. Die vorbereitete Falle war zugeschnappt. Derf Tantors Mut sank gleichzeitig mit dem Luftfahrzeug.
*
„Ich weiß nicht, ob das richtig war“, rief Net Oss aus.
Liph Nietslot gönnte ihm einen vernichtenden Blick.
„Es war die einzige Möglichkeit überhaupt. Wir müssen etwas tun, bevor es zu spät ist. Die Regierung ist im Grunde genommen gegen das Projekt. Wir sind der Wille des Volkes!“
Net Oss schüttelte den Kopf.
„Ich bin mir nicht sicher. Natürlich will die Bevölkerung die Durchführung des Projektes Fendsal. Ist das aber ein Argument für Gewalt?“
Nietslot machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ich habe deine ewigen Einwände satt.“ Er zeigte auf den Bildschirm. „Du wirst sehen, wie groß unser Erfolg sein wird. Unsere Gruppe zählt mehr als dreißig Personen. Uns wird kein Mensch verdächtigen. Resnad und Dumtrah kommen viel eher in Frage. - Still jetzt, ich nehme mit diesem Tantor Verbindung auf.“
*
Derf Tantor hatte mit seinem Gleiter die Erde erreicht. Er sah hinaus.
Plötzlich stieg Nebel auf, verbarg ihm die Sicht.
Gleichzeitig summte es im Armaturenbrett.
Derf Tantor zögerte. Dann gab er sich einen Ruck.
Der Bildschirm des kleinen Bordvideos blieb dunkel, als der Bestätigungsknopf gedrückt war.
„Was wollen Sie von mir?“, fragte Tantor, das Zittern seiner Stimme unterdrückend.
„Wir wollen Ihnen vor allem nichts antun, Senator Tantor. Dies alles soll lediglich eine Warnung sein. Stellen Sie sich dem Fortschritt nicht mehr länger in den Weg. Die Bürger von Soasoll wünschen Nestol, und sie sollen diesen Planeten auch haben!“
Nach diesen Worten wurde die Verbindung einfach wieder gekappt.
Wenig später verschwand der Nebel.
Derf Tantor brauchte eine Weile, bis er begriffen hatte, dass alle Gefahr vorüber war.
Er schaltete die Gleiterautomatik ein und ließ sich erleichtert hinauf in den Verkehrsstrom tragen.
Die anderen Verkehrsteilnehmer taten so, als sei überhaupt nichts geschehen. Oder hatten sie es ganz einfach gar nichts mitbekommen? Wer in einem automatischen Gleiter saß, schaute ja nicht unbedingt andauernd nach draußen. Es gab genügend andere Ablenkungsmöglichkeiten, vor allem der elektronischen Art.
Das Zustandekommen einer Verbindung mit dem Präsidenten war eine Angelegenheit von Sekunden. Derf Tantor berichtete ihm über die abhörsichere Leitung.
Schon während der Erzählung benachrichtigte Nek Somer den Sicherheitsdienst. Sie würden sich der Stelle annehmen, an der der Überfall erfolgt war - obwohl jetzt schon sicher schien, dass alle Ermittlungen ergebnislos verlaufen würden.
„Fliegen Sie weiter zur Versammlung der Makler“, ordnete Somer am Ende an. „Lassen Sie sich nichts anmerken - und lassen Sie sich um Gottes Willen nicht beeinflussen!“
„Glauben Sie, dass Dumtrah und Resnad die Sache...?“
Somer winkte ab.
„Nein, dafür sind die viel zu schlau. Ihre Gewalt ist eine andere. Ein offener Angriff gehört nicht zu ihrem Stil. Wahrscheinlich haben sich radikale Gruppen gebildet. Sie wissen, wie schnell das geht. Sie wurden das Opfer von einer. - Hoffen wir, dass es nicht noch schlimmer wird.“
Sie ahnten beide, dass diese Hoffnung unerfüllbar blieb.
*
Derf Tantors Gleiter senkte sich auf das Dach des Gebäudes, in dem die Maklerversammlung stattfand. Es wimmelte nur so von Presseleuten.
Derf Tantor wunderte sich, dass man sie nicht in das Innere des Gebäudes ließ. Die Entschlüsse und Motive der beiden Industriellen waren zuweilen unergründlich.
Zwischen den Presseleuten postierten Polizeiroboter. Sie sorgten dafür, dass niemand zu Schaden kam.
Die Anwesenheit der Automaten beruhigte den Regierungsvertreter. Er fühlte sich sicher, als sein Gleiter landete und er den Dachparkplatz betrat.
Sein Luftfahrzeug hob sofort wieder ab, um Platz zu machen für andere. Derf Tantor würde es später über Funk wieder herbeirufen.
Mehrere Kameras richteten sich gleichzeitig auf ihn, Journalisten drängten näher.
„Was bedeutet Ihre Anwesenheit, Senator?“, war nur eine von unzähligen Fragen, mit denen man ihn bombardierte.
Er hatte weder Lust noch Laune, eine Antwort zu geben. Mühsam bahnte sich der Beauftragte der Regierung einen Weg durch die Menge, von Polizeirobotern unterstützt.
Vor dem Eingang das Antigravliftes wurde Derf Tantor noch einmal aufgehalten. Ein Mann hatte sich ihm in den Weg gestellt. Er konnte sich nicht lange da aufhalten. Aber es reichte, um einen einzigen Satz los zu werden:
„Vergessen Sie uns nicht, Senator!“
Bevor Tantor reagieren konnte, war der Fremde wieder im Gewühl untergetaucht.
Derfs Gedanken arbeiteten fieberhaft. Hatte der Unbekannte dieser radikalen Gruppe angehört, die ihn zum Landen gezwungen hatte?
Der Antigraflift entriss Derf Tantor dem Durcheinander auf dem Dach.
Jetzt war der Regierungssprecher und -vertreter versucht, Resnad und Dumtrah dankbar zu sein, dass sie das Innere des Gebäudes gegen die Invasion der Presseleute verteidigten.
Unangefochten erreichte Tantor den Versammlungssaal. Er gab sich Mühe, nicht an den Mann auf dem Dach zu denken – und vor allem nicht an die vorübergehende Entführung.
Resnad und Dumtrah empfingen ihn persönlich.
„Ich habe vor, zu Beginn ein paar Worte zu sagen - die Bedingungen der Regierung betreffend“, sagte er zu den beiden.
