Geben und Nehmen - Adam Grant - E-Book

Geben und Nehmen E-Book

Adam Grant

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Beschreibung

Erfolgsgeheimnis Altruismus Gute Menschen haben immer das Nachsehen, und die Egoisten räumen ab – dieses Denkschema stimmt nicht mehr. Denn gerade mit einer selbstlosen Einstellung kommt man meist besser voran. Anstand, Empathie und soziale Verantwortung zahlen sich aus. Anhand schlagender Beispiele aus der Wirtschaftswelt verdeutlicht der führende amerikanische Organisationspsychologe Adam Grant, dass vor allem Geber den Weg zu beruflichem Erfolg und persönlicher Zufriedenheit finden – und dass sie so unsere Arbeitswelt und Wettbewerbsgesellschaft ein Stück wertschätzender und menschlicher gestalten.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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© Adam Grant

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Give and Take: A Revolutionary Approach to Success« bei Viking, New York

© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2024

© für die deutsche Übersetzung von Peter Robert, Sonja Schuhmacher und Bernhard Jendricke (Vielen Dank an Sabine Hedinger für die Unterstützungbei Redaktion und Übersetzung): Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München 2013

Die Übersetzung erschien erstmals beim Droemer Verlag, ein Imprint derVerlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, MünchenCovergestaltung: ZERO Werbeagentur, München nach einem Entwurf von The Heads of State

Covermotiv: The Heads of StateKonvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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Text bei Büchern mit inhaltsrelevanten Abbildungen ohne Alternativtexte:

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

1 Gute Rendite

2 Der Pfau und der Panda

Wie man den Nehmer im Geber-Pelz erkennt

Das transparente Netzwerk

Man erntet, was man sät

Die schlafenden Riesen wecken

Schlafende Verbindungen

Der Fünf-Minuten-Gefallen

3 Der Welleneffekt

Kooperation und kreativer Charakter

Alleinflug

Ich wünschte, ich könnte dich hassen

Der Anspruch auf den Löwenanteilder Anerkennung

Der Verantwortungs-Irrglaube

Die Perspektiven-Kluft

4 Auf der Suche nach dem ungeschliffenen Diamanten

Die Suche nach Stars

Ungeschliffene Diamanten polieren

Fehlinvestitionen

Der Blick in den Spiegel:gut aussehen oder Gutes tun?

Ein Auge für die glimmende Glutin Kohlestücken

5 Die Macht der machtlosen Kommunikation

Präsentation: der Wert der Verwundbarkeit

Wie Sie Schwindlerund Samariter auseinanderhalten

Überzeugen:die Kunst der zögernden Kommunikation

Verhandeln:Rat suchen bei Anflügen von Zweifeln

6 Die Kunst der Motivationserhaltung

Das Wirkungsvakuum:Wenn Geber nicht wissen, was sie tun

Fremdbezogene Entscheidungen:Klotzen, Kleckern und die100-Stunden-Regel fürs Ehrenamt

Der Mythos vom Geber-Burn-out

7 Nie mehr Schlusslicht

Aufrichtigkeitskontrolle:Wie man den meisten Menschenmeistens glauben darf

Großzügiges Tit for Tat

Selbstbehauptung und das Fürspracheparadox

Den Status des leichten Opfers überwinden

8 Das Umdenken der Geizigen

Die Altruismusdebatte

Aus Feinden werden Verbündete

Die Suche nach optimaler Unterscheidbarkeit

Warum Superman nach hinten losgehtund Menschen Strom sparen

Der Reziprozitätsring

Identitätswandel und Reziprozitätsumkehr

9 Aus dem Schatten treten

Richtig handeln

Dank

Quellenangaben

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Im Gedenken an meinen Freund

JEFF ZASLOW

Er lebte gemäß den in diesem Buchgeschilderten Prinzipien.

1 Gute Rendite

Die Risiken und Chancen der Großzügigkeit

Das Prinzip des Gebens und Nehmens ist das Prinzip der Diplomatie – eins geben und zehn nehmen.

Mark Twain, Schriftsteller und Humorist[1]

An einem sonnigen Samstagnachmittag standen zwei stolze Väter am Rand eines Fußballplatzes im Silicon Valley. Sie schauten ihren kleinen Töchtern beim Spielen zu, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auf ihre Arbeit zu sprechen kamen. Der größere der beiden war Danny Shader, ein Serienunternehmer, der bei Netscape, Motorola und Amazon gearbeitet hatte. Als Shader, ein dunkelhaariger, konzentrierter Typ, der unermüdlich über geschäftliche Dinge reden kann, sein erstes Unternehmen gegründet hatte, war er Ende dreißig gewesen, und er bezeichnete sich gern als den »alten Mann des Internets«. Es machte ihm Spaß, Unternehmen aufzubauen, und er war gerade dabei, sein viertes Start-up zu realisieren.

Shader hatte sofort Gefallen an dem anderen Vater gefunden, einem Mann namens David Hornik, der sich seine Brötchen mit Investitionen in Unternehmen verdient.[2] Hornik, knapp über eins sechzig groß, mit dunklen Haaren, Brille und Spitzbart, hat bunt gemischte Interessen: Er sammelt seltene Ausgaben von Alice im Wunderland und hat das College mit einem Bachelor of Arts in Computermusik abgeschlossen. Anschließend machte er seinen Master in Kriminologie und promovierte in Jura, und nachdem er sich bei einer Anwaltskanzlei die Nächte um die Ohren geschlagen hatte, nahm er das Jobangebot einer Beteiligungsgesellschaft an. Dort verbrachte er das nächste Jahrzehnt damit, sich Vorträge von Existenzgründern anzuhören und über Beteiligungen an ihren Projekten zu entscheiden.

In einer Spielpause wandte sich Shader an Hornik und sagte: »Ich arbeite da gerade an etwas – wären Sie vielleicht interessiert?« Horniks Spezialgebiet waren Internet-Firmen, deshalb schien er Shader ein idealer Investor zu sein. Das Interesse war gegenseitig. Die meisten Leute, die mit Ideen hausieren gehen, wollen zum ersten Mal ein Unternehmen gründen und haben deshalb noch keine Erfolgsbilanz vorzuweisen. Shader hingegen war ein Computer-Unternehmer, der nicht nur einmal, sondern schon zweimal einen Volltreffer gelandet hatte. 1999 war sein erstes Start-up, Accept.com, für 175 Millionen Dollar von Amazon erworben worden. Und 2007 hatte Motorola seine nächste Firma, Good Technology, für 500 Millionen Dollar gekauft. In Anbetracht von Shaders Vorgeschichte war Hornik gespannt, was er als Nächstes vorhatte.

Ein paar Tage nach dem Fußballspiel kam Shader zu Hornik ins Büro und stellte ihm seine neueste Idee vor. Fast ein Viertel aller Amerikaner haben Schwierigkeiten bei Online-Käufen, weil sie weder Bankkonto noch Kreditkarte besitzen. Für dieses Problem bot Shader eine innovative Lösung an. Hornik war einer der ersten Risikoanleger, die er ansprach, und die Idee gefiel ihm sofort. Binnen einer Woche stellte er Shader seinen Partnern vor und bot ihm einen Vorvertrag an: Er wollte Shaders Unternehmen finanzieren.

Obwohl Hornik schnell gewesen war, befand sich Shader in einer starken Position. Angesichts seines Rufs und seiner guten Idee würden sich viele Investoren geradezu überschlagen, um mit ihm zusammenzuarbeiten, wie Hornik wusste. »Sie sind nur selten der einzige Investor, der einem Firmengründer einen Vorvertrag anbietet«, erklärt er. »Sie stehen im Wettbewerb mit den besten Beteiligungsgesellschaften des Landes und versuchen, den Firmengründer zu bewegen, Ihr Geld statt deren Geld anzunehmen.«

Wenn Hornik zum Zug kommen wollte, bestand die beste Methode für ihn darin, Shader nur wenig Zeit für seine Entscheidung zu lassen. Er konnte ihm ein unwiderstehliches Angebot machen und ihm eine knappe Frist setzen; dann würde Shader vielleicht unterschreiben, bevor er die Gelegenheit bekam, seine Idee auch anderen Investoren vorzustellen. Auf diese Weise versuchen viele Risikoanleger, die Chancen zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Hornik setzte Shader jedoch keine Frist. Stattdessen forderte er ihn geradezu auf, mit seinem Projekt auch zu anderen Investoren zu gehen. Hornik glaubte, dass Firmengründer Zeit benötigen, um ihre Möglichkeiten zu prüfen. Deshalb lehnte er es grundsätzlich ab, ihnen befristete Angebote zu unterbreiten. »Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen, um die richtige Entscheidung zu treffen«, sagte er. Natürlich hoffte er, Shader würde zu dem Schluss gelangen, dass die richtige Entscheidung darin bestand, mit ihm ins Geschäft zu kommen; aber er stellte Shaders Interessen über seine eigenen, indem er ihm Raum gab, andere Optionen zu sondieren.

Und genau das tat Shader. Im Verlauf der nächsten paar Wochen stellte er seine Idee anderen Investoren vor. Unterdessen schickte Hornik, der sichergehen wollte, dass er noch gut im Rennen lag, Shader seinen wertvollsten Schatz: eine Liste mit vierzig Referenzen, die Horniks Kaliber als Investor bestätigen konnten. Hornik wusste, dass Firmengründer bei Investoren nach denselben Eigenschaften suchen, die wir alle bei Finanzberatern suchen: Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit. Wenn sie mit einem Investor handelseinig werden, zieht dieser in ihren Aufsichtsrat ein und stellt ihnen sein Know-how zur Verfügung. Horniks Liste von Referenzen spiegelte wider, mit wie viel Engagement und Herzblut er Firmengründer im Verlauf von mehr als einem Jahrzehnt im Risikokapitalgeschäft betreut hatte. Er wusste, dass sie sich für seine Fähigkeiten und seinen Charakter verbürgen würden.

