Gefangen zwischen Versprechen und Verbrechen in Afrika - Ina Broich - E-Book

Gefangen zwischen Versprechen und Verbrechen in Afrika E-Book

Ina Broich

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Beschreibung

Im Rahmen ihrer Arbeit in sogenannten Safe-Houses wurden Ina Broich die Schicksale einer großen Zahl Kinder nähergebracht. In diesem Buch haben reale Menschen fiktiven Figuren Leben eingehaucht. Wirkungen und Nachwirkungen der Apartheid finden zwischen den Seiten Platz, genauso wie die kleinen und großen Nöte, Wünsche und Träume der Menschen, für die jeder Tag ein Kampf ums Überleben ist. Die Autorin wirft einen kritischen Blick auf die Rainbow-Nation und stellt gesellschaftliche Fragen in den Raum, die nur die verschiedenen Generationen gemeinsam lösen können. Neben den Brüchen und Schicksalen ihrer Charaktere schreibt die Autorin die Liebe groß. In ihr sieht sie die Chance, dass Menschen aufeinander zugehen und sich miteinander Herausforderungen stellen. Sei es denen hier in Europa, in Afrika oder in der gesamten Welt. Wenn der kleine Thando die Umstände zu seiner Gunst beeinflussen kann, dürfen wir seinem Beispiel folgen. Umgeben von Gewalt, Hunger und Gangster-Aktivitäten verbringt Thando, ein Waisenjunge aus Kapstadt, seine Kindheit in einem südafrikanischen Township. Trotzdem besitzt er etwas, wovon andere Kinder des Townships nur träumen können – die Liebe seiner Großmutter Rebecca, die sich seit dem Tod seiner Eltern um Thando kümmert und versucht, ihn zu beschützen. Doch Liebe allein reicht nicht aus, um zu überleben. Rebecca wird älter, ihr Körper immer schwächer. Daher ist es Thandos Aufgabe, dafür zu sorgen, dass seine Großmutter und er irgendwie über die Runden kommen. Die im Township vorherrschende Gewalt prägt zunehmend Thandos Alltag, als er, um etwas Geld zu verdienen, zunehmend in laufende Gang-Rivalitäten verwickelt wird. Sorge und Ängste, die kein Kind dieser Welt haben sollte, sind im Leben von Thando an der Tagesordnung. Er muss mit ansehen, wie seine vierzehnjährige Freundin Liz kurz davorsteht, an einen deutlich älteren Mann zwangsverheiratet zu werden. Und Thando ist machtlos, als Rebeccas Gesundheit schwindet. Er selbst begibt sich bei der Erledigung seiner Aufgaben mit Gang-Mitgliedern zunehmend in Gefahr. Der Zusammenhalt und die Verbundenheit zwischen Thando und Rebecca ist schon immer die einzige Konstante im Leben des Jungens gewesen, doch als Geheimnisse aus Rebeccas Vergangenheit die Gegenwart der beiden einholt, steht die Beziehung zwischen Thando und Rebecca auf der Kippe. Werden sie es zusammen schaffen, lebend dem Hunger und der Gewalt des Townships zu entkommen? Oder werden sich ihre Wege für immer trennen?

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Seitenzahl: 250

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Ina Broich

Gefangen zwischen Versprechen und Verbrechen in Afrika

Thando & Rebecca im Schatten eines südafrikanischen Townships

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Gefangen zwischen Versprechen und Verbrechen in Afrika: Thando & Rebecca im Schatten eines südafrikanischen Townships

Über die Autorin

Motivation der Autorin zum Buch

Prolog

1

2

3

4.

5

6

7

8

9

10

11

12

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15

16

17

18

Epilog

Nachwort

Personenverzeichnis

Über den Verleger

Über indayi edition

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Impressum neobooks

Gefangen zwischen Versprechen und Verbrechen in Afrika: Thando & Rebecca im Schatten eines südafrikanischen Townships

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1.Auflage

Oktober 2022

© indayi edition, Darmstadt

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: Charlotte Broich, Dinah Jacobi

Endlektorat und Satz: Dinah Jacobi

Ina Broich

Das Versprechen

Liebe ist der rote Faden,

an dem wir Halt finden,

wenn die Welt auseinanderbricht.

Über die Autorin

Ina (Katharina) Broich, geboren am 31. Juli 1978 in Plettenberg, ging im wunderschönen Neuss am Rhein in das Erzbischöfliche Gymnasium Marienberg. Noch vor dem Abitur drängte es sie, Operngesang zu studieren, also bewarb sie sich am Konservatorium in Innsbruck und erhielt dort einen Studienplatz für Gesang. Parallel beendete sie ihre Schullaufbahn mit der Matura in Österreich.

Nicht nur die Musik fasziniert sie, sondern auch die Literatur. Das Studium der Kulturwissenschaften, welches Literaturwissen-schaften enthielt, entflammte in ihr die Liebe zum geschriebenen und gesprochenen Wort.

