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Eine Kompilation ist die Zusammenfassung mehrerer Bücher in einem einzigen Buch. Die Kompilationen von „STAR GATE – das Original“ umfassen immer ganze zehn Romane! Günstiger kommt man nicht mehr an seine Lieblingsbücher! Es gibt sie sowohl als sogenanntes eBook als auch gedruckt beispielsweise in der großformatigen Buchausgabe:
STAR GATE – das Original: Die 16. Kompilation
Wilfried A. Hary (Hrsg.): „Die Bände 151 bis 160 der laufenden Serie STAR GATE – das Original – zusammengefasst!“
Die Serie STAR GATE – das Original existiert nun schon seit 1986(!). Einige Autoren sind daran beteiligt. Viele Leser schätzten das frühere Heftformat und genießen das Taschenbuchformat, in dem die Serie inzwischen erscheint, aber es gibt nicht wenige Leser, die immer wieder auch nach einem umfangreichen Buchformat verlangen, vergleichbar etwa mit den Silberbänden der Perry-Rhodan-Serie.
Für diese haben wir nun die nächste Kompilation geschaffen, basierend auf den folgenden Bänden der laufenden Serie:
151/152 »Götterdämmerung« Wilfried A. Hary
153/154 »Zukunftsträume« Wilfried A. Hary
155/156 »Der Schwarze Nebel« Wilfried A. Hary
157/158 »Grizzae« Erno Fischer
159/160 »Die Befreiung« Wilfried A. Hary
Viel Freude beim Lesen dieser immerhin wieder ganze 10(!) Bände umfassenden Kompilation!
Euer Wilfried A. Hary (Hrsg.)
Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie
STAR GATE - das Original:
Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary,
Frank Rehfeld
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch)
by hary-production.de
Achtung: „STAR GATE - das Original“ ist eine eigenständige Serie, die nachweislich Jahre vor Serien ähnlichen Namens begann, wie sie im Fernsehen laufen oder liefen oder im Kino zu sehen sind oder waren! Daher der Zusatz „das Original“!
ISSN 1860-1855
© neu 2019 by HARY-PRODUCTION
Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken * Telefon: 06332-481150 * HaryPro.de * eMail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.
Coverhintergrund: Anistasius, Logo: Gerhard Börnsen
Nähere Angaben zum Herausgeber und Hauptautor siehe Wikipedia, Suchbegriff Wilfried A. Hary: de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
Die 16.
Kompilation
Wilfried A. Hary (Hrsg.)
Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie STAR GATE - das Original: Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary, Frank Rehfeld.
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de.
ISSN 1860-1855
Diese Fassung basiert auf den Romanen
der laufenden Serie!
© 2019 by HARY-PRODUCTION
Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken
Telefon: 06332-481150
www.HaryPro.de
eMail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und
Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.
Lektorat: Werner Schubert
Logo: Gerhard Börnsen
Coverhintergrund: Anistasius
Achtung: „STAR GATE - das Original“ ist eine eigenständige Serie, die nachweislich Jahre vor Serien ähnlichen Namens begann, wie sie im Fernsehen laufen oder liefen oder im Kino zu sehen sind oder waren! Daher der Zusatz „das Original“!
Die Serie STAR GATE – das Original existiert nun schon seit 1986(!). Einige Autoren sind daran beteiligt. Viele Leser schätzten das frühere Heftformat und genießen das Taschenbuchformat, in dem die Serie inzwischen erscheint, aber es gibt nicht wenige Leser, die immer wieder auch nach einem umfangreichen Buchformat verlangen, vergleichbar etwa mit den Silberbänden der Perry-Rhodan-Serie.
Für diese haben wir nun die nächste Kompilation geschaffen, basierend auf den folgenden Bänden der laufenden Serie:
151/152 »Götterdämmerung« Wilfried A. Hary
153/154 »Zukunftsträume« Wilfried A. Hary
155/156 »Der Schwarze Nebel« Wilfried A. Hary
157/158 »Grizzae« Erno Fischer
159/160 »Die Befreiung« Wilfried A. Hary
Götterdämmerung
von Wilfried A. Hary:
»Eine Welt im Umbruch – und die Jagd nach den selbsternannten Göttern!«
Am 15. September 2063, um 4:37 Uhr, wollte ein Team mittels STAR GATE von Phönix zur Erde zurück springen. Genau im Moment ihrer Materialisation im Erd-STAR GATE bei Mechanics Inc. wurde dieses von Saboteuren des Konkurrenten Flibo gesprengt. Das erzeugte eine schreckliche Katastrophe - nämlich die Transmitter-Katastrophe (siehe Band 11).
Vierundzwanzig Menschen sind von der Katastrophe betroffen. Sie sind seitdem spurlos verschwunden. Was ist aus ihnen geworden?
Eine der betroffenen Personen ist Cat Groskowsky, eine Survival-Spezialistin von ehemals Mechanics Inc. Durch eine Verkettung von Umständen gerät sie in das geheime Netzwerk der sogenannten Uralten, die vor Jahrtausenden spurlos verschwanden. Dort wird sie als „Göttin“ angeredet, ohne dass sie begreift warum. Und es werden von ihr immer wieder Entscheidungen verlangt, die einer Göttin wahrlich würdig wären…
DIE HAUPTPERSONEN:
Cat Groskowsky – erfährt Erstaunliches über eine Welt, die der Erde mal wieder verblüffend ähnelt. Bis auf einen entscheidenden Unterschied…
Nelp Sregnis – ein Mutant auf der Flucht.
Tsenre Nosdrachir – ein unerwarteter Fluchthelfer, aber kann Nelp Sregnis ihm wirklich trauen?
Genius Luap Netsrek – auf besonderer Mission, der Dinge erlebt, die er einfach nicht begreifen kann. Bis es zu spät dazu ist…
„Es gibt weit über einhundert Milliarden Sonnen allein in dieser Galaxis“, philosophierte der Stationscomputer, wie zu sich selbst gewandt.
Cat Groskowsky horchte unwillkürlich auf.
„Was soll das denn schon wieder?“
„Mit Verlaub, Cat, ich wollte es nur erwähnt wissen.“
„Du tust doch nichts ohne Grund!“, blieb sie misstrauisch.
„Immerhin gibt es viele Sonnen, die allein oder mit anderen zusammen so etwas wie geschlossene Systeme bilden, vergleichbar vielleicht mit der Sonne, die über der Erde scheint.“
„Und was daran wäre jetzt für mich neu?“
„Natürlich gar nichts, Cat. Das will ich ja auch gar nicht behaupten. Aber ist es nicht erstaunlich, wie viele erdähnliche Welten es gibt? Obwohl, wenn man die Zahlen berücksichtigt, erscheint es gar nicht mehr so erstaunlich.“
„Da hast du allerdings recht, Comp. Da fast jede Sonne an irgendein System gebunden ist beziehungsweise ein System selber gebildet hat, kann man von einer Anzahl von Planeten ausgehen, die sicherlich die Anzahl der Sonnen in der Galaxis um das Zigfache übertrifft. Gibt es denn darüber genaue Zahlen?“
„Ja, die gibt es. Und viele dieser Welten sind eben erdähnlich. Womit ich zum Ausdruck bringen will: Sie sind in der Lage, nicht nur Leben, sondern sogar intelligentes Leben zu ermöglichen. Natürlich weiß ich nicht, wie viele Welten das wiederum insgesamt sind, weil ich eben auch nicht alles weiß…“
„Was denn, das gibst du tatsächlich selber zu?“ Die Verwunderung Cats war echt und nicht gespielt.
„Das Netz der geheimen Göttertore erstreckt sich zwar über die gesamte Galaxis, wenn man so will, aber es sind doch sehr viele Systeme davon nicht betroffen. Wie könnte es anders sein? Aber auch die Welten, die vom Bund von Dhuul-Kyphora beherrscht werden, halten sich gewissermaßen in Grenzen. Von mehr oder weniger Bedeutung sind gerade mal rund tausend. Da könnte ich jetzt die genaue Zahl nennen, aber ich weiß ja, dass du nicht so auf Zahlenspiele stehst, Cat.“
„Und wieso bringst du sie dann trotzdem - die Zahlenspiele?“, erkundigte sich Cat verstimmt.
„Es gibt natürlich viele, viele Tausende von Welten, die für die Kyphorer praktisch bedeutungslos sind. Erst wenn ihre Bewohner ins All drängen oder auch nur STAR GATES bauen, werden die Kyphorer aufmerksam. Und dann entscheiden sie, was mit diesen Welten geschieht.“
„Das hatten wir doch alles schon. Wieso redest du mal wieder um den heißen Brei herum? Was willst du mir denn eigentlich damit sagen?“
„Schon erstaunlich, dass die sogenannte humanoide Erscheinungsform dermaßen häufig anzutreffen ist.“
„Da gab es mal einen Menschen namens Gauß. Nach ihm wurde die sogenannte Gaußsche Glocke benannt. Sie bedeutet nichts anderes als dass überall so etwas wie die Durchschnittlichkeit dominiert. Also auch, was die Daseinsform betrifft. Die Humanform hat zwar auch Nachteile, aber sie hat unübersehbar gleichzeitig Vorteile. Kein Wunder also, wenn die Kyphorer so aussehen. Aber auch die Menschen der Erde. Und es gibt die Humanform deshalb so häufig, weil sie eben… total durchschnittlich ist. Die Extreme sind dagegen eher selten. Aber wir kennen sie. Es gibt sie.“
„Siehe beispielsweise die Chamäleonen!“, bestätigte der Stationscomputer.
Inzwischen wusste Cat um die Geschichte dieser Rasse, die es doch tatsächlich geschafft hätte, den Kyphorern den Rang in der Galaxis streitig zu machen. Bis ausgerechnet Menschen das verhindert hatten – Menschen nämlich mit Psikräften. Zum ersten Mal hatte Cat Groskowsky bei dieser Gelegenheit von Yggdrasil und von der kleinen Lisa erfahren. Und deren Mutter, die zu einem Energiewesen mutiert war. Der irdische Stationscomputer hatte diese Daten gesammelt, und weder Lisa noch ihre Mutter wussten davon. Sie ahnten noch nicht einmal, dass überhaupt eine Station der Uralten, wie Cat sie nannte, auf der Erde existierte.