Ein paar Wochen später klingelte Horniks Telefon. Es war Shader, der ihm seine Entscheidung mitteilen wollte.

»Tut mir leid«, sagte er, »aber ich werde mit einem anderen Investor zusammenarbeiten.«

Die finanziellen Konditionen von Horniks Angebot und dem des anderen Investors waren praktisch identisch. Die Liste mit den vierzig Referenzen hätte Hornik also den entscheidenden Vorteil verschaffen müssen. Und nachdem Shader mit den Referenzen gesprochen hatte, war ihm klar gewesen, dass Hornik ein toller Bursche war.

Doch gerade seine Großzügigkeit war der Grund, weshalb Hornik scheiterte. Shader befürchtete, dass Hornik ihn eher ermutigen als herausfordern würde. Hornik war womöglich nicht hart genug, um Shader beim Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens zu helfen, und der andere Investor stand im Ruf, ein brillanter Berater zu sein, der Firmengründer hinterfragte und antrieb. »Wahrscheinlich sollte ich jemanden in den Aufsichtsrat aufnehmen, der mich stärker herausfordert«, dachte sich Shader. »Hornik ist so nett, dass ich nicht weiß, wie er in der Führungsetage auftreten wird.« Als er Hornik anrief, erklärte er: »Mein Herz sagt, ich sollte mich mit Ihnen zusammentun, aber mein Kopf sagt, ich sollte mich für den anderen entscheiden. Ich habe beschlossen, auf meinen Kopf zu hören und nicht auf mein Herz.«

Hornik war am Boden zerstört, und er kritisierte sich nachträglich. »Bin ich ein Trottel? Wenn ich Druck gemacht hätte, um den Vorvertrag unter Dach und Fach zu kriegen, hätte er vielleicht unterschrieben. Aber ich habe mir meinen Ruf ein Jahrzehnt lang erarbeitet, also kam das nicht in Frage. Wieso ist das passiert?«

David Hornik lernte es auf die harte Tour: Die Guten haben immer das Nachsehen.

Oder nicht?

 

Nach landläufiger Meinung haben sehr erfolgreiche Menschen dreierlei miteinander gemein: Motivation, die erforderlichen Fähigkeiten und geeignete Handlungsmöglichkeiten. Wenn wir Erfolg haben wollen, brauchen wir eine Kombination aus harter Arbeit, Talent und Glück. Die Geschichte von Danny Shader und David Hornik wirft ein Schlaglicht auf ein viertes Element, das von entscheidender Bedeutung ist, aber oftmals vernachlässigt wird: Erfolg hängt in hohem Maße davon ab, wie wir an unsere Interaktionen mit anderen Menschen herangehen. Jedes Mal, wenn wir bei der Arbeit mit einer anderen Person interagieren, müssen wir eine Entscheidung treffen: Versuchen wir, so viel wie möglich für uns herauszuholen, oder investieren wir, ohne uns Gedanken darüber zu machen, was wir dafür bekommen?

Als Organisationspsychologe und Professor an der Wharton School, der Business School der University of Pennsylvania, habe ich mich mehr als zehn Jahre meines Berufslebens mit diesen Optionen und der Rolle beschäftigt, die sie bei Organisationen von Google bis zur amerikanischen Luftwaffe spielen, und wie sich herausstellt, haben sie erstaunliche Auswirkungen auf den Erfolg. Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte haben Sozialwissenschaftler durch eine Reihe bahnbrechender Studien entdeckt, dass sich die Präferenzen der Menschen im Hinblick auf Gegenseitigkeit oder Reziprozität – die von ihnen gewünschte Mischung von Geben und Nehmen – radikal unterscheiden.[3] Um ein wenig Licht auf diese Präferenzen zu werfen, möchte ich Ihnen zwei Arten von Menschen vorstellen, die bei der Arbeit an den entgegengesetzten Enden des Reziprozitätsspektrums stehen. Ich nenne sie Nehmer und Geber.

Nehmer haben ein charakteristisches Kennzeichen: Sie möchten mehr bekommen, als sie geben. Sie sorgen dafür, dass sich die Gegenseitigkeitswaage zu ihren Gunsten neigt, indem sie ihre eigenen Interessen über die Bedürfnisse anderer stellen. Nehmer glauben, dass die Welt von Konkurrenz geprägt sei und dass jeder nur an sich selber denke. Sie sind davon überzeugt, dass sie besser sein müssen als andere, um Erfolg zu haben. Um ihre Kompetenz zu beweisen, beweihräuchern sie sich selbst und sind darauf erpicht, möglichst viel Anerkennung für ihre Bemühungen zu ernten. Nehmer sind normalerweise nicht grausam oder unbarmherzig; sie sind nur vorsichtig und auf ihren eigenen Schutz bedacht. »Wenn ich mich nicht zuallererst um mich selbst kümmere«, denken Nehmer, »dann tut es niemand.« Wäre David Hornik eher ein Nehmer gewesen, hätte er Danny Shader eine Frist gesetzt und damit sein Ziel, die Investition zu tätigen, über Shaders Wunsch nach einer zeitlich flexibleren Vereinbarung gestellt.

Hornik ist jedoch das Gegenteil eines Nehmers; er ist ein Geber. In der Arbeitswelt sind Geber eine relativ seltene Spezies. Bei ihnen neigt sich die Waage zur anderen Seite, denn sie ziehen es vor, mehr zu geben, als sie bekommen. Während Nehmer häufig nur sich selbst sehen und abschätzen, was andere ihnen bieten können, haben Geber vor allem die anderen im Blick und achten mehr darauf, was diese von ihnen benötigen. Bei diesen Präferenzen geht es nicht um Geld: Geber und Nehmer unterscheiden sich nicht dadurch, wie viel sie für Wohltätigkeit spenden oder wie hoch ihr Lohn oder ihr Gehalt ist. Vielmehr unterscheiden sich Geber und Nehmer in ihren Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber anderen Menschen. Wenn Sie ein Nehmer sind, helfen Sie anderen aus taktischen Gründen, sofern der Nutzen, den Sie daraus ziehen, Ihre persönlichen Kosten überwiegt. Wenn Sie ein Geber sind, sieht Ihre Kosten-Nutzen-Analyse vermutlich anders aus: Sie helfen immer dann, wenn der Nutzen für andere Ihre persönlichen Kosten übersteigt. Vielleicht denken Sie aber auch gar nicht über Ihre Kosten nach, sondern helfen anderen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Wenn Sie bei der Arbeit ein Geber sind, versuchen Sie einfach, Ihre Zeit und Kraft, Ihr Wissen, Ihre Fähigkeiten, Ideen und Kontakte großzügig mit anderen Menschen zu teilen, die davon profitieren können.

Es ist verlockend, das Geber-Etikett für überlebensgroße Helden wie Mutter Teresa oder Mahatma Gandhi zu reservieren, aber um ein Geber zu sein, muss man keine außergewöhnlichen Opfer bringen. Es bedeutet einfach nur, dass man die Interessen anderer im Auge behält, zum Beispiel indem man ihnen hilft, sie betreut, ihnen ihren Teil der Anerkennung zukommen lässt oder für sie Kontakte knüpft. Außerhalb der Arbeitswelt ist ein solches Verhalten ganz alltäglich. Untersuchungen der Psychologin Margaret Clark von der Yale University zufolge verhalten sich die meisten Menschen in engen Beziehungen wie Geber.[4] In Ehen und Freundschaften leisten wir unseren Beitrag, wann immer wir können, ohne aufzurechnen.

Am Arbeitsplatz wird die Sache allerdings komplizierter. Im beruflichen Bereich verhalten sich nur wenige von uns ausschließlich als Geber oder Nehmer. Stattdessen eignen wir uns ein drittes Verhaltensmuster an. Wir werden Tauscher – das heißt, wir streben nach einem ausgewogenen Gleichgewicht von Geben und Nehmen. Tauscher orientieren sich am Prinzip der Fairness: Wenn sie anderen helfen, schützen sie sich, indem sie etwas dafür zurückbekommen wollen. Falls Sie ein Tauscher sind, glauben Sie an »Wie du mir, so ich dir«, und Ihre Beziehungen beruhen auf einem ausgeglichenen Austausch von Gefälligkeiten.

Geben, Nehmen und Tauschen sind drei grundlegende Formen sozialer Interaktion, aber es gibt keine scharfen, unverrückbaren Grenzen zwischen ihnen. Vielleicht stellen Sie fest, dass Sie von einer Reziprozitätsform zur anderen wechseln, je nachdem, welche Rolle sie bei der Arbeit gerade einnehmen oder um welche Beziehung es sich handelt.[1] Es wäre nicht überraschend, wenn Sie sich bei Gehaltsverhandlungen wie ein Nehmer verhielten, bei der Betreuung anderer, die weniger Erfahrung haben als Sie, wie ein Geber und wie ein Tauscher, wenn Sie Ihr Fachwissen mit einem Kollegen teilen. Doch wie sich zeigt, entwickeln die Menschen in ihrer übergroßen Mehrheit bei der Arbeit eine hauptsächliche Reziprozitätsform – jenes Verhalten, das sie den meisten Menschen gegenüber die meiste Zeit an den Tag legen. Und diese Hauptform kann eine ebenso große Rolle für unseren Erfolg spielen wie harte Arbeit, Talent und Glück.

Tatsächlich sind die auf den Reziprozitätsformen beruhenden Erfolgsmuster erstaunlich klar. Wenn ich Sie bitten würde zu raten, wer mit größter Wahrscheinlichkeit am Fuß der Erfolgsleiter landen wird, was würden Sie sagen – Nehmer, Geber oder Tauscher?

In beruflicher Hinsicht haben alle drei Reziprozitätsformen ihre Vor- und Nachteile. Aber eine von ihnen erweist sich als kostspieliger als die anderen beiden. Auf Grundlage der Geschichte von David Hornik würden Sie vielleicht die Vorhersage wagen, dass Geber die schlechtesten Resultate erzielen – und Sie hätten recht. Die Forschung zeigt, dass sich Geber am Fuß der Erfolgsleiter ansiedeln. In einem breiten Spektrum wichtiger Tätigkeiten sind die Geber im Nachteil: Sie sorgen dafür, dass es anderen bessergeht, setzen dabei jedoch ihren eigenen Erfolg aufs Spiel.