Gemeinsam mit ihrem Mann und den beiden Kindern lebte sie viele Jahre in Südafrika. Hier machte sie eine Ausbildung zur Fachkraft für Touristik. Ina Broich arbeitete zwei Jahre für eine große Fluggesellschaft, merkte aber schnell, dass ihr die Kunst und Kultur mehr im Blut lagen. Die Mischung aus kulturellen Erfahrungen in Afrika, die Kunst und die klassische Musik formten ihre Art zu schreiben. Heute lebt sie wieder im Westen Deutschlands.

Hier arbeitet sie als Autorin, Poetry-Slammerin und Lektorin mit der Spezialisierung auf Lyrik und Romane. Um im letzteren Beruf arbeiten zu können, hat sie sich im Lektorat Unker ausbilden lassen zur Lektorin und Korrektorin und nimmt regelmäßig an Weiterbildungen teil. Zusätzlich gibt sie Workshops in Schulen zu den Themen Poetry-Slamm und Lyrik. Im Bookerflyclub leitet sie das Lyrik-Forum. In ihrer Arbeit führt sie all ihre Leidenschaften zusammen. Von den Medien wird sie als Autorin der Gegensätze beschrieben. Sie selbst ist dankbar, ihre Passion für das Wort jeden Tag leben zu können.

Motivation der Autorin zum Buch

Die Autorin Ina Broich möchte Menschen, die sonst ungesehen und ungehört bleiben, eine Stimme verleihen. In all ihren Texten lenkt sie den Blick der Leser:innen auf Orte und Geschehnisse, die nicht der Oberflächlichkeit entspringen. Sie legt ihren Finger in wunde Punkte des gesellschaftlichen und politischen Agierens.

Die Motivation für ihre Geschichten zieht die Autorin aus den Jahren ihres Lebens, die sie in Südafrika verbracht hat. Sie verwebt ihr eigenes Erleben mit den Erzählungen der Menschen, die sie an der Spitze Afrikas kennen- und lieben gelernt hat.

Sie erlebte den Umbruch von Apartheid zur Rainbow-Nation hautnah mit. Beobachtete den Wandel der eingefahrenen Strukturen und das Erwachen einer südafrikanischen Identität, die zuvor Unterdrückung erfahren hatte.

Im Rahmen ihrer Arbeit in sogenannten Safe-Houses wurden ihr die Schicksale einer großen Zahl Kinder nähergebracht. So nah, dass Ina Broich entschied, die Erfahrungen und Erlebnisse der Kinder und Jugendlichen niederzuschreiben. In Mikrogeschichten, Poetry-Slams, Gedichten und vor allem in diesem Buch. Hier haben reale Menschen fiktiven Figuren Leben eingehaucht. Die Wirkungen und Nachwirkungen der Apartheid finden zwischen den Seiten Platz, genauso wie die kleinen und großen Nöte, Wünsche und Träume der Menschen, für die jeder Tag ein Kampf ums Überleben ist.

Die Autorin wirft einen kritischen Blick auf die Rainbow-Nation und stellt gesellschaftliche Fragen in den Raum, die nur die verschiedenen Generationen gemeinsam lösen können.

Neben den Brüchen und Schicksalen ihrer Charaktere schreibt die Autorin die Liebe groß. In ihr sieht sie die Chance, dass Menschen aufeinander zugehen und sich miteinander Herausforderungen stellen. Sei es denen hier in Europa, in Afrika oder in der gesamten Welt.

Wenn der kleine Thando die Umstände zu seiner Gunst beeinflussen kann, dürfen wir seinem Beispiel folgen.

Prolog

Vereinzelte graue Wolken peitschen über den lichtblauen Himmel Kapstadts. Der South Easter treibt sie in gnadenloser Vehemenz vor sich her. Er spült gelbbraunes Kelp auf den Strand, Böen verfangen sich in den meterlangen Algen, Krabben versuchen den glitschigen Armen zu entkommen. Die Luft ist sandgeschwängert und aufspritzende Körner verbeissen sich in Thandos Gesicht. Schmerzhaft setzen sie sich in seinen Lidfalten fest und knirschen zwischen den Zähnen. Seine Füße fliegen über den Strand, getrieben von dem einen Wunsch, sein Versprechen zu halten. Kalter Regen vermischt sich mit seinen salzigen Tränen. Im Lauf wischt er sie fort. Viel zu spät hat ihn die Nachricht an seiner kleinen Schuhputzstation am Big Bay erreicht. Den Stand hatte er kurzerhand an Zola übergeben und war losgerannt.

„Wirst du bei mir sein?“, hatte Rebecca ihn eines Abends gefragt. Das Sam aus weißen Bohnen hatte vor sich hin geköchelt, kleine Maisfladen türmten sich neben der Feuerstelle. „Natürlich werde ich da sein!“, hatte Thando geantwortet, die Fäuste in die Seiten gestemmt. „Und wirst du meine Hand halten?“, hatte sie von ihm wissen wollen. Seine schwarzen Locken hatten wild gewippt, als er nickte. „Ich werde sie halten!“ Ihre schwarzbraunen Augen hatten sich tief in seine Seele gebrannt. „Ich verspreche es!“, hatte Thando ihr ins Ohr gehaucht.

