Geliebter Söldner - Phil Adamson - E-Book

Geliebter Söldner E-Book

Phil Adamson

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Beschreibung

371 vor Christus: Das mächtige Theben rüstet zum Krieg gegen Sparta. Die "Heilige Schar" -- ein militärisches Elitekommando -- soll den Sieg sichern. Als Vorzeigekrieger dieser Einheit sind Hyppolitos und Andromachos in aller Munde. Doch der gute Ruf wird dem jungen Paar schon bald zum Verhängnis, als die Liebenden in die niederträchtigen Machenschaften der führenden Staatsmänner hineingezogen werden. Bald droht ein düsteres Netz aus Lügen und Intrigen das Feuer ihrer Leidenschaft zu ersticken ...

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GELIEBTER SÖLDNER

Zum Autor

Der Sohn eines in Deutschland stationierten US-Soldaten verfasste schon als Jugendlicher gern eigene schwule Geschichten. Zunächst fanden sie wenig Anklang in der hessischen Kleinstadt, in der er damals lebte. Trotzdem gelang es Phil Adamson, seine spätere Arbeit als Journalist und leitender Angestellter eines Marketing-Unternehmens mit dem Veröffentlichen schwuler Erotikliteratur zu vereinen. Bei Bruno Gmünder erschienen zahlreiche seiner Romane und Erzählungen in der Loverboys-Reihe.

PHIL ADAMSON

GELIEBTER SÖLDNER

GAY ROMANCE

BRUNO GMÜNDER

1. Auflage © 2016 Bruno Gmünder GmbH Kleiststraße 23-26, D-10787 [email protected]

© 2016 Phil Adamson Umschlaggestaltung: Matthias Panitz Satz: Robert Schulze Abbildungen Umschlag: fotolia.com / Nejron Photo (Hintergrund), shutterstock.com / FXQuadro (Vordergrund)

ISBN 978-3-95985-142-8 eISBN 978-3-95985-198-5

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ANDROMACHOS UND HYPPOLITOS

Es sieht schlimmer aus, als es ist. Ein glatter Schnitt.« Mit diesen Worten presste Hyppolitos das Rindenstück, das mit einem Brei aus Honig und Schafgarbe bestrichen war und als Heilpflaster diente, auf die offene Wunde am Oberschenkel. Scharf sog Andromachos die Luft ein, das Gesicht vor Schmerz verzerrt. Hyppolitos lachte ihn fröhlich an, ohne jedoch den Druck zu verringern. Geschickt umwickelte er das Rindenstück mit einer Leinenbinde. Schließlich saß der Verband fest. Die Wunde würde gut verheilen und lediglich eine kleine Narbe zurücklassen – eine von vielen. Diese hier war Andromachos beim Kampftraining zugefügt worden. Aber das war nun mal nicht zu vermeiden, wenn man den Krieg zum Beruf hatte.

Es wurde rasch kühl im Schatten der mächtigen Pinie, unter der sie lagerten. Zwar zeigten sich schon erste Blätter an den Laubbäumen, aber die Frühlingssonne hatte noch längst nicht die Kälte aus Böotiens Erdreich vertrieben. Auf den gebirgigen Höhen des Kithairon lag sogar noch Schnee.

Hyppolitos klatschte dem bestens verarzteten Patienten zum Abschluss auf eine unversehrte Stelle am Schenkel. Andromachos ließ ein verbissenes Knurren hören. Davon unbeeindruckt drehte sich Hyppolitos um und machte sich daran, das Verbandszeug zusammenzuräumen. Der Anblick seiner Rückseite weckte die Lebensgeister des eben noch so jammervollen Verletzten. Andromachos konnte der Versuchung nicht widerstehen und fuhr mit einer Hand unter das kurze Gewand des Gefährten. Die Berührung der nackten Haut ließ ihn die Schmerzen vergessen. Zu gerne hätte er … Schnell blickte er sich um und stellte erfreut fest, dass weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. Behutsam ließ er seine Hand aufwärts wandern. Doch Hyppolitos entwand sich.

»Epaminondas erwartet uns, es wird höchste Zeit. Lass uns lieber gehen.« Er stand auf und reichte dem Verletzten eine Hand, um ihm aufzuhelfen.

Andromachos sah sein, dass der Freund nicht zu überreden war. Er gab sich geschlagen.

»Dann muss Dionysos mir bei dem Gelage Trost spenden, wenn Eros sich so wenig gewogen zeigt«, grummelte er, ergriff die Hand und zog sich mit einem entschlossenen Aufschrei hoch.