Cat wusste inzwischen so ziemlich alles, was die Zustände auf der gegenwärtigen Erde betraf, und sie hatte sich längst vorgenommen, einmal zurückzukehren, um mit der Stadt im ewigen Eis der Antarktis Kontakt aufzunehmen. Bis jetzt jedoch blieb das viel zu riskant, weil sie ja unter allen Umständen die Existenz der sogenannten Göttertore verheimlichen musste. Immerhin, solange die Erde auch noch unter der Besatzung der Kyphorer stöhnte…
Ging es dem Stationscomputer etwa jetzt genau darum?
Er beantwortete die unausgesprochene Frage mit den Worten:
„Nein, es geht um eine weitere Welt mit ungewöhnlicher Psi-Häufigkeit, womit sie sich von der Erde unterscheidet – unter anderem jedenfalls. Von diesen Welten gibt es sowieso nur wenige. Es ist abhängig von der kosmischen Situation, die das entweder begünstigt oder auch verhindert.“
„Wie bei den Kyphorern. Dort wird es verhindert. Ihnen ist Psi zumindest in eigenen Reihen völlig unbekannt“, meinte Cat und schüttelte den Kopf. „Eine weitere Welt sagst du?“
„Ja, Entwicklungsstadium durchaus vergleichbar mit der Erde. Nein, ich korrigiere, denn nicht ganz, denn durch die Invasion der Kyphorer ist genau das verhindert worden, was sich hier längst etabliert hat.“
Cat seufzte ergeben.
„Ich verstehe. Es geht mal wieder um eine Entscheidung, und du wirst mir jetzt die ganze Geschichte auftischen, in allen Details, damit ich nicht die falsche Entscheidung treffe. Weil es auf der genannten Welt natürlich ein Göttertor gibt, doch der dortige Stationscomputer in keiner Weise in die Geschehnisse eingreifen kann, auf Grund seines Sicherheitsprogramms? Nein, warte, nicht antworten: Und weil immerhin die Gefahr besteht, dass in vielleicht absehbarer Zeit die Menschen dieser Welt ins All streben und auf den Bund von Dhuul-Kyphora treffen – mit allen unerfreulichen Folgen für sie?“
„Nicht ganz“, schränkte der Stationscomputer jedoch überraschend ein. „So weit sind sie noch lange nicht. Sie haben seltsamerweise nicht die geringsten Ambitionen, ihre Welt zu verlassen, obwohl sie sicherlich das technische Rüstzeug dazu hätten. Es mag daran liegen, weil sie völlig andere Probleme haben – und diese Probleme sind wirklich schwerwiegend.“
„Ja, soll ich irgendwie eingreifen in die Geschehnisse oder was?“
„Nein, das wäre zu gefährlich. Ich kann nicht sagen, was das Richtige wäre. Äh, mit Verlaub, Cat, es ist wirklich äußerst kompliziert, und der geringste Fehler könnte wahrlich fatale Folgen haben. Solange die Menschen dieser Welt so weit entfernt sind von der Raumfahrt oder auch vom Bau eines funktionierenden STAR GATES, besteht sowieso keine Gefahr für sie. Zumindest nicht von außerhalb. Die Kyphorer ahnen noch nicht einmal etwas von ihnen.“
„Aber?“
„Darf ich dir die Geschichte erklären, natürlich mit den entsprechenden Momentaufnahmen, um alles zu verdeutlichen? Zentrale Figur dabei ist ein Akteur, den man dort Nelp Sregnis nennt. Zumindest sehe ich das so.“
„Also gut, einverstanden. Es scheint ja zu meinen Hauptaufgaben inzwischen zu zählen, die Geschichte betroffener Welten zu erfahren, um abzuwägen, ob es sich lohnt, sie innerhalb der Rebellenorganisation im Bund von Dhuul-Kyphora zu integrieren – und wie das geschehen sollte. Immerhin, wenn die Mutantenhäufigkeit dort entsprechend ist…“
„Das hat nicht nur Vorteile, wie wir sie bereits hatten. Ich erinnere dabei nicht zufällig an Le-umas Reckolb, der es immerhin schaffte, damit eine ganze Welt zu befrieden, nämlich die Sedrea. Ein Vorbild nicht nur für seine Welt, sondern irgendwie sogar für die Rebellen und ihre künftige Vorgehensweise. Wenn ich das richtig einschätze, ist dir die Überzeugungsarbeit sehr gut gelungen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Del Shannon, der Anführer der Rebellen, ist jedenfalls von der Idee äußerst angetan und hat sich sogar die Zeit genommen, höchstpersönlich der Welt Sedrea einen Besuch abzustatten, um sich an Ort und Stelle vom Ergebnis zu überzeugen.“
„Na, es hat mich alles ein paar Wochen intensiver Überzeugungsarbeit gekostet. Immerhin“, versuchte Cat einzuschränken. „Das war wesentlich länger als ich mir ursprünglich vorgenommen hatte.“
„Der Erfolg jedenfalls gibt dir recht.“
„Danke für die Blumen, aber jetzt hast du anscheinend ja ein Beispiel parat, wo das ganz und gar anders verläuft? Unter dem Einfluss von Mutanten?“
„Wenn du dich vielleicht selbst davon überzeugen willst?“
„Ja, gut, einverstanden. Ich mache es mir bequem, und dann schieß endlich los. Du gibst ja vorher doch keine Ruhe.“
Tausende von Jugendlichen trafen sich im Zentralpark der Megametropole Ogakich auf dem westlichen Großkontinent. Über der wogenden Menschenmenge erhoben sich unzählige Transparente, mit denen sie ihrem Unmut Luft machten:
„NIEDER MIT DER WELTREGIERUNG!"
Cnil Reschtelf hielt sich etwas abseits von dem Treiben. Seine Aufgabe war es, einen bestimmten Mann in dieser Masse ausfindig zu machen. Leichter wäre es gewesen, die berühmte Nadel in einem Heuhaufen zu finden.
Nervös fingerte er am Griff seiner Schockwaffe herum, die er unsichtbar unter dem Überwurf trug. Die ganze Sache gefiel ihm nicht. Allerorten wurde der Aufstand geprobt, aber die Weltregierung tat eigentlich viel zu wenig dagegen – seines Erachtens nach.
Er knirschte mit den Zähnen. Seine Aufgabe war es, die eigentlichen Verursacher dingfest zu machen. Einer davon war ihren Informationen zufolge ein gewisser Nelp Sregnis.
Reschtelfs Blick wanderte über die unruhige Wand aus Menschenleibern, die etwa zwanzig Schritte vor ihm begann und nicht mehr zu enden schien. Längst war der Park in seiner Aufnahmekapazität erschöpft. Die ehemals so schmucken Grünanlagen waren den Fußtritten der aufgebrachten Jugendlichen zum Opfer gefallen.
Reschtelf brummte unzufrieden und klopfte die Taschen seines klimatisierten Überwurfs nach etwas ab, das dem irdischen Kaugummi nicht unähnlich war.
In diesem Augenblick stieß ihn jemand von hinten an.
Reschtelf wirbelte abwehrbereit herum.
Einer der Jugendlichen mit einer Packung Kaugummi in der Rechten!
Reschtelf schalt sich einen Narren ob seiner Nervosität und entspannte sich. Der Jugendliche hielt ihm die Packung grinsend hin.
Der Regierungsagent griff sich so ein Ding und schob es sich zwischen die Zähne.
„Na, alter Mann, auch beim Demonstrieren?", erkundigte sich der Junge leutselig.
Reschtelfs Augenbrauen rutschten zusammen. Schon wollte er sich diese Anrede verbitten, aber er überlegte es sich anders.
„Äh, ja, ist doch auch wahr. Was die Weltregierung in letzter Zeit treibt, ist nicht mehr zu akzeptieren. Was haben uns denn die Mutanten getan?"
Die Mutanten - das war die allgemeine Bezeichnung für geistig positiv mutierte Menschen.
Die Mutanten - das waren Götter in Menschengestalt, wie es ein Philosoph einmal formuliert hatte.
Die Regierung wollte anscheinend nicht einsehen, dass sie harmlos waren, denn sie bildeten in ihren Augen eher einen Unsicherheitsfaktor im politischen Gefüge.
Cnil Reschtelf ahnte, dass die Demonstrationen nur so lange toleriert wurden, bis es erste Übergriffe gab. Aus eigener Anschauung kannte er die Regierungsmethoden, dann Gegner wirkungsvoll auszuschalten.
In der Öffentlichkeit galt der weltweite Staatenbund als von Grund auf demokratisch, doch Demokratie war längst zur Farce geworden, seit die Mächtigen Einigkeit praktizierten.
„Recht so, Alterchen, auch mit dreißig Lenzen auf dem Rücken sollte man noch am politischen Geschehen teilnehmen. Heutzutage ist jeder Jahrgang gefragt und nicht nur die Masse der Denkenden."
Der Junge steckte seine Gummipackung wieder ein und wandte sich ab.
Reschtelf schaute ihm nach, bis er in der wogenden Menge verschwand.
Das ist also der Nachwuchs, auf dessen Schultern die Zukunft der Menschheit ruht, dachte er bitter. Unsereins muss noch viel tun, um die zu loyalen Bürgern der Welt zu erziehen - wenn notwendig mit der nicht nur sprichwörtlichen Peitsche.
Seine Augen suchten.
Missbilligend schüttelte er den Kopf. Zum wiederholten Mal fragte er sich, wie er unter solchen Umständen Nelp Sregnis aufspüren sollte.
Aber Reschtelf war schließlich nicht allein. Ganze drei Hundertschaften standen unerkannt herum. Nelp Sregnis galt als Feind Nr. 1 der Menschheit, und da erschien ein solcher Aufwand durchaus gerechtfertigt.
Es war der Zeitpunkt, an dem Cnil Reschtelf zum zweiten Mal angerempelt wurde: Mas Retslot, einer der Kollegen!
Gerade machte Mas den Mund auf, um etwas zu sagen, da bemerkte er die Veränderung in Reschtelfs Gesicht.
Reschtelf vergaß zu atmen. Seine Rechte krallte sich um Retslots Arm, und dieser folgte der Richtung, in die Reschtelf starrte.
Dann zuckte er selber zusammen wie unter einem Peitschenhieb.
„Er ist es!", murmelte er ungläubig.
