Gemeinde kommt von gemeinsam - Wilhelm Faix - E-Book

Gemeinde kommt von gemeinsam E-Book

Wilhelm Faix

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Beschreibung

Nie mehr Mitarbeitermangel? Was wie ein Traum klingt, ist tatsächlich möglich: nämlich dann, wenn wir die Menschen in unseren Kirchen und Gemeinden ernst nehmen, mit ihren Gaben und Fähigkeiten fördern und in die Arbeit vor Ort einbeziehen. Wie das geht? Mit Teamarbeit. Teamarbeit ist der beste Weg zur mitarbeitenden Gemeinde. Davon ist Wilhelm Faix überzeugt und erklärt Schritt für Schritt, wie eine Gemeinde auf Teamarbeit aufgebaut werden kann. Jedes Gemeindeglied kann und soll dabei seinen Gaben entsprechend mitarbeiten. Neben theoretischen Grundlagen und Erfahrungswissen aus der Praxis sind nach jedem Abschnitt auch Fragen zur Reflexion und zum Aufarbeiten enthalten. So können die Inhalte als Grundlage für Mitarbeiterschulungen, Seminare und zum Aufbau einer Teamarbeit in der Gemeinde dienen.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2022 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.grafikbuero-sonnhueter.de, unter Verwendung eines Bildes © Cienpies Design (Alamy Vektorgrafik)

Lektorat: Hauke Burgarth, Pohlheim

DTP: Burkhard Lieverkus

Verwendete Schrift: Chaparral, Myriad

eBook: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, Köln, www.ppp.eu

ISBN 978-3-7615-6873-6 Print

ISBN 978-3-7615-6874-3 E-Book

www.neukirchener-verlage.de

 

 

 

 

 

 

 

 

Pfarrer Dr. Otto Riecker dem Gründer des Lebenszentrums und Theologischen Seminars Adelshofen

Inhalt

Vorwort 11

Mein Traum 13

Einleitung 15

1. Teil: Grundlagen für Teamarbeit 18

Nie mehr Mitarbeitermangel 19

Gründe für den Mitarbeitermangel 19

Der Königsweg der Mitarbeitergewinnung 20

Zum gegenwärtigen Gemeindebild 21

Wie wird man Mitarbeiter? 22

Leiten und führen 25

Was hat die Mitarbeiterfrage mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun? 29

Warum wird Teamarbeit in Gemeinden kaum praktiziert? 33

1. Teamarbeit kommt in der Ausbildung der Hauptamtlichen nicht vor 33

2. Teamarbeit ist zeitaufwendig 34

3. „Wir haben nicht genügend Mitarbeiter“ 34

4. Individualisierte Lebenshaltung 34

Biblische Grundlagen für Teamarbeit 35

1. Gott arbeitet im Team 35

2. Das Priestertum der Gläubigen 37

3. Die Sendung zu zweit 38

4. Nachfolge und Nachahmung 41

5. Die Gemeinde als Bau und Leib 46

Gemeindephilosophie 75

Zusammenfassung der biblischen Grundlage für eine Teamarbeit 79

2. Teil: Was ist Teamarbeit? 82

Was ist ein Team? 84

Ein Team ist nichts für Genies 86

Ein Team ist eine Dienstgemeinschaft 87

Die interne Sozialstruktur eines Teams 88

Entwicklungsphasen eines Teams 89

1. Vom Ich zum Wir 89

2. Der Zusammenhang von sach- und psychosozialer Ebene 90

3. Phasenverlauf eines Teams 90

Interaktionsebenen eines Teams 92

Wie sehen die Interaktionsebenen eines Teams aus? 92

Teamwerte 96

3. Teil: Wie funktioniert Teamarbeit? 98

Konstruktive Streitkultur und Konfliktbewältigung im Team 99

Bedingungen für die Zusammenarbeit eines Teams 106

Ein Team muss in seiner Größenordnung überschaubar sein 106

In einem Team sollen alle Mitglieder gleichberechtigt sein und Verantwortung tragen 107

