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Flucht ins Paradies Der Wiener Philosoph Karl Popper rettet sich ebenso über die Ozeane bis nach Neuseeland wie der Dichter Karl Wolfskehl, andere führt ihr Weg aus den Versuchsräumen des Doktor Mengele in Auschwitz über die verschiedensten Stationen bis zu den Maori. Freya Klier schildert die bewegenden Schicksale jüdischer Emigranten, deren Biographien kaum unterschiedlicher sein könnten und die doch eines verbindet: ihre Flucht nach Neuseeland, das Land, das am weitesten von Deutschland entfernt ist und in dem sie endlich Schutz vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten finden. Geschickt verknüpft Freya Klier die Lebenswege der Protagonisten zu einem Stück mitreißend erzählter Weltgeschichte von 1930 bis 1948. Gleichzeitig zeichnet sie die spannende Vergangenheit ihres Zufluchtsortes Neuseeland nach, des Gelobten Landes am anderen Ende der Welt. „Geschichten, die das Leben schrieb – und die sich besser niemand hätte ausdenken können.“ Süddeutsche Zeitung
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Seitenzahl: 462
FREYA KLIER
Gelobtes Neuseeland
Fluchten bis ans Ende der Welt
Mit 22 Abbildungen
ISBN 978-3-8412-0521-6
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, September 2012
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die Originalausgabe erschien 2006 bei Aufbau Taschenbuch; Aufbau Taschenbuch ist eine Marke der Aufbau
Verlag GmbH & Co. KG
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Umschlaggestaltung morgen, Kai Dieterich
