Ganztag im besten Interesse der Kinder -  - E-Book

Ganztag im besten Interesse der Kinder E-Book

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Beschreibung

Es ist zu wenig, im Rahmen der Ganztagsdebatte nur Zahlen und Strukturen zu diskutieren. Die Autor(inn)en des Buchs nehmen das psychische und physische Wohlergehen der betroffenen Kinder und eine demokratische Verfasstheit ganztägiger Bildung in den Blick. Denn für eine gesunde Entwicklung bedürfen Große Kinder der Beachtung der Kinderrechte und der Lebensbedürfnisse, Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit.

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Qualität in Ganztag, Hort und Schulkindbetreuung

GANZTAG IM BESTEN INTERESSE DER KINDER

2., korrigierte Auflage 2024

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Gesamtgestaltung und Satz: Sabine Ufer, Leipzig

Herstellung: Graspo CZ, Zlín

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-39423-2

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83142-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83143-0

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Vom Kind her denkenDen Ganztag im besten Interesse der Großen Kinder gestalten

Ludger Pesch, Karen Dohle & Jörg Maywald

TEIL IQualitätsdimensionen für eine gesunde Entwicklung

„Am liebsten treffe ich mich mit meinen Freundinnen“Die Bedeutung der Gleichaltrigen

Ludger Pesch

Der Kinderrechtsansatz im GanztagBeteiligung – Förderung – Schutz

Jörg Maywald

Mobbing im Kontext GanztagPräventionsmöglichkeiten und Interventionsstrategien

Birgit Olsok

„Dass man so halb in der Natur leben kann …“Eigenständiges Erkunden des Umfeldes

Ludger Pesch

„Da kribbelt’s mir im Bauch“Kulturelle Bildung im Ganztag

Dagmar Bergs-Winkels & Christian Kammler

Partizipation als Qualitätsdimension im GanztagDenn ohne Kinder geht es nicht (gut)

Christa D. Schäfer

„Wenn ich laufe, springe, renne, dann fühle ich mich richtig frei“Bewegung und Körpererfahrung als Grundlagen der Entwicklung

Ludger Pesch

TEIL IIRolle und Aufgaben der Erwachsenen

Vielfältigkeit wird möglich durch KooperationZur Zusammenarbeit von Fachkräften im Interesse der Kinder

Stephan Kielblock

Kinder stärken!Resilienzentwicklung fördern im pädagogischen Alltag

Sylvia Mihan

Von der Raumerfahrung zur partizipativen ArchitekturEntwerfen, planen und bauen für Kinder

Susanne Hofmann

Kinder an die MachtDigitale Teilhabe als Voraussetzung für einen Ganztag im Interesse der Kinder

Jutta Croll

Qualität pädagogischer Beziehungen im GanztagImpulse der „Reckahner Reflexionen“

Katja Langer-Bachmann & Ursula Winklhofer

„Ich habe Rechte und kann darauf vertrauen, dass sie umgesetzt werden“Kinderrechtsansatz und Kinderperspektive als Qualitätsmerkmal

Rebekka Bendig

Checkliste: Bildungseinrichtungen im besten Interesse der Kinder gestalten

Karen Dohle

ANHANGMaterialien – Empfohlen und kommentiert von der Initiative für Große Kinder

Die Autor:innen

Vorwort

Mit der Verabschiedung des Ganztagsförderungsgesetzes (GaFöG) im Herbst 2021 wurde die schrittweise Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine ganztägige Förderung im Grundschulalter ab dem Schuljahr 2026/2027 bundesweit festgeschrieben. In dem Gesetz heißt es, dass ein Kind „ab dem Schuleintritt bis zum […] Beginn der fünften Klassenstufe einen Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung“ hat. Der Anspruch besteht an Werktagen im Umfang von acht Stunden täglich, wobei die Unterrichtszeit angerechnet wird. Dieser Ganztags-Anspruch kann sowohl in Horten als auch in offenen und gebundenen Ganztagsschulen erfüllt werden. Bezüglich des Rechtsanspruchs der Großen Kinder ist zu beachten, dass im Gesetz nicht davon die Rede ist, nur Ganztagsschulen zu schaffen. Damit wird der Situation Rechnung getragen, dass es in den Bundesländern bereits sehr unterschiedliche und teilweise mit einem Rechtsanspruch versehene Formen von Ganztagsangeboten gibt.

Vor diesem Hintergrund stellen sich mit Blick auf die Ausgestaltung des Rechtsanspruchs zahlreiche Fragen: Welche altersspezifischen Bedürfnisse haben Große Kinder? Wie hängen diese Bedürfnisse mit einer gesunden körperlichen, sozialen, emotionalen und geistigen Entwicklung zusammen? Auf welche Weise können diese Bedürfnisse bestmöglich erfüllt werden? Auf diese und andere Fragen wollen wir hier aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis hilfreiche Antworten geben. Dabei soll durchgehend die Perspektive der Kinder eingenommen werden, ihre Interessen stehen im Mittelpunkt. Damit folgen wir dem Anspruch aus Artikel 3 Absatz 1 UN-Kinderrechtskonvention, demzufolge „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, […] das Wohl des Kindes (im englischen Original: ‚best interests of the child‘, die Verf.) ein Gesichtspunkt (ist), der vorrangig zu berücksichtigen ist“.

