Gabriel - Barbara Bilgoni - E-Book

Gabriel E-Book

Barbara Bilgoni

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Beschreibung

Der jungen Werbetexterin Melinda wird in einer für sie sehr schwierigen Lebenssituation ein Engel zur Seite gestellt. Gabriel, der mit seiner männlichen Attraktivität allem anderen als dem klischeehaften Bild eines niedlichen Engels entspricht, ist nur für Melinda sichtbar. Aber mit kleinen Neckereien macht er sich auch bei anderen Personen bemerkbar. Er hat mit seinem Schützling alle Hände voll zu tun. Sie gerät immer wieder in prekäre Situationen, wobei sie seiner rettenden Hilfe bedarf. Da der Engel sehr fürsorglich und eben auch äußerst ansehnlich ist, verliebt sie sich heimlich etwas in ihn. Aber darf man sich in einen Engel verlieben? Und welche Zukunftsaussichten hat so eine Verbindung zwischen Mensch und Himmelswesen?

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EPUB
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Seitenzahl: 229

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Barbara Bilgoni

Gabriel

Ein himmlischer Bodyguard

© 2021 Barbara Bilgoni

Instagram: barbarabilgoni

Mail: [email protected]

2. Auflage

Umschlag: Sonia Sengupta

Instagram: a_lady_nd_a_brush

Korrektorat: Carolin Kretzinger

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Softcover

978-3-347-60495-7

Hardcover

978-3-347-60496-4

e-Book

978-3-347-60497-1

Großdruck

978-3-347-60483-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Der Krach war ohrenbetäubend und fast hätte man glauben können, man hörte auch das Geräusch brechender Knochen.

Der alte Mann mit seiner Gehhilfe hatte plötzlich vor seinem Auto gestanden, die Augen weit aufgerissen, eher erstaunt als erschreckt. Und im nächsten Moment dann dieser entsetzliche Aufprall. Ein Knirschen, Krachen und Grammeln.

Der junge Fahrer des mit überhöhter Geschwindigkeit daherkommenden Sportflitzers hatte zwar noch versucht, das Steuer zur Seite zu reißen, er konnte jedoch den unvermeidbaren Aufprall nicht mehr verhindern.

Hätte man das ganze Geschehen in Zeitlupe mitgefilmt, hätte man sehen können, wie der alte Mann von dem Auto erfasst und unter die Räder gedrückt wurde.

Der zur Straßenseite hin gelenkte Sportwagen überrollte nicht nur das Opfer, sondern prallte auch frontal gegen einen am Fahrbahnrand abgestellten Kleinbus. Die Motorhaube des Unfallwagens wurde ziehharmonikaartig zusammengeschoben.

Der Airbag öffnete sich zwar, jedoch brachen sämtliche Rippen des Lenkers trotzdem mit einem knirschenden Geräusch. Er war nicht angeschnallt. Der Kopf des Fahrers preschte durch die Windschutzscheibe. Der Schädelknochen barst.

Die von Passanten gerufene Rettung stellte den sofortigen Tod des alten Mannes fest. Bei dem Autofahrer waren keine Vitalfunktionen mehr feststellbar.

*

Ihr Chef hatte einen Riesenstunk gemacht, weil sie einen wichtigen Termin vermasselt hatte.

Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Dieses Vorgehen ist in unserer Branche ein absolutes No-go! So etwas darf einfach nicht passieren. Wenn sich das herumspricht, sind wir ganz schnell weg vom Fenster und können Konkurs anmelden. Das wird jedenfalls Konsequenzen für Sie haben! Da können Sie Gift drauf nehmen.“

Der neue Werbekunde hatte vergeblich in dem Café auf Melinda gewartet und dann wutentbrannt ihren Vorgesetzten angerufen und sich beschwert. Melinda überlegte angestrengt, was sie nun machen sollte. Das Kind war ja leider bereits in den Brunnen gefallen. Bei der Höhe des Etats war das natürlich ein unverzeihbares Verhalten gewesen.

Ihr Chef, Herr Doktor Wallner, von den Angestellten ob seines rabiaten Charmes heimlich „der Drachentöter“ genannt, hatte daraufhin sofort Melinda zu sich beordert und ihr ordentlich den Kopf gewaschen. Sie hatte sich zwar kleinlaut entschuldigt und ihm auch versprochen, ihr Bestes zu versuchen, den heiklen Kunden doch noch für die „Agentur Pfiffikus“ zu gewinnen. Geglaubt hatte er ihr jedoch nur wenig, zu aufgebracht sei Mag. Zillner, der Kunde, über den versäumten Termin.

„Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen, Melinda! Eigentlich hatte ich bis jetzt immer eine sehr hohe Meinung von Ihnen. Jetzt werde ich aber diesen unliebsamen Vorfall in Ihrer Personalakte eintragen. Ich kann das leider nicht so ohne Weiteres auf sich beruhen lassen.

Sie wissen ja, welch großer Auftrag da auf dem Spiel stand. Ob hier noch etwas zu retten ist, weiß nur Gott allein. Sie haben der Firma sehr geschadet. Was ist nur mit Ihnen los? Seit Tagen kommen Sie mir schon so zerstreut vor und laufen wie eine Trauerweide herum.“

Melinda schwieg betreten. Was hätte sie auch erwidern sollen? Private Sorgen hatten am Arbeitsplatz einfach nichts verloren. Das war schlichtweg unprofessionell.

„Gehen Sie jetzt in Ihr Büro. Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen“, brummte Doktor Wallner noch und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Er beachtete sie nicht mehr. Wie ein geprügelter Hund verschwand Melinda und schloss leise die Tür des Chefbüros.

– Ach, das wird alles wieder. Nur keine Angst! Wir schaffen das! Wir werden den alten Griesgram schon vom Gegenteil überzeugen! –

Was war das? Melinda fragte sich nicht zum ersten Mal, was ihr da seit Tagen bereits im Kopf herumgeisterte. Immer wieder hörte sie eine Stimme, die zu ihr sprach.

– Melinda, mach´ dir mal keine Sorgen. Alles wird gut! –

Sie setzte sich an ihren Tisch und überlegte, ob sie den verärgerten Kunden nicht doch noch irgendwie für die Agentur zurückgewinnen könnte. Leider war es aber so, dass Herr Mag. Zillner ein bisschen eigenwillig war.

– Wir bekommen eine andere Chance! –

Melinda wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Bereits letzten Sonntag hatte sich da in ihrem Kopf eine Stimme gemeldet. Wurde sie vielleicht verrückt? Um Gottes Willen! Alles, nur das nicht! Das hätte ihr gerade noch gefehlt, zu der ganzen familiären Misere.

*

Am Wochenende davor

Am Wochenende hatte Melinda ihre Eltern besucht. Sie hatte ein ungutes Gefühl gehabt. Ihre Eltern waren irgendwie anders. Bedrückt konnte man sagen! Die ganze Situation machte sie nervös. Ja, und dann platzte die Bombe. Vater hatte mit brüchiger Stimme erklärt, dass ihre Mutter leider krank sei. Der Arzt hatte bei ihr eine Wucherung in der linken Brust festgestellt. Eine genaue Diagnose gab es noch nicht. Mutter hatte danebengesessen und geweint. Melinda hatte sie in den Arm genommen und gleich mitgeschluchzt. Zu schockiert war sie von dieser Hiobsbotschaft.

Leider hatte Andi, ihr Bruder, keine Zeit gehabt, bei der Familienkonferenz dabei zu sein. Dann hätte sich Melinda nicht ganz so hilflos gefühlt. Sie tröstete die Eltern so gut sie konnte und sprach beruhigend auf ihre Mutter ein. Es war eine traurige Situation. Man wusste nicht, was werden würde. In so einem Moment sind viele Menschen ziemlich hilflos.

Vollkommen zerknirscht verabschiedete sich Melinda am Abend und sprach ihrer Mutter nochmals Mut zu. Dann lief sie schnell zum Auto, wo sie ihren Tränen freien Lauf ließ. Sie war verzweifelt. Ihre Mama hatte vielleicht Krebs! Wie schrecklich! Da spürte sie plötzlich ein warmes Gefühl um sich herum. Sie fühlte sich wohl und behütet. Die Wärme hüllte sie ein und gab ihr Sicherheit. Was war das? Jetzt in dieser schrecklichen Situation?

– Die Lage schaut für dich vielleicht aussichtslos aus. Aber verzweifle nicht. Alles wird gut! –

Was waren das für seltsame Gedanken? Was geisterte ihr da im Kopf herum? Sie zweifelte schon langsam an ihrem Verstand. Dann startete sie ihr Auto und fuhr heim. Dort vergrub sie sich im Bett und wollte nichts mehr hören und sehen. Wieder begann sie zu weinen und schlief dann schließlich erschöpft ein.

