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Karel Prušnik-Gašper war im Zweiten Weltkrieg führend in der Widerstandsbewegung engagiert. Seine 1958 in slowenischer Sprache erschienenen Erinnerungen und seine detailgetreuen Aufzeichnungen waren damals nicht nur ein erster wichtiger Beitrag zur erlebten und erzählten Geschichte, sie waren auch von dem Wunsch getragen, den nachkommenden Generationen die Grundlagen eines besseren Lebens zu vermitteln. 1980 erschien "Gämsen auf der Lawine" zum ersten Mal auf Deutsch. Wie wurde das Buch damals gelesen, zu einer Zeit, als die Beschäftigung mit dieser Vergangenheit noch nicht angesagt war, noch bevor in Österreich die Debatte um das Pferd und seinen Reiter, der nichts wusste, begann?
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Seitenzahl: 706
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PRUŠNIK-GAŠPER • GÄMSEN AUF DER LAWINE
Gestaltung des Umschlags und des Schubers unterVerwendung von Gemälden der Kärntner Architektinund bildenden Künstlerin Tanja Prušnik.
KAREL PRUŠNIK-GAŠPER
Der Kärntner Partisanenkampf
WieserVerlag
Die Herausgabe dieses Buches erfolgte mit freundlicher Unterstützung durch das Land Kärnten und den Zukunftsfonds der Republik Österreich.
Der Verlag bedankt sich überdies bei dem Abgeordneten zum Europaparlament Eugen Freund, dem Zentralverband slowenischer Organisationen in Kärnten (ZSO), dem Slowenischen Kulturverband (SPZ) und Radio Agora.
wtb 18
WieserVerlagGmbH
A-9020 Klagenfurt/Celovec, 8.-Mai-Straße 12Tel. + 43(0)463 37036, Fax + 43(0)463 [email protected]
Umschlag: gnp m2 (mešana tehnika na platnu: olje, akril, disperzijsko barvilo / Mischtechnik auf Leinwand: Öl, Acryl, Dispersion), 60 x 80 cm, 2005avtorica slike: Tanja Prušnikfoto/repro: Jože Wakounig, obd./bearb. Stefan ReichmannVor- und Nachsatz: detajl iz slike / Detail aus UTOPIA_gnp2_L4 I Diptychon / diptih 160 x 60 cm, 2014 (mešana tehnika na platnu: olje, akril,disperzijsko barvilo / Mischtechnik auf Leinwand: Öl, Acryl, Dispersion)Foto: Zdravko HaderlapFotos Materialienband: SPZ, ZSO, Peter Wieser, Franc Wakounig,Familienarchiv, Bogdan Mohor-Ston
Copyright © dieser Ausgabe 2016 bei Wieser Verlag GmbH,Klagenfurt/CelovecAlle Rechte vorbehaltenLektorat: Josef G. PichlerISBN 978-3-99047-048-0
Bücher haben ihre Zeit. Einige sind ihrer Zeit voraus. Als Oral History noch kein Begriff war, hat Karel Prušnik-Gašper seine Erinnerungen aufgeschrieben. In slowenischer Sprache erschienen sie erstmals 1958. Als in Österreich noch kaum einer vom Widerstand gegen den Faschismus sprach, Jahre vor der im Präsidentschaftswahlkampf 1986 beginnenden Debatte, welche Rolle ein Pferd und sein Halter dabei spielten, wurden die »Gämsen auf der Lawine« (damals geschrieben: Gemsen) 1980 auf Deutsch publiziert. Es war das erste aus dem Slowenischen übersetzte Buch, das im österreichischen Fernsehen gewürdigt wurde. Dieter Seefranz selig entführte uns in der Nachrichtensendung »Zehn vor zehn« in die Steilhänge der Karawanken und hat, gemeinsam mit den Berichten von Robert Buchacher im »profil«, einen regelrechten Boom des Interesses an der Geschichte des slowenischen Widerstandes in Kärnten ausgelöst. Eines der großen Tabuthemen der österreichischen Zeitgeschichte wurde entzaubert, ein Türspalt zur (gerechteren) Behandlung des Widerstandes geöffnet und der Nachweis erbracht, warum Österreich in der Moskauer Deklaration 1943 nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer gelten konnte – dank des Widerstandes slowenischer Mägde und Knechte, Bauern, Holzfäller, Taglöhner, Hausfrauen, Hilfsarbeiter, Schüler und unzähliger Unbekannter.