unter Verwendung zweier Motive von © Corbis
Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart
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Inhaltsübersicht
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Impressum
Inhaltsübersicht
I. TEIL: 1930–1938
1930
1. Ein Neuseeländer in Berlin
2. Die manierlichen Deutschen
3. Aus Neu-Pommern wird Neu-Britannien
1933
1. Die ersten Anzeichen des Terrors
2. Von Humanismus zu Heimat und Rasse
3. Neuseeland darbt
4. »Kauft nicht beim Juden!«
1934
1. Wolle für Deutschland
2. Bleiben oder gehen?
3. Von »Halbjuden« und »Ostjuden«
4. Im Land Mussolinis
1935
1. »Spontaner Volkszorn«
2. Ein neuseeländischer Handelsmissionar
3. Hochzeit in Jerusalem
4. Die Zeit von Labour bricht an
1936
1. Olympischer Frieden
2. Einwanderer – Ja oder Nein?
3. Die Hatz auf Ärzte
4. Himmlisches Jerusalem
5. Die »Arisierung«
6. Ausreise aus Wien
1937
1. Antisemitismus in God’s own country ?
2. Aufpoliertes Deutschtum
3. Mit NSDAP-Mitgliedern auf Reisen
4. Stationen in Palästina und Europa
1938
1. Eine Hochzeit in Wien
2. Ein italienisches Rassegesetz
3. Neuseeländische Härte
4. Warten aufs Exil
5. Ein sächsischer Graf in Neuseeland
6. Hans im Glück
II. TEIL: 1939–1945
1939
1. Das Ende der Tschechoslowakei
2. London – Wartesaal für Übersee
3. Kindertransporte
4. Die Tore schließen sich
5. Am Rand des Erdkreises
6. Der Krieg bricht aus
1940
1. Der Vertrag von Waitangi
2. Die deutsche West-Offensive
3. Die Stunde Winston Churchills
4. Enemy Aliens
5. Die neuen Farmer
6. Die letzten Flüchtlinge
7. Bar-Mizwa in Berlin
1941
1. Sehnsucht nach Nähe
2. Verdächtige Deutsche
3. Im Kampf gegen die Nazis
4. Zu Besuch in Christchurch
5. Der Davidstern
1942
1. Japanischer Vorstoß
2. Die Wannseekonferenz
3. Interniert für 999 Tage
4. Die Amerikaner kommen!
5. Ein Land rückt zusammen
6. Pfannkuchen für die SS
1943
1. Welten voneinander entfernt
2. Der Weg nach Auschwitz
3. Von Erfolgen und Niederlagen
4. Krieg über deutschen Städten
5. Nylons und Jeeps
1944
1. Kriegsverläufe
2. Konkurrenten
3. Der »totale Krieg«
4. Geschichten einer Familie
5. Kinder aus Polen
1945
1. Der Todesmarsch
2. Hoffnung auf ein Wiedersehen
3. Die Befreiung
4. Die Stunde Null
5. »Ich bin die einzige, die noch lebt.«
6. Lebensgier
III. TEIL: 1946–1948
1946
1. Neuanfänge
2. Die Schatten des »Dritten Reiches«
3. Der Wunsch nach Heimkehr
4. Britische Episoden
5. Der Umgang mit Schuld
1947
1. Wiederbegegnungen
2. Displaced Persons
3. Aufbruch und Abschied
4. Friedensgefühle
5. Neuseeländische Unabhängigkeit
1948
1. Die letzten Flüchtlinge des »Dritten Reiches«
2. The British Way of Life
3. Berlin-Blockade
4. Tod im Exil
Epilog
Bibliographie
Bildnachweis
Dank
Im Herbst 1930 schreibt sich ein junger Neuseeländer am Institut für Ausländer und kurz darauf für ein Pädagogikstudium an der Humboldt-Universität Berlin ein. Der junge Mann nennt sich Reuel Anson Lochore. Neuseeländer sind im frühen 20. Jahrhundert nicht eben häufig in Deutschland zu finden: Die Schiffspassage ist lang und teuer, und seit dem Ersten Weltkrieg gibt es in Neuseeland eine gewisse Abneigung gegenüber dem ehemaligen Feind Deutschland. Nicht allerdings bei Reuel Lochore; er bewundert die deutsche Sprache und Kultur – eine Vorliebe, die sich bis zum Ende seines Lebens nicht verlieren wird.
Der 27jährige wuchs als Sohn eines Methodistenpfarrers und einer Lehrerin für Gehörlose an der Westküste der Nordinsel Neuseelands auf, in Taranaki, dem »Garten Neuseelands«, der, gekrönt von einem majestätischen Vulkan, auf halbem Weg zwischen Auckland und Wellington liegt und in die wilde Tasman Sea hinausragt. Reuel hat an der Universität in Auckland Englisch, Französisch, Latein, Philosophie und Psychologie studiert, danach hat er als Lehrer an einem College in der Hauptstadt Wellington gearbeitet. Nun zieht es ihn nach Europa, das heißt vor allem nach Deutschland, um seine Studien in Sprachen, Literatur und Philosophie fortzusetzen. In Berlin will er zunächst die deutsche Sprache richtig lernen. Neuseeland zu verlassen fällt dem jungen Mann 1930 nicht allzu schwer: Das Land stürzt infolge des »Schwarzen Freitags« an der New Yorker Börse 1929 gerade in eine tiefe Wirtschaftskrise, wie so viele Länder weltweit. Die Stimmung ist miserabel, nichts ist mehr zu spüren von dem leichten Wirtschaftsaufschwung, der Neuseeland in den zwanziger Jahren belebt hat. Das regierende Drei-Parteien-Kabinett aus Konservativen und Liberalen scheint nicht in der Lage, die Probleme zu lösen, der Premier Sir Joseph Ward ist aus Krankheitsgründen soeben zurückgetreten, und eine Lösung der inländischen Probleme scheint nicht in greifbarer Nähe zu liegen.
Lochore ist begeistert von der Reichshauptstadt Berlin. Wirtschaftlich herrscht hier zwar eine ähnliche Flaute wie in Wellington, bestimmen Konkurse, Preisverfall und Arbeitslosigkeit das alltägliche Bild – doch die Atmosphäre dieser turbulenten Metropole findet er überwältigend.
