GELÄCHTER IN DER NACHT - Victor Gunn - E-Book

GELÄCHTER IN DER NACHT E-Book

Victor Gunn

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Der Mann, der auf dem Asphalt lag, war tot. Seine blicklosen Augen starrten zum Mond empor, und auf seinem Gesicht lag der Ausdruck unsagbaren Entsetzens...

Bewohner des englischen Dörfchens Yeldingthorpe finden den Toten in der Nähe des Friedhofs und erkennen in ihm den alten Lord Haverford. Mehr als je zuvor ist man sich nun darüber einig, dass ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Gerücht auf Wahrheit beruht: Ein männliches Mitglied der Haverford-Sippe wird sterben, wenn vorher ein unmenschliches Lachen aus dem Familiengrab ertönt.

Für Yeldingthorpe gibt es nur eins: Der Lord starb, nachdem er Zeuge dieses grausigen Gelächters geworden war.

Scotland Yard aber konstatiert: Mord!

Der Roman Gelächter in der Nacht von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1955; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1957.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

Victor Gunn

 

 

Gelächter in der Nacht

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 109

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

GELÄCHTER IN DER NACHT 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Der Mann, der auf dem Asphalt lag, war tot. Seine blicklosen Augen starrten zum Mond empor, und auf seinem Gesicht lag der Ausdruck unsagbaren Entsetzens...

Bewohner des englischen Dörfchens Yeldingthorpe finden den Toten in der Nähe des Friedhofs und erkennen in ihm den alten Lord Haverford. Mehr als je zuvor ist man sich nun darüber einig, dass ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Gerücht auf Wahrheit beruht: Ein männliches Mitglied der Haverford-Sippe wird sterben, wenn vorher ein unmenschliches Lachen aus dem Familiengrab ertönt.

Für Yeldingthorpe gibt es nur eins: Der Lord starb, nachdem er Zeuge dieses grausigen Gelächters geworden war.

Scotland Yard aber konstatiert: Mord! 

 

Der Roman Gelächter in der Nacht von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1955; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1957.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   GELÄCHTER IN DER NACHT

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Auf dem wettergebräunten Gesicht von Dick Forbes spiegelte sich heftiger Zorn, als er an diesem kühlen Frühlingsabend in seinem kleinen, alten Sportwagen durch die Dunkelheit zum Herrenhaus von Yeldingthorpe fuhr. Eigentlich war er ein freundlicher, gutmütiger junger Mann, der sich nicht am rasenden Tempo berauschte, aber er war im Augenblick so erregt, dass er aus seinem Wagen das Letzte herausholte.

Er bog in die kurze Auffahrt des Herrenhauses so scharf ein, dass die Reifen quietschten und die Außenräder sich fast vom Boden hoben. Am Fuß der ausgetretenen Stufen hielt er an und sprang aus dem Wagen. Er schlug mit der Faust an die Tür.

»Ist der Oberst zu Haus?«, fragte er scharf, als ein adrettes Dienstmädchen die Tür öffnete.

»Ach, Mr. Dick...« Das Mädchen sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an. »Ist denn etwas passiert? Ja, der Master ist da.« Der altmodische Ausdruck Master klang ganz natürlich, denn in diesem abgeschiedenen Winkel von Suffolk gab es noch Reste der alten Sitten der Feudalzeit. »Er ist mit der Mistress im Wohnzimmer beim Fernsehen.«

»Danke, Emma«, antwortete Dick kurz.

Mit verbissenem Gesicht ging er an ihr vorüber, ohne Zeit für irgendwelche Formalitäten zu verschwenden. Er klopfte nicht einmal an der Tür des Wohnzimmers, sondern ging sofort hinein.

»Entschuldigen Sie, wenn ich einfach bei Ihnen eindringe, Sir!«

»Aber Dick - was ist denn los?«

Oberst Edmund Thurston schaltete den Fernsehapparat aus und stand auf. Seine schlanke, hohe Gestalt wirkte kraftvoll, und er sah erheblich jünger aus als fünfzig

Jahre alt. Sein Gesicht verriet Neugier, als er jetzt die Stehlampe anknipste. Mrs. Thurston lehnte sich verwundert in ihrem Sessel zurück.

»Sie kommen wohl wegen Buster?«, fragte der Oberst. »Haben Sie ihn gefunden?«

»Ja, Sir. Es tut mir furchtbar leid.« Dick Forbes sprach mit mühsam unterdrückter Wut. »Er ist tot. Ich habe ihn erschossen.«

»Mein Gott, was sagen Sie da?«

»Ich musste ihn erschießen«, sagte Dick und ließ seinem Zorn jetzt freien Lauf. »Ich fand ihn im Südwäldchen. Er hatte sich in einer gemeinen Falle gefangen, die ihm das Rückgrat gebrochen hatte, und lag in den letzten Zügen. Wieder so eine Tierquälerei meines Onkels! Es war furchtbar, Sir, aber...«

»Wenn das Rückgrat gebrochen war, konnten Sie nichts anderes tun«, antwortete der Oberst, dessen Gesicht vor Wut rot anlief. »Hast du das gehört, Jane? Buster ist tot! Von Haverford, diesem alten Schuft, zu Tode gequält! Mein Gott, das ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt! Jetzt werde ich diesem widerlichen Burschen persönlich...«

»Aber Edmund!«, rief Jane Thurston entsetzt. »Lord Haverford ist schließlich Dicks Onkel!«

»Glaubst du etwa, Dick fühlt sich getroffen, wenn ich seinen Onkel so nenne?«, erwiderte der Oberst. »Er kennt, ihn besser als jeder andere - und hasst ihn noch mehr als ich. Aber wer hasst ihn eigentlich nicht? Ich hatte schon den ganzen Abend das Gefühl, dass der arme Buster in eine dieser verdammten Fallen Haverfords geraten wäre. Der netteste, gutmütigste Collie, den ich je hatte, und erst zwei Jahre alt! Los - kommen Sie, Dick!«