Vom ersten Erinnern bis zur Anerkennung der historischen Tat dieser Menschen – die innerhalb des »Tausendjährigen Reiches« zu den Waffen gegriffen haben, um ihre Familien, ihre Höfe, ihre Huben, die eigene Sprache, die eigene Kultur, ihr Leben und das Leben ihrer von Aussiedlung bedrohten Verwandten zu verteidigen und zu retten – sind Jahrzehnte vergangen. Ihr Handeln war nach dem Sieg über den Aggressor lange gesellschaftlich verpönt, ihr Mut – sich trotz Angst und Tod vor Augen zu erheben und couragiert für das Allgemeinwohl einzustehen – wurde in den Dreck gezogen und verunglimpft, war Beleidigungen ausgesetzt und wurde landesweit belächelt.
Persönliche Erinnerungen sind immer subjektiv. Sie sind aber zugleich auch Lehrstoff und jenes Material für die Aufarbeitung durch die Wissenschaft, aus dem spätere Generationen Mut und Stolz, und aus den Irrtümern (vielleicht) auch ihre Lehren ziehen, wenn sie wollen. Es ist nicht Aufgabe des sich Erinnernden, alles objektiv und auf Punkt und Beistrich richtig dargestellt zu haben. Es ist aber auch nicht Aufgabe des Verlegers, dabei den Rotstift anzusetzen, zuallerletzt in einem Land, das nach Jahrzehnten kaum begonnen hat, sich der eigenen Geschichte zu stellen (und dabei noch oft genug in die braune Jauche tritt – und nicht selten wissenschaftlich objektiviert).
35 Jahre sind lang, 35 Jahre sind aber auch kurz. Davor galten Partisanen als Banditen. Heute gedenkt man ihres Mutes zunehmend mit Achtung und Würde. Die slowenische Sprache und Kultur ihrer Familien tritt aus dem Schatten, ihre seit Jahrhunderten klingende Melodie ist Teil des Konzertes, bereichernd im Vielklang der Stimmen, sie ist gut hörbar und wird erstmals verstanden, auch wenn es immer weniger sind, die sie anstimmen. Trotz alledem!
Lojze Wieser, Juni 2015
Manchmal scheint es, dass wir unsversehentlich auf einer Lawineniedergelassen haben. Sie gleitet Σ imAugenblick so, dass es kaum zu spüren ist.Vor Kurzem aber donnerte sie noch mitsolcher Gewalt hinab, dass sie Fichtenbrach, Höfe niederriss, Dörfer und Städte,mit rücksichtsloser Gewalt …
Rok Arih
Häufig habe ich Gämsen auf der Lawine beobachtet …
Das Gämsengeschlecht hat seine Heimat in steilen Felsen, in Gewittern und Stürmen, in Schnee und Eis. Stürmisch krümmt und splittert der Bergwind die Latschen über dem Gämsenrudel. Sie halten sich in Scharen: Das gibt ihnen die Kraft, mit der sie die strengsten Winter, die härtesten Prüfungen überstehen …
Wie oft kauerte ich hinter einem mit Edelweiß bewachsenen Felsen und beobachtete stumm die Gämsen. Ganz leise war ich, um sie nicht zu stören.
Wenn sie alleine sind, wenn ihnen keine Gefahr droht, sind sie wie ein Haufen sanfter Schafe. Es hat den Anschein, dass ihre Beine gebrochen oder ausgerenkt sind, dass sie, weich und willig, keine Knochen und kein Rückgrat haben, dass ihre Körper jedem Lufthauch nachgeben. Es scheint, dass man sie mit Händen fangen kann.
Doch wie schnell ändern sie sich, wenn sie Gefahr verspüren, wenn ihnen ein Feind droht, wenn es gilt: sein oder nicht sein. Im Nu verwandeln sich die lammfrommen Körper in stramme Gamsgestalten. Als ob unversehens elektrischer Strom sie durchzuckt hätte! Ein Pfiff durch die gespannten Nüstern – und schon ist das ganze Rudel ein einziges siedendheißes Gamsblut – und alle folgen dem Leittier über steile und gefährliche Felssteige, über schwindelerregende Schluchten in den Schutz der Natur. In wilder Jagd erklimmen sie glatte Wände, wo nur ein Heidekorn sich halten kann. Nur staunen kann man ob ihrer überlegten und sicheren Sprünge.
Auch Schneelawinen und Lawinen von steinigem, donnerndem Geröll, das in die Schluchten stürzt, können den Gämsen nichts anhaben, obwohl ihr Leben durch sie ständig bedroht ist.
Es scheint, als ob sie immer auf der Lawine lebten. Die Lawine reißt unvermittelt ab, und der Fels, zerfressen von der jungen Natur, splittert und springt.
