Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book) - Elena Makarova - E-Book

Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book) E-Book

Елена Макарова

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Warum sind Männer in pflegerischen, frühpädagogischen oder sozialen Berufen meist untervertreten? Wieso entscheiden sich junge Frauen nur selten für Studiengänge im MINT-Bereich? Seit Jahrzehnten rastert diese Aufteilung unsere Gesellschaft auf. Warum ist das so, und was lässt sich dagegen unternehmen? Da sich bereits Kinder mit ihren Traumberufen auseinandersetzen, ist eine gendersensible Berufsorientierung an Schulen zentral. Aber auch an Hochschulen ist sie wichtig, um das Geschlechterverhältnis in den Studiengängen und bei der Berufsfindung auszugleichen. Im Buch werden Erkenntnisse aus Forschungs- und Entwicklungsprojekten sowie innovative Beispiele der Umsetzung einer gendersensiblen Berufsorientierung im (Hoch-)Schulkontext gebündelt.

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Seitenzahl: 446

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Elena Makarova (Hrsg.)

Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl

Beiträge aus Forschung und Praxis

ISBN Print: 978-3-0355-1529-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-1530-5

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Vorwort

Junge Frauen und Männer entscheiden sich mehrheitlich für Berufe und Studienrichtungen, in denen der Anteil des eigenen Geschlechts überwiegt. Die Berufswahl junger Frauen fällt selten auf den MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), während junge Männer sich weniger für Berufe und Studienrichtungen im sozialen, pflegerischen oder frühpädagogischen Bereich entscheiden. Diese horizontale Geschlechtersegregation bei der Berufs- und Studienwahl ist seit Jahrzehnten beharrlich und verlangt nach einer Stärkung und Koordination der Maßnahmen im Bereich der gendersensiblen Berufsorientierung.

Da sich bereits Kinder mit ihren «Traumberufen» auseinandersetzen, kommt einer gendersensiblen Berufsorientierung im schulischen Kontext eine zentrale Bedeutung zu. Eine offene Berufswahlvorbereitung an Schulen soll Mädchen und Jungen bei der Erkundung ihrer (geschlechtsuntypischen) berufsbezogenen Interessen durch vielfältige Angebote unterstützen und im Prozess der Berufswahl zur Reflexion von Geschlechterstereotypen ermutigen. Im Weiteren spielt eine gendersensible Berufsorientierung auch für Hochschulen eine zentrale Rolle, um das unausgewogene Geschlechterverhältnis in den Studiengängen und bei der Berufseinmündung nach dem Studium auszugleichen. Dabei stehen ein geschlechtersensibler Auftritt der Berufe und Fachbereiche sowie eine gendergerechte Gestaltung von Studiengängen im Vordergrund der Gleichstellungsbemühungen.

Das vorliegende Buch richtet sich an Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der (Berufs-)Bildungspraxis sowie der Gleichstellung und beleuchtet die geschlechtsbezogenen Disparitäten bei der Berufs- und Studienwahl sowie die Ansätze einer gendersensiblen Berufsorientierung anhand der sechzehn Einzelbeiträge. Diese Beiträge präsentieren einerseits die Erkenntnisse aus den aktuellen Forschungs- und Entwicklungsprojekten und zeigen andererseits innovative Beispiele der Umsetzung einer gendersensiblen Berufsorientierung im (Hoch-)Schulkontext auf. Die dreizehn forschungsbasierten Beiträge wurden einem Double-Blind-Begutachtungsverfahren durch externe Gutachterinnen unterzogen und nach der anschließenden Überarbeitung zur Publikation angenommen. Die drei Praxisbeiträge wurden durch die Herausgeber(innen)schaft begutachtet. Die meisten Beiträge in diesem Band stellen die ausgearbeiteten Langfassungen der Vorträge dar, die auf der internationalen Tagung «Gendersensible Berufsorientierung» am 26. Oktober 2018 an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz in Solothurn gehalten wurden. Die Tagung fand im Rahmen des swissuniversities-Programms P-7 «Chancengleichheit und Hochschulentwicklung 2017–2020» statt und war ein Bestandteil des Aktionsplans Chancengleichheit der Fachhochschule Nordwestschweiz 2017–20.

Das Buch ist entlang der vier Themenbereiche strukturiert, die die inhaltliche Bandbreite der Einzelbeiträge spiegeln. Der erste Themenbereich greift die Reproduktion und Transformation einer geschlechtstypischen Berufswahl anhand von fünf Einzelbeiträgen auf. Im ersten Beitrag untersuchen Katja Pässler und Nadine Schneider die Entwicklung beruflicher Interessen von 248 Primarschülerinnen und Primarschülern aus der Deutschschweiz und zeigen, dass eine Förderung von Interessen bei Kindern möglichst früh verankert werden sollte, bevor die allgemeine Begeisterungsfähigkeit von Kindern abnimmt und sich Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen verfestigen. Der zweite Beitrag von Selina Teuscher, Elena Makarova und Markus P. Neuenschwander fokussiert die berufliche Laufbahn junger Frauen und Männer im Zusammenhang mit der Geschlechtstypik des gewählten Berufs und belegt, dass die berufliche Geschlechtstypik nicht nur ein gewichtiger Faktor ist, wenn es um die Begründung der Berufswahl und der Wahl der Berufslaufbahn geht, sondern auch um die Beurteilung der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf. Im dritten Beitrag gehen Regula Julia Leemann, Christian Imdorf, Andrea Fischer, Raffaella Simona Esposito und Sandra Hafner der Frage nach, weshalb sich die Geschlechtsspezifität der Fachmittelschule (FMS) nur langsam wandelt. Das Autor(innen)team schlussfolgert, dass die Reproduktion der Geschlechtsspezifität an FMS darauf zurückzuführen ist, dass die Schule sich im Zuge ihrer Institutionalisierung auf ihre traditionelle Funktion stützen musste, um ihr Überleben zu sichern und ihre Position als dritter Bildungsweg zu legitimieren. Der vierte Beitrag von Belinda Aeschlimann, Ines Trede, Marianne Müller und Jörg Neumann untersucht am Beispiel des Sozialbereichs, welche Rolle das Geschlecht für die Berufs- und Bildungsabsichten nach dem Berufsabschluss Fachfrau/-mann Betreuung EFZ spielt, und zeigt einen maßgeblichen Einfluss des Geschlechts und des gewählten Arbeitsbereichs auf die potenzielle Berufs- und Bildungslaufbahn. Abschließend geht der fünfte Beitrag von Sigrid Haunberger und Annabelle Bartelsen geschlechtsspezifischen Studienfachwahlmotiven für das Studium der Sozialen Arbeit nach und beleuchtet, inwiefern ein traditionelles Geschlechterrollenbild sowie eine fehlende Vorstellung über die Studienfachinhalte von Männern ein Studium im sozialen Bereich verhindern.