Ohne Teamleiter geht es nicht 108

Ein Team muss zusammenwachsen. 108

Ein Team muss die äußeren Bedingungen der Zusammenarbeit klären 109

Ein Team versteht sich als Einheit und steht wie ein Mann zusammen 110

Teamarbeit kostet Zeit und Opfer 110

Die pädagogische Aufgabe der Mitarbeiterfindung und -förderung 111

Lernen am Modell oder Lernen durch Tun 112

Die biblische Methode, Mitarbeiter zu gewinnen: das Kettenreaktionsprinzip 115

DasDurchlassprinzipinderTeamarbeit 117

MitarbeiterbrauchenRaumzurEntfaltung 121

MitarbeiterbraucheneinBildungsangebot 123

Gaben entdecken durch Teamarbeit 124

Gaben entdecken und einsetzten. 125

Den Gaben entsprechend dienen 126

Kommunikationsstruktur eines Teams 128

Arbeitsschritte eines Teams 129

Beschreibung der sechs Arbeitsschritte: 130

Mitarbeitermultiplizierung durch Teamarbeit 138

4. Teil: Worauf gilt es, bei Teamarbeit zu achten? 140

Effektive Teamleitung 141

Notwendigkeit 141

Was heißt Teamleitung? 142

Warum Teamleitung? 142

Aufgaben einer Teamleitung 144

Worauf sollte im Ablauf einer Teamsitzung geachtet werden? 149

Kooperative Arbeitsformen 152

Persönlichkeit und Leiterschaft 154

Persönlichkeit und Teamfähigkeit 154

Persönlichkeit und Charisma 157

Das Charisma der Leitung 159

Kann man Leiterschaft lernen? 162

Mitarbeiter führen/Teamcoaching 164

Was ist Coaching? 165

Worin besteht der Unterschied zwischen Mentoring und Coaching? 167

Was gilt es beim Coaching zu beachten? 170

Soziale Kompetenz 180

Wirksamkeit 183

Die Mitarbeiterphilosophie 185

Übung macht den Meister 187

Motivation und Begeisterung 191

Teamarbeit fördert Resilienz 194

Unser Autobahndenken 197

5. Teil Gemeindekonzeption auf Teambasis 200

Was ist eine Gemeindekonzeption? 203

Was sind die Grundelemente einer Gemeinde? 205

Arkanum 205

Dienstbereich 206

Veranstaltungsbereich 206

Aktionsbereich 206

Sammlung und Sendung 207

Verantwortungs- und Leitungsstruktur einer Gemeinde auf Teambasis 209

Die Gemeinde 211

Veranstaltungen 211

Teams 211

Dienstgruppen 211

Mitarbeiterkreis 212

Dienstgruppenleiterkreis 213

Das Leitungsteam der Gemeinde 214

Die Ältesten der Gemeinde 218

Eine Konzeption umsetzen 221

Epilog 226

Test zur Selbstprüfung der Teamfähigkeit 228

Literatur 232

Vorwort

Das Wort Team ist in aller Munde und wird in jeder Gemeinde selbstverständlich verwendet. Warum also ein Buch zur Teamarbeit? Gerade weil der Begriff Team so selbstverständlich geworden ist, braucht es eine Aufarbeitung aus theologischer wie auch aus gemeindepädagogischer Sicht. Nicht alles, was sich Teamarbeit nennt, ist es auch.

In diesen Ausführungen habe ich Erfahrungen aus meiner Gemeindepraxis, der Gemeindeberatung, meiner Dozententätigkeit am Theologischen Seminar Adelshofen im Fach Teamarbeit und den unterschiedlichen Seminaren in Gemeinden zusammengefasst. Gemeinde zu bauen und zu führen in einer singularisierten und entkirchlichten Gesellschaft ist nicht mehr so einfach, wie wir es über Jahrhunderte gewohnt waren. Ich möchte eine Sicht vermitteln, wie Gemeinde durch Teamarbeit gebaut werden kann und wie jedes Gemeindeglied ein begeisterter Mitarbeiter werden kann, um Menschen für Jesus zu gewinnen.

Danken möchte ich meinem Sohn Tobias für seine Beratung und hilfreichen Hinweise, meiner Tochter Sara, die Korrektur gelesen hat, und meiner Enkelin Aimeé für die Skizzen des Leibes, der nur Auge und Fuß ist (Abb. 2 und 3). Bei den Abbildungen 13, 14 und 29 hat mir Dr. Manfred Baumert geholfen.

Ich widme das Buch Pfarrer Dr. Otto Riecker (1896–1989), der einer der wenigen Theologen ist, die das Leib-Glied-Denken für die Ausbildung von Hauptamtlichen und die Gemeinde vertrat und umsetzte.

Nun hoffe ich, dass die Leserinnen und Leser von den Ausführungen inspiriert werden und sie vielen in der Gemeinde zur Hilfe in der Mitarbeiterförderung und im Gemeindeaufbau werden.

Adelshofen, April 2022

Wilhelm Faix

Mein Traum

Ich träume von einer Gemeinde, in der sich alle Mitglieder als Mitarbeiter verstehen und darum jedes Gemeindeglied, jung oder alt, am Gemeindeleben beteiligt ist.

Ich träume von einer Gemeinde, die keinen Mitarbeitermangel kennt, weil jedes Gemeindeglied mitarbeitet und jedes neue Gemeindemitglied als neuer Mitarbeiter aufgenommen und in die Mitarbeit einbezogen wird.

Ich träume von einer Gemeinde, in der alle Arbeits- und Dienstbereiche und alle Gruppen von einem Team geleitet werden und jedes Team einen Teamleiter hat, der mit den anderen Teammitgliedern in Einheit und Gleichberechtigung zusammenarbeitet.

Ich träume von einer Gemeinde, die keinen Leitermangel hat, weil über die Teamarbeit ständig neue Leiter entwickelt werden.

Ich träume von einer Gemeinde, die auf einer Teamvision aufgebaut ist und darum dynamisch, effektiv und entwicklungsfähig ist.

Ich träume von einer Gemeinde, deren Leitungsteams in einem ständigen geistlichen Lernprozess stehen, der sich auf die ganze Gemeinde überträgt und darum alle ergriffen hat.

Ich träume von einer Gemeinde, die gemeinsame Ziele verfolgt, weil sie eine gemeinsame Vision hat, die ständig erneuert wird.

Ich träume von einer Gemeinde, die in Einheit lebt, weil die Glieder der Gemeinde in den Teams gelernt haben, konflikt­fähig zu sein und darum Konflikte konstruktiv austragen können.

Ich träume von einer Gemeinde, die ihre Mitarbeiter fördert und weiterentwickelt, sodass die Mitarbeiter zu dynamischen, vollmächtigen und geistlich ausgerichteten Menschen werden.

Ich träume von einer Gemeinde, die nach vorne ausgerichtet lebt und den Menschen unserer Zeit in kompetenter und leidenschaftlicher Weise das Evangelium Christi vorlebt und verständlich verkündigt.

Ich träume von einer Gemeinde, die so flexibel ist, dass sie jeden neu für Christus gewonnen Menschen integrieren kann und zum verantwortlichen Mitarbeiter heranbildet.

