Gehorche deinem Herzen - Barbara Cartland - E-Book

Gehorche deinem Herzen E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Lady Yolanda Tiverton, flieht mit ihrem Bruder Sir Peter Tiverton aus England, d Peter im Duell einen Mann getötet hat und aus diesem Grund eine mögliche Hinrichtung fürchtet. Die Tivertons sind von altem, aber verarmten Adel und auf der Flucht nach Frankreich wird den beiden ihr letztes Geld gestohlen. In Frankreich angekommen bekommen sie unter falschem Namen eine Anstellung als Dienerehepaar, und reisen mit dem einflussreichen und wohlhabenden Herzog von Ilkeston und seiner Geliebten, der französischen Schauspielerin Gabrielle Dupré nach Paris. Dort angekommen bleiben sie weiterhin im Dienst des Herzogs, da sie hoffen, in Paris Verwandte zu treffen. Zu dieser Zeit ist das Friedensabkommen zwischen Frankreich und England ist am Schwanken und Bonaparte droht alle in Frankreich lebenden Engländer in Haft zu nehmen. Kann der Herzog von Ilkeston den Intrigen Gabrielles entkommen und vor einer Geiselnahme durch Bonapartes Schergen aus Paris fliehen? Wird die junge und bildschöne Yolanda erfahren können, was wahre Liebe ist und sie teilen können? Werden beide, Yolanda und Peter, jeglichen rechtlichen Belangen entkommen können?

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DIE HAUPTPERSONEN DIESES ROMANS

Herzog von Ilkeston

Er ist ein enger Berater König Georgs III. und sehr vermögend. Seine leichten Erfolge bei Frauen beginnen ihn schon zu langweilen.

Gabrielle Dupré

Eine skandalumwitterte Schauspielerin - ist ebenso kapriziös wie unberechenbar. Als Geliebte des Herzogs sonnt sie sich im Glanz seiner gesellschaftlichen Stellung.

Yolanda Tiverton

Sie träumt auf ihrem einsamen Landsitz von der großen Liebe, bis sie eines Tages dem Herzog von Ilkeston in die Arme läuft.

Sir Peter Tiverton

Yolandas Bruder, genießt das wirbelnde Treiben der Londoner Gesellschaft in vollen Zügen. Nach einem unglücklich verlaufenen Duell muss er aus der Hauptstadt fliehen.

Die Autorin über diesen Roman

Vom Regen in die Traufe gerät meine Heldin, Lady Yolanda Tiverton, als sie Anfang des 19. Jahrhunderts vor den Folgen eines gesellschaftlichen Skandals von England nach Frankreich flieht.

Schuld daran ist kein Geringerer als der große Napoleon. Er, der berühmtberüchtigte Eroberer vieler Länder (und vieler Frauenherzen), bereitet gerade in aller Heimlichkeit eine Invasion Englands vor.

Die Engländer riechen jedoch rechtzeitig Lunte und erklären Napoleon den Krieg. Außer sich vor Zorn, ordnet Napoleon daraufhin an, dass alle im Lande befindlichen Engländer verhaftet werden - an die 10 000, unter ihnen meine Heldin Yolanda Tiverton.

Erstes Kapitel ~ 1803

Yolanda war dabei, im Salon die Blumen zu ordnen, als sie ihren Bruder aus der Vorhalle rufen hörte.

Im ersten Augenblick glaubte sie, sich geirrt zu haben, denn so schnell hatte sie ihn nicht zurückerwartet.

Schon früh am Morgen war sie noch im Dunkeln aufgestanden, um ihm beim Ankleiden zu helfen. Danach hatte sie verzweifelt gebetet, dass Gott ein Wunder geschehen lassen und das Duell verhüten möge.

Da es noch nicht einmal acht Uhr war, hatte sie mit seiner Rückkehr in frühestens einer Stunde gerechnet. Doch nun war er schon hier im Haus.

Hastig legte sie die verwelkten Blumen, die sie aus einer Vase genommen hatte, beiseite und lief durch den Salon in die Halle.

„Yolanda, wo bist du?“

„Hier, Peter“, antwortete sie.

