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Wirtschaftsprofessor Mathias Biswanger erklärt den Prozess der Geldschöpfung. Die jüngste Finanzkrise hat deutlich gemacht, dass Banken und ihre Kreditvergabe in heutigen Wirtschaften eine entscheidende Rolle spielen. Allerdings sehen die meisten Menschen bis heute nicht, wie diese Kreditvergabe mit der Geldschöpfung zusammenhängt. Und solange wir das nicht begreifen, können wir auch das Funktionieren einer modernen Wirtschaft nicht verstehen. In seinem Buch beschäftigt sich Mathias Binswanger mit den Banken als Geldproduzenten: Sie leihen nicht Geld aus, welches vorher jemand bei ihnen deponiert hat, sondern sie schaffen neues Geld durch Kreditvergabe. Dank der Fähigkeit der Geldschöpfung ermöglichen Banken Wachstum, indem Investitionen finanziert werden können, ohne dass vorher gespart wird. Der Autor zeigt aber auch die Schattenseiten des Prozesses: Ein Großteil des von den Banken geschaffenen Geldes wird in einer modernen Wirtschaft für den Kauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten verwendet, was zu spekulativen Blasen und Finanzkrisen führt. Die Zentralbanken, die eigentlich den Prozess der Geldschöpfung kontrollieren sollen, sind allerdings seit der letzten Finanzkrise kaum mehr in der Lage dazu. Dies wirft die Frage nach Reformen auf. Das Buch ist für jeden, der wissen möchte, wie Geld geschaffen wird, welche Bedeutung dieser Prozess in einer modernen Wirtschaft besitzt und welche Probleme er verursacht. Verschiedentlich wird an Kontroversen in der ökonomischen Theorie angeknüpft, die aber allgemeinverständlich dargestellt sind. Das Buch ist gleichzeitig unterhaltsam und sachlich fundiert.
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Seitenzahl: 424
1. Auflage 2015
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Print ISBN: 978-3-527-50817-4epub ISBN: 978-3-527-69512-6mobi ISBN: 978-3-527-69511-9
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung: Warum wir den Prozess der Geldschöpfung und seine ökonomische Bedeutung nicht richtig verstehen
Teil I Einfach und doch mysteriös: Geldschöpfung in der heutigen Wirtschaft
1. Wie Geschäftsbanken Geld schaffen
Die falsche Vorstellung von Banken als Finanzintermediäre
Die richtige Vorstellung von Banken als geldschöpfende Institutionen
Warum Banken, obwohl sie Geld schaffen können, auch Spargelder wollen
2. Wie Zentralbanken versuchen, den Geldschöpfungsprozess zu kontrollieren
Teil II Entdeckung und Entwicklung der Geldschöpfung
1. Die Entdeckung der Papiergeldschöpfung durch englische Goldschmiede im 17. Jahrhundert
2. Exzessive Papiergeldschöpfung in Paris von 1716 bis 1720: das System von John Law
3. Die Entstehung von Zentralbanken und die Etablierung der Golddeckungspflicht im 19. Jahrhundert – Beginn der Giralgeldschöpfung.
Die Bank of England wird zur ersten Zentralbank
Die Entstehung von Zentralbanken in anderen Ländern
Meilensteine bis 1914: Goldstandard, Banknotenmonopol und Verwendung von Guthaben als Zahlungsmittel
4. Der lange Abschied vom Gold nach 1914 und die zunehmende Ablösung von Papiergeld durch Giralgeld
Der 1. Weltkrieg und seine Folgen
Bedenken gegen Staatsschulden zur Deckung der Geldschöpfung: Die Real Bills Doctrine und der damit verbundene Irrtum
Versuche der Rückkehr zur Golddeckung: Der Zwischenkriegs-Golddevisenstandard und das System von Bretton Woods
Mindestreserven als begrenzt wirksames Instrument zur Kontrolle der Geldmenge
Meilensteine im 20. Jahrhundert: Weg vom Gold und vom Papiergeld!
Appendix: Bilanzen von Zentralbanken im 20. Jahrhundert
Teil III Geldschöpfung und Wirtschaftswachstum
1. Wachstum – Inflation – Spekulation: MöglicheAuswirkungen der Geldschöpfung in der Wirtschaft
2. Warum Geldschöpfung für das Wirtschaftswachstumnotwendig ist: Geldschöpfung, Investitionen undSparen
3. Der Zusammenhang zwischen Geldschöpfung, Investitionen und Wachstum in einem einfachen Kreislaufmodell
Stationäre Wirtschaft
Wachsende Wirtschaft
Die Unmöglichkeit von Wachstum ohne Geldschöpfung
Wie Geldschöpfung Wachstum ermöglicht
4. Warum Ökonomen die Bedeutung des Geldschöpfung für das Wachstum trotzdem ignorieren: die Neutralitätsobsession in der Mainstreamökonomie
Neutralität in der Klassik: Kampf gegen den Merkantilismus und David Humes schizophrene Haltung
Neutralität in der Neoklassik: Überlegenheit der Marktwirtschaft lässt sich nur für eine Tauschwirtschaft beweisen
Neutralität heute: die Schizophrenie wird weiter kultiviert
5. Was sagen die Daten? Ein historischer Überblick
Korrelationen und ihre Bedeutung
Geldschöpfung und ihre Auswirkungen in der der langen Frist von 1870 bis 2012
Auswirkungen der Geldschöpfung vor dem ersten Weltkrieg von 1870 bis 1914
Auswirkungen der Geldschöpfung nach dem 2. Weltkrieg
Auswirkungen der Kreditvergabe der Banken auf das Wachstum der Realwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg
Ist Geld langfristig doch neutral? Warum empirische Studien aus der Mainstreamökonomie nicht viel aussagen.
Teil IV Geldschöpfung und Finanzmärkte: Spekulative Blasen und Finanzkrisen
1. Der Hang zum Exzess
2. Warum die Wirkung der Geldschöpfung auf Wertpapierpreise und Immobilienpreise von der Theorie vernachlässigt wurde
3. Was sagen die Daten? Geldschöpfung und spekulative Blasen im historischen Überblick
Geldschöpfung und spekulative Blasen auf dem Immobilienmarkt
Geldschöpfung und spekulative Blasen an der Börse in den USA
Teil V Braucht es Reformen?
1. Der Kontrollverlust nach der Finanzkrise 2007/2008
US-Zentralbank (FED)
Bank of England
Europäische Zentralbank (EZB)
Schweizerische Nationalbank (SNB)
Befinden wir uns in einer historisch einmaligen Situation?
2. Die Herausforderungen für heutige Zentralbanken
Wirkungsvolle oder flexible Steuerung der Geldschöpfung? – Das Dilemma der Zentralbanken
Wachstum oder Verhinderung von Krisen?
Mehr »gute« und weniger »schlechte« Kredite?
3. Grundlegende Geldreformkonzepte, und was von ihnen zu halten ist
Grundlegende Reformideen I: Schluss mit der Geldschöpfung aus dem Nichts durch die Geschäftsbanken
Grundlegende Reformideen II: Währungspluralismus
4. Wirksame Maßnahmen zur Wiederherstellung der Kontrolle
Einführung von Anreizverträglichkeitsprüfungen für Vergütungssysteme bei Geschäftsbanken
Weitere Ziele für Inflation und Kreditvergabe bei Zentralbanken
Variierbare Eigenkapitalanforderungen als neues Kontrollinstrument für Zentralbanken
Fazit: Eine neue makroökonomische Perspektive
Anmerkungen
Literatur
Stichwortverzeichnis
Ein Buch über Geld zu schreiben, ist eine gefährliche Sache. Denn: »Nichts außer der Liebe, hat so viele Leute verrückt gemacht, wie das Grübeln über das Wesen des Geldes.« Dies bemerkte der englische Politiker Benjamin Disraeli (1804 –1881) bereits im 19. Jahrhundert. Seine Feststellung ist wohl immer noch gültig, auch wenn wahrscheinlich noch mehr Menschen durch Grübeln über das Fehlen von Geld verrückt geworden sind. Trotzdem habe ich es vermutlich geschafft, während des Schreibens am vorliegenden Buch normal zu bleiben. Das dürfte zum einen daran liegen, dass sich die Arbeit über fast vier Jahre erstreckte, und das Nachdenken über Geld immer wieder durch lange Regenerationsphasen unterbrochen wurde. Und zum anderen bin ich der Gefahr ausgewichen, das Wesen des Geldes tatsächlich erfassen zu wollen. Meine Hauptabsicht lag vielmehr darin, Entstehung und Wirkung des Geldes in einer modernen Wirtschaft so darzustellen, wie sie tatsächlich stattfindet.
