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In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Der Jäger trug ein einfaches Gewand aus gegerbtem Fell. Auf dem Rücken hing sich ein ledernes Futteral, in dem ein Bogen und mehrere Pfeile mit Steinspitzen steckten. Hinter dem breiten Gürtel befanden sich eine Steinaxt, sowie ein Elfenbein-Messer, dessen Klinge aus dem Splitter eines Mammut-Stoßzahns geschliffen worden war. Der Jäger stützte sich auf einen Speer und blickte sich aufmerksam um. Er spürte, daß er nicht allein war. Ein lautes, raubtierhaftes Brüllen ließ den einsamen Jäger aufblicken. Er faßte den Wurfspeer mit der Spitze aus geschliffenem Stein fester. Der Wind, der von Norden her über die nahen Berge pfiff war eisig. Der Jäger stand bis zu den Knien im Schnee, der ihm langsam in die Bärenfellstiefel hineinkroch. Sehr vorsichtig stapfte der Jäger dann weiter vorwärts. Wieder ertönte ein lautes Brüllen. Der Uksaki! ging es dem Jäger schaudernd durch den Kopf. Er muß ganz in der Nähe sein! Der Jäger durchquerte ein kleines Waldstück. Hohe Bäume mit enorm dicken Stämmen standen hier. Hin und wieder brach einer der oberen Äste unter der zentnerschweren Schneelast. Und dann fand der Jäger die frischen Spuren im Schnee. Ungläubig starrte er auf den Boden, beugte sich nieder und berührte vorsichtig mit der Hand die Abdrücke, so als könnte er ihnen dadurch zusätzliche Informationen entnehmen. Sein Gesicht veränderte sich. Seine Nasenflügel bebten. In seinen dunklen Augen flackerte es. Tigerspuren, die aus dem Nichts zu kommen schienen! ging es ihm fröstelnd durch den Kopf. Als ob eine dieser majestätischen Raubkatzen einfach aus dem Nichts heraus in den Schnee gesprungen war, um dann ihren Weg fortzusetzen. Ein Weg, der nirgendwo
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Seitenzahl: 129
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Der Jäger trug ein einfaches Gewand aus gegerbtem Fell. Auf dem Rücken hing sich ein ledernes Futteral, in dem ein Bogen und mehrere Pfeile mit Steinspitzen steckten. Hinter dem breiten Gürtel befanden sich eine Steinaxt, sowie ein Elfenbein-Messer, dessen Klinge aus dem Splitter eines Mammut-Stoßzahns geschliffen worden war.
Der Jäger stützte sich auf einen Speer und blickte sich aufmerksam um.
Er spürte, daß er nicht allein war.
Ein lautes, raubtierhaftes Brüllen ließ den einsamen Jäger aufblicken. Er faßte den Wurfspeer mit der Spitze aus geschliffenem Stein fester. Der Wind, der von Norden her über die nahen Berge pfiff war eisig.
Der Jäger stand bis zu den Knien im Schnee, der ihm langsam in die Bärenfellstiefel hineinkroch.
Sehr vorsichtig stapfte der Jäger dann weiter vorwärts.
Wieder ertönte ein lautes Brüllen.
Der Uksaki! ging es dem Jäger schaudernd durch den Kopf. Er muß ganz in der Nähe sein!
Der Jäger durchquerte ein kleines Waldstück. Hohe Bäume mit enorm dicken Stämmen standen hier. Hin und wieder brach einer der oberen Äste unter der zentnerschweren Schneelast.
Und dann fand der Jäger die frischen Spuren im Schnee.
Ungläubig starrte er auf den Boden, beugte sich nieder und berührte vorsichtig mit der Hand die Abdrücke, so als könnte er ihnen dadurch zusätzliche Informationen entnehmen. Sein Gesicht veränderte sich. Seine Nasenflügel bebten. In seinen dunklen Augen flackerte es.
Tigerspuren, die aus dem Nichts zu kommen schienen! ging es ihm fröstelnd durch den Kopf. Als ob eine dieser majestätischen Raubkatzen einfach aus dem Nichts heraus in den Schnee gesprungen war, um dann ihren Weg fortzusetzen. Ein Weg, der nirgendwo einen Beginn hatte und ebenso plötzlich wieder im Nichts enden konnte…
Der Jäger hatte so etwas schon erlebt.
Ein Uksaki! durchschoß es ihn voller Ehrfurcht. Ein Geister-Tiger…
Das laute Brüllen einer Raubkatze ließ ihn zusammenzucken.
Es klang wie aus der Kehle von einem Dutzend Tigern.
