Geheime Zeugen - Lia Matera - E-Book
SONDERANGEBOT

Geheime Zeugen E-Book

Lia Matera

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der abgründigste Fall ihrer Karriere: Der Justizkrimi »Geheime Zeugen« von Lia Matera jetzt als eBook bei dotbooks. Die junge Anwältin Willa Jansson hat für ihren steilen Aufstieg einen harten Preis bezahlt: eine Beziehung, Familie, ein Gewissen – alles Luxus, den sie sich kaum noch leisten kann. Selbst als sie sich eine dringend nötige Auszeit nehmen will, kann sie nicht aus ihrer Haut. Ein Anruf von einem alten Freund, dem sie noch einen Gefallen schuldet, führt sie nach Santa Cruz, um dort einen rätselhaften Autounfall zu untersuchen – und den verschwundenen Fahrer zu finden. Doch schon bald muss sie alles infrage stellen, was sie je zu wissen glaubte. Plötzlich scheinen Kornkreise, Ufo-Sichtungen und »alternative Fakten« als valide Beweise und Zeugenaussagen zu gelten. Doch dieser Fall droht nicht nur ihre Karriere zu ruinieren, sondern auch Willa selbst in tödliche Gefahr zu bringen ... »Materas gewohntes Markenzeichen: eine exzellente Handlung, erstklassige Charaktere und ein flottes Tempo.« Booklist Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Geheime Zeugen« von Lia Matera ist Band 6 ihrer Krimireihe um die toughe Anwältin Willa Jansson und den besonderen Flair der 70er und 80er Jahre. Jeder Band kann unabhängig gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 453

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Die junge Anwältin Willa Jansson hat für ihren steilen Aufstieg einen harten Preis bezahlt: eine Beziehung, Familie, ein Gewissen – alles Luxus, den sie sich kaum noch leisten kann. Selbst als sie sich eine dringend nötige Auszeit nehmen will, kann sie nicht aus ihrer Haut. Ein Anruf von einem alten Freund, dem sie noch einen Gefallen schuldet, führt sie nach Santa Cruz, um dort einen rätselhaften Autounfall zu untersuchen – und den verschwundenen Fahrer zu finden. Doch schon bald muss sie alles infrage stellen, was sie je zu wissen glaubte. Plötzlich scheinen Kornkreise, Ufo-Sichtungen und »alternative Fakten« als valide Beweise und Zeugenaussagen zu gelten. Doch dieser Fall droht nicht nur ihre Karriere zu ruinieren, sondern auch Willa selbst in tödliche Gefahr zu bringen ...

»Materas gewohntes Markenzeichen: eine exzellente Handlung, erstklassige Charaktere und ein flottes Tempo.« Booklist

Über die Autorin:

Lia Matera ist eine US-amerikanische Schriftstellerin, die für ihre Krimireihen um die toughen Anwältinnen Laura Di Palma und Willa Jansson u. a. für den »Edgar Allan Poe«-Award nominiert und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Als Absolventin der juristischen Fakultät von San Francisco flossen viele ihrer Erfahrungen aus der Welt der Anwälte und Justizskandale in ihre Kriminalromane ein.

Bei dotbooks veröffentlichte Lia Matera ihre Reihe um Willa Jansson mit den Kriminalromanen:

»Tödliches Urteil – Der erste Fall«

»Kalte Strafe – Der zweite Fall«

»Perfektes Verbrechen – Der dritte Fall«

»Strafendes Schweigen – Der vierte Fall«

»Zornige Anklage – Der fünfte Fall«

»Geheime Zeugen – Der sechste Fall«

»Stiller Verrat – Der siebte Fall«

Sowie ihre Reihe um Laura Di Palma mit den Kriminalromanen:

»Die Anwältin: Glanz der Lüge – Der erste Fall«

»Die Anwältin: Zeichen des Verrats – Der zweite Fall«

»Die Anwältin: Flüstern der Rache – Der dritte Fall«

»Die Anwältin: Schatten der Schuld – Der vierte Fall«

»Die Anwältin: Echo der Strafe – Der fünfte Fall«

***

eBook-Neuausgabe Juli 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1997 unter dem Originaltitel »Star Witness« bei Simon & Schuster, New York.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1997 by Lia Matera

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1998 by Econ Verlag GmbH, Düsseldorf und München

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/curtis

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98690-192-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Geheime Zeugen« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Lia Matera

Geheime Zeugen

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Heike Steffen

dotbooks.

In Liebe und Dankbarkeit

für Anna Matera, Lillian Rehon und Pete Rehon sen.

»Sie sind der Cursor der göttlichen Realitätsprozessoren. Wenn am Himmel ein blinkendes Licht erscheint, wird ein neuer Text eingefügt oder alter gelöscht.«

Terence McKenna

Vorwort

Davenport, die Stadt, in der Geheime Zeugen spielt, ist ein realer Ort. Eine San Vittorio Road gibt es dort jedoch nicht, und meines Wissens sind in Davenport bisher auch keine seltsamen Phänomene gesichtet worden. Auch Santa Cruz, Kalifornien, existiert wirklich, obwohl keine Beschreibung dieser verrückten, pulsierenden, phantastischen Stadt gerecht werden kann. Ich habe einige ihrer Häuser und Örtlichkeiten in meine Geschichte aufgenommen, doch was die Figuren angeht, so sind sie durchweg frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Bewohnern dieser Stadt wäre rein zufällig.

Insbesondere die Beschreibung der Staatsanwaltschaft, der dortigen Juristen und des Sheriffs Department und seiner Deputys sind fiktiv. Wenn einer meiner Leser jemals Santa Cruz eine Stippvisite abstatten sollte, könnte er einiges aus meinem Buch wiedererkennen, doch wenn er verhaftet wird, betritt er Neuland.

Apropos Neuland, die UFO-Theorien, die in Geheime Zeugen zur Sprache kommen, sind nicht erfunden. Die Ufologen sind meine Schöpfung, nicht aber ihre Ansichten und Überzeugungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man nun an UFOs glaubt oder nicht. Denn allein die überwältigende Menge der Sichtungen und Berichte von Entführungen macht den Kontakt mit außerirdischem Leben zu einem wesentlichen Element moderner Kultur und zu einem faszinierenden Aspekt unseres Lebens auf der Erde.

Prolog

Der Rettungswagen kam mit Blaulicht und heulenden Sirenen zum Stehen. Vor ihm standen im Gegenlicht einiger Suchscheinwerfer zwei Autos, aufeinandergestapelt wie Bauklötze. Der obere, ein kleiner Sportwagen, hatte das Dach der amerikanischen Limousine unter sich komplett eingedrückt. Beide Windschutzscheiben waren in Tausende von glitzernden Glasstückchen zersprungen, die jetzt auf der einsamen Küstenstraße verstreut lagen.

»Donnerwetter!« Der Sanitäter John Bivens warf seinem Partner einen Blick zu, bevor er aus dem Wagen sprang und auf die wartenden Feuerwehrleute zurannte.

Rotes und blaues Blitzlicht wurde von den Chromteilen und der nassen Straße zwischen der Ambulanz und dem Fahrzeug der Davenporter Feuerwehr reflektiert. Die Glasstückchen glitzerten wie Diamanten.

John spürte, wie sein Herz raste. Jetzt war er froh, bei diesem Einsatz dabei zu sein. Er hätte jeden darum beneidet ‒ auch wenn er noch anderer Meinung gewesen war, als das Funkgerät ihn um halb drei Uhr morgens aus dem Tiefschlaf riß. Während ein Feuerwehrmann ihm die Lage schilderte, ging er auf die beiden Autos zu. »Der Mann im unteren Wagen atmet noch. Aber er zeigt keine Reaktion ‒ macht die Augen nicht auf, antwortet nicht. Wir müssen die hintere Tür und den Rücksitz rausschneiden, vielleicht kriegen wir ihn dann raus.«

Der Sportwagen, ein Fiat, war von oben auf den alten Buick gekracht und hatte von dessen Dach nicht viel übriggelassen. Die Schnauze des Fiat war auf den Vordersitzen gelandet, der Kühlergrill lag auf dem Amaturenbrett auf, und die hintere Stoßstange ragte in die Luft. Die Lichter des Buick waren ausgegangen, die des Fiat flackerten schwach.