»Bitte sei vorsichtig, Edmund«, bat Mrs. Thurston. »Tu nichts, was du später bereuen musst. Busters Tod ist wirklich schrecklich, aber du kannst ihn doch auch nicht mehr zum Leben erwecken.«

»Ich bin gerade in der richtigen Stimmung, um Haverford zu sagen, -was ich von ihm halte, und diese Stimmung werde ich nicht ungenutzt vorübergehen lassen«, erwiderte der Oberst finster. »Aber mach dir keine Sorgen. Ich werde mir an dem Kerl schon nicht die Finger schmutzig machen. Er wird von mir nur ein paar Wahrheiten zu hören bekommen, die er bis ans Ende seiner Tage nicht vergisst.«

»Ich bin dabei, Sir«, erklärte Dick Forbes, und seine Augen funkelten.

Seine Erregung war so groß, dass er darauf brannte, sich dem Oberst anzuschließen, obwohl er als Angestellter von Lord Haverford damit rechnen musste, seine Stellung zu verlieren. Als Verwalter des Gutes seines Onkels hatte er bis jetzt die Aufstellung von Tierfallen verhindert. Nun aber hatte Lord Haverford ohne sein Wissen - und ohne Wissen der Waldhüter, die unter ihm arbeiteten - eigenhändig eine Falle im Südwäldchen aufgestellt, eine der gemeinen, tierquälerischen Fallen, die gesetzlich verboten waren. Nur sein Onkel konnte so etwas fertigbringen! Es war noch keine Woche her, dass er zu Dick gesagt hatte, er würde seine eigenen Maßnahmen ergreifen, falls er den Hund von Oberst Thurston noch einmal im Park antreffen sollte.

Es war eine ganz besondere Gemeinheit, diese Grausamkeit an Buster zu begehen, an einem so zutraulichen, intelligenten Tier. Zwei Tage lang hatte man den Hund vermisst, bis der Oberst fürchtete, dass dem jungen Collie etwas zugestoßen wäre, und Dick bat, ihn zu suchen.

Erst vor einer halben Stunde hatte Dick das arme Tier im Todeskampf in den stählernen Fängen der tödlichen Falle, vor Schmerz winselnd, aufgefunden.

»Ich musste ihn erschießen, Sir«, sagte Dick bedrückt, als er mit dem Oberst ins Dorf fuhr. »Es gab keine Hoffnung mehr für ihn. Wenn wir im Schloss fertig sind, werde ich Ihnen die Leiche zeigen.«

»Nein, ich will sie nicht sehen«, wehrte der Oberst ab. »Ich glaube Ihnen aufs Wort, Dick. Gott sei Dank sind Sie anders als Ihr Onkel. Sie tragen zwar seinen Namen, aber Sie schlagen wohl mehr nach Ihrer sanften Mutter. Der arme Buster! Ich habe den Hund wirklich liebgehabt, Dick, und ich werde es dem alten Teufel vor Gericht heimzahlen...«

»Das können Sie auch, Sir, denn die Falle ist ein verdammtes ausländisches Marterinstrument, das bei uns gesetzlich verboten ist«, unterbrach ihn Dick. »Aber was werden Sie damit schon erreichen?«, fügte er bitter hinzu. »Mein Onkel ist reich und hat großen Einfluss, und er wird den Prozess so lange hinziehen, bis Ihnen das Geld ausgeht.«

Inzwischen waren sie in Yeldingthorpe angekommen - einem jener ruhigen und verschlafenen Dörfer, wie man sie noch im Herzen der ausgesprochen ländlichen Grafschaft Suffolk finden kann. Haverford Hall, das Schloss, lag jenseits des Dorfes auf einer Bodenerhebung, von der aus sich der viele hundert Morgen große Park weit ins Land erstreckte.

»Vorsicht, Dick!«, warnte der Oberst, der plötzlich aus seinem brütenden Schweigen aufschrak.

Sie fuhren gerade an den hell erleuchteten Fenstern des Schwarzen Ebers vorüber, als eine gebeugte Gestalt aus der Tür heraustorkelte und mitten auf der Straße stehen-' blieb. Nur durch scharfes Bremsen konnte Dick noch um Haaresbreite einen Unfall vermeiden.

»Das ist der alte Sheldrake!«, sagte er verächtlich.

»Schon wieder besoffen!«, meinte Thurston. »Ein Jammer, was aus diesem prachtvollen Menschen geworden ist! Ich kann mich noch an den Alten erinnern, als er genauso straff und aufrecht herumging wie Sie, mein Junge. Damals galt er weit und breit als der beste Arzt. Warum, zum Teufel, setzt er sich nicht zur Ruhe? Er hat schon immer ein bisschen viel für einen guten Tropfen übrig gehabt; es ist nichts dabei, wenn es in vernünftigem Rahmen bleibt - aber zwischen gern einen trinken und dauernd besoffen sein ist schließlich ein Unterschied. Ein Glück, dass wir jetzt im Dorf noch einen zweiten Arzt haben.«

»Ja, Sir«, stimmte Dick ihm zu. »Und Lovell, der Neue, nimmt dem alten Sheldrake allmählich alle Patienten weg.«

»Mir gefällt er«, entgegnete der Oberst. »Was war denn damals eigentlich mit seiner hübschen Schwester, Dick?«

»Auch eine Bravourtat meines Onkels! Als Lovell sich hier nieder ließ, wohnte er die ersten paar Monate allein; später, im Sommer, kam seine Schwester aus London zu ihm, um ihm den Haushalt zu führen.«