Reschtelf schnappte nach Luft und hustete.
„Nelp Sregnis!", keuchte er.
Mas Retslot schritt spornstreichs davon und steuerte genau auf Sregnis zu, der soeben die Menschenmasse verlassen hatte.
Niemand sonst kümmerte sich um ihn. Ein Alltagsgesicht, das eigentlich nur geschulten Polizisten auffallen konnte.
Retslot griff in die Tasche. Der kühle Griff seiner Schockwaffe beruhigte ihn. Außerdem wusste er Reschtelf hinter sich. Die beiden hatten sich nicht abzusprechen brauchen. Sie handelten routiniert.
„Hallo!", sagte er.
Nelp Sregnis sah auf - und begriff augenblicklich. Blitzschnell wandte er sich zur Flucht.
Mas Retslot war durchtrainiert und schnell. Er erwischte den Flüchtenden am Zipfel seiner Jacke und hielt ihn mit eiserner Gewalt fest.
Dennoch wäre ihm der Mutant entwischt, wäre nicht Cnil Reschtelf mit auf den Plan getreten. Er packte den sich heftig Sträubenden und nahm ihn in einen Polizeigriff.
Aus den Lautsprechern, die überall an Bäumen hingen, drang eine Stimme. Der Mann, der zu den Versammelten sprach, schien magische Ausstrahlung zu besitzen, denn sofort verstummten alle.
Reschtelf und Retslot nahmen es nur mit halbem Ohr wahr. Dieser Dnourc Nosmis, der stimmgewaltig seine Anhänger aufputschte, war für sie uninteressant: Er war ein „normaler Mensch", keiner der verhassten Mutanten. Man ließ ihn gewähren, solange er die gesetzlichen Grenzen respektierte.
Sowieso vermochte er nur Jugendliche zu begeistern. Ältere Generationen wagten es längst nicht mehr, sich gegen die politische Macht aufzulehnen.
Die beiden Polizeiagenten schleppten ihren Gefangenen zum in Deckung geparkt stehenden Bodengleiter. Es war gut, dass Dnourc Nosmis ausgerechnet jetzt zu sprechen begonnen hatte, denn dadurch blieb ihre Aktion unbeobachtet.
Nur die anderen Agenten sahen es.
Nichts deutete darauf hin, dass der schwarze Bodengleiter ein Polizeifahrzeug war. Reschtelf und Retslot bugsierten Sregnis auf den Rücksitz.
Retslot schwang sich hinter die Steuerkontrollen und schloss den Energiekreis.
Gleichzeitig damit heulte die Sirene der Diebstahlsicherung auf.
Retslot hämmerte auf dem entsprechenden Schalter herum, ohne damit Erfolg zu erzielen.
Reschtelf schielte zu der Menschenmenge hinüber. Die ersten wandten sich ihnen ärgerlich zu.
Sein Blick traf Sregnis. Als er dessen Grinsen sah, wusste er, wem sie es zu verdanken hatten; Sregnis brauchte keinen Schalter. Er war Psychokinet und hatte mit seiner besonderen Begabung das Signalhorn kurzgeschlossen.
In die flammende Rede von Nosmis und das Heulen der kleinen Sirene mischten sich ärgerliche Stimmen. Mehrere Jugendliche näherten sich. Sie nahmen eine drohende Haltung ein, obwohl sie nicht einmal ahnten, was hier geschah.
Wütend ballte Reschtelf die Hände zu Fäusten. Er wollte auf Sregnis eindreschen, doch der Mutant war auf der Hut. Bisher hatte er seine Fähigkeiten zurückgehalten, wahrscheinlich nur, um sich nicht zu verraten. Jetzt war ihm klar, dass es nichts mehr nutzte. Die beiden Agenten wussten längst, mit wem sie es zu tun hatten.
Sie hatten ihm hier aufgelauert. Seine Festnahme war kein Zufall.
Die Fäuste von Reschtelf glitten an einer unsichtbaren Wand ab und trafen das Sitzpolster.
Es kostete Nelp Sregnis unmenschliche Anstrengung, mit seinen PSI-Kräften einzugreifen. Deshalb winkelte er jetzt lieber die Knie an und trat Reschtelf mit voller Wucht gegen die Brust.
Der Polizeiagent verschwand nach draußen und überschlug sich rückwärts.
„Verdammt!", knurrte Mas Retslot. Er gab es auf, den Alarm abschalten zu wollen.
Das Antriebsaggregat wimmerte leise und kam rasch auf Touren. Der Gleiter erhob sich zehn Zentimeter über den Boden.
Schon wollte der Agent den Fahrthebel nach vorn drücken, als ihn Sregnis von hinten angriff, um ihn über die Rückenlehne zu sich her zu reißen.
Retslot wand sich aus dem Griff. Seine Hand erfasste den Fahrthebel.
Sofort machte das Fahrzeug einen Satz nach vorn.
Vor der Windschutzscheibe tauchte ein bärtiges Gesicht auf. Die Augen weiteten sich entsetzt. Dann kollidierte der Körper des Jugendlichen mit dem Bug und rutschte über die Karosserie des Gleiters.
Sekundenbruchteile sah Mas Retslot nichts mehr.
Sregnis griff zum zweiten Mal an, indem er Retslot mit der Faust bearbeitete.
Zwar war der Mutant ein durchtrainierter Mann, aber er hatte keine Polizeiausbildung genossen. Das machte ihn von vornherein unterlegen.
Retslot schlug zurück und wagte es, einen Blick in den Spiegel zu werfen.
Gerade erhob sich der Bärtige aus dem Straßenstaub. Es war ihm also nicht viel passiert.
Retslot packte den Steuerknüppel fester und drehte ihn nach links. Der Gleiter bockte wild, brach aus und drohte gegen eine Hausfassade zu schleudern.
Und noch immer heulte das Signalhorn der Diebstahlsicherung.
Nelp Sregnis rührte sich nicht mehr. Hatte er aufgegeben, oder war Retslots Faust im gewünschten Ziel gelandet? Lieber hätte der Agent ja seinen Schocker eingesetzt, doch das Ziel war viel zu nah. Überschießende Schockenergie hätte auf den Schützen selbst zurückspringen können.
Da waren die ersten Verfolger. Die Jugendlichen waren nicht dumm. Sie begriffen schnell, was da ablief: Jemand sollte entführt werden. Zweifelsohne handelte es sich um einen Mutanten oder Sympathisanten. Und jetzt nahmen die Jugendlichen mit eigenen Gleitern die Verfolgung auf.
„Schneller!", befahl Retslot sich selber und erhöhte die Leistung der Aggregate.
Der Gleiter verließ die Kurve und röhrte weiter. Die Verfolger hatten kaum eine Chance, da mitzuhalten, denn der unscheinbare Gleiter besaß den berüchtigten Polizei-Antrieb. Nur staatlichen Gleitern war er vorbehalten. Die Mächtigen taten alles, um ihre Positionen zu behalten und dem Bürger keine echten Möglichkeiten zum Widerstand in die Hände zu geben.
Die Straße war wie leergefegt. Kein Wunder, wenn man die Menschenmenge im Park gesehen hatte. Alle Jugendlichen waren auf den Beinen, und die Älteren verkrochen sich in den Häusern, weil sie mit der Versammlung nichts zu tun haben wollten.
Überhaupt waren die Jugendlichen in den Ballungszentren dieses Kontinents hoffnungslos in der Überzahl. Eine direkte Folge des Regierungsprogramms vor einigen Jahren, das viel Staub aufgewirbelt hatte: Während in den ärmeren Gegenden der Welt gewaltsam Geburtenkontrollen durchgeführt wurden, gab es in den reicheren Gegenden hohe Prämien für Kinderfreundlichkeit, ungezählte Kindergärten und mehr Schulen und Lehrer, als man eigentlich brauchte. Die Folge war eine Bevölkerungsexplosion in den sogenannten Industriestaaten.
Die Absicht war klar: Damit wollte die Weltregierung eine Unterwanderung durch andere Nationen und eine Rassenvermischung abwenden.
Was sich Weltregierung schimpfte, betrieb in Wahrheit Rassenpolitik.
Als Retslot mit der Geschwindigkeit heruntergehen wollte, sah er wieder Verfolger im Rückspiegel. Er hatte sich verrechnet. Die Jugendlichen waren zwar langsamer, aber sie kannten gute Abkürzungen, weil sie teilweise in diesem Stadtteil von Ogakich geboren waren.
Mas Retslot fluchte vor sich hin. Flüchtig dachte er an Cnil Reschtelf. Wie es dem wohl noch ergangen war?
Ein kurzer Blick auf den Rücksitz. Nelp Sregnis war immer noch ohne Bewusstsein, konnte jedoch jeden Augenblick wieder erwachen.
Retslot fasste einen Entschluss. Es war verboten, bei einer solchen Aktion Funkverkehr zu halten, aber diese Vorsichtsmaßnahme war in Anbetracht der Umstände nicht mehr sinnvoll. Im Gegenteil. Ehe es den Verfolgern gelang, Retslot endgültig den Weg abzuschneiden, musste er Verstärkung angefordert haben.
Er setzte einen kodierten Funkspruch ab. Derweil näherte er sich der Innenstadt.
Nach dem Gespräch lenkte er den Gleiter in eine Seitenstraße. Hier standen noch einige der uralten Häuser, nur notdürftig restauriert.
Zweihundert Meter weiter bog Retslot mit stark überhöhter Geschwindigkeit in die nächste Seitenstraße ein. Dass er dabei ein Stoppschild überfuhr, erwies sich allerdings als grober Fehler.
Es gab auf der breiten Straße hier nur einen einzigen Gleiter, der entgegen kam, und genau mit diesem traf Retslot zusammen.
Da halfen auch die besten Reflexe nichts mehr. Zum Ausweichen war es zu spät.
Mas Retslot hatte das Gefühl, eine Riesenfaust würde ihn nach vorn reißen. Sein schwarzer Gleiter bohrte sich in die Karosserie des anderen. Gemeinsam schepperten die beiden Gleiter über den Asphalt und prallten gegen eine Hausfassade.
Rechtzeitig baute sich das Aufprallkissen vor Retslot auf und bewahrte ihn dadurch vor dem sicheren Tod.
Die Luft wurde aus seiner Lunge getrieben. Um ihn herum war die Welt nur noch kreischendes und berstendes Inferno.