Nachfolgend setzen sich vier Einzelbeiträge mit geschlechtsbezogenen-Disparitäten im MINT-Bereich und gendergerechter Unterrichtsgestaltung auseinander. Der erste Beitrag in diesem Themenbereich von Walter Herzog, Elena Makarova und Felicitas Fanger illustriert eine stark asymmetrische und stereotype Darstellung der Geschlechter in naturwissenschaftlichen Schulbüchern auf der Sekundarstufe II und beurteilt diese mit Blick auf eine gendergerechte Unterrichtsgestaltung und die Förderung von Frauen in MINT-Fächern als problematisch. Der zweite Beitrag von Nadine Wenger und Elena Makarova verfolgt das Thema der Gendergerechtigkeit von Lehrmitteln in naturwissenschaftlichen Fächern weiter und stellt die Analyse und die Überarbeitung eines Physikschulbuchs für die Sekundarstufe II nach den Kriterien der Gendergerechtigkeit in Lehrmitteln (Gender Equality School Book Index) dar. Im dritten Beitrag schildern Dorothee Brovelli, Evelin Vogler und Andrea Maria Schmid Ergebnisse einer Vignettenstudie bei angehenden Lehrkräften zu einem geschlechtersensiblen Naturwissenschafts- und Technikunterricht und kommen zum Fazit, dass eine gendersensible Unterrichtsgestaltung in der Ausbildung angehender Lehrkräfte noch stärker berücksichtigt werden muss, sollte der Unterricht auch im Hinblick auf die Berufswahl zur Herstellung von Chancengleichheit beitragen. Abschließend befasst sich der vierte Beitrag von Jessica Bollag, Caroline Bühler, Isabelle Clerc, Mira Ducommun und Sonja Schär mit Vorstellungen von Lehrkräften und Dozierenden auf verschiedenen Stufen des Bildungssystems zum Fach Informatik und zum Beruf der Informatikerin beziehungsweise des Informatikers und zeigt, dass Exklusionsmechanismen unreflektiert in die Vermittlung von Informatikkompetenzen in Schulen und Hochschulen einwirken.

Der dritte Themenbereich erörtert Perspektiven einer gendersensiblen Berufsorientierung in Schule und Unterricht. Im ersten Beitrag stellt Hannelore Faulstich-Wieland die theoretischen Grundlagen des Berufswahlprozesses ebenso wie den Ansatz der Irritation nach Arno Combe und Ulrich Gebhard vor und zeigt, wie auf diese Art und Weise ein gendersensibler Berufsorientierungsunterricht ermöglicht werden kann. Der zweite Beitrag von Katja Driesel-Lange und Svenja Ohlemann stellt ausgewählte Studien der Berufsorientierungsforschung dar und zeigt auf dieser Grundlage Implikationen für eine theoretisch fundierte und empirisch begründete Konzeption und Gestaltung individueller und gendersensibler Berufsorientierung. Abschließend schildert ein Praxisbeitrag von Eveline Iannelli Nutzen und Wirkung institutioneller Verankerung eines schulzentrierten Angebots zu einer interessengeleiteten Berufswahl am Beispiel des Avanti-Projekts.

Die im Anschluss folgenden vier Einzelbeiträge thematisieren sodann eine gendersensible Gestaltung von Studiengängen und Weiterbildungen. Der erste Beitrag von Anne-Françoise Gilbert stellt aus der Genderperspektive die Ein- und Ausschlusswirkungen von institutionellen Praxen in technischen Fachhochschulstudiengängen dar und skizziert die Implikationen dieser Befunde für eine genderinklusive institutionelle Praxis in technischen Studiengängen. Im zweiten Beitrag von Dörte Resch und Melanie Nussbaumer wird die Attraktivität von ICT-Berufen analysiert und ermittelt, wie das Berufsimage mittels eines Re-Brandingprozesses so verändert werden kann, dass eine positive Identifikation für die verschiedenen Zielgruppen ermöglicht wird. Der dritte Beitrag aus der Praxis von Lalitha Chamakalayil und Dorothee Schaffner fokussiert Herausforderungen im Umgang mit gegenderten, stereotypen Denkmustern und Rollen- beziehungsweise Berufsbildern von Fachpersonen in der beruflichen Orientierung. Der Beitrag thematisiert, wie Genderthematiken und eine Auseinandersetzung mit intersektional verschränkten Ungleichheiten in der Weiterbildung verankert werden können. Der abschließende Praxisbeitrag von Angela Grosso Ciponte, Danilo Silvestri Graphic und Catherine Sokoloff gibt einen Einblick in den Forschungs- und Entwicklungsprozess einer gendergerechten Lernapp Easystep zum Berufsstart für Studierende in Gestaltung und Kunst.

Als Herausgeberin bedanke ich mich herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für ihre spannenden Beiträge, die der interessierten Leser(innen)-schaft vielfältige Einblicke in die Thematik des Buches ermöglichen. Zudem gebührt mein ausdrücklicher Dank Nadine Wenger und Jana Lindner, die durch ihre tatkräftige Unterstützung zum Gelingen der Buchherausgabe erheblich beigetragen haben.

Bern im April 2019

Elena Makarova

Inhalt

Vorwort

Reproduktion und Transformation einer geschlechtstypischen Berufswahl

Katja Pässler, Nadine Schneider

Stabilität und Veränderung geschlechtsspezifischer Interessen im Primarschulalter

Selina Teuscher, Elena Makarova, Markus P. Neuenschwander

Wie begründen Jugendliche ihre Berufswahl und wie zufrieden sind sie im Beruf?