Während des Schreibens an diesem Buch durfte ich auf die Unterstützung einiger Personen und Institutionen zählen, denen ich hier meinen Dank ausspreche. An erster Stelle möchte ich meinen Vater, Hans Christoph Binswanger nennen, der einmal mehr mein erster Leser und Kritiker war. Als emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, der selbst Bücher zum Thema »Geld« verfasst hat, war er dazu natürlich prädestiniert. Mit seiner stets wohlwollenden Kritik hat er das ursprüngliche Manuskript von einigen Mängeln befreit und wichtige Anregungen gegeben, die ich in den meisten Fällen auch berücksichtigt habe.
Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich meiner Arbeitgeberin, der Fachhochschule Nordwestschweiz, welche es mir ermöglicht hat, über mehrere Jahre einen Teil meiner Arbeitszeit zur Erstellung dieses Buches zu verwenden. So ist es mir zum ersten Mal gelungen, ein Buch zu schreiben, ohne dafür ein Sabbatical in Anspruch zu nehmen. Dank gebührt schließlich auch Jutta Hörnlein vom Wiley-Verlag, die dazu beigetragen hat, dass aus dem noch sehr unvollständigen Manuskript Anfang des Jahres 2014 dann doch relativ rasch das Buch wurde, welches Sie jetzt in ihren Händen halten.
Der größte Gegner beim Schreiben eines Buches ist stets der innere Schweinehund. Mit ihm habe ich ebenfalls einen vierjährigen Kampf ausgefochten und ihn immer wieder besiegt. Doch jetzt, nach Beendigung des Buches, hat er kurzzeitig wieder die Oberhand gewonnen. Aus diesem Grund ist dieses Vorwort kurz, aber das nachfolgende Buch dafür umso länger.
Mathias Binswanger
Olten, Januar, 2015
Das heute als Zahlungsmittel verwendete Geld kann durch Banken fast ohne Arbeitsaufwand geschaffen werden. Aus diesem Grund wird in diesem Zusammenhang von »Geldschöpfung aus dem Nichts« oder eben »Geld aus dem Nichts« gesprochen. Diese »Geldschöpfung aus dem Nichts« gibt es mittlerweile seit bald 400 Jahren, als englische Goldschmiede damit begannen, Papiergeld zu schaffen, ohne dass bei ihnen vorher entsprechende Ersparnisse deponiert wurden. Der einzige wesentliche Unterschied zu damals besteht darin, dass Geld nicht mehr in erster Linie in Form von Papiergeld, sondern in Form von Bankguthaben (Giralgeld) geschaffen wird, die heute das wichtigste Zahlungsmittel darstellen.
Trotz der langen Tradition von Geldschöpfung durch Banken, sind sich viele Menschen dieser Tatsache nicht bewusst. Man glaubt nach wie vor, dass Sparer zuerst Geld bei einer Bank vorbeibringen, und diese dann die Ersparnisse wieder ausleiht, indem sie Kredite vergibt. Diese Vorstellung wird uns auch in vielen Lehrbüchern so vermittelt und entspricht dem Wunschbild der ökonomischen Mainstream-Theorie. Doch diese Vorstellung ist falsch und steht unserem Verständnis des ökonomischen Prozesses im Wege.
Auch die jüngsten Finanzkrisen lassen sich nicht richtig erklären, wenn man die Geldschöpfungstätigkeit der Banken außer Acht lässt. Dies soll exemplarisch anhand eines im Folgenden kurz dargestellten Erklärungsversuchs der Euro-Krise in der BILD-Zeitung aufgezeigt werden. Am 11. Oktober 2011 unternahm diese mangels aktueller Skandalmeldungen den heroischen Versuch, ihren Lesern das Phänomen »Euro-Krise« näher zu bringen. Der Titel des Beitrages lautete: »Euro-Krise: BILD erklärt den irren Schuldenkreislauf«. Die Erklärung umfasste vier Schritte:
1. Der Staat leiht sich Geld bei Banken, indem er diesen Staatsanleihen verkauft.
2. Die Banken holen sich Geld bei Kunden, das heißt bei Haushalten und bei Unternehmen. Dazu wird der Deutsche Professor und Ifo-Chef Hans-Werner Sinn zitiert: »Banken und Versicherungen holen sich das Geld, das sie für den Anleihekauf brauchen, bei Sparern und Versicherungskunden.«
3. Die Banken geraten in Probleme, weil die Anleger ihnen aus Angst um ihr Vermögen immer weniger Geld zur Verfügung stellen. Deshalb fehlen den Geldinstituten jetzt die finanziellen Mittel.
4. Der Staat muss den Banken helfen. Auch hier wird ein bekannter Ökonom, Wolfgang Gehrke, zitiert: »Immer mehr Rettungspakete, Bürgschaften, Not-Kredite – die EURO-Staaten selbst sind am Ende ihrer Finanzkraft und können kein Geld mehr verleihen. Um die Banken am Leben zu erhalten, müssen sie neue Schulden machen.« Und damit wird der Kreislauf geschlossen, indem es wieder mit dem ersten Schritt weitergeht, und die Banken weitere Staatsanleihen kaufen
Allerdings ist nicht nur der Schuldenkreislauf irr, sondern auch die von BILD präsentierte Erklärung. Während der erste Schritt noch völlig richtig ist, sind die Schritte 2 bis 4 Zeichen des falschen Verständnisses unseres Geld- und Bankensystems. Banken müssen nicht warten, wie in den Schritten 2 und 3 suggeriert, bis Haushalte oder Unternehmen ihnen Geld zur Verfügung stellen, damit sie Kredite vergeben können. Wer hätte je davon gehört, dass eine Bank ihren Kunden mitteilt: »Wir würden Ihnen gerne einen Kredit geben, aber leider haben wir im Moment zu wenig Geld und sie müssen sich gedulden, bis Sparer zusätzliche Ersparnisse bei uns deponiert haben.« Bei Schritt 4 gerät die Erklärung schließlich in einen inneren Widerspruch. Da wird nämlich behauptet, dass Staaten den Banken Geld verleihen müssen, um diese zu retten. Andererseits müssen sie sich dann aber, wie in Schritt 1 behauptet wird, gerade bei diesen Banken Geld beschaffen, indem sie diesen Staatsanleihen verkaufen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Doch die Erklärung der EURO-Krise gehört auch nicht zu den Kernkompetenzen der BILD-Zeitung.
Aber wie die in der BILD-Zeitung zitierten Aussagen beweisen, befindet sie sich bei ihrer irrtümlichen Erklärung in Gesellschaft namhafter Ökonomen. »Auch diese wollen die Geldschöpfung aus dem Nichts« nicht wahrhaben. So schrieb etwa der Österreichische Notenbankchef, Ewald Nowotny, in einer an ihn gerichteten Anfrage zum Thema Geldschöpfung (Nowotny, 2010):
»Die Giral- oder Buchgeldschöpfung durch Geschäftsbanken beruht darauf, dass Banken die ihnen zufließenden Einlagen zur Kreditgewährung verwenden. Dem Kreditnehmer kann der kreditierte Betrag bar ausbezahlt oder auf einem Girokonto gutgeschrieben werden, wodurch er zu Buchgeld und zur Ausgangsbasis für weitere Kredite wird. … Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass Banken durch den Geldschöpfungsprozess kein Geld ‹aus dem Nichts› erfinden, sondern jeder vergebene Kredit auf einer tatsächlich getätigten Einlage (bzw. einem Mittelzufluss aus anderer Quelle wie zum Beispiel einer von der Bank vergebenen Anleihe) beruht.«
Auch die meisten Banker selbst sind höchst erstaunt, wenn man sie darauf anspricht, dass Banken tatsächlich Geld schöpfen. Gerade diejenigen, die für die Geldschöpfung verantwortlich zeichnen, sind sich dieses Prozesses oft am allerwenigsten bewusst.
Allerdings gibt es immer mehr Artikel und Bücher, welche die »Geldschöpfung aus dem Nichts« wahrnehmen und richtig beschreiben. So lesen wir dazu in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2. Februar 2012, S. 41, in dem Beitrag »Wie kommt das Geld in die Welt« von Christian Siedenbiedel: »Um einem Kunden einen Kredit zu geben, braucht die Bank noch nicht einmal die Spareinlage eines anderen Kunden aus ihrem Tresor zu holen. Sie schafft Geld aus nichts.« Auch der Finanzexperte Raimund Brichta erzählt uns in einem zusammen mit Anton Voglmaier geschriebenen Buch mit dem Titel Die Wahrheit über Geld (2013, S. 14) tatsächlich die Wahrheit wenn er schreibt: »Jemand nimmt einen Bankkredit auf und bekommt dafür eine entsprechende Zahl auf seinem Konto gutgeschrieben. Das ist alles. Es geschieht im Handumdrehen und per Knopfdruck – eben aus dem Nichts.« Und selbst in neueren Dokumenten von Zentralbanken finden sich Darstellungen, wo »die Geldschöpfung aus dem Nichts« durch die Geschäftsbanken explizit dargestellt ist (zum Beispiel McLeay et. al, 2014).