In einem Querschnittsbeitrag werden zunächst Grundlagen für eine gesunde Entwicklung der Großen Kinder dargestellt. Dazu gehören die Beachtung der Rechte und der Lebensbedürfnisse von Großen Kindern, Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit im Ganztag sowie ein integriertes Bildungsverständnis und eine inklusive Bildung. Im Anschluss daran werden zentrale Qualitätsdimensionen für einen guten Ganztag vertiefend und unter Hinzuziehung von Befunden der neueren Kindheitsforschung diskutiert. Den entsprechenden Aufgaben der Erwachsenen im Ganztag ist ein weiteres Hauptkapitel gewidmet. Die Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention wird quer zu allen Dimensionen erörtert. Das Buch schließt mit einer Checkliste zur Gestaltung des Ganztags.

Wir danken herzlich allen Autor:innen und vielen ungenannten Inspirator:innen, die zu diesem Buch beigetragen haben. Besonders zu danken haben wir zwei Personen: Ohne die Initiative von Oggi Enderlein und Lothar Krappmann wäre es nicht zur Gründung der Initiative für Große Kinder e. V. gekommen – als einem freundlichen Ort für die Entwicklung der Ideen, von denen viele in diesem Buch beschrieben sind.

Seit mehr als 20 Jahren bringt die Initiative für Große Kinder die spezifischen Lebens- und Entwicklungsbedürfnisse der Sechs- bis Dreizehnjährigen in die fachliche und fachpolitische Debatte ein. Die unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen der Mitglieder der Initiative ermöglichen einen umfassenden Blick auf die Situation der Großen Kinder. Der Initiative gehören unter anderem Bildungs- und Entwicklungsforscher:innen, Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe, Sozial- und Sportwissenschaftler:innen, Vertreter:innen aus Stadtentwicklung, Politik, Verwaltung und Verbänden an.

Zu den Zielen der Initiative gehört es, die Bedürfnisse und Rechte von Kindern zwischen Vorschul- und Jugendalter stärker in das Bewusstsein von Lehrer:innen, pädagogischen Fachkräften, Eltern, Wissenschaftler:innen, Politiker:innen und einer breiten Öffentlichkeit zu bringen sowie die Beteiligung der Kinder an der Gestaltung ihrer Lebenswelt in Elternhaus, Schule, Freizeit und Kommune zu fördern.

Mit diesem Buch wollen wir einen Beitrag dazu leisten, das Ganztagsangebot qualitativ so auszugestalten, dass es vom ersten Tag an von den Kindern mit Freude genutzt, von den Eltern gerne in Anspruch genommen und von den Fachkräften mit hoher Fachlichkeit und Engagement gestaltet wird. Wir möchten unsere Erfahrung teilen, dass ein Ganztag im besten Interesse der Kinder dort entwickelt werden kann, wo vom Kind aus gedacht wird.

Ludger Pesch, Karen Dohle, Jörg Maywald

Vorstand der Initiative für Große Kinder e. V.

Wir freuen uns, wenn Sie mit uns Kontakt aufnehmen:

[email protected]; www.initiative-grosse.kinder.de

Einleitung: Vom Kind her denkenDen Ganztag im besten Interesse der Großen Kinder gestalten

Ludger Pesch, Karen Dohle & Jörg Maywald

Mit der Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ab dem Jahr 2026 stufenweise für alle Kinder im Grundschulalter, wie es das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) von 2021 vorsieht, geht die deutsche Gesellschaft einen weiteren Schritt in Richtung eines chancengerechten und familienfreundlichen Bildungs- und Betreuungsangebotes. Ab 2029 wird jedes Kind in den Klassenstufen 1 bis 4 einen Anspruch auf täglich acht Stunden ganztägige Förderung und Betreuung haben.

Mit dem Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung und Betreuung für Kinder im Grundschulalter und der damit verbundenen Verpflichtung für alle Länder, Ganztagsplätze anzubieten, wird ein quantitativer Ausbau des Platzangebots erforderlich. Der Bund stellt dafür zusätzlich Finanzhilfen für Investitionen der Länder in ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote bereit. Ziel dieser Investitionen ist es, den Ausbau verlässlicher und bedarfsgerechter Bildungs- und Betreuungsangebote zu fördern, zusätzliche Betreuungsangebote für Grundschulkinder zu schaffen und die qualitative Weiterentwicklung bestehender Ganztagsangebote zu unterstützen.

Mit der Bereitstellung der investiven Mittel ist eine besondere Chance gegeben, nicht nur quantitativ mehr Plätze zu schaffen, sondern auch die Qualität der Angebote zu verbessern. Dies kann geschehen, wenn pädagogische Konzepte mit räumlichen Konzepten verknüpft und unter aktiver Beteiligung der Kinder geplant werden.