Hyppolitos musste lachen. »Selbst auf dem Totenbett wirst du noch lüsterne Gedanken haben«, scherzte er. Aber er liebte die direkte Art seines Gefährten, der jederzeit und überall bereit war, Eros Tribut zu zollen, und das auch ohne Scheu von ihm einforderte. Doch diesmal blieb Hyppolitos standhaft. Sobald Andromachos sicher auf den Beinen war, löste er sich von ihm und ging einen Schritt voraus. »Vielleicht gelingt es uns, dem Wein nicht zu viel zuzusprechen. Dann werden wir ja sehen, ob deine Wunde unsere Lust beeinträchtigt.« Das Versprechen, das er dem ihm zurief, wurde von Andromachos nur halbherzig zur Kenntnis genommen. Der Wein aus Samos, den Epaminondas für den heutigen Abend angekündigt hatte, schmeckte zu köstlich, um sich zurückzuhalten.

Bald darauf fanden sie sich im Haus des Epaminondas ein. Es war ihm für die Dauer seines Aufenthaltes von einem vermögenden Gönner zur Verfügung gestellt worden, der sich zurzeit in der fernen Hauptstadt Theben aufhielt. Im Atrium, der überdachten Vorhalle, hatten sich bereits etliche Männer versammelt. Die meisten von ihnen kannten Andromachos und Hyppolitos. Es waren Hopliten wie sie, Söldner, auch einige aus derselben Truppe: der Heiligen Schar. Wie Andromachos und Hyppolitos bildeten sie Männerpaare, einander in Liebe zugetan und in der Schlacht unerbittliche Kämpfer und Verbündete. Oft schon hatte die Heilige Schar dem Heer des Epaminondas den Sieg erkämpft. Unbezahlbar war die Kampfkraft, die die Männer entwickelten, um den geliebten Partner zu schützen. Jeder Feind, der einem von beiden zu Leibe rückte, wurde gemeinsam erbarmungslos niedergestreckt.

Heute jedoch erschienen sie nicht in Helm und Brustpanzer, sondern in bequeme Gewänder gekleidet. Manche hatten sich sogar mit silbernen oder goldenen Armreifen und Ringen geschmückt, ganz ungewöhnlich für Soldaten, um ihrem Gastgeber und Befehlsherrn Ehre zu erweisen.

»Da kommt Orestos«, rief Hyppolitos erfreut und ging dem Freund entgegen. Gerne ließ er sich von dem lachenden, muskelbepackten Kerl umarmen und begrüßte auch dessen Gefährten, den schönen Traianos. Die beiden gaben ein prächtiges Paar ab, fand Hyppolitos nicht zum ersten Mal: Orestos mit seinen wilden, schwarzen Lockenhaaren und kraftstrotzenden, von dicken Adern überzogenen Armen, genau wie Brust und Beine männlich behaart; seine tiefbraunen Augen funkelten hellwach, und unter seiner fleischigen Nase zeigte er ein Lachen, das vor Lebenslust und Selbstbewusstsein nur so sprühte. Und Traianos war nicht weniger kräftig, doch von feingliedriger Gestalt, und sein honigbraun glänzender Haarschopf, die hellere Haut und seine nilgrünen Augen machten ihn zu einer wahren Lichtgestalt. Er trug einen stets kurz geschorenen Bart mit einem Stich ins Rötliche, was den edlen Gesichtszügen sehr zuträglich war.

Schließlich betrat Epaminondas das Atrium und begrüßte die Männer herzlich.

»Ihr vier seid wie immer ein Anblick, der jeden Mann und jede Frau erfreut«, rief er mit echter Begeisterung, schon merklich angeheitert von den ersten Bechern Weines und der ausgelassenen Stimmung, die in seinem Haus herrschte.

Silas, ein weiterer Mitstreiter der Heiligen Schar, trat zu der kleinen Gruppe.

»Sei gegrüßt, tapferer Silas«, begrüßte ihn Hyppolitos. »Wo ist dein Gefährte, der edle Adelphos, der ebenso tapfer ist, wenn auch in angenehm bescheidener Weise?«

Andromachos versetzte seinem Freund mit dem Ellenbogen unauffällig einen Hieb in die Seite. Er wusste, dass Hyppolitos die Ruhmsucht des Silas zuwider war. Immer dann zeigte Silas größten Kampfeinsatz in den ersten Schlachtenreihen, wenn andere die grobe Arbeit für ihn bereits getan hatten. Dann aber war ihm keine heldenhafte Pose zu viel, um sich die Aufmerksamkeit der Befehlshaber zu sichern, die ihn nach der Schlacht regelmäßig mit Ehrenbezeugungen und reichen Geschenken bedachten, während andere leer ausgingen. Doch heute wollte Andromachos Streit und böse Worte um derlei Ungerechtigkeiten verhindern.