»Und kurz darauf passierte dann diese Geschichte, nicht wahr? Was aber nun los war, habe ich nie genau erfahren können.«

»Niemand hat es erfahren«, antwortete der junge Mann. »Wendy Lovell spricht nicht gern darüber. Ich weiß nur, dass sie an einem sonnigen Nachmittag im Wald spazieren ging und dort meinem Onkel begegnete. Was weiter geschah, weiß ich nicht - aber ich kann es mir vorstellen. Halb wahnsinnig, mit zerrissenem Kleid kam sie damals nach Hause. Mein Gott, Sir, glauben Sie etwa, dass wir im Schloss auch nur ein einziges Dienstmädchen lange halten könnten? Mein Onkel hätte vor dreihundert Jahren leben sollen; damals hätte er mit seinen Leibeigenen machen können, was er wollte, ohne dass jemand danach gefragt hätte.«

»Lebt er denn nicht auch heute noch wie ein mittelalterlicher Feudalherr?«, entgegnete der Oberst. »Jeder fürchtet ihn! Überall setzt er rücksichtslos seinen Willen durch - weil er der Schlossherr ist und viel Geld hat, gelingt es ihm. Aber diesmal nicht - bei Gott! Der Tod des armen Buster hat den Krug zum Überlaufen gebracht!«

»Verdammt noch mal«, knurrte Dick wütend.        

Der betrunkene Dr. Sheldrake war offenbar nicht der einzige, der sich heute Abend überfahren lassen wollte. Dick Forbes musste hart auf die Bremse treten und scharf nach rechts ausbiegen, um einem Mann auszuweichen, der in Höhe der Friedhofsmauer ebenfalls mitten auf der Straße stand. Die Kirche von Yeldingthorpe lag, wie das in Suffolk häufig ist, mit ihrem viereckigen Turm und ihrem alten Friedhof völlig einsam einen Kilometer vom Dorf entfernt.

»Zwei Betrunkene kurz nacheinander ist ein bisschen viel«, brummte Dick. »Das ist Jem Carter, der alte Trottel; er hat noch mehr geladen als sonst. Hören Sie sich das an!«

Der Mann, der jetzt neben dem Auto stand, brüllte aus voller Kehle. Er stand mit dem Gesicht zum Friedhof und wandte sich mit seinen Worten wohl an ein unsichtbares Wesen jenseits der Friedhofsmauer.

»Warum lachst du nicht, Jeremy?«, schrie er heiser. »Es ist höchste Zeit! Los! Ich warte! Lach doch, verdammt noch mal!«

»Jem, Sie sind ja blau«, sagte Dick.

Der zerlumpte ältliche Mann klammerte sich an die Tür des .Wagens und starrte Dick an. Sein Gesicht war wutverzerrt.

»Sie sind auch einer von denen!«, rief er erbost. »Sie gehören doch auch zu der Forbes-Brut!«

Dick lachte.

»Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie Ihren Rausch aus, Jem!«, riet er ihm gutmütig. »Sie sollten doch wissen, dass Sie mich in Ihren Fluch nicht einzuschließen brauchen.«

»Vielleicht - vielleicht auch nicht«, antwortete Jem Carter, der sich noch immer am Auto festhielt, um nicht hinzufallen. »Ich habe nichts gegen Sie, Mr. Dick, aber schließlich sind Sie auch ein Forbes! Sie haben Forbes-Blut, und Blut ist dicker als Wasser. - Du da!« Er wies mit zitternder Hand auf den Friedhof. »Höchste Zeit, dass du dich wieder mal hören lässt!«

Oberst Thurston wurde ungeduldig.

»Fahren wir weiter, Dick. Der Mann weiß gar nicht, was er redet.«

»Was weiß ich nicht?«, brüllte Jem. »Ganz genau weiß ich das!« Wieder wies er auf den Friedhof. »Komm doch Jeremy!« Seine Stimme schwoll zu höchster Lautstärke an. »Lach doch, Jeremy! Warum lachst du denn nicht?«

»Wovon redet er eigentlich, Dick?«

»Ach, er meint diese alte Geschichte von Sir Jeremy Forbes - einem meiner weniger sympathischen Ahnen«, erwiderte Dick und lachte. »Sie kennen sie sicher auch.«

»Ach ja, diesen Unsinn! Ja, davon habe ich schon gehört.«

»Es ist kein Unsinn!«, brüllte Jem Carter. »Immer lacht der alte Jeremy Forbes, bevor ein Haverford stirbt! Der alte Jeremy ist schon dreihundert Jahre tot, aber immer kann man ihn aus seinem Grabe lachen hören, wenn ein Forbes am Abkratzen ist!«

»Diesen Unsinn glauben Sie auch nur, wenn Sie betrunken sind, Carter«, sagte der Oberst scharf. »Ich hätte Ihnen etwas mehr Verstand zugetraut. Die Dorfkinder mögen sich solche blöden Märchen erzählen, aber ein erwachsener Mann...«

»Ich bin nicht der einzige, der das glaubt«, unterbrach ihn Jem Carter lallend. »Auch mein alter Vater hörte Jeremy lachen, als der vorige Lord Haverford starb. Ja, und außer ihm noch andere. Viele, viele! Der Friedhof von Yeldingthorpe ist in ganz Suffolk durch sein lachendes Grab bekannt! Und warum? Weil der alte Jeremy Forbes zu den Richtern gehörte, die nur eine Strafe kannten: Hängen! Zu Hunderten hat er die Leute in den Tod geschickt! Und jedes Mal, wenn er einen Mann an den Galgen brachte, lachte er. In der ganzen Grafschaft war er als der Machende Richter bekannt! Aber der, der jetzt im Schloss wohnt, wäre genauso schlimm gewesen, wenn er damals gelebt hätte! Vielleicht noch schlimmer!«