Als sie gerade fragen wollte, was geschehen war, bemerkte sie seinen Gesichtsausdruck, und die Stimme erstarb ihr in der Kehle.

Seine Augen wirkten gehetzt, und sein Gesicht war auffallend blass.

Sir Peter Tiverton war sich seines ungewöhnlich guten Aussehens immer sehr bewusst. Er war ein eleganter, junger Mann, der den Vergleich mit den anderen Schönlingen und Dandys, die sklavisch den Vorschriften des Modeschöpfers Beau Brummei folgten, stets zu seinen Gunsten entschied.

Jetzt war sein sonst so sorgfältig frisiertes Haar jedoch vom Wind zerzaust und die Krawatte zerknittert. Er wirkte erregt und bedrückt.

„Was ist geschehen?“ fragte Yolanda. Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern.

„Ich habe ihn getötet!“ antwortete ihr Bruder. „Ich habe den Marquis getötet!“

„Wie konntest du nur . . . und warum?“

„Gott weiß, dass ich es nicht gewollt habe. Ich hatte vor, ihm in die Schulter zu schießen, aber er war so betrunken, dass er schwankte, als ich gerade feuerte. Er verfehlte mich, ich aber habe ihn voll in die Brust getroffen.“

„Oh, Peter . . . wie schrecklich! Was sollen wir tun?“

„Was tun“, rief er, „du weißt doch ganz genau, was ich zu tun habe!“

Entsetzt weiteten sich Yolandas Augen. Sie konnte nicht einmal mehr die nächste, so naheliegende Frage stellen.

„Wenn ich nicht vor Gericht gestellt werden will, muss ich sofort das Land verlassen“, sagte Peter.

„Aber es war doch ein Ehrenduell.“

„Glaubst du denn, das spielt eine Rolle, wenn ich einen so wichtigen Mann wie Ramsbury getötet habe? Und außerdem rief mir Lord Blake, sein Sekundant, noch nach: „Ich sorge dafür, dass Sie hängen, Tiverton!“

Peter machte eine hilflose Bewegung mit der Hand.

„Du kennst doch seinen Einfluss auf Lord Chamberlain, und wer wird mir schon glauben, wenn ich erkläre, dass es ein Unfall war?“

„Aber Peter . . . wie kannst du nur Weggehen wollen? Und wohin würdest du gehen?“

„Nach Frankreich“, erwiderte ihr Bruder. „Wieviel Geld ist im Haus?“

„Sehr wenig, und wie du weißt, haben wir einen Berg Schulden.“

„Such alles zusammen, was da ist!“

„Peter, du kannst mich doch hier nicht allein lassen! Was soll ich denn sagen, wenn sie kommen und mich fragen, wohin du gegangen bist?“

Ihr Bruder schwieg einen Augenblick.

Erblickte seine Schwester an, als sähe er sie zum ersten Mal.

Sie war bezaubernd. Ihr schwarzes Haar mit dem rötlichen Schimmer umrahmte ein feines, ovales Gesicht. Die sehr großen Augen waren überraschenderweise blau.

Es war nicht das Blau eines klaren Himmels, sondern das dunkle Gewitterblau der stürmischen See. Ihre helle Haut war ein Erbteil des englischen Vaters, doch die Haarfarbe hatte sie, ebenso wie Peter, von ihrer französischen Mutter.

„Nein, ich kann dich hier nicht allein lassen“, sagte er langsam, als spräche er zu sich selbst. „Du musst mit mir kommen. Vielleicht brauchen wir nicht lange wegzubleiben, nur so lange, bis sich der größte Aufruhr gelegt hat.“

Es klang nicht sehr überzeugend, wusste er doch, dass der Tod des Marquis von Ramsbury eine Sensation war, über die man noch lange reden würde.

Die alte Standuhr in der Halle schlug die halbe Stunde, und Peter fuhr zusammen.

„Mach schnell, Yolanda“, rief er aus. „Ich werde den Gibsons Bescheid sagen, dass sie das Haus abschließen sollen. Kannst du es schaffen, schnell einige meiner und deiner Sachen zusammenzupacken?“

„Ja, natürlich, mein Lieber“, nickte Yolanda, „aber bist du sicher, dass du das Land verlassen musst?“

„Entweder Frankreich oder Newgate - das Gefängnis“, erwiderte Peter.