Nur wenige Tage nach seiner Ankunft, er spricht kaum ein paar Brocken Deutsch, gerät der junge Mann vom anderen Ende der Welt in eine der 1930 häufigen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten. Plötzlich findet er sich in einer dichten, aufgebrachten Menge auf der Straße wieder; was der Aufruhr zu bedeuten hat, weiß er nicht. Als sich ihm ein Junge mit einem Flugblatt nähert, warnen ihn die Umstehenden, es keinesfalls zu nehmen. Doch er läßt sich einen Zettel geben, schon aus reiner Neugierde, worauf sich ein Mann zu ihm umdreht und ihn fragt, ob er Kommunist sei: »Nein«, antwortet Lochore, »ich bin Ausländer.« Und dann beginnen die Menschen um ihn herum, von allen Seiten auf ihn einzutrommeln; sie bedrängen ihn, er bekommt Panik.
Jahrzehnte später wird er einem neuseeländischen Reporter berichten, wie er sich zu wehren versuchte: »Ich bot ihnen die Stirn und sagte unmißverständlich: ›Ich bin Ausländer. Ich bin kein Deutscher. Ich verstehe nicht, was Sie wollen.‹ Ich war bereit, ihnen das zu beweisen, aber ein Mann unmittelbar hinter mir sagte: ›Sieh zu, daß du wegkommst.‹ Er bahnte mir einen Weg durch die Menge, damit ich herauskam. Ich ging und war nicht ernsthaft verletzt, aber ich hatte eine dunkle Ahnung davon bekommen, was für eine politische Stimmung sich in Deutschland zusammenbraute.«
Das deutsch-neuseeländische Verhältnis hat 1930 bereits mehrere Wechselbäder hinter sich. Bis zum Weltkrieg gab es kaum Probleme, am wenigsten mit den deutschen Siedlern in Neuseeland, die vor allem wegen ihrer Tüchtigkeit geschätzt wurden. Etwa 7000 deutschsprachige Immigranten zählte man um die Jahrhundertwende auf der pazifischen Doppelinsel, was nach den Briten, die 95 Prozent aller weißen Bewohner Neuseelands stellten, die immerhin zweitgrößte europäische Einwanderungsgruppe war. Die meisten Deutschen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hier eingetroffen: Lutheraner aus Mecklenburg, Preußen oder Hannover, Katholiken aus dem Egerland und schließlich auch Schweizer und Österreicher. Sie alle hatten sich gut integriert.
Vor der Jahrhundertwende ankerten in Wellington oder Auckland zeitweise mehr deutsche Schiffe als englische, Fregatten, die auf Namen wie »Hertha«, »Helgoland« oder »Leipzig« getauft waren. Und obwohl es sich meist um Kriegsschiffe handelte, herrschte beim Landgang der Matrosen stets eine harmonische Atmosphäre zwischen Einheimischen und deutschen Seeleuten. Die Deutschen zeigten sich in diesen friedvollen Zeiten von ihrer manierlichen Seite, gaben einmal sogar ein Benefiz-Konzert zugunsten der Aucklander Waisenhäuser.
Mit dem Übergang zum 20. Jahrhundert begann sich die Harmonie jedoch zu verflüchtigen. Vor dem Hintergrund einer wachsenden kolonialen Rivalität zwischen Deutschland und England liefen deutsche Schiffe nun immer seltener in die neuseeländischen Häfen ein. Für die britische Seeherrschaft im südpazifischen Raum stellte die deutsche Kriegsmarine mehr und mehr eine Bedrohung eigener Interessen dar, und diese Spannungen übertrugen sich auf das kleine Neuseeland, das über keine eigene Kriegsflotte verfügte und auf den englischen Schutz angewiesen war.