Regula Julia Leemann, Christian Imdorf, Andrea Fischer, Raffaella Simona Esposito, Sandra Hafner

Die Fachmittelschule als «Mädchenschule»!? Eine Bildungsinstitution der Sekundarstufe II zwischen Reproduktion und Transformation der geschlechtertypischen Berufswahl

Belinda Aeschlimann, Ines Trede, Marianne Müller, Jörg Neumann

Die Bedeutung des Geschlechts beim Übergang in die berufliche Tertiärbildung im Sozialbereich

Sigrid Haunberger, Annabelle Bartelsen

Warum Männer und Frauen Soziale Arbeit studieren

Geschlechtsbezogene Disparitäten im MINT-Bereich und gendergerechte Unterrichtsgestaltung

Walter Herzog, Elena Makarova, Felicitas Fanger

Darstellung der Geschlechter in einem Physik- und in einem Chemieschulbuch für die Sekundarstufe II

Nadine Wenger, Elena Makarova

Gendergerechtigkeit von Lehrmitteln in naturwissenschaftlichen Fächern

Dorothee Brovelli, Evelin Vogler, Andrea Maria Schmid

Geschlechtersensibler Naturwissenschafts- und Technikunterricht

Jessica Bollag, Caroline Bühler, Isabelle Clerc, Mira Ducommun, Sonja Schär

Auf dem Weg zu einer gendergerechten Informatikdidaktik

Perspektiven einer gendersensiblen Berufsorientierung in Schule und Unterricht

Hannelore Faulstich-Wieland

Irritationen als Ansatz zur gendersensiblen Berufsorientierung in der Schule

Katja Driesel-Lange, Svenja Ohlemann

Perspektiven von Mädchen und Jungen auf die schulische Berufsorientierung

Eveline Iannelli

Avanti – Nutzen und Wirkung institutioneller Verankerung eines schulzentrierten Angebots zu einer interessengeleiteten Berufswahl*

Gendersensible Gestaltung von Studiengängen und Weiterbildungen

Anne-Françoise Gilbert

Gendersensible Berufsorientierung und die Gestaltung technikwissenschaftlicher Studiengänge

Dörte Resch, Melanie Nussbaumer

Attraktivität von ICT-Berufen

Lalitha Chamakalayil, Dorothee Schaffner

«Wenn die doch zufrieden sind mit einem Frauenberuf?!»*

Angela Grosso Ciponte, Danilo Silvestri, Catherine Sokoloff

«Easystep. Erste Hilfe für den ersten Schritt in den Beruf in Gestaltung und Kunst»*

Autorinnen und Autoren

Katja Pässler, Nadine Schneider

Stabilität und Veränderung geschlechtsspezifischer Interessen im Primarschulalter

Ergebnisse einer Längsschnittstudie

Abstract

1 Einleitung

Berufliche Interessen sind wichtige Determinanten der Studien- und Berufswahl (Humphreys, Lubinski & Yao, 1993) und valide Prädiktoren von Leistung, Zufriedenheit und Persistenz im schulischen, universitären und arbeitsbezogenen Kontext (Nye, Su, Rounds & Drasgow, 2012; Nye, Su, Rounds & Drasgow, 2017; Schiefele, Krapp & Winteler, 1992; Tsabari, Tziner & Meir, 2005). Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen gelten als wesentlicher Faktor zur Erklärung der anhaltenden Ungleichverteilung von Frauen und Männern in MINT-Berufen (Ceci, Ginther, Kahn & Williams, 2014). Um die Studien- und Berufswahlentscheidung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen besser nachvollziehen und erfolgreiche Interventionen zur Förderung von MINT-Interessen gestalten zu können, scheint es zentral, die Entwicklung beruflicher Interessen und insbesondere die Entstehung geschlechtsspezifischer Unterschiede in beruflichen Interessen zu beleuchten.

Berufliche Interessen werden als zeitstabile, situationsübergreifende Handlungstendenzen, das heißt Dispositionen, verstanden (Holland, 1997). Zur Operationalisierung beruflicher Interessen dient traditionell das RIASEC-Modell von Holland (1997). Hollands Theorie folgend, lassen sich Individuen anhand von sechs grundlegenden Interessendimensionen beschreiben: praktisch-technisch (realistic, R), intellektuell-forschend (investigative, I), künstlerisch-sprachlich (artistic, A), sozial (social, S), unternehmerisch (enterprising, E) und konventionell (conventional, C). Jeder der sechs Personentypen lässt sich anhand spezifischer Interessen, Fähigkeiten, Kompetenzen, Werte und Ziele charakterisieren und präferiert bestimmte berufliche Tätigkeiten. Der praktisch-technische Typ bevorzugt die Arbeit mit Maschinen und Werkzeugen sowie Tätigkeiten in der Natur; der intellektuell-forschende Typ zeigt eine Präferenz für Naturwissenschaften; der sprachlich-künstlerische Typ bevorzugt es, eigene, neuartige Ideen kreativ mithilfe von Sprache, Musik, darstellender oder bildender Kunst auszudrücken; der soziale Typ präferiert Tätigkeiten, bei denen der Mensch im Vordergrund steht; der unternehmerische Typ möchte andere Menschen überzeugen oder führen; und der konventionelle Typ bevorzugt den Umgang mit strukturierten Daten.

Kindheit und Jugendalter sind wichtige Phasen der Interessenentwicklung. Theorien zur Entwicklung beruflicher Interessen (Gottfredson, 2002; Todt, 2000) gehen zunächst von einer Phase universeller Interessen aus. Im Vor- und Grundschulalter besitzen Kinder eine große Neugier und Offenheit für neue Erfahrungen. Sie erfreuen sich an einer Vielzahl von Aktivitäten und lassen sich für viele Themen begeistern. Durch individuelle Erfahrungen und den zunehmenden Kontakt mit wichtigen Bezugspersonen (z. B. Eltern, Lehrkräfte, Gleichaltrige) lernen Kinder soziale Erwartungen (z. B. Geschlechterrollen, Prestige von Berufen), ihre eigenen Interessen, Stärken und Schwächen kennen. Von der Primar- zur weiterführenden Schule formen sich individuelle Interessen, das heißt, Kinder entwickeln zunehmend Präferenzen für bestimmte Tätigkeiten und Themen. Bis ins späte Jugendalter findet eine zunehmende Differenzierung individueller Interessen statt, das heißt, die Breite der Interessen nimmt immer mehr ab. Erst im späten Jugend- und jungen Erwachsenenalter gewinnt die Exploration neuer Themen- und Tätigkeitsfelder wieder an Bedeutung. Vom frühen Jugendalter (12 Jahre) bis ins mittlere Erwachsenenalter (40 Jahre) besitzen berufliche Interessen eine relativ hohe Stabilität (Low, Yoon, Roberts & Rounds, 2005), die im Alter zwischen 12 und 30 Jahren sogar höher als die von Persönlichkeitsmerkmalen ausfällt (Roberts & DelVecchio, 2000). Für die Interessenentwicklung im Kindes- und Jugendalter kommen der Selbstwahrnehmung und der Selbstwirksamkeitserwartung eine zentrale Bedeutung zu (Lent, Brown & Hackett, 1994; Todt, 2000). Interessen, die den wahrgenommenen Fähigkeiten und Kompetenzen widersprechen, werden abgewertet und verlieren an Bedeutung. Dabei beeinflussen nach Eccles (1999) drei zentrale Aspekte das Selbstkonzept und das Tätigkeitsengagement im Kindes- und Jugendalter: (1) Kognitive Veränderungen führen zu einem besseren Reflexionsvermögen, (2) die soziale Umgebung der Kinder erweitert sich und Aktivitäten außerhalb der Familie gewinnen an Bedeutung und (3) Kinder sind zunehmend sozialen Vergleichen und dem Wettbewerb mit Gleichaltrigen ausgesetzt. Ähnliche normative Veränderungen lassen sich auch für andere Persönlichkeitsmerkmale nachweisen. Studien verweisen in der späten Kindheit und frühen Adoleszenz auf eine Abnahme der Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Offenheit für neue Erfahrungen sowie auf eine Abnahme des Selbstbewusstseins (Robins, Trzesniewski, Tracy, Gosling & Potter, 2002; Soto, John, Gosling & Potter, 2011). Zeitgleich lässt sich auch eine stetige Abnahme des Fachinteresses nachweisen (Prenzel, 1998). Die «disruption hypothesis» nimmt an, dass die rasanten biologischen, sozialen und psychologischen Veränderungen beim Übergang von der Kindheit ins Jugendalter zu einer Abnahme verschiedener Persönlichkeitsmerkmale führen (Soto & Tackett, 2015). Unter dem Einfluss von zunehmendem externem Feedback (z. B. durch Lehrkräfte) und dem sozialen Vergleich mit Gleichaltrigen bewerten Jugendliche ihre Interessen, Fähigkeiten und Kompetenzen neu. Entsprechen Interessen nicht mehr dem idealen Selbstkonzept, werden sie abgewertet.

Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen lassen sich metaanalytisch für Jugendliche und Erwachsene nachweisen (Su, Rounds & Armstrong, 2009). Während Männer ein höheres praktisch-technisches und intellektuell-forschendes Interesse besitzen, berichten Frauen über ein stärkeres künstlerisch-sprachliches, soziales und konventionelles Interesse. Dabei gehören Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen zu den größten Unterschieden in psychologischen Merkmalen (Lubinski, 2000). Jüngere Stichproben verweisen meist auf geringere Geschlechtsunterschiede als ältere Stichproben (Su et al., 2009). Wann entstehen Geschlechtsdifferenzen in beruflichen Interessen? Bereits im Kindergarten bestehen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in der Präferenz von Spielzeugen (Todt, 2000). In der Primarschule, wenn Kinder zunehmend Geschlechterrollen verinnerlichen, etablieren sich sowohl Unterschiede in den Berufswahlpräferenzen (Gottfredson, 2002) als auch in beruflichen Interessen (Maurice & Bäumer, 2015). In ihrer «Theory of Circumscription and Compromise» geht Gottfredson (2002) davon aus, dass sich bereits im Kindesalter eine Karte an erstrebenswerten Berufsbildern und -wünschen ausbildet, die im Zuge der Selbstkonzeptentwicklung sukzessiv reduziert wird. Das Spektrum an Berufen, das für die eigene Person als adäquat betrachtet wird, reduziert sich demnach kontinuierlich und weitgehend unbewusst vom Kindesalter bis in das Jugendalter. Dabei erfolgt zunächst eine Reduktion auf Berufsbilder, die mit der eigenen Geschlechtsrolle übereinstimmen. Anschließend orientieren sich Kinder und Jugendliche an Berufsbildern, die ihrem sozialen Status entsprechen. Im frühen Jugendalter werden dann aus den verbleibenden beruflichen Perspektiven jene ausgewählt, die vermeintlich zu den eigenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen passen. In der späten Kindheit und frühen Adoleszenz lassen sich auch Geschlechtsunterschiede in Persönlichkeitsmerkmalen und im Selbstbewusstsein erstmals nachweisen (Robins et al., 2002; Soto et al., 2011). Insgesamt scheint der Übergang von der Kindheit in das Jugendalter eine zentrale Phase der Entwicklung von Interessen und Persönlichkeitsmerkmalen sowie von Unterschieden zwischen Mädchen und Jungen in diesen Merkmalen zu sein.

Unsere Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob sich das «disruption principle» auch für die Entwicklung beruflicher Interessen beim Übergang von der Kindheit ins frühe Jugendalter nachweisen lässt. Bisher gibt es nur sehr wenige Studien, welche die Entwicklung kindlicher Interessen längsschnittlich betrachten (Maurice & Bäumer, 2015; Tracey & Ward, 1998; Tracey, 2002). Keine der bisherigen Studien verwendet dabei mehr als zwei Messzeitpunkte. Dies stellt methodisch eine Einschränkung dar, da so Entwicklung sehr eng als Zuwachs, das heißt Veränderung zwischen zwei Messzeitpunkten, verstanden wird. Allerdings kann so weder der Prozess der Veränderung beschrieben noch zwischen tatsächlicher Veränderung und Messfehler differenziert werden (Singer & Willett, 2003). Wir gehen davon aus, dass sich eine altersbedingte Abnahme beruflicher Interessen beim Übergang von der Primarschule in die weiterführende Schule nachweisen lässt. In Anlehnung an bisherige Studien (Hoff, Briley, Wee & Rounds, 2018; Maurice & Bäumer, 2015) erwarten wir allerdings unterschiedliche Entwicklungsverläufe für die einzelnen RIASEC-Dimensionen. Wir gehen von einer altersbedingten Abnahme beruflicher Interessen für alle RIASEC-Dimensionen außer dem unternehmerischen Interesse (E) aus (H1).

Da sich Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen bereits am Ende der Primarschule herauskristallisieren (Maurice & Bäumer, 2015; Tracey & Ward, 1998), erwarten wir Geschlechtsunterschiede bei allen RIASEC-Dimensionen (H2). Jungen berichten über ein höheres praktisch-technisches, intellektuell-forschendes und unternehmerisches Interesse, während Mädchen ein stärkeres soziales, sprachlich-künstlerisches und konventionelles Interesse besitzen. Zusätzlich erwarten wir geschlechtsspezifische Unterschiede in den Entwicklungsverläufen von Mädchen und Jungen. Hoff et al. (2018) fanden für das praktisch-technische Interesse einen stärkeren altersbedingten Abfall bei Mädchen als bei Jungen. Im Hinblick auf das soziale Interesse zeigten Mädchen eine leichte Zunahme, während sich für die Jungen ein deutlicher Abfall nachweisen ließ. Geschlechtsdifferenzen in den Entwicklungsverläufen der anderen RIASEC-Dimensionen wurden bisher nicht empirisch untersucht. Allerdings konnten Maurice und Bäumer (2015) in ihrer Längsschnittstudie mit Grundschulkindern eine altersbedingte Zunahme der Unterschiede in den Interessen von Mädchen und Jungen feststellen. Ausgehend von diesen Befunden erwarten wir Unterschiede in den Entwicklungsverläufen von Mädchen und Jungen im sozialen und praktisch-technischen Interesse (H3).