Die Erkenntnis, dass Geschäftsbanken Geld aus dem Nichts schaffen, setzt sich also langsam durch. Hingegen wird der Zusammenhang der Geldschöpfung zum Wirtschaftswachstum noch kaum gesehen, obwohl bereits der neben Keynes wohl bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, Joseph Schumpeter, die Geldschöpfung als Voraussetzung für das Wachstum bezeichnet hat. In diesem Buch soll deshalb auch aufgezeigt werden, wie die Geldschöpfung der Banken Wachstum ermöglicht. Andererseits muss man aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Geldschöpfungstätigkeit der Banken immer wieder finanzielle Exzesse und Übertreibungen mit sich bringt, was zu spekulativen Blasen und darauf folgenden Finanzkrisen führt.
Es geht in diesem Buch also darum, drei entscheidende Tatsachen klarzustellen, die für das Verständnis der Wirtschaft und vor allem dem Verständnis des Finanzsektors und der Banken notwendig sind:
Banken schaffen Geld: Banken sind »Geldproduzenten«: Sie leihen nicht Geld aus, welches vorher jemand bei ihnen deponiert hat, sondern sie schaffen neues Geld, indem sie Geld an ihre Kunden vergeben.Banken ermöglichen Wachstum: Dank der Möglichkeit der Geldschöpfung durch die Banken, können auf gesamtwirtschaftlicher Ebene Investitionen, zusätzliche Beschäftigung, aber auch andere Ausgaben (vor allem Staatsausgaben) finanziert werden, ohne dass vorher entsprechend gespart wurde. Auf diese Weise wird das Wirtschaftswachstum ermöglicht. Banken ermöglichen spekulative Blasen: Ein Teil des von den Banken geschaffenen Geldes wird in einer modernen Wirtschaft nicht mehr für den Kauf von Gütern und Dienstleistungen verwendet, sondern für den Kauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten. Auf diese Weise führt Geldschöpfung immer wieder zu spekulativen Blasen etwa an der Börse oder auf dem Immobilienmarkt.Das Buch ist wie folgt aufgebaut. Teil I beschreibt den Vorgang der »Geldschöpfung aus dem Nichts« in einer modernen Wirtschaft und zeigt, wie Zentralbanken diesen Prozess beeinflussen können. Den Prozess der Geldschöpfung und auch seine Darstellung in den Bankbilanzen kann man wesentlich besser verstehen, wenn man auch über die Geschichte der Banken und der Geldschöpfung Bescheid weiß. Diese Geschichte ist in Teil II beschrieben. Es wird dargestellt, wie Londoner Goldschmiede im 17. Jahrhundert die Geldschöpfung entdeckt haben, und wie sich in der Folge das heutige Bankensystem entwickelt hat, wo Geld vor allem in Form von Bankguthaben geschaffen wird (Giralgeldschöpfung).
Die Teile III und IV beschäftigen sich mit den Auswirkungen der Geldschöpfung in der Wirtschaft. Teil III zeigt, wie die produktive Verwendung von neu geschaffenem Geld die Finanzierung des realen Wachstums ermöglicht und gleichzeitig eine Voraussetzung für eine permanente Ausweitung der Produktionstätigkeit ist. Es wird zudem erklärt, weshalb die Mainstream-Theorie in der ökonomischen Wissenschaft diesen Zusammenhang ignoriert und stattdessen die Doktrin der Neutralität des Geldes vertritt. Eine genauere Analyse der letzten 120 Jahre macht deutlich, dass sich der Zusammenhang zwischen Geldschöpfung und Wirtschaftswachstum auch anhand von Zahlen in verschiedenen Ländern erkennen lässt. Teil IV beschreibt die ebenfalls häufig stattfindende unproduktive Verwendung von neu geschaffenem Geld auf Immobilienmärkten und an der Börse. So entstehen immer wieder spekulative Blasen und nach deren Platzen folgen dann oft Finanzkrisen. Auch dies lässt sich anhand von Daten für verschiedene Episoden aufzeigen.
Der letzte Teil V geht der Frage nach, inwieweit Zentralbanken in jüngster Zeit noch eine Kontrolle über den Geldschöpfungsprozess besitzen und ob es Reformen braucht, um diese Kontrolle wieder herzustellen. Es wird aufgezeigt, dass die Reaktionen der Zentralbanken auf die Finanzkrise 2007/2008 dazu geführt haben, dass Geschäftsbanken heute weitgehend ohne Kontrolle agieren. Aus diesem Grund sind Reformen notwendig, da eine unkontrollierte Geldschöpfung auf die Dauer gefährlich ist. Einige wichtige Reformvorschläge werden deshalb diskutiert und kritisch beurteilt. Zum Schluss werden Maßnahmen vorgestellt, die dazu beitragen können, die Geldschöpfung der Geschäftsbanken sinnvoll zu steuern. Das Buch endet mit einem Fazit, welches die gewonnenen Erkenntnisse in einen breiteren Zusammenhang stellt.
»Everyone sub-consciously knows banks do not lend money. When you draw on your savings account, the bank doesn't tell you, you can't do this because it has lent the money to somebody else.«
Mark Mansfield
Wenn es darum geht, die Tätigkeit von Banken zu beschreiben, dann stellen sich die meisten Menschen Folgendes vor: Banken sammeln die Ersparnisse von Haushalten oder Unternehmen, die in einer bestimmten Periode mehr Geld verdienen als sie ausgeben wollen und vergeben diese dann wiederum als Kredite an Unternehmen oder ebenfalls Haushalte, die in einer bestimmten Periode mehr Geld ausgeben wollen, als sie verdienen, und sich deshalb Geld ausleihen. Je mehr also in einer Wirtschaft gespart wird und die Menschen Geld auf ihren Bankkonten lassen, umso mehr können die Banken dann Kredite vergeben, um damit Investitionen in Realkapital oder in Häuser zu finanzieren. Die Geschäftsbanken können gemäß dieser Sichtweise nicht mehr Kredite vergeben, als das Publikum willens ist, ihnen an Ersparnissen zur Ausleihung zur Verfügung zu stellen. Banken sind somit Finanzintermediäre, deren Tätigkeit in erster Linie darin besteht, Geld von Sparern (Einlegern) zu Investoren (Kreditnehmern) zu transferieren. Dafür verlangen sie von den Kreditnehmern einen Zins, welcher den Zins, den sie selbst an die Einleger zahlen, übersteigt. Diese Differenz zwischen Soll- und Habenzinsen macht die Bankentätigkeit profitabel und sorgt dafür, dass sich Banken stets darum bemühen, weitere Ersparnisse zu akquirieren.
Diese traditionelle Vorstellung der Bankentätigkeit ist in der Abbildung 1 zusammengefasst.
Abb. 1: Falsche Vorstellung der Banken als Intermediäre
Gemäß einer im Jahre 2010 in England durchgeführten Umfrage (ESCP Europe Cobden Centre, 2010) glauben rund 61 Prozent der befragten Bürger und damit fast zwei Drittel der Bevölkerung, dass die eben gelieferte Beschreibung der Banken als Finanzintermediäre der Realität entspricht. Das ist auch nicht weiter erstaunlich. Denn erstens erscheint diese Sichtweise äußerst plausibel und zweitens wird sie von vielen Lehrbüchern zu Banken und Finanzmärkten (zum Beispiel Mishkin and Eakins, 2006, S. 18-19) oder von Zentralbanken (EZB, 2013) auch noch bestätigt. Dort ist oft von indirekter Finanzierung die Rede, bei welcher Banken sich Geld von Sparern borgen, um es dann wieder an Investoren und andere Kreditnehmer auszuleihen (siehe Abbildung 1). Neben dieser indirekten Finanzierungsmöglichkeit über Finanzintermediäre gibt es dann auch noch die direkte Finanzierung über Finanzmärkte, wo Sparer Geld an Unternehmen und den Staat transferieren, indem sie von diesen emittierte Wertpapiere kaufen. Sowohl direkte als auch indirekte Finanzierung beschreiben Prozesse, bei denen Sparer Gelder an Kreditnehmer ausleihen, und Banken sind nur Durchlaufstationen für diese Gelder.