Hyppolitos ließ sich den geheimen Hieb nicht anmerken und nahm auch die Antwort des Silas gelassen hin: »Adelphos musste zur Hochzeit seiner jüngeren Schwester, das ließ sich leider nicht vermeiden. Doch unsere Liebe ist ungebrochen, das sei dir versichert, schöner Hyppolitos.«

»Wolltest du ihn nicht begleiten?« Hyppolitos ließ nicht locker.

Silas lächelte ihn süßlich an.

»Meine Liebe gilt Adelphos, nicht seiner Familie. Ich kann seine Schwester nicht leiden. Obwohl sie mir diese kostbare Spange hier hat schicken lassen, zusammen mit der Einladung.« Stolz zeigte er den Umstehenden das goldglänzende, mit Edelsteinen besetzte Schmuckstück, das knapp unter der Brust die Falten des Gewandes zusammenhielt.

»Pass bloß auf, dass du die Spange nicht verlierst«, lachte Epaminondas, »sonst rutscht dir dein Chiton vom glatten Leib.«

In der Tat war Silas gänzlich unbehaart. Die wenigen Haare, die sich unterhalb des Kopfes trotzdem ans Licht wagten, wurden umgehend und sorgsam entfernt. Das gab Anlass zu ständigem Spott, aber Silas gefiel sich mit der knabenhaft blanken Haut, daraus machte er keinen Hehl. Er ging auf den Scherz von Epaminondas ein und meinte, dass nicht nur Adelphos Gefallen an seiner Nacktheit hätte, sondern auch einer der Sklaven von Epaminondas. Seine deftige Schilderung des kleinen Abenteuers, das er vor gut einer Stunde gehabt hatte, lenkte die Unterhaltung auf amüsantere Themen.

Unter munterem Geplänkel und begleitet von den Klängen der Flöten- und Harfenspieler, begab sich die Festgesellschaft in die geräumige Aula. In der von Säulen umrahmten Halle standen gepolsterte Liegen bereit, zu losen Gruppen zusammengestellt. Epaminondas wollte die vier Gefährten in seiner Nähe haben und wies ihnen Plätze direkt neben sich zu. Bald darauf wurden von Sklaven Tischchen herbeigetragen, auf denen Schalen und Teller mit kleinen Leckerbissen den Appetit der Männer weckten. Im Liegen, den linken Arm auf Polster gestützt, verzehrten sie Oliven, Schafskäse, gefüllte Weinblätter und andere Köstlichkeiten. Da mit den Fingern gegessen wurde, reichten die Sklaven Wasser in kleinen Schüsseln herum, damit sich die Gäste die Hände waschen konnten, wann immer sie es wünschten. Dazu schenkten sie reichlich mit Honig gesüßten Wein aus, und die Stimmen und das Lachen ringsum wurden allmählich lauter und ausgelassener. Die Hauptgerichte bestanden aus schmackhaftem Lauch und verschiedenen Fleischspeisen – Blutwurst, Wildbret, Geflügel – wie auch Fischen, darunter auch gesalzene vom Schwarzen Meer, Sardellen und Aale. Zum Nachtisch gab es Kuchen oder Käse mit Honig und Nüssen. Nach dem Mahl wurden den Göttern drei Spenden dargebracht, anschließend reinigten die Sklaven Tische und Fußboden und schenkten erneut Wein aus, der diesmal mit Wasser und Gewürzen gemischt war.