»Gewiss, Jem«, meinte Dick beruhigend. »Ich weiß, dass mein Onkel recht hart, zu Ihnen gewesen ist...«

»Hart nennen Sie das?«, brüllte Jem. »Viermal hat er mich schon wegen Wildern ins Gefängnis geschickt - viermal in den letzten acht Jahren! Der Hund! Und dabei bin ich nur spazieren gegangen! Als ob ich mich überhaupt um seine verdammten Karnickel kümmere! Und was hat er jetzt gemacht? Jetzt hat er befohlen, dass die Schlossleute mir keine Schuhe mehr zum Besohlen bringen dürfen!«

»Stimmt das, Jem?«, fragte Dick interessiert.

»Er will mich um mein Brot bringen!«, schrie Jem wild. »Aber eines schönen Tages werde ich ihm dafür den Hals umdrehen, dem alten Schuft! Was für ein Recht hat er, mich um mein bisschen Verdienst zu bringen? Seit Jahren besohle ich die Schuhe seiner Leute...«

»Schön, Jem, ich werde mich darum kümmern«, unterbrach ihn Dick. »Aber ich glaube nicht, dass Sie recht haben. Da wird Ihnen jemand einen Bären aufgebunden haben.«

»Der Jemand war der dreckige alte Schuft selbst!«, brüllte Jem. Dann aber verfiel er in ein weinerliches Klagen. »Dabei habe ich doch nichts weiter verbrochen, als den Abkürzungsweg durch den Park zu nehmen. Da kommt er einfach an und weist mich von seinem Grund und Boden. Und von jetzt an, sagte er und grinste noch tückisch dabei, werden Sie keine Arbeit mehr vom Schloss bekommen. Jeder, der Ihnen noch Schuhe hinbringt, wird sofort entlassen! Dieses Biest!«

Dick benutzte den Umstand, dass Jem den Wagen losgelassen hatte, und fuhr weiter.

»Ob das wirklich wahr ist, Dick?«, fragte der Oberst. »Möglich ist es schon, Sir.«

»Aber - verdammt noch mal, Jem ist doch ein ausgezeichneter Schuster! Er macht auch für mich sämtliche Reparaturen. Und wenn er nicht betrunken ist, ist er doch ein ganz vernünftiger Kerl«, meinte Thurston nachdenklich. »Na ja, vielleicht wildert er gelegentlich - aber wenn schon! Ihr Onkel verfolgt ihn seit Jahren, und ich wundere mich nicht über Jems Erbitterung.«

»Mein Onkel schädigt sich nur selbst, wenn das mit den Schuhreparaturen aus dem Schloss stimmt«, sagte Dick gereizt. »Jem gehört noch zu den altmodischen, aber soliden Schuhmachern - und davon gibt es nur noch wenige.«

»Warum, zum Teufel, lassen aber Sie sich eigentlich alles gefallen, Dick?«, fragte der Oberst rundheraus. »Der alte Herr fasst Sie, wie ich höre, auch nicht gerade mit Samthandschuhen an! Es geht mich natürlich nichts an, aber...«

»Ich lebe gern auf dem Lande«, antwortete Dick, »und außerdem kann ich mir bei der Verwaltung dieses Gutes die Erfahrung erwerben, die mir noch fehlt. Als ich von Oxford hierherkam, verstand ich von der Landwirtschaft sehr wenig.«

Er sprach nicht von dem, was ihm im Augenblick zu schaffen machte: dass nämlich das, was er jetzt dem Oberst zu Gefallen tat, ihm wahrscheinlich seine Stellung kosten würde. Und Thurston hatte in seiner Empörung über den Tod des Collies wohl kaum an die Folgen gedacht, die für Dick entstehen konnten.

Da der kleine Wagen schon in die Abzweigung nach Haverford Hall einbog, beendeten sie ihre Unterhaltung. Kurz nach der zweiten Abzweigung tauchte dann das alte Schloss vor ihnen auf. Im Zwielicht des Frühlingsabends war allerdings nicht viel zu sehen, aber bei Tageslicht bot das Schloss einen imposanten Anblick. Die dicken Mauern des mittelalterlichen Hauptgebäudes und die kleinen Fenster hatten den Großvater des gegenwärtigen Lords dazu veranlasst, einen neuen Flügel anzubauen; dadurch erhielt das Gebäude die Form eines großen L. Dieser neue Flügel war der einzige bewohnte Teil des Hauses. Ein schöner Park mit vielen alten Bäumen umgab das Schloss.

Die ursprüngliche Eingangstür des alten Gebäudes wurde nicht mehr benutzt, und Dick fuhr über die Auffahrt bis zu den breiten Granitstufen des neuen Haupteingangs. Pritchard, der Butler, öffnete ihnen. Pritchard war ein alter, gebeugter und bedrückt aussehender Mann - vielleicht eine Folge jener vielen Jahre, die er unter seinem harten Herrn verlebt hatte. Er sah überrascht auf, als er Dick erblickte, der sonst den Haupteingang nie benutzte. Als er aber das wütende Gesicht des Obersts Thurston sah, erriet er den Grund des Besuches, und ein besorgter Ausdruck trat in sein Gesicht.

»Sagen Sie Lord Haverford, dass ich ihn sprechen möchte«, erklärte der Oberst kurz.

