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Seitenzahl: 140
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Vom alten Schloßturm schlug es Mitternacht. Im Ballsaal von Dunvegan Castle brach die Musik im selben Moment mit einem schrillen Mißton ab. Das Licht flackerte und erlosch. Angst und Entsetzen breiteten sich unter den Gästen aus. Alle starrten wie gebannt nach draußen, wo ein grelles Licht über dem Meer erschien, als sei mitten in der Nacht eine gleißende Sonne aufgegangen. Ein unheimliches Rauschen erfüllte die Luft. Und plötzlich flogen die Flügeltüren zur Terrasse auf. Im Lichtschein näherte sich ein Rappe in raschem Galopp dem Schloß.
Der Reiter trug ein feuerrotes Cape und einen breitkrempigen schwarzen Hut. Eine schwarze Maske verdeckte sein Gesicht.
»Heiliger Himmel! Der Geisterreiter!« rief Lady Burnsfield. Dann sank sie ohnmächtig zu Boden.
Lady Burnsfield war die älteste unter den Ballgästen, und man sagte ihr nach, sie habe Verbindung zu den Geistern ihrer verstorbenen Ahnen.
Bisher hatte man die Geschichten, die hinter vorgehaltener Hand über sie verbreitet wurden, nur amüsiert belächelt. In dieser Nacht jedoch, in der sich auf Schloß Dunvegan etwas so Außergewöhnliches ereignete, erhielt all das, was Lady Burnsfield betraf, eine besondere Bedeutung.
Jeder hier im Festsaal konnte erleben, daß es zwischen Himmel und Erde Dinge gab, die sich mit dem normalen Menschenverstand nicht erklären ließen.
Schreiend und kreischend wichen die Ballgäste vor dem heranpreschenden Reiter zurück, suchten Schutz hinter den Säulen oder begannen aus dem Saal zu fliehen.
Nur Rebecca, die schöne junge Tochter des Schloßherrn, schien sich nicht zu fürchten. Sie blieb mitten im Saal stehen und blickte dem Reiter lächelnd entgegen.
Sie trug ein reich mit Spitzen besetztes Abendkleid mit blaßroter Seide. Ihr langes schwarzes Haar fiel in weichen Locken bis in den Nacken. Ihre Wangen schimmerten rosig, und ihre Augen strahlten, als spiegele sich Glück in ihnen wider.
Lord Dunvegan entdeckte voller Entsetzen, daß seine Tochter mitten im Saal stehengeblieben war.
»Rebecca«, rief er. »Rebecca, komm hierher!« Doch seine Stimme ging unter in dem Schreien und Kreischen um ihn her. Er wollte auf Rebecca zulaufen und sie zurückziehen, doch seine Füße gehorchten ihm nicht. Er konnte sie nicht von der Stelle bewegen.
Auch Lord Geoffrey of Barrenshire bemühte sich vergebens, Rebecca zu erreichen und sie in Sicherheit zu bringen. Er hätte jederzeit und ohne zu überlegen sein Leben für die schöne Rebecca eingesetzt, denn er liebte sie mit der ganzen Glut seiner jungen Jahre und begehrte sie zu seiner Frau. Aber es gelang ihm nicht, auch nur einen einzigen Schritt in jene Richtung zu machen, in der Rebecca stand.
Der Rappe preschte durch die hohe Flügeltür in den Ballsaal, und sekundenlang sah es aus, als würde er das schöne junge Mädchen niederrennen. Doch kaum einen Meter von Rebecca entfernt blieb er stehen. Der Geisterreiter schwang sich aus dem. Sattel und trat auf Rebecca zu.
Das aufgeregte und angstvolle Schreien und Kreischen der Ballgäste verstummte zu lähmendem Entsetzen.
Was würde mit der Tochter des Schloßherrn geschehen?
Warum fürchtete sie sich nicht wie alle anderen hier im Saal?
Hatte der Geisterreiter sie verhext?
Rebecca war wie in Trance versunken. Ihr Blick begegnete dem des seltsamen Besuchers. Sie streckte ihm mit herzlicher Gebärde beide Hände entgegen und lächelte zu ihm auf. Es war ein verklärtes Lächeln, das ihr eine überirdische Schönheit verlieh.
Der Fremde nahm ihre Hände und beugte sich tief darüber. Er sagte kein Wort. Es war so, als seien zwischen ihm und Rebecca alle Worte überflüssig.