In der Welt der Technik sind die unproduktivsten und uneffektivsten Ingenieure Geber.[5] In einer Studie bewerteten mehr als 160 Ingenieure in Kalifornien einander danach, wie viel Hilfe sie gegeben und empfangen hatten; diejenigen Ingenieure, die mehr gaben, als sie empfingen, waren am wenigsten erfolgreich. Diese Geber hatten in ihrem Unternehmen bei der Anzahl der von ihnen erledigten Aufgaben sowie der von ihnen angefertigten technischen Berichte und Zeichnungen die schlechtesten objektiven Werte – und erst recht bei Fehlerhäufigkeit, Terminüberschreitungen und Geldverschwendung. Ihre besonders stark ausgeprägte Hilfsbereitschaft hielt sie davon ab, ihre eigene Arbeit zu erledigen.

Dasselbe Muster zeigt sich an einer medizinischen Hochschule. In einer belgischen Studie[6], an der mehr als 600 Medizinstudenten teilnahmen, hatten die Studenten mit den schlechtesten Noten ungewöhnlich hohe Zustimmungswerte bei Geber-Aussagen wie »Ich helfe anderen sehr gern« und »Ich nehme die Bedürfnisse anderer vorweg«. Die Geber scheuten keine Mühe, um ihren Kommilitonen beim Studium zu helfen, indem sie ihr Wissen mit ihnen teilten. Dabei versäumten sie es jedoch, eigene Wissenslücken zu schließen, so dass ihre Kommilitonen ihnen bei den Prüfungen überlegen waren. Beim Verkaufspersonal sieht es nicht anders aus. In einer von mir durchgeführten Studie über Verkäufer in North Carolina lag der Jahresumsatz von Gebern im Vergleich zu Nehmern und Tauschern um das Zweieinhalbfache niedriger.[7] Das Wohl ihrer Kunden lag ihnen derart am Herzen, dass sie nicht bereit waren, ihnen auf Teufel komm raus etwas anzudrehen.

Es scheint, als wären Geber über alle Berufe hinweg einfach zu fürsorglich, zu vertrauensvoll und zu willig, ihre eigenen Interessen zum Nutzen anderer zu opfern. Es gibt sogar Untersuchungsergebnisse, denen zufolge Geber im Vergleich zu Nehmern durchschnittlich 14 Prozent weniger verdienen[8] und ein doppelt so großes Risiko haben, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen[9]. Hinsichtlich Macht und Dominanz werden sie um 22 Prozent schwächer eingeschätzt als Nehmer.[10]

Wenn Geber also mit größter Wahrscheinlichkeit am Fuß der Erfolgsleiter landen, wer steht dann am oberen Ende – Nehmer oder Tauscher?

Weder noch. Als ich mir die Daten noch einmal ansah, entdeckte ich ein verblüffendes Muster: Es sind wieder die Geber.

Wie wir gesehen haben, sind die Ingenieure mit der geringsten Produktivität zumeist Geber. Doch wenn wir uns die Ingenieure mit der höchsten Produktivität anschauen, stellt sich heraus, dass sie ebenfalls Geber sind. Die kalifornischen Ingenieure mit den besten objektiven Werten für die Quantität und Qualität ihrer Arbeitsergebnisse sind diejenigen, die ihren Kollegen beständig mehr geben, als sie bekommen. Geber haben also die schlechteste und die beste Leistungsbilanz; Nehmer und Tauscher landen eher in der Mitte.

Dieses Muster zeigt sich überall. Die belgischen Medizinstudenten mit den schlechtesten Noten haben ungewöhnlich hohe Geber-Werte, aber das gilt auch für die Studenten mit den besten Noten. Im Verlauf des Medizinstudiums erzielt man als Geber um 11 Prozent bessere Noten. In meiner Studie über Verkaufspersonal hatten die unproduktivsten Mitarbeiter um 25 Prozent höhere Geber-Werte als der Durchschnitt – aber das galt auch für die produktivsten Mitarbeiter. Die beste Leistung erbrachten Geber, und sie fuhren im Durchschnitt 50 Prozent mehr Jahresumsatz ein als die Nehmer und Tauscher. Geber herrschen auf den untersten und obersten Sprossen der Erfolgsleiter vor. Wenn man den Zusammenhang zwischen Reziprozitätsformen und Erfolg untersucht, haben die Geber in allen Berufen die besseren Chancen, Cracks zu werden – und nicht bloß Krücken.

Raten Sie mal, als was sich David Hornik erwiesen hat.

 

Nachdem Danny Shader mit dem anderen Investor handelseinig geworden war, nagte etwas an ihm. »Wir hatten gerade eine tolle Finanzierungsrunde abgeschlossen. Wir sollten feiern. Wieso bin ich nicht glücklicher? Ich war begeistert von meinem Investor – er ist außergewöhnlich intelligent und talentiert – , aber mir fehlte die Zusammenarbeit mit Hornik.« Shader wollte einen Weg finden, Hornik mit ins Boot zu holen, aber da gab es einen Haken. Um ihn einzubeziehen, würden Shader und sein Hauptinvestor einen weiteren Anteil des Unternehmens abtreten und dadurch ihren Besitz verwässern müssen.

Shader gelangte zu dem Schluss, dass die Sache es ihm persönlich wert war. Vor dem Abschluss der Finanzierungsphase lud er Hornik ein, in sein Unternehmen zu investieren. Hornik nahm das Angebot an und tätigte eine Investition, durch die er zum Miteigentümer der Firma wurde. Er kam zu den Aufsichtsratssitzungen, und Shader war beeindruckt von seinen nachdrücklichen Ermunterungen, neue Wege zu beschreiten. »Ich bekam seine andere Seite zu sehen«, sagt Shader. »Sie war bloß von seiner Liebenswürdigkeit überdeckt worden.« Teilweise dank Horniks Rat ist Shaders Start-up gut angelaufen. Es heißt PayNearMe und ermöglicht es Amerikanern, die weder Bankkonto noch Kreditkarte besitzen, mit einem Barcode oder einer Karte online einzukaufen und dann bei einem der beteiligten Unternehmen bar zu bezahlen. Shader ist wichtige Partnerschaften mit 7-Eleven und Greyhound eingegangen, um diese Dienstleistungen anbieten zu können, und in den ersten anderthalb Jahren seit der Gründung ist PayNearMe monatlich um mehr als 30 Prozent gewachsen.

Als Investor profitiert auch Hornik von diesem Wachstum. Außerdem hat er Shader in seine Referenzliste aufgenommen, und das ist wahrscheinlich noch wertvoller als die eigentliche geschäftliche Vereinbarung. Wenn Existenzgründer bei Shader anrufen, um Auskünfte über Hornik einzuholen, erklärt er ihnen: »Sie denken vielleicht, er ist bloß ein netter Bursche, aber er ist weit mehr als das. Er ist phänomenal: ein überaus harter Arbeiter, und sehr couragiert. Er kann einen fordern und zugleich unterstützen. Und er ist ausgesprochen zugänglich – eine der besten Eigenschaften, die man bei einem Investor finden kann. Wenn es um etwas Wichtiges geht, ruft er jederzeit rasch zurück, Tag und Nacht.«

Für Hornik zahlte sich die ganze Sache nicht nur durch dieses eine Geschäft mit PayNearMe aus. Nachdem Shader erlebt hatte, wie Hornik arbeitete, bewunderte er dessen Einsatz für die Interessen von Firmengründern und begann, ihm andere Investitionsmöglichkeiten zu eröffnen. In einem Fall empfahl er ihn als Investor, nachdem er den CEO eines Unternehmens namens Rocket Lawyer kennengelernt hatte. Der CEO hatte zwar schon einen Vorvertrag mit einem anderen Investor abgeschlossen, aber Hornik bekam am Ende den Zuschlag.

Obwohl ihm auch die Nachteile durchaus bewusst sind, glaubt David Hornik, dass sein Erfolg im Beteiligungsgeschäft nicht zuletzt auf seinem Verhalten als Geber beruht. Er schätzt, dass die meisten Risikoanleger, die Firmengründern Vorverträge anbieten, eine Unterschriftsrate von etwa 50 Prozent haben: »Wenn man bei der Hälfte der Deals, die man anbietet, zu einem Abschluss kommt, ist man ziemlich erfolgreich.« Er selbst hat Firmengründern jedoch in seinen elf Jahren als Risikoanleger achtundzwanzig Vorverträge angeboten, und fünfundzwanzig sind angenommen worden. Shader ist eine von nur drei Personen, die jemals eine Investition Horniks abgelehnt haben. In den anderen 89 Prozent der Fälle haben die Firmengründer Horniks Geld genommen. Dank seiner Finanzierung und seiner fachlichen Beratung ist es ihnen gelungen, eine ganze Reihe erfolgreicher Start-ups aufzubauen – eines davon wurde an seinem ersten Tag an der Börse im Jahr 2012 auf über drei Milliarden Dollar geschätzt, und andere sind von Google, Oracle, Ticketmaster und Monster übernommen worden.

Horniks harte Arbeit und sein Talent – ganz abgesehen von seinem Glück, beim Fußballspiel seiner Tochter an der richtigen Seitenlinie zu stehen – halfen ihm sehr dabei, das Geschäft mit Danny Shader unter Dach und Fach zu bringen. Den Ausschlag gab jedoch letztendlich seine Reziprozitätsform. Und er war nicht der einzige Gewinner. Auch Shader gewann, ebenso wie die Unternehmen, denen er Hornik später empfahl. Horniks Geber-Verhalten zahlte sich für ihn selbst aus und maximierte zugleich die Möglichkeiten anderer, von der Zusammenarbeit mit ihm zu profitieren.