Der Ton seiner Stimme traf Yolanda wie ein elektrischer Schlag. Wie gehetzt rannte sie die Treppe hoch. Peter verschwand in den hinteren Räumen des alten Herrenhauses, das er vor drei Jahren von seinem Vater geerbt hatte.

Vierhundert Jahre schon hatten die Tivertons darin gelebt. Doch allmählich, besonders gegen Ende des letzten Jahrhunderts, schwand das Familienvermögen mehr und mehr dahin.

Die Ländereien waren verkauft worden, und nun war, bis auf das herrschaftliche Haus, kaum noch etwas übriggeblieben. Es kam Yolanda vor, als schauten die Porträts ihrer Vorfahren missbilligend von den Wänden auf sie herab.

Aber es war ihr Zuhause, und sie liebte es. Als sie hastig die Reisekoffer aus den Schränken hervorzog, kam ihr zu Bewusstsein, dass sie nun alles, was ihr so vertraut war, verlassen musste. Dieser Gedanke machte sie nicht nur unglücklich, sondern erschreckte sie auch.

Ihr war klar, dass sie sich in Wirklichkeit um Peter kümmern würde, auch wenn Peter glaubte, dass er sie mitnahm, um sie zu beschützen und für sie zu sorgen.

Er war impulsiv und ohne Verantwortungsbewusstsein. Gleichzeitig war er liebenswürdig und mitfühlend. Nie würde er vorsätzlich einen Menschen verletzen oder gar umbringen.

Der Marquis von Ramsbury war jedoch - obwohl einer der wichtigsten Aristokraten der englischen Gesellschaft und respektiertes Mitglied des Oberhauses - in seinem Privatleben als Wüstling und Trunkenbold bekannt.

Der König und die Königin verurteilten beide seine Freundschaft mit dem Prinzen von Wales, weil sie seinen schlechten Einfluss auf ihn fürchteten. Aber niemand konnte dagegen bestreiten, dass der Marquis ein kluger Mann war.

Sein enormes Vermögen und seine riesigen Besitztümer machten es allen unmöglich, ihn aus der Gesellschaft auszuschließen, so unangenehm er sich auch aufführen mochte.

Es war Yolanda völlig unverständlich, wie Peter sich so weit mit dem Marquis einlassen konnte, dass dieser ihn zu einem Duell herausgefordert hatte.

Sie wusste, dass es irgendetwas mit einer Frau zu tun hatte, und sie hegte den Verdacht, dass die betreffende Lady ihren attraktiven, stattlichen Bruder dem Marquis vorgezogen hatte. Ramsbury näherte sich nicht nur den mittleren Jahren, er sah auch wegen seines zügellosen Lebenswandels viel älter aus, als er war.

Was auch immer der Grund gewesen sein mochte, das Duell hatte mit einer Tragödie geendet, und dies bedeutete, dass sie und Peter fortgehen und Heim und Freunde verlassen mussten.

Doch jetzt war keine Zeit, weiter nachzugrübeln. Eilig packte sie die wenigen Kleider, die sie besaß, zusammen.

Dann hastete sie in Peters Schlafzimmer, das früher ihrem Vater gehört hatte. Sie legte seine maßgeschneiderten Anzüge und Mäntel, die hirschledernen Reithosen, die weichen Reitstiefel und zahlreiche feinste Musselinkrawatten sorgfältig in einen großen Koffer.

In einer Schublade fand sie ein paar lose herumliegende Münzen. Wieder fiel ihr ein, wie dringend sie jetzt Geld brauchten.

Es müsste schon eine große Summe sein, überlegte sie, wenn sie in Frankreich leben wollten. Nicht nur das Dach über ihrem Kopf, auch alles andere wollte bezahlt sein.

Doch woher sollte das Geld kommen?

Es waren noch ein paar kleine Schmuckstücke von ihrer Mutter übriggeblieben. Yolanda hätte sie sehr gern behalten, weil ihr Herz daran hing. Mit einem Seufzer sagte sie sich, dass sie jetzt nicht selbstsüchtig sein dürfe.