Er hob den Kopf, schnippte mit den Fingern, und vor den Augen der reglos verharrenden Ballgäste zerfloß der Rappe zu einer schwarzen, schimmernden Marmorfläche.
Der Fremde schnippte wieder, und diesmal bewegten sich zwei Hände, die in weißen Handschuhen steckten, durch die Luft und nahmen das rotseidene Cape von seinen Schultern. Sie trugen es bis in die Nähe der Terrassentür und hielten es, als gehörten die Hände einem unsichtbaren Diener.
Der Fremde schnippte zum dritten Mal mit den Fingern. Eine Geige begann zu spielen, ein Cello setzte ein, und ein Klavier folgte. Himmlische Musik erfüllte den Raum, obgleich man weder die Instrumente noch die Musiker sehen konnte.
Der Reiter forderte Rebecca mit einer Verbeugung zum Tanz auf. Sie lächelte und ließ geschehen, daß er den Arm um ihre schmale Taille legte und ihre Hand ergriff. Sie begannen zu tanzen.
Rebecca war es, als schwebe sie. Ein nie gekanntes Glücksgefühl erfüllte sie. Sie war wie verzaubert, und sie wünschte sich, daß dieser Tanz niemals enden würde.
*
Lord Geoffrey stand neben einer der dicken Säulen, die die gewölbte Decke des Ballsaales trugen.
Er ließ keinen Blick von Rebecca. Eifersucht loderte in seiner Brust, und sein Herz brannte. Er hätte sich am liebsten auf das tanzende Paar gestürzt und Rebecca den Armen des Fremden entrissen. Doch er war wie gelähmt – wie von einem bösen Zauber versteinert.
Und so erging es auch den anderen Gästen im Saal.
Lord Dunvegan bangte um seine Tochter. Welches Schicksal mochte ihr beschieden sein? Was würde der Geisterreiter mit ihr tun? Vielleicht würde er sie entführen?
Warum geschah all dies Unerklärliche? Es hatte sich bis zu diesem Abend nie etwas Absonderliches auf Dunvegan Castle ereignet.
Seit vielen Generationen war sich das Leben auf dem Schloß der alten schottischen Adelsfamilie gleichgeblieben. Die Schloßchronik berichtete von Hochzeiten und Geburten, von Unglücksfällen und vom Tod der Schloßbewohner. Aber kein Chronist hatte jemals über eine unerklärliche Spukerscheinung berichtet.
Wenn Dunvegan Castle nicht nur in Schottland bekannt war, dann deshalb, weil man den weiblichen Mitgliedern dieses alten Adelsgeschlechtes immer besondere Schönheit und Faszination nachgesagt hatte.
So hatte sich auch die Kunde von Rebeccas Schönheit über das Land verbreitet, und Lord Geoffrey hatte in London davon gehört. Als man ihm die Fotografie des Mädchens zeigte, verliebte er sich so unsterblich in dieses Antlitz, daß er Tag und Nacht daran denken mußte und beschloß, in den Norden zu reisen, um Rebecca kennenzulernen.
Er teilte Lord Dunvegan seine Absicht mit und wurde in aller Form eingeladen, einen Besuch auf Schloß Dunvegan zu machen. Und ihm zu Ehren fand dieser Ball statt.
Geoffrey war der achtzehnte Lord von Barrenshire. Er besaß ein beachtliches Vermögen, ein Palais in London und ein schloßähnliches Landhaus in Wales. Im Hafen von Boumemouth lag seine weiße Motoryacht, luxuriös ausgestattet. Und für eilige Reisen verfügte der junge Lord über eine Privatmaschine.
Für Lord Dunvegan waren diese Fakten Grund genug, die Werbung des jungen Lords um seine einzige Tochter zu unterstützen.
Rebecca selbst stand dem jungen Mann, der in so leidenschaftlicher Liebe zu ihr entbrannt war, eher zurückhaltend gegenüber. Zwar empfing sie den Gast ihres Vaters freundlich. Doch machte sie keinen Hehl daraus, daß sie seine Leidenschaft nicht erwiderte.