Sie tauschten einen Blick aus.
„Ich habe damit gerechnet“, meinte Resnad zu Tantors Erstaunen, „und es schon entsprechend eingeplant. Ihr Part kommt direkt nach der allgemeinen Begrüßung.“
Sie traten ein. Tantor kam zu keiner Entgegnung mehr.
Unschlüssig folgte er den beiden mächtigen Wirtschaftsmännern zum Rednerpult.
Resnad deutete lächelnd auf einen der drei bevorzugten Sitze.
Während Tantor sich darauf niederließ, war ihm nicht wohl in seiner Haut. Er sah sich durchschaut. Nein, diese beiden Männer waren nicht mit normalen Maßstäben zu messen.
„Ich freue mich, dass Sie alle gekommen sind“, sprach Resnad in das Mikrofon. „Sie wissen, um was es geht. Die Tatsache, dass Bürger Dumtrah und ich mit von der Partie sind, gibt Ihnen sozusagen die Geschäftsgarantie.“
Falls dies als Scherz gedacht gewesen war, kam er nicht an. Keiner verzog auch nur eine Miene.
Resnad räusperte sich.
„Unsere Zusammenarbeit erstreckt sich voraussichtlich über die Dauer von bis zu zwei Jahren. Mindestens bis zum Eintreffen der Erfolgsmeldung Lehrer Fendals auf Nestol haben wir Zeit für unser Geschäft. Vielleicht auch noch darüber hinaus. Je nachdem, wie es danach weitergeht.“
Er hob seine Stimme.
„Ich wünsche mir, dass Sie alle Ihre Kräfte in die gemeinsame Sache investieren. Allein Ihre Anwesenheit hier zeigt schon eine gewisse Bereitschaft dazu.“
Derf Tantor blickte gedankenverloren durch das Fenster hinaus auf die sich majestätisch erhebenden Berge, die Soasoll-Stadt säumten und in der fernen Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt hatten, und ließ die Worte Resnads an sich möglichst wirkungslos vorüberplätschern.
Hatte er nicht ganz zu Beginn schon eine eigene Ansprache halten wollen?
Er hatte Mühe, seinen aufkeimenden Ärger zu unterdrücken.
Durch einen Zwischenruf wurde er aufmerksam. Einer der eingeladenen Makler war aufgesprungen und unterbrach den Redner.
„Sie sagten, wir hätten zumindest Zeit bis zur Erfolgsmeldung Lehrer Fendsals. Bisher dachte ich, die beim Verkauf erzielten Gelder wären in erster Linie für die Durchführung der Umwandlung. Wie kommt es dann, dass das wissenschaftliche Team schon vor Erbringen der Gelder mit der Arbeit beginnen kann?“
Einen Augenblick lang erschien es, als würde Resnad die Fassung verlieren. Doch dies war ein Trugschluss. Sein Gesicht zeigte ein liebenswürdiges Lächeln, als er entgegnete:
„Ihr Einwand ist berechtigt, Bürger Sokol, aber natürlich habe ich mit der Zeitsetzung betreffend unsere engere Zusammenarbeit zunächst einen äußersten Termin angesprochen.“
Der Makler Mailliw Sokol verließ seinen Platz und kam weiter nach vorn. Breitbeinig baute er sich vor dem Rednerpult Resnads auf.
Ein Murmeln ging durch die langen Reihen seiner Kollegen.
„Das widerspricht sich!“, sagte er mit Bestimmtheit.
Resnad fühlte sich jetzt doch unbehaglich. Er schickte Dumtrah einen hilfesuchenden Blick. Doch dieser versagte ihm die Unterstützung.
Tantor spürte promt in sich so etwas wie aufkeimende Schadenfreude.
Resnad richtete sich hoch auf.
„Vielleicht kommt das daher, dass Sie mich nicht aussprechen ließen. Ich wollte nämlich sagen, dass Lehrer Fendsal dann startet, wenn das eingebrachte Geld plus dem Zuschuss von Bürger Dumtrah und mir ausreicht. Was dann noch eingenommen wird, meine Damen und Herren, dient nicht nur der Beförderung von immerhn drei Milliarden Aussiedler und ihrer Versorgung und Einbürgerung am Ziel, sondern natürlich auch zur Rückzahlung unserer Leihgabe und Ihrem Gewinn!“
Für einen Augenblick war die Ruhe völlig dahin.
Endlich konnte sich Resnad wieder verständlich machen.
„Im Übrigen“, fügte er eindringlich hinzu, „ist es Sinn dieser Versammlung, strittige Punkte zu diskutieren.“
Mailliw Sokol nickte heftig.
„Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet, Bürger Resnad.“ Sein ausgestreckter Arm wies auf den Großindustriellen. Er wandte sich halb der Versammlung zu, während er weitersprach:
„Seht ihn euch an, Makler! Was er will, ist nicht mehr und nicht weniger als verdienen. Ihm ist es egal, ob Gro-paner sich auf Nestol wohl fühlen werden, ob sie dort eine wirkliche neue Heimat finden. Ja, er will nur verdienen - auch an uns!“
Er machte eine kleine Kunstpause, um seine Worte wirken zu lassen.
„Jeden von uns hat er einzeln eingeladen“, fuhr er fort, „um uns für sich zu gewinnen. Von jeher ist der Berufsstand des Maklers unbeliebt gewesen. Die Anständigen schließlich haben dafür gesorgt, dass man mehr Vertrauen in uns setzt. Leider gibt es immer wieder schwarze Schafe - gerade in der heutigen Zeit der wilden Bodenspekulationen, deren die Regierung kaum Herr wird. Der Platz ist klein geworden auf unserem Planeten. Sollen wir unseren Beruf mit Füßen treten, indem wir uns diesen skrupellosen Geschäftemachern und falschen Propheten anschließen?“
Die Worte erfüllten Derf Tantor jetzt sogar mit Genugtuung, obwohl er sich gegen dieses Gefühl wehrte.
Resnad an seiner Seite rang nach Luft.
Dumtrahs Gesicht hatte die Farbe einer frisch gekalkten Wand angenommen. Er sprang auf und rief erregt:
„Das waren harte Sätze, Bürger Sokol, sehr harte!“
Mailliw Sokol musterte ihn.