»Einer von der Highway Patrol hat die Meldung gemacht«, sagte der Feuerwehrmann. »Aber er hat den Unfall selbst nicht gesehen, wir wissen also nicht, wann es passiert ist. Er ist los, um den Besitzer des Fiat ausfindig zu machen.«

Johns Partner Barry stand inzwischen neben ihm. »Der Fiat muß von da oben runtergekommen sein.« Er deutete auf die fünf bis sechs Meter hohen, steilen Felswände, von denen dieser Abschnitt des Highway 1 auf beiden Seiten begrenzt wurde. Kurz hinter Davenport, ungefähr zehn Meilen nördlich von Santa Cruz, schnitt die Straße wie ein Kanal durch das Farmland, das hier sanft zum Meer hin abfiel. In dieser Nacht war das Rauschen der Brandung deutlich zu hören, und der Nebel roch nach Meersalz und kaltem Tang.

In der Ferne ertönte eine Sirene ‒ wahrscheinlich der Sheriff, vielleicht die Highway Patrol. John holte seine Taschenlampe hervor. Einer der Feuerwehrmänner leuchtete unter die hintere Stoßstange des Fiats, anscheinend um abzuschätzen, ob seine Position stabil war.

John ging in die Hocke und richtete seine Taschenlampe durch den schmalen Spalt, der einmal das Seitenfenster des Buick gewesen war. Einige Stücke Sicherheitsglas hingen noch im Rahmen. Er konnte den blutüberströmten Oberkörper des Fahrers erkennen. Die Lehne hatte beim Aufprall nach hinten nachgegeben, so daß der Mann praktisch in seinem Sitz lag. Glück im Unglück. Aufrecht sitzend hätte er niemals überlebt.

John ließ den Lichtstrahl zum Kopf des Fahrers wandern. Zu Barry sagte er: »Der Schädel ist offen, Gehirnmasse zu sehen. Aber er atmet, er lebt noch. Er muß sofort in eine Unfallklinik, wir brauchen einen Hubschrauber!«

Während Barry über Funk einen Rettungshubschrauber anforderte, ging John um die Autos herum. Ihm war sofort klar, daß der Feuerwehrmann recht gehabt hatte. Er mußte abwarten, bis die hintere Tür herausgeschnitten war, bevor er zu dem Fahrer Vordringen konnte.

Ein Mann von der Highway Patrol kam auf ihn zu. »Es ist praktisch kein Verkehr. Der Hubschrauber kann gleich hier auf der Straße landen. Wenn Sie glauben, daß der Mann durchkommt.« »Okay, je näher, desto besser. Aber sagen Sie dem Piloten, er soll auf die Stromleitungen aufpassen. Habt ihr den Highway gesperrt?«

»Ja«, antwortete ein Feuerwehrmann.

»Besteht die Gefahr, daß das Ganze anfängt zu brennen?«

»Wir haben Feuerhemmer unter den unteren Wagen gesprüht.« Erst jetzt bemerkte John die schaumige Masse, die aussah wie Katzenstreu.

»Bei dem oberen können wir nicht viel machen, aber wir halten die Schläuche griffbereit.«

»Wir müssen so schnell wie möglich die hintere Tür rauskriegen«, sagte John. Barry hatte bereits Sauerstoff und Infusionen vorbereitet.

»Die Spezialisten sind schon unterwegs. Mit unseren hydraulischen Schneidern richten wir hier nicht viel aus. Aber sie müssen jeden Moment da sein.«

Tatsächlich war abermals eine Sirene zu hören.

Wenige Minuten später sprangen einige Feuerwehrleute von einem roten Fahrzeug und machten sich zielstrebig an die Arbeit. John stand dicht hinter ihnen. Sobald die Öffnung groß genug war, krabbelte er in den Wagen und untersuchte den Fahrer.

Er kämpfte gegen die Platzangst und wies Barry an, die Lampe niedriger zu halten. Da hörte er über sich bereits den Hubschrauber. Von den verbeulten Chromteilen blitzten die Reflexe des grellen Suchscheinwerfers und der roten Seitenlichter. Der Lärm der Rotorblätter war unerträglich.

Als der Hubschrauber gelandet war, hatte John bereits dafür gesorgt, daß die Atemwege des Fahrers frei waren, und begonnen, einen Infusionskatheder zu legen. Doch er wußte, daß der Mann nicht überleben würde, nicht mit solch schweren Kopfverletzungen. Wenn er es überhaupt noch lebend bis zum Hubschrauber schaffte. Dabei war der Mann noch gar nicht alt, um die sechzig vielleicht. Und er sah gut aus für sein Alter hatte volles Haar und war ziemlich schlank.

John zwängte sich aus dem Auto. Trotz der kühlen Meeresbrise war er schweißgebadet. Er hatte Angst gehabt, der Fiat könne abrutschen, die Fahrerkabine vollständig eindrücken und ihn mitsamt seinem Patienten unter sich begraben.

Er trat zurück, damit die Männer den Rücksitz herausschneiden konnten. Mittlerweile waren zwei Feuerwehrwagen zur Stelle, einer stand vor, einer hinter der Ambulanz. Auf dem Seitenstreifen parkten der Wagen der Highway Patrol und der des Sheriffs. Der Hubschrauber stand ein Stück weiter, genau auf der Mittellinie des Highway. Drei Fahrzeuge mit Blinklichtern und zwölf Männer ‒ nicht gerade wenig für einen Unfall mit nur einem Verletzten.

Aus dem MediVac-Hubschrauber sprangen mehrere Sanitäterinnen. Um den Rotorblättern auszuweichen, liefen sie gebückt auf die Unfallstelle zu.

Auf ein Zeichen der Feuerwehrleute krabbelte John wieder in den Wagen, um Kopf und Wirbelsäule des Patienten zu stützen, während er mitsamt dem Sitz herausgezogen wurde. Die Frauen von der Flugambulanz spähten durch die Fenster, während John gegen den Lärm anschrie, um ihnen den Zustand des Patienten zu beschreiben.

»Was ist mit dem anderen Fahrer?« fragte eine von ihnen.

»Hat sich aus dem Staub gemacht«, sagte ein Feuerwehrmann.

»Fahrerflucht, was? So ein Schwein, ich hoffe, sie kriegen ihn.« Sie luden den Patienten durch die hintere Klappe in den Hubschrauben Der Lärm der Rotorblätter war so laut, daß John glaubte, sein Trommelfell würde platzen.

Der Hubschrauber hob ab und flog landeinwärts Richtung Unfallklinik davon. John, Barry und die Feuerwehrleute sahen ihm nach. Als die roten Lichter nicht mehr auszumachen waren, funkte Barry die Notrufannahme an und gab Entwarnung. Jetzt konnten sie zu ihren Stationen zurückkehren und sich wieder schlafen legen.

Der Sheriff und der Mann von der Highway Patrol gingen noch einmal um die Autos herum und leuchteten ins Innere. Ein Abschleppwagen war eingetroffen und stand neben der Ambulanz.

Barry sagte: »Fahrerflucht. Der Kerl hat eine Menge Ärger am Hals.«

»Nichts gegen den, auf dem er gelandet ist.« John sah an der Felswand hoch. »Hört mal, der Fiat ist einige Meter geflogen. Ich würde mir das da oben gern mal ansehen.«

Barry wollte gerade antworten, als sein Piepser anging. Er drückte einen Knopf, und aus dem Funkgerät krächzte eine Stimme: »SC-2, medizinischer Notfall in Davenport, am Ende der San Vittorio Road.«

Während Barry sich die Einzelheiten sagen ließ, sprang John bereits hinten in den Rettungswagen und wechselte den blutigen Overall gegen einen sauberen aus. Zwar würde diesmal er fahren und Barry sich um den Patienten kümmern, trotzdem war es möglich, daß dieser ihn sah. Und außerdem wollte er nicht länger als unbedingt nötig blutverschmiert herumlaufen.

Keine zwei Minuten später saß er hinterm Steuer und lenkte den Wagen vorsichtig zwischen den Unfallautos und der Feuerwehr hindurch. Die San Vittorio war eine Seitenstraße des Highway und lag kurz vor Davenport, weniger als eine halbe Meile vom Unfallort entfernt.

Sie rasten über die holprige Landstraße, ihre Scheinwerfer spiegelten sich in den Fenstern der heruntergekommenen Häuser. Sie hatten die Sirene nicht eingeschaltet. Es war nicht nötig, um halb vier Uhr morgens die ganze Nachbarschaft zu wecken.

»In letzter Zeit hatten wir eine Menge Einsätze hier in der Gegend«, sagte Barry.

Davenport war eine winzige Ortschaft ‒ ein Sandwich-Shop, eine Post, ein Bed & Breakfast am Highway und eine Zementfabrik, umringt von ein paar Häusern. Für einen Ort mit wenigen hundert Einwohnern hatte es in der letzten Woche ungewöhnlich viele Notrufe gegeben.

»Stimmt, aber diese Sache war wirklich der Hammer. So was Verrücktes passiert so schnell nicht wieder.« Es sollte sich jedoch herausstellen, daß er mit dieser Prognose völlig falsch lag.

