GaYme Changer - Jens Schadendorf - E-Book

GaYme Changer E-Book

Jens Schadendorf

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Beschreibung

Die lange ausgegrenzte LGBT+-Community verändert die Wirtschaft rasant und zum Besseren, ökonomisch wie sozial. Auch gegen Widerstände lohnt es, Schwule, Lesben & Co. in Unternehmen zu dynamischen GaYme Changern werden zu lassen – mit starken Anführern, Vorbildern und Verbündeten, mit innovativen Maßnahmen und Kooperationen. Das ist Jens Schadendorfs Botschaft. Er hat der wachsenden Zahl der GaYme Changer auf vier Kontinenten nachgespürt und eine kleine Revolution entdeckt: in Gesprächen mit Vorständen, Aktivisten, Netzwerkern, Managern und Diversity-Experten – in Konzernen, Anwaltskanzleien, NGOs, Stiftungen, Verbänden, Unis oder UN.

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Jens Schadendorf

GaYme Changer

Für Karsten

Für Jan Philipp, Theresa, Saskia und Maximilian Für Sebastian, Nicola, Alexander, Marie und Anja Für Maximilian und Chloé

Für meine Eltern †

Jens Schadendorf

GAYME CHANGER

WIE EINE DYNAMISCHE MINDERHEIT DIE GLOBALE WIRTSCHAFT VERÄNDERT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Der Autor spendet sein Buchhonorar vollständig. Es geht je zur Hälfte an die Prout at Work-Foundation und an die Charta der Vielfalt e.V.

Der Autor dankt Allianz Global Investors für die besondere Unterstützung bei der Buchrecherche.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2019

© 2019 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Christiane Otto, München

Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München

Umschlagabbildung: shutterstock/Semmick Photo

Satz: Satzwerk Huber, Germering

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-86881-736-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-087-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-088-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Anstatt einer Einleitung Die GaYme Changer sind los. Wie eine dynamische Minderheit die globale Wirtschaft verändert

TEIL I Barilla, ein Pasta-Schlachtfeld und eine globale Wende

1. Es beginnt alles ganz harmlos

2. »Wir« gegen »die«

3. Zwölf Nudelmarken, die »nicht vor den Kopf gestoßen haben«

#boycottbarilla

Kampfplatz 20

4. Umsteuern

Schock auf der Autofahrt

Gefahren für den Ruf

Eine Reise beginnt

5. Dazulernen (1): Tyler Clementi und gefährdete Kinder

Tod eines Studenten …

… und wie seine Eltern damit umgehen

6. Dazulernen (2): Italienische Verhältnisse

Bescheidene Fortschritte

Das Katholische, die Moral und das Geschäft: Auch Dolce & Gabbana

Schwieriges Umfeld selbst für veränderungsbereite Unternehmen

Hilfe von Parks und Ivan Scalfarotto

7. Dazulernen (3): GLAAD, die Medien und ein neues Skript

8. Dazulernen (4): David Mixner – ein Treffen in Manhattan

9. Worte und Taten

Konkrete Maßnahmen: Intern …

… und extern

10. Vom Saulus zum Paulus: Vor den Augen der Welt

»Unwiderlegbar« und »umfassend«

11. »Vor fünf Jahren war das nicht der Fall«

»Dumm und rückwärtsgewandt«

12. Spiegel des Wandels: Andere Werte, andere Preise, andere Entscheidungen

13. Abkehr von Milton Friedman, die wiederentdeckte Unternehmensverantwortung und der soziale Zweck

Klaus Schwab und »unwissende Marionetten«

Wachsende Kritik und dann Schwenk – vor allem bei den Jüngeren

CSR und Blackrocks Forderung: »Leiste einen Beitrag«

Steigender Druck auf »Imagepolierer« – …

… und auf »Pinkwasher«

Nachklapp in New York

Antonio Zappulla, die Thomson Reuters-Stiftung und Openly

Barillas Engagement: Ohne Einmischung, mit Resonanz …

… und mit globalem Fokus

Nicht das erste Mal: Nähe zu den Vereinten Nationen

14. Ein neues Versprechen und seine Glaubwürdigkeit – nach innen, nach außen und immer wieder

15. Nach Deutschland: Mit Starthilfe durch die Stiftung Prout at Work

Erste Anlaufstelle

Entstehung und Gründung

Ebenfalls ein Spiegel

16. Anruf von Freunden aus Mailand

Fortschritte auch in Italien

Europäische Vernetzung

17. Ein Kennenlernen in Köln und dann mehr

Zivilgesellschaft und Business

Deutschland-Chef an Bord – und Verpflichtung

Konkretisierung

Der Blick geht weiter – auch nach Frankreich

18. »Denken wir an einen Reisenden, der einen falschen Weg wählt«

Katalysator des Wandels

Zwei Frauen auf einer Schachtel

TEIL II Davoser Impuls, Versteckspiele und eine ökonomische Botschaft, die bis heute wirkt

1. Frühstück bei Microsoft

Inspiration im Schnee, Einfluss und Netzwerke

Eigentlich am Rand und doch doch historisch

Prall gefüllt

Trotz Widerstand des »offiziellen« Weltwirtschaftsforums

Vor allem Aktivisten

Paul Singer: Inspiration und Antrieb

Unerwartete Fürsprecher – und eine Zäsur

2. Courage eines Wirtschaftsjournalisten

3. Gefallener BP-Chef: Scham und Schock

Mediales Spektakel

Deutungshoheit

4. Das Anliegen des Lords: Wirtschaftlicher Nutzen

5. Topunterstützung für einen Autor und sein Buch: Beispiellose Wirkung

Im Jahr zuvor noch undenkbar

Statements trotz möglicher Nachteile

6. Gay Business Bosses: Auf Sendung

7. Ein mutiger Einschnitt – und drei Begründungen

8. In einem Paket: Gleiche Rechte und Chancen und das Leistungsprinzip

9. Nicht mehr zweimal denken: Gesünder, produktiver, wirtschaftlicher

Verschwendete Energie

Coming-out der Jungen im Vergleich – und deutsche Befunde

10. Wachsender Druck auf die Unternehmen durch Millennials und Generation Z

Es werden deutlich mehr: 20 Prozent!

Starker Zuwachs bei von der Mehrheit abweichenden sexuellen Orientierungen

Große Sprünge auch bei von der Mehrheit abweichenden Gender-Identitäten

Veränderte Selbstbeschreibungen

Öffentliche Diskussionen

»Sexuelle Zwischenstufen«: Auf den Spuren von Magnus Hirschfeld – und Erwin Haeberle

Botschaft an die Wirtschaft: Bewegt euch!