„Nanu, Bürger Dumtrah, passt Ihnen die Wahrheit nicht?“
Der Industrielle konnte sich nicht mehr beherrschen. Mit geballten Fäusten ging er auf den Makler los.
Resnads zupackende Rechte hielt ihn rechtzeitig zurück.
Aber Resnads Eingreifen wäre nicht wirklich notwendig gewesen. Dumtrah verhielt plötzlich im Schritt, als wäre er gegen eine Wand gerannt.
Dafür gab es ein sehr eindrucksvolles Motiv in Gestalt eines winzigen Strahlers in der Rechten Sokols.
Denjenigen, die es sahen, stockte der Atem. Nicht nur, weil es Sokol gelungen war, das Ding durch alle Kontrollen zu schmuggeln.
Die Waffe hob sich langsam.
„Immer mit der Vorsicht, Bürger Dumtrah. Bevor ich hierher kam, habe ich ein wenig für meine eigene Sicherheit gesorgt. Ich weiß, dass Sie beide über Leichen gehen - aus Erfahrung. Aber lassen wir das. Tatsache ist, dass Sie es verstanden haben, die Bevölkerung auf Ihre Seite zu bringen. Wie Sie sehen, gibt es allerdings auch kritische Weltenbürger. Ich zum Beispiel!“
Er wich langsam zur Seite, auf die nächstgelegene Tür zu.
Resnad und Dumtrah ließ er nicht aus den Augen.
„Ich werde jetzt gehen. Der Presse oben will ich berichten, dass hier, in diesem Gebäude, die Rechte der Gro-paner verkauft werden.“
Sein Blick blieb an Tantor hängen, dem es dabei kalt über den Rücken rieselte.
„Sogar die Regierung ist daran maßgeblich beteiligt, indem sie sich unfähig zeigt, gegen solche Machenschaften einzuschreiten.“
Resnads wurstiger Zeigefinger stieß vor.
„Ja, verschwinden Sie! Hauen Sie ab! Leute wie Sie können wir in dieser seriösen Runde nicht brauchen.“
Die Tür schloss sich hinter Sokol.
Die entstandene Totenstille wich tosendem Lärm. Alle redeten durcheinander.
Resnad brauchte eine Weile, bis er sich endlich wieder Gehör verschafft hatte. Mit viel rednerischem Geschick versuchte er, alles wieder auszubügeln.
Es gelangt ihm fast — nicht zuletzt deshalb, weil der Großteil der Makler in der ganzen Sache selber ein todsicheres Geschäft witterte, das man sich nicht entgehen lassen wollte. Sie pfiffen auf alle Bedenken. Die Argumente Sokols mochten sie nicht recht einsehen.
Endlich gelangte Resnad in seinem Beschwichtigungsversuch an einem vorläufigen Ende an:
„Wir werden nicht eher wieder auseinandergehen, bis es keine Missverständnisse unter und zwischen uns mehr gibt!“, verkündete er theatralisch.
Er ließ Derf Tantor aufstehen.
„Ich möchte Ihnen den Vertreter der Regierung vorstellen. Sie werden diesen brillanten Politiker alle kennen. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, denn Senator Derf Tantor will ebenfalls noch ein paar wichtige Worte an Sie richten.“
Unter dem Beifall der Anwesenden deutete er eine knappe Verbeugung an und räumte den Platz am Rednerpult.
Tantor bemühte sich, den Kloß hinunterzuschlucken, der sich in seiner Kehle gebildet hatte. Mit knappen Sätzen, rhetorisch gut durchdacht, legte er die Regierungsbedingungen dar.
Der Vorfall mit dem Makler Sokol schien vergessen zu sein. Die Makler verhielten sich ansonsten eher zurückhaltend. Nur einmal fragte eine Frau, was die Einmischung der Weltregierung eigentlich sollte.
Nicht nur das zeigte Derf Tantor deutlich, dass im Grunde genommen die Schwierigkeiten erst begannen.
*
Nek Somer hatte die Sache selbst in die Hände genommen. Er errechnete grob den Verdienst der Makler und kam zu dem Schluss, dass noch nie Gro-paner sich an einem einzigen Geschäft so bereichert hatten.
Trotz der inzwischen längst erfolgten Veröffentlichung von Sokols Auftritt bei der Maklerversammlung stand die Bevölkerung der Erde jedoch auf der Seite der Ausbeuter. Nek Somer konnte nichts dagegen unternehmen. Was zählte, war lediglich die Aussicht auf einen Ausweg aus der Misere der Überbevölkerung, die jedem Einzelnen von Tag zu Tag deutlicher bewusst wurde. Der Wohnraum war bereits so knapp, dass es nur noch den Reichen gelang, Wohnungen zu bekommen, die größer als zwanzig bis dreißig Quadratmeter waren.
Die Zahl der Kinder spielte absolut keine Rolle mehr in der Wahl des Lebensbereiches. Es zählte nur das Geld.
Somer sah nur noch eine Möglichkeit, und diese erfüllte ihn mit Bitterkeit:
Er konnte den Staat am Gewinn beteiligen. Dadurch würde wenigstens ein Teil in der Form von „Entwicklungshilfe“ für Nestol an die beteiligten Gro-paner zurückfließen.
Nach diesen Überlegungen zu handeln, persönlich die Auseinandersetzung zu suchen, war wichtig genug für den alternden Präsidenten. Sein Regierungsgleiter senkte sich bereits auf das Forschungszentrum hinab. Bald würde die Gegenüberstellung stattfinden.
Somer war auf die Gesichter der drei maßgeblichen Herren gespannt.
Er spürte ein leichtes Ziehen in der Brust. Sein Herz meldete sich wieder einmal. Leider war er noch immer nicht dazu gekommen, auch nur einen Arzt zu konsultieren. Die Ereignisse ließen ihm einfach keine Zeit.
Als er später auf dem Förderband stand, musste Nek Somer an Derf Tantor denken, der vor einigen Wochen denselben Weg gegangen war, um mittels des Antigravliftes zu Lehrer Fendsal zu gelangen, voller Erwartungen, das Experiment betreffend. Viel, unglaublich viel war seitdem geschehen.
„Präsident Somer persönlich?“, murmelte Sal Dumtrah zur Begrüßung. Die Überraschung war geglückt.
Nek Somer lächelte, den Schmerz in der Herzgegend ignorierend.