Auch Banken selbst sehen sich gerne in der Rolle als Finanzintermediäre und propagieren diese Sichtweise in ihren eigenen Ausbildungsbroschüren (zum Beispiel Ketzel, 2008). Der Grund liegt darin, dass aus dieser Rolle sehr einfach eine ökonomisch positive Funktion der Bankentätigkeit abgeleitet werden kann. Als Finanzintermediäre helfen Banken den Sparern dabei, ihr Geld möglichst sicher und ertragsbringend anzulegen, und den Investoren helfen sie, ihre Projekte möglichst günstig zu finanzieren. Banken erscheinen so als »Diener der Realwirtschaft«, die dafür sorgen, dass die gesamten Finanzierungsprozesse möglichst effizient über Raum und Zeit abgewickelt werden können. Einerseits indem sie sich dort Geld holen, wo viele Ersparnisse vorhanden sind und es dann dorthin transferieren, wo ertragreiche Investitionsmöglichkeiten vorhanden sind. Und andererseits, indem sie dank einer großen Zahl von Kunden in der Lage sind, Ersparnisse, die von den Einlegern kurzfristig wieder abgezogen werden können, zur Finanzierung langfristiger Kredite zu verwenden (Fristentransformation).
Wären Banken Finanzintermediäre in dem eben beschriebenen Sinn, dann spiegelte sich die Kreditvergabe an einen Kunden in den Bilanzen der Bank und des Kreditempfängers wider, wie im folgenden Beispiel:
Ein Finanzintermediär vergibt einen Kredit in der Höhe von 100 000 Euro an einen Kunden
Bilanz des FinanzintermediärsKredit +100 000Einlagen 100 000Bilanz des KreditempfängersEinlagen + 100 000Kredit +100 000Es würden einfach 100 000 Euro vom Konto des Finanzintermediärs abgebucht und dann dem Konto des Kreditempfängers gutgeschrieben. In diesem Fall verhält es sich genau gleich, wie wenn ich als Privatperson einer anderen Privatperson einen Kredit vergebe. Solche Kreditvergaben zwischen Privaten gibt es natürlich in der Realität, nur macht das den Kreditgeber noch lange nicht zu einer Bank.[1] Der gesamte Vorgang der Kreditvergabe betrifft dann nur die Aktivseite der Bilanz des Kreditgebers. Eine Forderung gegenüber einer Bank (das Guthaben) wird durch eine Forderung gegenüber einem Kreditnehmer (Kredit) ersetzt. Damit sind wir in der gleichen Situation wie ein Goldschmied im London des 17. Jahrhunderts vor der Erfindung der Papiergeldschöpfung, als diese noch Kredite in Gold vergaben (siehe Goldschmied B in Teil II, Kapitel 1). Mit einer solchen Kreditvergabe ist keine Geldschöpfung verbunden, da ein Finanzintermediär genau wie eine Privatperson nur das Geld wieder ausleihen kann, welches er vorher von jemand anderem erhalten hat.
Wären Banken tatsächlich Finanzintermediäre im eben beschriebenen Sinn, dann müsste man in der Realität damit rechnen, dass ihnen immer wieder die Ersparnisse ausgehen, und sie dann keine Kredite mehr vergeben können. Die Banken wären dann vergleichbar mit einer Blutbank in einem Krankenhaus. Die Bank müsste ihren Kunden dann genau wie eine Blutbank von Zeit zu Zeit mitteilen: »Leider haben wir im Moment keine Ersparnisse (Blut) mehr, aber Sie können sich in eine Warteliste eintragen, und wir benachrichtigen Sie dann, wenn wieder Ersparnisse bei uns eingetroffen sind.« Eine solche Mitteilung hat aber wohl noch kaum jemand von seiner Bank erhalten, aus dem einfachen Grund, weil Banken für die Kreditvergabe unmittelbar keine Ersparnisse brauchen. Wann immer Banken das Gefühl haben, ein Kunde sei kreditwürdig, vergeben sie gerne weitere Kredite, was ein Finanzintermediär nicht tun könnte. Von der liebgewonnenen Vorstellung einer Bank als Finanzintermediär müssen wir uns deshalb endgültig lösen.
So lange wir nämlich an dieser Vorstellung festhalten, können wir weder die Tätigkeit von Banken noch die Wirkung des Geldes in einer modernen Wirtschaft verstehen. Seit Londoner Goldschmiede im 17. Jahrhundert damit begannen, Kredite in Form von Papiergeld zu vergeben, welches sie selbst schufen, sind Banken zu Geldproduzenten geworden. Sie wirken nur dann in unterstützender Form als Finanzintermediäre, wenn sie am Prozess der direkten Finanzierung über die Finanzmärkte beteiligt sind, indem sie die Emission und den Handel von Wertpapieren organisieren. Sobald es aber um die Kreditvergabe selbst geht, ist eine Bank »Geldproduzent« und nicht Finanzintermediär. Das hat bereits im 19. Jahrhundert der Schottische Ökonom Henry Dunning McLeod beschrieben, der von Banken als »Geldfabriken« spricht. Und einzelne Zentralbankökonomen haben dies mittlerweile ebenfalls erkannt. Die Deutsche Bundesbank betont in einer Broschüre aus dem Jahre 2007 ausdrücklich die Rolle der Banken als Geldproduzenten (Deutsche Bundesbank, 2007, S. 48-66). Und die Bank of England erklärt in einem Beitrag in ihrer Zeitschrift Quarterly Bulletin zu Beginn des Jahres 2014 ausführlich, wie Geschäftsbanken über Kreditvergabe Geld schaffen (Mc Leay et al. 2014).
Dies wird sofort offensichtlich, wenn wir uns einmal die typische Bilanz einer modernen Geschäftsbank anschauen. Eine stark vereinfachte Bilanz weist dann folgendes Bild auf:
Vereinfachte Bilanz einer GeschäftsbankReserven (Guthaben bei ZB, Banknoten)Einlagen (Sicht- ,Spar-, Terminguthaben)Kredite (an Banken und Nichtbanken)Kredite anderer GeschäftsbankenWertpapiereEigenkapitalAuf der Aktivseite der Bilanz einer Bank stehen zunächst einmal die Guthaben der Geschäftsbanken (Reserven) bei der Zentralbank plus die von der Zentralbank bezogenen Banknoten im Besitz der Geschäftsbank, die wir zusammen als Reserven bezeichnen (siehe Teil I, Kapitel 2). Diese Reserven machen in normalen Zeiten aber nur einen Bruchteil der Aktiven aus, der manchmal sogar unter 1 Prozent fällt. Den größten Teil der Aktiven einer Bankbilanz bilden typischerweise die Kredite, denn mit den dafür verlangten Zinsen erwirtschaftet eine Geschäftsbank einen beträchtlichen Teil ihres Gewinns. Daneben handeln Banken oft auch mit Wertpapieren, sei es für ihre Kunden oder auf eigene Rechnung, so dass sich auf der Aktivseite einer Geschäftsbankenbilanz stets auch Wertpapiere finden. Einige dieser Wertpapiere (vor allem Staatsanleihen) braucht eine Geschäftsbank auch, um sich weitere Reserven von der Zentralbank zu beschaffen (siehe weiter unten).
Auf der Passivseite finden sich umgekehrt die Einlagen der Bankkunden, welche eine Verpflichtung der Bank gegenüber ihren Kunden darstellen Verschiedene Einlagen unterscheiden sich wiederum in ihrer Liquidität. Sogenannte Sichtguthaben (im angelsächsischen Sprachraum wird hier von sight deposits oder checkable deposits gesprochen) können jederzeit für Zahlungszwecke verwendet werden, indem direkt mit ihnen bezahlt wird oder indem die Einlagen in Form von Bargeld abgehoben werden. Andere Formen von Einlagen (Sparguthaben, Terminguthaben) können im Allgemeinen nicht direkt für Zahlungszwecke verwendet werden, und es bestehen bestimmte Rückzugslimite bzw. zeitliche Einschränkungen, welche diese Guthaben weniger liquid machen. Genau aus diesem Grund sind sie aber für die Banken attraktiver, und werden deshalb auch höher verzinst.
Im Weiteren vergeben Banken auch untereinander Kredite, weshalb sich auf der Passivseite der Bilanz einer Geschäftsbank auch Kredite anderer Banken befinden. Und schließlich steht auf der Passivseite das Eigenkapital, welches sich aus dem Aktienkapital und den zurückbehaltenen Gewinnen zusammensetzt.