Thando rennt. Nah am Saum des Wassers, dort wo der Sand fest und dicht ist. Er wünscht sich Flügel. Große, ausladende Flügel, in die der Wind greifen und ihn zum Ziel tragen würde. Seine Seele brennt. Will sich aus seinem Brustkorb pressen und das Versprechen halten. „Ich komme!“, schreit Thando in das Brausen des South Easters. „Ich komme!“

1

Rebecca drehte an der Gaslaterne. Das wenige Licht flackerte unruhig über das Wellblech. „Setz dich, inkwenkwe1!“ Thando gehorchte und hockte sich im Schneidersitz neben die Kochstelle. „Ich habe so Hunger, Ugogo!“ „Gleich, kleiner Thando, gleich!“ Rebecca summte leise vor sich hin. Sie hatte zu jederzeit ein Lied auf den Lippen. Eines gegen Traurigkeit, eines gegen Langeweile, eines gegen Hunger. „Wir sind reich an Liedern!“, pflegte sie zu sagen und Thando bewunderte ihre Großherzigkeit, denn sie schenkte jedem der mochte, eine ihrer Melodien. Der kleine Junge malte ungeduldig Kreise in den Sand zu seinen Füßen. Auch daran waren sie reich. In ihrem Shack bedeckten die feinen Körner den Boden und krochen in alle Ritzen. Der Sand hatte auch seine Vorzüge. Nach dem Essen nutzte Rebecca ihn, um die Blechschüsseln zu reinigen und Hab und Gut zu beschweren, wenn es stürmte. Thandos Finger kreisten im Rhythmus des Kochlöffels. Der Vorhang im Türrahmen flatterte im aufkommenden Wind. „Hörst du ihn blasen, inkwenkwe?“ Der Junge nickte und ein zustimmendes Murmeln kam ihm über die Lippen. „Kannst du es fühlen, Junge? Der South Easter nimmt alles mit hinfort.“ Thando rappelte sich auf und schob den Vorhang beiseite. „Was machst du denn da?“ Rebecca sah ihn verwundert an. „Der Wind soll meinen Hunger mitnehmen, Ugogo!“ Die Frau nickte, stellte sich neben den Jungen und legte ihren Arm um seine schmächtigen Schultern. „Was gibst du ihm mit?“ Thando sah sie von unten herauf an. Rebecca runzelte ihre Stirn, dann lächelte sie leise. „Das erzähle ich dir später!“ „Nach dem Essen?“ „Nein, wenn du erwachsen bist!“ Nebeneinander hockten sie sich in den Sand, jeder eine kleine Schüssel Milipap in den Händen. Mit den Fingern knetete Thando den Maisbrei zu winzigen Kugeln und schob sie sich in den Mund. „Heute keine braune Soße, Ugogo?“ Seine großen Augen musterten sie. Rebecca schüttelte den Kopf. „Vielleicht morgen.“ Thando nickte. Gut, dass es immer ein Morgen gab. Rebecca sagte, dort lägen alle Möglichkeiten. Er kratzte die letzten Krümel Milipap aus dem Napf. Sein Magen knurrte noch immer. Seufzend verlies er das Shack und hastete um die kleine Hütte, um sich in ihrem Rücken zu erleichtern. Der Wind trieb ihm den Sand der Dünen in die Augen. Das Kreischen eines Kindes drang aus dem benachbarten Wellblech zu ihm und er beeilte sich, ins Innere zurückzukehren. Rebecca hatte bereits die Näpfe mit Sand sauber gerieben und sorgfältig auf das schmale Sims über der Kochstelle abgestellt. Nachdenklich wiegte der Junge seinen Kopf hin und her. „Heute muss ich nicht früh schlafen gehen, oder?“ Hoffnungsvolle Blicke trafen Rebeccas. „Gerade heute musst du früh schlafen!“ Die alte Frau schüttelte Sand aus dem Schlafteppich und klopfte darauf. „Leg dich zu mir, inkwenkwe!“

Thando rutschte ganz dicht an die Frau heran. Zwischen ihren ausladenden Brüsten verschwand er beinahe. Rebecca zog einen aufgeschnittenen Jutesack über ihnen beiden zurecht und der kleine Junge schob seinen dürren Arm unter den Kopf. Das Rauschen des South Easters wiegte ihn in den Schlaf. Rebecca lauschte den leisen Atemzügen des Kindes und summte ein Schlaflied. Sie dankte den Ahnen für das Brausen des Windes (South Easter bläst hauptsächlich während der Sommermonate September bis April, auch Kapdoktor genannt), denn er hielt jedwedes andere Geräusch fern. Die Frau wusste um die Vielfältigkeit der nächtlichen Kulisse. Gewalttätige Eheleute, die sich bis zur Bewusstlosigkeit schlugen, betrunkene junge Kerle, die ihre Arbeitslosigkeit mit Alkohol betäubten. Weinende Ehefrauen, schreiende Kinder. Die Nacht brachte wenig Beruhigendes mit sich. Rebecca summte, bis auch sie schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel.