Daten zum Ganztag und bildungspolitische Motive

Aus dem aktuellen Bericht der Kultusministerkonferenz über „Allgemeinbildende Schulen in Ganztagsform in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland“ (2023) geht hervor, dass ganztägige Angebote in den vergangenen Jahren stark ausgebaut wurden. Im Jahr 2021 halten 72 Prozent aller Grundschulen in öffentlicher und privater Trägerschaft Ganztagsangebote vor, in Kooperation mit verschiedenen Partnern, in einigen Bundesländern in verbindlicher Kooperation mit Horten. Aus zusammengefügten Daten der Kinder- und Jugendhilfe (KJH)-Statistik, der KMK-Statistik zu Ganztagschulen und einer Prognose des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zum künftigen Bedarf an Betreuungsplätzen geht hervor, dass seit 2006 die Anzahl der Kinder, die in Horten und ganztagsschulischen Angeboten betreut werden, von 580.000 auf 1.454.000 bundesweit gestiegen ist. Rund 50 Prozent aller Kinder im Grundschulalter nutzen damit ein Angebot in Schulen oder Horten. Der formulierte Betreuungsbedarf der Eltern liegt mit 73 Prozent jedoch noch weit höher (BMFSFJ 2020).

Gesellschaftspolitisch wurde der Ausbau insbesondere mit der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf begründet. Bildungspolitisch steht im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der PISA-Studie und aktuell mit dem IQB-Bildungstrend das Ziel im Vordergrund, bestmögliche Rahmenbedingungen für erfolgreiches Lernen aller Kinder zu gewährleisten. Der erweiterte Zeitrahmen von Schulen mit Ganztagsangeboten, in Kooperation mit Horten und weiteren Kooperationspartnern, wurde dabei vor allem mit dem Anliegen der individuellen Förderung von Schüler:innen und der Umsetzung von Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe verknüpft. Für die Kinder und deren Lebenswelt ist dabei vor allem relevant, dass sie immer mehr Zeit im institutionalisierten Rahmen verbringen.

Als wesentliche fachlich-pädagogische Ziele des Ganztags gelten:

• eine vertiefte individuelle und stärkenorientierte Förderung der Kinder

• die Bereitstellung von attraktiven Freizeitangeboten für Kinder

• die Nutzung der im Gemeinwesen vorhandenen Ressourcen durch die Kooperation mit Partner:innen im Sozialraum

• die Gestaltung der Bildungseinrichtungen als Lern- und Lebensort

Zusammenfassend soll allen Kindern die gleiche Teilhabe an einer heterogenen, demokratischen und in Zukunft auch digitalen Welt ermöglicht werden.

Ganztägige Bildungsorte bieten einen erweiterten Rahmen für vielfältige Lernangebote, die in einem erweiterten Bildungsverständnis formale, nonformale und informelle Lerngelegenheiten einschließen. Der Erwerb fachlicher, sozialer und personaler Kompetenzen kann in Projekten in und außerhalb des Unterrichts erworben werden. Angebote der kulturellen Bildung können eingebunden und im Rahmen anregender und motivierender Lernsettings umgesetzt werden, indem der klassische Unterricht und die Ganztagsangebote in Projekten integriert und konzeptionell verzahnt werden.

Die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) hat gezeigt, dass die ganztägige Bildung in Bezug auf die Kompetenzentwicklung dann wirksam ist, wenn Kinder die Angebote regelmäßig und gerne nutzen. Auch bestehen im Rahmen ganztägiger Bildung besondere Chancen für Kinder, Freundschaften zu schließen, und durch die Bereitstellung vielfältiger Angebote Interessen, Fähigkeiten und soziale Kompetenzen zu entwickeln (StEG 2019).

Ganztag im Interesse der Kinder

Den ganzen Tag in einer Bildungseinrichtung lernen? Das klingt für Kinder nicht unmittelbar nach einem erstrebenswerten Motiv. Wird doch das Lernen ab der Einschulung hauptsächlich mit der Schule in Verbindung gebracht. Ab diesem Tag werden Kinder als Schulkinder, in den Schulgesetzen sogar ausschließlich als Schülerinnen und Schüler bezeichnet; erst wenn sie die Institution zum Nachmittag wechseln, sind sie zum Beispiel Hortkinder. Als wäre das Kind in den unterschiedlichen Institutionen eine andere Persönlichkeit und könnte quasi mit dem Ablegen der Schultasche diesen Teil des Tages abstreifen. Im Gepäck sind in der Regel noch die Hausaufgaben, die in den Nachmittag mitgebracht werden. Aus der Sicht der Kinder ist aber jeder Tag ein Ganztag, und auch für die Erwachsenen muss gelten: Ein Kind ist nicht teilbar und hat ein Recht auf Anerkennung und Förderung seiner ganzen Person (von der Groeben & Kaiser 2016).

Was ist also gemeint, wenn von ganztägigen Bildungsorten die Rede ist, die auch als subjektiv bedeutsam und wertvoll von den Kindern angenommen werden? Es geht um Bildungsorte im Sinne von attraktiven Lern- und Lebensorten, an denen Kinder nicht nur Pädagog:innen aus Schule und Kindertageseinrichtung begegnen können, sondern auch anderen Menschen: Sportler:innen, Künstler:innen, Handwerker:innen und weiteren Personen, von denen sie in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen lernen und mit ihnen gemeinsam ihre Freizeit interessenbezogen gestalten können. Kooperation und multiprofessionelle Teams im Ganztag sind daher eines der bedeutsamsten Elemente ganztägiger Bildung, gleichzeitig aber auch eine der größten Herausforderungen. Dies lässt sich nur gewährleisten, wenn alle Beteiligten in Schule und Hort die Qualität der Lernkultur beschreiben, gestalten und bewerten und ein integriertes Bildungsverständnis die Grundlage bildet (vgl. Pesch & Radisch 2020).

Ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote sind Angebote, die Lerngelegenheiten über den ganzen Tag ermöglichen und Bildung auf vielfältige Art und Weise gestalten. Kindern wird die Möglichkeit gegeben, diese Angebote aktiv und partizipativ mitzugestalten. Auf der Grundlage eines gemeinsamen Bildungsverständnisses und der Bedürfnisse von Kindern sollen motivierende Lernarrangements und Freizeitmöglichkeiten bereitgestellt werden. Dadurch kann ein Lern- und Lebensort für Kinder entstehen, an dem die Bedürfnisse und Fähigkeiten aller Kinder berücksichtigt werden.

Eine ganzheitliche, individuelle und kompetenzorientierte Förderung von Kindern basiert auf einem erweiterten Bildungsbegriff und einer Lernkultur, die formale, nonformale und informelle Lerngelegenheiten umfasst. Pädagogische Konzepte, die eine Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten ermöglichen, tragen zum erfolgreichen Lernen der Kinder bei. Auf der Grundlage eines gemeinsamen Bildungsverständnisses des pädagogischen Personals aus Schule und Hort kann in motivierenden Lernsettings und gemeinsam geplanten Projekten individualisiertes Lernen im Interesse der Kinder ermöglicht werden.

Die Qualitätsdebatte hat im Kontext des Ganztagsförderungsgesetzes (GaFög) eine Vielzahl von Veröffentlichungen zu Qualitätsdimensionen des Ganztags hervorgebracht. Dabei wird zunehmend betont, in der Konzeption und bei allen Planungen die Kinder und ihre Interessen in den Mittelpunkt zu stellen (QUAD 2021). Aus Sicht der Kinder werden insbesondere die Themen Freundschaften, Spiel und Bewegung, Partizipation, soziales Klima im Umgang mit den Erwachsenen sowie Lernen und Hausaufgaben als bedeutsam bewertet (vgl. Walther, Nentwig-Gesemann & Fried 2021).

Gesundes Aufwachsen

Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Gesundheit als ein „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens (well-being) und nicht nur als das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ zu verstehen.

Im Leben von Kindern kommt damit Angeboten des Ganztags eine besondere Verantwortung für deren körperliches, motorisches, emotionales und soziales Wohlbefinden zu, denn individuelles Wohlbefinden unterstützt Kinder in ihren Bildungs- und Entwicklungsprozessen und steht wiederum in einem Wechselverhältnis zu ihren Lernprozessen. Diese Wechselwirkung beinhaltet, dass Bildung die Gesundheit und das Wohlbefinden beeinflusst und anderseits Gesundheit und Wohlbefinden für die Bildungs- und Lernprozesse bedeutsam sind. Dabei werden Gesundheit und Bildung als aktive, konstruktive und dynamische Prozesse verstanden. Es ist wichtig, gesundes Aufwachsen zu fördern, damit Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestärkt werden und Kompetenzen erwerben, die sie für zukünftige Belastungen und Anforderung wappnen (Paulus 2010, S. 37 ff.).

Um Wohlbefinden zu ermöglichen, bedarf es eines wertschätzenden, vorurteilsfreien Umgangs, des Gefühls von Sicherheit, sozialer Integrität, erlebter Partizipation und Mitbestimmung sowie der Möglichkeit, im Ganztag bedeutsame soziale Beziehungen zu gestalten – zu Kindern ebenso wie zu den Erwachsenen. Für alle Bildungsorte gilt dabei, dass Lernen umso besser gelingt, je höher die Interaktionsqualität zwischen Lehrenden und Lernenden ist (Köller et al. 2019, S. 46). Kinder müssen dabei Selbstwirksamkeit erfahren und die Möglichkeit haben, sich an der Planung und Durchführung der ganztägigen Angebote aktiv zu beteiligen und ihr Wissen einzubringen. Dazu gehören vor allem auch Angebote, die von den Kindern selbst gestaltet und durchgeführt werden.

Die Interessen und Bedürfnisse der Kinder müssen bei der Entwicklung der ganztägigen Konzepte im Fokus stehen. Dabei ist die Entwicklung der Lernkultur in Richtung eines individualisierten, fächerübergreifenden und projektorientierten Lernens ein zentrales Anliegen und auch ein Beitrag zu mehr demokratischer Teilhabe. Die Kooperation als konstitutives Element der ganztägigen Bildung wird in der Forschung als eines der herausfordernden Qualitätselemente beschrieben (GTS-Bilanz 2021). Dabei stellt gerade der unterschiedliche Blick der Professionen auf das Kind das besondere Potenzial für die Qualität der pädagogischen Arbeit im Ganztag dar.