Würden Banken tatsächlich Geld ausleihen, welches sie vorher von den Sparern erhalten haben, dann müsste dieses Geld auf der Aktivseite der Bankbilanz stehen. Schließlich könnte eine Bank in diesem Fall nur Geld wieder ausleihen, welches zuvor jemand bei ihr deponiert hat. Auf der Aktivseite einer Bankbilanz suchen wir aber vergeblich nach solchem Geld. Das einzige Geld, welches wir auf der Aktivseite einer Bankbilanz finden, sind die sich im Besitz der Bank befindenden Banknoten. Diese können bei einer einzelnen Bank einerseits von Sparern stammen, welche sie bar bei der Bank einbezahlt haben und andererseits von der Zentralbank, bei welcher eine Bank stets weiteres Bargeld beziehen kann. Dem Bankensystem als Ganzes (alle Geschäftsbanken eines Landes zusammen) kann jedoch kein Bargeld von Sparern zufließen, da dieses nur bei einer Bank einbezahlt werden kann, wenn es vorher bei einer andern Bank bezogen wurde.[2] Netto kann das Bankensystem seinen Bargeldbestand somit nur erhöhen, indem es sich zusätzliche Banknoten von der Zentralbank beschafft. Diese Bargeldbestandteile der Banken machen aber, wie schon weiter oben erwähnt, nur ein Bruchteil der Aktiven einer Bank aus und sind auch nicht Bestandteil der offiziell gemessenen Geldmengenaggregate, wo Geld erfasst wird, welches außerhalb des Bankensystems im Umlauf ist.
Wo befindet sich dann aber das tatsächlich für Zahlungszwecke relevante Geld in der Bilanz einer Geschäftsbank? Dieses findet sich auf der Passivseite, wo die Guthaben der Bankkunden aufgeführt sind. Der größte Teil des Geldes, welches wir heute für Zahlungszwecke verwenden, ist sogenanntes Giralgeld. Damit werden zunächst einmal all die Guthaben bei den Banken erfasst, mit denen die Kunden der Bank Zahlungen vornehmen können (Sichtguthaben). Wenn wir also beispielsweise unsere Bank avisieren, die monatliche Überweisung für die Mietzahlung vorzunehmen, dann verwenden wir als Zahlungsmittel unser Sichtguthaben. Und genauso verhält es sich auch, wenn wir mit Debitkarten oder Kreditkarten bezahlen. Bei weiter gefassten Gelddefinitionen werden auch noch die Guthaben (Sparguthaben, Terminguthaben) zum Giralgeld dazugezählt, deren Bestände sich ohne großen Aufwand auf Sichtguthaben transferieren lassen.
Bei der Erstellung ihrer Geldstatistiken zählen Zentralbanken also sämtliche Sichtguthaben von Nichtbanken (Haushalte, Unternehmen, Staat) bei den Geschäftsbanken eines Landes zusammen. Dazu werden dann noch die sich im Umlauf befindenden Banknoten und Münzen addiert und schon haben wir die Geldmenge M1, die das unmittelbar für Zahlungszwecke verwendbare Geld in einem Wirtschaftsraum umfasst. Der Anteil der Sichtguthaben an M1 steigt dabei immer mehr an und macht heute im Euroraum oder der Schweiz gegen 90 Prozent von M1 aus, da zunehmend weniger mit Bargeld und mehr mit Giralgeld bezahlt wird. Neben der Geldmenge M1 definieren Zentralbanken auch noch breiter gefasste Geldmengenaggregate M2 und M3 (in England auch M4), bei denen, wie schon erwähnt, neben den Sichtguthaben auch Spar- und Terminguthaben sowie teilweise Geldmarktpapiere dazugezählt werden.[3] Immer gilt jedoch, dass nur Guthaben von Nichtbanken zu den Geldmengenaggregaten gezählt werden. Eine Geschäftsbank hat zwar im Allgemeinen auch Konten bei anderen Geschäftsbanken, aber die sich auf diesen Konten befindenden Beträge sind nicht Teil der offiziell gemessenen Geldmenge. Das gesamte in einer Wirtschaft verfügbare Giralgeld findet sich also auf der Passivseite der Bilanzen der Geschäftsbanken eines Landes und entspricht somit einer Schuld dieser Banken. Das Bargeld wiederum wird von der Zentralbank geschaffen und stellt damit eine Schuld der Zentralbank selbst dar.
Allerdings fällt es sowohl Ökonomen als auch den Bankern schwer, sich von der Vorstellung von Banken als Finanzintermediären zu trennen. Bei Ökonomen hängt dies vor allem damit zusammen, dass die Anerkennung der Rolle von Banken als Geldproduzenten die schöne Vorstellung einer rein realen, das heißt ohne Geld erklärbaren Theorie eines allgemeinen Gleichgewichts zerstört (siehe dazu Teil III, Kapitel 4). Aus diesem Grund ist die ökonomische Wissenschaft gegenüber dem Geld mit einer ganz besonderen Fachblindheit geschlagen, die einem beim Studium der Volkswirtschaftslehre systematisch eingetrichtert wird. Geld soll und darf in der Wirtschaft keine Rolle spielen und Investitionen können dann nur durch Ersparnisse finanziert werden. Deshalb schrieb der berühmte Ökonom Josef Schumpeter bereits 1954 (p. 1114):
»Es hat sich für Ökonomen als außerordentlich schwierig herausgestellt, zu erkennen, dass Bankkredite und Investitionen der Banken Einlagen [und damit Geld] schaffen.«
Ein eindrückliches Beispiel für die von Schumpeter beschriebene Schwierigkeit mit dem Thema Geldschöpfung lieferte vor Kurzem der bekannte Ökonom und Nobelpreisträger des Jahres 2008 Paul Krugman. Nachdem er selbst eine Debatte zum Thema unter dem Titel »Banking Mysticism« losgetreten hatte, schrieb er am 30 März 2012 auf den New York Times Opinion Pages, March 30, 2012, Banking Mysticism, Continued, übersetzt durch den Autor):
»Jede einzelne Bank kann das Geld ausleihen, welches sie an Einlagen erhält. Banker können nicht einfach Schecks aus dem Nichts ausstellen. Wie Angestellte jedes anderen Finanzintermediärs auch müssen sie Aktiven [in diesem Fall Kredite] erwerben mit finanziellen Mitteln, die sie in der Hand haben.«
Allerdings schreibt dann derselbe Paul Krugman nur einige Tage später (April 2, 2012, Things I Should Not Be Wasting Time On, übersetzt durch den Autor):
»Lassen wir die weiterhin bestehende Verwirrung über das Argument, dass Banken ‹Inside Money› [Giralgeld] schaffen können – was niemand bestreitet – einmal beiseite.«
Innerhalb von nur wenigen Tagen publizierte Paul Krugman zwei sich vollkommen widersprechende Aussagen zur Rolle der Banken. Waren diese am 30. April 2012 noch reine Finanzintermediäre, so sind sie 3 Tage später (auch?) zu Geldproduzenten geworden. Doch Krugmans Schizophrenie ist typisch für den Umgang der heutigen Mainstream-Ökonomie mit dem Geld. Beschreibt man die Tätigkeit der Banken, dann kommt man gar nicht darum herum, die Geldschöpfungstätigkeit der Banken anzuerkennen, da sie dermaßen offensichtlich ist. Geht es dann aber um die Darstellung des gesamten Wirtschaftsprozesses, dann werden die Banken von vielen Ökonomen wieder auf ihre Rolle als Finanzintermediär reduziert und die Geldschöpfung wird einfach ignoriert.