Gewünscht: Soziale Verantwortung kombiniert mit Diversität und Inklusion

Generation Z überholt Y

Bundesstaaten reagieren bereits …

… und auch United Airlines: »Fly how you identify«

Fließende Identitäten: Sam Smith und Coming-outs in Serie

Gezielte Unterstützung – auch durch das Trevor Project

Mehr als Barilla: Schnell sein für den Wettbewerbsvorteil

»Unternehmen bereiten sich auf eine nicht-binäre Welt vor«: Baker McKenzie, …

… Netflix und seine Stars, …

… Universitäten und Accenture …

… und Out & Equal

Mehrheit der Jungen: Hohes Produktivitätspotenzial in der Masse

Zarte Facetten in Deutschland

11. »Volle Führungskraft« (1): Holger Reuschling von der Commerzbank – ein langer Weg

»Irgendwann ging es nicht mehr«

Der »beste Kumpel«, Begegnungen in der Stadt und das gemeinsame Haus

Vertrauen wächst und vereinfacht …

… – wenn es nicht zerstört wird

Risiken versus Nutzen

Inspiriert durch Thomas Hitzlsperger

Unterstützt durch das Unternehmensnetzwerk

In einer Managerrunde

Ein Fest – dann durchstarten

Auch andere (1): Matthias Webers Seminar …

… mit weitreichenden Folgen …

… auch mit Frustrationen …

… und mit frischen Chancen

Auch andere (2): Fabienne Stordiaus persönliches Unternehmertum …

… auch bei einer neuen Handelskammer

12. »Volle Führungskraft« (2): Holger Reuschlings neues Engagement

Eine Reise …

… beginnt am Lützowplatz

Weiter mit Stuart Cameron

Harvey Milk und Sticks & Stones: Inspiration, Bühne und Wachstum

Der Rahm auf der Milch

Hundert Gäste im Haus

Harter Wettbewerb, neue Netzwerke und mehr

13. »Volle Führungskraft« (3): Als CEO vom Mann zur Frau, die sie schon immer gewesen ist: Angela Matthes von der Baloise Versicherung

Ein Plan

Unterstützung aus Basel

Parallel: Die Serie Transparent

Lisa Shermans Blick

Echte Geschichten mit echten Menschen

Lange Begleitung

Viele Gespräche

Es lohnt: Produktivitätspotenzial an der Spitze

14. »Volle Führungskraft« (4): Cook, Simões & Co. – mehr Vorbilder und neue Hitlisten

Ein Gottesgeschenk – nicht nur für Apple

Arroganter Machtmissbrauch oder verantwortungsbewusster Bürger-Boss?

Man kann es auch anders sehen

Ein portugiesischer Banker in London und die »persönliche Verpflichtung, sich zu outen«

Outstanding und Financial Times: Rollenmodell-Rankings …

… und begehrte Platzierungen

Ein (Wettbewerbs-)Vorteil? Oder: »Mein Mann wird sich von mir scheiden lassen«

Ein kleiner Spiegelstrich in Davos: »Auf dem Radar der Vorstände«

Von Anfang an mit offenem Visier: Sander van’t Noordende, CEO

Beth Brooke-Marciniak: Spät und dann richtig

Die »It gets better«-Kampagne und eine unerwartete Entscheidung

Vorbilder-Rankings nun auch in Deutschland – …

… mit Anlaufschwierigkeiten

15. Vorteile der Vielfalt (1): Gestützt von der Wissenschaft – bessere Entscheidungen, bessere Innovationen, bessere Ergebnisse

Mehr Studien, mehr Wissen

Die Stellung im sozialen Gefüge und ihre Bedeutung für die Vorteile der Vielfalt

Besondere Herausforderung: Unbewusste Voreingenommenheit

Diversität und Inklusion: Immer zusammen

Die Potenziale der Vielfalt kompakt

Keine Vorteile ohne vielfältiges Personal

LGBT+-Mitarbeiter: Zugehörigkeit, Motivation und offenes Arbeitsklima fördern

Ein paar Beispiele: Aufbruch bei Siemens …

… auch mit Arthur Schmid – bis nach Indien

Nachhaltiger Wandel?

Juergen Maier, »Siemens UK CEO«: Klare Ansagen

Die Welt der Wirtschaftsanwälte: Hogan Lovells – auch in Russland, auch in Spanien

Bertelsmann: Später Start, starke Unterstützung von der Spitze …

… und präsent bei der Queer Media Society

Discovery: Großes Netzwerk, bis nach Tennessee, Südamerika und Polen

Allianz Global Investors: Finanzplatzpräsenz

16. Vorteile der Vielfalt (2): Teil eines globalen Großtrends – Allianzen, Zahlen und die Weltgemeinschaft (der Unternehmen)

Verstärkt im Management-Leitmedium

Wachsende Geschäftschancen

McKinseys »Davos für LGBT+«

Networking und Geschäft

Lawrence Spicer von der Royal Bank of Canada

Zahlen und Zahlendefizite

Open for Business: Mehr Daten und Evidenz

Unterstützung von Business Case, Economic Case & Co.

Aufbruch der UN: Eine beispiellose weltweite Bildungskampagne …

… und die UN-LGBTI-Verhaltensstandards für Unternehmen

Echte Durchbrüche auch in Davos: Schlag auf Schlag, …

… Donnerhall des US-Vizepräsidenten, …

… Forschungspremiere mit drei Modellen und …

… Blog-Explosion – mit einer texanischen Erinnerung

Die neue »Partnerschaft für globale LGBTI-Gleichstellung«

Epilog

Danksagung

Der Autor

Stimmen zum Buch

Glossar

Anmerkungen

Anstatt einer Einleitung: Die GaYme Changer sind los. Wie eine dynamische Minderheit die globale Wirtschaft verändert

Wirtschaft und Gesellschaft wandeln sich rasanter denn je: Sie werden interkultureller, vielfältiger und für manche auch unübersichtlicher. Wie ist damit umzugehen?

Durch die schnellen Veränderungen wachsen nicht nur Risiken. Es entstehen auch laufend neue Chancen: für jeden einzelnen – und auch für Unternehmen. Immer mehr von ihnen reagieren auf die Notwendigkeit, sich zu wandeln, indem sie sich nunmehr auch Minderheiten zuwenden: mit Blick auf aktuelle und künftige Mitarbeiter und Führungskräfte, mit Blick auf Kunden, Geschäftspartner, junge Generationen und die kritischer werdende Öffentlichkeit.1

Eine der in dieser Hinsicht spannendsten Entwicklungen der letzten Jahre betrifft eine lange ausgegrenzte, vielerorts sogar kriminalisierte Gruppe: die LGBT+-Community. Zu ihr gehören Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender sowie Menschen weiterer, von der Mehrheit abweichender sexueller und geschlechtlicher Identitäten.

Fünfzig Jahre nach den Stonewall-Unruhen im Sommer 1969, als von der New Yorker Polizei drangsalierte Mitglieder dieser Gruppe erstmals deutlich sichtbar für ihre Menschen- und Bürgerrechte eingestanden sind, geht von dieser Minderheit eine ungeheure ökonomische und soziale Dynamik aus – unterstützt von international operierenden Unternehmen sowie anderen Akteuren und Entwicklungen aus deren Umfeld.

Man könnte auch sagen: Die GaYme Changer sind los. Wobei das Wort »Gay« im Englischen und auch sonst häufig als Synonym für die gesamte LGBT+-Community verwendet wird.

Wertschätzung und Wertschöpfung statt Ausgrenzung und Produktivitätseinbußen

Mit großem Tempo etabliert sich diese Community als wichtiger Faktor in Unternehmen, Märkten und Volkswirtschaften. Mehr noch: Die Frage ihrer Anerkennung, der Wertschätzung und Offenheit ihr gegenüber ist zu einem der wichtigsten Prüfsteine für lebendige Organisationskulturen, funktionierende Märkte und wachsende Ökonomien geworden.

Denn Unternehmenspraxis und Wissenschaft belegen immer klarer: Die Mitglieder der LGBT+-Community sind, je mehr man ihnen gleiche Rechte und Chancen gewährt, unternehmerische Akteure von Kreativität und Veränderung. Sie werden gebraucht in modernen Gesellschaften, die auf Innovation und Wandlungsfähigkeit existentiell angewiesen sind.