Einleitung

„Die beste Praxis ist eine gute Theorie.“

Dieser Satz begleitet mich schon ein Leben lang. In der Regel unterscheidet man zwischen Theorie und Praxis. Der Theoretiker, so die Meinung, hat keine Ahnung von der Praxis, und der Praktiker interessiert sich nicht für die Theorie. Aber so muss es keineswegs sein. Theorie und Praxis gehören zusammen und ergänzen sich gegenseitig. Je mehr es gelingt, theoretische Erkenntnisse mit der Praxis zu verbinden, desto größer ist die Aussicht, dass die Praxis auch das Leben durchdringt. Dabei spielt die biografische Entwicklung eine wichtige Rolle. Wie verstehe ich mein Christsein? Welche Gemeindetheologie hat mich geprägt? Wie habe ich bisher Gemeinde erlebt? Auf die Gemeinde übertragen bedeutet es: Wie stark ist mein Gemeindebild von bestimmten traditionellen Vorgaben geprägt? Welche Bedeutung haben „neue“ Erkenntnisse? Warum kann ich neue Erkenntnisse nicht in die Praxis umsetzen? In der Theologie spielt das „Was“ die wichtigste Rolle. Es geht um dogmatische und ethische Erkenntnisse auf der Grundlage des Wortes Gottes. Wie diese umgesetzt und gelebt werden, bleibt in der Regel offen. Es fehlt an der Verbindung zwischen Theorie und Praxis. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, diese Verbindung am Beispiel der Teamarbeit herzustellen.

Im ersten Teil geht es um das Gemeindeverständnis und einen damit verbunden Denkansatz, der Voraussetzung für Teamarbeit ist. Teamarbeit ist von diesem Gemeindeverständnis her gedacht und wird konsequent auf die Gemeinde angewandt. Diese Sicht kann nur dann nachvollzogen werden, wenn wir die Bilder der Gemeinde von Bau (der Vergleich mit dem Bau eines Hauses) und Leib (wie unser Körper funktioniert) – wie Paulus sie uns sehr anschaulich vor Augen malt – verstanden haben. Diese beiden Bilder von der Gemeinde sind zwar nicht unbekannt, werden aber nur selten umgesetzt. Darum empfiehlt es sich, die Ausführungen zum neutestamentlichen Gemeindebild vom Bau und Leib gut zu studieren. Die Aufgaben und Reflexionen zu den jeweiligen Abschnitten der einzelnen Kapitel sollen helfen, die von Paulus entfalteten Gemeindebilder nachzuvollziehen und auf die Gemeinde anzuwenden. Das Denken von Paulus ist besonders stark von der Vorstellung bestimmt, dass die Gemeinde wie unser menschlicher Leib funktioniert. Ich nenne das Leib-Glied-Denken. Wer das Leib-Glied-Denken verinnerlicht hat, dem wird es nicht schwerfallen, die Ausführungen im zweiten bis vierten Teil nachzuvollziehen. In diesen Teilen geht es ganz praktisch darum, wie Teams gebildet, betreut und für die Gemeindearbeit fruchtbar gemacht werden. Auch hier sind hinter jedem Abschnitt Reflexionsaufgaben, die es zu bearbeiten gilt. Sie haben ebenfalls die Zielsetzung, dass die dargestellten Abläufe eingeübt und in die Praxis umgesetzt werden. Je konsequenter dies geschieht, desto einfacher wird sich die Teamarbeit in die Gemeindearbeit integrieren. So kann man die gesamten Ausführungen auch als Gemeindekurs zur Mitarbeiterbildung auf der Basis von Teamarbeit verstehen.

Im fünften Teil geht es um die Entwicklung einer Gemeindekonzeption auf der Basis von Teamarbeit. Die Vision ist so konzipiert, dass jede Gemeinde sie auf die eigene vorhandene Struktur anwenden kann, um sie dann Schritt für Schritt umzusetzen. Die Grafiken sollen helfen zu verstehen, wie die Teamarbeit in die vorhandene Gemeindestruktur eingegliedert werden kann.

Die Kapitel bauen aufeinander auf und ergänzen sich gegenseitig. Die Fragen sollen dem Leser oder Teilnehmer in Schulungen und Seminaren zur Reflexion anregen und ihm helfen, den jeweiligen Abschnitt zu verarbeiten. Das Buch soll aber auch als Grundkurs zur Mitarbeiterschulung in Teamarbeit dienen. Die Vorgehensweise kann dabei unterschiedlich sein. Das Buch kann sowohl als Grundlage einer systematischen Schulung dienen als auch in unterschiedlichen Teilbereichen. Diejenigen, die bereits Erfahrung in der Teamarbeit haben, können einzelne Abschnitte herausgreifen und in ihre eigenen bisherigen Erfahrungen aufnehmen, sei es zur Vertiefung oder auch zur Ergänzung.

1. Teil:Grundlagen für Teamarbeit

Nie mehr Mitarbeitermangel

Wer möchte nicht in seiner Gemeinde für alle Aufgaben, Ideen und Veranstaltungen immer genügend Mitarbeiter haben? Ist das nicht eine Illusion? Ein Wunsch, der sich nie erfüllen wird? Natürlich ist die Aussage steil und ungewohnt. Aber es stellt sich die Frage, ob wir uns in den Gemeinden nicht längst damit abgefunden haben, dass es nie genügend Mitarbeiter geben wird. Liegt der Mangel nicht in der Natur der Sache? Es stellt sich auch die Frage: Warum braucht es überhaupt Mitarbeiter? Es gibt doch in jeder Gemeinde einen oder mehrere Hauptamtliche?