 

In diesem Buch möchte ich Sie davon überzeugen, dass wir den Erfolg von Gebern wie David Hornik unterschätzen. Obwohl wir sie oft als Krücken und Fußabtreter abstempeln, erweisen sie sich als überraschend erfolgreich. Um herauszufinden, weshalb Geber am oberen Ende der Erfolgsleiter dominieren, werden wir uns mit verblüffenden Studien und Geschichten befassen, die genauer beleuchten, wieso Geben wirkungsvoller – und ungefährlicher – sein kann, als die meisten glauben. Ich werde Ihnen erfolgreiche Geber aus vielen verschiedenen Berufen vorstellen, darunter Berater, Anwälte, Ärzte, Ingenieure, Verkäufer, Schriftsteller, Unternehmer, Wirtschaftsprüfer, Lehrer und Sportmanager. Diese Geber stellen das gängige Modell, zuerst Erfolg zu haben und später etwas zurückzugeben, auf den Kopf und führen uns vor Augen, dass diejenigen, die zuerst geben, oftmals die beste Ausgangsposition für den späteren Erfolg haben.

Aber wir dürfen auch die Ingenieure und Verkäufer am unteren Ende der Leiter nicht vergessen. Manche Geber werden tatsächlich zu leichten Opfern und Fußabtretern, und ich möchte untersuchen, was die Cracks von den Krücken unterscheidet. Dabei geht es nicht so sehr um Talent oder Begabung als vielmehr um die Strategien und Entscheidungen der Geber. Um zu erklären, wie Geber es vermeiden, am Fußende der Erfolgsleiter zu landen, werde ich zwei verbreitete Mythen über Geber zerstören und Ihnen zeigen, dass sie weder nett noch selbstlos sein müssen. Wir alle haben Ziele, die wir erreichen wollen, und Sie werden sehen, dass erfolgreiche Geber genauso ehrgeizig sind wie Nehmer und Tauscher. Sie verfolgen ihre Ziele nur auf andere Weise.

Das bringt uns zu meinem dritten Ziel: Ich möchte zeigen, was am Erfolg von Gebern einzigartig ist. Lassen Sie mich klarstellen, dass Geber, Nehmer und Tauscher allesamt erfolgreich sein können – und es auch sind. Aber wenn Geber Erfolg haben, geschieht etwas ganz Besonderes: Er breitet sich kaskadenartig aus. Wenn Nehmer gewinnen, verliert für gewöhnlich ein anderer. Untersuchungen zeigen, dass Menschen erfolgreiche Nehmer häufig beneiden und nach Wegen suchen, um sie zurechtzustutzen.[11] Im Gegensatz dazu drücken sie erfolgreichen Gebern wie David Hornik die Daumen und unterstützen sie, statt sie aufs Korn zu nehmen. Der Erfolg von Gebern erzeugt einen Welleneffekt; er verstärkt den Erfolg der Menschen in ihrer Umgebung. Wie Sie sehen werden, liegt der Unterschied darin, dass und wie Geber mit ihrem Erfolg Werte schaffen, statt sie nur zu beanspruchen. Wie der Risikoanleger Randy Komisar bemerkt: »Es ist leichter zu gewinnen, wenn jeder will, dass du gewinnst. Wenn du dir keine Feinde schaffst, hast du eher Erfolg.«[12]

In manchen Bereichen scheinen die Kosten des Gebens den Nutzen jedoch eindeutig zu überwiegen, so etwa in der Politik. Im einleitenden Zitat behauptet Mark Twain, dass es zur Diplomatie gehört, zehnmal so viel zu nehmen, wie man gibt. »In der Politik«, schreibt der frühere Präsident Bill Clinton, »geht es darum, Dinge zu bekommen. Man muss Unterstützung, Spenden und Stimmen bekommen, immer und immer wieder.«[13] Bei der Lobbyarbeit und bei Wahlen, in denen man seine Gegner ausstechen muss, sollten Nehmer im Vorteil sein, und für den konstanten Austausch von Gefälligkeiten, den die Politik verlangt, sind Tauscher vielleicht genau die Richtigen. Was wird in der Welt der Politik aus den Gebern?

Denken Sie an die politischen Kämpfe eines Provinzlers, der auf den Namen Sampson hörte. Er sagte, sein Ziel sei es, der »Clinton von Illinois« zu werden, und er peilte einen Sitz im Senat an. Sampson war kein sonderlich aussichtsreicher Kandidat für ein politisches Amt, da er in jungen Jahren auf einer Farm gearbeitet hatte. Aber er war ausgesprochen ehrgeizig; schon mit dreiundzwanzig Jahren bewarb er sich zum ersten Mal um einen Sitz im Repräsentantenhaus. Es gab dreizehn Kandidaten, und nur die ersten vier bekamen einen Sitz. Sampson schnitt nicht gerade glänzend ab; er landete an achter Stelle.

Nachdem er dieses Rennen verloren hatte, wandte sich Sampson dem Geschäftsleben zu und nahm einen Kredit auf, um zusammen mit einem Freund einen kleinen Laden zu eröffnen. Der Versuch scheiterte, und Sampson konnte den Kredit nicht zurückzahlen. Die örtlichen Behörden beschlagnahmten seinen Besitz. Kurz darauf starb sein völlig mittelloser Geschäftspartner, und Sampson übernahm dessen Schulden. Er bezeichnete seine Verbindlichkeiten scherzhaft als »Staatsschulden«: Sie betrugen das Fünfzehnfache seines Jahreseinkommens. Er brauchte Jahre dafür, aber schließlich zahlte er jeden Cent zurück.

Nach seinem Scheitern als Kaufmann kandidierte er zum zweiten Mal fürs Repräsentantenhaus. Obwohl er erst fünfundzwanzig war, wurde er Zweiter und errang einen Sitz. Vor der ersten Sitzung musste er sich das Geld für seinen ersten Anzug leihen. Während der nächsten acht Jahre war Sampson Abgeordneter; in dieser Zeit schloss er ein Jura-Studium ab. Mit 45 Jahren war er schließlich bereit, auf der nationalen Bühne nach Einfluss zu streben. Er kandidierte für den Senat.

Sampson wusste, dass er einen schweren Weg vor sich hatte. Seine beiden Hauptgegner waren James Shields und Lyman Trumbull. Beide waren Richter am Obersten Gerichtshof gewesen und stammten aus weitaus privilegierteren Verhältnissen als Sampson. Shields bewarb sich als Amtsinhaber um seine Wiederwahl; er war der Neffe eines Kongressabgeordneten. Trumbull war der Enkel eines bedeutenden Historikers, der in Yale studiert hatte. Im Vergleich zu ihnen hatte Sampson wenig Erfahrung und politische Macht.

Beim ersten Wahlgang lag Sampson mit 44 Prozent überraschend in Führung. Shields lag mit 41 Prozent knapp hinter ihm, und Trumbull war mit 5 Prozent weit abgeschlagen. Beim nächsten Gang gewann Sampson noch an Boden und kam auf 47 Prozent. Aber das Blatt begann sich zu wenden, als ein neuer Kandidat ins Rennen einstieg: Joel Matteson, der damalige Gouverneur des Staates. Matteson war beliebt, und er besaß das Potenzial, sowohl Sampson als auch Trumbull Stimmen abzunehmen. Als Shields aus dem Rennen ausstieg, wurde Matteson rasch zum Favoriten. Er kam auf 44 Prozent, während Sampson auf 38 Prozent fiel und Trumbull bei 9 Prozent lag. Stunden später gewann Trumbull aber die Wahl mit 51 Prozent, wobei er Matteson, der auf 47 Prozent kam, knapp überflügelte.

Warum stürzte Sampson ab, und wieso stieg Trumbull so rasch auf? Der plötzliche Tausch ihrer Positionen rührte von einer Entscheidung Sampsons her, der offenbar ein pathologischer Geber war. Als Matteson ins Rennen einstieg, beschlichen Sampson Zweifel, dass es ihm gelingen würde, die für den Sieg erforderliche Unterstützung zu gewinnen. Er wusste, dass Trumbull eine kleine, aber loyale Gefolgschaft besaß, die ihn nicht im Stich lassen würde. An Sampsons Stelle hätten die meisten Leute Trumbulls Anhänger zu bewegen versucht, das sinkende Schiff zu verlassen. Mit lediglich 9 Prozent der Stimmen hatte Trumbull wenig Aussicht auf Erfolg.

Sampson war jedoch nicht in erster Linie darauf aus, gewählt zu werden. Sein Hauptziel war es, Mattesons Sieg zu verhindern. Er glaubte, dass Matteson sich fragwürdiger Praktiken bediente. Einige Beobachter hatten Matteson beschuldigt, er versuche, einflussreiche Stimmberechtigte zu bestechen. Sampson verfügte zumindest über zuverlässige Informationen, dass Matteson an einige seiner eigenen wichtigsten Unterstützer herangetreten war. Wenn es so aussähe, als ob Sampson keine Chance hätte, argumentierte Matteson, sollten sie sich von ihm abwenden und ihn unterstützen.

Sampsons Bedenken, was Mattesons Methoden und Motive betraf, erwiesen sich als prophetisch. Ein Jahr später, als Mattesons Amtszeit als Gouverneur zu Ende ging, löste er alte Regierungsschecks ein, die abgelaufen oder bereits eingelöst, aber nicht ungültig gemacht worden waren. Er nahm mehrere hunderttausend Dollar mit nach Hause und wurde wegen Betrugs angeklagt.