*

Dieser eine Gedanke ging ihr in den nächsten Tagen gar nicht mehr aus dem Kopf. Sollte der Knoten bei ihrer Mutter tatsächlich Krebs sein? War sie ernsthaft krank? Würde sie schließlich sterben müssen? Mit solchen Gedanken hatte sich Melinda vorher nie auseinandergesetzt. Man lebte immer so ins Blaue hinein, solange alles gut war. Aber wehe, wenn es einmal nicht mehr so rosarot war, dann begann man zu verzweifeln.

In der Agentur war ihre Freundin und Kollegin die Tammy. Sie teilten sich die Aufträge untereinander auf. Auch die Urlaubsvertretungen klappten klaglos. Beide hatten eine ähnliche Herangehensweise an die Aufgabenstellungen und auch privat vertrugen sie sich sehr gut.

„Sag´, Melinda, was ist eigentlich los mit dir? Du stehst schon seit Tagen so derart neben dir, dass ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Wollen wir nicht heute nach dem Büro auf einen Drink gehen und du erzählst mir alles? Ich kenn´ dich doch so gar nicht. Du warst immer die Fröhlichkeit in Person. Und jetzt das.“

„Du weißt doch, dass ich den Auftrag verbockt habe. Ich hatte mir den Termin mit Herrn Mag. Zillner nicht ordentlich notiert, und als ich dann in das Café kam, war er schon weg. Klar, dass er sich am nächsten Tag bei Herrn Doktor Wallner bitter beschwert hat. Den Auftrag können wir wohl vergessen und dabei wäre es da um ein Budget von fünfhunderttausend Euro gegangen. Diese großen Multikonzerne investieren ja immer ein schönes Sümmchen in die Werbung. Blöd nur, dass ich da Wochen an Planung reingesteckt habe. Entsprechend sauer ist der Chef auf mich. Ich krieg´ auch einen Eintrag in meiner Personalakte. Du kannst dir denken, wie das aussieht, wenn ich mal die Agentur wechseln will. Und das ist ja noch lange nicht alles.“

Also gingen sie nach dem Büro etwas trinken. „Bei Leo“ war ihr Stammlokal. Sie bestellten jede einen Cappuccino.

„Schieß´ los“, sagte Tammy bloß und wartete dann, was da von Melinda kommen würde. Sie ließ ihr die Zeit, die sie sichtlich benötigte.

Langsam legte sich Melinda die Worte zurecht. Doch dann sprudelte alles auf einmal aus ihr heraus. „Meine Mama hat vielleicht Krebs. Ach, Tammy. Was, wenn sie sterben muss? Sie ist doch noch gar nicht alt.“ Schon kullerten die Tränen. Sie bemühte sich nicht einmal, diese zu verbergen.

Tammy war nun ein bisschen überfordert. Mit solch einer Nachricht hatte sie denn doch nicht gerechnet. Ja, vielleicht mit Schwierigkeiten im Büro oder dergleichen Peanuts. Aber gleich so etwas! Sie schluckte und umarmte die Freundin.

„Habt ihr denn schon eine gesicherte Diagnose? Was sagt denn der Arzt? Muss operiert werden?“

„Ach, Tammy, ich weiß es nicht. Der Knoten muss erst genau angeschaut werden. Aber es klingt für mich sehr beängstigend. Was, wenn es etwas Schlimmes ist? Ich will das Wort gar nicht aussprechen.“

„Weißt du, was, Mellilein? Ich rufe gleich Klaus an. Der muss uns helfen.“ Klaus war Tammys Bruder und Oberarzt im größten städtischen Krankenhaus. Er hatte sich in seinen jungen Jahren bereits einen gewissen Ruf als Kapazität für Krebsdiagnosen erworben und Tammy war sehr stolz auf ihn.

„Ja, das ist eine gute Idee! Du weißt, ich bin sonst nicht so für diese Freunderlwirtschaft, aber bei meiner Mama ist mir das alles egal.“ Sie stoppte und schaute wieder nachdenklich.

Tammy beobachtete sie sehr genau. „Melinda, was ist? Das war noch nicht alles, oder?“ Melinda druckste herum und wollte mit der Sprache nicht heraus. „Melinda, jetzt spuck es schon aus! Was ist noch? Ist dein Vater auch krank? Wurde dir die Wohnung gekündigt? Hast du dein Auto zu Schrott gefahren? Mensch, red´ schon!“

„Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Ich ... Ach, Tammy, es ist so schwer!“ Tammy schaute sie über ihren Brillenrand hinweg ungeduldig an. Und Melinda kannte diesen Blick. Jetzt war Tammy kurz vor dem Explodieren. Das wollte sie dann doch nicht riskieren.