Und das aus nächste Nähe!
Aber nirgends war eine dieser großen Katzen zu sehen. Keine Bewegung, kein Augenpaar, das den einsamen Jäger gierig musterte, kein Zähnefletschen mörderischer Fänge…
Deine Waffen werden dir kaum helfen können! wurde ihm klar.
Und doch faßte er den Speer mit beiden Händen, die scharfe Spitze nach vorn gerichtet.
Du bist nahe am Ziel! Kein Krieger hat es bisher gewagt, einem Uksaki zu folgen…
Niemand hat bisher ihr Geheimnis enträtseln können…
Ich, Maguan vom Stamm der Kedvoi, werde der erste sein!
Seit vielen Monden schon war er immer wieder ihren Spuren gefolgt. Und jetzt schien er dem Ziel so nah wie nie zuvor zu sein…
Wieder ließ ihn das Brüllen von Dutzenden dieser seltsamen Geschöpfe zusammenzucken. Geschöpfe, die zweifellos die Kräfte von Göttern besaßen.
Die Uksaki werden meinen Mut anerkennen! dachte Maguan. Und ich werde sie um Jagdglück für den Stamm der Kedvoi bitten…
Der einsame Jäger folgte der Spur, kämpfte sich durch widriges Unterholz hindurch und betete dafür, daß diese Spur nicht aufhören möge…
Wie so oft schon!
Maguans Pulsschlag raste. Aufmerksam beobachtete er seine Umgebung nach jedem Anzeichen, daß ihm einen Hinweis geben konnte.
Einige Augenblicke lang war es völlig still. So verdächtig still, daß einem Mann wie Maguan das nicht gefallen konnte. Kein Laut. Nichts…
So als würde alles Leben diesen Ort melden!
Und das wahrscheinlich mit einem guten Grund.
Maguan atmete tief durch.
Nein, er würde die Furcht nicht siegen lassen! Nicht so kurz vor dem Ziel! Hier ganz in der Nähe mußten sie sein, die Geister-Tiger. Die mächtigen Uksaki, die den Kedvoi vielleicht helfen konnten.
Maguan verlor das Gefühl für Zeit.
Er folgte der Spur bis zu einer schroff aufragenden Felswand, in der sich ein dunkles Loch befand. Der Eingang zu einer Höhle. Maguan schauderte unwillkürlich bei dem Anblick dieser Dunkelheit, in der er die Tigerspuren verschwinden sah.
Und er scheute davor zurück, weiterzugehen.
Wenn sie nicht gewollt hätten, daß du diesen Ort erreichst, wärst du jetzt nicht hier! rief er sich ins Bewußtsein. Er war davon überzeugt, daß die Uksaki ihn diese Höhle mit Absicht hatten finden lassen…
Anders war es für ihn nicht erklärlich.
Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Kein Laut entstand dabei.
Vielleicht ist sie dies – die legendäre Höhle der Uksaki, von der die Geschichten der Alten berichten…
Unschlüssig darüber, was er jetzt tun sollte, stand Maguan da und starrte in die Finsternis, die sich vor ihm wie ein dunkler Abgrund in die Unendlichkeit öffnete.
Ein dumpfes Geräusch ließ den Jäger zusammenzucken.
Es klang wie ein Knurren, verfremdet durch den Hall, wie er in einem Höhlengewölbe herrschen mußte.
Lautlos glitten die Fellstiefel des Jägers über den festgefrorenen Schnee.
Und dann sah er auf einmal ein Licht.
Ein flackernder Schein drang aus der Höhle heraus, wie von einem wärmenden Feuer.
Maguan nahm all seinen Mut zusammen und betrat die Höhle. Einen schmalen hohen Gang ging er entlang, der in einem großen hallenartigen Höhlengewölbe endete.
In der Mitte dieses Raumes befand sich ein großer Felsblock, dessen Form entfernt an die eines Quaders erinnerte. Auf diesem Felsblock befand sich eine schalenförmige Vertiefung, in der ein Feuer brannte.
Aber was für ein Feuer!
Grüne kalte Flammen loderten empor und tauchten das gesamte Gewölbe in ein eigenartiges gedämpftes Licht. Dutzende von bizarren Schattengebilden tanzten an den Felswänden und den glatten Tropfsteinsäulen. Eine feuchte Kühle herrschte hier. Eine Kälte, die durch Mark und Bein ging und mit nichts zu vergleichen war, was der Jäger zuvor draußen in der Wildnis erlebt hatte. Nicht einmal in eisigsten, sternklaren Nächten unter freiem Himmel.