Die Sonne stieg über die Wellbleche Dunoons. Dicht an dicht drängten sich die Shacks des Townships aneinander. Eines von Vielen rund um Kapstadt. Wie Satelliten umkreisten sie die City Bowl. Eines ärmer als das andere.

Vor den Toilettenhäuschen hatte sich eine lange Schlange gebildet. Nebendran, in der Mitte des ovalen Platzes, standen ebenfalls an diesem frühen Morgen an die zwanzig Menschen an, bepackt mit Kanistern, Eimern und anderen Gefäßen, derer sie habhaft werden konnten. Wie zu jedem Tagesbeginn wartete Thando geduldig mit seinen Eimern, bis er mit Wasserpumpen an der Reihe war. Müde rieb er sich die Augen. Sein Magen knurrte, seine Lippen waren spröde, sein Körper bekam zu wenig Flüssigkeit.

Liz stieß ihn von hinten mit ihrem spitzen Ellenbogen in die Seite. „Ist heute nicht dein großer Tag?“ Sie lächelte ihn an. Thando fand, sie sah nicht so fröhlich aus, wie ihre Stimme klang. Ob sie eifersüchtig war? Er unterdrückte ein Schulterzucken und nickte. Was sollte er sagen? Er empfand Stolz, dass er mitdurfte, dass er ausgewählt worden war. Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Liz schubste ihn vorwärts. Ohne, dass er es mitbekommen hatte, waren die Anstehenden vorgerückt und eine Lücke hatte sich vor ihm aufgetan. Schnell schloss er auf, niemand sollte sich vordrängen. Viel zu häufig war es ihm passiert, dass andere Kinder ihn aus der Schlange gedrängt hatten und er wieder hinten hatte anstehen müssen. Ihr Lächeln war verschwunden wie der South Easter in seltenen Momenten der Sommermonate. „Ich wünsche dir Glück!“ Thando sah ihr an, dass sie es ernst meinte. „Danke, Liz!“

Thando reckte das Kinn. Er war ausgewählt. Niemand würde ihm vorerst seinen Platz streitig machen. Er warf einen Blick an der Schlange vorbei nach vorne zum Brunnen. Es ging nur langsam vorwärts. Angespannt trippelte er von einem Fuss auf den anderen, bis er schließlich an der Pumpe angelangte. Er griff nach dem Schlegel und füllte mit kraftvollen Schwüngen den einen Eimer, dann den anderen. Bis zum Rand gefüllt, setzte er ein Gefäß auf seinen Kopf und lief mit dem anderen in der Hand zurück zum Shack am Ende des Settlements. Die Luft hing schwer in den schmalen Gassen zwischen den Wellblechen. An manchen Stellen musste er seitlich gehen, um nicht von hervorstehenden Blechen aufgeschlitzt zu werden. Hier drang keine Sonne hin. Thando spürte Furcht aufkeimen, wie immer, wenn er in das unübersichtliche Gewirr von Spalten trat. Er verfiel in einen leichten Laufschritt, ohne dass der Eimer nur einen Zentimeter auf seinem Kopf verrückte. Er trat aus der letzten stickigen Gasse heraus auf einen kleinen Platz, an dessen Rand sein Zuhause lag. Er atmete auf. Rebecca nahm ihm die Eimer ab und füllte Wasser in drei bereitstehende alte Cola-Flaschen. Sie zogen sich aus, um sich mit dem restlichen Wasser zu waschen. Hinter einem Sparren zog sie ein krümeliges Stück Seife hervor. Thando hob seine Arme und ließ Rebeccas Fürsorge über sich ergehen. An jedem anderen Tag hätte er es genossen. Er mochte, dass das kalte Wasser aus seinen Haaren über seinen Körper rann und die Nacht mit fortnahm. Heute pulsierte Aufregung durch seine Glieder und Rebeccas Bemühungen perlten an ihm ab. Fahrig schlüpfte er in ein Shirt, dass eine Nachbarin Rebecca überlassen hatte. Er beobachtete das Treiben zwischen den Wellblechen. Maids und Gardener drängten an ihm vorbei, die Kleinbusse warteten auf niemanden. Er hatte in den letzten Jahren viele Geschichten über die Vorstädte der Weißen gehört. Sie waren das Ziel der Hastenden. Die einen trugen die Hoffnung auf Arbeit in ihren Herzen, die anderen dankten, für einen weiteren Tag Arbeit zu haben. Er nippte an seinem Rooibush-Tee.

Rebecca schlang sich ein buntes Tuch um ihre Haare und verknotete es geschickt. „Sie werden kommen, inkwenkwe.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, traten zwei schlaksige Männer aus der dunklen Gasse und eilten auf sie zu. Aufgeregt hüpfte Thando von einem Bein aufs andere. Er wusste nicht wohin mit seinen Händen und fuhr sich durch das noch feuchte Haar. „Molweni ekuseni, Luthando. Molweni ekuseni, Silumko!“ Rebecca trat den Männern einen Schritt entgegen, woraufhin Thando die beiden Ankömmlinge nicht mehr sehen konnte. Er hüpfte aus dem voluminösen Schatten der Frau heraus, drückte den Rücken durch und ließ die kritische Musterung der Männer über sich ergehen. Nach einigen Momenten schienen sie mit dem zufrieden, was sie vor sich sahen, denn sie nickten Rebecca zu. „Wir sind Lu und Si, komm Thando, folge uns!“ Sie machten auf dem Absatz kehrt und verschwanden in der gegenüberliegenden Gasse. Hastig folgte er ihnen und vergaß völlig, sich noch einmal nach Rebecca umzudrehen.