Wie üblich folgte nun der gesellige Teil des Festes. Die Gäste schmückten sich mit Kränzen von Myrten und Veilchen, die ihnen gereicht wurden, und genossen die Darbietung von drei Tänzern. Bis auf ein Tuch um ihre Lenden waren sie nackt. Nach einem ersten, eher feierlich-erhabenen Tanz, bei dem sich die sehnigen Körper der jungen Männer sanft zu den Tönen einer Panflöte wiegten, folgten schnellere Rhythmen, bis die Musikanten schließlich eine wilde, ionische Weise anstimmten. Die Schlaginstrumente peitschten die drei Tänzer zu akrobatischen Sprüngen an, wobei sich ihre Leiber abwechselnd umklammerten und voneinander abstießen wie in einem eleganten Kampf. Mit großem Wohlgefallen verfolgten die Zuschauer das Spektakel. Auch diejenigen unter ihnen, die nicht der Männerliebe zugetan waren, erfreuten sich am Anblick der jungen Athleten. Die meisten Gemüter aber – ohnehin der erotischen Wirkung des männlichen Körpers erlegen – wurden angeregt durch das Schauspiel und riefen sich, durch den Wein erhitzt, derbe Scherze zu. Auch Küsse und andere Zärtlichkeiten tauschten sie aus, ohne jedoch die sich ziemende Grenze zu überschreiten.

Während des Essens und der anschließenden Darbietung hatte Epaminondas einige Anekdoten aus früheren Schlachten zum Besten gegeben und von den alten Zeiten geschwärmt.

»Ich war jung und fühlte mich unverwundbar, so wie ihr jetzt«, meinte er plötzlich versonnen. »Doch nun sehne ich mich nach Frieden. Nach einem Landgut mit Olivenbäumen und Weinstöcken und einem braven Weib, das mir ein paar gesunde Söhne schenkt.«

Andromachos und Hyppolitos sahen sich erstaunt an. »Ich dachte, dein Herz gehöre deinen Lustknaben«, äußerte sich Andromachos zu der Offenbarung des Feldherrn.

Mit bitterem Lächeln hob dieser den Kelch an den Mund und trank einen großen Schluck.

»Ein amüsanter und genussreicher Zeitvertreib«, gab er zu und leckte sich wie in Erinnerung daran die Lippen. »Und dennoch gibt es auch einen anderen Epaminondas, auch wenn es schwer vorstellbar sein mag. Zu gerne würde ich das Schwert gegen die Pflugschar eintauschen, sesshaft werden und zur Ruhe kommen. Eine Familie gründen. Aber die Götter scheinen andere Pläne mit mir zu haben.«

Andromachos und Hyppolitos warteten wie Orestos und Traianos darauf, dass er mit seiner Rede fortfuhr, doch er wechselte stattdessen das Thema und bat Hyppolitos, sich die Lyra bringen zu lassen und ein Lied vorzutragen. Gerade hatte ein anderer Gast die letzten Töne eines Stückes zu Ehren von Dionysos, dem Gott des Weines und der ausgelassenen Feste, verklingen lassen und das Instrument beiseitegelegt. Viele der anwesenden Männer konnten gut singen und auch leidlich die Lyra spielen. Es war üblich, dass sie sich bei Gelegenheiten wie der heutigen abwechselten und das Saiteninstrument von Mann zu Mann weitergereicht wurde. Aber keiner hatte eine Stimme wie Hyppolitos, der zudem noch das Lyraspiel meisterlich beherrschte.

Der junge Mann ließ sich dann auch nicht lange bitten, sondern stimmte eine bekannte Weise an, die vom schönen Königssohn Ganymed im fernen Troja erzählte. Der Göttervater Zeus entbrannte in Liebe zu ihm, entführte ihn auf den Olymp und machte ihn zu seinem Mundschenk.

Die Gäste lauschten andachtsvoll, auch Epaminondas. Nachdenklich nickte er mit dem Kopf, als wolle er sagen: ›Ja, ich weiß, wie es Zeus ergangen sein mag.‹ Vielleicht hatte Hyppolitos genau dieses Lied gewählt, um ihn daran zu erinnern, wie erfüllend die Liebe zwischen Männern sein kann, und die Gedanken an Frau und Kinder zu verscheuchen. Jeder hier im Raum wusste von seinen ausschweifenden, aber auch gefühlvollen Abenteuern mit dem einen oder anderen jüngeren Mann. Allesamt verehrten Epaminondas stets wie einen Helden und hatten nur Gutes über ihn zu berichten. Selbst wenn die Beziehung auseinanderging und der Liebhaber vom nächsten, noch jüngeren und noch hübscheren abgelöst wurde, fiel nie ein böses Wort über den Verflossenen. Epaminondas genoss nichts als Vertrauen und Zuneigung, sowohl von seinen Lustknaben wie auch von seinen Hopliten. Nächst dem Göttervater Zeus war er ihre höchste Instanz. Nicht zuletzt für ihn kämpften sie, waren sogar bereit, in den Tod zu gehen.