Sie fand auch noch die goldene Taschenuhr ihres Vaters, ein sehr altes Erbstück, das stets vom Vater auf den Sohn überging. Königin Anne hatte diese Uhr einst dem ersten Baronet geschenkt.

Es brach Yolanda fast das Herz bei dem Gedanken, dass sie gezwungen sein könnte, auch dieses Erbstück zu verkaufen. Doch was bedeutete schon eine goldene Uhr, wenn sie auf der anderen Seite des Kanals verhungerten.

Als sie alles gepackt hatte, lief sie die Treppe hinunter zum Safe, wo sie Peter vorfand, der ihn bereits geöffnet hatte.

„Wo ist denn Mamas Diamantbrosche geblieben?“ fragte er.

„Wir haben sie doch schon verkauft“, antwortete Yolanda. „Erinnerst du dich nicht? Du wolltest dir damals ein Pferd kaufen.“

„Das hatte ich vergessen“, sagte Peter. „Aber bestimmt haben wir doch noch andere Wertgegenstände?“

„Ich habe nur noch sechs Guineas vom Haushaltsgeld übrig“, entgegnete Yolanda. „Aber vielleicht könntest du im Dorfladen, wenn wir vorbeifahren, einen Scheck einlösen.“

„Ja, natürlich, das kann ich machen“, stimmte Peter zu. „Ich hoffe nur, er wird auch von der Bank angenommen.“

„Oh, Peter, du musst doch noch Geld auf deinem Konto haben.“

„Nicht viel“, gestand ihr Bruder, „aber ich war so klug, mir etwas von meinen Sekundanten zu borgen, bevor ich London verließ.“

„Wieviel?“ fragte Yolanda.

„Mit dem, was ich selbst besitze, sind es, glaube ich, etwa fünfzig Pfund.“

„Das müsste eine Weile reichen, aber wenn wir länger fortbleiben müssen . . .“

Sie blickte ihren Bruder zweifelnd an. Doch er wich ihren Augen aus.

„Ich werde dir sagen, was wir tun“, erwiderte er dann. „Wir flüchten erst einmal nach Paris und versuchen dort, Mamas Verwandte ausfindig zu machen.“

„Aber sie sagte doch immer, dass die meisten von ihnen während der Revolution durch die Guillotine hingerichtet wurden.“

„Ja, ich weiß. Aber die Latours waren eine große Familie. Ich rechne damit, dass sie bald wieder sehr angesehen sein werden; jetzt, da Bonaparte feierlich eine neue Rechtsordnung einführte und sich bei den Leuten des Ancien Regime einzuschmeicheln versucht.“

„Aber vielleicht werden sie ihn nicht akzeptieren“, gab Yolanda zu bedenken.

„Das spielt keine Rolle, solange sie uns anerkennen.“

Ein schnelles Lächeln flog unerwartet über sein Gesicht.

„Sei ein bisschen fröhlicher! Wer weiß, vielleicht wird alles gar nicht so schlimm, wie es jetzt aussieht. Und um ganz ehrlich zu sein, ich habe mir schon immer gewünscht, einmal Paris zu erleben. Es heißt, dass die Französin die Engländerin bei weitem aussticht.“

Yolanda seufzte leise.

Das war so typisch für Peter! Schon dachte er nur daran, wie er sich vergnügen könnte, um dabei den ernsten Anlass, der sie aus ihrer Heimat vertrieb, aus seinem Bewusstsein zu verdrängen.

Sie kannte ihn. Es hatte keinen Sinn, ihm Vorhaltungen zu machen. Yolanda nahm alle vorhandenen Wertsachen aus dem Safe und steckte sie in eine Ledertasche, die einst ihrer Mutter gehört hatte.