Unternehmen, Regierungen und gesellschaftliche Gruppen, die das nicht verstehen oder akzeptieren wollen, berauben sich wertvoller Ressourcen- und Produktivitätspotentiale. Anzuerkennen und wertzuschätzen, dass die Menschen vielfältig unterschiedlich sind, ist nicht nur human und fair. Es ist auch ökonomisch vernünftig.

Vielfalt und Inklusion: Erfolgsfaktor und Megatrend

Ein wichtiges Konzept ist dabei die Vielfalt. Wird Vielfalt nicht nur anerkannt und wertgeschätzt, sondern auch genutzt, ist das zum Vorteil von Gesellschaft, Volkswirtschaft und Firmen, von Bürgern, Mitarbeitern, Führungskräften und Unternehmern gleichermaßen.

Vielfalt meint dabei: jegliche Vielfalt. Ethische, religiöse, kulturelle, geschlechterbezogene und andere Formen der Vielfalt. Sie meint auch die Diversität sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten.

Das verstehen auch immer mehr Unternehmen rund um den Planeten. Vorreiter sind dabei die Vereinigten Staaten, aber auch Großbritannien und überhaupt der angloamerikanische Raum liberal-westlich geprägter Gesellschaften und globaler Firmen.

Aber auch viele andere Teile der Welt öffnen sich immer stärker für dem Leitgedanken der Wertschätzung und Nutzung von Vielfalt und Inklusion. Eine rasant wachsende Zahl von Unternehmen – und auch anderer Organisationen – managt sie strategisch und systematisch. Auch in Deutschland. Vielfalt und Inklusion und ihr erfolgreiches Management sind im Begriff, zum Megatrend zu werden. Oder sind es bereits.

LGBT+-Inklusion, das bedeutet: Durch die geeigneten Maßnahmen zu gewährleisten, dass alle Menschen den gleichen Schutz, die gleichen Rechte und die gleichen Chancen haben, etwas aus ihrem Leben zu machen. Auch Angehörige sexueller Minderheiten.

Etwas aus seinem Leben zu machen, heißt dabei nicht zuletzt, in einem Unternehmen die Karriere verfolgen zu können. Bis an die Spitze. Als die ganze Person, die jemand ist. Es heißt zugleich, einen Beitrag für das Unternehmen leisten zu können und zu dürfen. Und so auch für die Gesellschaft.

Das erfolgreiche Management von LGBT+-Vielfalt und -Inklusion bedeutet also auch, dass die legitime Forderung nach Schutz, Gerechtigkeit und Fairness einerseits und die nach Leistungsorientierung andererseits nicht gegeneinander in Stellung gebracht werden dürfen.

Das Gegenteil ist richtig: In einer hoch kompetitiven globalen Wirtschaft können und müssen diese Dimensionen überall auf der Welt zusammengedacht werden.

Rasante Entwicklung

Welche Ursachen treiben diese Entwicklung an?

Etwa rasante demografische Veränderungen. Oder die Effekte der Globalisierung, Digitalisierung und Medialisierung. Oder der permanent wachsende Veränderungs- und Innovationsdruck.

Oder der Wertewandel bei den Jüngeren, darunter ihr einschneidend anderer Umgang mit Sexualität und Identität – eine kleine Revolution mit großen Folgen.

Oder ihre veränderte Erwartung gegenüber dem, was Unternehmen leisten sollten – sich nämlich der Gesellschaft gegenüber über das hinaus verantwortlich zu zeigen, was Recht und Gesetz vorschreiben.

Welche Protagonisten – welche GaYme Changer – spielen dabei die zentrale Rolle?

Es sind viele. Nicht nur einzelne LGBT+ auf allen Firmenebenen, sondern auch immer mehr heterosexuelle Verbündete, sogenannte »straight allies«.

Die GaYme Changer sind nicht nur engagierte LGBT+-Mitarbeiternetzwerke, sondern gesamte Unternehmen.

Es sind zudem Plattformen, Kooperationen, Allianzen, Partnerschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und andere Institutionen rund um den Globus, die – bislang vor allem zusammen mit globalen Großunternehmen – mit Ideen, immer mehr Einfluss und Macht auf verbesserte LGBT+-Gleichheit im Job (und in der Gesellschaft) hinarbeiten.

Es sind auch andere Player wie die Medien, die Politik, die Vereinten Nationen oder nun auch – nach langem Zögern – das Weltwirtschaftsforum in Davos, wichtiges Machtzentrum des globalen Business.

Welche Folgen hat diese Entwicklung in einer globalisierten Welt mit ihrer großen Vielfalt an Unternehmen und Persönlichkeiten, mit unterschiedlichen Geschichten, Kulturen, Ethnien und Gesetzen? Leben und Lieben, Arbeiten und Führen, Konsumieren und Investieren in New York, London, Frankfurt oder Berlin ist anders als in Hongkong, Johannesburg oder Rom.

An diese und viele andere Orte bin ich für dieses Buch gereist. Habe viele Einzelinterviews geführt. Recherchiert. Zugehört. Beobachtet.

Habe Vertreter von Accenture, Allianz, Allianz Global Investors, Axel Springer, Baloise, Barilla, Bertelsmann, BCG, BNP Paribas, BP, Commerzbank, Discovery, Deloitte, Deutsche Bank, EY, Freshfields Bruckhaus Deringer, Hogan Lovells, IBM, KPMG, McKinsey, Latham & Watkins, Microsoft, Norton Rose Fulbright, Oliver Wyman, Raiffeisen, Royal Bank of Canada, PwC, Salesforce, SAP, Shell, Siemens, Siemens Healthineers, Societé Générale, Thyssenkrupp, Vodafone und vielen anderen Unternehmen erlebt oder gesprochen.

Vertreter auch von Stiftungen, Verbänden, Handelskammern, Universitäten, NGOs, der UN und weiteren Institutionen.

War auf Konferenzen, Workshops und anderen Events von Unternehmen, manchmal als einziger Externer. Durfte in geschlossenen Gruppen mitverfolgen, was in sozialen Medien gepostet wurde. War bei der UN in Manhattan und im Europäischen Parlament in Brüssel. War Gast bei Kongressen in Wien oder Seattle, wo rund 6.000 Teilnehmer der großen Out & Equal-Konferenz zur LGBT+-Gleichheit am Arbeitsplatz neue Rekorde beschert haben.

Dieses Buch basiert also nicht nur auf aktuellen Forschungsergebnissen zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen. Es dokumentiert außerdem die Erfahrungen von LGBT+-Führungskräften, -Aktivisten und -Mitarbeitern. Auch von heterosexuellen LGBT+-Unterstützern, von denen es immer mehr gibt.

Ein interessantes Ergebnis: Die Zeit um 2014 markiert so etwas wie einen Wendepunkt zu sich schnell verändernden Anstrengungen für mehr LGBT+-Gleichheit in den Unternehmen und der Welt. Viele Indikatoren und Storys belegen das.

Viele Wege und bessere Welt

GaYme Changer zeigt mit seinen Geschichten, Analysen und Hintergründen auch, dass es viele Wege und unterschiedliche Konzepte und Schritte für Unternehmen gibt, um ein integratives, regenbogenfreundliches Umfeld zu schaffen.