Einst besuchte ich einen Jäger, der auf der Suche nach Gämsen die ganzen Karawanken, die gesamte Saualm, die Petzen und den Obir durchstöbert hatte. Ich betrachtete seine Trophäen. An der Wand aber hatte er neben starken Gamskrucken auch einige Krickel junger Gämsen hängen. Ich fragte also den erfahrenen Mann:
»Habt Ihr diese auch geschossen?«
Der Mann, der selige Strošek-Vater, der damals schon weit über siebzig war und nach unserer Begegnung noch zwanzig Jahre lebte, erwiderte mir mit ehrwürdigem Wort:
»Weißt, Kori, diese verwegenen Gämsen hat die Lawine mitgerissen. Ich habe sie gefunden, als der Schnee geschmolzen war. In ihrem Leichtsinn haben sie den Pfiff der Mutter überhört.«
Manchmal kommt es mir vor, dass das Schicksal meines Volkes dem der Gämsen auf der Lawine gleicht …
In der Heimat der Gämsen gehen ständig Lawinen ab. Aber das Gämsengeschlecht hält sich trotz der Lawinen – außer jenen Gämsen, die den Pfiff der Mutter überhören und sich vom unbändigen, stolzen, allen Stürmen und Lawinen trotzenden Rudel trennen.
Karel Prušnik
*Vor- und Geleitworte weiterer Ausgaben werden im Materialienband wiedergegeben, der auch sämtliche Fußnoten, ein Ortsnamenverzeichnis, Bilddokumente und Texte zu »Gämsen auf der Lawine« von Peter Handke, Vanessa Hannesschläger und Robert Buchacher enthält.
Die Besitze der slowenischen Bauern von Lobnig, Leppen, Remschenig, Vellach und Ebriach waren bescheiden. Es fehlte an Geld für moderne landwirtschaftliche Maschinen, geschweige denn für die Elektrifizierung. Auf den Eisenkappler Bergen herrschten Graf Thurn und seine Jagdaufseher, die Familien der slowenischen Holzknechte und kleinen Bauern trugen Flickzeug und nagten am Hungertuch.
Unser Hof lag im waldigen und bergigen Lobnig bei Eisenkappel. Er war klein. Seine vier Hektar fruchtbaren Berglandes ernährten die Familie recht und schlecht.
Schon als ich mich als junger Bursch mit den Söhnen der Arbeiter aus Rechberg in den Eisenkappler Gräben herumtrieb, mochte ich Musik sehr gern. Gemeinsam lernten wir Instrumente und gründeten bald eine Blaskapelle. Ich war immer stolz, wenn wir zum Ersten Mai auf dem Eisenkappler Markt flotte Märsche aufspielten und daraufhin nach Rechberg aufbrachen. Dort übten wir mit der Arbeiterkappelle. Ich blieb nie fern, obwohl der Weg eine gute halbe Stunde lang war.
Auch mein Vater war Musikant. Ich selber verdiente auf meiner Geige, der Trompete und meinem Flügelhorn so manchen Groschen, der uns das Leben auf dem bescheidenen Besitz erleichterte. Die Musik brachte mich auch unter fortschrittliche Menschen. Der Rechberger Kapellmeister war mein Onkel Johan, ein Sozialist. Er führte mich in die Arbeiterbibliothek in Eisenkappel und machte mich mit Marx, Engels und der Arbeiterbewegung bekannt.
In der Bibliothek fand ich das »Kapital«, Lenins Werke, aber auch Jack London, Henri Barbusse und andere fortschrittliche Schriftsteller. Begeistert griff ich nach Cankar, Levstik, Cerkvenik und anderen slowenischen Autoren, die ich in den Bibliotheken des slowenischen katholischen Bildungsvereins leider nicht finden konnte. Neben »Železna peta« (»Die eiserne Ferse«) und »Daj nam danes naš vsakdanji kruh« (»Gib uns unser tägliches Brot«) gefielen mir besonders »Moč zemlje« (»Macht der Erde«) und »Pravica kladiva« (»Das Recht des Hammers«). Das »Kapital« und andere marxistische Werke verstand ich damals noch nicht. Ich las sie nicht, denn sie waren für mich zu schwierig. Das »Kommunistische Manifest« erklärte mir mein Onkel auf eine verständliche Art, sodass ich bald begriff, zu welcher Klasse wir Bauernsöhne gehören, die wir mit eigenen Händen unser Brot verdienen. Ich lernte viele Altersgenossen aus Vellach und Lobnig kennen; gleich wie mich hatte die Begierde nach einem fortschrittlichen Buch sie in die Bibliothek geführt. Später schlossen sich uns die Ebriacher und Burschen aus anderen Gräben an. Wir wurden Mitglieder der sozialistischen Jugendorganisation »Jugendbund« und trugen rote Nelken.