Gründe für den Mitarbeitermangel

Es gibt viele Gründe und Ursachen für Mitarbeitermangel. Ein Grund kann sein, dass die Gemeinde überaltert ist und es überhaupt an Potenzial fehlt, um Mitarbeiter heranzubilden. Ein anderer Grund ist, dass fähige Leute in der Kinder- und Jugendarbeit weggehen und niemand da ist, der nachrücken kann. In manchen Gemeinden ist der Anspruch an einem Mitarbeiter so hoch, dass nur wenige diesen Ansprüchen genügen. Man sucht den fertigen Mitarbeiter. Wieder andere gehen nach dem Lustprinzip vor. Finden sie jemanden, der Lust hat mitzuarbeiten, dann darf er mitarbeiten. Bei so manchem Mitarbeiter lässt die Motivation nach, weil er sich allein gelassen fühlt oder die Ansprüche zu hoch sind. Es kann aber auch sein, dass die Vorstellungen für eine Mitarbeit festgelegt sind und neue und andere Formen keine Beachtung finden. Junge Menschen sind oft nur bereit, für eine bestimmte Zeit mitzuarbeiten oder möchten nur ein Projekt durchführen. Fehlt die Offenheit für solch eine begrenzte Mitarbeit, ziehen sich diese Gemeindeglieder schnell zurück. Vielleicht sollte überlegt werden, wie die Mitarbeiterfrage in der Gemeinde praktiziert wird und ob nicht neue Formen gefunden werden können.

Fragen zum Gespräch und zur Reflexion:

Wie wird die Mitarbeiterfrage in Ihrer Gemeinde gehandhabt?Wie wird man Mitarbeiter?Wie könnte der Mitarbeitermangel behoben werden? Welche Vorstellungen haben Sie?

Der Königsweg der Mitarbeitergewinnung

Sicherlich gibt es viele Wege und Möglichkeiten, Mitarbeiter zu gewinnen, anzuleiten und zu fördern. Ich möchte einen Weg zur Mitarbeitergewinnung aufzeigen, den ich allerdings für den Königsweg halte. Es ist der Weg über die Teamarbeit.

Vielleicht denken jetzt viele: Das ist doch ganz selbstverständlich, wir alle arbeiten doch im Team. Es ist richtig, der Begriff Team gehört zu den selbstverständlichsten Aussagen, wenn es um die Mitarbeiterschaft geht. Aber ist alles, was unter dem Namen Team läuft auch wirklich Teamarbeit?

Es gibt keine einheitliche Definition von Teamarbeit. Das Team ist oft ein Synonym für eine Aufgabe, die von mehreren Personen wahrgenommen wird. Dabei geht es lediglich um die Verteilung von Aufgaben. Jeder der in solch einem Team mitarbeitet, ist ein Einzelkämpfer und bleibt es auch.

Ich verstehe unter Teamarbeit etwas anderes, wenn ich von einem Königsweg spreche, der zur Mitarbeitermultiplikation führt. Um diesen Königsweg erfolgreich zu beschreiten, bedarf es einiger grundlegender Voraussetzungen im biblisch-theologischen Denken. So wie es einige Grundprinzipen im Leben gibt, die eine Voraussetzung für Bildung und Ökonomie sind, so ist es auch mit der Teamarbeit. Nur wer das Einmaleins beherrscht, kann auch komplizierte Rechenaufgaben lernen und lösen. Nur wer das ABC beherrscht, kann schreiben, lesen und sich weiterbilden. So ist es auch mit Teamarbeit. Nur wer das Einmaleins der Teamarbeit kennt und akzeptiert, wird langfristig eine Gemeinde aufbauen können, in der es keinen Mitarbeitermangel gibt.

Fragen zum Gespräch und zur Reflexion:

Wie verstehen Sie (Ihre Gemeinde) Teamarbeit? Welche Fragen haben Sie, wenn es um das Teamverständnis geht?

Zum gegenwärtigen Gemeindebild

Die Themen Gemeinde und Gemeindewachstum gehören im Augenblick nicht zu den aktuellsten. Die Mitarbeiterfrage wird kaum angesprochen und diskutiert. Wenn man von Gemeinde spricht, dann denkt man automatisch an eine Kirche, in der sonntags ein Gottesdienst von einem Pfarrer oder einer Pastorin abgehalten wird. Gemeinde wird wesentlich als Gottesdienstgemeinde verstanden. Neben dem Gottesdienst kann es dann noch unterschiedliche Gruppen geben wie: Jungscharen, Kindergruppen, Jugendgruppen, Hauskreise, Chöre, Musikteams, Seniorenkreise und verschiedene Projekte-Teams. Das ist sicherlich von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich – jede Gemeinde hat da eine bestimmte theologische Prägung und einen kirchengeschichtlichen Hintergrund. Im Zentrum aller Gemeinden aber steht der Gottesdienst. Der Gottesdienstbesuch ist das Maß für eine wachsende Gemeinde. Diese klassische Form des Gemeindeverständnisses fängt immer mehr an zu bröckeln. In einer individualisierten Gesellschaft, die durch die sozialen Medien bestimmt wird, wird auch ein immer stärker individualisiertes Christsein gelebt. Braucht es da noch örtliche Gemeinde? Ist die Zukunft nicht die Online-Gemeinde? Jeder sucht sich die Gemeinde, die seinem Verständnis entspricht.