Außer dass er Matteson misstraute, glaubte Sampson auch an Trumbull, weil sie in politischen Fragen einiges gemein hatten. Sampson setzte sich schon seit vielen Jahren leidenschaftlich für eine umfangreiche Reform der Sozial- und Wirtschaftspolitik ein. Er glaubte, dass sie für die Zukunft seines Staates von entscheidender Bedeutung sei, und in diesem Punkt zog er mit Trumbull an einem Strang. Statt also den Versuch zu unternehmen, Trumbulls loyale Anhänger abzuwerben, beschloss Sampson, sich in sein Schwert zu stürzen. Er erklärte seinem Wahlkampfleiter, Stephen Logan, er werde seine Kandidatur zurückziehen und seine Unterstützer bitten, für Trumbull zu stimmen. Logan konnte es nicht glauben: Warum sollte der Mann mit der größeren Anhängerschaft den Wahlsieg einem Gegner mit einer kleineren Anhängerschaft überlassen? Logan brach in Tränen aus, aber Sampson gab nicht nach. Er zog sich zurück und bat seine Unterstützer, für Trumbull zu stimmen. Das genügte, um Trumbull zum Sieg zu verhelfen – auf Sampsons Kosten.

Dies war nicht das erste Mal, dass Sampson die Interessen anderer über seine eigenen stellte. Bevor er Trumbull half, die Senatswahl zu gewinnen, litt Sampsons erfolgreiche Arbeit als Anwalt trotz allen Lobs, das er dafür einheimste, unter einer zentnerschweren Last. Er konnte sich nicht dazu durchringen, Klienten zu verteidigen, die er für schuldig hielt. Einem Kollegen zufolge wussten Sampsons Klienten, »dass sie ihren Prozess gewinnen würden – sofern sie unschuldig waren; und dass es Zeitverschwendung war, mit ihrem Fall zu ihm zu gehen, wenn nicht«. Einmal war ein Klient des Diebstahls angeklagt, und Sampson wandte sich an den Richter. »Wenn Ihr etwas zugunsten des Mannes sagen könnt, tut es – ich kann es nicht. Wenn ich es versuche, wird die Jury sehen, dass ich ihn für schuldig halte, und ihn verurteilen.« Ein andermal beugte sich Sampson während eines Strafverfahrens zu einem Mitarbeiter hinüber und sagte: »Dieser Mann ist schuldig; verteidigen Sie ihn, ich kann es nicht.« Sampson übergab den Fall dem Mitarbeiter und verzichtete auf ein beträchtliches Honorar. Dieses Verhalten trug ihm Respekt ein, warf jedoch die Frage auf, ob er robust genug war, um harte politische Entscheidungen zu treffen.

Sampson »kommt einem perfekten Menschen sehr nahe«, meinte einer seiner politischen Rivalen. »Ihm fehlt nur eines.« Sampson könne nicht mit Macht betraut werden, erklärte der Rivale, weil seine Urteilskraft zu leicht von der Sorge um andere getrübt werde. In der Politik war es von Nachteil für Sampson, dass er sich wie ein Geber verhielt. Seine Abneigung dagegen, sich selbst an die erste Stelle zu setzen, kostete ihn die Wahl in den Senat und ließ die Beobachter zweifeln, ob er stark genug sei für die gnadenlose Welt der Politik. Trumbull war ein leidenschaftlicher Debattenredner, Sampson ein leichter Gegner. »Ich bedauere meine Niederlage«, gab Sampson zu, behauptete allerdings, Trumbulls Wahl sei ihren gemeinsamen politischen Zielen dienlich. Nach der Wahl schrieb ein Lokalreporter, im Vergleich zu Sampson sei Trumbull »der talentiertere und kraftvollere Mann«.

Sampson hatte jedoch keineswegs vor, das Feld endgültig zu räumen. Vier Jahre nachdem er Lyman Trumbull geholfen hatte, das Mandat zu erringen, kandidierte er erneut für den Senat. Er verlor auch diesmal. Aber einer der entschiedensten Unterstützer Sampsons in den Wochen vor der Wahl war niemand anders als Lyman Trumbull. Der Verzicht hatte Sampson Wohlwollen eingetragen, und Trumbull war nicht der einzige Gegner, der als Reaktion auf Sampsons Geber-Verhalten zum Fürsprecher geworden war. Bei Sampsons erster Kandidatur für den Senat, bei der er 47 Prozent der Stimmen bekommen hatte und auf der Schwelle des Sieges zu stehen schien, war ein Anwalt und Politiker aus Chicago namens Norman Judd der Anführer jener starken 5 Prozent gewesen, die fest zu Trumbull gestanden hatten. Bei Sampsons zweiter Kandidatur für den Senat unterstützte ihn Judd energisch.

Zwei Jahre später, nach zwei gescheiterten Kandidaturen für den Senat, gewann Sampson endlich seine erste Wahl auf nationaler Ebene. Einem Kommentator zufolge vergaß Judd Sampsons »großzügiges Verhalten« nie und tat »mehr als jeder andere«, um Sampsons Nominierung sicherzustellen.

1999 veranstaltete C-SPAN, ein Kabelsender für politische Berichterstattung, eine Meinungsumfrage unter mehr als tausend sachkundigen Zuschauern. Sie bewerteten die Effektivität von Sampson und drei Dutzend anderen Politikern, die sich um ähnliche Ämter beworben hatten. Sampson landete dabei an der Spitze; er erhielt die höchsten Bewertungen. Trotz seiner Niederlagen war er beliebter als jeder andere Politiker auf der Liste.

»Sampsons Geist« war ein Pseudonym, das der Provinzler in Briefen benutzt hatte, müssen Sie wissen. Sein richtiger Name war Abraham Lincoln.[14]

In den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts strebte Lincoln danach, der DeWitt Clinton von Illinois zu werden, eine Anspielung auf einen amerikanischen Senator und Gouverneur von New York, der sich sehr für den Bau des Eriekanals eingesetzt hatte. Zu der Zeit, als Lincoln sich aus seinem ersten Senatswahlkampf zurückzog, um Lyman Trumbull zu dem Sitz zu verhelfen, engagierten sie sich gemeinsam für die Abschaffung der Sklaverei. Von der Befreiung von Sklaven über den Verzicht auf seine eigenen politischen Chancen um der Sache willen bis zur Weigerung, Klienten zu verteidigen, die ihm schuldig zu sein schienen, handelte Lincoln beständig zugunsten des größeren Ganzen. Als Historiker, Politikwissenschaftler und Psychologen die Präsidenten bewerteten, identifizierten sie Lincoln eindeutig als Geber. »Selbst wenn es ungelegen kam, gab Lincoln sich alle Mühe, anderen zu helfen«, schrieben zwei Fachleute; er habe »offenkundige Sorge um das Wohlergehen einzelner Bürger« gezeigt. Es ist bemerkenswert, dass Lincoln als einer der am wenigsten ichbezogenen, egoistischen, eitlen Präsidenten aller Zeiten betrachtet wird. Bei voneinander unabhängigen Bewertungen von Präsidentenbiographien kam Lincoln unter die ersten drei – zusammen mit George Washington und Millard Fillmore – , wenn es darum ging, anderen die ihnen gebührende Anerkennung zuteilwerden zu lassen und im besten Interesse anderer zu handeln. Mit den Worten eines Generals, der mit Lincoln zusammenarbeitete: »Er schien mehr Elemente der Größe, verbunden mit Güte, zu besitzen als jeder andere.«

Im Oval Office war Lincoln fest entschlossen, das Wohl der Nation über sein Ego zu stellen. Als er 1860 Präsident wurde, bot er den drei in der Nominierungsrunde der Republikaner unterlegenen Kandidaten an, Außenminister, Finanzminister und Justizminister zu werden. In Team of Rivals dokumentiert die Historikerin Doris Kearns Goodwin, wie ungewöhnlich Lincolns Kabinett war. »Jedes Regierungsmitglied war bekannter, gebildeter und hatte mehr Erfahrung im öffentlichen Leben als Lincoln. Ihre Anwesenheit im Kabinett hätte den obskuren Prärie-Anwalt durchaus in den Schatten stellen können.«

Ein Nehmer in Lincolns Position hätte es vielleicht vorgezogen, sein Ego und seine Macht zu schützen, indem er Jasager um sich scharte. Ein Tauscher hätte Verbündete, die ihn unterstützt hatten, möglicherweise mit Posten versorgt. Aber Lincoln bot stattdessen seinen erbitterten Konkurrenten Regierungsämter an. »Wir brauchten die stärksten Männer der Partei im Kabinett«, erklärte Lincoln einem ungläubigen Reporter. »Ich hatte nicht das Recht, das Land ihrer Dienste zu berauben.« Einige seiner Rivalen verachteten Lincoln, andere hielten ihn für inkompetent, aber es gelang ihm, sie alle auf seine Seite zu ziehen. Kearns Goodwin zufolge »lässt Lincolns Erfolg im Umgang mit den starken Egos der Männer in seinem Kabinett darauf schließen, dass die Eigenschaften, die wir im Allgemeinen mit Anstand und Moral verbinden – Freundlichkeit, Einfühlsamkeit, Mitgefühl, Ehrlichkeit und Empathie – , bei einem wahrhaft großen Politiker auch eindrucksvolle politische Ressourcen sein können.«

Wenn sogar die Politik ein fruchtbarer Boden für Geber sein kann, dann sollte es ihnen eigentlich möglich sein, in jedem Job Erfolg zu haben. Ob Geber-Verhalten jedoch effektiv ist, hängt von der speziellen Form des Austauschs ab, in der es eingesetzt wird. Das ist ein wichtiger Aspekt des Gebens, den wir auf unserer Reise durch die Gedanken in diesem Buch im Gedächtnis behalten müssen: Das Geben kann jederzeit inkompatibel mit dem Erfolg sein. In reinen Nullsummen-Situationen sowie bei Interaktionen, bei denen es um Sieg oder Niederlage geht, zahlt sich das Geben selten aus. Diese Lektion lernte Abraham Lincoln jedes Mal aufs Neue, wenn er sich entschied, anderen auf seine eigenen Kosten zu geben. »Wenn ich ein Laster habe«, sagte Lincoln, »und ich kann es nicht anders nennen – dann, dass ich nicht nein sagen kann!«