Die Sozialdemokratie stellte mir Onkel Johan als treue Kämpferin für die Rechte des werktätigen Volkes vor. Sie wuchs mir immer mehr ans Herz. In der Bibliothek lernte ich dann den sozialdemokratischen Führer, den Eisenkappler Bürgermeister Franz Haderlap kennen. Der missfiel mir bald: Bei der Eröffnung der Volksschule in Eisenkappel erwähnte er den »glücklichen Ausgang der Volksabstimmung«. Auch Vater fühlte sich betroffen und rief empört: »Immer wieder reißen sie unsere schmerzenden Wunden auf …«
Vegel Lukej, unser Freund und eifriger Bienenzüchter, ergänzte Vaters Gedanken: »Noch schmerzhafter ist es, wenn die Sozis das tun … Leider sind sich alle verdammt einig, wenn es gegen die Slowenen geht!«
Beide kamen eben von jener Eröffnungsfeier. Vater war so erregt, dass er sich gleich im Sonntagsanzug auf die Bank vor dem Bienenhaus setzte. Wir alle wunderten uns darüber, denn er hatte uns stets zu äußerster Sparsamkeit erzogen. Auch Lukej war ein armer Schlucker. Nur zwanzig Žnidaršič-Bienenstöcke besaß er, doch war er klug und unternehmungslustig.
»Sollten wir es ihnen nicht heimzahlen, da sie uns derart erniedrigen und herausfordern?«, fragte er.
Vater schwieg, Lukej aber bohrte weiter: »Wo bleiben unsere Studierten, die uns führen sollen? Alle haben uns verlassen!«
Vater starrte zum neuen Bienenhaus, wo die Bienen angenehm summten. Er schien gar nicht zuzuhören. Plötzlich seufzte er: »Sie mussten gehen …«
»Wenn wir geblieben sind, hätten auch sie es können.«
Im Herzen stimmte ich Lukej zu. Ich saß neben Vater und summte sein liebstes Imkerlied: »Bienchen schwärmt aus, fliegt aus dem Stock heraus, über die bunten Sträucher, über die grünen Hecken dahin. Summ, summ, summ …«
Lukej fuhr fort:
»Wenigstens ein Theaterstück könnten wir aufführen!«
»Wer wird es einstudieren?«, erwiderte Vater. »Nicht einmal der Kaplan kann richtig Slowenisch …«
Das stimmte. Alle hatten Veranstaltungen, nur die Slowenen nicht. Schon jahrelang. Deutsche Vereine warben unter den slowenischen Burschen. Wir hingegen entzündeten hie und da ein Höhenfeuer. Bei dieser Gelegenheit erzählte der Kaplan dann irgendetwas Lustiges. Darin erschöpfte sich unser »Kampf um die nationale Existenz«.
Es stimmt schon, wir hatten unsere Organisation, den »Politischen und wirtschaftlichen Verein für die Slowenen in Kärnten«, der den Kampf um Kulturautonomie führte und mit dem Kärntner Landtag verhandelte. Im »Koroški Slovenec«1 lasen wir die Berichte über die Vollversammlung des Vereins, von dessen Resolution, wir lasen die Erklärung des Pfarrers Starc, der den Christlichsozialen vorwarf, sie stünden, was die Slowenen betrifft, auf einer Linie mit den anderen Parteien … Aber auf dem Land wurde keine Organisationsarbeit geleistet.
Lukej und Vater hielten damals fest, dass endlich etwas geschehen müsse. Am darauf folgenden Sonntag trafen sie sich im Gasthaus Koller in Eisenkappel. Dazu kam noch Tavčman Jurij aus Lobnig. Sein Haus nannten wir »beim Tavčman«, eigentlich hieß er Pasterk. Tavčman Mutter hatte außer Jurij noch die Söhne Franci, der später Kommandant des Ersten Kärntner Bataillons wurde, und Jaki, ebenfalls ein treuer Slowene und Antifaschist.
Jurij ergriff beim Koller als Erster das Wort:
»Hätten wir wenigstens einige Studierte, wäre es leichter. Warum konnten die Lehrer Aichholzer und Viternik in Kärnten bleiben? Sie waren eben mutiger und hatten mehr Liebe zum Volk.«2
Ins Gespräch mischte sich noch Vinkel Korl, der schon in der Plebiszitzeit manche Beule abbekommen hatte. Er erzählte vom Deutschen Topitschnigg, den man eigens nach Lobnig gesandt hatte, damit er die Leute germanisiere.
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