Der kleine Junge schwitzte am gesamten Körper, als sie zwanzig Minuten später aus dem Wirrwarr Dunoons heraustraten. Vor ihnen eröffnete sich eine befestigte Straße, an der ein Pick-up parkte. Si schob Thando auf die Rückbank. Der Junge war in seinem ganzen Leben noch kein Auto gefahren. Mit der Hand umklammerte er den Türgriff und drückte sich in die zerschlissenen Polster. Es roch nach Zigarettenrauch und nach etwas Süßlichem, dass der Junge nicht einordnen konnte. Die Männer im Font unterhielten sich leise und schenkten ihm keine Beachtung. Nach und nach fand Thando Gefallen an der holprigen Fahrt und presste seine Nase an die verschmutzte Autoscheibe. Sie hatten Dunoon verlassen und die Augen des Jungen weiteten sich. Zu beiden Seiten der Straße reihten sich Häuser. Gemauert, mit hübschen Vorgärten, in denen farbenfrohe Blumen leuchteten. Zunächst zuckte er noch bei jedem entgegenkommenden Fahrzeug zusammen, schließlich entspannte er sich sichtlich und genoss, was er sah. In seinen wildesten Träumen hatte er sich Kapstadt nicht so vorgestellt. Die Häuser mit ihren Vorgärten und hohen Zäunen, die vorbei rauschenden Autos, die lachenden Menschen brachten Thandos Welt ins Wanken. Er betrachtete die Männer und Frauen auf den Gehsteigen, sie schienen weder getrieben noch verfolgt. Nirgends sah er betrunkene Männer, die mit ihren Waffen fuchtelten, keine weinenden Ehefrauen. Keine Toten. Die Sonne stieg langsam aber stetig über den Firsten auf, es versprach ein heißer Tag zu werden. Der South Easter machte eine Atempause. Thando sog die frische würzige Luft tief in die Lungen ein. Sie war pur und frei von jedwedem Gestank. Hinter seiner Stirn arbeitete es. War dies das Paradies? Der Pick-up entschleunigte und Lu schaute sich nach ihm um. „Bist du bereit, Junge?“ Thando nickte. Jetzt war es endlich so weit. Sein erstes selbst verdientes Geld kam in greifbare Nähe. Vielleicht konnten sie sich zum abendlichen Milipap eine braune Soße leisten? Der Pick-up kam in einer kleinen Seitenstraße zum Stehen. Si zog die hintere Wagentür auf und riss Thando aus seinen Tagträumen. „Hier, nimm!“ Er reichte dem Jungen eine Harke. Er selbst war mit einem Eimer und Schaufel bewaffnet, Lu mit einer Heckenschere. „Das ist unsere Tarnung, verstanden?“ Der Junge nickte. Er kannte den Plan. Einige Tage zuvor war ein Mann vor ihrem Shack erschienen. Er hatte lange mit Rebecca gesprochen. Thando hatte sich hinter dem Wellblech ihrer Hütte versteckt und dort im Sand gekauert. Der Mann roch nach Schweiß und Gewalt. Thando erkannte Männer, denen man besser aus dem Weg ging. Das lehrte einen das Township von Geburt an. Zitternd hatte er sich an das heiße Blech gepresst und gelauscht. Rebecca hatte nur wenig gesagt, schließlich war der Mann wieder verschwunden. Später hatte er sich wieder hinein getraut, Rebecca hatte ihn abwesend angelächelt. Spät in der Nacht lag er in ihren Armen und lauschte ihren Worten. Während seine Augen immer größer geworden waren, verdunkelten sich Rebeccas.