»Sehr wohl, Sir«, erwiderte der Butler und trat zur Seite. »Aber wenn ich Ihnen davon abraten darf, Sir - seine Lordschaft ist nicht gerade bester Laune.«

»Ich habe Sie nicht um Rat gefragt, und ich kümmere mich den Teufel darum, in was für einer Laune Seine Lordschaft ist. Sagen Sie ihm, dass ich ihn zu sprechen wünsche - und zwar dringend!«

»Sehr wohl, Sir«, entgegnete Pritchard leise. »Ich wollte Sie nur warnen, Sir. Mr. Ronnie und seine Gattin hatten schon beim Essen eine Auseinandersetzung mit Seiner Lordschaft - es handelte sich dabei wohl um einen Hund -, und Seine Lordschaft zog sich nach dem Essen in schlechtester Laune auf sein Studierzimmer zurück.«

»Er wird in noch viel schlechterer Laune sein, wenn ich mit ihm gesprochen habe«, versetzte der Oberst. »Eine Auseinandersetzung wegen eines Hundes? Deshalb bin ich auch gekommen, Pritchard! Wir werden uns also weiter über diesen Hund unterhalten!«

Der Butler blickte verlegen drein und zögerte, als wollte er noch etwas sagen. Aber dann änderte er seine Absicht und ging in das Studierzimmer. Dick, der mit dem Oberst wartete, fühlte sich fast so bedrückt wie der Butler.

»Er ist also schlechter Laune«, murmelte der junge Mann. »Es ist sonst schon schwer mit ihm auszukommen, aber wenn er schlechte Laune hat, ist er grausig.«

»Das passt mir großartig!«, sagte Thurston grimmig. »Ich bin nämlich auch schlechter Laune - und damit wären wir uns einig.«

»Es wäre vielleicht doch gut, diese Unterhaltung auf morgen früh zu verschieben«, meinte Dick besorgt. »Mein Onkel kann recht ausfallend werden.«

»Ich bin aber gerade in der richtigen Stimmung, Dick, und ich denke gar nicht daran, meinen Besuch aufzuschieben«, sagte der Oberst fest. »Nun?« Er sah Pritchard, der mit ernstem Gesicht zurückgekommen war, fragend an. »Worauf warten wir denn noch?«

Der Butler räusperte sich.

»Ich bin beauftragt worden, Sir, Ihnen die Grüße Seiner Lordschaft zu überbringen und Ihnen auszurichten, dass Sie, nachdem Ihr Hund zum Teufel gegangen ist, ihm schleunigst nachfolgen sollen.«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte Dick Forbes wahrscheinlich über diese Formulierung von Lord Haverford lachen müssen, denn sie entsprach vollkommen dem Charakter des despotischen alten Adligen. Bei Oberst Thurston erregten die Worte jedoch alles andere als Heiterkeit.

Einen Augenblick schwieg er verblüfft; sein sonst gerötetes Gesicht wurde blass, und die kleinen Muskeln an seinen Schläfen zuckten sichtbar. Seine Augen funkelten wütend, und auf seinen Wangen erschienen rote Flecke. Offenbar hatte es ihm den Atem verschlagen.

»Bitte, Sir...«, sagte Dick besorgt.

»Der Teufel soll ihn holen!«, schrie Thurston, und die Wut brach mit wilder Heftigkeit aus ihm hervor. »Ich werde ihn lehren, mir solche Unverschämtheiten sagen zu lassen! Lassen Sie mich los, Dick!«

»Beruhigen Sie sich doch, um Himmels willen«, drang Dick in ihn. »Sie können doch nicht mit Gewalt bei dem alten Mann eindringen! Er wird Sie von seinen Leuten hinauswerfen lassen.«

Aber der Rasende machte sich von Dicks Hand frei, durchquerte die weite Halle und trat, ohne anzuklopfen, in Lord Haverfords Arbeitszimmer. Dick, der einsah, dass er nichts mehr verhindern konnte, folgte ihm.

Der Mann, der langsam hinter dem großen Mahagonischreibtisch in der Mitte des Zimmers aufstand, war untersetzt und grauhaarig; die hektische Röte des Gesichts verriet deutlich, dass er kein gesundes Herz hatte - ein Familienerbteil der Forbes. Seine kleinen, grausamen Augen betrachteten den Eindringling mit dem Blick einer gereizten Schlange.

»Nanu! Ließ ich Ihnen nicht sagen, Sie sollten sich zum Teufel scheren?« Er wies zur Tür. »Hinaus! Sofort hinaus! Ich gebe Ihnen zehn Sekunden Zeit; dann werde ich Sie hinaus werfen lassen!«

»Ich werde Ihnen erst das sagen, was ich mir vorgenommen habe, Haverford! Wahrscheinlich wird es Ihnen nicht gefallen!«, erwiderte der Oberst, trat näher und sah den Herrn des Hauses über den breiten Schreibtisch hinweg wütend an. »Ihre lächerlichen Drohungen berühren mich nicht, denn ich bin - Gott sei Dank - nicht einer Ihrer bemitleidenswerten Untergebenen. Sie haben meinen Hund ermordet, und zwar mit ausgesuchter Grausamkeit. Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Sie damit nicht durchkommen werden!«

»Ach? Da der Hund tot ist, bin ich ja schon damit durchgekommen«, unterbrach ihn Lord Haverford, und sein rotes, gedunsenes Gesicht verzerrte sich zu einem Grinsen. »Und ich kann Ihnen versprechen, dass es jedem Ihrer Hunde genauso ergehen wird, Thurston, wenn er auf meinem Besitz herumstreunt.«

»Sie haben eine verbotene Falle aufgestellt, und ich werde Sie dafür belangen, soweit die Gesetze eine Handhabe bieten!«, brüllte ihn der Oberst an. »Ihr Neffe fand meinen armen Hund...«

»Das dachte ich mir«, sagte Lord Haverford und sah Dick erbost an. »Du bist also auch dabei? Du bist entlassen und verlässt mein Haus noch heute Abend - innerhalb einer Stunde!«

»Das ist mir durchaus recht!«, gab Dick grimmig zurück. »Da willst auch noch unverschämt werden, was?«, brüllte sein Onkel in einem plötzlichen Wutausbruch. »Du frecher Bursche, ich ahne schon lange, dass du hinter meinem Rücken gegen mich intrigierst. Wenn sich dein Vetter nicht für dich ins Zeug gelegt hätte, ich hätte dich schon vor Monaten davongejagt!«

Der plötzliche Angriff auf Dick hatte Thurston überrascht, aber dadurch hatte er Zeit, sich zu beruhigen. Sein zorngerötetes Gesicht hatte jetzt einen fast verwunderten Ausdruck.