„Was wird mit den Rechnungen, die noch ausstehen?“

„Die können warten, bis ich zurück bin“, erwiderte Peter. „Ich habe den Gibsons gesagt, dass ich Mr. Claymore schreiben werde, der sich ja schon immer um unseren Besitz kümmerte. Er soll hier alles in Ordnung halten und nur die Rechnungen bezahlen, die keinen Aufschub dulden.“

Yolanda fragte nicht, womit, denn sie wusste, dass dies ihren Bruder verärgern würde. So hörte sie ihm still zu, bis er sagte:

„Das Frühstück müsste jetzt fertig sein, und sowie Gibson mit der Kutsche vorfährt, reisen wir ab.“

„Glaubst du, dass Lord Basil schon jemanden nach dir auf die Suche geschickt hat?“ fragte Yolanda ängstlich.

„Da müsste er zuerst in meine Pension gehen“, antwortete Peter. „Natürlich kann er im White’s Club sehr einfach die Adresse meines Landsitzes erfahren. Aber ich habe keineswegs die Absicht, hier zu warten, bis man mich verhaftet.“

„Nein, natürlich nicht!“ rief Yolanda erschreckt. Sie lief die Treppe hinauf, um ihren Reisemantel und ihren Hut zu holen.

Es war ziemlich warm für April, aber Yolanda war vernünftig genug, daran zu denken, dass es auf See kalt sein könnte. Deshalb hatte sie den langen, pelzbesetzten Mantel, der ihrer Mutter gehört hatte, nicht in den Koffer gepackt.

Er war viel schicker als alles andere, was sie selbst je besessen hatte, denn Lady Tiverton hatte als Französin sehr viel Sinn für Eleganz.

Als Yolanda fertig war, blickte sie sich noch ein letztes Mal in ihrem Schlafzimmer um.

Der Teppich war abgetreten und die Vorhänge verblasst. Aber weil sie ihr ganzes Leben lang hier geschlafen hatte, schienen die Dinge ein Teil ihrer selbst zu sein, und so nahm sie nur sehr ungern Abschied.

Sie schaute zu der Wand auf, an der über dem Kaminsims ein Gemälde ihrer Mutter hing.

Es war ein wunderschönes Porträt, gemalt von einem Künstler, der auf die Leinwand gebannt hatte, was Komtesse Maria de Latours unwiderstehlichste Eigenschaft war: die große Faszination, die von ihr ausging.

Yolanda ähnelte ihrer Mutter sehr, mit Ausnahme ihrer hellen Haut und etwas Undefinierbarem, das sie weder typisch englisch noch typisch französisch aussehen ließ.

Es schien, als ob sich alle guten und schönen Eigenschaften beider Nationen harmonisch in ihr vereinten, und Menschen, die Yolanda gut kannten, bestätigten, dass dies nicht nur auf ihr Aussehen, sondern auch auf ihr Wesen und ihren Charakter zutraf.

Sie sah lange das Bildnis ihrer Mutter an, dann wandte sie sich zur Tür, durch die soeben Gibson eingetreten war, um ihren Koffer abzuholen.

„Es ist nicht richtig, dass Sie einfach so Weggehen, Miss Yolanda“, schalt er mit dem Unterton tiefer Zuneigung und Vertraulichkeit, der langjährigen Dienern eigen ist.

„Du hast recht, Gibson“, erwiderte Yolanda, „aber ich kann Sir Peter nicht allein lassen. Du weißt genauso gut wie ich, dass er ohne mich in Schwierigkeiten geraten würde.“

„Er wird auch so genug Ärger bekommen, ob Sie nun dabei sind oder nicht“, sagte Gibson.

Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern nahm den Koffer und ging durch den Korridor zur Treppe.

Schon wenige Minuten später fuhren die Geschwister die ungepflegte Auffahrt hinunter, an der Mrs. Gibson stand und heftig in ihren Schürzenzipfel schluchzte.

Peter sagte kein Wort und blickte auch nicht zum Haus zurück. Aber seine zusammengepressten Lippen und die harte Linie seines Kinns verrieten Yolanda, dass er ebenso unter dem Abschied litt wie sie.

Doch darüber zu reden war sinnlos. Als sie den Dorfladen erreichten, ging Peter hinein und fragte, ob man ihm wohl einen Scheck auszahlen könne. Er erklärte, wie ärgerlich es sei, dass sie so plötzlich und unerwartet nach London reisen müssten.

„Viel kann ich Ihnen nicht geben, Sir Peter“, bedauerte der Ladeninhaber, Mr. Brewster.