Kapitel 1

Passenderweise sah ich mir gerade Wer den Wind sät an, als der Anruf kam.

Der Film handelt von Scopes »Affen-Prozeß«, bei dem Charles Darrow ‒ wahrscheinlich der letzte Anwalt Amerikas, der bewundert und respektiert wurde ‒ in den zwanziger Jahren einen Lehrer vertrat, der des Verbrechens angeklagt wurde, seiner Highschool-Klasse die Evolutionstheorie erklärt zu haben. Trotz eines hervorragenden Plädoyers hatte Darrow den Fall verloren. Das liegt in der Natur der Sache, gegen eine Ideologie gibt es keine Verteidigung, weil einfach zu viele Menschen daran glauben.

Heutzutage ist die Evolutionstheorie ein Teil unserer Ideologie. Doch ich habe am eigenen Leib erfahren, welches ihr modernes Gegenstück ist. Ich bin nämlich mit einer Theorie konfrontiert worden, die ‒ trotz zahlreichen Beweismaterials und vieler Zeugenaussagen ‒ auch ein moderner Darrow nicht gern vertreten hätte. Ich bin allerdings noch nicht einmal eine große Rednerin; diese Fähigkeit ist bei Anwälten im Zuge der natürlichen Auslese zugunsten einer kreativen Rechnungstellung verkümmert. Meine eigenen Kenntnisse der Gebührenverordnung hatte ich im letzten Jahr durch meinen Job in einer Anwaltskanzlei vertiefen können, die auf High-Tech- und Multimedia-Recht spezialisiert war. Da das unheimlich trendy klang, hatte ich die Stelle angenommen. (Und weil ich schon seit einem halben Jahr arbeitslos war.) Doch leider bedeutete der Job für mich als Unterste auf der Leiter einen Haufen Verfahren wegen Verletzung des Urheberrechts, unlauterem Wettbewerb oder Vertragsbruch. Und endlose Konferenzen mit multimediabegeisterten Anwälten ‒ nicht zu verwechseln mit den klassischen Freaks, den Hackern oder den Cyberpunks. Anwälte haben ein überdimensioniertes, eiskaltes Ego. Die beste Technik (Computertechnik, versteht sich) ist für sie nicht nur ein Mittel, mehr Daten auf den Weg zu bringen, sondern dient in erster Linie dazu, die eigenen Krallenspuren möglichst weit oben am Baum zu hinterlassen. Und weil sie kaum wissen, wohin mit ihrem Geld, können sie sich ein bißchen Rinde unter den Fingernägeln durchaus leisten.

Nach einem Jahr mit drei Anwälten, zwei Assistenten und vier Sekretärinnen, die wie wild hinter jeder neuen Technologie her waren, hatte ich die Nase gestrichen voll von Computern. Selbst meine Stereoanlage schien mir übertrieben digital. Ich wollte nur noch weg, irgendwohin, wo Hardware nicht angebetet wurde und ich keine Röcke tragen mußte. Ich sehnte mich nach der einfachen, technologiefreien Zeit meiner Hippie-Jugend, nach einem Urlaub in einer einsamen Hütte ohne Telefon. Statt dessen bekam ich diesen Anruf von Fred Hershey.

Eingekuschelt in meine Bettdecke, sah ich also Wer den Wind sät, als das Telefon klingelte. Normalerweise hätte ich den Anrufbeantworter rangehen lassen, aber in meiner Hurra-ich-habe-drei-Wochen-Urlaub-Euphorie hatte ich ihn abgestellt. Beim sechsten oder siebten Klingeln fing ich langsam, an, mir Sorgen zu machen. Wenn nun mein Vater krank geworden war? Wenn meine Mutter, der Welt älteste Hippie-Frau, trotz aller Besserungsschwüre mal wieder im Gefängnis gelandet war? Widerstrebend krabbelte ich aus dem Bett und nahm den Hörer ab.

Fred Hersheys Stimme sagte: »Willa Jansson, es ist Zeit für den Gefallen, den du mir schuldest.«

Zum erstenmal bekam ich eine Ahnung davon, wie übertrieben direkt Fred sein konnte. Für einen Psychiater war das eine ungewöhnliche Eigenschaft, die im Laufe der Evolution wahrscheinlich ausgemerzt werden würde. Doch an jenem Abend war ich noch überrascht. Ich hatte Fred im letzten Jahr nur kurz kennengelernt ‒ wenn auch lange genug, daß sein Bruder, mein Ex-Freund, mich tief in Freds Schuld bringen konnte.

»Wer sind Sie überhaupt?« fragte ich, obwohl ich es genau wußte. Eigenbrötlerisch und ungesellig wie ich war, gab es nur wenige Leute, denen ich einen Anruf schuldete, geschweige denn einen Gefallen.

»Fred Hershey. Du mußt nach Santa Cruz kommen, gleich morgen früh.«

»Ich bin auf dem Weg in den Urlaub.«

»Prima. Das Klima hier wird dir gefallen.«

Freds Bruder Edward hatte mich vor Jahren, als wir zusammenwohnten, fast in den Wahnsinn getrieben, und auch danach hatte er sich noch des öfteren als Nervensäge erwiesen. Jetzt war anscheinend Fred an der Reihe.

Andererseits hatten die beiden mir geholfen, einen Freund zu verstecken. Ohne sie wäre er jetzt im Knast. Und ich auch. »Willa, hör zu. Einer meiner Patienten wird wegen fahrlässiger Tötung und Fahrerflucht in einem besonders schweren Fall angeklagt. Du mußt ihn verteidigen.«

»Ich bin Firmenanwältin«, hielt ich ihm entgegen. In den fünf Jahren seit meinem Abschluß war ich allerdings auch Anwältin für Arbeits- und Gesellschaftsrecht gewesen und Rechtsberaterin für einen Bundesrichter. Damit Fred mich gar nicht erst für flexibel halten konnte, fügte ich hinzu: »Und ich habe Urlaub.« »Du bist die einzige, die ich kenne, die verrückt genug ist, den Fall zu übernehmen.«

»Vielen-«

»Und die einzige, die mir was schuldet.«

In der kalten Abendluft begann ich zu frösteln und schlang mir die Arme um den Körper. Ich erinnerte mich an Fred in seiner Therapeuten-Rolle ‒ mit der wohlmodulierten und gedämpften Stimme eines Radiomoderators. Ich hatte ihn auch unter Streß erlebt, wie er fluchte und chaotische Befehle bellte. Aber ich war nicht oft genug mit ihm zusammen gewesen, um mich noch an sein Gesicht zu erinnern. Statt dessen hatte ich Edwards Züge vor Augen, was unweigerlich das Verlangen in mir hervorrief, mich mit ihm anzulegen.

»Warum besorgst du ihm nicht einen ortsansässigen Anwalt, einen, der sich im Strafrecht auskennt? So einen braucht er, nicht.«

»Ich werd’s dir erklären, sobald du hier bist. Schaffst du es bis morgen mittag?«

»Wen hat er denn angefahren?« Ich sah mich schon einen Rowdie verteidigen, der mit Vollgas eine Nonne über den Haufen gefahren hatte.

»Angeblich ist sein Wagen über einen Abgrund geflogen und auf dem Highway gelandet.«

»Was soll das heißen, angeblich? Ist er oder ist er nicht?«

»Das Auto ist auf einem anderen Wagen gelandet, das schon. Der Fahrer ist tot.«

»Und dein Patient ist weggefahren?«

»Nein, er war gar nicht im Auto.«

»Wer saß dann hinterm Steuer?«

»Niemand.«

»Der Wagen ist von selbst über den Abgrund? Hatte er die Handbremse nicht angezogen?«

Fred antwortete nicht sofort. »Die Sache ist um einiges komplizierter, fürchte ich. Aber ich denke, du solltest es dir von Miller selbst erzählen lassen.«

»Miller ist der Typ, der nicht im Auto saß, als es jemanden totgefahren hat?« Klang ganz nach Stephen Kings Christine. »Richtig.«

»Was sagt er denn, wo er war? Hat er ein Alibi?«

»Genau da wird’s haarig. Deshalb brauche ich dich.«

Warum? Warum war ich bloß ans Telefon gegangen? Und warum war ich nicht ein paar Stunden früher in Urlaub gefahren? Ich hatte keine Wahl, ich schuldete Fred Hershey einen Gefallen, einen ziemlich großen sogar.