»Haverford, es ist verdammt unfair von Ihnen, Ihre Wut an Dick auszulassen!«, sagte er. »Dieser Besuch bei Ihnen ist allein meine Idee. Dick hat damit nichts zu tun!«

»Er hat Sie aber begleitet - und das sagt genug«, erwiderte der Lord. »Wenn du nicht innerhalb einer Stunde mit Sack und Pack das Haus verlassen hast, mein Lieber, werde ich...«

»Schon gut, Onkel - du brauchst mir nicht zu drohen«, unterbrach ihn Dick ruhig. »Ich wusste, wie du reagieren würdest, und war darauf vorbereitet. Du hast für Buster eine Falle aufgestellt, aber wahrscheinlich hast du dir nicht angesehen, wie es jetzt dort aussieht. Das arme Tier hing blutüberströmt und mit gebrochenen Knochen in den Stahlklauen. Ich glaube, auch dir hätte dieser Anblick kein Vergnügen...«

»Hinaus mit dir!«

»Die Einzelheiten sch einen Sie nicht gern zu hören, was, Haverford?«, sagte Thurston, bebend vor Wut. »Aber diesmal sind Sie zu weit gegangen - viel zu weit! Seit Jahren haben Sie alle Menschen tyrannisiert und kommen sich allmächtig vor. Das ist ein Irrtum, und das Gericht wird Ihnen zeigen, dass es ein Irrtum ist! Andere lassen sich vielleicht von Ihnen einschüchtern, aber...« Er brach ab, offenbar hatte er den Faden verloren. »Wissen Sie eigentlich, Haverford, dass dieser ruhige Winkel von Suffolk zu einer Brutstätte des Hasses geworden ist?«, fuhr er fort. »Des Hasses gegen Sie! Ich glaube nicht, dass Sie sich eine Vorstellung machen, wie die Stimmung...«

»Sind Sie bald fertig?«, unterbrach ihn Haverford drohend.

»Nein, verdammt noch mal!«, schrie der Oberst. »Ich habe erst angefangen! Sie, der Schlossherr, der Mann, den alle respektieren sollten, wissen anscheinend nicht, dass nan Ihnen nur Hass und Abscheu entgegenbringt! Gewiss, Sie sind reich, aber dabei so geizig, dass Sie keinen Penny für andere übrig haben. Nein, verdammt noch mal, lassen Sie mich ausreden!«, fuhr er fort, als der wütende Lord ihm ins Wort zu fallen versuchte. »Ich will sagen, was ich auf dem Herzen habe, und ich lasse mich von Ihnen nicht dauernd unterbrechen! Ich warte schon seit Jahren auf diese Gelegenheit! Kein junges Mädchen ist vor Ihnen sicher, und seit Ihre arme Frau gestorben ist, durch Gottes Gnade aus Ihrer Tyrannei erlöst wurde, ist Ihre Gier hemmungslos geworden. Wenn Sie nicht der reiche Lord Haverford wären, würden Sie unzählige Klagen auf dem Hals haben.«

»Mein Gott! Muss ich mir dieses Geschwafel wirklich anhören?«, brüllte der alte Mann. »Verlassen Sie sofort mein Haus, Thurston!«

Dick, der mit innerer Schadenfreude zuhörte, machte diese Szene jetzt wirklich Spaß. Der Oberst in seiner Wut ließ sich nicht zum Schweigen bringen - und schon gar nicht einschüchtern.

»Ich werde Ihr Haus verlassen, wann es mir passt, und nicht eine Sekunde eher!«, brüllte er zurück. »Und wie behandeln Sie Ihren einzigen Sohn? Bilden Sie sich etwa ein, dass man das im Dorf nicht weiß? Er kommt nach seiner Hochzeitsreise mit seiner jungen, schönen Frau hierher und lebt jetzt kaum besser als ein Sträfling. Sie weigern sich, Ronnie einen Monatswechsel zu geben, damit er sein eigenes Leben leben könnte, und der arme Kerl ist zu schwach, um sich gegen Sie durchzusetzen. Für Ihre Schwiegertochter Virginia ist es überhaupt kein Leben! Ebenso gut könnte sie in einer Gefängniszelle dahinsiechen! Die beiden sind jung, aber solange Sie am Leben sind, gibt es für sie keine Hoffnung auf Glück; bis Sie eines Tages auch vor Ihrem Richter stehen und das bekommen, was Sie verdienen!«

»Sie reden wie der Moralprediger in einem viktorianischen Drama«, sagte Haverford verächtlich. »Meine Familienverhältnisse gehen Sie gar nichts an, Thurston!«

»Sind Sie denn vollständig blind?«, fuhr der Oberst fort. »Wissen Sie denn nicht, was um Sie herum vorgeht? Weit und breit ist Ihr schäbiges Verhalten gegen Ronnie und

Virginia das Tagesgespräch! Ihr Sohn bringt diese schöne Frau hierher - einen lebensvollen, fröhlichen Menschen -, und schon nach ein paar Monaten haben Sie jedes Leben in ihr abgetötet! Sie sind ein unerträglicher Tyrann, Haverford, und nach Ihrem Verbrechen an meinem Hund wird Ihr Name von keinem anständigen Menschen mehr genannt werden!«

»Endlich sind Sie also wieder auf den Hund gekommen!«, höhnte der alte Lord. »Immerhin ein Fortschritt, Thurston - denn der Hund geht Sie wenigstens etwas an. Dagegen ist Ihre Kritik an Dingen, die meine Familie betreffen, einfach taktlos, und ich kann nur annehmen, dass Ihre lächerliche Wut Sie zu dieser Verletzung der guten Sitten verführt hat. Und jetzt gehen Sie!«

Oberst Thurston schluckte schwer.