„Schon gut, geben Sie mir halt, was Sie können“, sagte Peter. „Ich habe nämlich keine Zeit, um noch auf die Bank zu gehen. Ich bin zu sehr in Eile.“

„Schnell, schnell, das haben Sie immer schon gemacht, seit Sie so ein kleiner Knirps waren.“ Mr. Brewster lachte glucksend. „Für nichts richtig Zeit! Wie meine alte Mutter immer zu sagen pflegte: ,Wenn du so unnötig rennst, fängst du bloß deinen eigenen Schwanz!’“

Er lachte herzhaft, und Peter zwang sich mitzulachen.

Mr. Brewster kramte in einer Schublade.

„Ah, hier haben wir ja was, das hab’ ich doch ganz vergessen“, sagte er. „Sie haben Glück, Sir Peter, da hab’ ich ja fast noch elf Pfund! Na, das ist ja mehr, als ich dachte.“

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mr. Brewster.“

Peter schrieb einen Scheck aus und reichte ihn über den Ladentisch.

Brewster fragte:

„Wann werden Sie zurückkommen?“

„Das steht noch nicht ganz fest“, antwortete Peter im Hinausgehen, „aber wir werden es Ihnen mitteilen.“

„Ist gut. Dann wird die übliche Bestellung fertig sein. Und fahren Sie ja vorsichtig! Das wollen wir ja nicht, dass Sie noch einen Unfall haben, was, Sir?“

„Nein, natürlich nicht“, entgegnete Peter.

Er eilte zur Kutsche hinaus und ließ sich neben Yolanda nieder, die die Zügel gehalten hatte, während er im Laden war.

„Wieviel hast du bekommen?“ fragte sie, als sie losfuhren.

„Fast elf Pfund.“

„Ist das alles?“

„Das war alles, was er hatte.“

Eine ganze Weile schwiegen sie, dann sagte Peter:

„Wenn wir in Dover sind, werden wir ja noch Geld für die Kutsche und die Pferde bekommen.“

„Du willst ... die Pferde verkaufen?“

Yolandas Stimme klang entsetzt.

„Ich kann es mir ja wohl nicht leisten, sie für die Zeit unserer Abwesenheit in einen Stall zur Pflege zu geben.“

„Aber Peter, sie gehören doch zur Familie, zu uns! Wie kannst du sie fremden Menschen überlassen?“

Noch während sie sprach, fühlte sie, dass es keine andere Möglichkeit gab. Sie konnten die für sie nutzlos gewordenen Pferde nicht behalten.

Doch es kam ihr wie Verrat an den Tieren vor, die sie geliebt und die ihnen vertraut hatten.

Mit jeder Meile, die sie hinter sich brachten, wurde es Yolanda schwerer, England zu verlassen. Was würden sie in Frankreich vorfinden? Wie würden sie für ihr bisheriges Leben entschädigt werden? Für die einzige Welt, die sie bisher kennengelernt hatte.

Aus der Zeitung hatte sie erfahren, wie der Waffenstillstand des vergangenen Jahres die Einstellung der Franzosen gegenüber dem früheren Feind, dem Engländer, geändert hatte.

„Reisende sind davon angenehm überrascht“, berichtete der Leitartikel der ‚Times‘ seinen Lesern.

Yolanda stellte fest, dass Bonaparte, der Erste Konsul, von den Karikaturisten nicht mehr wie früher als unrasierter Hanswurst oder als plündernder, brandstiftender und mordender Strandräuber aus Korsika dargestellt wurde.

Jetzt feierte man ihn als den überragendsten Mann Europas, der die Paraden seiner Truppen mit allem königlichen Pomp und Glanz abnahm und dem nun die halbe Welt huldigte.

Yolanda entsann sich des Berichts eines Paris Besuchers, der diesen Mann, der einst als Monstrum verspottet worden war, auf einem Pferd des verstorbenen Königs von Frankreich gesehen hatte, umgeben von den brillantesten Generälen und bewundert von den schönsten Frauen vieler Nationen.