Aber das Leben ist in weiten Teilen kein Nullsummenspiel, und unter dem Strich ernten Menschen, die das Geben als Hauptform der Reziprozität wählen, am Ende Belohnungen. Scheinbar aufopferungsvolle Entscheidungen gereichten Abraham Lincoln wie auch David Hornik letztendlich zum Vorteil. Bei unserer anfänglichen Folgerung, Lincoln und Hornik hätten das Nachsehen gehabt, hatten wir die Zeithorizonte nicht weit genug gesteckt. Es dauert eine Weile, bis Geber Wohlwollen und Vertrauen errungen haben, aber der Ruf, den sie sich schließlich erarbeiten, und die Beziehungen, die sie aufbauen, vergrößern ihren Erfolg. Tatsächlich sieht man im Verkauf und an der medizinischen Hochschule, dass der Vorteil des Gebers dort im Lauf der Zeit wächst. Auf lange Sicht kann Geben genauso machtvoll sein, wie es gefährlich ist. Chip Conley, Gründer der Hotelkette Joie de Vivre, erklärt das so: »Bei einem Hundertmeterlauf bringt es nichts, ein Geber zu sein, aber bei einem Marathonlauf ist es ausgesprochen nützlich.«[15]

Zu Lincolns Zeit dauerte der Marathonlauf sehr lange. Ohne Telefon, Internet und Hochgeschwindigkeitsverkehr war es ein langsamer Prozess, Beziehungen aufzubauen und sich einen Ruf zu erarbeiten. »In der alten Welt konnte man einen Brief abschicken, und niemand wusste es«, sagt Conley. Er glaubt, dass Geber in der vernetzten Welt von heute, in der Beziehungen und Reputationen sichtbarer sind, schneller ans Ziel kommen können. »Man muss sich nicht mehr entscheiden«, meint Bobbi Silten, die ehemalige Präsidentin von Dockers, die jetzt bei Gap Inc. für die Sozial- und Umweltpolitik des Unternehmens in aller Welt zuständig ist. »Man kann ein Geber sein – und erfolgreich.«[16]

Dass nicht mehr so lange währen muss, was gut werden soll, ist nicht das Einzige, was das Geben heute im Berufsleben produktiver macht. Wir leben in einer Zeit, in der gewaltige Veränderungen in der Struktur der Arbeit – und der sie prägenden Technik – die Vorteile des Gebens noch stärker akzentuieren. Heute lassen mehr als die Hälfte aller amerikanischen und europäischen Unternehmen die Arbeit regelmäßig von Teams erledigen.[17] Wir verlassen uns auf Teams, die Autos und Häuser bauen, Operationen durchführen, Flugzeuge fliegen, Kriege austragen, Sinfonien spielen, Nachrichtenmeldungen produzieren, die Bücher von Unternehmen prüfen und Beratungsleistungen anbieten. Und all diese Teams sind auf Geber angewiesen, die Informationen weitergeben, sich freiwillig für unbeliebte Aufgaben melden und Hilfe anbieten.

Als Lincoln seine Rivalen ins Kabinett aufnahm, konnten diese mit eigenen Augen sehen, wie viel er für andere Menschen und sein Land zu investieren bereit war. Mehrere Jahre bevor Lincoln Präsident wurde, hatte ihn einer seiner Konkurrenten, Edwin Stanton, bei einem Verfahren als zweiten Prozessbeistand abgelehnt und als »linkischen, langarmigen Affen« beschimpft. Doch nachdem er mit Lincoln zusammengearbeitet hatte, bezeichnete er ihn als »den vollkommensten Regenten, den die Welt je gesehen hat«. Heute, wo wir immer mehr Menschen zu Teams zusammenstellen, haben Geber mehr Gelegenheiten zu zeigen, was sie wert sind, so wie Lincoln damals.

Auch wenn Sie nicht in einem Team arbeiten, haben Sie doch mit gewisser Wahrscheinlichkeit einen Dienstleistungsjob. Unsere Großeltern hingegen waren meist noch in der Warenproduktion tätig. Da sie nicht immer mit anderen zusammenarbeiten mussten, brachte es ihnen nicht viel, Geber zu sein. Doch jetzt arbeitet ein hoher Prozentsatz der Menschen im Dienstleistungsbereich, wo die Jobs häufig eng miteinander verbunden sind. In den 1980er Jahren generierte dieser Sektor ungefähr die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts; 1995 waren es fast schon zwei Drittel. Heute arbeiten mehr als 80 Prozent der Amerikaner im Dienstleistungssektor.

Da dieser sich weiter ausdehnt, legen immer mehr Menschen Wert auf Anbieter, die sich einen Ruf als Geber erworben und entsprechende Beziehungen aufgebaut haben.[18] Ob Sie selbst nun in erster Linie Geber, Nehmer oder Tauscher sind, ich bin bereit, darauf zu wetten, dass Ihre wichtigsten Dienstleister Geber sein sollen. Sie hoffen, dass Ihr Arzt, Anwalt, Lehrer, Zahnarzt, Installateur oder Immobilienmakler etwas für Sie tut, statt nur etwas von Ihnen haben zu wollen. Deshalb hat David Hornik eine Erfolgsquote von 89 Prozent: Firmengründer wissen, dass ihm ihre Interessen am Herzen liegen, wenn er eine Investition in ihren Unternehmen anbietet. Viele Risikoanleger berücksichtigen keine unverlangten Bewerbungen, sondern verwenden ihre knappe Zeit lieber auf Menschen und Ideen, die sich bereits als viel versprechend erwiesen haben. Im Gegensatz dazu beantwortet Hornik auch E-Mails von völlig Fremden persönlich. »Ich helfe anderen gern, so gut ich kann, unabhängig von meinen eigenen ökonomischen Interessen«, sagt er. Hornik zufolge ist ein erfolgreicher Risikoanleger »ein Dienstleister. Firmengründer sollen nicht den Risikoanlegern zu Diensten sein. Wir sollen den Firmengründern zu Diensten sein.«

Der Aufstieg der Dienstleistungsökonomie erhellt, warum Geber an der medizinischen Hochschule sowohl am schlechtesten als auch am besten abschneiden. In der Studie über belgische Medizinstudenten bekamen die Geber im ersten Studienjahr signifikant schlechtere Noten. Die Geber waren im Nachteil – und die negative Korrelation zwischen der Bewertung und den Noten der Geber war stärker als der Einfluss des Rauchens auf das Lungenkrebsrisiko.

Das war jedoch das einzige Jahr im Medizinstudium, in dem die Geber unterdurchschnittliche Leistungen erbrachten. Im zweiten Studienjahr hatten sie bereits aufgeholt: Sie schnitten jetzt sogar ein wenig besser ab als ihre Kommilitonen. Im sechsten Jahr bekamen die Geber erheblich bessere Noten als alle anderen. Ein sechs Jahre zuvor festgestelltes Geber-Verhalten war ein besserer Indikator für die Noten an der medizinischen Hochschule als das Rauchen für die Lungenkrebsquote (und als die Verwendung von Nikotinpflastern für das Aufhören mit dem Rauchen). Als die Geber im siebten Jahr an der medizinischen Hochschule Ärzte wurden, hatten sie ihren Vorsprung noch weiter ausgebaut. Der Einfluss des Gebens auf die Qualität der Abschlüsse an der medizinischen Hochschule war stärker als die oben erwähnten Effekte des Rauchens; er war sogar größer als der Einfluss des Alkoholkonsums auf aggressives Verhalten.

Warum hat sich der Nachteil der Geber in einen solch großen Vorteil verkehrt?

Bei den Gebern hat sich nichts geändert, außer ihrem Studienprogramm. Im Lauf des Medizinstudiums wechseln sie vom Besuch von Vorlesungen und Seminaren in den klinischen Abschnitt, in dem sie Praktika absolvieren und in die Patientenversorgung einbezogen werden. Je weiter sie vorankommen, desto mehr hängt ihr Erfolg von Teamwork und Dienstleistung ab. Die Struktur des Studiums verändert sich, und nun profitieren die Geber von ihrer natürlichen Neigung zur effizienten Kooperation mit anderen Mitarbeitern des Gesundheitswesens und ihrer unverkennbaren Sorge um das Wohl der Patienten.

Dieser Vorteil der Geber im Dienstleistungsbereich beschränkt sich nicht auf die Medizin. Steve Jones, der preisgekrönte ehemalige Vorstandsvorsitzende einer der größten australischen Banken, wollte wissen, was Finanzberater erfolgreich macht.[19] Sein Team erforschte Schlüsselfaktoren wie finanztechnisches Know-how und Arbeitseinsatz. Aber »der bei weitem einflussreichste Faktor«, erzählte mir Jones, »war, ob einem Finanzberater die Interessen des Klienten am Herzen lagen, noch vor denen des Unternehmens und seinen eigenen. Es gehörte zu meinen drei obersten Prioritäten, ihnen diese Einstellung zu vermitteln und zu zeigen, dass es im besten Interesse aller Beteiligten ist, Klienten so zu behandeln.«

Ein Finanzberater, der beispielhaft für diesen Geber-Stil steht, ist Peter Audet, ein breitschultriger Australier, der früher eine Vokuhila-Frisur trug und Bon-Jovi-Fan ist. Er begann seine berufliche Laufbahn als telefonischer Kundendienstmitarbeiter einer großen Versicherungsgesellschaft. Gleich im ersten Jahr gewann er die »Personality of the Year«-Auszeichnung, wobei er mit seiner ausgeprägten Hilfsbereitschaft den Kunden gegenüber Hunderte anderer Mitarbeiter aus dem Feld schlug, und wurde der jüngste Abteilungsleiter des gesamten Unternehmens. Als er Jahre später zusammen mit fünfzehn anderen Managern an einer Übung zum Thema »Geben und Nehmen« teilnahm, bot jeder Manager im Durchschnitt drei Kollegen Hilfe an, Peter jedoch allen fünfzehn. Er ist in einem solchen Maß ein Geber, dass er sogar jenen Stellenbewerbern zu helfen versucht, die er nicht einstellt, und stundenlang seine Beziehungen spielen lässt, um ihnen andere Möglichkeiten zu eröffnen.