Und dennoch schien er heute seltsam bedrückt zu sein. Auch das heitere Hirtenlied, das Hyppolitos jetzt zum Besten gab, vertrieb nicht die Wehmut aus seinem Blick.

»Was ist los, Epaminondas«, fragte Andromachos den Älteren, nachdem Hyppolitos die Lyra einem herbeieilenden Sklaven gereicht hatte.

Epaminondas sah die Männer mit ernstem Ausdruck an.

»Es wird Krieg geben«, meinte er schließlich.

NACH DEM FEST

Theben«, schnaubte Andromachos verächtlich. Sie waren auf dem Weg zurück ins Lager. Es hatte reichlich abgekühlt, und der Name der böotischen Hauptstadt, den er so abfällig in die Nachtluft gehaucht hatte, bildete eine weiße Nebelschwade vor seinem Mund. Schwer stützte sich Andromachos auf seinen Freund und war dabei ganz hinterlistig – denn er hätte durchaus auch ohne Hilfe gehen können, hatte längst nicht so viel Wein getrunken, dass ihm die Beine versagten. Aber es gefiel ihm, seinem Geliebten so nah zu sein, seine Kraft zu spüren, seinen Körper. Ihm war kein bisschen kalt, obwohl Arme und Beine unbedeckt waren. Der Wein hatte sein Blut auf angenehmste Art erhitzt, und die Berührung Hyppolitos’ tat ihr Übriges dazu. Er bemerkte ein deutliches Kribbeln in den Lenden.

»Bleib stehen«, bat er den Freund. Hyppolitos hielt inne, war froh, kurz Luft holen zu können, denn auch er war nicht ganz nüchtern, und die Last des anderen Mannes strengte ihn nicht zu wenig an. Andromachos zog ihn an sich, umarmte ihn fest und drückte ihm die Lippen auf den Mund. Noch während ihre Zungen miteinander spielten, konnte Hyppolitos die Männlichkeit seines Geliebten an seine eigene drängen spüren. Die dünnen Gewänder boten wenig Widerstand, und bald schon wurden Küsse und Handgriffe leidenschaftlicher. Längst hatten sie die Stadt hinter sich gelassen, und es gab keinen Grund, auf dem freien Feld Zurückhaltung zu zeigen. Gerne überließ sich Hyppolitos den Zärtlichkeiten seines Freundes, die ihn die Kühle der Nacht vergessen ließen.

Eine Weile später lagen sie nebeneinander auf dem mit spärlichem Gras bewachsenen Sandboden und starrten in den Sternenhimmel, erschöpft, aber glücklich. Hyppolitos’ Gedanken zogen seltsame Kreise, kehrten aber schließlich zu den aufregenden Neuigkeiten zurück, die den ganzen Abend über Thema gewesen waren.

»Was hast du eigentlich dagegen, nach Theben zu gehen?«, fragte er unvermittelt. Er hatte die Stadt als pulsierend und glanzvoll in Erinnerung, und diesmal sollten sie sogar in den Palast des edlen Pelopidas eingeladen werden – eben jenes Mannes, der als Feldherr vor wenigen Jahren die Hauptstadt Böotiens aus den Klauen der Spartaner befreit hatte.

»Freust du dich nicht, dem berühmten Pelopidas gegenübertreten zu können?«, fragte er weiter. »Stell dir vor: Du, ein Bauernjunge aus Arkadien, wirst mit dem größten Feldherrn aller Zeiten speisen!« Hyppolitos war richtig aufgeregt angesichts der Entwicklung, die ihr Leben plötzlich nehmen sollte. Denn wirklich, Epaminondas hatte den beiden Gefährten eröffnet, dass er sie in die Hauptstadt mitnehmen wollte. Es war gut möglich, dass es wieder Krieg mit Sparta geben würde. Er musste sich mit Pelopidas beraten, bevor er weiter nach Sparta reiste. In Sparta würden weise und edle Männer aus ganz Griechenland zusammenkommen, um noch einmal zu versuchen, den Frieden zwischen Böotien und Sparta zu bewahren. Und Hyppolitos und sein Freund sollten Epaminondas begleiten. Wie konnte Andromachos das nicht großartig finden?

»Ach, es geht mir nicht um Pelopidas. Oder um Theben.« Andromachos’ Stimme war sein Missfallen anzuhören, dass Hyppolitos das Thema wieder anschnitt. Er war nie besonders wortgewandt, und schon gar nicht jetzt, wo der Weinrausch seine Sinne benebelte. Vom Rausch der Lust, der noch in seinem Blut nachglühte, ganz zu schweigen.