Diese Konzepte und Tempi können je nach lokaler Geschichte, Kultur und Rechtsordnung, aber auch je nach lokalem Fortschritt, Hindernissen und Dilemmata unterschiedlich sein.

In diesem Sinne sind die Unternehmen nicht naiv, sondern können intelligent und – auf vielfältige Weise – mehr oder weniger mutig handeln.

In dem Maße, in dem sie mutiger sind, entstehen auch neue inspirierende Einzel- und Netzwerk-Rollenmodelle. Sie inspirieren nicht nur ihre LGBT+-Peers, sondern auch ihre unterstützenden Verbündeten und andere Kollegen, Kunden, Geschäftspartner und viele mehr.

Natürlich gibt es auf der Karte der globalen LGBT+-Rechte und -Realitäten noch viele dunkle »Kontinente«. Und nicht jedes Versprechen, das von Staaten und Gesetzen, Unternehmen und Führungskräften gegeben wird, wird eingehalten. Der Druck auf Politik, Institutionen und auch Unternehmen, der mehr denn je von den jüngeren Generationen ausgeübt wird, bleibt auch deswegen wichtig.

Insgesamt jedoch sind Schwule, Lesben & Co. in wenigen Jahren zu einem wichtigen Erfolgsfaktor in der Weltwirtschaft geworden. Es lohnt sich, sie einzustellen, zu fördern und zu dynamischen GaYme Changern werden zu lassen – mit starken Vorbildern, flexiblen Strategien, handfesten Maßnahmen und innovativen Kooperationen.

Unternehmen, die das tun, werden selbst zu GaYme Changern. Genauso, wie viele andere Institutionen und Organisationen, die sie dabei unterstützen und auf sie einwirken. Sie alle können die Welt damit zu einem besseren Ort machen. Für jeden.

TEIL I

Barilla, ein Pasta-Schlachtfeld und eine globale Wende

1. Es beginnt alles ganz harmlos

Es beginnt alles ganz harmlos. Und eskaliert dann schnell. Damit war nicht zu rechnen. Allerdings auch nicht damit, was im Anschluss geschieht. Doch der Reihe nach.

Ein Spätsommerabend Anfang September 2013. Ziemlich offen gibt Guido Barilla, Chef des altehrwürdigen Nudelkonzerns, dem italienischen Radio 24 in der Sendung La Zanzara ein Interview. Sie ist für ihre Direktheit bekannt, aber es wird niemand genötigt zu sagen, was er nicht sagen will.

Guido Barilla, Jahrgang 1958, in zweiter Ehe verheiratet und Vater von fünf Kindern, erzählt zunächst ausführlich von der langen Firmengeschichte rund um Pasta & Co. Insgesamt eine Erfolgsgeschichte, zweifellos. Denn wer kennt nicht Barilla? Die Marke steht für kulinarische Qualität, Wohlfühlmomente durch italienisches Kochen zu Hause, gesunde mediterrane Küche, gemeinsames Essen mit lieben Menschen am Mittagstisch oder abends.

Und wer kennt nicht Wasa? Auch das Premiumknäckebrot aus Schweden gehört zur Barilla-Gruppe – wie andere angesehene Marken ebenfalls. Ökonomisch gesund ist das Unternehmen noch dazu.

Bis auf eine kurze Zeit in den 1970ern war der rund 150 Jahre alte Konzern mit Sitz in Parma dabei immer in Familienhand. Heute gehören 85 Prozent Guido Barilla und seinen Geschwistern. Die Familie macht nicht viel Aufhebens um ihren Reichtum, sucht nicht das Rampenlicht, kultiviert keine übertriebenen Eitelkeiten in der Öffentlichkeit.

In seinem Interview bei Radio 24 will Guido Barilla offenbar noch mehr sagen, als nur in Nudeln und Saucen zu schwelgen. Und so beantwortet er nicht nur die Frage, warum der Pasta-Primus keine Werbung mit Homosexuellen machen will. Er wählt auch klare Worte zu seinem Verständnis von Familie. Guido Barillas Kernsätze haben es in sich. Und sie lesen sich so:1

Zu den Werten von Barilla:

»Wir haben eine etwas andere Kultur, für uns bleibt die ›heilige Familie‹ einer der Kernwerte des Unternehmens. Unsere Familie ist eine traditionelle Familie.«

Zur Pasta-Werbung und zum Pasta-Essverhalten von Homosexuellen:

»Wenn Homosexuelle unsere Pasta und unsere Werbung mögen, werden sie unsere Pasta essen. Wenn sie sie nicht mögen, essen sie die Pasta eines anderen.«

Zur Werbung mit einer homosexuellen Familie:

»Ich würde keine Werbung mit einer homosexuellen Familie machen. Nicht aus Mangel an Respekt gegenüber Homosexuellen – die das Recht haben, zu tun, was sie wollen, ohne andere zu stören. […] Wir wollen uns an die traditionelle Familie wenden. Die Frauen sind dabei entscheidend.«

2. »Wir« gegen »die«

Die Worte des Konzernpatriarchen sind unmissverständlich. Sie ziehen eine klare Grenze: Auf der einen Seite stehen »wir« – die Hüter der »echten«, gleichsam »heiligen« Familienwerte. Und auf der anderen Seite stehen »die« – also jene, die einem anderen, einem offenen oder einem alternativen Familienkonzept anhängen. Oder die einfach nur Single sind. Dazu passt, dass Guido Barilla in dem Interview zwar nichts gegen gleichgeschlechtliche Ehen sagt. Allerdings spricht er sich entschieden gegen die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare aus.

Für diese Werte also steht der Nudelmacher aus Parma. Und wenn Schwule und Lesben Barilla-Pasta deswegen nicht mögen, sollen sie doch einfach andere essen. Im familienorientierten Italien, wo das Wort der Heiligen Mutter (katholische) Kirche noch Gewicht hat und Frauen und Männer ihren Platz kennen (sollen), kommt das an. Dachte wohl Guido Barilla. Oder dachte er nichts?

Schnell kommt es in den Medien, vor allem in den sozialen, zu einem gewaltigen Shitstorm gegen den Pasta-Konzern – bis hin zu Aufrufen, es Barilla so richtig zu zeigen. Ebenso schnell gibt es Boykottaufrufe von Politikern, LGBT+-Aktivisten und anderen.2 Und dies nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa und der Welt. Der Vorwurf der Kritiker ist ebenso klar wie die Botschaft des Familien- und Firmenoberhauptes. Er lautet: Barilla ist homophob und diskriminiert.

3. Zwölf Nudelmarken, die »nicht vor den Kopf gestoßen haben«

»Gastronomische Homophobie hatte uns bisher gefehlt. Diese Lücke hat jetzt Guido Barilla geschlossen«, findet Franco Grillini, Chef der LGBT+-Organisation Gaynet Italia, spitz. Und weiter: »60 Prozent der Italiener sollten seine Pasta nicht mehr kaufen, weil sie nicht einer traditionellen Familie angehören.«3 Der greise, mittlerweile verstorbene Literaturnobelpreisträger Dario Fo, der früher selbst für Barilla geworben hat, fordert mit einer Petition, »Familie in allen verschiedenen Formen unserer Zeit zu akzeptieren und abzubilden«.

#boycottbarilla

#boicottabarilla wird nicht nur in Italien zu einem der meist genutzten Twitter-Hashtags, sondern auch global nimmt er eine Steilkurve. Das 1877 gegründete Milliardenunternehmen droht mit der sich anbahnenden Boykottwelle, die längst auch andere Länder erreicht hat, in äußerste Bedrängnis zu geraten.