Die Kälte des Todes!
Maguan runzelte die Stirn.
Um den großen Felsblock herum, aus dem das seltsame Feuer herauszulodern schien, waren Berge von…
Knochen!
Schädel, Gerippe, Schenkelknochen in den verschiedensten Größen. Manche halb zu Staub verfallen, andere wie frisch abgenagt.
Die Gebeine von Hunderten von Tigern waren in dieser Höhle aufgehäuft. Im grünlich schimmernden Schein des kalten Feuers wirkten die augenlosen Schädel geisterhaft. Ihre leeren Blicke und das Grinsen ihrer zahnbewehrten Knochenmäuler ließen Maguan erschauern.
Der Jäger trat näher.
Er registrierte den feinen weißen Staub unter seinen Fellstiefeln.
Dieser Staub…
Zerfallene Gebeine…
Hin und wieder kam noch ein kleines Stück dessen zum Vorschein, was diese Abermillionen von Staubkörnchen einst geformt hatten. Ein Stück eines Tigerzahns oder einer der vielen kleinen Knochen, die den mächtigen Pranken dieser majestätischen Raubkatze ihre Stabilität gaben.
Ein schabendes Geräusch ließ Maguan erstarren.
Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen.
In den gewaltigen Knochenbergen um den zentralen Felsblock mit der Flamme herum bewegte sich etwas…
Ein Tigerschädel glitt empor, schob Dutzende von anderen Knochenteilen zur Seite und setzte sich dann an die Spitze eines noch recht vollständigen Torsos, der aus Rippen, Schultern und Rückgrat bestand. Wie durch eine unsichtbare magische Hand bewegt, fügten sich andere Teile aus diesem Gebeinhaufen zusammen. Beine, Pranken…
Das Maul des Knochen-Tigers, der jetzt oben auf den Gebeinen seiner Artgenossen thronte, öffnete sich, und ein markerschütterndes Brüllen ließ den Boden zu Maguans Füßen erzittern.
Im selben Moment ging eine Wandlung mit dem Knochen-Tiger vor sich.
Innerhalb eines einzigen Augenblicks bekam er Fleisch, ein Fell und ein paar Augen, die wie glühende Kohlen wirkten. Zunächst wirkte dies alles seltsam durchscheinend, aber innerhalb kürzester Zeit gewann es Substanz, so daß schließlich ein Tiger auf dem Knochenhaufen thronte, der so lebendig wirkte wie jedes andere Exemplar dieser Katzenart, dem Maguan bereits begegnet war.
Unwillkürlich wich Maguan zurück.
Er taumelte fast.
Der Tiger riß das Maul auf.
»Bleib!« rief eine Stimme. Sie schien aus Maguans Kopf zu kommen. Der Jäger war verwirrt, denn es stand für ihn fest, daß die ihm gegenüberstehende Raubkatze dafür verantwortlich war.
»Bleib!« sagte die Gedankenstimme erneut.
Maguan atmete tief durch.
»Uksaki!« stieß er dann mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen hervor.
*
Wir warteten schon eine halbe Stunde vor der verwinkelten Villa des kürzlich unter mysteriösen Umständen verstorbenen Sir Malcolm Thornhill. Eigentlich hatten wir einen Termin mit der Witwe des Verstorbenen, aber leider ging niemand an die Tür.
Es war ein kalter, regennasser Tag. So grau und farblos, wie man ihn in London erwarten kann. Ich rieb mir die Hände und hatte mich gegen Tom gelehnt, der seinen Arm um meine Schulter gelegt hatte.
Tom Hamilton lächelte mich an.
Der Blick seiner grüngrauen Augen ging mir durch und durch. Er gab mir einen Kuß. Zärtlich berührten sich unsere Lippen, und ein prickelndes Gefühl durchflutete meinen gesamten Körper.
»Na, ist dir jetzt etwas wärmer?« fragte er.
»Besser als jede Standheizung!« erwiderte ich und zog ihn noch einmal zu mir, um meine Lippen auf die seinen zu pressen.