»Was ist es dann?«, wollte Hyppolitos wissen.

Andromachos antwortete nicht sofort, suchte erst die richtigen Worte.

»Ja, ich bin ein Bauernjunge«, meinte er schließlich. »Und vielleicht liegt es daran, dass ich mir nichts aus Feldherren und reichen Männern mache. Vor allem aber halte ich nichts von Politik.«

Hyppolitos war überrascht.

»Du bist doch immer noch Grieche. Die Politik ist dir in die Wiege gelegt worden. Wir Griechen haben sie erfunden.«

Andromachos musste lachen über die schlichte Denkweise seines Geliebten. Doch dann wurde er sehr ernst.

»Mir ist nichts als Kummer und Leid in die Wiege gelegt worden«, sagte er leise. »Das harte Los der Bauern hat nichts mit Politik zu tun. Nur mit Überleben.« Er richtete sich auf, wurde lebhafter. »Für dich ist das etwas anderes. Du entstammst einem vornehmen Geschlecht, hast Bildung und Wohlstand genossen. Dir hat man raffinierte Gedanken und philosophische Theorien beigebracht. Ich kenne nur das gesprochene Wort, das zählt, nicht die Gedanken, die dahinter verborgen sein können. Politik ist nichts als Täuschung und Wortgewandtheit, um eigene Interessen zu verfolgen.«

Obwohl Hyppolitos nicht derselben Meinung war, beeindruckte ihn doch die klare Haltung seines Gefährten.

»Sicher ist Pelopidas anders«, erwiderte er ernst und führte zu Recht an, dass Epaminondas den Feldherrn wahrhaft verehrte. »Wenn du wirklich so große Stücke auf Epaminondas hältst, wie du immer behauptest, dann könntest du ihm in dieser Sache ruhig mehr Vertrauen schenken. Dieser große Mann ist jeden Einsatz wert. Er will wirklich nur das Beste für sein Volk.«

Andromachos seufzte, nicht gewillt, mit seinem Freund über Politik zu streiten.

»Zeus gebe, dass du recht hast«, meinte er versöhnlich. Sein Blick fiel auf den Gegenstand, den Hyppolitos gedankenvoll zwischen den Fingern drehte. Im fahlen Licht der Sterne hatte er kurz aufgeblinkt. »Was hast du da?«, wollte er verwundert wissen.

Mit einem schelmischen Lächeln hielt Hyppolitos ein Schmuckstück hoch. Es war die Brosche des Silas! Er musste sie dem Kerl im Lauf des Festes entwendet haben. Andromachos lachte belustigt auf. Er kannte den Hang seines Geliebten, kleine Diebereien zu begehen. Je schwieriger es war, der einen oder anderen Sache habhaft zu werden, desto größer schien ihm die Verlockung, in deren Besitz zu kommen. Meist tat er es nur des Abenteuers wegen und gab den ahnungslosen Opfern das Diebesgut zurück. Wahrscheinlich würde er das auch in diesem Fall tun, aber im Moment interessierte Andromachos eine andere Sache.

»Wie hast du es nur geschafft, Silas die Spange abzunehmen, ohne dass er sein Gewand verlor?«

Hyppolitos freute sich, dass sein Freund den wahren Reiz des Diebstahls erkannt hatte. Er erzählte, wie er schon beim angeberischen Anpreisen der Spange den Gedanken gefasst hatte, dem Protzenden das Ding zu entwenden. Aus einem der kleinen Grillspieße, die zum Mahl gereicht wurden, fertigte er einen Haken an. Und im rechten Moment, als der betrunkene Silas ihn wieder einmal zu stürmisch umarmte, konnte er mit einem Handgriff die wertvolle Spange entfernen und blitzschnell den Haken an deren Stelle bringen.

Andromachos schüttelte missbilligend den Kopf, konnte aber seinem Geliebten nicht wirklich böse sein.

»Dein Leichtsinn wird dir eines Tages noch großen Ärger einbringen«, meinte er nur. Mit einiger Anstrengung raffte er seine vom Wein schweren Glieder vom Boden auf und schlug vor aufzubrechen. Die Stallung, die ihnen als Unterkunft diente, war noch ein gutes Stück entfernt, und er sehnte sich nach dem warmen Heubett, auf dem sie nächtigten. Er reichte seinem Freund die Hand und half ihm hoch. Gemeinsam schlugen die beiden Männer noch ihr Wasser ab, bevor sie weitergehen wollten. Dabei überkam Hyppolitos wieder der Übermut, denn er hielt unversehens die kostbare Spange in den kräftigen Strahl des Geliebten. Andromachos trat schimpfend einen Schritt zurück, um den Spritzern zu entgehen, aber Hyppolitos lachte nur, zufrieden über seinen Streich.