Ich bin überzeugt, dass die Gemeinde der Zukunft die Gemeinde sein wird, in der jedes Gemeindeglied mitarbeitet und seinen Fähigkeiten und Gaben entsprechend beteiligt wird. Jeder, der zur Gemeinde gehört, ist nicht nur Glied der Gemeinde, sondern auch Mitarbeiter. Ich erweitere hier ganz bewusst das Mitarbeiterverständnis. Die Gemeinde als Organismus (Leibgedanke bei Paulus) ist so zu verstehen, dass jedes Glied und alle Organe im Leib notwendig sind, damit der Leib funktionieren kann. Darum muss die Gemeinde so organisiert sein, dass auch alle Glieder – von dem Jüngsten bis zum Ältesten – ihren Platz haben und zum Ganzen der Gemeinde beitragen. Es gibt also keine passiven und aktiven Gemeindeglieder, sondern alle sind in irgendeiner Weise aktiv. Gemeinden, in denen alle mitarbeiten, sind wachsende Gemeinden. Roberto Bottrel schreibt in seinem Buch Multiplikation den bemerkenswerten Satz: „Eine evangelistische Gemeinde, die die Gesellschaft beeinflusst, ist nicht auf einen Pastor gerichtet, sondern in der ist jeder Gläubige ein Pastor.“1 Über solch eine Aussage lohnt es sich nachzudenken.

Fragen zum Gespräch und zur Reflexion:

Welches Mitarbeiterverständnis haben Sie, bzw. herrscht in Ihrer Gemeinde?Worin besteht der Unterschied im Mitarbeiterverständnis: Können nur bestimmte Personen Mitarbeiter sein oder ist jedes Gemeindeglied ein Mitarbeiter?

Wie wird man Mitarbeiter?

Die Mitarbeiterfrage ist in jeder Gemeinde eine der wichtigsten Fragen im Gemeindewachstum. Wie jemand Mitarbeiter wird, kann unterschiedlich gehandhabt werden. In der Regel ist es so: Eine Mitarbeiterin scheidet aus irgendeinem Grunde aus. Es wird jemand gesucht, der die ausscheidende Mitarbeiterin ersetzt. Am Sonntag wird im Gottesdienst abgekündigt, dass dringend eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter für die Gruppe XY gesucht wird. Meldet sich jemand, ist das Problem gelöst, bis wieder einmal jemand gesucht wird. Neben der Abkündigung kann man natürlich auch einzelne Personen fragen, ob sie nicht mitarbeiten wollen. Es kann aber auch sein, dass ein Gemeindeglied eine Idee hat, ein Projekt zu beginnen. Wird diese Idee für gut befunden, ist die Person verantwortlich für das Projekt und damit Mitarbeiterin der Gemeinde. Als Mitarbeiter gilt, wer eine Tätigkeit im Rahmen der Gemeinde ausübt – alle anderen Personen sind Teilnehmer oder Besucher. Damit kein Missverständnis entsteht: Dieser Weg, Mitarbeiter zu finden und zu werden, ist völlig in Ordnung, und er wird auch in vielen Gemeinden erfolgreich praktiziert.

Dieses Modell hat aber auch Schwächen, weil die Mitarbeiterfindung dem Zufall überlassen wird und es kaum eine fortlaufende Begleitung der Mitarbeiter gibt. Da wir in einer Zeit leben, in der alle wenig Zeit haben und häufig gestresst sind, finden sich nicht viele, die auf diese Weise als Mitarbeiter gewonnen werden können. So leiden viele Gemeinden unter einem ständigen Mitarbeitermangel. Oft kann man auch erleben, dass einzelne Gruppen oder Kreise über Jahrzehnte von der gleichen Mitarbeiterin geleitet werden. Macht sie es gut, ist die ganze Gemeinde voller Lob für sie und man hält diese Person für unersetzbar. Es gibt aber auch Mitarbeiter, die ihre Sache weniger gut machen, aber keiner wagt, es ihnen zu sagen. Vielleicht hält sich dieser Mitarbeiter auch selbst für unentbehrlich. Wir wissen zwar, dass Mitarbeiter nicht vom Himmel fallen, aber es gibt in den meisten Gemeinden kein Konzept, um Mitarbeiter heranzubilden und zu begleiten.

Ich möchte an einem praktischen Beispiel verdeutlich, welcher Weg verheißungsvoller ist.

Ich war 17 Jahre alt. Bis zu meinem 15. Lebensjahr wuchs ich in einem kleinen Dorf in der ehemaligen DDR auf. Von Gemeinde, ­Jugendarbeit, Mitarbeiterschaft hatte ich noch nie etwas gehört. Das Einzige, was ich kannte, war der sonntägliche Gottesdienst. So ging ich nach meiner Flucht aus der ehemaligen DDR sonntags in den Gottesdienst. Eines Tages sprach mich Martin an, und fragte mich, ob ich ihm nicht helfen wollte, eine Jugendgruppe zu gründen. Ich schaute ihn etwas verdutzt an und meinte, dass ich noch nie in einer Jugendgruppe gewesen bin und auch nicht wüsste, was das ist und was man da macht. Er meinte daraufhin, dass ich einfach mit ihm kommen sollte, er würde es mir zeigen. „Wie soll das denn gehen?“, dachte ich. Er erklärte mir, dass die Jugendgruppe am Dienstag um 19.30 Uhr im Gemeindehaus beginnen sollte und wir uns um 18.30 Uhr treffen würden, um zu besprechen, was wir machen wollten. „Das geht nicht“, sagte ich, „ich arbeite bis 17 Uhr. Bis ich zu Haus bin, gegessen habe und mit der Straßenbahn ins Gemeindezentrum gefahren bin, schaffe ich es höchstens, bis 19.30 Uhr da zu sein.“ „Dann machen wir es so“, sagte Martin. „Du kommst nach der Arbeit gleich zu mir nach Hause. Ich wohne nicht weit vom Gemeindezentrum entfernt. Wir besprechen das Programm, essen gemeinsam Abendbrot und dann fahren wir in die Gemeinde.“ Ich sagte zu. So fuhr ich jeden Dienstag nach der Arbeit zu Martin. Wir sprachen darüber, wie der Abend gestaltet werden könnte, wer welche Aufgabe übernehmen sollte, dann beteten wir zusammen. Anschließend aßen wir Abendbrot, das seine Frau liebevoll hergerichtet hatte, und dann fuhren wir ins Gemeindehaus. Für mich war alles Neuland, aber auf diese Weise wurde ich langsam als Mitarbeiter herangezogen, ohne Kurs, ohne theoretisches Vorwissen, ohne Prüfung, ob ich auch die geistliche Reife hätte. Später schickte Martin mich auch zu einer Mitarbeiterschulung, aber begonnen hat es mit dem gemeinsamen Leben. Martin hat es wie Jesus gemacht. Sicherlich nicht ganz so, denn es war nur einmal die Woche einige Stunden lang. Aber er lud mich auch zu anderen Zeiten zu sich ein. Ich wurde in die Familie aufgenommen. Ich lernte Jugendarbeit, geistliche Führung und geistliches Leben über die Praxis kennen. Das wurde mir zu einem Vorbild (Modell), wie man Mitarbeiter gewinnen und heranbilden kann. Die Idee der Teamarbeit war in mir eingepflanzt worden und hat sich langsam zu dem Konzept entwickelt, das ich nun hier vorstelle.