Eigenen Angaben zufolge hat Barilla zu jener Zeit weltweit 30 Produktionsstätten und produziert 1,7 Millionen Tonnen Nahrungsmittel, die in rund 100 Ländern verkauft werden.4 In den Vereinigten Staaten macht Barilla 2013 rund 430 Millionen US-Dollar Umsatz mit Pasta, was einem Marktanteil von 30 Prozent entspricht.5 Für den Nudel-Champion ist das Land zum zweitwichtigsten Standbein geworden. Und während Barilla rund 20 Jahre zuvor noch den Großteil seiner Einnahmen im Heimatland erwirtschaftete, sind es nun nur noch weniger als die Hälfte.

Angesichts der heftigen Reaktionen rund um die Welt eine gefährliche Situation also. Zumal Barilla ja neben Wasa mit weiteren umsatzstarken Marken wie Harrys (französisches Toastbrot), Gran Cereale (italienische Vollkornkekse) und anderem mehr unterwegs ist.6 Sie könnten leicht mit in den Boykottstrudel gerissen werden.

Schnell entschuldigt sich Barilla USA als Unternehmen auf seiner Facebook-Seite. Doch wirkt das? Ist das glaubwürdig? Erst einmal nicht.

Kampfplatz

Die Cafeteria der Harvard-Universität verkündet, keine Barilla-Pasta mehr zu servieren.7 Vertreter von GLAAD, der einflussreichen US-LGBT+-Lobbyorganisation mit besonderem Fokus auf die Medien,8 äußern sich kritisch.9 Golden-Globe-Preisträgerin Mia Farrow twittert: Nun, da man wisse, dass Guido Barilla homophob sei, sei es ein guter Tag zu sagen, dass DeCecco – eine der großen italienischen Konkurrenzmarken – ohnehin besser schmecke.10

Bertoni, San Remo und Buitoni, ebenfalls Wettbewerber, posten Social-Media-Botschaften, die die Unterstützung aller Typen von Familien zum Inhalt haben. Die englische Ausgabe der Huffington Post bringt einen Artikel mit der Überschrift »12 Pasta-Marken, die Homosexuelle nicht vor den Kopf gestoßen haben« und führt diese dann auf.11

Deutschland wird auch zum Pasta-Schlachtfeld. Konkurrent Bertolli zeigt besonders originell Flagge. Auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht das Unternehmen mit dem Claim »Pasta und Liebe für alle« ein Motiv mit »gleichgeschlechtlichen« Nudelpaaren – und erhält großen Zuspruch. Bereits 2009 schaltete der Hersteller von Nudeln und Pastasaucen einen Werbespot mit einem schwulen Paar und verweist nun – genüsslich – noch einmal darauf.12

4. Umsteuern

Was also tun? Einen Kulturkampf anzetteln? Zwar erhält Barilla von sozial konservativen und kirchennahen Kreisen vor allem in Italien Zuspruch. Doch die Gefahr für Barilla ist schon da. Wächst sie weiter?

Schock auf der Autofahrt

Das fürchtet auch Claudio Colzani. Kaum ein Jahr im Amt als Vorstandsvorsitzender des Konzerns, sind seine zuvor gesammelten umfangreichen Erfahrungen in dieser Krisensituation hilfreich. Vor allem mit Blick auf das US-Geschäft und das Management von Vielfalt. Denn bevor er zum Chef in Parma wird, hat Colzani 25 Jahre lang für den britisch-niederländischen Konsum- und Verbrauchsgüterkonzern Unilever gearbeitet – zuletzt in den USA, wo er nicht nur Kundenvorstand gewesen ist, sondern auch im Diversity-Rat des Unternehmens gesessen hat.13

Auf einer Autofahrt von Mailand nach Parma zu einem ohnehin geplanten Abendessen mit Guido Barilla verfolgt Colzani dessen Live-Interview im Radio hautnah mit.14 Entsetzt über das, was er da hört, und um zu verstehen, warum es gesagt wird, ruft er sofort seinen Kommunikationschef an. Dreißig Minuten später sitzt Colzani bereits mit Barilla im Restaurant. Das Essen ist Nebensache. Es geht vor allem darum, ihm die Folgen seines Interviews klarzumachen.

Die Rollenverteilung im Konzern ist dabei klar. Guido Barilla fungiert als Chairman, seine beiden Brüder Luca und Paolo als Vize-Chairmen, alle drei sind so etwas wie Aufsichtsräte. An sie berichtet Colzani als Vorstandsvorsitzender – wobei die Barillas als Eigentümer das letzte Wort haben.

Als sich Guido Barilla und Claudio Colzani treffen, hat der Shitstorm im Netz mit seiner Welle von Boykottdrohungen noch gar nicht richtig begonnen. Er sei zwar besorgt gewesen wegen möglicher Umsatzeinbrüche, »aber ich war viel besorgter, dass die Leute Barilla als eine altmodische Marke wahrnehmen würden,«15 erzählt Colzani später in einem Bloomberg-Interview.

Gefahren für den Ruf

Als schließlich die ganze Wucht der Reaktionen über Barilla hereinbricht und sich die Boykottdrohungen vervielfachen, schlägt sich das erst einmal kaum auf den Umsatz nieder. »Die Gefahr für Unternehmen liegt weniger in den kurzfristigen Gewinneinbußen, da Boykotte den Umsatz kaum direkt beeinflussen,«16 meint denn auch Mary-Hunter McDonnell, Professorin für Strategie an der McDonough Business School der Washingtoner Georgetown-Universität. Bei Boykotten gehe es letztlich darum, das Image und den Ruf eines Unternehmens beziehungsweise einer Marke zu beschädigen – und über so entstehende Reputationsschäden könne sich das dann schließlich erheblich auf den Erfolg auswirken.

Umso stärker achtet Colzani auf mögliche Veränderungen der seit Jahren stabilen Barilla-Markenreputation. Mithilfe von speziellen Tools des Werbekonglomerats WPP stellt er bald fest, dass sie abnimmt. Im 2014er-Ranking des auf Reputationsmessung und -beeinflussung von Unternehmen spezialisierten US-amerikanischen Reputation Institute17 verliert Barilla zudem 21 Punkte.18 Das Reputationskapital, das Unternehmen beziehungsweise Marke im Laufe vieler Jahre aufgebaut haben, droht dahinzuschmelzen.

Auch Mitarbeiter zeigen sich teilweise geschockt und unangenehm berührt von Guido Barillas Äußerungen und ihren verheerenden Wirkungen. Das gilt ebenfalls für Mitglieder seines Führungsteams, erzählt Colzani, und für Familienmitglieder und für Freunde.19

Guido Barilla – sonst in Auftreten und Kommunikation sehr zurückgenommen – versteht allmählich, dass er einen kapitalen Fehler gemacht und viele Menschen vor den Kopf gestoßen hat.

Eine Reise beginnt

Colzani ruft alte Kollegen an, um sich Rat zu holen. Er lässt sich von der Personalberatung Korn Ferry unterstützen und nimmt die Dienste der – wie Barilla – familiengeführten US-PR-Agentur Edelman in Anspruch.20 Dass die nicht einfach für eine Imagekorrektur sorgen kann, ist angesichts der Heftigkeit des öffentlichen Aufschreis klar. Ebenso klar ist, dass eine oberflächliche Imageverbesserung allein kaum genügt.