Es war schon seltsam, wie schnell sich dieser Stimmungswechsel vollzogen hatte. Aber Yolanda hielt den Frieden für lebenswichtig, damit das Töten aufhören konnte.

Ich bin überzeugt davon, dass wir in Frankreich sicher sind, dachte Yolanda. Und sie fühlte sich eigenartig berührt, als sie sich daran erinnerte, wie bitter ihre Mutter die Französische Revolution gehasst und wie sie dann diesen Hass auf Napoleon Bonaparte übertragen hatte, der gegen die Briten kämpfte und Frankreichs nationale Einheit wiederherstellen wollte.

„Er ist ein Emporkömmling und wird nie in die Kreise der französischen Aristokratie aufgenommen werden“, hatte Lady Tiverton mit Überzeugung behauptet.

Doch nun schien es, als ob selbst die Aristokratie anfing, den Mann zu schätzen, der ihnen statt der gekannten Niederlagen Siege verschaffte.

*

Es war ein langer Weg nach Dover. Aber Peter war ein erfahrener Kutscher, und sie kamen bereits am frühen Nachmittag dort an.

Er ließ Yolanda mit dem Gepäck im Hotel ‚King’s Head‘ zurück und ging weg, ohne ihr zu sagen, wohin. Doch sie wusste, dass er sich aufgemacht hatte, Pferde und Wagen zu verkaufen. Sie versuchte, möglichst nicht daran zu denken, um nicht zu weinen.

So saß sie allein im ‚King’s Head‘ und beobachtete die Passagiere, die auf das Schiff warteten, das sie über den Kanal bringen sollte. Keine sehr anziehenden Menschen, dachte sie.

Peter wollte ihr zunächst einen Extraraum besorgen, aber sie hatte es ihm ausgeredet.

Auf der Fahrt nach Dover war ihnen beiden nicht nach Reden zumute gewesen, und sie hatte lange genug darüber nachdenken können, wie genau sie das wenige Geld, das sie besaßen, einteilen mussten.

Sie ahnte, dass ihnen die Juweliere für den Schmuck ihrer Mutter nicht viel Geld zahlen würden, auch wenn sie ihn selbst sehr hübsch fand.

Sie hatte keine Ahnung, ob die Nebenkosten in Frankreich höher waren als in England, aber sie wusste, dass ausländische Reisende meistens geschröpft wurden.

Während ihr viele Gedanken durch den Kopf schwirrten, fiel ihr plötzlich ein, dass sie und Peter in Frankreich eigentlich keine Ausländer waren.

Beide sprachen sie als Halbfranzosen die Sprache ihrer Mutter ebenso gut wie Englisch, und als Yolanda sich in einem der großen Wandspiegel des Hotels betrachtete, stellte sie fest, dass sie eher französisch als typisch englisch aussah.

Vielleicht war es klüger, sich auf der Reise als Franzosen auszugeben, überlegte sie. Man würde sie viel weniger betrügen.

Es war auf jeden Fall eine Idee, die man sich überlegen sollte. Als Peter zurückkehrte, wartete sie zunächst, bis er von dem Verkauf erzählt hatte.

„Es war ziemlich enttäuschend“, sagte er. „Für die Kutsche bekam ich das, womit ich gerechnet hatte. Aber für die Pferde gab es weniger.“

„Ich hoffe nur, dass sie zu einem netten Mann gekommen sind“, rief Yolanda, „und dass man sie nicht vor eine der immer überladenen Postkutschen spannt.“

„Er schien ein anständiger Kerl zu sein“, äußerte sich Peter.

Aber sie hatte das Gefühl, er sagte es weniger aus Überzeugung, als um sie zu beruhigen.

Sie konnte es nicht länger ertragen, über die Pferde zu reden. Deshalb sprach sie hastig von ihrer Idee, als Franzosen und nicht als Engländer weiterzureisen.

„Verdammt will ich sein, wenn ich so etwas tun würde“, rief Peter mit Nachdruck aus. „Und übrigens hat man mir immer gesagt, dass ein Adelstitel in einer Republik großen Eindruck macht.“

Er hatte mit so viel Überzeugungskraft gesprochen, dass Yolanda sofort einlenkte.