„Ich …, ich höre eine Stimme!“

„Ja klar! Ich rede ja auch die ganze Zeit auf dich ein wie auf eine kranke Kuh. Wär´ auch schlimm, wenn du mich nicht hören könntest.“

„Nein, es ist so. Ich höre eine Stimme, ganz tief drinnen in mir. Jemand spricht mit mir. Jemand, der nicht da ist. Verstehst du? Es ist spooky! Er redet in meinem Kopf.“

Tammy schluckte. Begann Melinda, den Verstand zu verlieren? Nein! Tammy rief sich zur Ordnung. Eines nach dem anderen. Ihre Freundin war durchaus ein total realistischer Typ Frau. Sie stand mit beiden Beinen im Leben. Nie hatte sie irgendwelche Flausen im Kopf gehabt. Auch in ihrer Kindheit war Melinda immer die Vernünftigere gewesen. Sie dachte zurück an die gemeinsame Schulzeit. Damals, als sie im Schulgarten die Vergissmeinnicht ausgerupft hatten. Der Muttertag hatte bevorgestanden und sie wollten die Blumen ihren Mamas bringen. Als das Beet bereits leergepflückt war, fiel ihnen erst auf, dass das ja der Schulwart sofort sehen würde. Tammy begann daher, eine Geschichte zu erfinden. Ein Ufo sei heruntergekommen und gelandet. Außerirdische seien ausgestiegen und hätten die Blumen an sich genommen, weil sie die auf ihrem Planeten pflanzen wollten.

Da hatte sie Melinda mit ihrer pragmatischen Art wieder zurückgeholt auf den Boden der Tatsachen: „Tammy, wir beichten einfach, was passiert ist. Die können uns dafür ja nicht ins Gefängnis stecken. Wir sind Kinder. Hallo! Passiert ist passiert. Was soll schon viel geschehen?“

Und so war es dann auch. Sie mussten nachsitzen und neue Blumen pflanzen. Das war alles. Melinda hatte die Sache im Griff gehabt und souverän geregelt.

„Melinda! Stopp, stopp, stopp! Erklär´ mir das genau – langsam zum Mitschreiben. Du hörst eine Stimme? Erkennst du die Stimme? Wer ist es?“

„Nein, das ist es ja. Ich denke, dass es eine männliche Stimme ist. So genau kann ich das gar nicht sagen. Sie ist warm und weich, vertrauenserweckend und sie tut mir sehr gut. Und dann habe ich da auch immer so ein Gefühl.“

„Du hast ein Gefühl? Was für ein Gefühl? Rede mit mir!“

„Es ist so warm und wohlig. Wie in den Armen einer Mutter. Immer wenn ich die Stimme höre, wird mir ganz wohl ums Herz. Er, ich sag´ halt jetzt mal ,er‘, tröstet mich immer und spricht mir Mut zu. Es wird alles gut, sagt er immer.“

„Das könnte deine Intuition sein! Hast du das schon einmal gehört? Deine innere Stimme – dein Bauchgefühl.“

„Aber mein Bauch spricht doch nicht mit mir. So ein Blödsinn. Du fantasierst schon wieder, Tammy. Ich habe dich um deine Fantasie schon immer beneidet. Deshalb hast du in der Agentur auch immer die besten Ideen. Egal, ob die Werbung für Zahnprothesenkleber, Antiaging-Creme oder den neuesten SUV der Upperclass sein soll. Und mit Intuition habe ich es auch nicht so. Ich hoffe, das mit der Stimme ist bald wieder vorbei. Was immer es auch sein mag. Sonst muss ich zum Arzt.“

Der Kaffee war bereits ausgetrunken und die beiden bestellten sich Mineralwasser, weil sie noch nicht auseinandergehen wollten.

Tammy meinte abschließend: „Zumindest ein Problem werden wir bald im Griff haben. Ich rufe Klaus am Abend an. Dann sag´ ich dir Bescheid.“

Melinda erzählte Tammy noch von dem Rüffel, den sie heute von Herrn Doktor Wallner erhalten hatte. Es war aber auch zu dumm von ihr gewesen, den Termin zu verschwitzen. Das waren die Sorgen um ihre Mutter gewesen. So etwas durfte nicht nochmals passieren, sonst war der Job pfutsch. Sie liebte diese Arbeit aber sehr. Die Werbung war immer schon ihr Traum gewesen.