Im Jahr 2011 erhielt Peter, der zu dieser Zeit als Finanzberater arbeitete, einen Anruf von einem australischen Klienten. Dieser wollte etwas an seinem kleinen Altersvorsorge-Portfolio in Höhe von 70 000 Dollar ändern. Ein Mitarbeiter übernahm den Klienten, sah sich seine Unterlagen an und stellte fest, dass er Schrottarbeiter war. Der Mitarbeiter dachte wie ein Tauscher und lehnte es ab, ihn aufzusuchen: Das sei reine Zeitverschwendung. Auf jeden Fall wäre es Peters Zeit nicht wert gewesen. Er hatte sich auf vermögende Kunden spezialisiert, deren Portfolios tausendmal größer waren; sein größter Klient besaß über 100 Millionen Dollar. Wenn man den Wert von Peters Zeit in Dollar berechnete, war das Portfolio des Schrottarbeiters nicht einmal die Fahrtzeit zu ihm nach Hause wert. »Er war der kleinste Klient, und niemand wollte ihn besuchen; alle hielten es für unter ihrer Würde«, sagt Peter nachdenklich. »Aber man kann jemanden nicht einfach ignorieren, bloß weil man ihn nicht für wichtig genug hält.«

Peter verabredete sich mit dem Schrottarbeiter, um ihm bei den Änderungen an seinem Portfolio zu helfen. Als er vor dem Haus des Mannes an den Randstein fuhr, klappte ihm die Kinnlade herunter. Die Haustür war von Spinnweben bedeckt und seit Monaten nicht geöffnet worden. Er fuhr nach hinten, wo ihm ein 34 Jahre alter Mann die Tür öffnete. Im Wohnzimmer wimmelte es von Ungeziefer, und Peter konnte bis zum Dach hinaufschauen: Die gesamte Decke war herausgerissen worden. Der Klient deutete matt auf ein paar Klappstühle, und Peter begann, die vorgesehenen Änderungen durchzuarbeiten. Er verspürte Mitgefühl mit dem Kunden, der ihm wie ein ernsthafter, fleißiger Malocher vorkam, und machte ihm darum ein großzügiges Angebot. »Warum erzählen Sie mir nicht ein bisschen was über sich, wo ich nun schon mal hier bin. Mal sehen, ob ich Ihnen noch auf andere Weise helfen kann.«

Der Klient erklärte ihm, er sei ein Autonarr, und ging mit ihm zu einem baufälligen Schuppen. Peter wappnete sich für einen weiteren deprimierenden Anblick von Armut und sah schon einen Haufen rostigen Metalls vor seinem geistigen Auge. Doch als er den Schuppen betrat, verschlug es ihm den Atem. Vor ihm standen ein Chevrolet Camaro der ersten Generation, Baujahr 1966; zwei alte australische Valiants mit 1000-PS-Motoren für Dragsterrennen; ein aufgemotztes Pick-up-Coupé; und ein Ford-Coupé aus dem Film Mad Max, allesamt in makellosem Zustand. Der Klient war kein Schrottarbeiter; er besaß einen lukrativen Schrotthandel. Das Haus hatte er gerade erst gekauft, um es zu renovieren; es stand auf einem 45 000 Quadratmeter großen Grundstück und hatte 1,4 Millionen Dollar gekostet. Peter verbrachte das nächste Jahr damit, das Unternehmen des Kunden umzustrukturieren, seine Steuerlast zu reduzieren und ihm bei der Renovierung des Hauses zu helfen. »Anfangs wollte ich jemandem bloß einen Gefallen tun«, bemerkt Peter. »Aber als ich am nächsten Tag zur Arbeit ging, musste ich über meinen Kollegen lachen, der nicht bereit gewesen war, ein bisschen zu investieren und zu dem Klienten hinauszufahren.« Peter baute in der Folge eine gute Beziehung zu dem Klienten auf, dessen Honorare sich im folgenden Jahr verhundertfachten, und er geht davon aus, dass er noch jahrzehntelang mit ihm zusammenarbeiten wird.

Durch sein Geber-Verhalten haben sich Peter Audet im Verlauf seiner Karriere Chancen eröffnet, die Nehmer und Tauscher regelmäßig verpassen, aber es ist ihn auch teuer zu stehen gekommen. Wie Sie im siebten Kapitel sehen werden, wurde er von zwei Nehmern ausgenutzt, die ihn fast auf die Bretter geschickt hätten. Doch Peter schaffte es, die Erfolgsleiter wieder bis ganz nach oben hinaufzuklettern und einer der produktiveren Finanzberater in Australien zu werden. Das lag seiner Ansicht nach vor allem daran, dass er die Vorteile des Gebens zu nutzen und die Kosten zu minimieren lernte. Als Geschäftsführer von Genesys Wealth Advisers gelang es ihm, seine Firma vor dem Bankrott zu bewahren und zur Branchenführerin zu machen, und er schreibt seinen Erfolg der Tatsache zu, dass er ein Geber ist. »Mein geschäftlicher Erfolg beruht zweifellos darauf, dass ich anderen etwas gebe. Das ist meine Lieblingswaffe«, sagt Peter. »Wenn ich mir mit einem anderen Berater ein Kopf-an-Kopf-Rennen um einen Klienten liefere, gewinne ich aus diesem Grund, das höre ich immer wieder.«

Obwohl das Geben dank technischer und organisatorischer Veränderungen vorteilhafter geworden ist, hat es auch einen zeitlosen Aspekt: Wenn wir über die Prinzipien nachdenken, die uns im Leben leiten, verspüren viele von uns eine intuitive Neigung zum Geben. Während der letzten dreißig Jahre hat der renommierte Psychologe Shalom Schwartz erforscht, welche Werte und Grundprinzipien in verschiedenen Kulturen in aller Welt eine Rolle spielen. In einer seiner Studien untersuchte er hinreichend repräsentative Stichproben von Tausenden von Erwachsenen in Australien, Chile, Deutschland, Finnland, Frankreich, Israel, Malaysia, den Niederlanden, Schweden, Spanien, Südafrika und den Vereinigten Staaten. Er übersetzte seine Umfrage in ein Dutzend Sprachen und bat die Testpersonen, die Bedeutung verschiedener Werte zu beurteilen. Hier sind ein paar Beispiele:

 

Liste 1

Reichtum (Geld, materielle Besitztümer)

Macht (Dominanz, Herrschaft über andere)

Vergnügen (das Leben genießen)

gewinnen (besser sein als andere)

 

Liste 2

Hilfsbereitschaft(für das Wohlergehen anderer arbeiten)

Verantwortung (verlässlich sein)

soziale Gerechtigkeit (sich um die Benachteiligten kümmern)

Mitgefühl (auf die Bedürfnisse anderer eingehen)

 

Nehmer bevorzugen die Werte in Liste 1, wohingegen Geber den Werten in Liste 2 Vorrang einräumen. Schwartz wollte wissen, wo Geber-Werte den meisten Zuspruch fanden. Schauen Sie sich noch einmal die zwölf Länder oben an. In welchen misst die Mehrheit der Einwohner den Geber-Werten mehr Gewicht bei als den Nehmer-Werten?

In allen. In allen zwölf Ländern betrachten die meisten Menschen das Geben als ihren allerwichtigsten Wert. Sie geben zu Protokoll, dass ihnen das Geben mehr am Herzen liege als Macht, Leistung, Nervenkitzel, Freiheit, Tradition, Konformität, Sicherheit und Vergnügen. Tatsächlich traf dies auf mehr als siebzig verschiedene Länder in aller Welt zu. Für die meisten Menschen in den meisten Ländern – von Argentinien bis Armenien, von Belgien bis Brasilien, von der Slowakei bis Singapur – sind Geber-Werte die oberste Leitlinie im Leben. In der Mehrheit aller Kulturen der Welt betrachtet die Mehrheit der Menschen das Geben als ihr allerwichtigstes Grundprinzip.[20]

In gewisser Weise ist das keine Überraschung. Als Eltern lesen wir unseren Kindern Bücher wie Der Baum, der sich nicht lumpen ließ vor und betonen, wie wichtig das Miteinander und Füreinander ist. Aber wir neigen dazu, das Geben auf bestimmte Bereiche zu beschränken und in der Arbeitssphäre anderen Wertvorstellungen zu folgen. Mag sein, dass uns dieses Buch von Shel Silverstein als Lektüre für unsere Kinder gefällt, aber die Beliebtheit von Büchern wie Robert Greenes Die 48 Gesetze der Macht – ganz zu schweigen von der Begeisterung vieler Business-Gurus für Sun Tzus Die Kunst des Krieges – lässt darauf schließen, dass wir in unserem Berufsleben wenig Platz für Geber-Werte sehen.