Produktiv wird die Zusammenarbeit der Bildungspartner und Angebote, wenn sich die Erwachsenen über die Interessen, Fähigkeiten und Talente des einzelnen Kindes austauschen, sich in ihrer Arbeit mit den jungen Menschen ergänzen, abstimmen und damit gemeinsam an deren Förderung arbeiten. Voraussetzung dafür sind gegenseitige Kenntnis und vor allem Anerkennung der Bildungsleistungen der Partner:innen. Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Pädagog:innen aus Schule und Kindertageseinrichtung sowie weiteren Kooperationspartner:innen ist dafür unabdingbar: Sie reicht vom gegenseitigen Kennenlernen bis zur gemeinsamen Planung, Gestaltung und Auswertung der Ganztagskonzepte.

Erst wenn die pädagogischen Ziele und ihre arbeitsteilige Umsetzung miteinander erörtert und abgestimmt werden, wenn Lehrkräfte, Erzieher:innen und weitere Partner:innen im Gespräch sind über die Interessen, Fähigkeiten und Entwicklungspotenziale der einzelnen Kinder, werden die Chancen genutzt, die der gemeinsame Blick auf die Kinder ermöglicht. Eine mit diesem Anspruch umgesetzte Kooperation hat insbesondere Auswirkungen auf die gemeinsame Arbeitskultur, aber auch auf das Lernen an sich. Die Arbeits- und Kommunikationskultur an ganztägigen Lernorten erfährt durch die multiprofessionelle Zusammenarbeit eine grundlegende Veränderung. Diese Veränderung erfordert in der Anfangsphase viel Kraft und Zeit, langfristig betrachtet erweist sie sich aber als Gewinn für die Kinder wie auch die beteiligten Erwachsenen. Für Kinder ist die Unterstützung durch Erwachsene, zu denen sie Vertrauen haben, eine Grundlage für gesundes Aufwachsen und ein Faktor für Resilienz.

Kinder im Grundschulalter wachsen, entwickeln sich, und ihre Bedürfnisse ändern sich. Je älter die Kinder werden, umso zielgerichteter werden ihre Interessen. Oft reichen dann die Angebote des Ganztags nicht mehr, um selbstständig etwas Wichtiges und Sinnvolles zu tun, in speziellen Gebieten Wissen und Können zu erwerben, ernsthaft Sport zu treiben, sich für eine gute Sache zu engagieren und eigenen Fragen auf den Grund zu gehen. Dahinter steht das altersgerechte Bedürfnis, in Kontakt mit der Welt „außerhalb“ der Institutionen zu treten und von anderen Menschen Neues zu lernen. Die Angebote der Erwachsenen in Schule und Hort werden dann häufig nicht mehr angenommen. Trotzdem bleiben Lehrkräfte, Erzieher:innen und Eltern in dieser Lebensphase die Menschen, die Kindern am nächsten stehen und ihnen Halt, Geborgenheit und Orientierung geben (Enderlein 2001).

Wenn sich alle Erwachsenen in Schule, Hort, Elternhaus, bei den Trägern der Einrichtungen und in der Bildungsverwaltung an der Frage „Wie muss der Bildungsort sein, damit er den Kindern gerecht wird?“ orientieren, kann ein Paradigmenwechsel erfolgen und eine Pädagogik umgesetzt werden, die sich am Wohl und der Gesundheit aller Kinder orientiert.

Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit

Zu den beunruhigenden Befunden der neueren Bildungsforschung gehört die Erkenntnis, dass es in Deutschland einen sehr großen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem individuellen Bildungserfolg gibt. Eine ungünstige soziale Ausgangslage, zu der unter anderem materielle Armut, Arbeitslosigkeit und ein geringes Bildungsniveau der Eltern gehören, korreliert statistisch auffällig oft mit Misserfolgserlebnissen in der Schule. Zugleich gehören diese Kinder auffällig häufiger zu den Betroffenen von Ausgrenzung und Mobbing – aus ihrer Gruppe stammen signifikant mehr Opfer und Täter:innen (vgl. LBS-Kinderbarometer 2020; BELLA-Studie 2017).

Mit der Schaffung von Ganztagsangeboten verbindet sich die Hoffnung, dass insbesondere vulnerable Kinder profitieren können. In der klassischen Unterrichtsschule geraten ungünstige soziale Voraussetzungen und problematische Prozesse selten in den Blick der Lehrer:innen, und häufig werden sie nur als Störvariablen des Unterrichtsgeschehens wahrgenommen. Während in den meisten Familien Kinder um ihrer selbst willen angenommen werden, haben diese Kinder in einer Bildungsinstitution erhebliche Anpassungsleistungen zu erbringen, die für viele von ihnen anstrengend sind und bei benachteiligten Kindern oft zu Misserfolgserlebnissen führen. In einem guten Ganztagsangebot für alle Großen Kinder steckt demgegenüber die Chance, individuell passende Bildungsunterstützung zu gewähren, sodass der mit der deutschen Grundschule verbundene Anspruch, eine gemeinsame Schule für alle Kinder der Bevölkerung zu sein, besser eingelöst werden kann (vgl. Ramseger, Preissing & Pesch 2009, S. 33 ff.).