»Gut, okay, morgen mittag bin ich da.«

Ich kehrte zurück zu Wer den Wind sät, ohne zu ahnen, daß ich schon bald nicht mehr bloß irgendeine blonde, zu klein geratene Siebenunddreißigjährige mit ersten grauen Haaren und langweiligem Lebenslauf sein würde. Ich war kurz davor, eine seltsame, neuzeitliche Meile in Clarence Darrows Schuhen zurückzulegen: Willa Jansson, ketzerische Anwältin und Beistand der Ungläubigen.

Kapitel 2

Alan Miller machte einen netten Eindruck, obwohl mir das egal sein konnte. Ich war nur hier, um ihn und Fred Hershey zu überzeugen, daß sie nicht mich brauchten, sondern den örtlichen Pflichtverteidiger. Ich hatte sogar meine Koffer gepackt, um weiter Richtung Süden zu fahren, vielleicht nach Big Sur, noch lieber nach Mexiko.

Miller lag in einem katholischen Krankenhaus. Er hatte ein winziges Zimmer mit Oberlicht und einem großen Kruzifix an der Wand. Ziemlich bleich saß er in seinem schmalen Bett. Sein schmerzerfüllter, ängstlicher und seltsam resignierter Gesichtsausdruck konnte es mit jedem Plastikjesus aufnehmen. Ein Tropf neben seinem Bett versorgte ihn mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Mir fiel auf, daß man dort, wo die Nadel festgeklebt war, die schwarzen Haare auf seinem Handrücken wegrasiert hatte. Die andere Hand, wahrscheinlich unrasiert, lag unter der Bettdecke. Er war groß, um die dreißig, das markante Kinn stoppelig, die dunklen Haare ungekämmt und der Blick leicht verschleiert. Von Zeit zu Zeit zuckte er zusammen, vielleicht wegen der unbequemen Lage in dem zu engen Bett, oder weil sich unter dem leichten Morgenmantel und den Decken einige Blessuren verbargen.

»Es kann einfach nicht sein, daß ich vom Highway abgebogen bin, es gibt doch keinen Grund, durch ein Rosenkohlfeld zu fahren.« Sein Fiat-Sportwagen war auf dem Dach eines Buick gelandet, der in nördlicher Richtung auf dem Highway 1 unterwegs gewesen war, ungefähr zehn Meilen vor Santa Cruz. Miller sprach mit tiefer Stimme, trotz seiner Verzweiflung. »Warum hätte ich auch vom Highway runterfahren sollen, nur um eine Viertelmeile später wieder drauf zu fahren? Vorausgesetzt, man käme mit dem alten Spider überhaupt über ein Kohlfeld. Wahrscheinlich wär’ die Achse gebrochen, so wackelig, wie die Kiste ist.« Seine hellgrünen Augen mit den schwarzen Wimpern füllten sich mit Tränen. »Oh Gott, der Wagen wird mir fehlen!« »Habe ich das richtig verstanden? Die Wagen standen … aufeinander?«

»Ja! Ich habe die Fotos gesehen. Der Sheriff hat sie gemacht, hauptsächlich, weil es so verrückt aussah. Der Fiat stand mitten auf dem Buick, nicht quer, wie man es erwarten würde. Um in diesem Winkel aufzukommen, hätte man oben auf dem Feld schon ein ganzes Stück parallel zum Abgrund fahren müssen. Aber selbst dann kann ich es mir nicht erklären!«

Ich war gerade die herrliche Strecke von San Francisco hierher gekommen, eine Fahrt von zwei Stunden auf dem kurvigen Küstenhighway mit viel Sonne und Blick auf die Brandung und, kurz vor Santa Cruz, auf einen schmalen Streifen Ackerland zwischen der Straße und den Klippen, die zum Meer abfielen. Die Hügel auf der anderen Seite waren mit Rosenkohl bestellt. Aber da gab es keine »Abgründe«, die Felswände zur Straße hinunter waren höchstens vier bis sechs Meter tief.

»Die Wagen standen in Richtung Davenport, kurz vor der Ortschaft«, fuhr er fort.

Wenn ich mich recht erinnerte, sah Davenport aus wie eine Ansammlung riesiger, grünbewachsener Gummidrops zwischen ein paar verstreut stehenden Häusern. Eine Zementfabrik, Restaurants ‒ mehr hatte der kleine Ort fünfzehn Minuten nördlich von Santa Cruz nicht zu bieten.

»Die behaupten, ich wäre vom Highway abgebogen, den Hügel hochgefahren, quer über den Acker ‒ was die Reifen und der Auspuff nie überlebt hätten ‒ und in den Abgrund.« Miller gestikulierte mit der Hand und zuckte jedesmal zusammen, wenn der Infusionsschlauch an der Nadel riß. »Nur daß sie nicht sagen können, warum. Weil es nämlich nicht so gewesen ist. Ich hätte das nie gemacht. Ich wohne südlich von Davenport. Warum hätte ich Richtung Norden fahren sollen, um halb drei morgens?« Er sah zu Fred Hershey. »Und ich würde niemals nach einem Unfall abhauen. Nicht, wenn jemand verletzt ist. Niemals.«

Fred saß in einer Ecke und sah aus wie ein Psychiater, mitfühlend, unverbindlich und ziemlich wohlhabend. Er war braungebrannt und sportlich. Seine dichten Locken hatte er mit Gel frisiert, die Ärmel des hellen Sportjacketts waren hochgekrempelt. Dazu trug er ein vanillefarbenes Baumwollshirt, passende Hosen und Schuhe aus weichem Leder. Er hatte die gleichen dichten Augenbrauen und die gleiche große Nase wie Edward, dennoch sah man ihnen nicht an, daß sie Brüder waren. Andererseits hatte ich Edward auch noch nie so gut angezogen gesehen.

Miller wandte sich an ihn: »Ich weiß nicht, was ich Ihnen in der Hypnose erzählt habe, aber ich kann keinen Grund erkennen für das, was ich angeblich getan haben soll.« Seine Stimme klang wehleidig und ein wenig ängstlich.

»Du hast ihn hypnotisiert?«

»Ja.« Fred war nicht gerade gesprächig.

»Und hat er erzählt, wo er war? Ob er gefahren ist oder nicht?« »Sicher ist, daß er nicht glaubt, daß er es getan hat«, sagte Fred langsam und mit beruhigender Stimme.

Wo war da der Unterschied? »Hat er ein Alibi?«

»Ich glaube, du solltest erst Alans Befragung abschließen, bevor wir die Hypnosesitzung besprechen.« Seine Stimme klang jetzt emotionslos wie die meines Computers im Büro. Ich wartete auf das vertraute Sie haben eine neue Mail, Miss Jansson. »Er ist schon von der Polizei, vom Staatsanwalt und von mir selbst befragt worden, also ist es wohl kein Problem, wenn ich dabei bin, oder?«

»Keine Ahnung ‒ ich bin Firmenanwältin.« »Ich möchte, daß er bleibt«, warf Miller ein. »Ich möchte ihn dabeihaben.«

»Ich schätze, das haben Sie zu entscheiden.« Ich schätze aus dem Mund des eigenen Anwalts zu hören, ist sicher nicht besonders beruhigend. Aber Fred hatte recht, Miller hatte seine Aussage bereits gemacht. Und irgendwann würde Fred sich auch überwinden können, mir zu erzählen, was Miller unter Hypnose gesagt hatte. Ich hielt sein Zögern für eine Psychiatertaktik: keine vorschnellen (oder billigen) Lösungen. »Mister Miller, um noch einmal auf den Unfall zurückzukommen: Als Ihr Wagen gefunden wurde, stand er immer noch auf dem anderen? Er ist nicht runtergerutscht oder -gerollt?«

»Genau mittendrauf. Und es war niemand drin, als die Polizei und die Sanitäter ankamen. Der Mann unten -«, er schluckte, »in dem Buick … Sein Auto war vermutlich ziemlich verrostet. Es war schon älter und das Dach nicht mehr so stabil. Der Fiat hat es einfach plattgedrückt. Sie haben mir erzählt, der Kopf des Fahrers sei aufgeplatzt wie eine Eierschale.« Die Farbe seines Teints wechselte von aschfahl zu totenblaß. »Die Schwestern hier sind -, ich glaube, sie kannten ihn, weil er vor ein paar Jahren mit Krebs in diesem Krankenhaus lag. Eine hat mich angeschrien. Sie hatte gehört, daß Splitter vom Schädelknochen vorn aus der Stirn rauskamen.« Er warf einen Blick auf den Tropf, als befürchte er darin die Rache der Schwester.

»Und wie weit war das von Ihrem Haus entfernt?«

»Vielleicht eine halbe Meile vor meiner Abfahrt. Ich wohne an der San Vittorio, einer ruhigen, schmalen Landstraße. Ich habe nur zwei Nachbarn.«

»Was haben Sie also an diesem Abend gemacht?«

»Ich war den ganzen Tag über in San Francisco, auf einem Symposium. Danach gab es ein Buffet in dem Hotel, da habe ich noch mit ein paar Leuten geredet. So um elf bin ich losgefahren.« Er sah aus, als würde er etwas verschweigen.