Aber auch die Banken selbst hängen an ihrer angeblichen Rolle als Finanzintermediäre. Werden Banken nämlich als Geldproduzenten gesehen, dann geraten sie schnell in den Verdacht, Spekulanten zu sein, die mit ihrer durch Kreditvergabe betriebenen Geldschöpfung kurzfristige Profite erzielen wollen. Aus diesem Grund propagieren Banken ihre Geldschöpfungstätigkeit weder gegenüber der Öffentlichkeit noch gegenüber ihren Angestellten. Die wenigsten Mitarbeiter einer Bank sind sich bewusst, dass ihr Arbeitgeber auch Geldschöpfung betreibt. Doch für ihre tägliche Arbeit brauchen sie das auch nicht zu wissen, solange die Bank erfolgreich wirtschaftet.[4]
Der Prozess der Geldschöpfung in der heutigen Wirtschaft wird im Wesentlichen durch den Satz »Kredite schaffen Einlagen (Loans make deposits)« beschrieben.[5] In einer modernen Wirtschaft entsteht Geld hauptsächlich durch die Kreditvergabe der Geschäftsbanken. Wann immer eine Geschäftsbank entscheidet, dass ein Bankkunde kreditwürdig ist und sie ihm deshalb einen Kredit gibt, dann wird der entsprechende Betrag dem Konto des Bankkunden gutgeschrieben. In dem Moment, wo die Gutschrift erfolgt, erhöht sich dann entsprechend auch die Geldmenge, die heute zum größten Teil aus Einlagen auf Bankkonten besteht. Diese Einlagen sind Giralgeld oder Buchgeld, welches materiell gar nicht in Erscheinung tritt und nur als Zahl auf einem Konto existiert. Aus diesem Grund kann man auch von »Geldschöpfung aus dem Nichts« sprechen, da es keine physische Produktion braucht, um dieses Geld zu schaffen. Das heißt nicht, dass eine Geschäftsbank Geld ohne irgendwelche Kosten herstellen kann. Sie muss einerseits die Kreditwürdigkeit eines potenziellen Kunden abklären und auch die ganze Infrastruktur für Zahlungsvorgänge zur Verfügung stellen. Aber die Geldentstehung selbst erfolgt ohne unmittelbaren Ressourcen- und Arbeitsaufwand. Der Britische Ökonomen und Staatsmann Lawrence Lee Bazley Angas schrieb dazu schon 1937 (Angas, 1937, S. 20-21, Übersetzung durch den Autor):
»Das moderne Bankensystem erzeugt Geld aus dem Nichts. Dieser Prozess ist vielleicht der erstaunlichste Taschenspielertrick, der jemals erfunden wurde.« [6]
Und die Deutsche Bundesbank schreibt in ihrer Broschüre Geld und Geldpolitik (2007, S. 62): »Der Geldschöpfungsprozess erscheint wie Zauberei.«
Allerdings handelt es sich bei der Geldschöpfung um einen letztlich leicht nachzuvollziehenden Prozess, der sich in wenigen Sätzen beschreiben lässt. Ottmar Issing, früherer Chefvolkswirt der EZB (Issing, 2003, S. 61-62) schreibt: »Geld wird geschaffen, weil die Geschäftsbank mit einer Forderung gegen sich bezahlt, die zur Geldmenge gerechnet wird.« Banken zahlen den Kredit an einen Kunden mit Sichteinlagen (Forderung gegenüber der Bank), die nicht vorher von Sparern bei ihnen deponiert wurden, sondern die sie selbst schaffen. Dieses Geld wird, wie wir gesehen haben, nicht physisch produziert, sondern virtuell einem Bankguthaben gutgeschrieben. Wird nun umgekehrt ein Kredit zurückgezahlt, verringert sich die Geldmenge wieder um den entsprechenden Betrag, da das Geld dann wieder vom Guthaben des Bankkunden abgebucht wird. Worauf es letztlich ankommt, ist die Nettokreditvergabe. Werden mehr neue Kredite vergeben, als Kredite zurückbezahlt werden, dann erhöht sich die Geldmenge. Und in einer wachsenden Wirtschaft ist das längerfristig immer der Fall, da ständig mehr Kredite für die Finanzierung von Investitionen gebraucht werden.
Physisch in Erscheinung tritt Geld erst dann, wenn wir es bar in Form von Banknoten vom Konto abheben bzw. am Bankomat beziehen, worauf wir als Besitzer eines Sichtguthabens ein Recht haben. Solange wir einer Bank vertrauen, Geld bei Bedarf in bar auszahlen zu können, wollen wir Bargeld kaum in großen Mengen beziehen. Wir verwenden lieber die Guthaben selbst als Zahlungsmittel, weil dies einfacher und sicherer ist. So nimmt der bargeldlose Zahlungsverkehr immer mehr zu, während Barzahlungen rückläufig sind (siehe weiter oben). Wir werden heute auch gezwungen größere Beträge mit Giralgeld zu bezahlen. Es ist fast unmöglich, solche Zahlungen mit Bargeld zu begleichen und in der Schweiz sollen Bargeldzahlungen über 100 000 Franken in Zukunft sogar verboten werden (NZZ am Sonntag, 10. Februar, 2013).
Anerkennen wir die Rolle der Banken als Geldproduzenten, dann lässt sich der Prozess der Kreditvergabe wie in Abbildung 2 darstellen.
Abb. 2: Richtige Vorstellung der Banken als Geldproduzenten
Die Kreditvergabe beginnt nicht mit dem Sparer, der sein Geld bei der Bank vorbeibringt, sondern mit der Bank selbst, die durch die Vergabe eines Kredites neues Geld schafft und auf diese Weise das Konto des Kreditnehmers füllt. Dieser verwendet das Geld dann wiederum, um damit Güter oder Dienstleistungen zu kaufen bzw. Projekte zu finanzieren, wobei das Geld von seinem Konto abgebucht und den Konten der Verkäufer der Güter und Dienstleistungen gutgeschrieben wird. Auch die neuen Geldbesitzer werden das Geld zumindest teilweise wieder ausgeben, so dass die Konten immer neuer Zahlungsempfänger gefüllt werden, während es von den Konten der Zahler jeweils wieder verschwindet. Am Ende des Jahres ist das Geld dann auf dem Guthaben irgendeines Zahlungsempfängers, der es nicht im gleichen Jahr wieder ausgeben wird. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird dieser Betrag dann als Ersparnis verbucht. Diese Ersparnis hat aber nicht die Finanzierung des Kredites ermöglicht, sondern es ist gerade umgekehrt. Die Vergabe des Kredites durch die Geschäftsbank hat neues Geld geschaffen, welches am Ende des Jahres dann als Ersparnis gezählt wird, da es sich um Einnahmen in einem Jahr handelt, die nicht im gleichen Jahr wieder ausgegeben werden. Dies entspricht der Definition von Sparen in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. (siehe Teil III, Kapitel 3).
Vergibt eine Geschäftsbank einen Kredit an einen Kunden, dann ist dieser Vorgang in der Bankbilanz und in der Bilanz des Kunden folgendermaßen verbucht:
Eine Bank vergibt einen Kredit in der Höhe von 100 000 Euro an einen Kunden
Bilanz der GeschäftsbankKredit +100 000Einlagen +100 000Bilanz des BankkundenEinlagen +100 000Kredit +100 000Zeitgleich mit der Entstehung des Kredits auf der Aktivseite der Bankbilanz entsteht eine neue Einlage von 100 000 Euro auf dem Konto des Kreditnehmers, die auf der Passivseite der Bankbilanz aufgeführt ist. Diese neu geschaffenen Einlagen von 100 000 Euro sind das neu entstandene Geld, welches wie schon bei den ersten Goldschmiedebanken im London des 17. Jahrhunderts (vgl. Goldschmied C, Teil II, Kapitel 1), eine Schuld der Geschäftsbank darstellt. Für den Kreditnehmer verhält es sich genau umgekehrt. Er hat jetzt 100 000 Euro mehr auf seinem Bankguthaben, was sich auf der Aktivseite seiner Bilanz niederschlägt. Allerdings schuldet er diesen Betrag gleichzeitig der Bank, da er den Kredit irgendwann zurückzahlen muss, so dass der Kredit auf der Passivseite seiner Bilanz steht.
Wird nun umgekehrt der Kredit von 100 000 Euro wieder an die Geschäftsbank zurückbezahlt, dann verschwindet sowohl der vergebene Kredit als auch die damit verbundene Einlage auf dem Konto des Kreditempfängers und die Geldmenge schrumpft um die 100 000 Euro. In der Bankbilanz und in der Bilanz des Kunden wird dies folgendermaßen verbucht:
Rückzahlung eines Kredits in der Höhe von 100 000 Euro von einem Kunden
Bilanz der GeschäftsbankKredit –100 000Einlagen –100 000Bilanz des BankkundenEinlagen –100 000Kredit –100 000Geld entsteht allerdings nicht nur durch die Vergabe von Krediten. Geschäftsbanken schaffen auch Geld durch den Kauf von Aktiven wie Wertpapieren, Devisen, Gold oder Grundstücken bei Nichtbanken (siehe Deutsche Bundesbank, 2007, S. 61/62; McLeay et al., 2014, S. 6). Verkauft zum Beispiel ein Unternehmen Obligationen an eine Bank, dann bezahlt die Bank diese Wertpapiere wiederum mit Geld, das sie im Moment der Bezahlung selbst schafft. Das heißt, sie schreibt dem Konto des Unternehmens einen Betrag gut, genauso wie sie dies tun würde, wenn sie dem Unternehmen einen Kredit vergäbe. Auf diese Weise steigt die Geldmenge um den Betrag an, der für den Kauf der Obligationen bezahlt wurde. Umgekehrt wird Geld vernichtet, wenn die Bank dem Unternehmen eine Obligation verkauft. In diesem Fall bezahlt das Unternehmen für die Obligationen mit seinem Konto bei der Bank, wo der Betrag entsprechend abgebucht wird und die Geldmenge sinkt. Solange also Banken mehr Aktiven von Nichtbanken kaufen, als sie umgekehrt Aktiven an diese verkaufen, wird netto Geld geschöpft und die Geldmenge steigt. Aus diesem Grund stehen die Kredite in den Bankbilanzen nicht immer in einem exakten Verhältnis zu den Einlagen und damit zur Geldschöpfung, da diese auch durch Kauf und Verkauf von Aktiven beeinflusst wird.