Auch das Auftreten der Deutschen änderte sich. Mit zunehmender Präsenz in der Region wuchsen deutsche Herrschaftsansprüche: Bisher war das Deutsche Reich eher ein Nachzügler unter den kolonialen Großmächten gewesen. Bismarck hatte sich in der Zeit nach der Reichsgründung der Expansion durch koloniale Territorien in Übersee gegenüber zunächst reserviert verhalten – er befürchtete nur geringe wirtschaftliche Vorteile, dafür aber erhebliche politische und militärische Konsequenzen. 1884 gab er dem Druck des »Kolonialfiebers« deutscher Siedler und einheimischer Lobbyisten jedoch nach, so daß die Deutschen neben ihrem Engagement in Afrika nun einen Teil Neuguineas übernahmen, den sie in Kaiser-Wilhelms-Land umbenannten, dazu ein paar umliegende Inseln, die sie als Dank an den deutschen Reichskanzler Bismarck-Archipel tauften. Deutsche Handelsmissionen in Mikronesien folgten. Ende des 19. Jahrhunderts wurde noch im Südpazifik im Westen von Samoa – nach gütlicher Einigung mit den Amerikanern, denen der Ostteil der Insel gehörte – die deutsche Flagge gehißt.
Die Kolonialisierung ging trotz verschiedener Interessenkonflikte mit den anderen Kolonialmächten weitgehend friedlich vonstatten, und die Deutschen waren keineswegs unbeliebt in der Fremde. Ihre Gouverneure verhielten sich im großen und ganzen taktvoll und respektierten die vorherrschende Kultur. Als der deutsche Gouverneur von Samoa 1911 nach Berlin zurückkehrte, folgte ihm die Bitte der einheimischen Häuptlinge, er möge bald zurückkehren. Der Handel blühte, und Deutschland hatte einen regen Anteil daran. Namen wie Schaffhausen, Schwenke, Jahnke oder Schuster zeugen heute noch von den fruchtbaren Beziehungen der beiden Kulturen in damaliger Zeit.
Die deutsche Kolonialzeit im Südpazifik endete 1914. Mit Ausbruch des Weltkrieges eroberte Neuseeland im Auftrag der britischen Kriegsmarine in einem ersten Kriegsakt West-Samoa. Im Verlaufe der Übernahme der anderen deutschen Kolonialgebiete wurden in den folgenden Jahren Archipele wie Neu-Mecklenburg oder Neu-Pommern in Neu-Irland und Neu-Britannien umgetauft, Australien übernahm das Kaiser-Wilhelms-Land.
Neuseeland, treuer Bündnispartner der britischen Krone, trat schon bald in den bewaffneten Kampf ein und fand sich damit zum erstenmal in seiner Geschichte in eine internationale militärische Auseinandersetzung verstrickt. Mehr als 100 000 Männer zogen in einen Krieg, der eigentlich weit weg war – in einem Land mit damals nicht viel mehr als einer Million Einwohner bedeutete das, daß fast jeder zehnte davon betroffen war. Sogar ein Freiwilligenkontingent mit Maori wurde aus Neuseeland entsandt, trotz des Wunsches der britischen Regierung, »Eingeborenen«-Truppen von einem Krieg zwischen »weißen Rassen« fernzuhalten. Gemeinsam mit der australischen Kolonie stellten die Neuseeländer das Australian and New Zealand Army Corps (ANZAC), dessen Männer im Verlaufe des Krieges den Suez-Kanal überquerten, auf Kamelen durch Syrien und Palästina ritten, durch Frankreich und Belgien marschierten – und auf der türkischen Halbinsel Gallipoli eine traumatische Niederlage erlitten.
Die einstige Freundschaft mit Deutschland verkehrte sich nun in erbitterte Feindschaft. Vor allem nachdem 1915 ein deutscher Torpedo ein ziviles Linienschiff versenkte, brachen sich in Auckland und Wellington antideutsche Gefühle Bahn: Zunächst wurden die Schaufenster des Fleischerladens eines deutschen Einwanderers von einer aufgebrachten Menge zerstört, die Geschäfte alteingesessener Firmen mit deutschen Namen wie Hallensteins oder Dresden Piano Company folgten. Und als 1917 noch ein neuseeländisches Passagierschiff von einer deutschen Mine in die Tiefe gerissen wurde, gerieten die eigentlich friedlichen Neuseeländer endgültig in Rage – wer einen deutschen Namen trug, tat nun gut daran, ihn so schnell wie möglich zu anglisieren.