»Was für ein Symposium war das?« »Über Mykologie. Pilze. Mein Fachgebiet. Ich schreibe Pilzführer für die Gegend hier, führe Schulklassen durchs Naturkundemuseum und gehe mit Leuten auf Pilzsuche und so weiter.«

»Er ist ziemlich bekannt hier im Ort«, warf Fred ein.

»Ach was!« Miller lächelte. »Aber ich habe im Krankenhaus ein paarmal geholfen, Sporen zu identifizieren. Bei Pilzvergiftungen, wenn die Ärzte nicht wußten, woran sie waren.«

»Okay, Sie waren also bis circa elf Uhr auf einem Pilzsymposium, richtig?«

»Richtig. Dann habe ich in Half Moon Bay kurz angehalten und eine Tasse Kaffee getrunken. Vor dem Café stand eine junge Frau. Sie hat gefragt, ob ich sie ein Stück die Küste entlang mitnehmen kann. Ich habe gesagt, ich führe nur bis Davenport, aber sie war einverstanden.«

»Sie ist also mitgefahren? Bis Davenport?«

»Ich habe sie am Strand rausgelassen, gegenüber vom Cash Store ‒ im Zentrum von Davenport, soweit man das so nennen kann. Das war so um eins, viertel nach eins.«

»Oh.« Ich versuchte, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Eine Zeugin für ein Alibi wäre ein echtes Gottesgeschenk gewesen, auch wenn es schwierig geworden wäre, sie ausfindig zu machen. »Und dann?«

Er warf Fred Hershey einen kurzen Blick zu. »Ich bin nicht… Ich weiß nicht, ich bin nicht sicher. Ich erinnere mich, wie ich angehalten habe, um das Mädchen rauszulassen. Ich machte mir Sorgen um sie. Sie war viel zu jung, um per Anhalter zu fahren, und ich habe überlegt, ob ich ihr anbieten soll, bei mir zu übernachten. Am Strand kann es ganz schön kalt werden. Aber sie ging gar nicht darauf ein, sie hat ziemlich cool getan. Und danach, ich kann mich einfach nicht …«

Ich wartete einen Moment, bevor ich nachhakte: »Danach?« »Ich weiß es einfach nicht, mir fehlt ein ganzes Stück. Ich kann mich an nichts erinnern, außer daß ich am nächsten Morgen in meinem Bett aufgewacht bin.«

»Der Unfall war um halb drei?«

»Da ist er gemeldet worden. Die Highway Patrol hat ihn entdeckt.«

»Und Sie glauben, daß Sie zu dieser Zeit zu Hause im Bett lagen?« Fred rutschte auf seinem Stuhl nach vorn. »Die Highway Patrol war ungefähr um drei Uhr an seinem Haus. Die Adresse hat sie über das Nummernschild herausgefunden.«

Ich konnte mir vorstellen, was jetzt kam. »Und er war nicht da?«

»Nein.«

Miller runzelte die Stirn. »Ich kann es mir nicht erklären. Ich erinnere mich an nichts. Ich bin einfach zu Hause aufgewacht.«

»Wann?«

»So um halb elf.«

»Aber um drei Uhr ist Ihr Haus überprüft worden.«

»Es kommt noch schlimmer. Die Highway Patrol war um fünf noch einmal da, und der Sheriff hat es um acht Uhr noch mal versucht.«

»Sieht also so aus, als wären Sie die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen. Waren Sie noch im Bett, als die Polizei Sie um halb elf antraf?«

»Nein, unter der Dusche.«

»Die Polizisten haben ihn auf den Boden gezwungen und ihm Handschellen angelegt. Erst als sie ihm seine Rechte vorlasen, ist ihnen aufgefallen, in was für einem Zustand er war.« Fred preßte die Lippen aufeinander. »Dann haben sie ihn mit einem Krankenwagen hierherbringen lassen.«

Ich versuchte, Fred einen stummen Hilfeschrei zuzufunken. Was erwartete er von mir? Was konnte ich für Miller tun? Der Mann hatte kein Alibi, und er war verletzt, wie zu erwarten nach einem Autounfall. Je mehr ich erfuhr, um so mehr sprach dafür, daß er schuldig war.

»Glaubst du, er hat sich bei dem Unfall eine Kopfverletzung zugezogen und ist dann durch die Gegend geirrt? Würde eine Gehirnerschütterung nicht den Gedächtnisschwund erklären?« Ich sah auf die Uhr. Mexiko rückte in immer weitere Ferne. »Seine Verletzungen können nicht von dem Unfall stammen.« Fred wollte nicht recht raus mit der Sprache.

»Und warum nicht?«

»Die typischen Verletzungen nach einem Unfall sind Kompressionsfrakturen der Nackenwirbel und der Wirbelsäule, Rippenbrüche vom Aufprall auf das Lenkrad, vielleicht auch gebrochene Knie, Kopf- und Gesichtsverletzungen, Schnittwunden von Glas, solche Sachen.«

»Und das hat er alles nicht?« Auf mich wirkte Miller durchaus wie jemand mit diversen Leiden.

»Nein.«

»Und was für Verletzungen hat er?«

»Über die Einzelheiten sprechen wir später.« Entweder liebte Fred seine Rolle als Autoritätsperson, oder er wollte in Millers Anwesenheit nicht darüber reden.

Aber das sollte mir egal sein. Ich fragte Miller: »Was haben die Ärzte Ihnen gesagt?«

»Sie wollten nicht so recht damit raus. Sie waren es, die Dr. Hershey gerufen haben.« Miller stand die Angst im Gesicht geschrieben. »Aber ich kann Ihnen sagen, wie ich mich fühle.« »Ja?«

»Mein Kopf ist wie mit Watte vollgestopft, meine Nasenhöhlen tun weh, und ich habe Schmerzen im Bein. Aber am schlimmsten sind die Nieren. Oh Mann! Ich habe Blut im Urin.«

»Also, gestern morgen um halb elf hat die Polizei Sie zu Hause festgenommen, und entweder waren die etwas zu grob, oder Sie waren vorher schon verletzt und brauchten einen Krankenwagen. Man hat Sie hierhergebracht, die Ärzte haben Sie untersucht und dann Dr. Hershey gerufen.« Anwälte lassen sich von den Mandanten gern eine Version der Ereignisse absegnen, bevor deren Erinnerung verblaßt.

Miller traten Tränen in die Augen. Er nickte.

»Und Sie gehen davon aus, daß der Sheriff wiederkommt und Sie festnimmt?«

Er schob das Betttuch zur Seite und gab den Blick auf seine andere Hand frei.

Sie war mit Handschellen an den Bettrahmen gekettet.

»Oh.« Ich sah zu Fred hinüber.

»Sie waren gestern abend schon hier. Er wird wegen fahrlässiger Tötung und Fahrerflucht in einem besonders schweren Fall angeklagt. Sobald das Krankenhaus ihn entläßt, wandert er ins Gefängnis.«

»Wenn die das Ding doch bloß wieder abnehmen würden!« Miller klapperte mit den Handschellen. »Es macht mich wahnsinnig ‒ und ich hasse diese Bettpfannen.«

»Bis jetzt ist noch nicht bewiesen, daß Sie gefahren sind, oder?« Es sah allerdings nicht gut aus: Es handelte sich um Millers Auto, und er hatte zugegeben, ein oder zwei Stunden vor dem Unfall damit gefahren zu sein.

Fred schüttelte den Kopf, und ich fragte ihn: »Warum haben sie dich eigentlich dazugeholt?«

»Alan war in einer sehr schwierigen emotionalen Verfassung, vor allem wegen des Gedächtnisverlustes. Und ich hatte Notdienst. Wir haben uns eine Weile unterhalten, und dann habe ich vorgeschlagen, ihn zu hypnotisieren. Ich erklärte ihm, was bei einer Hypnose passiert, und welche Rolle eine solche Aussage in einem Strafverfahren spielen kann.«

»Hatte der Staatsanwalt irgendwas mit dieser Entscheidung zu tun?« Wenn ich mich recht erinnerte, konnte die Anklage beantragen, einen Zeugen zu hypnotisieren, aber nicht einen Verdächtigen.