„Das ist kein Zufall.“
„Kann ich mir denken“, murmelte Dumtrah trocken. Ihm wurde sein unpassender Tonfall bewusst, und er fügte hastig hinzu: „Was ist so wichtig, dass es Ihre persönliche Anwesenheit erforderlich macht?“
„Wo ist Bürger Resnad?“, wich der Präsident aus.
Dumtrah zeigte stumm zur Tür, durch die er bei der Ankunft Somers eingetreten war.
„Er ist bereits bei Lehrer Fendsal. Nebenbei bemerkt: Resnad fühlt sich nicht wohl. Er hat sich in letzter Zeit etwas überarbeitet. Die Ereignisse seit der Maklerversammlung haben ihn ziemlich mitgenommen.“
Gemeinsam durchquerten sie den Raum und begaben sich nach nebenan.
Auch Fendsal war über das Erscheinen des Präsidenten erstaunt.
Somer beschloss, ohne viel Umschweife gleich auf den Kern zuzusteuern, indem er nach den üblichen Begrüßungsfloskeln einfach feststellte:
„Es geht um Ihren Verdienst, meine Herren.“
Dumtrahs Atemfrequenz änderte sich.
„Ich denke, Sie sind wegen des Kredits hier“, sagte er verblüfft. „Auch Bürger Resnad und ich beteiligen uns daran – bis genügend Einnahmen insgesamt zur Verfügung stehen. Lehrer Fendsal benötigt noch...“
Der Präsident winkte ab.
„Das hätte meine persönliche Anwesenheit nicht erfordert. Ich habe alles genau nachgerechnet und muss leider zugeben, dass ich an den Dingen nicht mehr viel ändern kann. Zu Beginn der Aktion wäre mein Einschreiten wegen des Drucks der Öffentlichkeit verfrüht gewesen, und jetzt ist die sprichwörtliche Karre bereits endgültig verfahren, um einmal diesen Ausdruck zu gebrauchen.“
Die Männer wollten aufbrausen, wollten etwas dagegen einwenden.
Er hob beschwichtigend die Hände.
„Das soll keine Anklage sein. Ich lege nur Wert auf die Feststellung, dass die Staatskasse mit beteiligt ist. Immerhin beträgt Ihr Gewinn im Moment - vorsichtig geschätzt - bereits dreißig- bis fünfzigtausend Milliarden Kredit pro Nase - sehr viel mehr als nach vorläufigen Berechnungen das gesamte Projekt hätte kosten sollen. - Ich erinnere nur an die prozentuale Beteiligung an den Entwicklungskosten.“
Somer musste eine Zwangspause einlegen. Der Schmerz in seiner Brust kam in immer intensiveren Intervallen.
Fendsals Haltung versteifte sich.
„Ich bin Wissenschaftler, kein Geschäftsmann. Irgendwie gefällt mir die Sache nicht.“
Somers Rechte krallte sich in die Brust. Sein Atem ging stoßweise. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen.
„Lehrer Fendsal hat recht“, meldete sich Pak Resnad zu Wort. Er hatte offensichtlich Mühe, sich zu beherrschen. „Genügt es denn nicht, dass unser Gewinn versteuert wird? Wie ist das bei Ihnen? Die Einnahmen des Staates werden zwar auch besteuert, aber das ist im Grunde genommen ein Witz. Die Gelder bekommen nur einen anderen Namen und bleiben dennoch in derselben Hand.“
„Es gibt keine Diskussionen über die Sache. Muss ich Sie erst auf die juristischen Möglichkeiten hinweisen?“
Auf der Stirn Somers erschienen Schweißtropfen. Sein Gesicht war leichenblass.
Erst jetzt erkannten die anderen, in welchem Zustand sich der Präsident befand.
„Sie können nichts dagegen tun - diesmal nicht“, würgte Somer hervor.
Und dann sackte er hilflos zusammen.
Es dauerte ein paar wertvolle Sekunden, bevor die anderen zu reagieren in der Lage waren. Während dieser Zeit zuckte Somer konvulsivisch.
Der Mann kämpfte ganz offensichtlich bereits mit dem Tode!
Als sich Lehrer Retep Fendsal endlich über den Präsidenten beugte, tastete er vergeblich nach dem Pulsschlag.
Hatte Nek Somer seinen letzten Kampf verloren?
Aber inzwischen hatte einer seiner Assistenten, die sich die ganze Zeit über bescheiden im Hintergrund gehalten hatten, mehr oder weniger unbeachtet von den hochrangigen Persönlichkeiten, den medizinischen Alarm ausgelöst.
Es vergingen weitere wertvolle Sekunden, bis eine Medoeinheit herein stürmte.
Der Assistent hatte richtig vermutet: Da half eigentlich nur noch eine rasche Stasis! Dafür war die von ihm angeforderte Medoeinheit bestens ausgerüstet.
Die Medoeinheit handelte, während sich die beiden Großindustriellen betreten ansahen. Nicht auszudenken, welche Folgen das gehabt hätte, wäre ihnen auch nur das geringste Versäumnis nachgesagt worden, den Präsidenten betreffend. So aber hatte jener Assistent rechtzeitig reagiert und damit sämtlichen etwaigen Vorwürfen von vornherein die Grundlage entzogen. Zumal der Präsident sicherlich schon länger in einem besonders desolaten Gesundheitszustand gewesen war, ohne etwas dagegen zu tun, denn so schnell und vor allem so plötzlich starb es sich normalerweise nicht.
Danach wurde der leblose Körper des Präsidenten abtransportiert.
Eine weitere halbe Stunde später war das Kabinett in Kenntnis gesetzt, und Tantor hatte als der zuständige Mann entschieden: Die einzige Chance, die der Präsident jetzt noch hatte, hieß Medos!
Dabei fragte er sich insgeheim, wieso er nicht schon vorher auf den bedenklichen Gesundheitszustand seines Präsidenten aufmerksam geworden war. Vor allem: Warum hatte Somer kein Sterbenswort darüber verloren, dass es bereits dermaßen schlecht um ihn stand?
Fragen, die man jetzt nicht mehr stellen konnte.
Vielleicht… nie mehr?
*
Gegenwart
Planet Medos
Beim Eintreten der Präsidentengattin Seli Somer zuckte Ken Randall unwillkürlich zusammen. Er konnte es nicht verhindern.
