Gentlemen of New York - Verführerisch wie Gold - Joanna Shupe - E-Book

Gentlemen of New York - Verführerisch wie Gold E-Book

Joanna Shupe

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Beschreibung

New York 1887. Eine Stadt der Gegensätze. Nirgends hat man schneller Erfolg oder lebt gefährlicher. Und nirgends überfällt einen die Liebe so plötzlich wie hier ...

Ted Harper, Besitzer der größten Bank von New York und einer der erfolgreichsten Männer der Stadt, wartet auf den Zug. Plötzlich wird er von einer wunderschönen jungen Frau geküsst, die sich dann auch noch als seine Ehefrau ausgibt.

Doch Clara ist keine hinterhältige Betrügerin, die es auf sein Geld abgesehen hat. Sie ist auf der Flucht und hat instinktiv gehandelt, als sie Ted sah. Doch welche Konsequenzen diese Begegnung für ihr Leben haben würde, hätte sie niemals zu Träumen gewagt.

Der Bankier und die Parfümverkäuferin - Die Vorgeschichte zur Gentlemen of New York-Trilogie

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

DANKSAGUNGEN

Über dieses Buch

New York 1887. Eine Stadt der Gegensätze. Nirgends hat man schneller Erfolg oder lebt gefährlicher. Und nirgends überfällt einen die Liebe so plötzlich wie hier …

Ted Harper, Besitzer der größten Bank von New York und einer der erfolgreichsten Männer der Stadt, wartet auf den Zug. Plötzlich wird er von einer wunderschönen jungen Frau geküsst, die sich dann auch noch als seine Ehefrau ausgibt.

Doch Clara ist keine hinterhältige Betrügerin, die es auf sein Geld abgesehen hat. Sie ist auf der Flucht und hat instinktiv gehandelt, als sie Ted sah. Doch welche Konsequenzen diese Begegnung für ihr Leben haben würde, hätte sie niemals zu Träumen gewagt.

Der Bankier und die Parfümverkäuferin – Die Vorgeschichte zur Gentlemen of New York-Trilogie.

Über die Autorin

Joanna Shupe hat mit ihrem Debüt-Roman den prestigeträchtigen Golden Heart Award der Romance Writers of America gewonnen und startete damit ihre Karriere als Schriftstellerin. Ihre Romane wurden in mehrere Länder übersetzt. In Deutschland erscheint 2017 ihre Gentlemen of New York-Trilogie, mit der sie in den USA für Furore sorgte. Der Serie wurde von Lesern und Journalisten begeistert aufgenommen.

JOANNA SHUPE

Gentlemen of New York

Verführerisch wie Gold

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch vonAnita Nirschl

beHEARTBEAT

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2016 by Joanna Shupe

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Tycoon«

Published by Arrangement with Kensington Publishing Corp., New York, NY 10018 USA

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Antonia Zauner, Olching

Covergestaltung: © Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von stocksnapper/ thinkstock, hotdamnstock, AnnaPoguliaeva / thinkstock, Reinhold Leitner / thinkstock, nfedorova / thinkstock

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-3634-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für all die mutigen Frauen,die den Lauf der Geschichte verändert haben,jedoch nie in einem Geschichtsbuch

KAPITEL EINS

Grand Central Depot, New York CityNovember 1887

Ted Harper hatte es nicht kommen sehen. Gerade eben hatte er noch allein auf dem Bahnsteig gestanden, und schon im nächsten Augenblick hatte er sich eine Ehefrau eingehandelt.

»Da bist du ja, liebster Gatte! Wir wollen doch nicht den Zug verpassen«, rief eine laute, heisere Frauenstimme.

Was in Gottes Namen? Er versuchte, seinen Arm aus ihrem unerwartet starken Griff zu lösen, während er sich nach einem Schaffner umsah. Einem Wachtmeister. Einer Brechstange … Irgendetwas oder irgendjemandem, um diese Frau von seiner Seite zu entfernen. »Hören Sie, Miss. Ich weiß nicht, wer –«

Sie hob den Kopf, und er starrte hinunter in die grünsten Augen, die er je gesehen hatte. Leuchtend grün, wie ein frisches, junges Blatt im Frühling. Rotes Haar unter einem schlichten Hut. Eine kleine, zierliche Nase. Zarte, helle Haut mit einem Hauch von Farbe auf den Wangen.