2 Methode

2.1 Stichprobe

2.2 Instrumente

3 Ergebnisse

3.1 Deskriptive Statistiken

3.2 Entwicklung beruflicher Interessen

Zur Analyse der altersspezifischen Veränderung wurden Varianzanalysen mit Messwiederholung berechnet. Nachfolgend werden die Ergebnisse der MANOVAs mit Messzeitpunkt (T1, T2, T3) und Geschlecht (männlich, weiblich) als unabhängige Variablen separat für alle RIASEC-Dimensionen dargestellt.

Praktisch-technisches Interesse (R)
Intellektuell-forschendes Interesse (I)
Künstlerisch-sprachliches Interesse (A)
Soziales Interesse (S)
Unternehmerisches Interesse (E)
Konventionelles Interesse (C)

4 Diskussion

Kindheit und Jugend sind bedeutende Phasen der Interessenentwicklung (Tracey, 2001). Theorien zur Entwicklung beruflicher Interessen (Gottfredson, 2002; Todt, 2000) nehmen an, dass von der Geburt bis in das Jugendalter eine fortschreitende Differenzierung beruflicher Interessen stattfindet, die in einer Abnahme von Interessen sowie einer Einschränkung der Breite des individuellen Interessenspektrums resultiert. Als Ursache für die zunehmende Differenzierung beruflicher Interessen werden einerseits eine zunehmende Exploration der Umwelt und individueller Erfahrungen sowie die zunehmende Bedeutung sozialer Vergleiche in Kindheit und Jugend angeführt. In der Persönlichkeitspsychologie wird die zeitlich begrenzte Abnahme von Persönlichkeitsmerkmalen, die aus den umfassenden biologischen, sozialen und psychologischen Veränderungen in Kindheit und Jugend resultieren, als «disruption principle» bezeichnet (Soto & Tackett, 2015).

Unsere Studie untersuchte, inwiefern sich die «disruption hypothesis» auch auf die Entwicklung beruflicher Interessen von der späten Kindheit bis in das frühe Jugendalter übertragen lässt. In Übereinstimmung mit bisherigen Befunden (Hoff et al., 2018) zeigt sich in unserer Studie mit Viert- bis Sechstklässlern über eine Zeitdauer von drei Jahren eine Abnahme der Interessensbereiche R, I, A, S und C, während der Interessensbereich E stabil blieb. Allerdings beschränken sich die Veränderungen im konventionellen Interesse lediglich auf den zweiten und dritten Messzeitpunkt. Das «disruption principle» lässt sich demnach auf die Entwicklung beruflicher Interessen übertragen. Durch den zunehmenden Kontakt mit anderen lernen Kinder Geschlechterrollen und geschlechtstypische Interessen und Berufe kennen und beurteilen ihre eigenen Interessen, Stärken und Schwächen anhand ihrer relativen Position innerhalb ihrer Peergruppe. Die rasanten biologischen Veränderungen der Pubertät und die steigende Bedeutung sozialer Vergleiche führen gleichzeitig zu einer Abnahme des Selbstbewusstseins und der Selbstwirksamkeitserwartung. Da eine enge Verbindung zwischen der Entwicklung von Interessen und Selbstwirksamkeitserwartungen besteht, führt eine Abnahme der Selbstwirksamkeitserwartung zu einer Abnahme entsprechender Interessen (Denissen, Zarrett & Eccles, 2007). Gerade die Missbilligung durch Peers besitzt einen starken Einfluss auf die Entwicklung von geschlechtsspezifischen Unterschieden in beruflichen Interessen (Gottfredson, 2002).

Welche Implikationen lassen sich aus unseren Befunden für die Förderung von MINT-Interessen und eine gendersensible Berufswahl ableiten?

Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen, Werten und Selbstwirksamkeitserwartungen wurden als zentrale Aspekte zu Erklärung der anhaltenden Disparität von Frauen und Männern in MINT-Studiengängen und -Berufen identifiziert (Eccles & Wang, 2015; Kossek, Su & Wu, 2017). Sowohl unsere eigenen Ergebnisse als auch andere Forschungsbeiträge (Hoff et al., 2018; Su et al., 2009; Tracey & Sodano, 2008) zeigen, dass sich Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen früh herauskristallisieren und bis ins Jugendalter verstärken. Initiativen, die auf eine Förderung von MINT-Interessen ausgerichtet sind, sollten daher bereits in der späten Kindheit initiiert werden, bevor Kinder rigide Rollenstereotype erwerben. Wie Gottfredson (2002) in ihrer «Theory of Circumscription and Compromise» darstellt, bildet sich bereits im Kindesalter eine Karte an Berufsbildern und -wünschen aus, die im Zuge der Selbstkonzeptentwicklung sukzessiv reduziert wird, das heißt, das Spektrum an Berufen, das für die eigene Person als adäquat betrachtet wird, reduziert sich kontinuierlich und weitgehend unbewusst. Interessant ist der Befund, dass das intellektuell-forschende Interesse, das sich vor allem auf naturwissenschaftliche Themen und Tätigkeiten bezieht, anders als bei Jugendlichen und Erwachsenen in unserer Stichprobe von Viert- bis Sechstklässlern bei den Mädchen höher ausgeprägt war als bei Jungen. Ähnliche Ergebnisse zeigt eine Längsschnittstudie von Xu und Tracey (2016) mit Siebt- und Achtklässlern. Geschlechtsunterschiede in naturwissenschaftlichen Interessen sind stark domainspezifisch – das zeigt sich sowohl in der Beliebtheit von Schulfächern (Akademien der Wissenschaften Schweiz, 2014) als auch im Geschlechterverhältnis in naturwissenschaftlichen Studiengängen (Eccles & Wang, 2015). Während sich Mädchen eher für Biologie und Life Sciences interessieren, zeigen Jungen ein stärkeres Interesse an Chemie und Physik. Vermutlich besitzen bei den Viert- bis Sechstklässlern Aktivitäten wie «in der Natur sein» und «Tiere und Pflanzen beobachten» noch einen höheren Stellenwert als bei Jugendlichen, dementsprechend fällt das Interesse bei Mädchen in dieser Altersgruppe höher aus als bei Jungen. Offen bleibt, wie das intellektuell-forschende Interesse bei Mädchen langfristig aufrechterhalten werden kann. Hier scheint einerseits eine sukzessive Förderung von der Primarschule bis in die weiterführende Schule zentral sowie ein MINT-Unterricht, der sich stärker am Alltag und der Lebensumwelt von Mädchen orientiert, zum Beispiel indem der Bezug der Physik zum menschlichen Körper in den Vordergrund gestellt wird (Häußler & Hoffmann, 1995).