Was dann geschieht, lässt sich – je nach Sicht – als ein Lehrstück interessegeleiteten schnellen Umlernens oder als blanker Opportunismus interpretieren. Ich vertrete, auch weil mir die Neigung zum Moralisieren abgeht, die erste Sicht. Nicht zuletzt deswegen, weil Barilla einschneidend, wirksam und nachvollziehbar überzeugend vorgeht.

Der Konzern beginnt eine Reise des Dazulernens und Umsteuerns, die tastend und doch rasant verläuft. Sie ist auch im Detail besonders aufschlussreich. Denn hier macht sich ein altes Familienunternehmen aus einem tief katholisch geprägten Land auf den Weg. Es ist noch dazu ein Unternehmen, das keine Software, Finanzprodukte, Beratungsdienstleistungen oder Ähnliches verkauft, sondern kulinarische Alltagsware – vor allem ein Produkt, das viele Menschen wirklich lieben: Pasta.

Das Ziel der Reise wird sehr schnell klar: Barilla soll offener und moderner werden. Die grundlegende Verwandlung des Familienkonzerns beginnt noch Ende September, als sich Guido Barilla in einem Video auf der Firmenwebsite entschuldigt.21 Doch das ist nur der erste Schritt.

5. Dazulernen (1): Tyler Clementi und gefährdete Kinder

Guido Barilla bietet an, sich mit Vertretern der LGBT+-Community auszutauschen, um zuzuhören und zu lernen, was er nicht gesehen hat und nicht wusste, als er sein Interview gab. Nicht jeder will sofort mit dem Konzernpatriarchen sprechen. Viele befürchten, für PR-Zwecke missbraucht zu werden. Schließlich gelingt es aber doch recht schnell, dass sich Barilla mehrfach mit LGBT+-Aktivisten in Italien und den USA treffen kann.

Tod eines Studenten …

Besondere Gespräche führt Guido Barilla vor allem in den Vereinigten Staaten, dem wichtigen Markt. Dabei geht er ungewöhnliche Wege: Er will das Umfeld kennenlernen, das Leben anderer Familienformen und von LGBT+-Menschen überhaupt.

So führt er auch Gespräche mit Vertretern der Tyler-Clementi-Stiftung. Viele Eltern von LGBT+-Kindern in den USA kennen sie gut. Und das hat seinen Grund: Tyler Clementi ist ein 18-jähriger Student an der Rutgers-Universität im US-Bundesstaat New Jersey gewesen, der sich im September 2010 das Leben genommen hat – mit einem Sprung von der mächtigen, New Jersey mit Manhattan verbindenden George-Washington-Brücke.22 Aber sein Tod ist nicht einfach ein weiterer Selbstmord eines lebensmüden Teenagers, der keinen Sinn mehr im Dasein entdecken konnte. Er löste vielmehr landesweit Bestürzung aus, weil er schwul und deswegen Opfer von bösartigem Cyber-Mobbing geworden war – unter anderem mit heimlich von seinem Zimmerkollegen aufgenommenen Webcam-Bildern.

Auch Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton äußerten sich entsetzt – persönlich, als Eltern, als Familie. Die Aufmerksamkeit für das Thema Mobbing und Cyber-Mobbing gegen junge LGBT+ vergrößerte sich noch, als sich im gleichen Monat mindestens drei weitere US-Teenager aus ähnlichen Gründen das Leben nahmen.

… und wie seine Eltern damit umgehen

Rund ein halbes Jahr nach Tylers Tod entscheidet die Point Foundation, fortan ein Tyler-Clementi-Point-Stipendium zu vergeben, um den Verstorbenen damit zu ehren. Die Stiftung unterstützt begabte LGBT+-Studierende seit vielen Jahren durch verschiedene Förderungen und ist in dieser Hinsicht die größte Organisation in den USA.23

2011 ergreifen dann Tylers Eltern Jane und Joseph Clementi ihrerseits die Initiative und gründen die Tyler Clementi Foundation – ebenfalls, um ihren Sohn zu ehren. Und wohl auch, um seinem eigentlich sinnlosen Tod doch noch einen Sinn zu geben. Das Ziel der Stiftung überrascht daher nicht. Sie will die Akzeptanz von LGBT+-Teenagern und anderen von der Gesellschaft ausgegrenzten Personen fördern, über alle Formen von Mobbing und Cyber-Mobbing aufklären und die Erforschung und Entwicklung der Ursachen und Prävention von Selbstmord unterstützen.

Die Tyler Clementi Foundation ist seit ihrer Gründung mit Anti-Mobbing-Kampagnen und vielem anderen mehr sehr aktiv. Untersuchungen belegen, dass in den USA deutlich höhere Selbstmordraten von LGBT+-Jugendlichen (im Vergleich zu heterosexuellen Jugendlichen) und deren deutlich größere Selbstmordgefährdung trotzdem auch heute noch Realität sind.24

Das Gleiche gilt für andere Länder. Eine Ende 2018 veröffentlichte Studie illustriert diese Befunde. Die drei in Italien und Kanada forschenden Studienautoren werteten Umfrageergebnisse von 2,5 Millionen Jugendlichen zwischen zwölf und 20 Jahren in 35 Forschungsprojekten aus zehn Ländern aus. Bei homosexuellen Jugendlichen lag das Selbstmordrisiko um gut das Dreifache höher als bei ihren heterosexuellen Altersgenossen, bei bisexuellen um gut das Vierfache und bei Transgender-Jugendlichen um das rund Sechsfache.25 Ester di Giacomo von der italienischen Universität Milano-Bicocca, eine der Autorinnen, sieht Haupterklärungen für das erhöhte Risiko für selbstgefährdendes Verhalten vor allem in der gesellschaftlichen Stigmatisierung von LGBT+ und der davon nicht zu trennenden Schwierigkeit, sich selbst zu akzeptieren, wie man ist.26

Was Guido Barilla in seinen Gesprächen mit der Stiftung also lernt, ist: Erniedrigendes Mobbing, Selbstmordgefährdungen und Selbstmorde gehören zur Lebenswirklichkeit von Familien mit LGBT+-Kindern. Sie gehören zur Lebenswirklichkeit von deren Freunden, deren Schul- und Studienkameraden. Sie gehören zur Lebenswirklichkeit der Gemeinschaften, in denen sie leben.

6. Dazulernen (2): Italienische Verhältnisse

Wie relevant das Thema Homophobie und Diskriminierung auch in seinem Heimatland Italien ist – nicht nur gegenüber jungen LGBT+-Menschen –, kann Guido Barilla nur wenige Wochen nach seinen umstrittenen Äußerungen hautnah besichtigen. In der ersten Session des italienischen Parlaments direkt nach seinem Interview provoziert zunächst Gianlucca Buonanno von der rechten Lega zwei offen homosexuelle Parlamentskollegen mit einer Fenchelknolle und versucht dann, einen von ihnen physisch zu attackieren.27 Im Italienischen heißt Fenchel »finocchio«. Wenn das Wort in bestimmten Kontexten beziehungsweise auf eine bestimmte Art benutzt wird, trägt es den Ton der großen Geringschätzung gegenüber Homosexuellen in sich.