„Ach, du weißt doch, Herr Doktor Wallner ist ein ziemlicher Hitzkopf. Der hat das morgen schon wieder fast vergessen. Wahrscheinlich überträgt er mir den Kunden und du bekommst wen anderen. Dieser Softdrink-Typ steht doch auch noch an. Den wird er dir übergeben. Wirst schon sehen. Wart´ ab.“

„Ja, du hast gut reden. Der Eintrag in meiner Akte bleibt aber. Das ist ziemlich sicher. Und wenn ich dann einmal ein Zeugnis brauche, habe ich diesen Schlechtpunkt. Das ist schon ein ziemliches Debakel.“

„Komm, Melinda! Jetzt trinken wir hier aus und fahren nach Hause. Morgen sieht dann alles schon wieder besser aus. Prost!“ Und sie hob das Glas in Richtung Melinda und prostete ihr zu, so wie sie es schon als Kinder immer mit Limonade gemacht hatten. Ein kleines Lächeln huschte über Melindas Gesicht. Sie zahlten und gingen.

Daheim holte Melinda allerdings wieder die Geschichte mit ihrer Mama ein. War es nicht so, dass Brustkrebs in manchen Familien gehäuft auftrat? Sie überlegte. Oma Frieda war kerngesund, Uroma Agathe war achtundneunzigjährig sanft entschlafen, Tante Hella hatte auch keine Anzeichen einer Krankheit, so viel ihr bekannt war. Also gab es keine medizinische Vorgeschichte. Das war doch fürs Erste schon einmal sehr positiv.

– Mach dir keine Sorgen, wir zwei schaffen das! –

Da war die Stimme schon wieder.

– Ja, du kannst mir schon vertrauen. Ich bin hier! –

Melinda ging sich duschen und schlüpfte in ihr warmes Bett. Für heute hatte sie genug von allem, sie wollte weder fernsehen noch sonst irgendetwas Triviales machen. Sie knipste das Licht aus.

– Melinda! Warum habe ich das Gefühl, dass du mir nicht vertraust? –

„Weil ich nicht weiß, was ich von Stimmen halten soll, die aus meinem Kopf kommen. Ich glaube, ich schnappe über.“

– Ach, alles nicht wahr. Du schnappst nicht über. Ich bin hier, um dir zu helfen. –

„Du lässt mich an meinem Verstand zweifeln, so schaut es aus. Bitte, lass mich einfach in Ruhe.“

Melinda drehte sich zur Seite, rollte sich kuschelig in ihre Decke und wollte schlafen. Irgendetwas war aber komisch. Ein ganz zarter, goldener Schein erhellte das Zimmer. „Ach, das ist sicher von den Straßenlaternen“, dachte sich Melinda noch und schlief dann ein.

Es wurde eine unruhige Nacht. Sie träumte von einer Geschichte, die sie als Kind einmal gehört hatte. Es ging um ein Kind, dass weder Eltern noch Geschwister hatte und ganz allein auf der Welt war. Doch es hatte einen Beschützer und der gab auf es Acht. Niemand konnte ihn sehen, das Kind auch nicht. Aber er war immer bei ihm und half ihm in allen misslichen Situationen. So freundete sich das Mädchen mit diesem „Jemand“ an und lernte, ihm zu vertrauen.

Weiter konnte sich Melinda in der Früh nicht mehr erinnern. Aber es war ein sehr schöner und beruhigender Traum gewesen.

Sie stand auf, ging in die Küche, um die Kaffeemaschine aufzudrehen, und dann ins Bad. Als sie zurückkam, dachte sie bei sich: „Mama, bitte, du musst gesund bleiben. Du darfst nicht krank werden.“ Als Kind nahm man seine Eltern immer als selbstverständlich. Sie waren immer da, sorgten für die Kinder. Aber, dann – zack – plötzlich von einem Moment auf den anderen, konnte alles anders sein. Man merkte plötzlich, dass auch Eltern nicht ewig leben würden und man bekam Angst um sie.