Weiterhin erscheint es uns wichtig, die Annahme der «Social Cognitive Career Theory» (SCCT, Lent et al., 1994) zur Reziprozität der Entwicklung beruflicher Interessen und Selbstwirksamkeitserwartungen bei der Entwicklung von Interventionsprogrammen zu berücksichtigen. Eine altersbedingte Abnahme von Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeitserwartungen resultiert sehr wahrscheinlich in einer Abnahme entsprechender Interessensbereiche. Interventionsprogramme, die eine Förderung von MINT-Interessen bei Mädchen und sozialer Interessen bei Jungen zum Ziel haben, müssen also zeitgleich die Selbstwirksamkeitserwartung von Mädchen und Jungen in diesen Themenbereichen stärken. Die SCCT geht davon aus, dass die Steigerung von Selbstwirksamkeitserwartung durch die Bereitstellung von Explorationsmöglichkeiten und Lernerfahrungen gelingt, bei denen Kinder praktische Erfahrungen sammeln. Dabei erscheint es besonders wichtig, dass Kinder auch mit Herausforderungen und Widerständen konfrontiert werden, da gerade deren Überwindung die Selbstwirksamkeitserwartung stärkt.

Literaturverzeichnis

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Selina Teuscher, Elena Makarova, Markus P. Neuenschwander

Wie begründen Jugendliche ihre Berufswahl und wie zufrieden sind sie im Beruf?

Eine Schweizer Studie zu Berufswahlverläufen in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik

Abstract

1 Einleitung

Eine der zentralen Entwicklungsaufgaben im Jugendalter besteht darin, eine Berufswahl zu fällen und eine berufliche Laufbahn aufzunehmen. Die Passung zwischen dem individuellen Persönlichkeitsprofil und den Eigenschaften und dem Anforderungsprofil eines Berufs (Holland, 1959) ist für die Berufswahl von zentraler Bedeutung. Das Berufsimage wird mit dem Selbstkonzept verglichen, wobei der Übereinstimmungsgrad über die Wahl oder Abwahl eines Berufs entscheidet (Gottfredson, 2002). Zwei für das Image eines Berufs beziehungsweise der beruflichen Grundbildung wesentliche Merkmale sind dessen Geschlechtstypik und dessen Sozialprestige. Die berufliche Geschlechtstypik erweist sich sogar als das wichtigste Berufswahlkriterium, das über dem Sozialprestige der Berufe und dem eigenen Interesse an einem Beruf steht (Ratschinski, 2009). Damit wird die Zone der akzeptablen Berufe im Berufswahlprozess eingeschränkt, sodass zuletzt nur – aus jeweils individueller Sicht – realisierbare Berufe zur Wahl stehen. Eine solche Einschränkung führt dazu, dass junge Frauen und Männer mehrheitlich geschlechtstypische Berufe wählen und sich nur selten für einen geschlechtsuntypischen Beruf entscheiden (OECD, 2006; WEF, 2017). Zugleich zeigt eine Schweizer Studie zu Trajektorien der beruflichen Geschlechtstypik bei berufsbiografischen Übergängen junger Frauen und Männer, dass im berufsbiografischen Verlauf nur rund die Hälfte aller Frauen und Männer in demselben geschlechtsbezogenen Passungstyp – das heißt im geschlechtstypischen, geschlechtsneutralen oder geschlechtsuntypischen Beruf – verbleiben, in den sie in ihrer beruflichen Ausbildung einmündeten. Bei der anderen Hälfte gibt es zumindest einen Wechsel der beruflichen Geschlechtstypik beim Eintritt in die Erwerbstätigkeit und/oder beim Wechsel einer beruflichen Tätigkeit oder Arbeitsstelle (Makarova & Teuscher, 2018). Vor dem Hintergrund der Annahme, dass eine erfolgreiche berufliche Laufbahn durch die persönliche Zufriedenheit mit der Berufswahl und der wahrgenommenen Sinnhaftigkeit der beruflichen Tätigkeit gekennzeichnet ist (Hirschi, 2013), setzt sich der vorliegende Beitrag mit der Bedeutung der Berufswahlmotive und berufsbezogenen Zufriedenheit während der Laufbahn junger Frauen und Männer in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik auseinander.

2 Berufswahlmotive

In Anlehnung an die Motivationspsychologie und bezogen auf die Berufs- und Studienwahlmotive unterscheiden einige Studien zwischen intrinsischen und extrinsischen Motiven für die Wahl des Berufs beziehungsweise des Studiums. Intrinsische Motive fokussieren im Sinne der Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 1993) das Erfüllen von Kompetenz, Autonomie und Zugehörigkeitsbedürfnissen. Motive sind intrinsisch, wenn sie sich auf das eigene Selbst beziehen. Motive sind hingegen extrinsisch, wenn sie Gründe außerhalb des eigenen Selbst ansprechen. Dabei gehören Aspekte wie das Interesse, die Neigung und Begabung sowie die persönliche Entfaltung und Selbstverwirklichung zu den intrinsischen Motiven und Aspekte wie das Einkommen, der Status, die Möglichkeiten der Weiterbildung sowie Aufstiegs- und Arbeitsmarktchancen zu den extrinsischen Motiven (Bundesamt für Statistik [BFS], 2009; Briedis, Egorova, Heublein, Lörz, Middendorff, Quast & Spangenberg, 2008; Heine, Willich, Schneider & Sommer, 2008; Neuenschwander, Gerber, Frank & Rottermann, 2012). Frauen scheinen sich stärker bei der Berufswahl an intrinsischen Motiven zu orientieren, Männer eher an extrinsischen Motiven (BFS, 2009; Heine et al., 2008). Der Forschungsstand ist im Hinblick auf die geschlechtsbezogenen Unterschiede in den Berufswahlmotiven jedoch nicht einheitlich. Laut einer Schweizer Studie, die Sozialisationsbedingungen für Jugendliche in Schule und Familie untersuchte (FASE-B, Neuenschwander et al., 2012), stellt die Entwicklung der beruflichen Laufbahn das wichtigste Berufsziel für Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger dar. Sie sind erfolgs- und leistungsmotiviert, setzen auf zukünftige Weiterbildungen und geben sich nicht damit zufrieden, eine Stelle mit angenehmer Arbeitsumgebung zu haben. Weiter wurde festgestellt, dass sich Frauen und Männer hinsichtlich der beruflichen Ziele nicht signifikant voneinander unterscheiden und sich Lehrabgängerinnen nicht weniger am Karriereerfolg orientieren als Lehrabgänger (Neuenschwander et al., 2012).