Die Kriegsanstrengungen überstiegen schließlich sämtliche Kapazitäten des Landes, die Bewohner der idyllischen Doppelinsel gerieten völlig aus dem Tritt: Da waren der endlose Strom von verwundeten Heimkehrern und die wirtschaftliche Belastung, etwa die Hälfte der wehrfähigen männlichen Bevölkerung stand unter Waffen, schließlich die persönlichen Verletzungen und individuellen Leidensgeschichten, welche die Kriegszeit produzierte. Allein mehr als 4000 Kinder mußten zeitweilig von staatlichen Institutionen betreut werden, weil ihre Eltern oder Mütter mit der Situation nicht mehr zurechtkamen. Am Ende dominierte der blanke Haß auf alles Deutsche.
1918 gehörte Neuseeland zwar zu den Siegermächten, doch waren fast 17 000 Männer auf den Schlachtfeldern geblieben – ein Verlust, der im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung deutlich höher lag als beispielsweise der Belgiens. Insgesamt 50 000 Gefallene und Verwundete hatte das Land zu verkraften, das war fast die Hälfte aller Soldaten, die in den Krieg gezogen waren. Und kaum herrschte Frieden, raffte eine Grippe-Epidemie noch einmal mehrere tausend Opfer hinweg. Das Land steckte in einer tiefen Krise.
Als die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 in Deutschland an die Macht kommen, fährt der Berliner Schüler Peter Muenz gerade auf der Krummen Lanke Schlittschuh: »Und da haute mir einer meiner Klassenkameraden ganz freundlich auf den Rücken und sagte: ›Siehste, jetzt ist unser Hitler Reichskanzler geworden!‹ Ich bin nach Hause und habe meiner Mutter das erzählt, die hatte es natürlich auch schon gehört und war entsetzt. Es herrschte schlagartig im Haus eine bedrückte Stimmung, auch unter unseren Freunden, den jüdischen und den nichtjüdischen. Die waren ja alle links eingestellt. Und dann haben wir uns ziemlich rasch entschieden, auszuwandern.«
Der 12jährige ist tief getroffen, denn er ist Kommunist. Dafür hat er schon öfter eine gelangt gekriegt – in seiner Klasse gibt es keine Kommunisten außer ihm, das macht es schwer. Daß er zudem noch Jude ist, hat sich – glücklicherweise – bei seinen Mitschülern noch nicht herumgesprochen.
Eigentlich stammt Peters Familie aus Chemnitz, wo sein kaisertreuer jüdischer Großvater im Nachbarort eine Strumpffabrik besitzt. Dessen vier Kinder sind eine illustre Mischung: Ein Onkel von Peter ist Kapellmeister, der andere Zionist, der ist schon 1924 nach Palästina ausgewandert, die Tante ist Kommunistin und wird später im Spanischen Bürgerkrieg auf den Barrikaden stehen. Peters Mutter hat, als sie Leo Muenz kennenlernte, ihr Volkswirtschaftsstudium in Leipzig abgebrochen, um den jungen Mann zu heiraten. Der war Pazifist, Sozialdemokrat und ein belesener Augenarzt, und auch er stammte aus einer alten jüdischen Familie. Im Weltkrieg war Peters Vater Arzt in einem deutschen Lazarett, auch in französischer Kriegsgefangenschaft arbeitete er weiter als Arzt. Nach Kriegsende ließ er sich in Chemnitz nieder, um eine Praxis zu eröffnen.
1927 ist der Vater plötzlich gestorben. Die Mutter verkaufte die Arztpraxis und zog mit den beiden Kindern nach Berlin. Sie erstand ein kleines Haus in einer Bauhaus-Siedlung in Berlin-Zehlendorf und zugleich eine Unterkunft im italienischen Tessin, weshalb Peter stets den Sommer in einer italienischen und den Winter in einer deutschen Schule verbrachte. Doch damit ist jetzt Schluß – Familie Muenz beschließt im März 1933, auszuwandern, zusammen mit einer Freundin der Mutter und deren Tochter. Sie werden ein Haus am Lago Maggiore mieten, in einem kleinen Ort nahe Ascona.
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