Thando fasste die Harke fest mit der rechten Hand und lief hinter den beiden Männern her. Sie bogen auf ein Grundstück, dass beinahe gänzlich von einer zwei Meter hohen Oleanderhecke begrenzt wurde. Am Straßenrand wuchsen riesige Bäume, in deren große Schatten sie eintauchten. Nur ein Gate durchbrach das Grün, doch Lu und Si hielten sich links und Thando entdeckte ein braunes Holztor, dass nahezu unsichtbar in die Hecke eingelassen war. Die Männer warfen einen Blick hinter sich, dann traten sie an die Gartenpforte. Si nahm Thando die Harke ab und Lu hob ihn hinüber. Der Junge schwang ein Bein nach dem anderen über die Kante und ließ sich vorsichtig auf der anderen Seite herunter. Er wusste, dass es keine Hunde gab, trotzdem warf er einen Blick über die Schulter. Als er sicher war, dass keine böse Überraschung um die Hausecke gejagt kommen würde, schob er die übereinander liegenden Riegel zurück und zog die Kette heraus. Kaum war er einen Schritt zurückgetreten, waren die Männer an seiner Seite und schlossen hinter sich die Tür. Si nickte. „Wir müssen auf die Hinterseite des Hauses.“ Im Kiesweg waren Steinplatten eingelassen und Lu wies Thando an, nicht überzutreten. Sie liefen an bodentiefen Fenstern vorbei und der Junge sah hinein. Der erste Raum ergab keinen Sinn für ihn. Gerätschaften reihten sich auf einer langen polierten Fläche aneinander, ein Strauß Blumen rundete das Bild ab. Bevor er zu einer Erklärung gelangen konnte, kamen sie am nächsten Zimmer vorbei. Derart viele Sitzgelegenheiten hatte er noch nie auf einer Stelle gesehen, höchstens im Versammlungsraum ihrer Kirche. Ob er sich nur einmal ganz kurz in einen dieser wunderbar weich aussehenden Sessel setzen durfte? Im Raum für die Gottesdienste standen drei Reihen mit Plastikstühlen. Eine Wohltat, wenn man den ganzen Tag auf dem Boden im Sand hockte. Er vermochte sich nicht vorzustellen, wie es sein musste, auf einem solchen dickgepolsterten Stuhl Platz zu nehmen. Die Bewohner des Hauses mussten Könige sein. Nun verstand er auch, warum jeder aus dem Township an einem solchen Ort arbeiten wollte.

Staunend ging er weiter. Er bemerkte, dass er summte. Er hielt inne, denn Si starrte ihn derart wütend an, dass der Junge zusammenzuckte.

Sie schlichen um die Ecke und ein großer Garten geriet in ihr Blickfeld. Thandos Schritte stockten. Hier fand Rebeccas Shack bestimmt fünfzig Mal Platz. Der Junge fuhr sich durch die Haare. „Geh weiter!“, zischte Si und packte ihn schmerzhaft am Oberarm. Sie überquerten die mit Holzpaneelen gepflasterte Terrasse. Vor einer Reihe übereinander liegender, durchaus schmaler Fenster machten sie Halt. Lu deutete auf das Fünfte von unten. Es stand nach außen gekippt offen, wie häufig in südafrikanischen Häusern zu finden. „Dort kletterst du rein! Lauf die Treppe runter und schieb uns die Terrassentür auf. Alles andere erledigen wir!“ Thando nickte. Seine Großmutter hatte ihm erklärt, dass von den Gangmitgliedern nicht gewünscht wurde, wenn er plapperte. Er hatte ihr versprochen, sich daran zu halten. Das Summen war ein Ausrutscher gewesen, der nie wieder vorkommen sollte. Er hatte es sich sofort geschworen. Dies war eine Chance, die nicht jedes Kind im Township erhielt. Er war ausgewählt worden und er würde diese Ehre nicht aufs Spiel setzen.

Si hob ihn auf seine Schultern und Thando stand langsam auf. Mit seinen Händen stützte er sich an der Hauswand ab, um nicht abzustürzen. Si drückte von unten nach und der Junge zog sich durch das schmale Fenster auf die Treppenstufe. Im Inneren des Hauses mussten sich seine Augen zunächst an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnen. Er zwinkerte ein paar Mal, dann machte er sich auf den Weg nach unten. Die polierten Steinstufen kühlten seine Fußsohlen. Er eilte in den Raum mit den vielen Sitzgelegenheiten, von dem aus sich die Terrasse öffnen ließ. Er musste sich anstrengen, die schwere Tür aufzuschieben. Es erschien ein Spalt und Lu drückte sie von außen endgültig auf. „Bleib hier, bis wir wieder da sind!“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, da hatten die Männer Thando sich selbst überlassen. Der Junge setzte einen Fuß auf den Teppich. Er sank ein und an Thandos Lippen zupfte ein neidvolles Lächeln. Hier zu schlafen musste einfach wunderbar sein. Er ließ sich in den Schneidersitz nieder und sah sich um. Aus dem Obergeschoss drangen leise Geräusche zu ihm, ansonsten war es still. Zu still. Im Township überlagerte ein Geräusch das andere. Der Wind zerrte an den Blechen, die Bewohner der umliegenden Shacks brüllten sich an, Babys plärrten. Ruhe herrschte zu keiner Tageszeit. Thando lauschte seinem Atem. Sich selbst zu hören, irritierte ihn. Sein Blick fiel auf eine Obstschale auf einem niedrigen Beistelltischchen und sein Magen begann zu knurren. Vor Aufregung hatte er am Morgen nichts zu sich nehmen können. Die Früchte lockten. Prall füllten sie die Glasschale. Er erkannte Äpfel und Bananen. Er erhob sich und streckte die Hand nach einem Apfel aus. Nur einmal reinbeissen, schwor er sich. Vorsichtig zog er die dunkelrote Frucht heraus und biss hinein. Der Saft rann an seinem Kinn hinab, der Geschmack explodierte in seinem Mund. Tränen traten ihm in die Augen und er legte den Apfel zurück. Er kaute ganz langsam. Nie in seinem Leben hatte er etwas Besseres gekostet. Er schluckte und sein Blick ruhte sehnsuchtsvoll auf dem angebissenen Stück Obst. Er schüttelte den Kopf. Er leckte die Finger ab, wischte sie an der bereits schmutzigen Hose ab und hockte sich wieder auf den Teppich. Sie würden ihn wieder mitnehmen. In einem anderen Haus würde es mehr Obst geben. Vielleicht sogar Süßigkeiten? Das Wasser lief ihm bei dem Gedanken im Mund zusammen. Das nächste Haus… der nächste Einbruch… Bis dahin würde er mit einem weiteren Bissen warten.