Im Monat darauf ruft ein 21-jähriger schwuler Medizinstudent, der ein Opfer von Mobbing geworden war, zehn Selbstmord-Hotlines an, bevor er vom 11. Stock einer alten Pasta-Fabrik in Rom springt. Später findet sich eine Nachricht von ihm: »Italien ist ein freies Land. Aber es gibt Homophobie.« Es ist der dritte Selbstmord dieser Art in Rom in jenem Jahr.28

Überhaupt ist Italien im europäischen Vergleich alles andere als ein Paradies für LGBT+. Einen Eindruck dazu gibt ILGA Europa, eine LGBT+-Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Brüssel (siehe Kasten), die dazu jährliche kompakte Rankings und ausführliche Reports erstellt.

ILGA Europa/ILGA International

ILGA Europa ist eine Art Dachverband mit mehr als 600 Organisationen aus 54 Ländern in Europa (und zu einem sehr kleinen Teil in Zentralasien). Aktuell wird er unter anderem unterstützt von der EU, einem niederländischen Ministerium und Stiftungen.

Seit 1996 ist ILGA Europa eine unabhängige juristische Person, versteht sich aber zugleich als Teil von ILGA International. ILGA International wiederum wird 1978 als IGA (International Gay Assocation) gegründet, ändert acht Jahre später seinen Namen in ILGA (für International Lesbian and Gay Association) und sieht sich heute als globaler Kämpfer für die Rechte und ein diskriminierungsfreies Leben von LGBT+-Vertretern auf globaler Ebene.29

ILGA International setzt sich unter anderem früh dafür ein, Homosexualität von der WHO-Liste der Krankheiten zu streichen. Am 17. Mai 1990, heute Internationaler Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie, kann der Dachverband das Erreichen dieses Ziels feiern.

Unter dem Dach von ILGA International sind mittlerweile rund 1.500 Organisationen aus rund 150 Ländern versammelt. Die Zentrale ist in Genf, wo auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Hohe Kommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen ihren Sitz haben.

Bescheidene Fortschritte

Betrachtet man nur die 28 EU-Länder, so liegen Malta, Belgien, Luxemburg, Finnland und Dänemark aktuell an der Spitze. Österreich ist an zwölfter Stelle, Deutschland an 14. Italien findet sich seit vielen Jahren auf den hinteren Plätzen wieder. Derzeit lässt das Land in der EU-Liste nur Bulgarien, Rumänien, Polen und Lettland hinter sich und belegt einen bescheidenen 24. Platz.

Nimmt man die Liste aller untersuchten 49 Länder, so liegt Italien aktuell auf Rang 35 – und ist damit schlechter als Ungarn, Serbien, Montenegro, Albanien oder Georgien platziert. Das Nicht-EU-Mitglied Schweiz – in der von knapp 9 Prozent der Einwohner italienisch gesprochen wird – ist hier übrigens auch kein Vorbild. Auf Platz 27 rangiert das Land ebenfalls noch hinter Ungarn, Albanien & Co.

Barilla-CEO Claudio Colzani erzählt also nicht von ungefähr in seinem Interview mit Bloomberg, ihn hätten die Vorfälle im Herbst 2013 vehement daran erinnert, dass die Debatte zu LGBT+-Themen in Italien verglichen mit anderen europäischen Ländern »sehr, sehr spät«31 in Gang gekommen sei. Der Grund dafür ist für ihn klar: Er sieht ihn vor allem im starken Einfluss der Religion auf die Moralvorstellungen.32

Das Katholische, die Moral und das Geschäft: Auch Dolce & Gabbana

In einem Land, in dem sich die Menschen zu rund 70 Prozent als mehr oder weniger gläubige Katholiken sehen,33 ist das keine überraschende Erklärung. Sie passt zu Guido Barillas fast arglos daherkommende Äußerungen von der »traditionellen« beziehungsweise »heiligen« Familie und der damit eingehenden Homophobie, welche die Krise mit ausgelöst haben.

Wie stark dieses Bild in der von der katholischen Alltagsmoral geprägten italienischen Gesellschaft und so auch in den Unternehmen verankert ist, zeigen nicht zuletzt Domenico Dolce und Stefano Gabbana, milliardenschwere Gründer des Modehauses Dolce & Gabbana. Obwohl heute nur noch Geschäftspartner und Freunde, sind beide lange Zeit ein Paar gewesen, was sie schon 1999 öffentlich gemacht hatten.

In einem Interview im italienischen Magazin Panorama mit den Designern finden aber auch sie: »Die einzige Familie ist die traditionelle.«34 Nur rund eineinhalb Jahre nach den Radio-Äußerungen von Guido Barilla gehen die Unternehmer sogar noch weiter. Sie wettern gegenüber Panorama gegen gleichgeschlechtliche Adoptionen und Eltern und verunglimpfen Kinder. Sie sprechen von »gemieteten Gebärmüttern«, »Kindern der Chemie«, »Samen aus dem Katalog« oder »synthetisch« und äußern sich abfällig über In-vitro-Fertilisation, eine Methode der künstlichen Befruchtung, mit der unter anderem Elton John und sein Mann David Furnish ihre zwei Kinder bekommen haben.

Wieder ist der Skandal da. Wieder kommt es zu Boykottdrohungen und zu Aufschreien: von Elton John selbst, von Victoria Beckham, Courtney Love, Madonna, Ricky Martin – selbst ein schwuler Vater – oder von Tennis- und Lesben-Ikone Martina Navratilova.35 In den Monaten danach gibt es überdies weitere heftige Auseinandersetzungen zwischen Elton John und den Designern.

Einmal abgesehen davon, dass sich die Modemänner mit ihren Äußerungen in der LGBT+-Community zum Objekt massiver Kritik gemacht haben: Diesmal ist der Aufruhr im Netz nicht ganz so groß. Und das verwundert nicht, denn es geht nicht um ein kulinarisches Massenprodukt, sondern um teure Luxusmode. Außerdem ist die Linie »wir« gegen »die« nicht so einfach zu ziehen wie bei den Äußerungen Barillas. Der Fall wird als komplexer wahrgenommen.

Schließlich rudern die beiden Italiener zurück. Mit der Vogue führen sie ein Interview, in dem sich vor allem Domenico Dolce entschuldigt.36 In einem jähen Schwenk preist er nun die moderne Wissenschaft und betont, das Wichtigste für ihn sei, dass die Menschen glücklich werden. Kinder seien im Übrigen einfach Kinder. Gabbana wiederum erzählt, dass er selbst darüber nachgedacht hätte, Vater zu werden.37 Nach einem halben Jahr ist der Streit mit Elton John beigelegt.

Allerdings thematisieren die Designer in der Vogue wohl nicht ganz zufällig auch ihre katholische Prägung. Die Vermutung liegt zwar nahe, dass der jähe Schwenk auch mit ökonomischen Motiven zu hat.38 Vor allem der aus Sizilien stammende Domenico Dolce aber ist gläubig. Er ist überzeugt, dass ihm persönlich bestimmte Entscheidungen, die andere homosexuelle Männer und Frauen treffen mögen, wegen seines Glaubens nicht offenstünden, wie er unterstreicht.

Im Gegensatz zu Dolce ist Gabbana zwar kein regelmäßiger Kirchgänger, aber auch der im großstädtischen Mailand Geborene wuchs in der italienisch-katholischen Kultur verankert auf. »Unsere beiden Mütter trugen Medaillons der Jungfrau in ihren BHs«, sagt er »Zum Schutz.«39

Schwieriges Umfeld selbst für veränderungsbereite Unternehmen

In diesem speziellen sozial konservativen Umfeld, in dem selbst zwei schwule, ökonomisch unabhängige Modedesigner dem Ideal der »traditionellen« Familie bei paralleler Diskriminierung gegenüber LGBT+-Menschen anhängen, bewegt sich ebenfalls die Barilla-Gruppe, als Chairman Guido Barilla auch in seinem Heimatland nach Unterstützung sucht.