»Die zusätzliche Vergoldung wird Silas sicher gefallen.«

GROSSE AUFGABEN

Im Jahr 371 vor Christus war Theben eine der mächtigsten Städte Griechenlands. Der Sage nach hatte Kadmos, ein phönizischer Königssohn, die Stadt nach dem Willen der Götter und einem Orakelspruch auf den Vorhöhen des Teumessos gegründet. Zuvor musste er jedoch einen Drachen besiegen, dessen Zähne er anschließend auf Geheiß der Göttin Athene aussäte. Die gewaltigen Krieger, die daraufhin dem Erdboden entsprangen, bekämpften sich gegenseitig, bis schließlich die fünf letzten Frieden schlossen und unter dem Befehl des Kadmos mit ihm die Stadtmauern erbauten. Eine Stadtmauer mit sieben Toren.

Durch eines dieser Tore ritten Andromachos und Hyppolitos nun in Theben ein, wenige Wochen nach dem Fest. Die gigantischen Felsblöcke, aus denen die Mauer gefügt war, schienen Hyppolitos wahrhaftig von Riesen aufgetürmt. Beeindruckt sah er sich das Wunderwerk an, während sein Freund ihn zur Eile mahnte. Tatsächlich hatte sich der Tross des Epaminondas schon weiter bewegt, und sie mussten Anschluss halten. Die wohlgeordneten Bauten, die mit ebenmäßig gehauenen Steinen gepflasterten Straßen und das muntere Treiben der Bewohner faszinierten Hyppolitos, und zu gerne hätte er sich länger Zeit gelassen, alles in sich aufzunehmen. Doch ihr Auftrag ging vor.

Epaminondas ließ verkünden, dass sie am frühen Abend bei Pelopidas vorsprechen sollten. Somit blieb zumindest ausreichend Zeit, sich in der Unterkunft – einem kasernenartigen Ziegelbau, in dem sich auch die Stallungen befanden – einzurichten, sich zu erfrischen und dem würdigen Anlass entsprechend umzukleiden.

Außer dem üblichen Rüstzeug, das aus Brustpanzer und Beinschienen bestand, hatten Andromachos und Hyppolitos nur noch einen leichten Chiton zur Verfügung, der ausreichen musste. Zusätzlich streifte sich Hyppolitos noch breite silberne Spangen über beide Oberarme, worauf Andromachos missbilligend schnaubte.

»Übertreibst du nicht ein wenig?«, fragte er den Freund. »Schließlich ist Pelopidas im Grunde auch nur ein Soldat. Kein König.«

Hyppolitos wollte das nicht gelten lassen.

»Nicht jeder Soldat hat einen Palast. Er erweist uns mit der Einladung Ehre. Und warum soll ich mich dann nicht gebührend schmücken?« Mit verschränkten Armen stellte er sich stolz vor Andromachos in Pose, wohl wissend, dass die glänzenden Spangen seinen ansehnlichen Bizeps gut zur Geltung brachten. »Gefällt dir nicht, wie ich damit aussehe?«, fragte er herausfordernd.

»Du trägst den Schmuck ja nicht für mich«, brummte Andromachos, während er seine Sandalen schnürte.

»Wenn du willst, trage ich ihn nur für dich, wenn wir zurückkehren heute Nacht. Und sonst nichts«, schlug Hyppolitos vor, um seinen Geliebten etwas aufzuheitern. Er wusste natürlich, dass dem vor der heutigen Abendgesellschaft graute. Vielleicht würde ihn das verheißungsvolle Versprechen ein wenig gelassener machen.

Tatsächlich musste Andromachos lachen.

»Um mich für diesen Abend, der ohne Zweifel anstrengend wird, zu entschädigen, wirst du sicher mehr tun müssen.«

Hyppolitos trat zu ihm und umfasste ihn von hinten.

»Nur zu gerne«, schnurrte er dem Freund ins Ohr, während er sich fest an ihn drückte. Mit gekonnten Handgriffen massierte er die verspannten Schultermuskeln seines Gefährten und entlocke ihm ein wohliges Brummen. Hyppolitos musste grinsen. Er freute sich, dass er anscheinend wieder einmal die richtigen Worte und Handgriffe gefunden hatte, um Andromachos’ sperrigen Widerwillen zu besänftigen.