Schritte auf der Treppe ertönten und Lu und Si kamen die Stufen herunter geeilt. „Junge, wir verschwinden!“ Die mitgebrachten Rucksäcke beulten sich auf ihren Rücken. Es klimperte und klirrte verheißungsvoll. Thando beeilte sich, ihnen zu folgen. Keiner machte sich die Mühe, die Terrassentür zu schließen. Sie schlichen den Weg zurück zum Türchen in der Hecke und griffen nach dem dort zurückgelassen Gartenwerkzeug. Lu zog es als Letzter hinter sich zu und im Schatten der Bäume liefen sie zurück zum Pick-up. Schnell warfen sie die Gerätschaften auf die Ladefläche und stiegen ein. Die Männer atmeten sichtbar auf und auch Thando konnte es nicht verhindern, sich mit einem lauten Aufseufzen auf den Rücksitz fallen zu lassen. Am Sonnenstand erkannte er, dass der Tag nicht weit fortgeschritten war. Die Bewohner kämen erst in vielen Stunden von der Arbeit nach Hause. Thando stieg Hitze in die Wangen. Sie würden den angebissenen Apfel finden. Und dann? Schließlich gelang es ihm, seine Gedanken zu beruhigen. Er hatte Hunger gehabt und sie besaßen viele weitere Äpfel. Doch er wusste es besser. Ein nagendes Gefühl im Magen verhinderte, die Rückfahrt in vollen Zügen zu genießen.

In einem ihm unbekannten Stadtteil von Dunoon hielt der Wagen. Sie stiegen aus und gingen in ein hochgemauertes Haus. Seine unverputzten Mauern wirkten abweisend auf Thando. Den Eindruck verstärkten zwei Männer, die die Eingangstüre flankierten. Sie grüßten Si und Lu und ließen sie passieren. Eine Frau stand an der Feuerstelle und nickte den Eintretenden zu. „Er ist hinten!“ Si klopfte an die Tür und eine dunkle Stimme hieß sie eintreten. Den zweiten Raum des Hauses beherrschte ein ausladendes Bett, gegenüber dem ein Fernseher an der unverputzten Wand hing, so groß wie die Eingangstür zu Thandos Zuhause, und ein massiver Schreibtisch aus dunklem Holz. Die beiden Männer legten ihre Rucksäcke auf dem polierten Holz ab und ließen sich auf Hockern davor nieder. Thando blieb hinter Lu stehen. Er hatte den Mann hinter dem Schreibtisch sofort erkannt. Er war es gewesen, der mit Rebecca gesprochen hatte. Ihm hatte er die Chance zu verdanken, an ein paar Rand zu kommen. Doch alles, was er in diesem Augenblick verspürte, war pure Angst. Schweiß trat ihm auf die Stirn und er unterdrückte den Impuls, einen Schritt zurückzutreten. Hinter ihm kam die Frau ins Zimmer. In ihren Händen hielt sie ein kleines Tablett mit Gläschen, gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit und einer Dose Fanta. Das Tablett stellte sie auf den Schreibtisch und reichte Thando die Limo. Ehrfurchtsvoll nahm er sie in beide Hände. Die Frau nickte ihm zu und er öffnete mit einem Zischen das Getränk. Er führte es an die Lippen und seufzte. Der Mann hinter dem Schreibtisch musterte ihn. „Hat er sich gut angestellt?“ Die Worte waren an Si und Lu gerichtet, sein Blick ruhte weiter auf dem Jungen. Die Dose drohte aus Thandos schweißnassen Händen zu gleiten. Si legte den Kopf in den Nacken und ließ die klare Flüssigkeit in seine Kehle laufen. Der Junge rümpfte die Nase, der beißende Geruch nach Selbstgebranntem rief vergessen geglaubte Erinnerungen wach.

Beißender Rauch stieg ihm in die Lunge. Er hustete. Eine schwarze-rote Wand stand zwischen ihm und der Hütte. Sie brannte. Khayelitsha brannte. Rasend schnell breitete sich das Feuer aus. Wie ein gefräßiges Ungeheuer machte es sich über die Behausungen her. Die Shacks hatten dem Inferno nichts entgegen zu setzen. Die Brunst fraß sich durch die illegalen Siedlungen. Es nahm alles mit hinfort. Auch Thandos Eltern.