Diese Seli Somer war aber auch eine beeindruckende Persönlichkeit. Ohne auch nur im Geringsten etwas gegen die Optik des Alters unternommen zu haben, stand sie mit einer Selbstverständlichkeit dazu, wie Ken Randall es noch niemals zuvor erlebt hatte. Bei keiner Menschenfrau und sowieso bei keiner Gro-panerin. Wobei er allerdings zugeben musste, dass sie sowieso die erste Gro-panerin war, der er persönlich begegnete. Was Gro-paner allgemein betraf, war sie erst die zweite Person nach Ser Clahk.
Aber nicht nur er war im höchsten Maße beeindruckt, sondern auch eben Ser Clahk, wie er sich mit einem scheelen Seitenblick überzeugen konnte. Nicht minder sogar als Gansir, und das sollte schon etwas heißen. Schließlich war Gansir wiederum Angehöriger einer ganz anderen Rasse, nämlich der Rasse der Gosnirer. Obwohl selber nur mit ein wenig Fantasie als noch humanoid einzuschätzen, wirkte Seli Somer auch auf ihn, was unübersehbar war.
Ser Clahk trat vor und deutete höchste Ehrerbietung an, was Seli Somer jedoch eher peinlich war. Sie winkte halbwegs erschrocken ab.
„Bitte, Ser Clahk, das habe ich nicht verdient!“
„Aber Sie sind die Frau des Präsidenten, die First Lady!“, versuchte Ser Clahk einzuwenden.
„Ja, ich weiß, so werde ich meistens gesehen, aber ich bin eben nur seine Ehefrau. Er hat sich irgendwann für mich entschieden, zu einem Zeitpunkt, als noch niemand auch nur ahnen konnte, dass er eines Tages das höchste Amt bekleiden würde. Und jetzt sehen Sie selbst, was dieses Amt aus ihm gemacht hat. Falls er überhaupt noch… lebt!“
Sie unterdrückte tapfer einen erneuten Tränenfluss.
„Aber Sie kennen mich?“, wunderte sich Ser Clahk jetzt. Sicherlich, um von ihrer Trauer ein wenig abzulenken.
„Aber natürlich, Ser Clahk. Ich habe mich auf der Herreise mit Ihnen beschäftigt. Vorher war das schier unmöglich. Bei dem, was zur Zeit auf Soasoll abläuft, hat alles andere keine Chane mehr, überhaupt auch nur wahrgenommen zu werden.
Man stelle sich vor: Sie wurden entführt von einer Patrouille aus San-dir-um, aus dem abgeschotteten Sektor Re-na-xerv. Als wäre das allein nicht schon Sensation genug: Dann wurden sie ausgerechnet von einem Raumschiff befreit, das aus einem anderen Universum stammt. Und dieses Raumschiff ist jetzt hier, weil es eine besondere Mission hat, nämlich Gro-pan das Friedensangebot von San-dir-um zu unterbreiten. Es ist die größte Sensation seit Bestehen des Reiches Gro-pan überhaupt, wie ich meine. Und dennoch würde es niemanden auf Soasoll derzeit auch nur ein Achselzucken kosten. Es ist, als hätte es gar nicht stattgefunden.
Alles dreht sich einzig und allein um ein Thema, und das heißt Nestol. Sogar von Lehrer Retep Fendsal wird in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr geredet. Obwohl ohne diesen und sein Team Nestol schon gar kein Thema geworden wäre.“
Sie zeigte sich jetzt unendlich traurig, und das hatte keineswegs nur etwas mit dem Zustand zu tun, in dem sich ihr Mann befand.
„Glauben sie mir eins, Ser Clahk: Zuweilen schäme ich mich dafür, eine Gro-panerin zu sein!“
„Aber, ehrwürdige Seli Somer, so dürfen Sie nicht denken!“, versuchte Ser Clahk erneut einen Einwand. „Ich…“
„Ach, geschenkt!“, winkte Seli Somer ab. „Würden Sie mich nicht besser einmal bekannt machen mit diesem hellhäutigen Mann hier?“ Sie lächelte entwaffnend. „Sie müssen entschuldigen, aber ich habe noch nie einen Gro-paner gesehen, der keine grüne Haut hat. Ist schon ziemlich ungewohnt. Wenn ich ehrlich sein will, es ist für mich ungewohnter als der Anblick eines Nichthumanoiden. Egal, wie er auch aussehen mag.“
Ken Randall war nicht beleidigt ob soviel Ehrlichkeit. Er musste sogar lachen.
Er wagte es, näher zu gehen.
Seli Somer hatte etwa seine Größe. Eine ziemlich hochgewachsene Gro-panerin also, stolz aufgerichtet. Ihr knappes Kostüm betonte eine nach wie vor perfekte Figur. Ihre tief dunkelgrüne Haut war mit einem System aus irgendwie zart wirkenden Runzeln versehen, die das Alter hatte entstehen lassen, aber die keineswegs ihrer natürlichen Schönheit abträglich waren, sondern in irgendeiner magischen Weise diese sogar zu verstärken schienen. Die jugendlich blitzenden Augen verrieten den wachen Geist der Frau, viel zu bescheiden, um selbst zuzugeben, wie ungewöhnlich sie war.
Ken Randall war die Zustände auf der Erde vor der Invasion der Kyphorer gewöhnt. Wenn er jetzt hörte, dass die Präsidentengattin sich zuweilen für ihre eigene Rasse schämte, konnte er ihr nur beipflichten. Wobei er allerdings sich nicht zu schämen brauchte für die Gro-paner, sondern natürlich für die Menschen. Er dachte unwillkürlich an Machtmenschen wie beispielsweise Konzernchef Lino Frascati.
Welch ein Unterschied zwischen diesem und Seli Somer, und dieser Unterschied hatte keineswegs etwas mit der Hautfarbe zu tun.
Frascati: Wer ihn mit seiner untersetzten Gestalt, dem grauen Haar, der Stirnglatze und seinem väterlich wirkenden Verhalten erstmals sah, hätte kaum vermutet, dass er einen der mächtigsten Konzerne der Erde leitete. Man hätte ihn eher für einen kleinen Angestellten halten können.
Seli Somer: Eine Frau weit fortgeschrittenen Alters mit der Vitalität einer geradezu unglaublichen späten Jugend und dem Herzen einer Frau, in der das Volk eines ganzen Planeten Platz hatte.