Sein Herz setzte einen Schlag aus.

Sie schmiegte sich noch enger an ihn, wenn das überhaupt möglich war, und ließ ihn dabei weiche, nicht zu ignorierende Kurven spüren. »Ich freue mich schon darauf, deine Mutter kennenzulernen«, sagte sie und begann, ihn zum Zug zu drängen. »Ich hoffe wirklich, sie kann mir beibringen, wie man diesen Apfelkuchen backt, den du so gern magst.«

Mutter? Ted runzelte die Stirn. Seine Mutter war seit acht Jahren tot. Wahnsinn, dein Name ist Weib. Die hier gehörte in eine Heilanstalt, nicht in einen Bahnhof.

Er stemmte die Füße in den Boden. »Miss, es tut mir leid, aber –«

Zu seiner absoluten Verblüffung packte sie ihn mit beiden Händen am Revers, stellte sich auf die Zehenspitzen und presste ihre Lippen hart auf seine. Er war weder in der Lage, sie von sich zu stoßen, noch den Kuss zu erwidern; stattdessen stand er einfach nur da, völlig erstarrt wie ein Eisblock.

Sie riecht gut, war sein erster zusammenhängender Gedanke.

Sein zweiter war, dass ihre Lippen weich und voll waren und ihre Größe perfekt zu ihm passte. Ihre Hüften berührten sich beinahe – etwas, das er definitiv nicht bemerken sollte. Dann, da seine Augen immer noch offen waren, sah er ihren Blick zur Seite zucken.

Darauf folgte sein dritter und möglicherweise wichtigster Gedanke. Sie war nicht verrückt; sie versteckte sich vor jemandem, was erklärte, warum sie weiterhin ihre Umgebung absuchte. Warum sie sich einem völlig Fremden an den Hals geworfen hatte.

Mit einem Ruck hob er den Kopf und unterbrach den Kuss, um nachzusehen, ob jemand in der Nähe herumlungerte. War sie in Gefahr? War jemand hinter ihr her?

Sie räusperte sich, eine schmeichelhafte Röte auf den Wangen, dann warf sie einen Blick über ihre Schulter und versteifte sich. Mit eingezogenem Kopf begann sie, Ted zum Zug zu schleppen. Ja, sie versteckte sich definitiv vor jemandem.

»Denkst du, deine Mutter wird mich mögen? Wenn nicht, weiß ich wirklich nicht, was ich tue, das schwöre ich«, setzte sie ihre einseitige Unterhaltung fort, eine endlose Aneinanderreihung sinnloser Wörter, bis sie an den Stufen des Zugs angelangt waren.

Ein Schaffner begrüßte sie, dabei flogen seine Augen zwischen Ted und der Frau hin und her, die nun heftiger an ihm klebte als ein Skandal an einem Politiker. »Mr Harper, Ihr Wagen ist bereit. Ma’am, haben Sie –«

»Danke, Sir. Mein Mann und ich sind zum Einsteigen bereit. Ich hoffe, Sie waren vorsichtig mit unserem Gepäck. Ich habe ein paar sehr empfindliche Geschenke eingepackt. Komm, Liebster.«

Anstatt die Stufen zu erklimmen, verrenkte sich die geheimnisvolle Frau den Hals, um über ihre Schulter zu spähen. Ted drehte sich ebenfalls um, konnte aber nicht erkennen, was sie erschreckt hatte. Er kannte ihre Beweggründe nicht, aber er verspürte das äußerst merkwürdige Verlangen, sie an Bord des Zuges zu bringen. Dafür zu sorgen, dass sie in Sicherheit war.

Vielleicht war er derjenige, der eine Heilanstalt in Betracht ziehen sollte.