Kinderrechte

Kinder haben nicht nur Bedürfnisse, sondern sie sind auch Träger eigener Rechte. Diese Rechte müssen von ihnen nicht verdient oder erworben werden, sondern sie stehen ihnen von Geburt an zu – unabhängig von Alter, Geschlecht, Sprache, Religion, Hautfarbe und anderen Merkmalen. Da Kinder besonders verletzlich sind, benötigen sie einen besonderen Menschenrechtsschutz. Kinderrechte sind die auf Kinder bezogenen Menschenrechte. Die Kinderrechte sind in der UN-Kinderrechtskonvention verankert, die ohne Einschränkung für jedes in Deutschland lebende Kind (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres) gilt.

Ein qualitativ guter Ganztag muss sich daran messen lassen, inwieweit er dazu beiträgt, die Rechte von Kindern zu verwirklichen. Dabei geht es nicht nur um das in Artikel 28 UN-Kinderrechtskonvention enthaltene Recht auf Bildung, sondern um die Realisierung aller Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte. Ziel muss es sein, sämtliche Angebote und Konzepte im Ganztag an den Rechten der Kinder zu orientieren und bei den Fachkräften eine kinderrechtsbasierte Haltung zu fördern.

Zu den Schutzrechten gehören unter anderem das Recht auf Schutz vor allen Formen von Gewalt und sexuellem Missbrauch, das Recht auf Schutz der Privatsphäre und das Recht auf Schutz vor schädigenden Einflüssen von Medien. Wichtige Förderrechte sind neben dem Recht auf Bildung das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Versammlungsfreiheit, die Rechte auf Gesundheitsförderung und Förderung von Kindern mit Behinderungen und das Recht auf Ruhe, Freizeit, Spiel, Erholung und freie künstlerische Betätigung. Schließlich gehören zu den Partizipationsrechten das Recht auf Berücksichtigung der Meinung des Kindes, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie auf Informationsbeschaffung und Informationsweitergabe sowie das Recht auf Zugang zu Materialen aus einer Vielfalt nationaler und internationaler Quellen.

In Artikel 29 UN-Kinderrechtskonvention sind die Ziele von Bildung niedergelegt, die weit über kognitiven Wissenserwerb hinausreichen und sich auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung beziehen. Die „Bildung des Kindes muss darauf gerichtet sein,

• die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen;

• dem Kind Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten und den in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Grundsätzen zu vermitteln;

• dem Kind Achtung vor seinen Eltern, seiner kulturellen Identität, seiner Sprache und seinen kulturellen Werten, den nationalen Werten des Landes, in dem es lebt, und gegebenenfalls des Landes, aus dem es stammt, sowie vor anderen Kulturen als der eigenen zu vermitteln;

• das Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Verständigung, des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie zu Ureinwohnern vorzubereiten;

• dem Kind Achtung vor der natürlichen Umwelt zu vermitteln.“

Wenn Disziplinarmaßnahmen erforderlich sind, so muss gemäß Artikel 28 Absatz 2 UN-Kinderrechtskonvention sichergestellt sein, „dass die Disziplin in der Schule in einer Weise gewahrt wird, die der Menschenwürde des Kindes entspricht und im Einklang mit diesem Übereinkommen steht“.

Besonders wichtig für die Wahrung der Kinderrechte ist der in Artikel 3 Absatz 1 UN-Kinderrechtskonvention niedergelegte Vorrang des Kindeswohls. Demzufolge muss „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen […], das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt [sein], der vorrangig zu berücksichtigen ist“. Bei der Bestimmung der besten Interessen des Kindes (Kindeswohl) besteht ein enger Zusammenhang mit der in Artikel 12 UN-Kinderrechtskonvention enthaltenen Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswillens. Das Kindeswohl kann nicht festgestellt werden, ohne die Sichtweise des Kindes selbst reife- und altersangemessen zu berücksichtigen.

Von großer Bedeutung ist auch das in Artikel 42 UN-Kinderrechtskonvention enthaltene Recht jedes Kindes, seine Rechte zu kennen. Die Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, die Kinderrechte „durch geeignete und wirksame Maßnahmen bei Erwachsenen und auch bei Kindern allgemein bekannt zu machen“.

Ein Ganztag, der sich an den Kinderrechten orientiert, sollte Menschen- und Kinderrechtsbildung auf mehreren Ebenen angehen. Zuallererst müssen die Fachkräfte Vorbild hinsichtlich der Kinderrechte sein. Denn Kinder achten die Rechte anderer nur unter der Voraussetzung, dass sie selbst mit ihren Rechten wahrgenommen und respektvoll behandelt werden.

Weiterhin geht es darum, die Kinder- und Menschenrechte als curricularen Bestandteil der Bildungsangebote im Ganztag zu etablieren. Schließlich müssen die Kinder demokratische Verhaltensweisen einüben können. Hierzu braucht es eine Verankerung der Kinderrechte in den Leitbildern, Ganztagskonzepten und Schulverfassungen sowie die Förderung einer demokratischen Schulkultur. Insgesamt sind die Orientierung an den Kinderrechten und die Umsetzung des Kinderrechtsansatzes zentrale Bausteine guter Ganztagsqualität und ein wichtiger Beitrag zu einer wertebasierten Pädagogik.