Im folgenden Beispiel nehmen wir an, dass eine Geschäftsbank einem Kunden ein Wertpapier im Wert von 100 000 Euro abkauft. Dieser Vorgang wird folgendermaßen bilanziert:
Eine Bank kauft ein Wertpapier im Wert von 100 000 Euro von einem Kunden
Bilanz der GeschäftsbankWertpapiere +100 000Einlagen +100 000Bilanz des BankkundenWertpapiere –100 000Einlagen +100 000Verkauft die Geschäftsbank im Gegensatz zum eben dargestellten Fall das Wertpapier an einen Kunden, dann kehren sich in dem eben dargestellten Fall alle Vorzeichen um.
Statt einem Wertpapier kann eine Bank, wie schon oben erwähnt, auch Devisen kaufen, was ebenfalls zu Geldschöpfung führt. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn Kredite von ausländischen Banken vergeben werden, oder wenn ausländische Investoren einheimische Wertpapiere kaufen. Solche Geldzuflüsse aus dem Ausland führen ebenfalls zu Geldschöpfung im Inland. Erhält ein deutsches Unternehmen beispielsweise einen Kredit aus der Schweiz in Schweizer Franken, verwendet diesen Kredit aber nachher für Zahlungen in Deutschland, dann wird es die Schweizer Franken (Devisen) bei einer Bank in Euros umtauschen. Es verkauft also die Schweizer Franken an eine deutsche Bank, die ihm dafür Euros zur Verfügung stellt. Das führt zu Geldschöpfung im Eurogebiet, die mit einer entsprechenden Geldvernichtung in der Schweiz einhergeht. Genauso verhält es sich auch, wenn ein Schweizer Investor Wertpapiere eines deutschen Unternehmens erwirbt. Er wird zu diesem Zweck seine Schweizer Franken an eine Bank verkaufen. Diese werden entsprechend von seinem Konto abgebucht und es kommt zu einer Geldvernichtung bei den Schweizer Franken. Gleichzeitig führt dieser Vorgang aber zu Geldschöpfung im Eurogebiet, indem die Bank dem Kunden jetzt Euro auf einem anderen Konto gutschreibt, so dass zusätzliches Geld in Form von Euros geschaffen wird.
Banken haben also auch die Fähigkeit, eine große Palette von Aktiven und insbesondere Wertpapiere durch den Kauf bei Nichtbanken zu monetisieren, das heißt in Geld zu verwandeln. Als einzelner Privatinvestor kann ich zwar auch ein Wertpapier an einen anderen Investor verkaufen und besitze dann statt des Wertpapiers Geld. Dafür hat dann aber der Käufer des Wertpapiers entsprechend weniger Geld. Eine Monetisierung findet erst statt, wenn ich das Wertpapier an eine Geschäftsbank verkaufe, da ich in diesem Fall dann mehr Geld auf meinem Konto habe, ohne dass jemand anderes weniger Geld auf seinem Konto hat. Besondere Bedeutung besitzen doppelt monetisierbare Wertpapiere, die von Nichtbanken an Geschäftsbanken und dann von diesen an die Zentralbank weiter verkauft werden können. Doppelt monetisierbar sind vor allem Staatsanleihen, welche Nichtbanken und auch der Staat selbst durch den Verkauf an Geschäftsbanken bei Bedarf zu Geld machen. Und Geschäftsbanken sind im Allgemeinen gerne zum Kauf bereit, weil sie bei Bedarf die Möglichkeit haben, diese Staatsanleihen an die Zentralbank weiter zu verkaufen. Dafür erhalten sie dann von der Zentralbank Reserven (Zentralbankengeld), womit die Staatspapiere auch für die Geschäftsbanken monetisiert sind.
Da Geld auch durch den Kauf von Aktiven von Banken bei Nichtbanken entsteht, ist die Geldschöpfung nicht allein durch die Kreditvergabe der Banken bestimmt. Allerdings besteht im Allgemeinen eine enge Korrelation zwischen der Entwicklung der Kreditvergabe und der Entwicklung der Geldmenge In den USA liegt der Wert für die Korrelation der jährlichen Wachstumsraten aller von Geschäftsbanken in den USA vergebenen Kredite (bank credit at all commercial banks) und der Wachstumsrate der Geldmenge M2 für die gesamte Periode von 1950 bis 2013 bei 0.53. Nehmen wir nur die Zeit von 1950 bis 1970, dann beträgt diese Korrelation sogar 0.78. In der Schweiz sind die Korrelationen ganz ähnlich. Von 1950 bis 2013 beträgt der Wert für die Korrelation zwischen der Wachstumsrate der Geldmenge M3 und den von Geschäftsbanken an inländische Nichtbanken vergebenen Kredite 0.45 und von 1950 bis 1970 liegt die Korrelation bei 0.87. Hoch ist der Wert auch in England, wo die Korrelation zwischen dem Wachstum der Geldmenge M4 und dem Wachstumsrate der von Banken vergebenen Kredite (M4 loans) für die Periode von 1963[7] bis 2012 bei 0.82 lag.[8] Abbildungen 4 bis 6 zeigen die Wachstumsraten der Geldmenge und der Kredite für alle drei erwähnten Länder. Abbildung 3 zeigt zusätzlich auch noch die Entwicklung der absoluten Werte der Geldmenge M2 und der Kredite der Geschäftsbanken in den USA.
Anhand der Abbildungen 3 und 4 kann man auch erkennen, dass in den USA während der Zeit von 2003 bis 2008 die Kredite wesentlich schneller gewachsen sind als die Geldschöpfung. Diese Abweichung lässt sich dadurch erklären, dass während dieser Zeit die Geldschöpfung der Geschäftsbanken zusätzlich durch Verkäufe von Wertpapieren beeinflusst wurde. Private Institutionen (vor allem Hedgefonds) kauften damals in großem Stil verbriefte Kredite in Form von sogenannten MBS (mortgage backed securities), was die durch Kreditvergabe entstandene Geldschöpfung zum Teil wieder rückgängig machte. Die tatsächliche Geldschöpfung entspricht in diesem Fall der Summe der tatsächlich vergebenen Hypothekarkredite minus der Summe der Hypothekarkredite, die danach in verbriefter Form von den Geschäftsbanken an Investoren verkauft wurden. Das Wachstum der Kredite ist dann höher als das Wachstum der Geldmenge.
Abb. 3: Kredite der Geschäftsbanken und Entwicklung der Geldmenge M2 in den USA
Kredite der Geschäftsbanken: Bank Credit at All Commercial Banks, Billions of Dollars,Seasonally Adjusted
Geldmenge M2: M2 Money Stock, Billions of Dollars,Seasonally Adjusted.
Alle Daten stammen aus Federal Reserve Economic Data.
Abb. 4: Wachstumsraten der Geldmenge M2 und der Kredite der Geschäftsbanken in den USA
Abb. 5: Wachstumsraten der Geldmenge M4 und der Kredite der Geschäftsbanken in England
Geldmenge M4:M4 money stock seansonally adjusted.
Alle Kredite der Geschäftsbanken: M4 loans seaonally adjusted
Alle Daten stammen von der Bank of England
Abb. 6: Wachstumsraten der Geldmenge M3 und der Kredite der Geschäftsbanken in der Schweiz
Kredite der Geschäftsbanken: Alle Forderungen gegenüber inländischen Kunden.
Speziell in der Schweiz gilt es zu berücksichtigen, dass ein Teil der Kredite ins Ausland in ausländischen Währungen vergeben wird. Während die Hypothekarkredite fast ausschließlich an inländische Kunden in Schweizer Franken vergeben werden, werden die übrigen Kundenkredite zu einem wesentlich größeren Teil an ausländische Kunden in Fremdwährungen vergeben. Diese Kredite führen dann nicht zu Geldschöpfung in der Schweiz sondern im Ausland.
Alle Daten stammen von der Schweizerischen Nationalbank
Aus den bisherigen Ausführungen geht klar hervor, dass Geschäftsbanken unmittelbar keine Ersparnisse brauchen, um Kredite zu vergeben oder Aktiven käuflich zu erwerben. Aber warum sind dann einzelne Banken wie UBS, Raiffeisenbank oder Credit Suisse doch daran interessiert, dass wir Konten gerade bei ihnen eröffnen und nicht bei einer anderen Bank? Warum bezahlen sie uns im Normalfall sogar noch einen Zins dafür, obwohl sie diese bei ihnen deponierten Gelder scheinbar gar nicht brauchen?