– Melinda, bitte so glaube mir doch. Alles wird gut. Ich bin bei dir. Wir stehen das durch, das verspreche ich dir! –

Ein sonderbares Gleißen erschien um die Kaffeemaschine. Mit zittrigen Händen stellte Melinda eine Tasse unter den Hahn des Gerätes und drückte den entsprechenden Knopf für ihren geliebten Cappuccino. Dann, als sie die Tasse wieder nehmen wollte, drohte ihr diese zu entgleiten, so sehr zitterte sie.

„Ach, Mist, jetzt bin ich gleich von oben bis unten voll Kaffee“, dachte Melinda noch frustriert. Da passierte etwas Sonderbares. Ein sanfter Ruck ging durch die Tasse und Melinda hielt sie plötzlich wieder fest und sicher in der Hand.

„Danke, lieber Gott! Du hast mich gerettet! Sonst hätte ich mich von oben bis unten bekleckert“, ging es ihr durch den Kopf, als sie plötzlich ein leises Lachen hörte.

– Na, dass du da gleich den Chef bemühst, find´ ich doch ein bisschen gar arg. Mit solchen Nichtigkeiten befasst er sich normalerweise nicht. Dazu gibt es uns. –

Melinda war die Lust auf Kaffee vergangen. Sie stellte das Getränk ab und zog sich fertig an. Sie legte dezentes Make-up auf, kämmte ihre Haare. Dann nahm sie einen dünnen Haarreif und verließ fast hastig die Wohnung. Irgendwie war ihr das alles sehr unheimlich. Sie wollte nicht überschnappen.

Überpünktlich kam sie in der Agentur an. Tammy erschien immer auf den letzten Drücker. Melinda ließ sich in der kleinen Personalküche einen Kaffee herunter. Ihrer stand ja noch daheim – ungetrunken.

Als sie zu ihrem Schreibtisch ging, läutete auch schon ihr Telefon. „Doktor Wallner! Ach du Schreck. Wallner am Morgen bringt Kummer und Sorgen“, ging ihr noch durch den Kopf, als sie schon wieder dieses leise Lachen hörte. Sie hob ab: „Bürger, guten Morgen, Herr Doktor Wallner.“ Er rief sie zu sich ins Allerheiligste.

„Nehmen Sie bitte Platz, Frau Bürger. Ich habe hier den Auftrag der Softdrink-Firma. Das Werbebudget beträgt einhunderttausend Euro, also bei Weitem nicht so viel wie bei Herrn Mag. Zillner. Aber das ist eine Bewährungsprobe für Sie. Machen Sie was draus.“ Er drückte ihr einen Hefter mit den Anforderung der Limonadenfirma in die Hand. „Der Kunde, unser Ansprechpartner heißt übrigens Oswald Müllner, hat hier alles zusammengeschrieben, was für ihn relevant ist. Ich gebe Ihnen freie Hand, aber – Sie wissen: keine Patzer, keine versäumten Termine. Danke, das war´s.“

Melinda schnappte sich mit hochrotem Kopf den Hefter und verließ das Chefbüro.

An ihrem Schreibtisch begann sie, die Unterlagen durchzublättern. Die Limo war vollkommen neu. So etwas gab es auf dem Markt noch nicht. Sie sollte sowohl neue Kräfte bei dem Konsumenten aktivieren, der schon etwas müde war, als auch beruhigend auf Menschen wirken können, die Einschlafschwierigkeiten hatten. Die Zutaten kamen mehrheitlich aus Südamerika, wurden auf Bioplantagen gezüchtet, mit dem Schiff nach Europa verfrachtet. Hier wurden sie nach dem geheimen, patentierten Rezept zu einem äußerst wohlschmeckenden Getränk verarbeitet. Auch hier wurde penibel darauf geachtet, möglichst nachhaltig zu produzieren. Selbstverständlich sollten auch die Behältnisse abbaubar sein.

Melinda war mit dem Lesen fertig. Als Nächstes würde sie Herrn Müllner kontaktieren, denn Papier war geduldig. Sie musste mit ihm von Angesicht zu Angesicht sprechen. Nur so bekam der Kunde wirklich das, was er wollte. Kunden wollten gehätschelt werden. Bevor sie sich also den Kopf zerbrach, wie man die Werbekampagne anlegen könnte, rief sie Herrn Müllner an.

Sie landete im Sekretariat und bat um Durchstellung. Es klickte in der Leitung. „Müllner“, hörte Melinda eine sympathische Stimme. Sie stellte sich höflich vor und bat um ein Treffen.