Schließlich zeigt eine qualitative Studie (Kayser, Steinritz & Ziegler, 2012), welche auf die Berufswahltheorie von Gottfredson (2002) Bezug nimmt, aus welchen Gründen Jugendliche Berufe abwählen. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass Jugendliche Anstrengung und Aufwand primär als Gründe, einen Beruf abzuwählen, betrachten. Relevant sind diesbezüglich ein zu hoher Bildungsaufwand, psychische Belastung durch zu große Verantwortung, negative Erfahrungen sowie fehlende Qualifikationsvoraussetzungen. Schließlich zeigt die Studie, dass geschlechtsuntypische berufliche Kontexte mit einer höheren Anstrengung assoziiert wurden: Jungen sehen zu große Anstrengung und Aufwand in sozial-erzieherischen Aufgaben, Mädchen hingegen schätzen physisch-handwerkliche Tätigkeiten als zu anstrengend ein (Steinritz, Kayser & Ziegler, 2012).

3 Berufsbezogene Zufriedenheit

Während der Berufsausbildung resultieren die Ausbildungs- und Arbeitszufriedenheit aus den Erwartungen an eine Ausbildung beziehungsweise den Arbeitsplatz und deren Erfüllung (Otte, 2007). Deshalb muss die Zufriedenheit mit der gewählten beruflichen Ausbildung von der allgemeinen, bereichsunspezifischen Zufriedenheit abgegrenzt werden (Neuenschwander et al., 2012). Eder (1986) postulierte, dass Jugendliche dann zufrieden sind, wenn das berufliche Umfeld mit ihren Motiven und Ansprüchen im Sinne eines Ist-Soll-Vergleichs übereinstimmt. Er unterschied überdies zwei Aspekte der Zufriedenheit: den Personenaspekt sowie den gegenstandsbezogenen Aspekt (die subjektive Bewertung des Berufs).

Forschungsbefunde zeigen, dass Jugendliche in der Schweiz zufrieden bis sehr zufrieden mit der getroffenen Berufswahl sind (Müller, 2009; Neuenschwander et al., 2012; Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung [SKBF], 2018). Es zeigt sich zugleich, dass die Lernenden eine höhere Zufriedenheit mit dem Betrieb als mit der schulischen Ausbildung in der Berufsbildung berichten. Zudem sind Frauen in der beruflichen Grundbildung zufriedener mit dem Arbeitsklima und der getroffenen Berufswahl als Männer. Männer hingegen weisen eine positivere Zukunftseinschätzung auf als Frauen (Müller, 2009). Dennoch zeigt eine Schweizer Studie, dass junge Frauen in der Ausbildung zu einem geschlechtsuntypischen Beruf sowohl in ihrem Lehrbetrieb als auch in der Berufsschule oftmals mit Vorurteilen und Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts konfrontiert werden. Dabei fungierte der Lehrbetrieb rund viermal häufiger als Ort geschlechtsbezogener Diskriminierung im Vergleich zur Berufsschule. Insgesamt zeigt die Studie, dass diskriminierende Erfahrungen mit einer hohen Belastung für die Betroffenen und einer geringen Zufriedenheit mit der beruflichen Ausbildung einhergehen (Aeschlimann, Makarova & Herzog, 2016; Makarova, Aeschlimann & Herzog, 2016a).

Bezüglich des Übergangs von der beruflichen Grundbildung in den Arbeitsmarkt bestehen in der Schweiz heterogene Befunde. Kälin, Semmer, Elfering, Tschan, Dauwalder und Crettaz von Roten (2000) postulieren, dass nach der Berufslehre viele junge Erwachsene vor einem doppelten Übergang stehen. Einerseits übernehmen sie die Rolle einer Berufsperson und andererseits integrieren sie sich in einem neuen Betrieb. Obwohl diese Situation junge Erwachsene belastet, gehen die Autorinnen und Autoren jedoch davon aus, dass die jungen Erwachsenen insgesamt vom Wechsel profitieren und sogar ihre berufliche Zufriedenheit steigern. Neuenschwander et al. (2012) fanden dagegen heraus, dass sich die Zufriedenheit mit der aktuellen beruflichen Situation während der Lehre und nach der zweiten Schwelle nicht signifikant veränderte. Weiter gab es in ihren Untersuchungen keine unterschiedlichen Entwicklungen der beruflichen Zufriedenheit nach Geschlecht, nach Migrationshintergrund oder nach Anschlusslösung.

4 Fokus und Fragen der Studie

Der Forschungsstand illustriert, dass sich junge Frauen und Männer nicht grundsätzlich in ihren Berufswahlmotiven unterscheiden, dennoch lassen sich Unterschiede in Zusammenhang mit der Geschlechtstypik des gewählten Berufs vermuten. Die Analyse eines solchen Zusammenhangs bildet ein Forschungsdesiderat, da in bisherigen Studien zu Berufswahlmotiven junger Frauen und Männer die berufliche Geschlechtstypik nicht herangezogen wurde. Im Weiteren zeigen Studien zur berufsbezogenen Zufriedenheit, dass die Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf einerseits bereichsspezifisch und anderseits übergangsbezogen variieren kann. Angesichts der hohen Übergangsdynamik in den berufsbiografischen Verläufen junger Frauen und Männer (Makarova & Teuscher, 2018) bedarf es einer Analyse der berufsbezogenen Zufriedenheit während der Berufslaufbahn in Zusammenhang mit der Geschlechtstypik des gewählten Berufs.

Um die Bedeutung der Berufswahlmotive und berufsbezogenen Zufriedenheit während der Laufbahnentwicklung junger Frauen und Männer in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik zu analysieren, liegt der Fokus der Studie auf zwei Übergängen in der beruflichen Laufbahn, die aus einer bildungs- und berufsbiografischen Perspektive zu den zentralen Übergängen gehören: auf der Berufswahl beziehungsweise der Wahl der beruflichen Grundbildung und der Wahl der Berufslaufbahn beim Übergang von der beruflichen Grundbildung in die Berufstätigkeit.

1) Inwiefern unterscheiden sich männliche und weibliche Jugendliche in ihrer Berufswahl in Hinblick auf die berufliche Geschlechtstypik?

2) Welche Gründe für die Wahl der beruflichen Grundbildung von weiblichen und männlichen Jugendlichen sind in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik in der Berufslehre ausschlaggebend?

3) Welche Gründe für die Wahl der Berufslaufbahn von weiblichen und männlichen Jugendlichen sind in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik des gewählten Berufs ausschlaggebend?

4) Wie sehr unterscheiden sich männliche und weibliche Jugendliche in ihrer berufsbezogenen Zufriedenheit bei der Wahl der beruflichen Grundbildung und welche Rolle spielt dabei die berufliche Geschlechtstypik der Berufslehre?