Vielleicht fragt jetzt der eine oder andere: Braucht es überhaupt Schulungen und Lehrgänge für Mitarbeiter? An diesem Beispiel möchte ich deutlich machen, dass das praktische Lernen mit einem erfahrenen Mitarbeiter die beste Lehrmethode ist, die wir später unter Modelllernen ausführlich beschreiben werden. (vgl. Seite 112ff.) Diese praktische Lehrmethode braucht natürlich auch die theoretische Unterweisung. Beides gehört zusammen und baut aufeinander auf.

In den meisten Gemeinden bekommen Mitarbeiter weder eine Unterweisung noch haben sie ein Modell, an dem sie lernen können. Sie sind sich selbst überlassen oder bringen von ihrem Studium oder Beruf Erfahrungen mit, die sie jetzt in der Gemeinde anwenden. Die Mitarbeiterfindung auf diese Weise führt zu einer gewissen Auslese. Nur bestimmte Personen, die von ihren säkularen Berufserfahrungen profitieren, werden Mitarbeiter, alle anderen haben kaum eine Chance. Ich beschreibe mit dem Modell der Teamarbeit einen anderen Weg, Mitarbeiter zu gewinnen und zu fördern, der langfristig zu einer Gemeinde führt, in der jeder Mitarbeiter ist.

Fragen zum Gespräch und zur Reflexion:

Wie werden in Ihrer Gemeinde Mitarbeiter gesucht und gewonnen?

Leiten und führen

Das Thema „Leiten und Führen“ gehört seit Jahren zu den Top-Themen in Kirche, Gemeinde und Mission. Kongresse, Tagungen und Seminare zum Thema Leitung werden gerne besucht und haben großen Zulauf. Die Literatur zum Thema „Leiten und Führen“ ist kaum noch zu übersehen. Es gibt eine Vielfalt von Leitungsmodellen. Ich habe sie mit Interesse studiert. Sie haben mich stets sehr angesprochen und innerlich berührt. Meine Frage war immer wieder: Wie werde ich solch ein Leiter? Gute Leitung und Führung ist offensichtlich kein Selbstläufer.

Wodurch unterscheiden sich meine Ausführungen von anderen? Ich versuche, konsequent das Modell Teamleitung auf alle Bereiche der Gemeindearbeit anzuwenden, während in der meisten Literatur das Team nur nebenbei behandelt oder indirekt vorausgesetzt wird.2

Es stellt sich die Frage: Kann man leiten und führen lernen?

Auf Kongressen und Tagungen werden viele unterschiedliche Themen angeboten mit Eigenschaften eines guten Leiters wie Leiterschaftsmerkmale, Führungsstile, geistliche Qualitäten wie Demut, Liebe und Empathie. In Ausbildungsstätten und Hochschulen wird Leiterschaft unterrichtet. Man weiß, was ein guter Leiter braucht, wer ein guter Leiter ist, und welche Qualitäten ein guter Leiter besitzt. Was aber kaum oder gar nicht angesprochen wird, ist, wie alle diese guten Eigenschaften, Erkenntnisse und Ratschläge im Leben des Leiters und dann in den Gemeinden umgesetzt werden können. So kann man lesen, dass der Lebensstil Jesu Vorbild für unseren Leitungsstil ist.3 Dann wird betont, dass Jesus durch sein Vorbild leitete, indem er mit den Jüngern lebte und ihnen diente und dass zur geistlichen Führung Gebet, Demut und Gottvertrauen gehören. Nehemia wird gerne als solch ein Vorbild genannt, der Leitungsqualität hatte.4 Wie diese genannten Qualitäten aber im gegenwärtigen individualisierten Gemeindeleben umgesetzt werden können, bleibt offen, da die Praxis im Gemeindealltag ihre eigenen Wege geht. Leiterschaft will aber im Miteinander des Gemeindealltags in kleinen Schritten gelernt und eingeübt werden.

Der Appell, ein Vorbild zu sein, reicht nicht aus, wenn der Hörer dieser Apelle sich selbst überlassen wird. War das die Lehrmethode Jesu? Nein! Jesus teilte sein Leben mit den Jüngern. Die Jünger erlebten Jesus, wie er morgens, als er aufstand, betete, wie er durch die Dörfer zog und mit den Menschen sprach, wie er Kranken und Leidenden half und sie heilte, wie er mit Menschen, die im Wohlstand lebten, umging, wie er mit Führungspersonen diskutierte und wie er sie genauso wie das Volk lehrte. Jesus teilte das Leben mit den Jüngern. Das war Jesu Lehrmethode.