Tom strich mir zärtlich über das Gesicht und befreite es von einigen vorwitzigen Strähnen, die sich aus meiner Frisur herausgestohlen hatten. Dann blickte er kurz auf die Uhr an seinem Handgelenk und meinte: »Glaubst du, es lohnt sich noch, auf Mrs. Thornhill zu warten…«
»Meinst du nicht, wir sollten ihr noch ein bißchen Zeit geben?«
»Ich weiß nicht. Irgendwo habe ich das Gefühl, als hätte sie uns versetzt, Patricia!«
»Also, ich halte die Warterei noch ein bißchen länger aus…« Und während ich das sagte, nestelte ich am Kragen seiner Jacke herum und strich ihm zärtlich über das Kinn. Schließlich setzte ich noch hinzu: »Außerdem gibt es doch weitaus ungemütlichere Orte, an denen wir diesen Nachmittag verbringen könnten…«
Er hob die Augenbrauen. »Damit meinst du nicht zufälligerweise das Redaktionsbüro der LONDON EXPRESS NEWS?«
»Wer weiß, Tom! Wer weiß…«
Tom Hamilton und ich waren beide als Reporter bei diesem Londoner Boulevard-Blatt angestellt. Und im Moment hatte uns unser Chefredakteur Michael T. Swann auf einen äußerst mysteriösen Todesfall angesetzt. Vielleicht eine Riesenstory, so hatte er gemeint. Ein Knüller – und den brauchten wir nach einigen Wochen Saure-Gurken-Zeit mal wieder. Bizarr war die Geschichte auf jeden Fall.
Sir Malcolm Thornhill war nach Ermittlungen von Scotland Yard nämlich keineswegs eines natürlichen Todes gestorben. Aber um einen gewöhnlichen Mordfall schien es sich auch nicht zu handeln. Man hatte nämlich festgestellt, daß Sir Malcolm von der Pranke eines Tigers erschlagen worden war…
Nur gab es zum Zeitpunkt seines Todes im weiten Umkreis kein freilaufendes Exemplar dieser Gattung. Zumindest nicht, soweit den Behörden bekannt war. In sämtlichen Zoos hatte man natürlich nachgeforscht, ob einer der dortigen Tiger vielleicht entflohen war. Dasselbe galt für die wenigen privaten Besitzer solcher Raubkatzen.
Das Ergebnis ging gegen null.
Der Tod von Sir Malcolm blieb ein Rätsel, und Scotland Yard steckte ganz offensichtlich in einer Sackgasse.
Gerüchte, Sir Malcolm sei irgendwie in den Handel mit verbotenen Tier- und Knochenpräparaten von Großkatzen verwickelt, machten die Runde. Scotland Yard vermutete den Racheakt irgendeiner mafiaähnlichen Organisation, die auf diesem Gebiet war…
Andererseits sprachen die gerichtsmedizinischen Erkenntnisse dagegen.
Danach war Sir Malcolm nämlich mit einer Wucht erschlagen worden, die kein noch so durchtrainierter Mensch erzeugen konnte. Und auch auf Grund anderer, am Tatort gefundener Spuren glaubte man erwiesen zu haben, daß wirklich eine Raubkatze der Täter war – und Sir Malcolm nicht etwa mit dem Schlag einer präparierten Tigerpranke ins Jenseits befördert worden war.
Die Tatsache, daß Sir Malcolm okkultistisch interessiert gewesen war und auf diesem Gebiet offenbar zahlreiche Selbstversuche durchgeführt hatte, heizte die Spekulationen nur noch mehr an.
Ein mysteriöser Fall, der auf herkömmliche Weise kaum zu klären schien. Und damit fiel er genau in den Bereich, den ich als mein Spezialgebiet betrachtete.
Auf einmal ließ Tom Hamilton mich los.
Er beugte sich nach vorne.
»Was ist los?« fragte ich verwirrt.
»Das gemütliche Warten hat ein Ende!« meinte er und deutete in Richtung des Bürgersteig auf der anderen Straßenseite. Soeben war dort ein Taxi vorgefahren. Eine vornehm gekleidete Dame in den mittleren Jahren war ausgestiegen. Der dunkle Schleier verdeckte ihr Gesicht.
Keiner von uns war Mrs. Thornhill zuvor schon einmal begegnet. Ich hatte zwar bereits kurz mit ihr gesprochen, aber dies war nur telefonisch geschehen. Allerdings gehörte wenig Fantasie dazu, um sich zusammenzureimen, daß die Dame in schwarz niemand anders als jene Witwe war, mit der wir vor etwas mehr als einer halben Stunde verabredet gewesen waren.
Tom riß die Wagentür auf.
Ein Schwall naßkalter Luft kam herein.
»Los!« rief er und zog dabei die Kamera auf, die ihm um den Hals baumelte.