Das führt dazu, dass selbst Menschen, die sich im Arbeitsleben wie Geber verhalten, oftmals Angst haben, es offen zuzugeben. Im Sommer des Jahres 2011 lernte ich eine Frau namens Sherryann Plesse kennen, Managerin bei einem renommierten Finanzdienstleistungsunternehmen. Sherryann war eindeutig eine Geberin: Sie verbrachte zahllose Stunden mit der Betreuung jüngerer Kollegen und erklärte sich freiwillig bereit, die Leitung einer Initiative zur Förderung weiblicher Führungskräfte zu übernehmen und eine große Spendensammlung für wohltätige Zwecke in ihrer Firma zu organisieren. »Von meiner Grundeinstellung her bin ich eine Geberin«, sagt sie. »Ich bin nicht auf Gegenleistungen aus; ich möchte etwas bewirken und Dinge beeinflussen, und ich konzentriere mich auf die Menschen, die am meisten von meiner Hilfe profitieren können.«[21]

Zwecks Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten als Managerin meldete sich Sherryann zu einer sechswöchigen Fortbildung für Führungskräfte mit sechzig Managern von Unternehmen in aller Welt an. Sie unterzog sich einer umfangreichen psychologischen Begutachtung, um ihre Stärken zu erkennen. Zu ihrem Schrecken erfuhr sie, dass ihre wichtigsten Stärken im beruflichen Bereich Freundlichkeit und Mitgefühl waren. Aus Furcht, die Ergebnisse würden ihren Ruf als harte und erfolgreiche Führungskraft gefährden, beschloss Sherryann, niemandem davon zu erzählen. »Ich wollte nicht als Versagerin dastehen. Ich hatte Angst, die Leute würden mich anders wahrnehmen, mich als Managerin vielleicht weniger ernst nehmen«, gestand Sherryann. »Ich war darauf trainiert, meine menschlichen Gefühle an der Garderobe abzugeben und zu gewinnen. Ich möchte, dass man Fleiß und Erfolgsorientierung als meine wichtigsten Fähigkeiten betrachtet, nicht Freundlichkeit und Mitgefühl. Im Geschäftsleben muss man manchmal verschiedene Masken tragen.«

Die Angst, als schwach oder naiv eingeschätzt zu werden, hindert nicht wenige daran, sich bei der Arbeit wie Geber zu verhalten. Viele Menschen, die sich im Leben an Geber-Werten orientieren, wählen bei der Arbeit das Tauschen als hauptsächliche Reziprozitätsform und suchen eine ausgewogene Balance von Geben und Nehmen. In einer Studie, in der es um die grundsätzliche Herangehensweise an Arbeitsbeziehungen – geben, nehmen oder tauschen – ging, bezeichneten sich lediglich 8 Prozent der Teilnehmer als Geber; die anderen 92 Prozent waren nicht bereit, bei der Arbeit mehr beizutragen, als sie empfingen. In einer anderen Studie habe ich festgestellt, dass im Büro mehr als dreimal so viele Menschen lieber Tauscher als Geber sind.

Wer eigentlich das Geben oder Tauschen vorzöge, verspürt oftmals den Druck, zum Nehmer zu werden, wenn er die Situation an seinem Arbeitsplatz als Nullsummenspiel wahrnimmt.[22] Sei es ein Unternehmen mit ausgeprägten Hierarchien, eine Gruppe von Firmen, die um dieselben Kunden kämpfen, oder eine Schule mit verpflichtender Notengebung nach der Normalverteilung und einem hinter der Nachfrage herhinkenden Angebot an begehrenswerten Stellen – es ist nur natürlich anzunehmen, dass die Kollegen eher zum Nehmen als zum Geben neigen werden. »Wenn Menschen von anderen eigennütziges Verhalten erwarten«, erklärt der Psychologe Dale Miller von der Stanford University, fürchten sie, dass sie ausgenutzt werden, wenn sie sich wie Geber verhalten, und gelangen darum zu dem Schluss, dass »eine konkurrenzbetonte Einstellung vernünftig und angemessen ist«. Es gibt sogar Belege dafür, dass es schon reicht, Geschäftskleidung anzuziehen und einen Schriftsatz der Harvard Business School zu analysieren, um die Aufmerksamkeit für Beziehungen und die Interessen anderer signifikant zu reduzieren.[23] Die Angst, von Nehmern ausgenutzt zu werden, sei so allgegenwärtig, schreibt der Ökonom Robert Frank von der Cornell University, dass sie »uns dazu anhält, von anderen das Schlimmste zu erwarten, und so das Schlimmste in uns hervorbringt: Weil wir fürchten, in die Rolle der Krücke zu geraten, folgen wir oftmals nur ungern unseren edleren Instinkten«.[24]

Geben ist besonders riskant, wenn man es mit Nehmern zu tun hat, und David Hornik glaubt, dass viele der erfolgreichsten Risikoanleger der Welt sich wie Nehmer verhalten – sie bestehen auf unverhältnismäßig großen Anteilen an den Start-ups der Firmengründer und betrachten es unzutreffenderweise als ihren Verdienst, wenn ihre Investitionen sich als erfolgreich erweisen. Hornik ist entschlossen, diese Normen zu ändern. Als ein Finanzplaner ihn fragte, was er im Leben erreichen wolle, antwortete er: »Vor allem möchte ich zeigen, dass Erfolg nicht auf Kosten anderer gehen muss.«

Um das zu beweisen, hat Hornik zwei der heiligsten Regeln des Beteiligungsgeschäfts gebrochen. 2004 hat er als erster Risikoanleger ein Blog gestartet. Das Thema Risikokapital war so etwas wie eine Blackbox, und Hornik lud Firmengründer ins Innere ein. Er gab Informationen online offen weiter, um den Firmengründern die Denkweise von Risikoanlegern näherzubringen und ihnen dadurch zu helfen, ihre Projektvorstellungen zu verbessern. Horniks Partner und der Justiziar seines Unternehmens rieten ihm davon ab. Warum wollte er Branchengeheimnisse verraten? Wenn andere Investoren sein Blog lasen, konnten sie Ideen stehlen, ohne selbst welche einzubringen. »Sie hielten es für verrückt, dass ein Risikoanleger über seine Tätigkeit redet«, erinnert sich Hornig. »Aber ich wollte mit einem breiten Spektrum von Firmengründern ins Gespräch kommen und ihnen behilflich sein.« Seine Kritiker hatten recht: »Letztendlich haben viele Risikoanleger das Blog gelesen. Wenn ich mich über bestimmte Unternehmen äußerte, die ich spannend fand, wurde die Konkurrenz um die Verträge härter.« Aber Hornik war bereit, diesen Preis zu zahlen. »Mir kam es einzig und allein darauf an, etwas Nützliches für die Firmengründer zu schaffen«, sagt er, und er hat das Blog während der vergangenen acht Jahre weitergeführt.

Der Anlass für Horniks zweite unkonventionelle Maßnahme war sein Ärger über langweilige Redner bei Tagungen. Auf dem College hatte er sich mit einem Professor zusammengetan und eine Redneragentur betrieben, damit er interessante Persönlichkeiten auf den Campus einladen konnte – Leute wie den Erfinder des Spiels Dungeons & Dragons, den Jo-Jo-Weltmeister und den Trickzeichner, der für Warner Bros. die Cartoon-Figuren Wile E. Coyote und Road Runner geschaffen hatte. Da konnten die Redner bei Risikokapital- und Technologie-Tagungen nicht mithalten. »Ich stellte fest, dass ich nicht mehr reinging, um mir die Redner anzuhören, sondern meine gesamte Zeit in der Lobby verbrachte und mit den Leuten darüber sprach, woran sie gerade arbeiteten. Der echte Wert dieser Veranstaltungen lag in den Gesprächen und den Beziehungen, die zwischen den Leuten entstanden. Und wenn man nun eine Tagung abhielte, bei der es um Gespräche und Beziehungen ginge statt um Inhalte?«

2007 plante Hornik seine erste Jahrestagung. Sie trug den Titel »The Lobby«, und das Ziel bestand darin, Firmengründer zu einem Austausch von Ideen mit Bezug auf die neuen Medien zusammenzubringen. Hornik investierte rund 400 000 Dollar, und man versuchte ihm die Sache auszureden. »Du könntest den Ruf deiner Firma ruinieren«, hieß es, verbunden mit der Andeutung, Horniks Karriere könnte zu Ende sein, wenn die Tagung schiefging. Aber er machte unverdrossen weiter, und als es an der Zeit war, die Einladungen loszuschicken, tat er das Unvorstellbare. Er lud Risikoanleger konkurrierender Firmen zu der Tagung ein.

Etliche Kollegen glaubten, er habe den Verstand verloren. »Warum in aller Welt willst du andere Risikoanleger zu der Tagung kommen lassen?«, fragten sie. Falls Hornik bei The Lobby auf einen Firmengründer mit einer heißen neuen Geschäftsidee stieß, hätte er einen Vorsprung, wenn es darum ging, die Investition unter Dach und Fach zu bringen. Warum wollte er auf diesen Vorteil verzichten und seinen Konkurrenten beim Aufspüren von Chancen helfen? Erneut ignorierte Hornik die Neinsager. »Ich möchte ein Erlebnis schaffen, von dem alle profitieren, nicht nur ich.« Einem der konkurrierenden Risikoanleger, die an der Veranstaltung teilnahmen, gefiel das Format so sehr, dass er seine eigene Tagung im Lobby-Stil veranstaltete, aber er lud Hornik nicht dazu ein – und auch keine anderen Anleger. Seine Partner erlaubten es ihm nicht. Trotzdem lud Hornik weiterhin auch andere Risikoanleger zu The Lobby ein.

David Hornik ist sich der Kosten des Geber-Verhaltens bewusst. »Manche Leute denken, ich sei nicht ganz bei Trost. Sie glauben, dass man nur etwas erreicht, wenn man ein Nehmer ist«, sagt er. Wäre er eher ein Nehmer, würde er wahrscheinlich keine unerwünschten Projektvorstellungen akzeptieren, E-Mails nicht persönlich beantworten, in seinem Blog keine Informationen mit Konkurrenten teilen und seine Rivalen nicht einladen und von der Lobby-Tagung profitieren lassen. Er würde seine Zeit schützen, sein Wissen hüten und seine Kontakte bedachtsamer einsetzen. Und wäre er eher ein Tauscher, hätte er von dem Anleger, der an The Lobby teilnahm, Hornik jedoch nicht zu seiner eigenen Tagung einlud, eine Gegenleistung verlangt. Aber Hornik achtet mehr darauf, was andere Leute brauchen, als darauf, was er von ihnen bekommt. Obwohl er nach seinen Werten lebte, war er als Risikoanleger außerordentlich erfolgreich, und man achtet ihn weithin für seine Großzügigkeit. »Es ist eine Win-win-Situation«, meint Hornik. »Ich kann eine Umgebung erschaffen, in der andere miteinander ins Geschäft kommen und Beziehungen aufbauen können, und ich lebe in der Welt, in der ich leben will.« Seine Erfahrung bestätigt, dass Geben im Berufsleben nicht nur riskant ist; es kann auch lohnend sein.