Integriertes Bildungsverständnis

Einhergehend mit den sozialen und ökonomischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte hat sich der Bildungsauftrag der öffentlichen Schule, insbesondere aber der Grundschule deutlich erweitert. Die Gesellschaft erwartet, dass die moderne Schule die Kinder auf eine sich in permanentem Wandel befindliche Realität vorbereitet und ihnen Kompetenzen vermittelt, die zur Behauptung in einer digitalisierten Dienstleistungsgesellschaft unverzichtbar sind. Vor allem die Grundschule soll zugleich Erziehungs- und Betreuungsaufgaben übernehmen, die früher in erster Linie der Familie und den familienergänzenden Horten im System der Kinder- und Jugendhilfe zukamen.

In dem Maße, in dem Schule und Kinder- und Jugendhilfe solche Aufgaben in einem ganztägigen Zeitrahmen übernehmen, muss vor allem die Schule nicht nur ihr Selbstverständnis, sondern müssen auch ihre Zielbestimmungen, ihre Arbeitsroutinen, der Umgang mit Raum, Zeit und Personal und ihr Verhältnis zum Kind neu bestimmt werden. Aber auch die Kinder- und Jugendhilfe wird sich in einem integrierten Ganztag weiterentwickeln müssen.

Für einige dieser Veränderungen gibt es bereits verbindliche Formulierungen. So heißt es in einem Papier der Kultusministerkonferenz: „Die Trias von Bildung, Erziehung und Betreuung am Lern- und Lebensort Ganztagsschule ist länderübergreifend Leitlinie für die Ausgestaltung des Ganztagsangebots … Der erweiterte Zeitrahmen eröffnet die Möglichkeiten eines breit gefächerten Angebots für die Schülerschaft. Damit einher geht ein organisatorischer Umbau der Schulen. Innerhalb der Schule sind die Organisation des Schulalltags und die Taktung des Unterrichts bei der Umsetzung des Ganztagsschulkonzepts von zentraler Bedeutung für den Erfolg“ (Ganztagsschulen in Deutschland, Bericht der Kultusministerkonferenz vom 03.12.2015).

Für das pädagogische Geschehen in der Schule gibt es eine Reihe von verbindlichen Zielmarken, wie sie in den Schulgesetzen formuliert sind. Es bleibt lohnend, sich im Zusammenhang mit konzeptionellen Weiterentwicklungen auf diese Dokumente zu beziehen; sie weisen in ihren grundsätzlichen Ausführungen bereits weit über die traditionellen Ziele einer bloßen Unterrichtschule hinaus. Doch mit dem größeren inhaltlichen, zeitlichen und organisatorischen Umfang der Aufgaben ergeben sich erweiterte Herausforderungen, die erst auf der Grundlage eines integrierten Bildungsverständnisses adäquat gestaltet werden können.

Der Ganztag muss prinzipiell als Lern- und Lebensort verstanden und so konzipiert werden, dass sich die Kinder und auch die Erwachsenen(!) dort viele Stunden lang wohlfühlen und produktiv miteinander leben, arbeiten und lernen können. Die bloße Verlängerung des Unterrichts mit nachmittäglichen Kursangeboten in Form einer Kindervolkshochschule wird dem ebenso wenig gerecht wie ein rein additives Angebot von traditioneller Halbtagsschule und einer Freizeitgestaltung am Nachmittag. Denn dann bliebe die Schule im Kern unverändert, die die Kinder bisher „gleichermaßen als einen Grenzen setzenden Ort (erfahren), der nicht vorrangig auf Bedürfnisse wie Eigenständigkeit, Autonomie und Freiheit Rücksicht nimmt und der ihnen meist wenige selbst gestaltbare Räume ermöglicht“ (15. Kinder- und Jugendbericht 2017, S. 349).

Damit gerät eine Dimension in den Blick, die weit über eine bloße „Aufenthaltsqualität“ hinausgeht. Die ganztägige Institution ist darauf angewiesen, dass sie eine für die Persönlichkeitsentwicklung förderliche Einrichtung ist. Disziplinen wie Schulforschung, Motivationspsychologie und Hirnforschung bestätigen die pädagogische Erfahrung, dass schulisches Wohlbefinden, Motivation und Schulerfolg bei den meisten Kindern eng zusammenhängen. Lernprozesse sollten nach Möglichkeit mit positiven sozialen Erfahrungen verbunden sein, damit sie nachhaltig sind und Lust machen auf neue Lernerfahrungen. Lernen als Aktivität muss sich gerade in seinen Anfängen als lohnend und erfüllend zeigen, denn die frühen Lernerfahrungen sind prägend für die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Voraussetzung dafür ist, dass die psychologischen Grundbedürfnisse des Menschen erfüllt werden: das Erleben von Selbststeuerung und Selbstbestimmung, von sozialer Verbundenheit und von Kompetenz und Selbstwirksamkeit (vgl. Pesch & Radisch 2020).

Inklusive Ganztägige Bildung

Bildung ist weit mehr als der Erwerb von Wissen und das Aneignen von Fähigkeiten. Es geht vor allem darum, Kinder dabei zu unterstützen, zu aktiven Gestaltern ihres Lebens zu werden. Dafür braucht es Bildungsorte, die die Talente, Interessen und Fähigkeiten jedes einzelnen Kindes wertschätzen und ihre Selbstwirksamkeitserfahrungen stärken. Kinder werden dabei unterstützt, ihr Leben aktiv zu gestalten und ihre Bedürfnisse nach Anerkennung und Wohlbefinden zu befriedigen (Largo 2020).