»Er hat unterschrieben. Seine Zustimmung war erforderlich.« »Und Sie haben da mitgemacht?« fragte ich Miller. »Ohne vorher mit einem Anwalt zu sprechen? Und es war auch kein Anwalt dabei?«

»Ich mußte es einfach wissen«, verteidigte er sich. »Ich konnte nicht glauben, daß ich getan hatte, was sie mir vorwerfen. Ich war es, der auf die Hypnose gedrängt hat.«

»Der Staatsanwalt hat ein Schriftstück aufgesetzt, und Alan mußte unterschreiben, daß die Hypnosesitzung mit seinem Wissen auf Band aufgenommen wird, und die Aufnahme im Falle eines Strafprozesses als Beweismittel gegen ihn verwendet werden kann.« »Aber ich war mir sicher, daß ich nicht über den Acker und in den Abgrund gerast bin ‒ niemals«, warf Miller ein. »Ich wollte die Hypnose. Ich konnte ja nicht ahnen, daß es so enden würde.« Er hob die festgekettete Hand, so weit es ging.

Ich bemühte mich, Freds Rolle bei dem Ganzen zu verstehen. »Deine Aufnahme hat also dazu geführt, daß er verhaftet wurde?« Zuerst hatte er Miller geholfen, sich selbst zu belasten, dann besorgte er ihm eine Firmenanwältin statt eines Strafverteidigers! Was hatte er gegen den armen Kerl?

Doch Fred sah nicht so aus, als würden ihn Schuldgefühle plagen. »Zumindest hat sie es nicht verhindert. Als mir klar wurde, daß es eine Sache für den Pflichtverteidiger werden würde, habe ich dich angerufen.«

Ich seufzte. »Mr. Miller, Dr. Hershey und ich haben schon zusammen … gearbeitet. Aber er hat mich damals nicht als Anwältin kennengelernt« ‒ sondern als Helfershelferin bei einer ganzen Reihe von Straftaten ‒ »und ich muß Ihnen sagen, daß ich nicht auf Strafrecht spezialisiert bin. Ich arbeite im Multimediabereich ‒ vor allem im Handels- und Urheberrecht. Ich glaube wirklich nicht, daß ich für Ihren Fall die Richtige bin. Schon gar nicht im Vergleich zu einem Verteidiger, der jeden Tag mit Strafrecht zu tun hat.« Gebieterisch hob Fred die Hand. »Ein anderer Verteidiger kommt nicht in Frage.«

»Wieso denn nicht?«

»Was wir brauchen ist eine eher …, nun, nennen wir es eine unkonventionelle Verteidigung.«

»Unkonventionell? Du meinst, so unkonventionell, wie sich eine Anwältin von außerhalb zu holen, damit die sich lächerlich macht und wieder verschwindet?«

Fred nickte, ohne eine Miene zu verziehen. »Wenn du das Band gehört hast, wirst du verstehen, was ich meine.«

Miller lehnte sich vor. »Kann ich es auch hören?«

»Das haben Sie noch nicht?« Ich war überrascht.

»Bei dieser Art von Gedächtnis Verlust, wenn die Ursache nicht bekannt ist…« Fred gab sich sichtlich Mühe, nicht zu viel zu erklären. »Ich hielt es für das beste, abzuwarten, ob die Erinnerung von selbst wiederkommt.«

»Ist sie aber nicht.« Miller klang so frustriert, wie er aussah. Fred holte einen kleinen Kassettenrekorder aus seiner Aktentasche. »Unter diesen Umständen, und vor allem, weil der Staatsanwalt bereits eine Kopie hat, haben Sie wohl ein Recht, es zu hören, Alan.« Fred sah nicht gerade glücklich aus. »Obwohl ich natürlich lieber vorher mit Ihnen gearbeitet hätte. Es wäre mir lieber gewesen, die Erinnerungen hätten sich von selbst wieder eingestellt.« Er stellte den Rekorder auf seine Knie. »Statt Sie so unvorbereitet damit zu konfrontieren.«

Miller hatte sich nach vorn gebeugt und starrte mit runden Augen, den Mund leicht geöffnet, auf den kleinen Rekorder wie auf die Büchse der Pandora. »Fangen Sie an«, drängte er. »Ich will wissen, was ich gesagt habe. Ich will wissen, was geschehen ist.« Er warf mir einen Blick zu. »Nicht, daß ich nicht versucht hätte, mich zu erinnern. Ich habe es auf alle möglichen Arten versucht, das können Sie mir glauben.«

Angekettet an ein Krankenhausbett hatte er sich vermutlich wirklich Mühe gegeben.

»Dann mal los«, sagte ich. Freds Andeutungen hatten mich neugierig gemacht. Was mochte das für ein Fall sein, für den jemand einen »unkonventionellen« Anwalt von außerhalb engagierte?

Die gleiche Frage hatte sich wahrscheinlich auch Clarence Darrow gestellt, als John T. Scopes zu ihm gekommen war.

»Was ist das? Oh Gott! Was ist das bloß?« Aus dem Lautsprecher drangen Millers Schreie.

Kapitel 3

Der hysterische, blecherne Klang seiner Stimme aus der kleinen Plastikbox erinnerte an ein altes Hörspiel: Anhalter vom Mars. »Oh Gott, dieses Licht, ich kann mich nicht bewegen! Ich bin wie in Glas getaucht, überall sind unsichtbare Fesseln. Ich hasse dieses Licht, ich hasse es, ich bin gefangen in meinem Körper, ich werde platzen wie ein Wiener Würstchen. Oh Gott, es ist schrecklich!« Seine Stimme überschlug sich zu einem Kreischen. Ich beobachtete Millers Reaktion. Ich hätte wetten können, daß sein Entsetzen echt war. Er saß jetzt aufrecht da, den Kopf vorgestreckt, und vor lauter Konzentration waren seine Gesichtsmuskeln völlig erschlafft.

»Ich bewege mich, durch das Seitenfenster kann ich sehen, wie ich mich bewege. Aber mein Körper ist starr! Das Auto bewegt sich mit mir drin!«

Miller zuckte zusammen. Langsam schüttelte er den Kopf. Sein Gesichtsausdruck schien zu sagen: unmöglich.

»Da stimmt was nicht, irgendwas stimmt nicht! Ich bewege mich ganz schnell, wie in einem Sog, aber ich spüre nichts, keinen Wind, kein Geräusch, keinen Motorenlärm. Alles ist verkehrt. Ich werde verrückt, mein Gott, ich bin verrückt geworden, genau wie Oma! Oh Gott!« Jetzt klang seine Stimme angespannt, mißtrauisch. »Was ist das? Was ist das für ein Ding?«

Fred Hershey schaltete sich ein mit seiner besten Radiomoderatorenstimme. »Alan, denken Sie daran, Sie sind jetzt hier, nicht dort. Sie sind an einem sicheren Ort, Sie erinnern sich an ein Ereignis in der Vergangenheit, es ist vorbei. Versuchen Sie, die Erinnerung festzuhalten. Was sehen Sie?«

»Oh Mann, ich weiß es nicht. Irgend so ein Ding. Es ist grau und dürr. Es hat ganz kurze Beine, die Arme sind so dünn wie Spinnenbeine. Ich sehe vier von diesen spinnenbeinigen Wesen. Riesige schwarze Augen, eine kleine Nase und ein dünner Schlitz als Mund. Schmaler Brustkorb. Sie sehen aus wie graue Insekten, die aufrecht gehen, wie kleine Grashüpfermenschen.«

»Was tun sie, Alan?«

»Sie greifen mit ihren Armen durch das Auto, als wäre es Luft. Ich schwebe durch das Blech, einfach durchs Dach, wie durch eine Wolke. Sie ziehen mich einfach durch das Dach! Oh Gott, ich bin verrückt geworden!«

»Es ist alles in Ordnung, Alan, Sie sind in Sicherheit. Versuchen Sie, die Erinnerung zu halten.«

»Wir sind in einer Art Raum. Sie lassen mich durch die Luft schweben, in einen Stuhl. Aber als ich mich hinsetze, paßt der Stuhl sich meinem Körper an und legt mich hin. Er ist jetzt mehr wie eine Liege, aber ganz an meine Körperform angepaßt, und ich bin …« Die Stimme wurde zu einem Winseln. »Sie haben mich ausgezogen. Oh Gott, ich kriege Platzangst, ich halte das nicht aus, ich halt’ es nicht aus, ich dreh’ durch, wenn ich mich nicht bewegen kann!«

»Sie sind in Sicherheit, Alan. Das ist alles Vergangenheit. Halten Sie die Erinnerung, wenn es geht.«

»Einer von ihnen ist größer als die anderen. Er sieht aus wie eine riesige Gottesanbeterin oder so was. Ich muß verrückt sein. Das ist ein Traum!« Er schrie auf. »Er faßt mich an! Er faßt mein Gesicht an. Mir ist so kalt, seine Berührung ist so kalt! Er gibt mir Worte ein.«

»Worte?« »Er sagt, ich soll keine Angst haben. Aber ich habe Angst. Er sagt, es tut nicht weh, aber es tut weh.«

»Was tut weh, Alan?«

»Sie haben so ein Ding, wie eine Spritze mit zwei Nadeln. Sie ist mit einer heißen, goldenen Flüssigkeit gefüllt. Es brennt wie Feuer unter der Haut. Der Große sagt, es tut nicht weh, aber es tut verdammt weh.«

Zitternd und mit hängenden Schultern starrte Miller hinunter auf seine gefesselte Hand.