„Ja, gnädige Frau, Sie haben Glück. Wenn Sie flexibel genug sind, hätte ich heute um zwölf Uhr zu Mittag für Sie Zeit. Was halten Sie vom ,Habsburger‘ in der Innenstadt? Treffen wir uns dort für ein erstes Gespräch? Was meinen Sie?“

Melinda blieb die Spucke weg. Gleich so ein tolles Nobellokal! Und das für ein erstes Kennenlernen. „Ja, sehr gerne. Ich werde pünktlich sein!“ So ein Fauxpas wie letztens durfte ihr nie wieder passieren. Dann wäre sie weg vom Fenster.

Es war jetzt zehn Uhr fünfundvierzig. Ihr blieb also noch ein bisschen Zeit.

Sie legte sich einen Fragenkatalog zurecht. Oft war es so, dass Kunden eigentlich gar nicht so wirklich wussten, was sie eigentlich wollten. Sie sahen immer nur das Ziel vor sich und das war der Mega-Umsatz. Wie man genau dorthin gelangte, dafür gab es ja die Spezialisten. Es galt also, all die feinen Kleinigkeiten aus dem Kunden herauszukitzeln, ihn an der Hand zu nehmen und auf dem Weg zum Erfolg zu begleiten.

Sie ging die Liste ein paar Mal durch, um sie sich zu merken, denn mit einem Schummelzettel wollte sie dort nicht aufkreuzen. Das war unprofessionell.

So fertig! Jetzt war noch Zeit, zu Tammy rüberzulaufen und nach ihrem Telefonat mit ihrem Bruder zu fragen. Inständig hoffte sie, dass Klaus Wunder wirken konnte. Aber auch der war bloß Arzt und kein Zauberer, das war ihr sehr wohl bewusst.

– Was immer dir auch Tammy sagt, glaube an mich. Es wird alles gut! Du bekommst den Auftrag und zeigst es dem alten Drachentöter! –

Da war die Stimme wieder. Ach, das hatte ihr heute gerade noch gefehlt! Sie betrat Tammys Büro. Die telefonierte aber gerade und deutete ihr, dass das noch dauern könnte. Melinda verdrehte die Augen, zeigte ungeduldig auf ihre Uhr und verließ das Zimmer wieder.

Etwas verloren saß sie an ihrem Schreibtisch und dachte an ihre Eltern. Die waren noch gar nicht alt. Aber klar, das war kein Argument. Auch junge Menschen konnten erkranken. „Bitte lieber Gott, hilf uns. Ich gehe auch eine Kerze anzünden, wenn alles gut wird.“

Sie wusste natürlich, dass sich Gott niemals auf solche Bestechungen einließ, aber sie wollte in ihrer Not wenigstens etwas anbieten.

– Melinda, bitte lass´ den Boss aus dem Spiel. Wir schaffen das auch so! Damit behelligen wir ihn nicht. –

Melinda wurde stutzig. Ihr fiel nämlich jetzt auf, dass die Stimme immer vom Chef oder Boss sprach.

Da platzte Tammy in ihr Büro. „Also Melinda! Ich habe mit Klaus gesprochen. Er kann natürlich so gar nichts sagen. Er will sich deine Mama gerne anschauen und verschiedene Untersuchungen machen. Bitte sag´ ihr, sie soll morgen um acht Uhr in der Klinik sein und nach ihm fragen. Er wird sich ihrer annehmen.“ „Danke, Tammy! Du bist die Beste. Ich schulde dir was. Aber du, ich muss jetzt leider los. Du weißt, Doktor Wallner is watching me.“

Sie warf einen letzten Blick auf ihren Fragenkatalog und rief sich dann ein Taxi. Sie lief die Stiegen hinunter und stolperte. Beinahe wäre sie bäuchlings bergab gesegelt. Im letzten Augenblick, fast wie durch ein Wunder, konnte sie sich noch fangen.

– Aber Melinda! Nur mit der Ruhe! Mit einem gebrochenen Bein hilfst du niemandem. Du bist gut vorbereitet. Also – ruhig Blut! –

Melinda hob ihre Handtasche auf, atmete tief durch und trat auf die Straße. Das Taxi wartete bereits mit laufendem Motor und der Fahrer nickte nur, als sie ihm das Fahrziel nannte. Zügig und souverän fädelte er das Auto in den Verkehr ein und brachte Melinda in Rekordzeit zu dem Lokal.