*
»Mrs. Thornhill? Ich bin Patricia Vanhelsing von den LONDON EXPRESS NEWS. Dies ist mein Kollege Tom Hamilton…«
Die Dame in Schwarz sah uns einen Augenblick skeptisch an, dann atmete sie tief durch und meinte schließlich: »Es tut mir leid, Miss Vanhelsing, ich bin aufgehalten worden und…«
»Das macht doch nichts!«
»… und ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee war, mich mit Ihnen zu verabreden.«
»Sie wollen doch, daß der Tod Ihres Mannes wirklich aufgeklärt wird…«
»Natürlich!«
»Und Sie sind doch – genau wie ich – der Überzeugung, daß Scotland Yard in der Sache nicht weiterkommt!«
Sie seufzte hörbar.
Dann nickte sie.
Ich sah sie ernst an. Dann fragte ich: »Wer hat Ihnen gesagt, daß Sie sich nicht mit uns treffen sollen?«
»Niemand, ich…« Sie schluckte und brach ab. Durch ihren Schleier hindurch konnte ich einen Augenblick lang den flackernden Blick ihrer hellblauen Augen sehen. Darin lag Trauer und Verstörung. Nach dem schrecklichen Tod ihres Mannes war das nur zu verständlich. Aber da war auch noch etwas anderes…
Furcht!
Wovor mochte sie nur Angst haben. Oder vor wem?
»Ihr Mann – Sir Malcolm – hat eine Zeitlang mit meiner Großtante Elizabeth Vanhelsing einen Briefwechsel gepflegt«, sagte ich dann. »Ich weiß nicht, ob Sie davon wissen, aber…«
»Oh, davon weiß ich sehr wohl«, erwiderte Mrs. Thornhill.
»Malcolm war stark an allem interessiert, was mit Okkultismus und außerordentlicher Wahrnehmung zu tun hatte. Eigentlich war er ja Ethnologe, aber das Interesse am Okkultismus überlagerte schließlich sogar sein Interesse an fremden Völkern und Kulturen. Er schrieb sich mit Ihrer Tante, weil er sie als eine der wichtigsten Autoritäten auf diesem Gebiet ansah… Und Sie scheinen ebenfalls ein gewisses Interesse am Ungewöhnlichen zu hegen, Miss Vanhelsing!«
»Ich schreibe hin und wieder darüber, Mrs. Thornhill. Und meine Großtante – Tante Lizzy, wie ich sie nenne – unterstützt mich oft bei Recherchen.«
»Oh, dann sehen Sie sie öfter!«
»Ich wohne bei ihr.«
»Wir sind uns anläßlich eines Wohltätigkeitsdiners begegnet, zu dem der Prince of Wales verdiente Persönlichkeiten geladen hatte… Von ihrem Mann gibt es noch immer keinerlei Nachricht, nicht wahr?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Frederik Vanhelsing ist verschollen. Er gilt offiziell als tot.«
Sie sah mich nachdenklich an.
Das Eis – das vor ein paar Augenblicken aus irgendwelchen Gründen zwischen uns gestanden zu haben schien – war jetzt offenbar gebrochen.
»Kommen Sie, ich werde versuchen, Ihnen eine Tasse Tee zu machen, die genießbar ist. Mein Hausmädchen hat leider heute seinen freien Tag…«
Dann faßte sie mich plötzlich am Unterarm.
Sie schluckte.
Es schien ihr schwer zu fallen weiterzusprechen. Verzweifelt suchte sie nach den richtigen Worten.
»Miss Vanhelsing«, brachte sie dann heraus.
»Ich hoffe, daß Sie mein Vertrauen nicht mißbrauchen und das Andenken meines Mannes in den Schmutz ziehen…«
»Nein, natürlich nicht.«
»Ganz gleich, was jetzt auch über ihn geredet werden mag – er war ein guter Mensch. Und ich war glücklich mit ihm. Viele lange Jahre…«
*
Mrs. Thornhill führte uns in ihre Villa, die mich etwas an das ebenfalls sehr verwinkelte Anwesen meiner Großtante Elizabeth Vanhelsing erinnerte. Die Einrichtung wirkte sehr gediegen und konservativ. Der Boden war mit kostbarem Parkett ausgelegt, das Mobiliar entsprach dem Stil der Jahrhuntertwende und bestand aus erlesenen Antiquitäten. Lange Reihen von kostbaren, in Goldleinen gefaßten Büchern verbreiteten eine Atmosphäre von gemütlicher Kultiviertheit und Bildung.
Malcolm Thornhill hatte eine Karriere als anerkannter Wissenschaftler und Lehrstuhlinhaber im Bereich der Ethnologie vorzuweisen, ehe er sich nach seiner Emeritierung dem Okkultismus und den Grenzwissenschaften mit derselben, an Besessenheit grenzenden Energie, zugewandt hatte.
»Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte Mrs. Thornhill freundlich.