Ineinander verkeilt, schlitterten die Gleiter an der Fassade entlang und verursachten im Mauerwerk breite Risse. Die Aggregate verstummten, denn die Sicherheitsschaltung unterbrach jegliche weitere Energieversorgung.
Endlich war auch nicht mehr das Signalhorn zu hören.
Nelp Sregnis erwachte auf dem Boden des Wracks. Er hatte Glück gehabt. Von vorn hörte er das Stöhnen des Polizeiagenten, der zwischen Sitzlehne und Armaturenbrett eingeklemmt war.
Nelp Sregnis erhob sich.
Schon waren die Verfolger heran. Die Türen klemmten, aber als die langhaarigen Jugendlichen Sregnis sahen, machten sie sich mit vereinten Kräften daran, die verbogenen Metallteile aufzubrechen.
Retslot protestierte schwach.
Kein Mensch achtete auf ihn, und an seine Waffe kam er jetzt nicht mehr heran.
Die Befreiungsaktion trug Früchte. Nelp Sregnis wurde heil aus den Trümmern geborgen.
Ein paar der Jugendlichen widmeten sich dem Fahrer des anderen Unglücksfahrzeugs. Der Mann war völlig unversehrt, litt jedoch unter einem Schock und brachte kein Wort hervor.
„Wir müssen weg von hier", mahnte einer der Jugendlichen. Er war höchstens achtzehn. „Der Kerl hat bestimmt Verstärkung angefordert."
Kaum hatte er ausgesprochen, hörten sie das Wimmern von Polizeisirenen.
„Ohne mich!", sagte Nelp Sregnis fest. „Ich setze meinen Weg zu Fuß fort."
„Aber nein", widersprach ein anderer Junge, „das ist doch Unsinn. Sie kommen natürlich mit uns."
Ein Mädchen rief mit zittriger Stimme:
„Das - das ist doch - ist doch Nelp Sregnis! Das - das ist ein Mutant, ein echter Mutant!"
Die anderen betrachteten Sregnis genauer.
„Tatsächlich!", murmelten sie fassungslos. „Zum ersten Mal sehen wir einen von ihnen. Mensch, wer hätte das gedacht? Wir haben ihn gerettet."
Ehe sich die Jungen und Mädchen von ihrem Erstaunen erholen konnten, erklärte Nelp Sregnis:
„Umso mehr Grund habt ihr, euch von mir zu trennen. Was glaubt ihr, was die Polizei mit euch anstellt, wenn wir zusammen erwischt werden? Fahrt weiter, und lenkt die Polizisten auf eure Fährte. Nur so habe ich eine reelle Chance."
„Wo werden Sie bleiben?"
„Lasst das nur mal meine Sorge sein!"
Sregnis sah kurz nach Retslot. Der Polizeiagent hatte von der leise geführten Unterhaltung nichts mitbekommen. Außerdem hatte er derzeit ganz andere Probleme: Sein Atem ging keuchend. Er verdrehte kurz die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Es ging ihm offensichtlich sehr schlecht. Aber als sein Blick wieder klarer und er Nelp Sregnis ansichtig wurde, flackerte darin Hass.
„Was habt ihr mit meinem Kollegen angestellt?", wandte er sich an die Jugendlichen. Jedes Wort bereitete ihm Qualen. „Wehe, wenn ihr ihm auch nur ein Härchen gekrümmt habt!"
Sregnis winkte den Jugendlichen zu. Gemeinsam mit drei von ihnen rannte er in Richtung eines der Fahrzeuge.
Retslot musste annehmen, dass Sregnis mit ihnen wegfahren würde, aber Sregnis schlug kurz davor einen Haken und lief allein weiter.
Die Jugendlichen hielten ihn nicht auf. Sie starteten die Aggregate ihrer abenteuerlich aussehenden Gleiter und brausten davon. Auf den rennenden Nelp Sregnis achteten sie nicht mehr. Sie wussten, dass er durchkam, wenn sie keinen Fehler machten und ihm einen genügend großen Vorsprung verschafften.
Der Mutant schaute ihnen nach.
„Die Jungen haben die Chance, anders zu werden", murmelte er vor sich hin. „Mit ihrem wahnsinnigen Bevölkerungsprogramm hat die Regierung ein Eigentor geschossen. Sie gibt gern an, den Nachwuchs gut unter Kontrolle zu haben, aber dabei unterliefen ihr einige Fehler. Es ist, als würde die Menschheit erwachen und sich besinnen. Es sind so viele Jugendliche gegen die Regierungsprogramme und vor allem gegen die blutige Verfolgung der GÖTTER, wie sie uns nennen, dass man im Grunde genommen wenig dagegen tun kann. Sollte man denn alle jugendlichen Sympathisanten umbringen? Das kann sich nicht einmal diese Regierung erlauben. Nein, die werden einfach die Probleme aus der Welt schaffen und damit den Jugendlichen die Munition stehlen.
Mit anderen Worten: Alle Mutanten werden sterben müssen - es sei denn, es geschieht noch ein Wunder!"
Trotz der groß angelegten Verfolgungsjagd gelang es Nelp Sregnis, durch die Maschen des ausgeworfenen Netzes zu schlüpfen. Eine Stunde später betrat er seine Wohnung. In Vorahnung der Dinge, die noch auf die Mutanten zukommen würden, hatte er diese Wohnung schon vor Jahren unter falschem Namen gemietet. Sein Dutzendgesicht war darüber hinaus die beste Tarnung, die er sich denken konnte.
„Es war ein gravierender Fehler gewesen, mit Dnourc Nosmis Kontakt aufnehmen zu wollen", murmelte er vor sich hin. „Er hat mich verraten, denn nur er wusste, dass ich zum Zentralpark kommen würde. Gottlob war ich vorsichtig genug, ihm entgegen unserer Abmachung letzten Endes doch nicht gegenüberzutreten. Trotzdem hätten sie mich beinahe erwischt."
Er blickte kurz auf die Uhr. Es war schon Abend.
Seufzend ging er in die Küche, um sich ein Mahl zu bereiten. Während der wenigen Handgriffe, die in einer modernen Küche nur noch notwendig waren, dachte er an die vergangenen Jahre zurück, die zur gegenwärtigen Situation geführt hatten.
Die fortschreitende Verseuchung der Umwelt hatte irgendwann einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Welt bewegte sich hart am Rande eines Krieges, der wirklich alle betroffen hätte, mit der Aussicht, jegliche Zivilisation nachhaltig zu vernichten.
Ein Umstand allein verhinderte letztlich das Schlimmste:
Die gemeinsamen Forschungen hatten die beiden Hauptkontinente, die die Nordhalbkugel beherrschten, einander entscheidend näher gebracht. Die Gefahr eines Weltkriegs wurde kleiner. Die gegnerischen Parteien kümmerten sich nicht mehr so sehr um die unterschiedlichen politischen Auffassungen. Man strebte zur Allianz der Staaten.
Leidtragende dabei waren allerdings die sogenannten Südländer. Nicht nur die Bewohner der mehrere tausend sehr unterschiedlich großen Inseln, die sich wie ein breiter Ring unterhalb des Äquators um den Planeten zogen, als Splitter eines ehemaligen Superkontinents, sondern auch die Bewohner des antarktischen Kontinents, der in den Randregionen eine gemäßigte Zone besaß. Sie wurden von den Industriestaaten der Hauptkontinente schließlich einfach vereinnahmt.
Das ging natürlich nicht ohne Gegenwehr vonstatten. Entsetzliches Blutvergießen war die Folge. Es kam zu einem Beinaheweltkrieg zwischen Süd und Nord, wobei Süd von vornherein nur wenig Chancen hatte, denn hier waren die staatlichen Interessen dermaßen zersplittert, indem quasi jede Insel einen eigenen, autarken Staat bildete, dass eine koordinierte Gegenwehr einfach unmöglich war.
Im Verlauf dieser Zeit tauchten die ersten Mutanten auf. Zumindest offiziell. Niemand kümmerte sich ernstlich um sie, solange es andere, viel wichtigere Probleme gab.
Die Parapsychologen erst machten auf die Mutanten aufmerksam, dann, als der komplette Süden zwischen den nördlichen Hauptkontinenten und deren Führung aufgeteilt war und man sich daran machte, so etwas wie eine Zentralregierung für alle zu gründen. Dabei ging man immerhin so geschickt vor, dass man den Südländern den Eindruck vermittelte, sie wären tatsächlich gleichberechtigt an diesem Prozess beteiligt. Um späteren Auflehnungsbemühungen, gar aus dem Untergrund heraus, rechtzeitig vorzubeugen.
Einer der Parapsychologen formulierte die Sache mit den Mutanten am Ende dann so:
„Schon immer gab es mutierte Menschen. Man nannte sie Hexen und Hexer, Magier oder Zauberer. Heute sind es die Mutanten. Die meisten in der Vergangenheit waren Scharlatane, die ihre Mitmenschen mit gekonnten Tricks beeindruckten. Die Parapsychologie bemüht sich nicht erst seit heute, sondern, weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit allerdings, seit einigen Jahrzehnten schon ernsthaft, Licht in das Dunkel zu bringen, und hatte bereits beachtliche Erfolge, denn in diesem Jahrhundert gibt es mehr Menschen als je zuvor. Trotz der vielen Toten, die wir in den vergangenen Jahren der Irrungen und Wirrungen zu beklagen hatten. Rechnet man nur ein zehntel Promille der gegenwärtigen Weltbevölkerung zu den potentiellen Mutanten, kommen wir weltweit schon auf Hunderttausende. Wahrscheinlich sind es nur ein paar tausend letztlich, die innerhalb der modernen Massengesellschaften in der Regel untergehen, ihre Fähigkeiten kaum selber erkennen und, wenn ja, sie vor den anderen verheimlichen, weil kein Mensch auf dieser Welt gern zum Außenseiter gestempelt wird. Die eigentlichen Schwierigkeiten in der wissenschaftlichen Erforschung liegen einfach in der Scheu der echten Mutanten, sich ausgeklügelten Experimenten zu unterwerfen, oder aber auch in der psychischen Labilität dieser Menschen, die unter wissenschaftlichen Bedingungen ihre Fähigkeiten nicht zur Geltung bringen können.