Lord Geoffrey respektierte dies, aber er dachte gar nicht daran aufzugeben. Seit er sie gesehen, in ihre Augen geschaut und ihre Stimme gehört hatte, war er mehr noch als zuvor entschlossen, Rebecca als seine Gemahlin heimzuführen. Sie und keine andere sollte Lady Barrenshire werden!
Er hatte seine ganze Hoffnung auf diesen Ball gesetzt und war überzeugt gewesen, der schönen Rebecca in so stimmungsvoller Atmosphäre näherzukommen. Noch vor wenigen Minuten hatte es ganz so ausgesehen, als würden sich seine Erwartungen erfüllen. Aber dann geschah das Ungewöhnliche – Unerklärliche – Übersinnliche, das ihn von Rebeccas Seite riß und seine Hoffnungen jäh zunichte machte.
Er mußte, wie in einem unsichtbaren Käfig gefangen gehalten, neben der Säule stehen und ansehen, wie der unheimliche Fremde das geliebte Mädchen in den Armen hielt und einen Ausdruck auf ihr Antlitz zauberte, wie er selbst ihn niemals bei ihr gesehen hatte.
Nicht nur Lord Geoffrey beobachtete, was mit Rebecca geschah. Nicht nur er erkannte, daß es dem Geisterreiter gelungen war, etwas in Rebeccas Herzen zu entfachen. Auch Lady Burnsfield, die inzwischen wieder zu sich gekommen war, erfaßte, was vorging. Sie bekreuzigte sich hastig, faltete die Hände und murmelte ein Gebet, mit dem sie den Himmel um Schutz für sich, für Rebecca und für alle, die in diesem Festsaal das gespenstische Geschehen miterleben mußten, anflehte.
*
Rebecca war der Welt entrückt. Sie hatte alles um sich her vergessen. Die Musik durchdrang sie wie ein süßes Gift und veränderte ihr Fühlen und Denken. Sie spürte den Boden unter ihren Füßen nicht mehr. Es war, als würde sie vom Arm ihres Tänzers über den spiegelnden schwarzen Marmor getragen.
Sie fragte nicht nach seinem Namen, nicht, woher er gekommen war und wohin er gehen würde. Sie hatte nicht einmal das Verlangen, hinter seine schwarze Maske zu schauen, um sein Gesicht zu sehen. Sie war auf eine nie geahnte Weise glücklich und wünschte nur eines: Der Tanz sollte nie zu Ende gehen.
Aber die Musik verstummte, und der Tanz war vorüber, ehe Rebecca es gedacht. Sie hatte jeden Begriff für Zeit verloren und hätte nicht zu sagen vermocht, ob eine Minute oder eine Stunde vergangen war, seit der Geisterreiter sie in seinem Arm hielt.
»Bleiben Sie!« flüsterte sie erschrocken. »Bitte bleiben Sie! Gehen Sie nicht wieder fort!«
In den Augen des Geisterreiters leuchtete es auf. Er preßte sie an sich – so fest, daß sie kaum noch zu atmen vermochte.
»Rebecca!« seufzte er. »Oh, Rebecca!«
Ihr schwanden für Sekunden die Sinne. Ihr Kopf sank an seine Schulter, und sie schloß die Augen.
Im selben Moment erklang vom alten Schloßturm der erste Glockenschlag, der die erste volle Stunde des Tages verkündete.
Eine Stunde nach Mitternacht!
Dieser Glockenschlag zerriß Rebeccas Traum. Sie fühlte sich von groben Händen unsanft bei den Schultern gefaßt und zurückgestoßen. Als sie erschrocken die Augen öffnete, schwebten die weißen Handschuhe, die noch immer das rote Seidencape des fremden Reiters hielten, heran und hüllten ihn darin ein.
Rebecca hatte durch den heftigen Stoß das Gleichgewicht verloren. Sie taumelte und sank in die Knie. Fassungslos beobachtete sie, was geschah.
Mit dem zweiten Glockenschlag, der vom alten Schloßturm herüberklang, verwandelte sich der schwarze Marmor wieder in einen Rappen. Er blähte die Nüstern voller Ungeduld und stampfte mit den Hufen, als wollte er seinen Reiter zur Eile antreiben.
Noch einmal streckte der Geisterreiter die Hände nach Rebecca aus. Doch konnte er sie schon nicht mehr erreichen.
Der dritte Glockenschlag ertönte. Der Fremde schwang sich in den Sattel und wendete sein Pferd. Ein Blick noch traf Rebecca. Dann gab er dem Rappen die Sporen und jagte aus dem Saal.