„Natürlich, Lieber, werden wir es so machen, wie du es für richtig hältst. Ich dachte nur, es wäre eine Möglichkeit, hier und da ein bisschen zu sparen.“

„Im Augenblick haben wir ja genug Geld“, bemerkte Peter.

„Denk daran, wie lange es reichen muss“, sagte Yolanda schnell.

Er durfte auch keine Schiffskabine für sie buchen, denn sie bestand darauf, dass er sorgsam mit dem Geld umging.

Die Überfahrt kostete nicht sehr viel. Eine halbe Guinea für einen Gentleman und fünf Schilling für einen Diener.

„Ich könnte doch so tun, als ob ich deine Dienerin wäre“, sagte Yolanda im Scherz. „Oder aber du bist mein Kammerdiener.“

„Ich habe unsere Karten schon gekauft“, erwiderte er. „Das Schiff wird in etwa einer Stunde ablegen. Je eher wir an Bord gehen und uns einen bequemen Platz sichern, desto besser.“

„Wie lange wird die Fahrt dauern?“ fragte Yolanda.

„Das war das Erste, wonach ich mich erkundigte“, antwortete Peter. „Mir wurde gesagt: Wenn der Wind gut steht, kann man Calais in drei Stunden erreichen.“

„Und steht der Wind gut?“ wollte Yolanda wissen.

„Die Antwort darauf lautet nein! In diesem Fall mögen es fünf oder sechs Stunden werden. Bist du eigentlich seefest?“

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Du weißt ebenso gut wie ich, dass ich noch nie auf See war.“

„Ich habe den unangenehmen Verdacht“, sagte Peter, „dass ich die geborene Landratte bin. Na ja, wie auch immer, wir werden es ja bald genau wissen.“

Obwohl Yolanda protestierte, bestand er darauf, sich mit einer Flasche Wein zu stärken, und brachte auch sie dazu, ein Glas zu trinken.

Als sie an Bord gingen, trugen die Wellen außerhalb des Hafens schon die ersten weißen Schaumkronen, und der Wind pfiff bereits durch die Segel.

Das Schiff sah viel zu klein aus für die große Menschenmenge, die darauf wartete, an Bord gehen zu können.

Peter fand für Yolanda einen bequemen Platz im Unterdeck und riet ihr, dort zu warten, während er an Deck ging. Er wollte zuschauen, wie das Schiff den Hafen verließ.

Sie fuhren mit der Flut hinaus. Aber schon blähten sich, bevor sie noch die offene See erreicht hatten, verdächtig die Segel. Yolanda brauchte nicht erst zu hören, was die anderen Passagiere sagten. Es war ihr klar, dass die Überfahrt ungemütlich werden würde.

Tatsächlich wurden viele um sie herum seekrank.

Es war ohne Zweifel das, was man eine raue Überfahrt zu nennen pflegte, und das Unbehagen schien sich endlos hinzuziehen. Sie brauchten fünf Stunden, bis sie Calais erreichten.

Erst als sie in den Hafen einfuhren, sah Yolanda ihren Bruder wieder, den sie seit der Abfahrt von Dover nicht zu Gesicht bekommen hatte.

Sie hatte angenommen, dass er vielleicht der frischen Luft wegen auf dem Überdeck blieb. Doch als sie ihn sah, wusste sie sofort, dass er entsetzlich seekrank gewesen sein musste.

Sein Gesicht war aschfahl. Der Wind hatte seine Kleidung durcheinandergebracht. Da er nicht fähig war, irgendwelche Anweisungen zu geben, kümmerte sich Yolanda um einen Träger und ordnete an, das Gepäck zum Zoll zu schaffen.

Der Träger gehorchte ihr ohne weiteres, vielleicht weil sie seine Sprache so fließend beherrschte.

Da Peter noch immer nicht sprechen konnte, übernahm sie es, dem Zoll zu erklären, dass sie Französin sei.

„Also kehren Sie heim, Mademoiselle“, sagte der Zollbeamte freundlich.

Seine Augen drückten unverhohlene Bewunderung aus.

„Ja, in der Tat, Monsieur, und wir sind sehr froh, wieder zurück zu sein.“