Hier merken wir, dass wir in unserer westlich geprägten Denk- und Lebensweise an unsere Grenzen kommen. Unsere Lehrmethode hat kaum noch etwas mit der Lehrmethode Jesu zu tun. Unsere Lehrmethode besteht in Wissensvermittlung. Wir halten Vorträge, Predigten, Seminare und Kongresse; die Teilnehmer erwerben Zertifikate über Leiten, Führen und geistliches Wachstum, aber in der Praxis ändert sich oft wenig. Die beeindruckenden Ausführungen über den Leitungsstil Jesu und anderer Personen in der Bibel bleiben wirkungslos, wenn sie nicht eingeübt werden.

Wir müssen fragen, wie wir die Lehrmethode Jesu heute noch in einer individualisierten Gesellschaft praktizieren und das Leben mit anderen teilen oder sie an unserem Leben teilhaben lassen können. Wo und wie ist das im Alltag der Gemeinde möglich?

Eine der beeindrucktesten Darstellungen zur geistlichen Leiterschaft findet sich in den Ausführungen von Magnus Malm.5 Ein Gedanke hat sich mir besonders eingeprägt, dass die Defizite eines Leiters größere Auswirkungen haben als seine Stärken. Wenn diese Erkenntnis richtig ist, dann ist Teamarbeit die Antwort darauf. Teamarbeit ist auf Ergänzung der eigenen Defizite angelegt.

Damit sind wir bei einem wichtigen Thema: der Persönlichkeit (vgl. Seite 154: Persönlichkeit und Leiterschaft). Jede Persönlichkeit hat ihre Stärken und Schwächen, das gilt auch für Leiter. Es gibt natürlich Leiter, die in ihrer Persönlichkeit viel von dem abdecken, was an Vorzügen zur Leitung und Führung notwendig ist. Diese Leiter vermitteln oft den Eindruck, dass keine weiteren Mitarbeiter gebraucht werden oder nur solche, die mit ihnen zusammen arbeiten können. Was aber ist mit den Leitern, die starke Defizite (um es mit Malm zu sagen) haben? Auch diese Leiter neigen dazu, die Gemeinde nach ihren Qualitäten auszurichten. Was sie nicht können, kommt auch nicht in der Gemeinde vor. Sie haben nicht die Gabe, Mitarbeiter anzuleiten und zu fördern, also gibt es kaum Mitarbeiter in der Gemeinde oder nur solche, die von sich aus Initiative ergreifen und mitarbeiten. In einer Teamleitung geht es darum, dass die Teammitglieder sich gegenseitig unterstützen, ergänzen und korrigieren und ihren Gaben und Fähigkeiten entsprechend agieren. Dies ist zunächst ein Prozess, der sich im Team vollzieht und dann nach außen erfolgreich praktiziert werden kann. Im säkularen Bereich spricht man von team­integrierter Leitung.6 Genau darum geht es in diesen Ausführungen: dass wir einen teamintegrierten Leitungsstil finden, den wir mit dem neutestamentlichen Gabenprofil verbinden.

Bevor wir aber einzelne Fragen behandeln können, wie Teamleitung erfolgreich praktiziert werden kann, müssen wir noch auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu sprechen kommen, die das persönliche Christsein, das Gemeindeverständnis und die Mitarbeiterfrage betreffen.

Fragen zum Gespräch und zur Reflexion:

Wie wird in Ihrer Gemeinde Leitung praktiziert?Warum haben die vielen guten Vorträge und Bücher über Leitung, die es gibt, kaum eine Auswirkung in der Gemeindepraxis?

1 Bottrel, Roberto (2019), S. 24.

2 SokannmaninMutzurLeitung (hrsg. vonGemeinsamfürBerlin, 2019) denSatzlesen: „LeitendearbeitenimTeamundkümmernsichumdieMitarbeiter/innen.“WiedieseTeamarbeitaussieht, wirdnichtgesagt. TeamarbeitisteinStichwortunterzehnanderenQualitäten, dieeinguterLeiterbesitzensollte (S. 45–46).

3 Vgl. dazudiesehrgutenAusführungenvonSchönheit, Swen (2013); GemeinsamfürBerlin (2019), S. 13–20.

4 Vgl. Walvoord, JohnF.; Zuck, RoyF. (1991), S. 253. InideaSpezial5/2021, S. 22abgedrucktmitdemTitel: LeitenwieNehemia. 20ErfolgsfaktorenfürguteFührung.

5 InFreiheitdienen (2020).

6 Vgl. Preißler, Norman (2015).

Was hat die Mitarbeiterfrage mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun?

Die Gemeinde Jesu besteht nun schon knapp zweitausend Jahre. In diesen zweitausend Jahren hat sich die Gesellschaft immer wieder verändert. Das Leben zur Zeit Jesu war völlig anders als das heutige. Das erste Gemeindeleben fand in den Häusern statt (Röm 16,5). Es gab weder Kirchen noch Gemeindehäuser. In den ersten drei Jahrhunderten waren die Christen eine Minderheit, die verfolgt wurde. Das Gemeindeleben musste im Verborgenen stattfinden. Die Katakomben in Rom geben ein eindrückliches Zeugnis davon. Trotzdem kamen Menschen zum Glauben und die Gemeinde wuchs.