Doch eben nicht nur auf Barilla oder Dolce & Gabbana trifft dies zu: In diesem Umfeld bewegen sich alle Unternehmen in Italien. »Es ist schwierig, in unserem Land über etwas zu reden, bei dem die Gesprächspartner an Sexualität denken könnten«, meint Giovanna Spinazzola. Da hilft es auch nicht, dass es bei LGBT+-Inklusion nicht darum geht, wer mit wem ins Bett geht.

Spinazzola, Jahrgang 1962, ist seit fast 20 Jahren bei BNL beschäftigt, dem italienischen Arm der BNP Paribas. Die große französische Bankengruppe operiert mit gut 200.000 Mitarbeitern in mehr als 70 Ländern.40 In Deutschland ist sie mit Marken wie Consorsbank, DAB, BNP Paribas Real Estate und anderen mehr vertreten, in Österreich etwa mit der Hello bank. Spinazzola arbeitet in der noch recht neuen italienischen Zentrale in Rom, wo ich sie auch kennenlerne, als Marketingmanagerin. Sie weiß, wie wichtig die passgenaue Kommunikation ist. »Die Dinge in Italien bewegen sich langsam«, weiß die Süditalienerin. »Auch in Unternehmen.« Sie seien da ganz Spiegel der Gesellschaft.

Spinazzola hat den noch jungen italienischen Ableger des LGBT+-Mitarbeiternetzwerks der BNP Paribas mitgegründet, allerdings erst knapp vier Jahre nach dem Aufschrei gegen Barilla. »Wir bekommen starke Unterstützung durch unseren CEO Andrea Munari. Wir lernen auch viel von anderen nationalen Ablegern unseres globalen Netzwerkes im Konzern, vor allem von denen in den USA und Großbritannien, die sehr viel weiter sind. Und wir haben in kurzer Zeit auch einiges geschafft, etwa mit Trainings zur Sensibilisierung für die gewählte Sprache im Zusammenhang mit LGBT+.« Auch würde man sich mit Unternehmen vor Ort in Rom regelmäßig austauschen. Aber man sei eben in Italien. Es gebe kulturelle Unterschiede zu beachten.

Ein italienischer Manager, der nicht genannt werden möchte, sieht das genauso. Und »hier in Rom haben wir außerdem noch den Vatikan.« Das sei spürbar, es gäbe teilweise große Widerstände für mehr Offenheit gegenüber LGBT+ in fast allen Bereichen – und vor allem im Vergleich zum weltoffeneren Mailand, der Businesshochburg des Landes.

Den Unterschied zwischen Rom und Mailand kennt auch Spinazzola. Doch sie hat den Anspruch, sich nicht von Widerständen beirren zu lassen. Es sei für Firmen geboten, aktiv zu werden und es dann zu bleiben. Der Aufschrei gegen Barilla sei für sie bis heute »eine Warnung« an Unternehmen – besonders an italienische –, was geschehen kann, wenn man im globalen Rahmen gedacht nicht auf der Höhe der Zeit sei mit seinen LGBT+-Diversitäts- und Inklusionsbemühungen.

Hilfe von Parks und Ivan Scalfarotto

In Mailand findet Guido Barilla schließlich den Rat, den er sucht. Vor allem spricht er dort mit Parks Liberi e Uguali (kurz: Parks), eine gemeinnützige LGBT+-Organisation mit Sitz in der großen Metropole in der Lombardei. Parks arbeitet gemeinsam mit Unternehmen an verbesserter LGBT+-Inklusion an italienischen Arbeitsplätzen – und tut dies zu jener Zeit, als Barilla an die Organisation herantritt, vor allem mit globalen Firmen, die ihren Hauptsitz nicht in Italien haben, dort aber stark präsent sind.

Guido Barillas Ansprechpartner ist Ivan Scalfarotto, Gründer von Parks und damals noch ihr aktiver Direktor. Scalfarotto gilt nicht nur in Italien, sondern auch global als eine Ikone des Einsatzes für LGBT+-Rechte. 2015 und 2016 führt ihn der britische Economist auf der Global Diversity List. Sie zeigt die weltweit 50 wichtigsten Persönlichkeiten, die beim Einsatz für mehr Vielfalt und Inklusion besonders aktiv, einflussreich und wirksam sind.

Scalfarotto, Jahrgang 1965, hat lange für viele Banken gearbeitet, darunter die Banco Ambrosiano Veneto und die US-amerikanische Citigroup, für die er auch als Leiter der Personalabteilung in London tätig gewesen ist. Aber er kennt nicht nur die Welt der Wirtschaft, sondern ist seit vielen Jahren auch politisch aktiv – zum einen als LGBT+-Aktivist und zum zweiten als Mitglied der Linkspartei, sie sich 2007 zum sozialdemokratisch ausgerichteten Partito Democratico (PD) wandelt.

Bekannt ist der PD hierzulande vor allem durch den späteren Ministerpräsidenten Matteo Renzi und die langjährige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Scalfarotto wirkt für einige Zeit als Vize-Parteichef, wird ins italienische Parlament gewählt, dem er bis heute angehört, und fungiert ein paar Jahre als Unterstaatssekretär in den Kabinetten Renzi.

Im Jahr seines Einzugs in die italienische Abgeordnetenkammer, 2013, beginnt Scalfarotto auch, einen Nachfolger für die 2010 gegründete gemeinnützige Parks-Organisation aufzubauen, um sich Schritt für Schritt komplett aus der operativen Arbeit zurückzuziehen, was später auch geschieht.

Als Barilla seinen LGBT+-Aufschrei erlebt und Chairman Guido Barilla um ein Gespräch nachsucht, ist Scalfarotto aber bei Parks noch voll im Amt. Fraglos hilft es, dass Scalfarotto nicht nur selbst schwul und seit langem LGBT+-Aktivist ist, sondern durch seine Erfahrungen unter anderem in London als Führungskraft bei der Citigroup auch die Welt des globalen Business hautnah erlebt hat. Und dass er die politischen Mechanismen des Landes bestens kennt, ist außerdem nützlich. Einen besseren Ansprechpartner hätte Guido Barilla in Italien kaum finden können.

Allerdings hätte er außer Parks 2013 auch keine alternative Anlaufstelle gehabt. Die Organisation ist mit Blick auf die ihr geleistete Arbeit in Italien konkurrenzlos – bis heute.

Dennoch hat es Parks auch in jenem Jahr, als Guido Barilla um Austausch bittet, gerade wegen des sozialen Konservatismus im Land nicht leicht mit ihrer Arbeit. Selbst das Institut einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gibt es da in Italien noch nicht. Es wird erst knapp drei Jahre danach eingeführt – rund 15 Jahre, nachdem die rotgrüne Bundesregierung für Deutschland das entsprechende Gesetz auf den Weg gebracht hat.

Die Erfahrungen von Parks und Ivan Scalfarotto helfen Guido Barilla gleichwohl. Später wird es zu einer Zusammenarbeit mit dem Unternehmen kommen, die bis heute anhält.