Wäre jetzt jemand gekommen, um ihm zu sagen, dass Nek Somer die Wahl zum Weltpräsidenten allein deshalb gewonnen hatte, weil die Wähler diese Frau an seiner Seite wussten, hätte er es auf Anhieb geglaubt.
„Bitte erschrecken Sie nicht, wenn ich Sie nach der Art begrüße, wie es auf meiner Heimatwelt üblich ist“, bat Ken Randall. Dann nahm er die Rechte der verduzten Frau, verbeugte sich artig und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken.
Ser Clahk kam gar nicht dazu, ihn vorzustellen:
„Ich heiße Ken Randall und bin der gewählte Kommandant des Raumschiffes Chamäleon. Wir haben in der Tat eine brisante Mission zu erfüllen: Nicht mehr und nicht weniger als den Frieden zu stiften zwischen Gro-pan und San-dir-um, wobei ich der festen Überzeugung bin, dass nicht nur beide Seiten davon profitieren würden, sondern auch die gesamte Föderation aller Völker in dieser Galaxis.“
Seli Somer betrachtete noch verwundert ihren Handrücken, denn von einem Handkuss hatte sie wohl noch nie zuvor gehört, während sie sagte:
„Ich bin genauso hundertprozentig davon überzeugt, mein lieber Ken Randall.“ Der Name kam nur schwer über ihre Lippen. Der Translator hatte ihn nicht übersetzt. Deshalb bemühte sie sich, ihn auszusprechen. Dabei wurde er jedoch so stark verstümmelt, dass man ihn nicht verstanden hätte – ohne den Translator.
„Vielleicht sollte ich Sie ganz einfach einmal auf den neuesten Stand bringen, was das betrifft, was auf Soasoll gegenwärtig vorgeht? Zumindest bis zum Zusammenbruch meines Mannes kann ich berichten. Wie es danach weiter ging, das entzieht sich leider meiner Kenntnis.“
Ser Clahk beeilte sich zu versichern:
„Kein Problem allerdings, denn ich werde das recherchieren. Es gibt ja keine Nachrichtensperre. Ganz im Gegenteil, die Details werden ziemlich offen verbreitet. Kein Wunder, denn man ist bemüht, das Volk möglichst stark in die Entscheidungsabläufe mit einzubinden. Bei der Brisanz der Angelegenheit nicht wirklich erstaunlich.“
„Ja, mein lieber Ser Clahk, machen Sie sich kundig – und lassen Sie uns alle daran teilhaben, so lange wir noch nicht wissen, wie es denn nun mit meinem Mann weitergeht.“
Nach diesen Worten lief Ser Clahk eifrig zur Kommunikationsanlage hinüber, während sie sich wieder Ken Randall zuwandte.
„Zunächst einmal jedoch möchte ich viel mehr von Ihnen erfahren, mein lieber Ken Randall. Wie kann es sein, dass Sie aus einem Paralleluniversum zu uns kamen? Und was ist wirklich im Sektor Re-na-xerv vorgefallen, was die allgemeine Lage dermaßen grundsätzlich geändert hat. Auch wenn kein Gro-paner auf Soasoll zum gegenwärtigen Zeitpunkt daran interessiert wäre: In mir haben Sie eine dankbare Zuhörerin!“
*
Ziss hatte seine Diagnose längst gefällt, doch er äußerte sich vorerst nicht darüber, sondern ließ seinen Kollegen den Vortritt.
Eine interne Debatte entstand, in der die Kollegen sich gegenseitig austauschten.
Zwar war während der Stasis nicht feststellbar, ob jemand schon als tot gelten musste oder noch am Leben war, und doch hatte jeder der Ärzte eine besondere Begabung, sonst wäre er nicht auf Medos tätig gewesen. Sie konnten mehr feststellen als nur mit technischen Mitteln feststellbar war. Sonst hätte man sie nicht mehr benötigt.
Ziss hörte nur mit halbem Ohr hin und beteiligte sich gar nicht an der Debatte. Das lag ihm nämlich nicht sonderlich. Er konnte sich einfach an so etwas nicht gewöhnen. Damals war er der bestimmende Faktor gewesen im Stamm. Er hatte sich mögliche Einwände zwar angehört und sie möglicherweise auch in das Gesamtbild mit einfließen lassen, aber letztlich hatte es niemals so etwas wie Diskussionen gegeben. So war das nun einmal, wenn man einen Stamm führen musste.
Hier war alles anders. Also wirklich alles!
Er lauschte in sich hinein. Vorher hatte er den ganz leisen Verdacht gehegt, dass seine sich anbahnende Geschlechtsreifung sein besonderes medizinisches Urteilsvermögen vielleicht beeinträchtigen könnte. Jetzt war er hundertprozentig sicher, dass dem nicht so war.
Klar, es war ihm durch den Kopf gegangen, dass vielleicht nicht ohne Grund ein Medizinmann niemanden im Stamm bevorzugen durfte. Also durfte er sich auch niemals in eine Partnerschaft einlassen, etwa um Nachkommen zu zeugen. Das einzige Stammesmitglied, das da eine Ausnahme bilden durfte, das war der potenzielle Nachfolger. Den musste ein Medizinmann mit großem Bedacht herausfinden. So, wie es Fissih mit ihm getan hatte.
Bislang war Ziss noch niemand innerhalb seines Stammes aufgefallen, der zum Nachfolger geeignet gewesen wäre. Das war insofern schlimm für den Stamm, da er jetzt meistens unterwegs war und dem Stamm gar nicht zur Verfügung stand. Das sollte ergo kein Dauerzustand werden. Ein Stamm war schließlich auf Gedeih und Verderb auf seinen Stammesführer angewiesen. Wenn sich das jetzt immer mehr in die Länge zog, konnte das irgendwann den Stamm auseinanderbrechen lassen.
Ob dann im Kleinen mit dem Stamm das geschah, was im Großen im Reich Gro-pan längst schon eskaliert war?
Ziss musste an sich halten, um keine Vorurteile gegen Gro-pan zu entwickeln. Das wäre fatal gewesen, denn es hätte unweigerlich in eine Art Rassismus gemündet, und den durfte er unter keinen Umständen zulassen. Sonst wäre er die längste Zeit geeignet gewesen, Medizinmann zu sein. Nicht in einem Stamm, geschweige denn auf einer Welt wie Medos.