Ich reckte mich, um auch einen Blick darauf zu erhaschen. Zwei winzige Einstichlöcher zierten den Daumen.

»Er sagt immer wieder, daß es nicht weh tut, aber es tut weh, es tut alles weh. Bevor er mir die Worte eingegeben hat, war es schlimmer, aber ich weiß, unter seinen Worten tut es immer noch weh. Es ist, als würde ich den Schmerz nicht fühlen, aber ich weiß, daß er da ist.«

»Sie haben gesagt ›es tut alles weh‹. Was meinen Sie damit, Alan?«

Mit hängendem Kopf hörte Miller sich eine lange Schilderung an, von Gewebe, das aus seinem Oberschenkel entnommen wurde, von einem Saugmechanismus, den man über seine Genitalien stülpte, von einer riesigen Apparatur die sich von oben herabsenkte und ihm unterhalb der Rippen in der Gegend der Nieren ein Loch bohrte, und von einem Instrument, das ihm durch die Nasenlöcher bis hoch in die Stirnhöhlen eingeführt wurde.

Die Schilderung war ebenso schrecklich wie grotesk. Doch die Panik in Millers Stimme ging mir durch Mark und Bein.

Miller selbst sah aus, als würde er jeden Moment aufspringen, das Bett an der Handschelle hinter sich herziehen und schreiend durch den Flur laufen.

Als die Aufnahme zu Ende war, herrschte ein paar Sekunden lang Stille.

»Nun ja …«, begann ich, »wahrscheinlich würde ein Pflichtverteidiger hier wirklich einen Vergleich anstreben.« »Was hat das zu bedeuten?« Millers Tonfall war ernst. »Bin ich verrückt geworden? Ich kann mich an nichts von all dem erinnern. Ich meine, wie sollte ich auch? Es ist verrückt, oder?« Er sah Fred flehend an, wollte von ihm die Bestätigung hören.

Mit finsterer Miene schlug Fred die Beine übereinander. »Vielleicht sollte ich erst einmal erklären, was bei einer Hypnose passiert.«

»Ich meine, wahrscheinlich habe ich mir den Kopf gestoßen, oder so. Das muß ein Alptraum gewesen sein.« Miller rieb sich den Daumen, als wolle er die Einstiche wegradieren.

»Hypnose ist eine Methode, die Zugang zu den Wahrnehmungen eines Menschen verschafft, zu seiner sehr individuellen und stark gefilterten Sicht der Realität. Sie kann nicht die sogenannten Fakten aufdecken, oder die Wahrheit, oder welches dieser abstrakten Konzepte man bemühen möchte. Sie deckt lediglich auf, was Sie selbst aus dem machen, was Sie sehen. Kurz gesagt, es geht um Ihre Erinnerungen. Und Erinnerungen sind in hohem Maße individuell, mehr als die meisten Leute denken. Sie werden geprägt von Ihrer Weltanschauung, Ihrer Vergangenheit, Ihrer einzigartigen Art und Weise, Eindrücke zu verarbeiten. Verstehen Sie, was ich meine?«

Miller ließ sich kraftlos in die Kissen fallen. »Und wenn ich verrückt bin, sind meine Erinnerungen auch verrückt.«

»Aber alles andere, was Sie mir erzählt haben ‒ was Sie an jenem Tag gemacht haben, wo Sie herkommen, womit Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen ‒ diese Erinnerungen sind zuverlässig. Es wäre also sehr ungewöhnlich, wenn Sie an ein paar Stunden Ihres Lebens solche, wie Sie es nennen, ›verrückten‹ Erinnerungen hätten.«

»Aber Fred«, unterbrach ich, »wenn er sich nun wirklich den Kopf verletzt hat? Das wäre doch eine Erklärung für diese seltsame Geschichte, oder?«

»Es gibt keine Anzeichen für eine Kopfverletzung.« Fred wirkte etwas gereizt. »Aber ich kann euch sagen, was die ärztliche Untersuchung ergeben hat: Einstiche am Daumen, eine starke allergische Reaktion auf eine unbekannte Substanz, Nierenfunktionsstörungen, Schwellungen im Genitalbereich, Schmerzen im Oberschenkel und in der Stirnhöhle und eine verstärkte Neigung zum Nasenbluten.«

Langsam beschlich mich der Verdacht, daß Fred hier der Verrückte war. »Du willst nicht sagen, daß das wirklich passiert sein kann, oder?«

Fred seufzte. Miller schloß die Augen, er atmete flach und schnell.

»Fred, meinst du etwa, ich soll mich vor den Richter stellen und behaupten, dieser Mann sei von grauen Außerirdischen mit Spinnenbeinen entführt worden, die ihm Worte eingegeben haben?«

Fred verzog das Gesicht. »Hast du vielleicht schon mal registriert, daß überall auf der Welt Menschen von ganz ähnlichen Erfahrungen berichten?«

Miller kniff die Augen so fest zusammen, daß die Lider an getrocknete Pflaumen erinnerten. Ihm liefen Tränen über die Wangen.

»Ich habe ein wenig nachgeforscht«, fuhr Fred fort. »Der Gründer des Cambridge Psychiatric Hospital hat mehr als siebzig Fallstudien gesammelt. In anderen Sammlungen finden sich Hunderte weiterer Fälle. Anerkannte Wissenschaftler schätzen, daß mehrere hunderttausend Amerikaner ähnliche Erlebnisse gehabt haben. Manche Schätzungen gehen sogar von bis zu vier Millionen Menschen aus.«

»Ach ja, es gab auch Millionen von Leuten, die geglaubt haben, Richard Nixon hätte einen ›Geheimplan‹ zur Beendigung des Vietnamkrieges. Aber dadurch wird es auch nicht wahrer! Manche Leute glauben jeden Blödsinn.« Ich sah zu Miller hinüber. Hoffentlich hatte ich ihn nicht gekränkt.

Doch er riß die Augen auf und starrte Fred mit einem um Zustimmung flehenden Blick an.

Derartig angespornt, sprach ich weiter: »Ich dachte, dieser ganze Kram mit den verdrängten Erinnerungen wäre längst vom Tisch.« Mir fielen da mehrere Prozesse ein ‒ einer um eine Frau, die sich ›erinnerte‹, daß ihr Vater ihre Spielgefährten umgebracht hatte. Andere Frauen konnten sich aufgrund von Anspielungen ihrer Therapeuten plötzlich daran ›erinnern‹, als Kinder mißbraucht worden zu sein, und sahen darin die Ursache ihrer Probleme.

»Vom Tisch nicht. Kontrovers, das schon. Bei traumatischen Erlebnissen kommt es oft dazu, daß die Ereignisse drum herum in der Erinnerung verzerrt werden, manchmal sogar sehr verzerrt: sie werden komprimiert, erweitert oder komplett vergessen. Doch die Erinnerung an das traumatische Erlebnis selbst ist in der Regel sehr klar und fokussiert. Das ist zum Beispiel das Problem vieler Vietnamveteranen. Sie können die Grausamkeiten nicht vergessen, erinnern sich diesbezüglich selbst an Einzelheiten, auch wenn sie die tägliche Routine längst aus dem Gedächtnis gestrichen haben.«

»Dann müßte Mr. Miller sich ja klar und deutlich an… an alles erinnern! Das würde bedeuten, daß es nicht wirklich -« »Dieses Argument ist oft gegen sogenannte verdrängte Erinnerungen an sexuellen Mißbrauch in der Kindheit angeführt worden. Aber es hat durchaus dokumentierte Fälle gegeben, in denen die verdrängten Erinnerungen von Dritten bestätigt worden sind. In Wahrheit sind also viele Angriffe auf die Theorie wohl eher ein Schlag gegen bestimmte Therapeuten als ein seriöser wissenschaftlicher Standpunkt.«

Na prima. Ich sah mich schon in Bergen von Abhandlungen über verdrängte Erinnerung versinken.