Nunmehr, trotz all dieser nicht zu unterschätzenden Hindernisse, gibt es endlich echte Beweise. Die Arbeit von Jahrzehnten hat sich also doch noch gelohnt. Wir gehen nunmehr daran, ein besonderes Auswahlverfahren zu entwickeln und die Mutanten zu fördern."
Mit einer fahrigen Bewegung strich sich Nelp Sregnis durch das Haar. Diese Worte waren von jetzt an gerechnet vor vierzig Jahren gesprochen worden. Seitdem hatten sich die politischen Fronten endgültig geklärt. Die eigentlich Mächtigen waren sich längst untereinander einig geworden und teilten sich die Welt nach wie vor und äußerst effektiv auf – eine Welt, deren Bevölkerung sich darüber überhaupt nicht im Klaren war, was natürlich so bleiben sollte, wenn es nach den Mächtigen ging. Und es ging nach den Mächtigen! Die Warner, die als einzige diese Entwicklung beobachteten, wurden einfach niedergeknüppelt.
Die Forschungsarbeiten mit den Mutanten indessen machten Fortschritte. Mancherorts konnte man sogar schon von regelrechten „Mutanten-Züchtungen" sprechen.
Durch die gewissenhafte wissenschaftliche Erfassung waren sämtliche Mutanten mit nennenswerten Sonderfähigkeiten schließlich den staatlichen Organen bekannt. Das erwies sich vor drei Jahren jedoch als äußerst verhängnisvoll, denn damals gab es einen schlimmen Zwischenfall: Eine Gruppe von begabten Mutanten wandte sich offen gegen die Regierung des Weltbundes und deckte sehr unangenehme Wahrheiten auf.
Die Weltregierung, nichts anderes als die offizielle Repräsentation der eigentlich Mächtigen und nur vorgetäuscht die Repräsentation des Volkswillens aller Weltbewohner, erkannte die Gefahr, die ihnen durch die Mutanten erwuchs, und leitete erste Maßnahmen ein.
Mit entsprechenden Auswirkungen: Inzwischen wurden die Mutanten überall verfolgt. Sie waren zu Vogelfreien geworden und wurden vor der Öffentlichkeit zu blutrünstigen Monstren gestempelt, die unter allen Umständen unschädlich gemacht werden mussten.
Dass damit nicht jedermann einverstanden war, hatte nicht nur heute die Versammlung im Zentralpark der Megametropole Ogakich im Süden des sogenannten Westkontinentes bewiesen.
Aber solche Sympathiekundgebungen brachten den Mutanten keinerlei Rettung. Die Regierung war einfach zu mächtig und würde bald den Nachwuchs wieder im Griff haben.
Spätestens dann eben, wenn es keine Mutanten mehr gab!
Tommers lehnte sich im Dunkel der Einfahrt gegen die graue Hausfassade. Es war einer der Augenblicke, in dem er sich fragte, wieso er ausgerechnet in den Polizeidienst getreten war. Jedenfalls hatte er sich die Sache vorher ganz anders vorgestellt.
Jetzt stand er schon fünf Stunden an diesem Platz, ohne dass sich etwas ereignet hätte.
Normalerweise wurde ein Beobachter abgelöst. Tommers indessen durfte damit nicht rechnen. Ogakich kochte gewissermaßen. Die Ängstlichen vermuteten hinter jeder Häuserecke einen bösen Mutanten, und die anderen versuchten, eben einen solchen Mutanten zu erwischen.
Manchmal glaubte Tommers, dass es überhaupt keine mehr gab. Obwohl er es hätte besser wissen müssen. Denn nur der Tatsache, dass noch Mutanten auf freiem Fuß waren, hatte er diese Arbeit hier zu verdanken.
Tommers war der Meinung, endlich etwas unternehmen zu müssen. Nach fünf Stunden war es an der Zeit: Wahrscheinlich hatten ihn die Kollegen sowieso längst vergessen.
Er setzte sich in Marsch und folgte der Straße etwa hundert Meter weit. Dort blieb er stehen.
Ein Blick zum observierten Haus auf der anderen Seite.
Tommers erstarrte.
Was er schon nicht mehr für möglich gehalten hatte, trat ein: Jemand bewegte sich am Fenster. Nur Sekundenbruchteile erhellte ein verirrter Lichtstrahl das Gesicht des Mannes, der einen Blick auf die Straße geworfen hatte.
Es war unzweifelhaft das Gesicht von Nelp Sregnis!
Der Vorgesetzte von Tommers hatte recht behalten: Hier wohnte der Meistgesuchte von Ogakich unter falschem Namen!
Dritter Stock!, konstatierte Tommers und spazierte gemächlich zu seinem Platz zurück. Falls ihm Nelp Sregnis jetzt zufällig nachsah, durfte er keinen Verdacht schöpfen.
Tommers erreichte die Einfahrt wieder und verschwand darin. Dann zerrte er das winzige Funkgerät hervor und schaltete es ein. Er drückte dreimal auf den rotmarkierten Knopf. Das Zeichen wurde auf einer besonderen Frequenz abgestrahlt, die nicht der normalen Polizeifrequenz entsprach.
*
Nelp Sregnis sah nichts Verdächtiges und überlegte schon, ob er die Wohnung verlassen sollte. Aber dann entschied er sich dagegen. Hier fühlte er sich sicher. Besser, wenn er sich erst wieder auf die Straße wagte, wenn sich die Aufregung in der Stadt gelegt hatte.
Nervös schritt er auf und ab. Er wusste nicht, was diese plötzliche Unruhe in ihm geweckt hatte.
Sregnis war ein schwacher Psychokinet und kein Hellseher, aber sein Genius hatte ihm einmal erklärt, dass die Fähigkeiten eines echten Mutanten im Grunde gar nicht ganz ermessen werden konnten. Manche wurden erst in besonderen Stresssituationen frei.
„Ist das bei mir jetzt auch der Fall?", sinnierte er laut. „Ich war eigentlich noch nie so direkt gefährdet wie jetzt. Ich wage gar nicht, einen der anderen anzurufen. Vielleicht wird bereits mein Telefon abgehört?"
Er schaltete das Licht aus und trat abermals ans Fenster.
Unten hatte vorhin ein Mann gestanden. Die Entfernung war zu groß gewesen, und Nelp hatte nicht erkennen können, ob der Mann wirklich zu ihm hochgesehen oder ob er sich das nur eingebildet hatte.
Sein Blick wanderte die Straße hinunter.
Zwei Gleiter sirrten vorbei. Die Straße war gut ausgeleuchtet, aber es gab ein paar dunkle Schatten.
Von dem Mann fehlte jede Spur. War er in einem dieser Schatten untergetaucht?
Ein Pärchen. Die beiden lachten albern. Da kamen sie an einer Einfahrt vorbei und verschwanden darin.
Nicht lange. Als sie wieder zum Vorschein kamen, wirkten sie ernüchtert.
Da stimmt etwas nicht!, durchfuhr es Sregnis. Der Zufall hat mir etwas offenbart, was ich einfach nicht glauben kann, weil ich es bisher nicht für möglich gehalten habe: Das Haus wird überwacht!
Seine Gedanken verwirrten sich. Wie ein gehetztes Wild schaute er die Straße entlang.
Ein weiterer Gleiter sirrte herbei und hielt direkt vor dem Hauseingang. Drei Männer stiegen aus und gerieten aus Sregnis Blickwinkel.
Polizei!
Der Mutant zweifelte nicht mehr daran.
Heute hatte er seine psychokinetischen Fähigkeiten zum ersten Mal zu seiner Verteidigung eingesetzt. Ja, es war das erste Mal gewesen, denn er hatte in all den Jahren lernen müssen, wie ein normaler Mensch aufzutreten. Mutanten waren stets Außenseiter gewesen - auch in den Zeiten, da man um ihre Anerkennung gerungen hatte -, die sich nur anpassen konnten, wenn sie unerkannt blieben.
Eine Tradition, die Sregnis unbewusst fortgesetzt hatte. Nun wurde ihm klar, dass er sich das nicht mehr länger leisten konnte.
Rasch durchquerte er die Wohnung und blieb an der Eingangstür stehen. Lauschend presste er sein Ohr dagegen.
Der Lift war in Betrieb.
Das genügte ihm. Nelp Sregnis lief zum Schlafzimmer und öffnete dort das Fenster. Möglicherweise wähnte man ihn sicher in der Falle und hatte das Gebäude nicht umstellt, um kein Aufsehen zu erregen. Eine Panik konnte ausbrechen, wenn herauskam, dass in diesem Haus ein Mutant wohnte.
Wehmütig dachte er an die Jugendlichen, die ihm geholfen hatten. An ihnen war das Gift der Propaganda zwar auch nicht spurlos vorübergegangen, aber sie setzten sich dagegen zur Wehr und gebrauchten ihren Verstand.
Vom überwiegenden Teil der Bevölkerung konnte man das leider nicht behaupten.
Für sie waren die Mutanten keine GÖTTER, sondern Bestien und Horrorgeschöpfe.
Das eine war dabei genauso falsch wie das andere.
Nelp Sregnis blickte hinunter. Es gab keine Feuerleiter. Die Fassade war glatt und bot keine Klettermöglichkeiten.
Ein Sprung über die Distanz von sechs Metern konnte ihm sämtliche Knochen brechen.
Aber blieb ihm etwas anderes übrig?
Er zog sich auf die Fensterbank und schloss das Fenster von außen.
Dabei hörte er die Schritte vor der Wohnungstür. Ganz deutlich.
Ein Grund mehr, nicht länger zu zögern: Die Fremden steckten einen Magnetzylinder in das Schloss. Der Beweis für ihn, dass es sich nur um Polizisten handeln konnte.
Nelp Sregnis kauerte sich zusammen und hielt sich an der Fensterbank fest. Er wollte sich gerade nach unten hängen lassen, um den Rest hinunter zu springen, da rutschte er ab.
Verzweifelt ruderte er mit den Armen. Sein panikerfülltes Inneres wehrte sich gegen den mörderischen Aufprall, der im nächsten Moment erfolgen musste.
Nelp Sregnis landete im Hinterhof. Mit beiden Beinen kam er auf und federte in die Knie. Die Wucht des Aufpralls riss ihn nach vorn. Zweimal überschlug er sich. Dann sprang er wieder auf und hetzte zur Mauer.