Er verließ dieses Thema, mit dem er sich später noch beschäftigen wollte, wobei es ihm natürlich wieder um das Wohl des eigenen Stammes ging: Was sollte er tun, damit aus diesem kein Mikro-Gro-pan wurde?
Aber es war eine Frage, die er hier und jetzt leider noch nicht beantworten konnte. Dafür gab es ein dringlicheres Thema, einmal ganz abgesehen vom Gesundheitszustand des Präsidenten: Gab es vielleicht noch einen weiteren Grund, wieso ein Medizinmann keine Geschlechtsreifung riskieren durfte?
Er hatte noch nie davon gehört, dass jemand dieses Verbot missachtet hätte. Er und Miniss, sie waren die einzigen Ausnahmen, und bald schon würde sich für Miniss die gleiche Frage stellen wie ihm, seinen Stamm betreffend.
Der schlimme Verdacht eben: Die Gschlechtsreifung könnte in der Tat die Fähigkeiten eines Medizinmannes entscheidend behindern!
Er lauschte wieder in sich hinein, misstrauisch auf jede Nuance achtend.
Nein, es hatte sich bis jetzt noch nicht bewahrheitet. Was den Präsidenten von Soasoll betraf, durfte er sich voll und ganz auf seine besondere Begabung verlassen.
Da erst wurde er darauf aufmerksam, dass seine Kollegen schwiegen. Sie hatten die Debatte beendet. Ihre Diagnosen standen also ebenfalls fest.
Und dann begriff er, dass sie auf ihn, Ziss, warteten. Er musste jetzt etwas sagen.
Das tat er dann auch:
„Ich neige zu der Ansicht“, wählte er die diplomatische Umschreibung, wie sie für Ärzte auf Medos üblich war, „dass Nek Somer nicht mehr zu retten ist! Sein Körper war zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs bereits dermaßen geschwächt, dass er bei Aufhebung der Stasis unweigerlich sterben musss, falls er überhaupt noch vor Einleitung der Stasis gelebt hat.“
„Wir glauben, er hat noch gelebt!“, wiesen ihn die Kollegen darauf hin, welche Meinung sie selbst vertraten.
Keiner von ihnen befand sich mit einem anderen gemeinsam in einem Raum. Sie waren alle auf ihren eigenen Zimmern, in ihren Bereichen, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt waren. Eine persönliche Begegnung war auch gar nicht erforderlich. Nur in Einzelfällen widmete man sich persönlich einander oder gar dem Patienten. Der unmittelbare Patientenkontakt wurde in der Regel den Biosensorikern überlassen, weil diese dafür prädestiniert waren.
Ziss wusste, dass keiner der diagnostizierenden Kollegen ein Biosensoriker war, sondern dass sie von solchen nur unterstützt wurden, falls erforderlich. Sie waren Angehörige der unterschiedlichsten Rassen. Es war auch keiner von ihnen Gro-paner. Dennoch kannten sie sich mit Gro-panern bestens aus. Eine persönliche Neigung, die für sie Gro-paner eben besonders interessant erscheinen ließ.
Wenn sich Ziss so vorstellte, was in diesem Reich Gro-pan alles an für ihn Unfasslichem ablief… Ja, richtig, man konnte dies tatsächlich mit besonders interessant umschreiben. Zumal wenn man nicht selber ein Gro-paner war.
Er konzentrierte sich wieder auf seine Aussage:
„Zu dieser Meinung tendiere ich auch. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass wir ihn in seinem gegenwärtigen Zustand nicht aus der Stasis entlassen dürfen.“
„Aber wenn wir ihn in Stasis halten, können wir ihm nicht helfen!“, widersprach einer der Kollegen heftig.
„Das ist richtig“, gab Ziss ungerührt zu.
„Das klingt, als hättest du dennoch die Idee eines möglichen Auswegs? Wie könnte dieser denn aussehen?“
„Ich kenne die Genmanipulatoren von San-dir-um nur vom Hörensagen, aber wenn Nek Somer überhaupt noch eine Chance haben sollte, dann würde er sie niemals hier auf Medos finden können, sondern…“
Er brach an dieser Stelle ab.
Schweigen antwortete ihm zunächst.
Dann fragte einer der Kollegen vorsichtig:
„Genmanipulatoren?“
„Vielleicht sollten wir uns hinsichtlich derer erst einmal mit dem Menschen Ken Randall besprechen?“, schlug Ziss vor.
„Ist das jenes seltsame Wesen ohne Farbe, das mit dem noch seltsameren Raumschiff kam und Ser Clahk mitbrachte?“
„Genau der!“
„Eine recht abenteuerliche Geschichte hört man über ihn und seine Besatzung.“
„Glaubt mir, diese Geschichte ist in Wirklichkeit noch viel abenteuerlicher als man überhaupt nacherzählen könnte!“, versprach Ziss.
Alle waren jetzt neugierig auf das seltsame Wesen namens Ken Randall.
Ein Mensch sollte das sein?
Was, bitte, war ein Mensch? Einfach nur ein Gro-paner ohne Farbe? Oder doch etwas anderes?
Kaum vorstellbar!
*
Nahe Vergangenheit
(Soasoll, nur noch nominelle Zentralwelt des Sternenreiches Gro-pan)
Luap Domis war sehr müde.
Sein Blick glitt über die Bilanzen. Die gröbste Arbeit war getan. Nachdem in den letzten Tagen die Nachfrage nach Land auf Nestol rapide gesunken war, hatten sich heute nur noch wenige Kaufinteressenten gemeldet. Und nicht ein einziger davon hatte bezahlen können. Luap Domis hatte sie alle abweisen müssen.
Er stand auf und trat zur Tür.
Es war bedauerlich, dass so viele Gro-paner auf Nestol verzichten mussten und die meisten der anderen, die Besitz hatten erwerben können, dank der Zahlungsbedingungen sämtliche Brücken hinter sich abbrachen. Andererseits war die Zahl derer, die nach Nestol gingen, nicht gerade klein.
Der Antigravlift brachte Luap Domis zum Dach. Er hatte sein Bestes gegeben. Praktisch drei Milliarden Gro-paner würden Soasoll verlassen können. Das bedeutete, dass Nestol schon von vornherein so dicht besiedelt sein würde wie Soasoll nach dem letzten großen Krieg gegen San-dir-um vor rund tausend Jahren. Wahrlich das größte Unternehmen aller Zeiten.