5) Wie sehr unterscheiden sich männliche und weibliche Jugendliche in ihrer berufsbezogenen Zufriedenheit bei der Wahl der Berufslaufbahn und welche Rolle spielt dabei die berufliche Geschlechtstypik des gewählten Berufs?

5 Methode

Um die Fragen zu beantworten, wurden die Daten des von dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) geförderten Projekts «Bildungsentscheidungen und -verläufe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (BEN)» analysiert. Das Projekt setzte ein Multi-Kohorten-Sequenz-Design mit einer ereignisbasierten Stichprobenziehung ein (Erhebungszeitraum: 2012–2016). Kohorte 1 umfasste zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung im Jahr 2012 «Jugendliche am Ende des 9. Schuljahres», Kohorte 2 «junge Erwachsene unmittelbar vor der Lehrabschlussprüfung» und Kohorte 3 «junge Erwachsene im Alter zwischen rund 22 und 30 Jahren» (Neuenschwander, Düggeli, Nägele & Frey, 2015). Insgesamt nahmen 5207 Personen am Forschungsprojekt teil.

5.1 Stichprobe der vorliegenden Studie

5.2 Bildung der geschlechtsbezogenen Passung

Die angegebenen Berufslehren und Berufe wurden gemäß der Berufsdatenbank des Bundesamtes für Statistik (BFS) mit einem BFS-Stammcode codiert. Die codierten Berufslehren beziehungsweise Berufe wurden aufgrund von Daten der Statistik der beruflichen Grundbildung 2015 beziehungsweise aufgrund der ISCO-08-Klassifikation (International Standard Classification of Occupations) nach ihrer Geschlechtstypik drei Kategorien zugeordnet:[2]

Nach dieser Einteilung gehören für diese Stichprobe insbesondere Berufe des Betreuungs- und Gesundheitswesens wie Fachfrau/-mann Gesundheit oder Medizinische Praxisassistenz zu den frauentypischen Berufen. Berufe des Baugewerbes, des technischen und IT-Sektors sowie der Landwirtschaft zählen zu den männertypischen Berufen. Beispiele dafür sind Maurer/-in, Informatiker/-in und Gärtner/-in. Zu den neutralen Berufen zählen beispielsweise Kauffrau/-mann, Detailhandelsfachfrau/-mann und Köchin/Koch, welche dem Gastgewerbe oder administrativen Bereich zugehörig sind.

In Kombination mit dem Geschlecht der Befragten und der Geschlechtstypik der Berufswahl wurde eine Typologie der geschlechtsbezogenen Passung in der beruflichen Orientierung für die Analysen der vorliegenden Studie konstruiert. Die Typologie unterscheidet für beide Geschlechter jeweils geschlechtstypische, geschlechtsneutrale und geschlechtsuntypische Passungen. Befindet sich beispielsweise eine Frau in einer Berufslehre/einem Beruf der 3. Kategorie (männertypisch), existiert eine geschlechtsuntypische Passung, während eine Frau in einer Berufslehre/einem Beruf der 1. Kategorie (frauentypisch) eine geschlechtstypische und eine Frau in einer Berufslehre/einem Beruf der 2. Kategorie (geschlechtsneutral) eine neutrale Passung aufweist.

5.3 Verwendete Variablen und Analysen

Für die vorliegenden Analysen wurden neben dem Geschlechtder Jugendlichen (weiblich/männlich) und der geschlechtsbezogenen Passung in der beruflichen Orientierung (Abschnitt 5.2) die folgenden Konstrukte miteinbezogen: Retrospektive Kriterien der Ausbildungswahl, Kriterien der Berufswahl und Zufriedenheit im Beruf (Tabelle 1).[3]

Der exakte Mann-Whitney-U-Test wurde für Vergleiche zwischen zwei Gruppen (Geschlecht) bei ordinalen Variablen benutzt, während der Kruskal-Wallis-Test für Vergleiche zwischen drei Gruppen (geschlechtsbezogene Passung in der beruflichen Orientierung) bei ordinalen Variablen eingesetzt wurde.

6 Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Analysen vorgestellt, die nach den Fragen der Studie gegliedert werden (Kapitel 4).

6.1 Verteilung der geschlechtsbezogenen Passungen in der Berufslehre

Das Unterkapitel bearbeitet die erste Frage, wie sehr sich männliche und weibliche Jugendliche in ihrer Berufswahl in Hinblick auf die berufliche Geschlechtstypik unterscheiden. Basierend auf den Angaben der Befragten zu der gewählten Berufslehre und dem Geschlecht, wird im Folgenden die Verteilung der geschlechtsbezogenen Passungen in der Berufslehre dargestellt. Wie der Abbildung 1 entnommen werden kann, existierten bei den geschlechtsbezogenen Passungen in der Berufslehre erhebliche Geschlechterunterschiede.

Abbildung 1: Verteilung der geschlechtsbezogenen Passungen in der Ausbildung von Frauen und Männern

6.2 Berufswahlmotive

In Bezug auf die Berufswahlmotive wurde zunächst (Abschnitt 6.2.1) untersucht, welche Gründe für die Wahl der beruflichen Grundbildung von weiblichen und männlichen Jugendlichen in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik in der Berufslehre ausschlaggebend sind (zweite Frage). Diese Analysen stützten sich auf die retrospektiven Gründe, die die Befragten für die Wahl der Berufslehre kurz vor Ende der Berufslehre angegeben haben (Tabelle 1). Anschließend wurde eruiert (Abschnitt 6.2.2), welche Gründe für die Wahl der Berufslaufbahn von weiblichen und männlichen Jugendlichen in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik des gewählten Berufs ausschlaggebend sind (dritte Frage). Dabei wurden die Angaben der Gründe für die bevorstehende Wahl der Berufslaufbahn in die Analyse einbezogen.

6.2.1 Retrospektive Gründe für die Wahl der Berufslehre

Bei Betrachtung der deskriptiven Ergebnisse zu den Gründen, welche Jugendliche retrospektiv für die Wahl der Berufslehre als relevant erachten (Tabelle 2), zeigt sich, dass intrinsische Motive von Jugendlichen am stärksten gewichtet werden (eigene Interessen und Erfüllung). Zu den Gründen mit mittelmäßiger Relevanz gehören die antizipierte Passung (Anforderungsprofil der Berufslehre und Kompromissbereitschaft), extrinsische Motive (Einkommen, Arbeitszeiten, Möglichkeit der Anschlusslösung und Verfügbarkeit der Arbeitsstellen) sowie soziale Motive wie Ratschläge aus dem sozialen Umfeld. Zu den eher unwichtigen Gründen für die Wahl der Berufslehre gehören die Geschlechtstypik der Ausbildung (antizipierte Passung) und die Erfüllung der Elternerwartungen (soziale Motive).[4]