Im Augenblick hatte er keine Zeit, sich darüber zu wundern, dass er sich nicht einmal verletzt hatte.
Psychokinese!
Seine Fähigkeiten waren nicht so stark ausgeprägt, aber er hatte alle Kräfte mobilisiert, weil es um Leben und Tod ging.
Hieß es nicht, dass ein Mensch angesichts der tödlichen Gefahr über sich selbst hinauswuchs?
Die Mauer war so hoch, dass er ihren oberen Rand nur mit ausgestreckten Armen erreichen konnte. Nelp sprang empor und klammerte sich fest. Ein kräftiger Klimmzug. Nelp riss ein Bein hoch und fand oben Halt. Keuchend zog er sich höher - und schaffte es.
Sekundenbruchteile wurde ihm schwarz vor Augen. Die Anstrengung war fast zu viel für ihn gewesen. Das war immer so, wenn er seine PSI-Kräfte einsetzte. Sie nagten an der Substanz.
Nelp ließ sich auf der anderen Seite hinuntergleiten. Keine Sekunde zu früh, denn oben wurde das Schlafzimmerfenster geöffnet. Die Agenten der Regierung spähten herunter, konnten Nelp Sregnis jedoch nirgendwo mehr sehen.
Zitternd drückte der Flüchtende sich in Deckung. Er war noch einmal davongekommen!
Wohin sollte er sich jetzt wenden?
Denn eines wusste er mit Sicherheit: Die Flucht war längst nicht beendet, sondern hatte erst richtig begonnen!
„Bitte anschnallen! Wir landen in zwei Minuten", sagte eine freundliche Stimme aus dem Lautsprecher neben Netsreks Sitz.
Genius Luap Netsrek blickte auf seine Uhr. Der Flug von Trufknarf auf dem sogenannten Ostkontinent bis Kroywen auf der nördlichen Hälfte des Westkontinentes hatte nicht einmal eine Stunde gedauert.
Er tastete das Kurzfilmprogramm aus, das über den Bildschirm vor ihm lief, und lehnte sich gähnend zurück. Das Pneumopolster passte sich automatisch seinen Körperformen an. Die Schallglocke indessen schirmte ihn nicht nur von den Nachbarsitzen ab, sondern auch vom Fluggeräusch.
Netsrek blickte durch das runde Fenster. Gerade tauchten sie durch eine dichte Wolkendecke. Bald schon konnte Netsrek mit bloßem Auge die Landerampen erkennen, auf die sie zu schwebten.
Ein Prallfeld wurde ihnen entgegengeschickt. Die Landung erfolgte vollautomatisch.
Genius Netsrek war ein vorsichtiger Mensch. Er überprüfte die Gurte. Es sollte schon vorgekommen sein, dass die Neutralisatoren versagten und das Flugzeug recht unsanft aufsetzte. Ohne Gurte konnte es einem passieren, dass man quer durch die Kabine geschleudert wurde. So wurde jedenfalls behauptet.
Netsrek dachte an die Dinge, die vor ihm lagen, und vergaß den Flug und seine damit unmittelbar verbundene Ängstlichkeit.
In Kürze würde er Genius Dref Lewnorg gegenübertreten, und er war auf diese Begegnung besonders gespannt.
Lewnorg war eine Art Filialleiter des Nesluap-Instituts in Kroywen. Das Institut mit Hauptsitz in Trufknarf hatte seinerzeit den sogenannten Umformer entwickelt.
Umformer, das war die harmlose Umschreibung für eine technische Anordnung, mit der es erstmals gelang, eine hundertprozentige Gehirnwäsche am Menschen durchzuführen. Bewährt hatte sich der Umformer bereits bei Kapitalverbrechern, die gewissermaßen ein neues Ich aufgepfropft bekamen. Auch als ansonsten unheilbar geltende psychisch Kranke waren damit erfolgreich behandelt worden.
Inzwischen gab es eine Art Selbstkontrolle in der wissenschaftlichen Fachwelt. Denn der Umformer konnte durchaus auch missbräuchlich eingesetzt werden. Die Behandelten wurden zu loyalen Mitgliedern der Gesellschaft. Das Institut hatte Richtlinien entwickelt, nach denen der Umformer niemals von Regierungsstellen eingesetzt werden durfte. Jeder einzelne Fall musste genauestens überprüft werden, ehe der Umformer zum Einsatz kam. Es durfte nicht passieren, dass die Regierung damit alle unbequemen Bürger zu Sklaven machte.
Netsrek spürte eine Gänsehaut auf seinem Rücken, als er an diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt war.
Es hieß, Genius Dref Lewnorg habe gröblich gegen die strengen Richtlinien verstoßen und würde in Verhandlungen mit führenden Regierungsmitgliedern stehen.
Netsrek war vor allem gespannt darauf, was Lewnorg zu seiner Verteidigung sagen würde. Noch waren die Anschuldigungen nicht mehr als ein böses Gerücht, dem Genius Luap Netsrek nachgehen sollte. Letztlich hing es von ihm ab, was danach geschah.
Im Zweifelsfalle wurde eine Kommission aufgestellt. Die Weltregierung hatte ungeheure Macht - sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Aber Forschung, Technik und Wissenschaft hatten es geschafft, weitgehend davon unberührt zu bleiben. Es herrschte eine Art friedliches Nebeneinander, bei dem einer den anderen akzeptierte. Denn die Regierung wusste genau, dass ein freier Wissenschaftler bessere Ergebnisse brachte als einer, den man unter Druck setzte.
Sanft wie eine Feder setzte das Flugzeug auf. Das Gurtschloss knackte. Dann fiel der Gurt auseinander und verschwand im Armpolster. Die schallschluckende Klarsichtglocke hob sich.
„Liebe Passagiere", sagte die Stimme aus dem Lautsprecher - Netsrek war überzeugt davon, dass es sich nur um eine automatische Aufzeichnung handelte -, „wir heißen Sie in Kroywen, der zwar schon lange nicht mehr größten, jedoch zumindest einer der bedeutendsten Städte der Welt, willkommen. In dieser Legislaturperiode ist sie sogar Regierungssitz. Wir stellen Ihnen ausreichend Prospektmaterial zur Verfügung. Sie erhalten es als Passagiere der Kroywen-Linie völlig kostenlos."
Endlich hatte Netsrek den Ausgang erreicht. Fast fluchtartig betrat er den Passagierschlauch zum Terminal. Werbung jeglicher Art ging ihm auf die Nerven.
Es gab keine Hostess, die die Passagiere führte. Aber niemand konnte den Weg verfehlen. Automatisch gelangte Netsrek zur Schleuse der Zollüberwachung.
Ja, das gab es noch, obwohl alle Länder der Welt zu einem Bund zusammengeschlossen waren. Die alten Grenzen hatten sich kaum geändert. Grenzenlos war die Welt nur für die Herrschenden geworden, nicht für die Masse.
Das grüne Licht leuchtete auf. Gleichzeitig öffnete sich die Tür.
Kaum trat Netsrek in die große Abfertigungshalle, als ein Uniformierter auf ihn zutrat und ihm die Rechnung überreichte. Netsrek entrichtete den fälligen Zoll, den die Überwachungsautomatik errechnet hatte, und schritt weiter. Der Zollbeamte grüßte freundlich und wünschte Netsrek einen guten Aufenthalt.
Eine Floskel, die Genius Netsrek gar nicht aufnahm.
Schulterzuckend wandte sich der Uniformierte ab.
Genius Luap Netsrek erreichte indessen die Passkontrolle. Dazu brauchte er seine Kennkarte noch nicht einmal zu zücken. Sie wurde automatisch geortet und ausgelesen. Das Freisignal ertönte, und die Tür öffnete sich.
Vor dem Gebäude winkte Netsrek ein Taxi herbei.
Der Fahrer machte ein mürrisches Gesicht, aber seine Stimme klang freundlich:
„Wohin möchten Sie denn?"
„Würden Sie sich erst um mein Gepäck kümmern?", fragte Genius Luap Netsrek und deutete auf den Ausgabeschacht, in dem gerade seine vier Koffer erschienen.
Es gab bei diesem Terminal mehrere Ausgänge. Ständig strömten Passagiere heraus. Ungezählte Taxis schwebten hin und her.
Ein Weltflughafen, auf dem es insgesamt zirka fünfhundert von diesen Terminals gab mit insgesamt schier unzähligen Ausgabeschächten für das Reisegepäck. Da sich Start- und Landebahnen erübrigten, sparte man eine Menge Platz für andere Dinge, wie beispielsweise die vollautomatische Zuordnung aller Gepäckstücke zu den jeweiligen Passagieren, je nachdem, wo diese ihren Bereich verließen. Im Innern wurden sie natürlich lückenlos verfolgt anhand ihrer registrierten Kennkarten.
Der Taxifahrer schwang sich aus seinem Gleiter und stellte das Gepäck auf eine Plattform auf der Rückseite des Fahrzeugs. Kaum war das geschehen, als die Plattform versank und die Haube darüber einrastete.
Beide stiegen ein. Netsrek nahm im Fond des Gleiters Platz.
„Wohin?", erkundigte sich der Taxifahrer erneut.
„Zum Nesluap-Institut, bitte", sagte Netsrek.
Die Augenbrauen des Fahrers rutschten überrascht zusammen. Trotzdem startete er die Aggregate. Der Gleiter schwebte auf seinem Prallfeld fast lautlos davon.
„Nesluap-Institut, eh? Sind Sie sicher?"
Netsrek spürte leisen Groll. War das inzwischen die übliche Art, in Kroywen von Taxifahrern behandelt zu werden?
„Natürlich!", antwortete er einsilbig.
„Tja, ich meine halt nur, hat es einen besonderen Grund?"
„Hören Sie, ist das ein Interview, oder sind Sie Taxifahrer?"
„Na gut, ich entschuldige mich ja schon. Meinte ja nur. Wer heute zu diesem Institut will, muss schon gute Beziehungen haben."
Auf einmal wurde Netsrek hellhörig.
„Was wollen Sie damit sagen?"
Der Fahrer zuckte die Schultern.
„Sie haben sich einen denkbar schlechten Zeitpunkt ausgesucht, Bürger." Jetzt war er merklich höflicher. Anscheinend war er zu der Meinung gelangt, seine Strategie gegenüber seinem Fahrgast ändern zu müssen, um vielleicht mehr zu erfahren?