Luap Domis wollte seinen Gleiter besteigen.
Er zögerte im letzten Moment und sah noch einmal zum sternenhellen Nachthimmel empor.
„Bleiben Sie so! Diese Haltung gefällt mir am besten!“, ertönte plötzlich eine Männerstimme hinter ihm.
Domis ruckte erschrocken herum.
Ein kräftiger Mann stand hinter ihm, breitbeinig, in drohender Haltung, die Hände in die Hüften gestemmt. Das hier oben herrschende Licht reichte aus, um das helle Grün seines Gesichtes regelrecht aufleuchten zu lassen.
Einer der Hellen also. Sie waren schon länger die unterdrückte Minderheit, und natürlich waren sie beim Verkauf von Anteilen an Nestol wieder genauso vernachlässigt worden, wie es normal geworden war. Zumal sie sowieso zu unterprivilegiert waren, in der Regel sogar, um sich überhaupt einen solchen Anteil leisten zu können.
„Haben - haben Sie mich erschreckt!“, keuchte der Makler.
„Leider werde ich Sie noch viel mehr erschrecken müssen“, erwiderte der Helle.
Luap runzelte misstrauisch die Stirn.
„Wie meinen Sie das?“
„Wir werden jetzt wieder abwärts in Ihr Büro gehen und einen Antrag ausfüllen. Jetzt sind wir allein. Sie werden mich doch nicht ein zweites Mal abweisen wollen?“
Luap Domis schüttelte den Kopf.
„Hören Sie, nicht jeder kann Besitz auf Nestol erwerben. Hätten wir den Preis weiter herabgesetzt, wäre der ganze Planet ausgewandert. Das Problem der Überbevölkerung wäre geblieben - nur hätte es sich auf einen anderen Planeten verlagert.“
„Gehen wir!“, befahl der Mann ungerührt.
Groll erfüllte Luap Domis. Er schickte sich an, trotz der drohenden Haltung des Fremden, in seinen Gleiter zu steigen.
Brutal wurde er zurückgerissen.
„Wenn Sie mir nicht verkaufen, müssen Sie kämpfen!“
„Hören Sie, wir reden über die Sache, wenn Sie wieder nüchtern sind!“, machte Domis den Versuch, den Mann zu beschwichtigen.
Ein Fausthieb ließ ihn rückwärts taumeln, von seinem Gleiter weg.
„Ich war noch nie in meinem Leben so nüchtern wie jetzt!“, knurrte der Fremde.
Alles sträubte sich in Luap Domis dagegen, doch er hatte keine Wahl. Er musste sich wehren.
Der zweite Schlag des Angreifers ging ins Leere.
Luap Domis schlug zurück.
Der Mann stöhnte.
„Geben Sie doch um Gottes Willen auf!“, bat Domis.
Die eindringlichen Worte verfehlten ihre Wirkung völlig. Der Fremde wollte nicht vernünftig sein. Er war viel zu verzweifelt dazu.
Luaps Abwehr kam fast zu spät. Der nächste Hieb traf allerdings statt seinen Kopf den linken Oberarm und ließ diesen vorübergehend erlahmen: Luap verlor den Boden unter den Füßen.
Ein Absatz hing plötzlich über seinem Gesicht.
Mit einem Aufschrei warf er sich zur Seite.
Der Tritt ging ins Leere.
Geistesgegenwärtig packte Domis zu und bekam die Beine des anderen zu fassen. Mit aller Kraft zog er.
Der Mann stürzte rücklings zu Boden.
Luap sprang auf und wollte sich auf den Verzweifelten stürzen, doch er hielt inne.
Der schwere Mann krümmte sich stöhnend. Sein Gesicht war verzerrt. Offenbar war er unglücklich auf dem Boden aufgeschlagen.
Luap Domis wankte zu seinem Gleiter und alarmierte die Robotpolizei.
Erst jetzt kam die nervliche Anspannung der letzten Sekunden zum Tragen. Pudding schien seine Knie zu füllen. Er musste sich gegen das Luftfahrzeug lehnen, um nicht aus den Schuhen zu kippen.
Es würgte ihn.
Waren das die Schattenseiten des Projektes Nestol - oder gab es gar noch andere, schlimmere?
*
Sim Konder, trotz seiner relativen Jugend der Übergangspräsident, wie vom Kabinett eilig gewählt, legte den Kopf weit in den Nacken, um alles besser überschauen zu können.
Die Landefähre war groß. Hier würden Hunderte von Gro-paner in Tiefschlaf versetzt werden, um in einer Umlaufbahn um Soasoll vom gigantischen Bauch des eigentlichen Raumschiffes aufgenommen zu werden. Dieses wiederum war so groß, dass es nicht ohne Gefahr auf einem Planeten landen konnte.
Tausend Raumschiffe dieses Formates, mit je etwa drei Millionen Gro-panern an Bord, in Tiefschlaf versetzt, einer Art gemilderten Stasis, würden eines nach dem anderen das Sonnensystem um Soasoll verlassen. Damit würde hier wohl endlich wieder ein gesundes Bevölkerungsgleichgewicht entstehen.
Noch nie zuvor in der Geschichte von Gro-pan war auch nur ein Tausendstel dieser Gro-panermasse evakuiert worden!
Ja, evakuiert war der richtige Ausdruck. Die Lebensbedingungen hier auf Soasoll waren auch kaum jemals zuvor in einer solchen Abwärtskurve gewesen.
„Leider sind erst ein Dutzend Raumschiffe fertig“, erläuterte einer der Assistenten Fendsals und weckte ihn damit aus seinen Gedanken.
Es war schon seltsam, dass Lehrer Fendsal nicht persönlich erschienen war, sondern einen seiner Assistenten vorschickte. Was hielt ihn auf? Und wie hatte sich der Assistent noch gleich vorgestellt? Übergangspräsident Sim Konder wollte nicht fragen. Es hätte von dem Mann missverstanden werden können. Deshalb lauschte er einfach nur, was der Mann weiter zu sagen hatte:
„Wenn man bedenkt, dass wir nur schon vorhandene Schiffe umzubauen brauchen, sofern sie groß genug sind natürlich, dürften die weiteren allerdings kein Problem darstellen.“