»Ich muss mich entschuldigen«, sagte er gepresst. »Ich hätte meine Worte auf das beschränken sollen, was mich herführte. Aber ich muss Ihnen noch sagen, Haverford, dass ich Sie wegen Ihrer unmenschlichen Behandlung meines Hundes verklagen werde.«

»Dann werde ich Sie ruinieren, Thurston«, antwortete Lord Haverford verächtlich. »Ich kann es, und ich werde es! Du, Dick, weißt ja schon, welche Strafe dich trifft.« Wortlos wandte sich der junge Mann ab und verließ das Zimmer. Oberst Thurston folgte ihm nach einigem Zögern. Von seinem Wutanfall zitterte er noch am ganzen Körper, so, dass Dick ihn am Arm fasste, als sie die Halle durchschritten.

»Wie fühlen Sie sich, Sir? Sie sehen sehr blass aus.«

»Mir fehlt nichts«, murmelte der Oberst. »Aber Sie tun mir verdammt leid, mein Junge. Ich war ein Dummkopf - aber ich habe gar nicht daran gedacht, dass Ihr Onkel seine Wut an Ihnen auslassen würde.«

»Lassen Sie sich deswegen keine grauen Haare wachsen, Sir«, entgegnete Dick ruhig. »Ich bin schon seit Monaten darauf gefasst gewesen. Es macht mir nicht so viel aus. Ich werde schon eine neue Stellung finden.«

»Aber es ist doch ungerecht...«

»Kann ich Sie in meinem Wagen nach Hause fahren, Sir?«, unterbrach ihn der junge Mann, als zwei Leute durch eine Seitentür die Halle betraten und fragend zu ihnen hinübersahen. »Das sind Ronnie und Virginia«, fügte er mit leiser Stimme hinzu. »Ich würde sie ein anderes Mal begrüßen.«

»Sie haben recht«, sagte Thurston und riss sich zusammen. »Ich könnte wieder einen Wutanfall bekommen und Dinge sagen, die besser unausgesprochen blieben. Aber wissen Sie, Dick, ich werde zu Fuß gehen. Es ist mir lieber.« Als er an den beiden, die in die Halle gekommen waren, vorüberging, nickte er ihnen nur wortlos zu. Er ging zur Haustür hinaus und schloss sie hinter sich.

»Was soll denn das bedeuten?«, fragte Ronnie Forbes.

»Stell dich doch nicht so dumm, Ronnie!«, erwiderte seine junge Frau, und ihre Augen funkelten. »Oberst Thurston hat deinem Vater wegen seines Hundes Bescheid gesagt. Hast du das Gebrüll nicht gehört? Hoffentlich hat er deinem alten Herrn die Wahrheit gesagt.«

Zwischen den Eheleuten war ein großer Unterschied. Ronnie Forbes, der Erbe des Titels und des großen Vermögens, war ein schlanker, fast schwächlicher junger Mann, dessen Gesicht die gleiche Röte zeigte wie das seines Vaters, denn er hatte das kranke Herz, aber nicht den kräftigen Körper und den aggressiven Charakter seines Vaters geerbt. Sein fliehendes Kinn unterstrich noch die Größe seiner charakteristischen Forbes-Nase. Seine wässrigen Augen waren hinter einer randlosen Brille verborgen, die ihn fast altjüngferlich erscheinen ließ.

»Nun hör schon auf, Virginia«, meinte er. »Wir haben doch beim Essen wegen des verflixten Hundes Streit genug gehabt.«

Virginia, die noch nicht ein Jahr mit ihm verheiratet war, bildete einen so vollständigen Gegensatz zu ihm, dass ihre kraftvolle Vitalität jedem auffallen musste. Die Natur war ihr wohlgesinnt gewesen; ihr einfaches Abendkleid zeigte das Ebenmaß ihrer Figur und verbarg keine ihrer natürlichen Formen. Ihr Gesicht war wahrhaft schön; ihre dunklen, intelligenten Augen funkelten jetzt vor Begeisterung, und ein vergnügtes Lachen kam aus ihrem Mund.

»Dank sei dem Oberst!«, sagte sie laut. »Je mehr er deinen Vater in Wut gebracht hat, desto besser! Zum Glück wagt es wenigstens ein Mensch, hierherzukommen und den alten Drachen in seiner Höhle aufzusuchen! Das kann deinem Vater nur guttun.«

»Hör doch auf, Liebling«, wandte Ronnie verlegen ein.

»Warum denn?«, erwiderte sie und warf Dick einen Blick zu, der ihre Schadenfreude ausdrückte. »Ach, Ronnie, warum bist du nur so ein Duckmäuser?«

»Um Gottes willen, nicht so laut!« Ronnie war entsetzt. »Er kann dich ja hören!«

»Großartig! Das hoffe ich sogar!«, sagte die junge Frau rebellisch. »Es ist auch höchste Zeit!« Sie sah noch immer Dick an, den ihr Blick verwirrte. »Hast du ihm auch Bescheid gesagt? Meinen herzlichsten Glückwunsch, Dick!« Die Bewunderung in ihren Augen war so offensichtlich, dass Dick das Blut ins Gesicht stieg. Nur eine Sekunde hielt er den Blick ihrer funkelnden Augen aus, dann blickte er zu Boden.