„Was sollen diese rätselhaften Andeutungen? Sprechen Sie aus, was Sie wissen."
Der Fahrer warf ihm kurz einen Blick über den Rückspiegel zu.
„Das Institut wird hermetisch gegen die Außenwelt abgeschirmt. Vor der Absperrung gibt es eine ganze Menge Leute, die nicht gut auf Lewnorg und seine Kollegen zu sprechen sind."
Netsrek schoss vor wie ein zuschnappender Raubvogel.
„Was sagen Sie da?"
Seine Gedanken vollführten wahre Purzelbäume.
Also doch!, dachte er bestürzt. Es war kein Gerücht. Es muss auch etwas an die Öffentlichkeit gedrungen sein.
„He, woher kommen Sie eigentlich?", rief der Fahrer aus. „Sie scheinen tatsächlich überhaupt keine Ahnung zu haben, was hier vorgeht. Dem Akzent nach sind Sie aus dem Osten. Stimmt's?"
Netsrek nickte automatisch.
„Ja, ich komme direkt aus Trufknarf. Noch vor wenig mehr als einer Stunde befand ich mich..."
„Dann haben Sie entweder keine Nachrichten gehört, oder die Sender bei Ihnen daheim halten die Meldungen vorläufig zurück. In Ogakich unten, weiter im Süden, hat es einen großen Skandal gegeben. Geheimpolizei jagte einen Mutanten mit Namen Nelp Sregnis. Weiß nicht, ob sie ihn nun gefunden haben oder nicht. Und hier in Kroywen kam eine andere Schweinerei ans Licht:
Lewnorg und seine Mannen arbeiten mit der Regierung zusammen!
Es geht darum, die gefangenen Mutanten umzuformen. Als man vor drei Jahren die ersten umbrachte, schlug das zu hohe Wellen. Inzwischen werden die Mutanten isoliert untergebracht. Aber irgendwie hat man doch Angst vor ihnen. Man will das Problem mittels Umformer beseitigen. Es sickerte durch, und schon marschierten Tausende von Jugendlichen auf, um dem Institut einmal auf die Finger zu sehen. Die Polizei war beinahe nicht schnell genug."
Der Fahrer schöpfte tief Atem.
Netsrek nutzte die Sprechpause.
„Nur Jugendliche sagen Sie?"
„Na ja, das ist doch kein Wunder, oder? Die Jugendlichen sind der besondere Augapfel der Regierung, obwohl sie in ihrem Sinne missraten sind. In Wahrheit gibt es noch mehr unmutige Bürger. Nur wagen sie es nicht, so öffentlich zu protestieren."
Netsrek lehnte sich zurück.
„Dann komme ich zu spät", murmelte er zerknirscht.
Jetzt war es an dem Taxifahrer, hellhörig zu werden.
„He, was wollten Sie eigentlich von Lewnorg?"
„Ach, nichts. Es hat sich erledigt."
„Sie haben doch nicht etwa mit dem Nesluap-Institut zu tun?"
„Und wenn schon?"
Der Fahrer bog ab und beschleunigte. Netsrek erschrak.
„Ist das denn der richtige Weg?"
„Es kommt ganz darauf an, wohin Sie wollen", knurrte der Mann. „Ich schlage vor, Sie halten einstweilen den Mund und lassen mich gewähren. Ich weiß, was ich tue."
„Jetzt sagen Sie mir sofort, was Sie vorhaben. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Warum haben Sie mir alles erzählt? Sie wollten mich doch aushorchen?"
„Und wenn schon?"
„Das ist Freiheitsberaubung. Ich werde Sie anzeigen."
Der Fahrer lachte humorlos.
„Nur zu, mein Lieber, nur zu. Ich will Sie nicht davon abhalten. Nehmen Sie ruhig die erstbeste Gelegenheit wahr. Hoffentlich gibt es überhaupt eine Gelegenheit."
Netsrek geriet in Panik. Er zog sein Telefon.
Der Taxifahrer lachte mitleidig.
„Abgeschirmt!“, sagte er nur.
Netsrek probierte an der Tür. Es wäre Wahnsinn gewesen, bei rasender Fahrt aussteigen zu wollen.
Außerdem war es auch gar nicht möglich. Die Türen waren verriegelt - und zwischen den beiden Männern gab es inzwischen eine stahlharte Transparentwand.
Der Fahrer sprach über Sprechanlage:
„Nur keine Aufregung."
Netsrek schüttelte wütend die Faust.
„Das ist doch ein schlechter Witz, nicht wahr?"
„Ein Witz? Für mich ist das blutiger Ernst. Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber mit Sicherheit sind Sie für meine Organisation wichtig."
Netsrek bemühte sich darum, seine Fassung wiederzuerlangen. Er hatte einen sprichwörtlichen Strohhalm entdeckt und griff danach:
„Organisation?"
„Wir werden Sie ein wenig näher kennenlernen wollen. Es könnte interessant werden."
„Was ist das für eine Organisation? Mutanten?"
„Normale Menschen", widersprach der Fahrer. „Wir sind lediglich gegen die Unmenschlichkeit."
„Wie groß ist diese Organisation?"
Der Fahrer lachte.
„Das würden Sie wohl gern wissen, was?"
Netsrek barg sekundenlang das Gesicht in den Händen. Als er die Hände wieder herunternahm, wirkte er völlig gefasst.
„Also gut, ich bin gespannt."
„Woher der plötzliche Stimmungswechsel?", erkundigte sich der Fahrer misstrauisch.
„Mir ist etwas klar geworden, mein Lieber. Ich weiß jetzt, woher diese weltweiten Sympathiekundgebungen für die Mutanten kommen."
„Machen Sie mich nicht neugierig!"
„Keineswegs. Ich habe erkannt, dass diese Leute, zu denen auch Sie anscheinend gehören, in den Mutanten eine Art Rettung sehen. Ihr seid gegen das Regime und setzt auf die Fähigkeiten der Mutanten."
Der Fahrer lachte abermals.
„Sie sind ein Phantast!", behauptete er. „Bald werden Sie sogar behaupten, dass die Mutanten die Massen beeinflussen, um sich gegen die Gesellschaft aufzulehnen."
„Warum nicht?"
„Wäre es so, würde die Regierung sehr viel mehr unternehmen. Sie würde sämtliche Demonstrationen blutig niederknüppeln."
Diesmal lachte Genius Luap Netsrek.
„Teilweise hat sie es schon getan. Dass sie von dieser Methode abgekommen ist, kann Gründe haben."
„Sie werden für uns immer interessanter." Der Fahrer schnalzte mit der Zunge. „Jeder Angler freut sich, wenn er so einen dicken Fisch an der Rute hat."
Genius Netsrek lächelte liebenswürdig.
Das allerdings wollte dem Taxifahrer überhaupt nicht gefallen.
Kurzentschlossen schaltete der Fahrer die Sprechanlage ab. Ärger spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Er bemühte sich, nicht mehr nach Netsrek zu sehen. Der Mann konnte ihm ohnedies nicht ausreißen.
Nelp Sregnis gönnte sich keine lange Erholungspause. Geduckt rannte er an der Mauer entlang, bis er einen verfallenen Schuppen erreichte.
Er kletterte hinauf.
Kurz warf er einen Blick zurück. Vom Fenster seiner Wohnung aus konnte man diese Stelle nicht überblicken. Nelp befand sich im toten Winkel. Hoffentlich wurde sonst niemand auf ihn aufmerksam. Zumindest würden ihm unangenehme Fragen gestellt werden.
Nelp Sregnis erreichte den Dachfirst des Schuppens und sicherte noch einmal nach allen Seiten.
Keine Menschenseele war zu sehen.
Entschlossen lief Nelp weiter über das Dach. Auf der anderen Seite öffnete sich ein Hinterhof. Es roch nach Schmutz und Abfall. Gerümpel lag herum.
Nelp sprang hinunter.
Zwar gab es sehr wenig Licht, aber Nelp Sregnis war nicht umsonst ein Mutant. Er konnte mit seinen psychokinetischen Fähigkeiten die Umgebung abtasten. Ein Vorgang, der längst unterbewusst ablief und das normale Sehen unterstützte. Nelp konnte auch noch „sehen", wenn es stockdunkel war.
Der Mutant überquerte den Hof und stoppte vor einer Tür, die in das angrenzende Gebäude führte.
Noch einmal dachte er an die Möglichkeit, dass bereits das gesamte Gelände umstellt sein könnte.
Durch das Haus gelangte er zur Parallelstraße. Ob es überhaupt etwas nutzte?
Eine große Auswahl hatte Nelp Sregnis nicht, denn in diesem Augenblick ertönten in der Ferne Polizeisirenen.
Der Beweis, dass der Fluchtweg noch nicht versperrt war?
Trotzdem würde Nelp nicht weit kommen. Die Polizei war für ihre schnellen und präzisen Einsätze bekannt und würde ohne Rücksicht vorgehen.
Er betrat das Haus. Ein dunkler Flur nahm ihn auf.
Fünfzehn Schritte bis zur Haustür auf der anderen Seite des Hauses.
Nelp Sregnis blieb stehen und lauschte. Soeben schwebte draußen ein Wagen herbei. Nelp hörte deutlich das leise Sirren der Aggregate.
Nelp öffnete die Haustür und trat nach draußen.
Der schwere Gleiter parkte nur wenige Schritte von Nelp Sregnis entfernt. Die Aggregate liefen aus. Das Fahrzeug senkte sich zu Boden.
Nelp wartete nicht, bis der Fahrer ausgestiegen war, sondern lief sofort zu ihm hin. Die Polizeisirenen waren inzwischen deutlich lauter geworden und näherten sich rasch.
Nelp beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Das Sirenengeheul zerrte an seinen Nerven.
Er schluckte schwer.
„Moment!", sagte er zu dem mittelalten Mann, der den Wagenschlag aufgestoßen hatte und sich anschickte, auszusteigen.
Erstaunt blickte der Fremde auf. Er betrachtete Nelp Sregnis von Kopf bis Fuß. Was er sah, schien ihm wenig zu gefallen. Kein Wunder, bei der Fluchtaktion hatten Nelps Kleider gelitten.
„Mein Name ist Nelp Sregnis!" Jetzt war es heraus, und es gab kein Zurück mehr.