Der Junge blinzelte. „Nun schlag schon ein!“ Lu sah ihn auffordernd an. In diesem Moment bemerkte er erst, dass der Mann hinter dem Schreibtisch hervorgetreten war und ihm die Hand hinhielt. Thando hielt ihm seine bebenden Finger entgegen und fand sich in einem eisernen Handgriff wieder. „Wamkelekile2, Thando! Von heute an gehörst du zu uns!“ Dem Jungen wurde mulmig bei den eindringlichen Worten. Er gehörte zu Rebecca, zu sonst niemandem. Er rief sich die braune Soße ins Gedächtnis, die er von nun an auf dem Milipap würde essen können. Vielleicht wäre er in der Lage, ein Kissen für Rebecca’s schmerzenden Rücken zu kaufen. Er gab sich einen Augenblick lang den Träumen hin und erwiderte den Händedruck. Lu und Si grinsten ihn an, dabei entblößten sie die Zahnstummel in ihren Mündern. Beiden fehlten die vorderen Schneidezähne. Für einen irrigen Moment befürchtete Thando, nun ebenfalls seine Zähne zu verlieren, doch nichts dergleichen geschah. Lu interpretierte seinen Blick fehl und deutete auf das Tattoo an seiner Schläfe. „Das musst du dir erst verdienen, Kleiner!“ Der wuchtige Mann schob Thando zur Tür. „Geh jetzt nach Hause!“ Wo war sein Lohn? Der Junge starrte auf seine Füße, um das aufkeimende Entsetzen zu verbergen. Er konnte unmöglich mit leeren Händen heimkehren. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als die Türe hinter ihm ins Schloss fiel. Hatten die Ahnen ihn verlassen? Er ballte die Hände zu Fäusten. Bereits im Begriff, zurück in das Büro zu gehen, sprach ihn die Frau an. „Ich habe hier etwas für dich, Junge!“ Die Frau war an ihn herangetreten und hielt ihm eine Pick&Pay-Tüte hin. Er warf einen Blick hinein, dann schob er sich das Plastik in den Hosenbund. Sein rasendes Herz beruhigte sich. „Enkosi, u-anti3“, sagte Thando leise. Unschlüssig stand er in der Haustür. Er hatte noch nie diesen Teil des Settlements besucht. Die Sonne brannte auf ihn nieder und er hob schützend die Hand über die Augen. Hinter ihm erklangen Schritte und die Frau sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Du bist noch nie hier gewesen, richtig?“ „Nein, u-anti.“ „Du bist doch Rebeccas Junge, oder?“ „Das bin ich, u-anti.“ Thando nickte. Die Frau im Haus des Gangleaders kannte seine Ugogo? „Dann musst du zum Illegal Settlement Nummer Drei.“ Sie musterte ihn. „Der Weg ist weit, aber du bist kräftig. Wenn du die Sonne im Rücken hältst, kannst du es eigentlich gar nicht verfehlen. Hinter der Trafostation biegst du rechts ab.“ Von dem umzäunten Gebäude der Stadtwerke aus wusste er den Weg. Er bedankte sich und lief los. Er wollte sich beeilen, seine Großmutter sollte sich nicht um ihn sorgen. Außerdem konnte er es kaum erwarten, ihr von dem heutigen Tag zu erzählen. Besonders der Geschmack der saftigen Äpfel hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt.

Schweiß brannte in seinen Augen, als er zwei Stunden später das Shack erreichte. Rebecca hatte auf einem umgedrehten Eimer davor gesessen und sprang nun auf, als Thando aus der gegenüberliegenden Gasse rannte. Sie lief ihm entgegen und drückte ihn fest an ihre Brust. „Inkwenkwe, mein inkwenkwe!“ Thando erkannte, dass Rebecca weinte. Er erschrak bis ins Mark. „Was ist los, Ugogo?“ „Du bist da. Jetzt ist alles gut!“ Sie schenkte ihm ihr Rebecca-Lächeln und er hob einen Finger an das Grübchen in ihrer Wange. „Ich habe etwas mitgebracht!“ Ein Schatten ging über ihr Gesicht. Sie nickte. „Dann lass uns mal hineingehen!“ Sie zog den Vorhang am Eingang beiseite und ließ Thando als Erstes eintreten. „Wo ist denn der Junge gewesen?“ Die Stimme kam aus dem Wellblech nebenan. Rebecca schüttelte den Kopf. Thando wusste, sie würde dem Alten nicht antworten. Für Menschen, die Alkohol wie Wasser tranken, hatte sie keine Lieder übrig und Worte noch viel weniger. Sie gab Quaaludes4 und Schnaps die Schuld, dass seine Eltern im Feuer umgekommen waren. Sie hatten sich bis zur Besinnungslosigkeit betäubt und das Feuer war wie ein Dämon aus der Hölle über sie hereingebrochen. Kein Ahne hätte sie wecken können, erzählte Rebecca mit Grauen in der Stimme und ließ Thando schwören, niemals ein Betäubungsmittel jedweder Art anzurühren. Der Junge hatte seine kleine Hand aufs Herz gelegt und den Ahnen einen Eid geleistet.