Dieses Verständnis von Inklusion und die Verpflichtung, die Fähigkeiten aller Kinder mit ihren unterschiedlichsten Voraussetzungen bestmöglich zu fördern, findet sich in Artikel 29 der UN Kinderrechtskonvention. Dort heißt es: „Die Vertragsstaaten stimmen darin überein, dass die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muss, die Persönlichkeit, die Begabung und die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Kindes, voll zur Entfaltung zu bringen.“

Jedes Kind soll gefördert und dabei unterstützt werden, eine selbstbewusste, neugierige Persönlichkeit zu werden, die motiviert ist, die vor ihr liegende Zukunft aktiv zu gestalten. Dafür gibt es im Ganztag besondere Chancen durch die Bereitstellung von vielfältigen Bildungsangeboten entsprechend der unterschiedlichen Voraussetzungen und Entwicklungsbedürfnisse der Kinder. Ein multiprofessionelles Team von Erwachsenen, das aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Bedürfnisse der Kinder wahrnehmen und darauf bezogen angemessene pädagogische Angebote unterbreiten kann, gibt den Unterstützungsrahmen. Grundlegend ist dafür eine Kultur des Miteinanders, die Unterschiedlichkeit wertschätzt und anerkennt (Köller et al. 2019, S. 360 ff.).

Ein Ganztag, der viele Lerngelegenheiten im Bereich Sprache ermöglicht, könnte zum Beispiel mit einer Erzähl- oder Leseversammlung beginnen. Bücher werden dafür von den Kindern in der Bibliothek ausgeliehen und auf vielfältige Art und Weise vorgestellt – durch Erzählen, Vorlesen, Bilder oder pantomimische Gesten. Erzählen, Besprechen, Vorlesen und Schreiben sind im weiteren Tagesverlauf nicht nur auf den Unterricht beschränkt. Ein großer Teil des Lernens wird von den Kindern dann zumeist gar nicht als Unterricht wahrgenommen. Soziale Kompetenzen werden quasi nebenbei erworben: Man hört aufeinander, lässt einander ausreden, redet freundlich und achtsam miteinander und hilft sich gegenseitig. Eine solche Bildungseinrichtung muss dafür vorbereitete Lernumgebungen zur Verfügung stellen, mit anregendem Material, einladenden Räumen, Werkstätten und Büchern. Für die Kinder muss durch differenziertes Material ein hohes Maß an Selbstständigkeit ermöglicht werden (von der Groeben und Kaiser 2016, S. 140).

In einer inklusiven ganztägigen Bildungseinrichtung braucht es Neugier auf Veränderung, Alle pädagogischen Fachkräfte und Kooperationspartner:innen müssen Vielfalt wertschätzen – bei Kindern und Erwachsenen – und ein breites Angebot individueller Lerngelegenheiten bereitstellen. Dabei kommt informellen und nonformalen Lerngelegenheiten im Ganztag eine besondere Bedeutung zu, denn Kinder möchten ihre Bedürfnisse nach Eigenständigkeit, Bewegung, Rückzug, Geselligkeit und Wissensaneignung erfüllen. Insbesondere muss die Frage im Vordergrund stehen: „Wie gelingt es der Bildungseinrichtung, auf die Bedürfnisse aller Kinder einzugehen?“

Literatur

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-rechtsanspruch-ganztagsbetreuung-grundschulen-178966 (letzter Zugriff: 04.04.2023).

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2020): Kindertagesbetreuung Kompakt, Ausbaustand und Bedarf. Berlin.

BELLA-Studie (2017): www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/ConceptsMethods/JoHM_02S3_2017_BELLA.html (letzter Zugriff: 25.03.2023).

DIPF (2021): GTS-Bilanz, Qualität für den Ganztag. Weiterentwicklungsperspektiven aus 15 Jahren Ganztagsschulforschung. Frankfurt a. M.

Enderlein, O. (2001): Große Kinder; Die aufregenden Jahre zwischen 7 und 13. München.

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QUAD (2021): Wissenschaftsgeleiteter Qualitätsdialog zum Ganztag. Projektleitung S. Kielblock & K. Maaz; 6 Themenhefte. Frankfurt a. M.

„Am liebsten treffe ich mich mit meinen Freundinnen“Die Bedeutung der Gleichaltrigen

Ludger Pesch

Schon in der Verbindung der Worte „Schule“ und „Kindheit“ zu „Schulkindheit“ zeigt sich, welche große Rolle wir der Schule zur Charakterisierung dieses Lebensalters zubilligen. Sicherlich ist die Schule ein wichtiger Faktor kindlicher Entwicklung. Hier kann systematisch untersucht und geforscht werden, wie die Welt funktioniert und was sie zusammenhält. Den eigentlichen Motor der Entwicklungsimpulse im Lebensalter von etwa sechs bis dreizehn Jahren sehen viele Forscher:innen jedoch im sozialen Leben der Kinder, in der Dynamik unter Gleichaltrigen.