Der Mutant erwartete, dass jeden Augenblick das erste Schwebefahrzeug der Polizei in diese Straße hier einbog.
Er durfte keine Sekunde verlieren. Seine Devise hieß nur noch: Alles oder nichts.
„Man sucht mich in der ganzen Stadt. Ich bin ein Mutant. Bitte, helfen Sie mir."
Der junge Mann war schon bei der Erwähnung des Namens Nelp Sregnis erschrocken zusammengefahren. In seinem Gesicht arbeitete es.
„Helfen?", echote er. Es klang verzweifelt. Er schielte die Straße hinunter. Die Polizeisirenen waren nicht zu überhören. Auch er erwartete, dass jeden Augenblick der erste Polizeigleiter auftauchte.
„Die Aktion gilt mir“, berichtete Nelp wahrheitsgemäß. „Man hat meine Wohnung ausfindig gemacht. Im letzten Moment konnte ich fliehen. Wenn Sie mir nicht helfen, bin ich verloren. Es gibt für Sie also nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Belohnung für meine Ergreifung einzustreichen oder Gefahr zu laufen, ebenfalls zu einem Gejagten zu werden. Sie wissen, dass man uns Mutanten zu Staatsfeinden Nummer Eins abstempelt."
Der junge Mann sprang aus dem Schwebegleiter. Nelp Sregnis wich unwillkürlich zurück.
Der Fremde hatte sich entschieden. Das wurde offensichtlich. Für oder gegen Sregnis?
„Kommen Sie!", sagte er und öffnete den hinteren Wagenschlag.
Als Nelp nicht schnell genug einstieg, stieß er ihn brutal hinein. Dann schwang er sich wieder hinter den Steuerknüppel.
„Der Tanz beginnt!", sagte er. Sein Gesicht war dabei unnatürlich bleich.
Die Polizeigleiter kamen von allen Seiten, beinahe gleichzeitig. Es war wahrlich eine Großaktion. Sämtliche Straßen der Umgebung wurden hermetisch abgeriegelt.
Der Gleiter verließ seine Parklücke und kam rasch auf Fahrt.
Schon stellte sich eines der Polizeifahrzeuge quer, um auf diese Weise eine Weiterfahrt unmöglich zu machen.
„Jetzt die Nerven bewahren, Sregnis!", murmelte der junge Mann. „Verdammt, ich habe Alkohol getrunken. Es reicht, um mir die Fahrerlaubnis abzunehmen. Aber die werden heute Besseres zu tun haben."
Drei Polizisten eilten herbei. Jeder hielt in seiner Rechten einen Schockknüppel.
Nelps Nackenhaut zog sich zusammen. Er war einmal zufällig mit einem solchen Knüppel in Berührung gekommen. Das war äußerst unangenehm gewesen. Das Ding verabreichte Stromschocks, die zwar nicht gefährlich werden konnten, aber starke Schmerzen verursachten.
Noch tiefer duckte sich der Mutant hinter die Sitzlehnen.
Der Gleiter war sehr geräumig. Die Polizisten würden den Flüchtenden nur entdecken, wenn es dem Fremden nicht gelang, sie abzulenken.
„He, was ist denn mit euch los?", rief der Fremde gerade erschrocken. „Habt ihr es auf mich abgesehen? Mann, ich habe wirklich nicht viel getrunken."
„Ihre Papiere!", sagte eine barsche Stimme.
„Wieso? Habt ihr denn keine Kennkartenscanner?“
„Wird’s bald?“
Der Fremde überreichte endlich das Gewünschte.
„Bürger Nosdrachir, Sie wohnen hier?"
„Natürlich nicht. Wollte nur eine Bekannte besuchen, aber die war nicht da."
Auf den Alkoholgenuss ging der Polizist gar nicht ein.
„Wir suchen einen Mutanten mit Namen Nelp Sregnis!" Der Uniformierte musterte Nosdrachir.
„Einen… was?"
„Einen Mutanten mit Namen..."
„In dieser Gegend? Aber, das ist doch... Habt ihr diese Typen denn noch immer nicht hinter Schloss und Riegel? Eine Schande ist das. Was glauben Sie, wie viele Steuern ich jedes Jahr bezahle? Da kann man doch verlangen, dass etwas zu unserem Schutz getan wird."
„Wir sind soeben dabei, Bürger Nosdrachir!", entgegnete der Beamte eisig.
„Tut mir leid, wenn ich so deutlich wurde, aber es ist doch wahr. Man bekommt eine Gänsehaut, wenn man nur daran denkt, dass dieser Kerl womöglich hier irgendwo herumstreunt. Äh, fällt er eigentlich Menschen an?"
Die drei Polizisten hatten genug. Sie traten zurück.
„Fahren Sie weiter!", befahl der eine.
Nosdrachir setzte ein Stück zurück, um an dem Dienstfahrzeug vorbeizukommen. Dann drückte er den Hebel nach vorn.
Der Gleiter sirrte an den Polizisten vorbei und beschleunigte rasch.
„Uff!", machte Nosdrachir. „Sie können noch ein wenig unten bleiben, Sie Menschenfresser. Der Teufel soll Sie holen, wenn Sie wirklich ein Monstrum sind."
„Die einen nennen uns Monstren, die anderen Götter. Mir ist es am liebsten, wenn Sie mich schlicht und einfach für einen Menschen halten."
„Das lobe ich mir. Wenn Sie mir nichts tun, tue ich Ihnen auch nichts." Nosdrachir lachte humorlos. „Ich sage Ihnen Bescheid, wenn Sie aufstehen können."
„Hätte nie gedacht, dass die Polizei so unvorsichtig sein könnte. Wie ist es Ihnen eigentlich gelungen, die mit einer so banalen Geschichte zu beeindrucken?"
Nosdrachir lachte abermals.
„Sie machen mir Spaß, Sregnis. Erst helfe ich Ihnen aus einer bösen Zwangslage, und dann kritisieren Sie auch noch meine Methoden, die ich dabei anwende."
„Das sollte keine Kritik sein. Ich wundere mich nur."
„Sagt Ihnen der Name Tsenre Nosdrachir wirklich nichts?"
„Wieso?"
„Den Uniformierten war er geläufiger. Darum möchte ich wetten. Auch wenn sie diesmal keine Bemerkung gemacht haben."
„Wer sind Sie? Ein Krimineller der ersten Garnitur oder was?"
„Klingt nicht gut aus Ihrem Munde, Sregnis. Ein Mutant sollte über andere Außenseiter der Gesellschaft nicht so abfällig urteilen. Aber ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen: Ich bin zwar kein Verbrecher, wie Sie annehmen, aber ein ehemaliger Polizist. Vor einem Jahr habe ich gewissermaßen mit Schimpf und Schande den Dienst quittieren müssen."
„Und warum?"
„Neugierig sind Sie überhaupt nicht, Sregnis, was? Also, die Geschichte von vorn: Ich lernte eine schöne Frau kennen, die mich bankrott machte, ehe sie mich verließ. Damit begann es. Und es war noch gar nicht das Schlimmste. Das kommt jetzt noch: Eine uralte Geschichte, nicht wahr? Ich wette mit Ihnen, dass so etwas schon seit Jahrtausenden geschieht. Wochen später jedenfalls tauchte sie wieder auf und bat mich um Geld. Waren Sie schon einmal so verliebt, dass es Ihnen nichts ausmacht, wenn die Frau Ihrer Träume Sie in den Abgrund stürzt? Nein? Dann können Sie wahrscheinlich auch gar nicht verstehen, was ich getan habe. Ich ging mit einem Haftbefehl in der Hand zu einem von mir erkannten Spielhöllenbesitzer und machte ihm ein Angebot. Sie wissen ja, dass Glücksspiele neuerdings wieder hart bestraft werden. Der gute Mann glaubte, ich wollte ihn nur hereinlegen, und meldete die Sache. Ich bekam kein Geld von ihm, aber einen Tritt von meinem Dienstherrn."
„Das war doch kriminell. Eine ziemliche Karriere für einen Menschen in Ihrem Alter. Wieso laufen Sie überhaupt noch frei herum?"
„Weil ich meinen Vorgesetzten erzählte, dass es sich tatsächlich nur um einen Trick meinerseits gehandelt hätte. Angeblich hegte ich damals den Verdacht, dass an der Sache noch mehr beteiligt waren. Aus diesem Grunde wollte ich den Mann in Sicherheit wiegen. Da ich darüber vorher keinerlei Meldung gemacht hatte, was eindeutig gegen die Vorschriften verstößt, wenn auch nur formal, musste ich dennoch gehen. Ansonsten wurde ich nicht bestraft."
Nelp Sregnis richtete sich auf.
„Jetzt, da wir uns so gut kennen, möchte ich bemerken: Anscheinend geht es Ihnen seit damals eher besser als schlechter."
Nosdrachir lachte ihm ins Gesicht.
„Sie spielen auf den großen Wagen an, nicht wahr? Wissen Sie, ich habe als Polizist viel gelernt. Vor allem, dass man auch ehrlich leben kann. Außerdem verliebe ich mich grundsätzlich nicht mehr."
„Warum haben Sie mir geholfen?", fragte Nelp Sregnis.
„Eine Gegenfrage: Warum, glauben Sie, verfolgen Sie die Polizisten? Welchen Grund könnten sie haben?"
„Es ist ihr Beruf. Sonst enden sie so wie Sie."
„Das haben Sie sehr gut gesagt. Die haben nichts persönlich gegen Sie, sondern sind nur ihrem Dienstherrn verpflichtet. Ich nicht mehr. Das unterscheidet mich von ihnen. Außerdem wollte ich schon immer mal einen echten Mutanten kennenlernen. Sind Sie wirklich einer?"
„Sieht man mir das nicht an?"
„Ehrlich gesagt: Nein!"
Sie lachten beide.
„Wohin soll ich Sie nun bringen, Sregnis?"
„Erst einmal außerhalb der Stadt. Ogakich ist für mich nicht mehr sicher."
„Wie wäre es, Sregnis, wenn Sie mir einen Beweis für Ihre Fähigkeiten lieferten?"
„Wie bitte?"
„Beispielsweise, indem Sie etwas gegen die Straßensperre da vorn täten!"
Tatsächlich, sie näherten sich einer Straßensperre. Nelp sah es erst jetzt.