Beim vierten Glockenschlag hatte er den Ballsaal verlassen und erreichte den Lichtstrahl, auf dem er hergekommen war. Er ritt so schnell, daß das seidene Cape wieder hinter ihm herflatterte.
Nach den vier Schlägen, die die volle Stunde verkündeten, folgte ein tiefer, dumpfer Schlag, und mit ihm erlosch das rätselhafte grelle Licht, das weit draußen über dem Meer wie eine fremde Sonne geleuchtet hatte.
Die Geisterstunde war vorüber.
Sekundenlang war es so finster, daß man nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Dann flackerte in den kristallenen Lüstern das Licht wieder auf. In den Gesichtern der Festgäste spiegelten sich Angst und Schrecken wider. Das Entsetzen wich nur allmählich, aber die allgemeine Verwirrung blieb. Erregte Stimmen schwirrten durcheinander, doch seltsamerweise erwähnte niemand den Geisterreiter.
Man sprach von Stromausfall, von unglaublicher Schwüle, die nun bald durch ein Gewitter beendet werden müsse. Man fand, es sei sehr spät geworden und Zeit, an den Aufbruch zu denken. In Wirklichkeit aber versuchte jeder auf seine Weise eine Erklärung für seine Flucht aus dem Ballsaal zu finden. Niemand wollte an diesem Ort verweilen, weil alle befürchteten, der Spuk könne sich wiederholen.
Rebecca kniete fassungslos mitten im Saal und versuchte zu begreifen, was mit ihr geschehen war.
Ich muß zu ihm, dachte sie. Ich darf ihn nicht wieder verlieren! Sie streckte die Hände aus, als wollte sie den Reiter zurückhalten. Sie erhob sich, und wie unter einem Zwang setzten sich ihre Füße in Bewegung unsicher zuerst, doch mit jedem Schritt schien sie ihrer Sache sicherer zu werden. Sie lief auf die Terrassentür zu.
Lord Dunvegan hatte seine Tochter nicht aus den Augen gelassen. Er ahnte ihre Absicht.
»Rebecca!« rief er voller Entsetzen. »Rebecca, komm zurück!« Er stürzte ihr nach und erreichte sie, als sie die Brüstung der Terrasse erklimmen wollte. Er faßte nach ihrem Handgelenk und riß sie zurück.
»Rebecca! Kind! Was wolltest du tun?« stöhnte er und preßte sie an sich. Er erschauerte. Er hätte nur einen Augenblick später kommen und sie verfehlen können. Rebecca hätte sich zu Tode gestürzt. Dunvegan Castle war auf einem Felsen erbaut, und jenseits der steinernen Brüstung gähnte ein Abgrund.
»Ich muß zu ihm!« flüsterte Rebecca mit zitternden Lippen und versuchte, sich aus der Umarmung ihres Vaters zu befreien. »Ich muß zu ihm! Laß mich!«
Lord Dunvegan hielt sie nur noch fester.
»Es war ein Spuk!« ächzte er. »Vergiß, was du gesehen hast. Es ist nicht wirklich geschehen! – Und jetzt ist alles vorüber – vorbei, als wäre es niemals passiert!«
Rebecca hörte nicht auf seine Worte.
»Ich muß zu ihm! Ich muß zu ihm!« schluchzte sie. Dann brach sie ohnmächtig zusammen.
Lord Dunvegan fing sie auf und hob sie auf seine Arme. Als er sich umwandte, stand Lord Geoffrey auf der Terrasse.
»Ist sie verletzt?« fragte er gepreßt.
»Glücklicherweise nicht«, antwortete Lord Dunvegan. »Sie ist nur ohnmächtig. Ich werde sie nach oben bringen. Ihre Kammerfrau wird sich ihrer annehmen.«
*
Lord Geoffrey war allein auf der Terrasse zurückgeblieben. Er wandte sich gen Westen, und sein Blick ging bis weit hinaus aufs Meer. Es lag ruhig und friedlich da, wie in den vergangenen Tagen und Nächten, und nichts erinnerte daran, daß von dort etwas so Unheimliches gekommen war.