Hier müssen wir unterscheiden zwischen einer einzelnen Geschäftsbank und dem Bankensystem als Ganzes. Für das gesamte Bankensystem spielt es keine Rolle, ob die Nichtbanken Konten bei UBS, der Credit Suisse oder der Raiffeisenbank haben. Aus der Perspektive einer einzelnen Bank sieht dies aber ganz anders aus. Werden beispielsweise verstärkt Konten bei der UBS aufgelöst und wird das Geld dann stattdessen auf Konten bei der Raiffeisenbank einbezahlt (wie jüngst nach der Finanzkrise geschehen in der Schweiz), dann wird dies für die UBS schnell zu einem Problem, da sie die entsprechende Beträge an die Raiffeisenbank überweisen muss. Diese Schuld kann aber nicht mit Geldschöpfung beglichen werden, indem die UBS der Raiffeisenbank einfach den entsprechenden Betrag auf einem Konto gutschreibt. Die Zahlungen der Banken untereinander müssen mit einem Zahlungsmittel erfolgen, welches die Geschäftsbanken nicht selbst schaffen können. Dieses Zahlungsmittel sind die Reserven, das heißt die Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank.
Die Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank dienen als Clearing-System zwischen den Geschäftsbanken. Täglich nehmen viele Bankkunden Zahlungen vor, bei denen sie Geld von ihren Konten bei einer bestimmten Geschäftsbank auf die Konten anderer Geschäftsbanken überweisen. So werden etwa Gelder von Konten bei der UBS auf Konten bei der Credit Suisse überwiesen und genauso auch von Konten bei der Credit Suisse auf Konten bei der UBS. Am Ende des Tages wird dann der Saldo aus den Überweisungen zwischen den beiden Banken ermittelt. Wurde mehr Geld von der UBS an die Credit Suisse überwiesen als umgekehrt, dann muss die UBS die Differenz dadurch begleichen, dass sie entsprechend Reserven von ihrem Konto bei der Schweizerischen Nationalbank an die Credit Suisse überweist. Und je mehr bei einer Bank Gelder an andere Banken abfließen, umso mehr Reserven braucht sie, um die durch den Abfluss entstandenen Verpflichtungen an andere Banken begleichen zu können. Umgekehrt erhält eine Bank, der Giralgeld zufließt, auf diese Weise gratis zusätzlich Reserven, die sie dann zum Bezug von Bargeld oder zur Erfüllung der Mindestreservepflicht verwenden kann.
Damit wird klar, warum Geschäftsbanken interessiert sind, möglichst viel Geld auf den eigenen Konten zu haben, obwohl diese Gelder für die Kreditvergabe unmittelbar nicht gebraucht werden. Ein Verlust von Kundengeldern führt zu einem zusätzlichen Bedarf an Reserven, die sich eine Geschäftsbank normalerweise nicht gratis beschaffen kann. Sie muss dafür einen Zins zahlen, egal ob sie sich die zusätzlichen Reserven durch den Verkauf von Wertpapieren an die Zentralbank beschafft oder von anderen Geschäftsbanken ausleiht (siehe weiter unten). Auf diese Weise wirkt sich ein Abfluss von Kundengeldern negativ auf die Profitabilität des Bankengeschäfts aus, und Banken vermeiden dies nach Möglichkeit, indem sie ihre Kunden bei der Stange zu halten versuchen.
Wie wirkt es sich nun in der Bilanz einer Geschäftsbank A aus, wenn Geld von einem Konto bei dieser Bank auf das Konto einer andern Geschäftsbank B überwiesen wird? Dies zeigt die folgende Darstellung:
Überweisung von 100 000 Euro von einer Geschäftsbank A an eine Geschäftsbank B
Bilanz der Geschäftsbank AReserven –100 000Einlagen –100 000Bilanz der Geschäftsbank BReserven +100 000Einlagen +100 000Wir sehen, dass die Überweisung von Geld von einem Konto von der Bank A zur Bank B zur Folge hat, dass die Bank A gleichzeitig denselben Betrag von ihrem Konto bei der Zentralbank an die Bank B überweisen muss. Das Clearingsystem sorgt dafür, dass nicht jede Überweisung von Kundengeldern zwischen Bank A und B auch zu einer entsprechenden Überweisung von Reserven führt. Nur die am Ende des Tages verbleibende Differenz zwischen allen Überweisungen von Bank A zu Bank B und von Bank B zu Bank A wird dann über die Reserven beglichen.
Wir können also festhalten: Eine Geschäftsbank kann über Kreditvergabe oder den Kauf von Aktiven (insbesondere Wertpapiere) Giralgeld schaffen, ohne dass vorher Ersparnisse auf dem Konto der Bank einbezahlt wurden. Die Einlagen werden zusammen mit dem Kredit oder dem Kauf geschaffen und würden sonst gar nicht existieren. Trotzdem ist aber eine einzelne Bank daran interessiert, dass möglichst viele Kunden Geld gerade auf ihren Konten und nicht auf den Konten von anderen Banken halten. Ein Zufluss von Giralgeld von anderen Banken bedeutet nämlich gleichzeitig einen Gratiszufluss von Reserven, für welche andernfalls Zins bezahlt werden müsste. Und umgekehrt bedeutet ein Abfluss von Kundengeldern für eine einzelne Bank einen Verlust von Reserven. Diese muss sie sich dann entweder von der Zentralbank oder von anderen Geschäftsbanken wieder beschaffen, wofür aber ein Zins fällig wird. Da dieser Zins in jüngster Zeit allerdings nahe bei Null liegt und die Banken andererseits in Reserven schwimmen (siehe Teil V), hat auch das Interesse der Banken an Kundengeldern spürbar nachgelassen. Zurzeit zahlt man bei vielen Banken eine Gebühr für das Privileg, bei ihnen ein Sichtguthaben halten zu dürfen.
Wozu, wird man sich jetzt vielleicht fragen, braucht es überhaupt noch Zentralbanken, wenn doch Geschäftsbanken selbst Geld schaffen können? Und wie können Zentralbanken die Geldschöpfungstätigkeit der Banken beeinflussen?
Der Einfluss der Zentralbanken auf den Geldschöpfungsprozess ergibt sich dadurch, dass Banken Reserven, das heißt Geld auf ihren Konten bei der Zentralbank brauchen. Für diesen Bedarf an Reserven gibt es drei Gründe. Erstens verwenden Bankkunden nach wie vor Bargeld für Zahlungszwecke. Mit der Menge an Giralgeld, welches durch die Geschäftsbanken geschaffen wird, steigt deshalb auch der Bedarf an Bargeld, da im Durchschnitt ein bestimmter Prozentsatz des Giralgeldes in Form von Banknoten vom Konto abgehoben wird. Für den Bezug dieses Bargeldes brauchen die Geschäftsbanken die Zentralbank, denn diese besitzt ein vom Staat vergebenes Monopol für dessen Herstellung. Wenn eine Geschäftsbank beispielsweise zusätzliches Bargeld im Umfang von 1 Million Euro von der Europäischen Zentralbank beziehen möchte, dann geht dies nur, wenn sie vorher auch Reserven in der Höhe von 1 Million Euro besitzt. Denn die Bezahlung für das Bargeld erfolgt dadurch, dass die 1 Million Euro vom Konto der Geschäftsbank abgebucht wird, sobald ihr die entsprechende Menge an Bargeld geliefert wird. Der Bedarf an Bargeld führt so zu einem zusätzlichen Bedarf an Reserven.
Zweitens müssen Geschäftsbanken in vielen Ländern sogenannte Mindestreserven bei der Zentralbank halten (siehe Teil II, Kapitel 4). Schaffen Banken zusätzliches Geld, dann sind sie stets verpflichtet, den sogenannten Mindestreservesatz einzuhalten. Die Summe der Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank darf im Verhältnis zu der Summe der Guthaben der Bankkunden bei der Geschäftsbank nicht unter einen bestimmten Prozentsatz fallen. Beträgt der Mindestreservesatz für Sichtguthaben beispielsweise 2 Prozent und hat eine Geschäftsbank insgesamt Einlagen von 100 Millionen Franken auf ihren Sichtguthaben, dann muss sie mindestens 2 Millionen Reserven auf ihrem Konto bei der Zentralbank haben. Je mehr Geld die Geschäftsbanken schaffen, umso mehr Reserven müssen sie sich deshalb von der Zentralbank beschaffen.