Mit der sogenannten konstantinischen Wende 312 n. Chr. kam es zur Christianisierung des Römischen Reiches. Das Christentum wurde zur Staatsreligion (Imperium Romanum Christianum). Das gesamte Leben wurde vom Staat unter christlichen Gesichtspunkten geregelt. Im Mittelpunkt standen der Priester und die Messe, die in lateinischer Sprache gehalten wurde. Mit der Reformation durch Martin Luther im 16. Jahrhundert änderte sich das dahingehend, dass die Predigt (in deutscher Sprache) zum Zentrum des Gottesdienstes wurde. Auch wurde Wert auf eine verordnete Frömmigkeit gelegt7, die sogar über Visitationen kontrolliert wurde. Mit dem Pietismus und den verschiedenen Erweckungsbewegungen (ab dem 18. Jahrhundert) wurde der persönliche Glaube betont, der sich in gelebter Frömmigkeit ausdrückte.8 Zum Gottesdienst kam die wöchentliche Bibelstunde. Evangelisation und Mission wurden Kennzeichen gelebten Glaubens. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich neben dem Gottesdienst und der Bibelstunde verschiedene Kreise für junge Männer und Frauen, dann für Jugendliche und Kinder. Diese Kreise wurden zu Beginn von Hauptamtlichen gehalten und gingen allmählich in die Verantwortung der Ehrenamtlichen über. Mittelpunkt allen Gemeindelebens aber blieb der Gottesdienst. Die verschiedenen Kreise existierten in der Regel neben dem Gottesdienst und auch nicht in allen Gemeinden.

Was war der Grund, dass immer mehr Kreise für verschiedene Altersgruppen neben dem Gottesdienst entstanden? Das gesellschaftliche Leben hatte sich verändert. Mit der Aufklärung begann die Individualisierung aller Lebensbereiche, dazu kam die wirtschaftliche Entwicklung mit der aufkommenden Industriegesellschaft und den Arbeitersiedlungen. Das soziale Miteinander der Handwerksbetriebe löste sich langsam auf, ebenso das staatlich verordnete Verständnis christlichen Lebens wie zum Beispiel die Sonntagsheiligung (Es durfte nicht nur nicht gearbeitet werden, es fanden auch keine weltlichen Veranstaltungen statt), der Gottesdienstbesuch und anderes mehr. Die Gruppenarbeit nahm an Bedeutung zu, weil über die Altersgruppen Menschen erreicht werden konnten, die über den Gottesdienst nicht mehr zu erreichen waren. Mit der Säkularisierung veränderte sich auch das öffentliche christliche Bewusstsein. Die Gesetzgebung aber war weiterhin von christlich-ethischen Vorstellungen geprägt. Das Verständnis von Christsein (ob berechtigt oder unberechtigt, kann hier nicht diskutiert werden) bestand weithin darin, dass der Staat gesetzlich regelte, was bestimmte ethische Verhaltensweisen betraf wie Ehe, Scheidung, Sexualität, Sterbehilfe, Abtreibung etc. Die Aufgabe der Kirche bestand darin, zum Glauben zu rufen (Evangelisation) und die Gemeindeglieder im Glauben zu festigen (Gottesdienst, Bibelstunde). Diese Symbiose hat sich inzwischen weitgehend aufgelöst, was das Christsein und Gemeindeverständnis vor neue Herausforderungen stellt.

Es gilt aber noch eine weitere grundlegende gesellschaftliche Veränderung anzusprechen, die ebenfalls die Gemeinde betrifft. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war die gesellschaftliche Ordnung hierarchisch geprägt. Das Autoritätsverständnis war unwidersprochen von oben nach unten geordnet. Dieses Struktur- und Autoritätsverständnis herrschte auch in der Gemeinde und wurde entsprechend gelebt. Der Pfarrer/Pastor war der „Augapfel“ Gottes, den man weder kritisieren noch dem man widersprechen durfte. Als durch die 68er-Revolution des letzten Jahrhunderts dieses Autoritätsverständnis hinterfragt wurde, hatte die Gemeinde Jesu keine Antwort, sondern hielt am alten hierarchischen Verständnis fest. So wurde das demokratische Verständnis, das Älteste von den Gemeindegliedern gewählt werden sollten, abgelehnt. Das änderte sich mit der Zeit, und heute ist es selbstverständlich und wird auch biblisch begründet.

Warum ist diese Entwicklung für unser Thema von Bedeutung?

Mit der gesellschaftlichen Veränderung veränderte sich auch das Verständnis von Christsein. Der Hauptamtliche wird schon lange nicht mehr als die Autoritätsperson gesehen, der es zu gehorchen gilt. Die hierarchische Struktur hat sich aufgelöst. Auch im Miteinander der Gemeinde wird demokratisch entschieden. Jedes Gemeindeglied versteht sich als autonom und selbstbestimmt. Man geht in den Gottesdienst oder nicht; man nimmt an einer angebotenen Gruppe in der Gemeinde teil oder nicht; man arbeitet mit oder nicht. Was sich nicht verändert hat, ist der Dienst der Pastoren und Pfarrerinnen: Sie sind verantwortlich für den Gottesdienst und vor allem für die Predigt, dazu kommen Kasualien, Konfirmandenunterricht und Verwaltungsarbeit. Alles was darüber hinaus geschieht, ist das persönliche Engagement von Pfarrer und Pastorin.

Damit sind wir wieder bei der Leitungsfrage.

Wie kann Leitung in solch einem veränderten Christseins- und Gemeindeverständnis stattfinden und wirkungsvoll angewandt werden? Auch wenn es unterschiedliche biblische Aussagen für die Gemeinde gibt, so ist das beliebteste Bild für die Gemeinde das Hirte-Herde-Verständnis. Dieses Bild von Gemeinde hat sich verselbstständigt. Der einzelne Christ versteht sich von Psalm 23 und Johannes 10 her als Schaf unter der Führung Jesu als seinem Hirten. Jesus der gute Hirte. Gewiss sind diese Aussagen von Jesus als gutem Hirten für das persönliche Leben des einzelnen Christen und seine Lebensführung von größter Bedeutung, aber was bedeutet es für die Gemeinde?