Irgendwie war das wie ein Alptraum! dachte der junge Lord. Es war gespenstisch. Und wenn ich dieses Erlebnis in London schildern würde, würde mir niemand glauben, und man würde mich entweder für einen Lügner oder für verrückt halten. Am besten ist es, ich schweige darüber.
Ähnlich dachten auch die übrigen Gäste. Zwar hatten alle gesehen, daß der Geisterreiter auf unerklärliche Weise in den Ballsaal gekommen war. Sie hatten die Musik vernommen, die von unsichtbaren Musikern gespielt wurde. Sie hatten beobachten können, daß der Rappe, der den seltsamen Reiter trug, unter seiner Fingerbewegung zerfloß und zu einer Marmorfläche wurde. Aber keiner von ihnen hätte den Mut aufgebracht, sich zu diesen Erlebnissen zu bekennen.
Man befürchtete, ausgelacht zu werden, und schwieg lieber. Bis zu diesem Abend war jeder der hier anwesenden Ballgäste davon überzeugt gewesen, daß Geister und Fabelwesen nur in der Phantasie der alten Lady Burnsfield existierten. Aber auch Lady Burnsfield war völlig verunsichert, wenn auch aus einem anderen Grund.
Sie kannte sich mit Geistern und fremden Mächten aus. Sie hatte in so mancher Seance Kontakt mit Verstorbenen aufgenommen. Sie besaß außerdem die Gabe, manche Dinge vorauszusehen. Da sie seit frühester Jugend an solche Erlebnisse gewöhnt war, hatte sie sich nie vor einer Erscheinung gefürchtet.
Mit dem Geisterreiter war das jedoch anders!
Als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ihre Großmutter ihr vom Schicksal des Geisterreiters erzählt. Sie fand seine Geschichte so spannend und zugleich so traurig, daß sie sie immer wieder hören wollte. Allerdings hatte sie damals nicht ahnen können, daß es sich nicht um ein Märchen handelte, sondern daß es den Geisterreiter wirklich gab. Sie hatte nie daran gedacht, daß sie ihm eines Tages begegnen würde.
Alle siebenmal dreizehn Jahre, so hatte ihre Großmutter damals erzählt, erhielt der Geisterreiter die Macht, sich den Menschen zu zeigen, damit er eine Frau suchen konnte, deren selbstlose Liebe ihn von seinem Schicksal erlösen würde. Aber nur wenn ihre Liebe so groß sein würde, daß sie bereit war, ihm ihr Leben zu opfern, konnte der Fluch von ihm genommen werden, und er endlich Ruhe finden.
Da der Geisterreiter in Dunvegan Castle erschienen war und mit der jungen schönen Rebecca getanzt hatte, war anzunehmen, daß er sich die Erlösung diesmal von ihr erhoffte. War es da verwunderlich, daß Lady Burnsfield angesichts des Geisterreiters in Ohnmacht sank? Sie war die einzige, die wußte, welches Schicksal Rebecca bevorstand.
Ihre erste Reaktion war die der anderen Gäste: Fort! Nur fort von hier!
Doch als sie Lord Dunvegan erblickte, der seine ohnmächtige Tochter auf den Armen trug, zögerte sie. Vielleicht war sie der einzige Mensch, der Rebecca vor einem grausamen Schicksal bewahren konnte?
Sie ließ ihre Blicke durch die Halle schweifen und suchte Lord Geoffrey.
Es war ihr nicht entgangen, wie verliebt dieser junge Mann Rebecca angesehen hatte. Und munkelte man nicht, er sei eigens ihretwegen von London hergereist, um sie kennenzulernen und ihre Liebe zu gewinnen?
Mit ihm zusammen könnte es mir gelingen, Rebecca vor dem Opfertod zu bewahren, dachte sie. Wenn seine Liebe groß genug und er bereit ist, sich furchtlos für sie einzusetzen.
Sie kehrte in den Ballsaal zurück und sah durch die geöffnete Terrassentür Lord Geoffrey draußen stehen – allein! Er schien völlig in Gedanken versunken zu sein, denn er hörte nicht, daß sie sich näherte.
»Lord Geoffrey?« Lady Burnsfield blieb unter der Terrassentür stehen.
Geoffrey schreckte auf und drehte sich zu ihr herum. »Lady Burnsfield?« murmelte er tonlos. In seinen Augen spiegelte sich wider, was er dachte.
Sie lächelte matt und kam langsam näher.