»Deine Glückwünsche sind nicht ganz angebracht, Virginia«, sagte er. »Alles, was ich erreicht habe, ist der Rausschmiss.«

»Was! Das ist doch nicht dein Ernst?«

»Doch.«

»So eine Ungerechtigkeit!«, rief Virginia entrüstet. »Wie schrecklich!« Die Schadenfreude hatte sich in Besorgnis verwandelt. »Was willst du jetzt anfangen, Dick? Hat er dich tatsächlich hinausgeworfen?«

»Leider ja!«

»Wann musst du denn gehen?«

»In einer Stunde.«

»Was - du sollst das Haus innerhalb einer Stunde verlassen?« Virginia schrie fast. »Ronnie, hast du das gehört?« Sie blickte ihren Mann an. »So eine Gemeinheit habe ich noch nie erlebt...«

»Beruhige dich nur, Kindchen«, unterbrach Ronnie sie; er wirkte plötzlich beinahe entschlossen. »Und du auch, Dick!« Er fasste seinen Vetter freundschaftlich am Arm. »Geh ihm eine Zeitlang aus dem Weg. Ich werde ihn schon überreden.«

Dick sah ihn trotzig an.

»Weißt du denn so genau, dass ich damit einverstanden bin?«

»Sei doch nicht dumm! Ich habe es schon mehr als einmal getan, und meistens hörte er auf mich«, erwiderte Ronnie. »Mein Gott! Das Gut geht vor die Hunde, wenn du fortgehst. Niemand hat es jemals so glänzend verwaltet wie du. Dein Vorgänger war, wie Vater selbst zugibt, eine absolute Null. Das wird ihm schon wieder einfallen, sobald er sich etwas beruhigt hat. Also geh ihm nur fürs erste aus dem Wege. - Schnell!«, fügte er hastig hinzu. »Ich glaube, er kommt.«

»Danke schön, Ronnie«, sagte Dick ruhig. »Ich wusste, dass du auf meiner Seite bist - aber ich bin nicht der Ansicht, dass es etwas nützt, wenn du deinem Vater gut zuredest.«

»Es wird - es muss etwas nützen!«, flüsterte Virginia erregt. »Ich werde ebenfalls mit ihm sprechen, Dick! Wenn du fortgehst, bleibt doch nichts...« Sie brach unvermittelt ab. »Du darfst nicht fortgehen!«

Dick sah sie mit einem Blick an, in dem seine ganze tiefe Bewunderung für sie lag; auch der Ausdruck ihres Gesichts war so, dass es gut war, dass Ronnie jetzt nicht hinsah. Worte hätten den Vergleich nicht deutlicher ausdrücken können, den sie zwischen den beiden Vettern zog: auf der einen Seite Ronnie - schwach, rückgratlos und ohne Charakter, auf der anderen Dick - breitschultrig, kraftvoll und männlich.

Aber bevor Ronnie noch diesen Blickwechsel bemerken konnte - seine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich ängstlich auf das Arbeitszimmer -, war Dick gegangen. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers, und Lord Haverford erschien auf der Schwelle. Sein rotes, gedunsenes Gesicht verriet Ungeduld und Groll.

»Zum Teufel, was flüstert ihr denn hier?«, fragte er gereizt. »Willst du etwa auch gegen mich intrigieren, Ronnie?« Ronnie sah ihn beleidigt an.

»Ich weiß gar nicht, was du meinst, Vater. Was ist denn überhaupt los?«

»Dieser verdammte Kerl, dieser Thurston!«, entgegnete Lord Haverford mit einem wütenden Blick. »Kommt er doch hierher, um sich wegen seines elenden Köters zu beklagen - nur, damit ich wieder einen Herzanfall bekomme!«

»Beruhige dich nur, alter Herr!«, wandte Ronnie ein. »Das wollte er sicher nicht. Aber er hatte den Hund gern und da ist er natürlich erregt, weil...«

»Wie oft habe ich dir schon verboten, mich mit alter Herranzureden!«, herrschte ihn sein Vater ad. »Ein scheußlicher Ausdruck, den ich nicht vertrage.«

»Entschuldige, Vater«, sagte Ronnie sanft. »Ich hatte es im Augenblick vergessen.«

Virginia nagte mit ihren weißen Zähnen an der Unterlippe. Sie nahm es Ronnie übel, wenn er sich der Herrschsucht seines Vaters einfach unterwarf. Sie hatte das Gefühl, gegen eine solche Haltung rebellieren und dem alten Tyrannen sagen zu müssen, was sie von ihm dachte; aber ihr war auch klar, dass dieser Augenblick dafür nicht gerade günstig war.

»Ein Herzanfall würde ihm gerade passen, wie?«, fuhr Lord Haverford mit einem grimmigen Lachen fort. »Aber wir Forbes sind zäh - und unsere Herzen sind gar nicht so schwach, wie die Leute glauben. Was, Ronnie?« Er lachte laut. »Na, meine Liebe?« Er sah Virginia an, und sein Gesicht verzog sich zu einer Fratze. »Da muss schon ein anderer als Thurston kommen, damit mein Herz aussetzt. Der Idiot droht mir doch tatsächlich mit der Polizei, und er will mich verklagen! So eine Frechheit! Ich habe ihm aber gesagt, dass ich ihn dann ruinieren würde; und das werde ich auch!«