Bald darauf trabten sie hinter Epaminondas durch die Gänge des Palasts, um Pelopidas zu treffen. Den Bereich der Außenmauern mit ihren strategisch platzierten Öffnungen, die herrliche Ausblicke auf die von der Abendsonne in das schönste Licht getauchte Stadt oder die umgebende Landschaft boten, verließen sie nach einer Weile. Sie passierten zahlreiche Wachen auf ihrem Weg, der nun über mehrere Ecken und Stufen tief ins Innere des Gebäudes führte. Eigentlich hatte Hyppolitos erwartet, dass sie den Abend mit dem berühmten Feldherrn und einer festlichen Gesellschaft in einer großen Halle verbringen würden. Umso erstaunter war er, als sie schließlich von zwei Sklaven in einen Raum gebracht wurden, der kaum größer als eine Kammer war. Pelopidas saß an einem Tisch und studierte eine Schriftrolle, sprang jedoch sofort erfreut auf, als die Männer eintraten. Herzlich umarmte er seinen alten Freund Epaminondas und küsste ihm Stirn und Wangen. Dann wandte er sich dessen Begleitern zu.

»Und das sind also die beiden tapferen Männer, die uns helfen werden.« Mit einem wohlgefälligen Lächeln musterte er Andromachos und Hyppolitos. »Bei Zeus«, meinte er schließlich, »wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, wüsste ich nicht, welchen von beiden ich als Liebhaber bevorzugen würde.«

Epaminondas musste lachen.

»Wenn du ein paar Jahre jünger wärst, hättest du vermutlich alle beide vernascht.«

Pelopidas stimmte in sein Lachen ein und umarmte Andromachos und Hyppolitos, als ob sie die besten Freunde wären. Hyppolitos spürte die erregende Aura aus Macht und Charisma, die der berühmte Feldherr ausstrahlte. Trotz seiner Scherze war Pelopidas mit seinen vierunddreißig Jahren natürlich längst kein alter Mann, sondern strotzte vor Kraft und Lebenslust. Der silberne Schimmer, der das ansonsten pechschwarze Haar an den Schläfen aufhellte, stand ihm ausgezeichnet. Und als Pelopidas’ Blick aus strahlend grünen Augen den seinen traf, wurde Hyppolitos richtig schwindelig. Nun verstand er, warum dieser Feldherr die Herzen ganzer Heerscharen gewann.

Auch Andromachos wirkte sichtlich entspannter. Zweifellos war er erleichtert, dass die Zusammenkunft sich als so zwanglos herausstellte. Hyppolitos musste lächeln, als bereits nach kurzer Zeit sein Geliebter dem neuen Freund kameradschaftlich auf die Schulter schlug wie einem alten Kriegskumpan. Ein solcher Umgang gefiel jedoch Pelopidas, darum wurde es ein lustiger Abend. Junge Sklaven brachten ihnen – wie es üblich war völlig nackt – Wasser, Wein und verschiedene Delikatessen. Der Lebensart des Pelopidas entsprechend wurden eher deftige Gerichte als überfeinerte Leckereien gereicht, und auch das gefiel Hyppolitos genau wie Andromachos.

Nach einigen unterhaltsamen Erzählungen von vergangenen Schlachten, an die sich Pelopidas und Epaminondas gemeinsam erinnerten, kamen sie auf die bevorstehende Friedensversammlung in Sparta zu sprechen.

»Ich traue Athen nicht«, meinte Epaminondas skeptisch, und Pelopidas stimmte ihm zu.

»Der von den Persern erzwungene Königsfrieden zwischen den griechischen Städten ist dank Spartas aggressiver Politik hinfällig. Die Belagerung Thebens vor wenigen Jahren ist noch nicht vergessen.«

»Noch dessen Befreiung, die wir vor allem dir zu verdanken haben«, warf Epaminondas ein.

Pelopidas fuhr fort: »Noch immer halten die Spartaner unsere Hafenstadt Thespiai besetzt, allen Klauseln des Friedensvertrages zum Hohn. Und Athens vermeintliche Solidarität mit Theben ist nur ein Vorwand, um selbst wieder die Vormacht zu erlangen. Wir müssen vorsichtig sein.«

»Wer sind bei den kommenden Verhandlungen in Sparta die wichtigsten Stimmen?«, wollte Andromachos wissen.