»Aber bei Alan handelt es sich nicht um Erinnerungen an einen bestimmten Zeitraum, die zum Teil verdrängt und zum Teil völlig klar sind. Ihm fehlt ein ganzer, genau begrenzter Zeitabschnitt. Im Grunde ist das eine Amnesie, und Amnesie ist ein anerkanntes Einsatzgebiet für Hypnose. Problematisch wird es, wenn bereits vorhandene Erinnerungen vervollständigt werden sollen ‒ die meisten Menschen neigen dann dazu, Dinge zu beschönigen oder hinzuzudichten. Aber wenn es um die Erinnerung an sich geht, und nicht um Einzelheiten … Ich denke, deshalb hat der Staatsanwalt in diesem Fall einer Hypnose zugestimmt.«

»Ich wette, mit diesem Ergebnis hat er nicht gerechnet.« »Erinnerungen an Entführungen durch Außerirdische, an sogenannte Abduktionen …« Fred wich meinem Blick aus. Was er zu sagen hatte, war ihm sichtlich peinlich. »Wenn man den Fallstudien Glauben schenken kann, geht fast allen Erinnerungen eine Periode der Amnesie voraus, sie nennen das die fehlende Zeit. Unter Umständen können diese Erinnerungen von selbst langsam wieder auftauchen. Oder diese Menschen haben Probleme und suchen einen Therapeuten auf, und durch die gemeinsame Arbeit oder durch Hypnose werden die Erinnerungen aufgedeckt.«

Wir starrten Fred an.

»Eine Theorie lautet, daß man sie dazu bringt, die Erinnerung zu unterdrücken.«

»Wie, dazu bringt? Du meinst, diese glupschäugigen Wesen befehlen ihnen, zu vergessen?«

Fred rang sich ein Nicken ab.

»Nein«, sagte ich. »Nein. Tut mir leid, aber damit gehe ich nicht vor Gericht.« Jahrelang hatte ich mich bemüht zu beweisen, daß ich nicht ein ausgeflippter Hippie war wie meine Eltern. Ich würde mir meine Anstrengungen nicht durch eine einzige Begegnung der juristischen Art zunichte machen lassen. Überraschenderweise kam mir Miller zu Hilfe. »Sie hat recht. Ich werde mich auch nicht vor den Richter stellen und sagen, ich bin aufgesaugt worden von…« Er stockte, sein Atem ging wieder schneller. »Ich kann das nicht. Ich werde einfach die Wahrheit sagen, daß ich mich an nichts mehr erinnern kann … Aber nicht das. Niemals.«

Fred setzte sich aufrecht hin. »Ich will Sie zu nichts überreden, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber Sie sollten zwei Dinge nicht vergessen. Zum einen berichten Menschen auf der ganzen Welt von ähnlichen Erlebnissen – und viele Berichte sind von anerkannten Therapeuten überprüft worden. Und zum anderen« – er sprach schnell, um uns keine Zeit für spöttische Bemerkungen zu lassen ‒ »keiner der Ärzte hier wird bestätigen, daß Ihre Verletzungen von dem Unfall stammen. Wenn Sie sich nur aus Scham über Ihr Alibi auf einen Vergleich einlassen, tun Sie sich bestimmt keinen Gefallen.«

Das klang ganz nach einem Grund, irdischen Optimismus zu entwickeln. »Was ist mit den Verletzungen? Warum hat die Staatsanwaltschaft trotzdem Anklage erhoben?« Vielleicht reichte es ja, wenn ich über Nacht blieb, morgen einen Plausch mit dem Staatsanwalt hielt und ihn überzeugte, daß nicht zu beweisen war, daß Miller zur Zeit des Unfalls im Wagen gesessen hatte. »Auf dem Lenkrad sind keine fremden Fingerabdrücke gefunden worden, das ist schon mal das erste.« Fred lehnte sich vor und zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Er hat ausgesagt, daß er früher am Abend mit dem Wagen unterwegs war. Und das Auto ist nicht von allein über den Abhang gefahren – zumindest glauben sie das. Für den Staatsanwalt spricht der Unfall für sich. Die einfachste Erklärung ist nun mal, daß Alan sich unverletzt davongemacht hat, und daß sein jetziger Zustand auf spätere Ereignisse zurückgeht.«

Ich legte den Kopf auf die Seite und beobachtete Fred. Das konnte nicht alles sein, irgend etwas hielt er zurück. Ich wollte einfach nicht glauben, daß er diese Abduktionsgeschichten so einfach akzeptierte. »Seit wann glaubst du schon an diese Dinge, Fred?«

»Das hat mit Glauben nichts zu tun. Ich sage nur, daß Alan mit seiner Geschichte nicht allein dasteht.«

»Du hast dich schon mal damit beschäftigt, stimmt’s?«

»Ich weiß, daß John Mack, ein Professor für Psychiatrie in Harvard, ein Buch darüber geschrieben hat. Er ist überzeugt, daß es sich bei den über siebzig Fällen, die er beschreibt, um echte verdrängte Erinnerungen an Entführungen durch Außerirdische handelt.«

»Hast du das Buch gelesen? Hat es dich überzeugt?«

»Nein, ich habe es nicht gelesen.« In einer ratlosen Geste fuhr er sich mit der Hand über die Locken. »Ich war ziemlich entsetzt, als Harvard ein ganzes Jahr lang überlegte, ob man ihm für seinen öffentlich geäußerten Standpunkt einen Tadel aussprechen sollte, aber das Thema an sich hat mich nicht besonders interessiert.«

»Und hast du selbst schon mal eine solche Geschichte gehört?« Fred antwortete nicht.

»Hast du, oder hast du nicht?«

»Bis vor einer Woche, nein.«

Ich wollte gerade fragen, ob er sich auf Miller bezog, aber er verhinderte es mit einer Handbewegung.

»Das wichtigste ist doch, daß Alan weiß, worauf er sich einläßt. Was ist, wenn er für das Geschehen in jener Nacht keine Erklärung liefert? Mit welchem Strafmaß muß er rechnen?« Er wandte sich an Miller. »Würde es Ihre Entscheidung beeinflussen, wenn Sie womöglich eine Strafe von fünf oder zehn Jahren Gefängnis zu erwarten hätten?«

Miller wurde kreidebleich.

Fred fuhr fort: »Ich weiß nicht, was auf fahrlässige Tötung steht. Aber es wird nicht gerade wenig sein. Genug, um eine eventuelle öffentliche Blamage in Kauf zu nehmen.«

»Das stimmt«, sagte ich. Vielleicht wäre an dieser Stelle ein wenig juristisches Fachwissen gefragt gewesen, aber was soll’s. »Trotzdem, ich bin nicht die Richtige. Wenn es hier einen guten Anwalt für Strafrecht gibt -«

Fred sprang auf. Ich machte mich auf einen wütenden Vortrag über meine Unzuverlässigkeit gefaßt, doch er starrte auf die Zimmertür hinter mir.

Von seinem entgeisterten Gesichtsausdruck verunsichert, drehte ich mich um.

In der Tür stand eine ältere Frau von sechzig, vielleicht auch nur fünfzig hart durchzechten Jahren und starrte Alan Miller mit zornigen Augen an. Die blondierte, hochtoupierte Frisur, die noch am ehesten in eine Countrykneipe gepaßt hätte, war etwas aus der Form geraten. Ihre Augen hatte sie mit schwarzem, jetzt tränenverschmiertem Kajal umrandet, das schmale Gesicht war voller Falten. Sie trug enge schwarze Jeans, Westernstiefel, ein schwarzes, selbstgeschneidertes Oberteil und schwarze Plastikohrringe. Mit einer Hand fummelte sie am Reißverschluß ihrer schwarzen Vinylhandtasche herum.

Sie sah aus, wie alle Welt sich eine durchgeknallte texanische Exfrau vorstellte.

Ich sah zu Fred hinüber. Ihr Erscheinen hatte ihn ganz schön aus der Fassung gebracht. Kannte er diese Frau?

Fred hatte sich Richtung Bett geschoben und stand zwischen Miller und der Frau. Irgendwie hatte er sich aufgeblasen, er wirkte größer und regelrecht respekteinflößend.

Miller war hinter ihm in Deckung gegangen. Ich hörte die Handschellen gegen das Bettgestell klappern.

Aus diesen Reaktionen schloß ich, daß die Dame meine volle Aufmerksamkeit verdiente, und wandte mich wieder ihr zu.

Sie war sichtlich aufgebracht und blickte Alan starr an. In ihren hängenden Mundwinkeln verlief der Lippenstift.

»Du kannst dich nicht ewig verstecken«, zeterte sie. Ich war überrascht, daß sie nicht mit texanischem Akzent sprach. Miller stammelte, wie leid es ihm tue, aber es sei doch nicht, er habe nicht…

Fred unterbrach ihn. »Ihr Besuch ist im höchsten Maße unpassend. Wissen die Schwestern, daß Sie hier sind?«