Melinda zahlte, stieg aus und hatte noch zehn Minuten Zeit. Was sollte sie jetzt machen? Sie entschied sich dazu, hineinzugehen. Es wäre allemal höflicher, bereits auf den Kunden zu warten als umgekehrt.

*

Als sie gerade das Lokal betreten wollte, kam ein Mann heraus, groß, athletisch, braun gebrannt. Seine Kleidung war eine Mischung aus Business- und Casual-Look. Leider stießen die beiden in der Tür zusammen. Melinda war viel zu nervös, um sich zu entschuldigen, und dachte bloß: „So ein Tölpel! Rennt mich über den Haufen und geht dann einfach weiter.“

Der Mann murmelte etwas, ging aber dann seines Weges. Melinda suchte sich einen Platz, von dem aus sie das ganze Lokal und auch den Eingang im Blick hatte. Ein warmes Gefühl überkam sie. Was war das schon wieder? Bitte, nicht wieder diese Anwandlungen! Sie blickte auf den Salzstreuer, der vor ihr in der Mitte des Tisches stand. Ein zarter Glitzer umgab ihn. Er funkelte und irisierte in den herrlichsten Regenbogenfarben. „Ach Gott! Nicht schon wieder!“ Sie warf eine Papierserviette über den Streuer und das Funkeln war nicht mehr zu sehen.

– Melinda! Jetzt zeig´, was du kannst. Gib alles! Du ziehst den Auftrag an Land und wirst es allen beweisen! Dann gehört Herr Mag. Zillner auch wieder dir. Wir rocken das! –

„Hilfe, ich will das nicht. Bitte lasst mich doch alle in Ruhe!“, dachte Melinda, als genau der Typ von vorhin auf sie zusteuerte. Wieso war der jetzt wieder da?

„Frau Bürger? Grüß Gott! Müllner mein Name. Ich darf mich doch setzen, oder?“ „Herr Müllner? Sie sind doch soeben hinausgegangen!“, sagte Melinda wenig einfallsreich. „In der Tat! Ich hatte etwas im Wagen vergessen, nämlich meine Unterlagen. Und die müssen Sie ja unbedingt sehen, damit Sie wissen, worum es eigentlich geht.“

Zur Erklärung hob er mit todernstem Gesicht einen Ordner in die Höhe. „Das Allerheiligste“, sagte er bedeutsam. Der Ordner war knallrot mit einem gelben Smiley drauf, was sein ernstes Gesicht sofort Lügen strafte. Durch eine ungeschickte Bewegung rutschte ihm die Mappe aus der Hand. Aber – schwuppdiwupp – machte der Ordner fast einen Looping und landete sicher wieder in seiner Hand. „Haben Sie das jetzt gesehen? Erstaunlich! Manchmal glaube ich an Geister. An gute natürlich.“

Melinda musste grinsen. Der Mann gefiel ihr. Er war ziemlich ansehnlich und hatte zudem noch Humor. „Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich bin schon sehr gespannt auf Ihr Produkt. Es handelt sich doch um ein völlig neuartiges Getränk. So viel weiß ich schon mal, aber bitte erzählen Sie mir mehr.“

„Worauf darf ich Sie denn einladen, gnädige Frau?", fragte Herr Müllner nun galant. „Ich hoffe, Sie haben noch nicht gegessen. Die haben hier wunderbare Köstlichkeiten. Der Tafelspitz ist formidable, die Schnitzel sind natürlich vom Kalb, so, wie sich das in Wien gehört, der Zwiebelrostbraten ist butterzart und der Kaiserschmarrn ist ein flaumiges Gedicht, der keine Wünsche übrig lässt.“

„Ich habe in der Tat noch nicht gespeist und ein wenig Hunger verspüre ich schon.“ „Dann schauen wir einfach einmal beide in die Karte. Sie sind selbstverständlich mein Gast. Also nur keine falsche Bescheidenheit.“

Als Melinda die Preise in der Karte sah, musste sie schlucken. Jetzt war auch klar, worauf ihr Gegenüber mit der falschen Bescheidenheit angespielt hatte.

„Auch egal“, dachte sie bei sich. Jetzt bin ich schon einmal in dem tollen Restaurant, da werde ich es mir auch schmecken lassen. Sie wählte den Tafelspitz vom Biorind mit Erdäpfelschmarrn, Apfelkren und gedünsteten Karotten. Ihr Geschäftspartner bestellte das Wiener Schnitzel mit Petersilerdäpfeln und Variationen vom Blattsalat.