Der Schaffner wartete mit fragendem Blick, und hinter ihnen begann sich bereits eine Schlange ungeduldiger Passagiere zu bilden, deshalb verließ Ted sich auf die Manieren, die ihm als Junge auf einer Farm in Ohio eingetrichtert worden waren. Er wies mit der Hand auf die Stufen. »Nach Ihnen, Madam.«

Was auch immer sie in der Menge sah, überzeugte sie, in den Zug zu steigen. Teds Schultern entspannten sich ein wenig, und er folgte ihr, wobei er versuchte, nicht ihre schlanke Taille in dem modisch langen, etwas schmutzigen braunen Mantel zu bewundern. Der Schaffner führte sie durch einen gewöhnlichen Waggon und einen abgeschlossenen Vorraum in den privaten Pullmanwagen, den Ted für die Reise arrangiert hatte.

Die Frau betrat ihn als Erste, dabei stolperte sie ein wenig über den Teppich, während sie ihre Umgebung musterte. Ted reiste nicht viel, aber wenn er es tat, dann mietete er stets einen privaten Wagen, damit er in Ruhe arbeiten konnte. Dieser hier war gut ausgestattet, ein bequemer Raum mit Walnussholztäfelung und Messingbeschlägen. Er bot elegante Polstermöbel und reichlich Licht im kleinen Aufenthaltsbereich. Ein bauchiger Ofen in der Mitte des Waggons gab ziemlich viel Wärme ab, und eine Tür an der gegenüberliegenden Seite führte vermutlich zum Schlafbereich und dem Wasserklosett.

Der Schaffner trat von einem Fuß auf den anderen. »Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Mr Harper? Ich weiß, normalerweise –«

»Oh, es ist einfach perfekt, nicht wahr, Liebling?«, antwortete seine ‚Frau’.

Ted brachte kein Wort heraus. Er starrte einfach nur auf ihre vollen, vor kurzem geküssten Lippen, bis der Schaffner sich räusperte. »In der Tat«, presste er hervor. »Perfekt.«

»Ich nehme an, das Einzelbett ist ausreichend, Sir? Uns wurde nicht mitgeteilt, dass Ihre Frau Sie begleitet.«

Panik flammte in ihren Augen auf, während sich verlegenes Schweigen ausbreitete. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Zuzustimmen würde ihn zu einem Wüstling machen. Abzustreiten würde sie beide zu Lügnern machen. Also wartete er ab.

Sie schluckte heftig, und ihr Blick flog zum Fenster und der Menge dahinter, bevor sie deutlich weniger munter erwiderte: »Natürlich. Wo sollte ich denn sonst schlafen?«

Der Schaffner nickte. »Sehr wohl, Mr Harper. Mrs Harper. Wir fahren in wenigen Minuten ab. Läuten Sie einfach, wenn Sie irgendetwas brauchen.«

Die Tür schloss sich hinter dem Schaffner, doch Teds Blick war weiterhin auf die junge Frau gerichtet. Sie konnte nicht älter als zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig sein, schätzte er, und im weichen elektrischen Licht des Abteils war sie sogar noch reizender. Und sie hatte ihn geküsst, frech wie Oskar. Unvermittelt bereute er es, nicht das Beste aus diesem Kuss gemacht zu haben, als er die Gelegenheit dazu hatte.

Er nahm seinen Hut ab und legte ihn zusammen mit seiner Aktentasche auf den nächstgelegenen Armsessel. »Ich denke, an diesem Punkt wäre es angebracht, sich einander vorzustellen«, setzte er an. »Ich bin –«

»Sie sind offensichtlich Mr Harper.« Röte breitete sich auf ihren Wangen aus. Hatte sie ihn erkannt? Sie trat ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. »Mein Name ist Clara. Clara Dobson.«

Er schüttelte sie. »Schön, Sie kennenzulernen, Miss Dobson. Ich nehme an, Sie haben kein Gepäck?«

»Das stimmt.« Nervös verknotete sie die Finger, während sie erbarmungslos auf ihrer Unterlippe kaute. Ted hatte das absurde Verlangen, der misshandelten Stelle mit seiner Zunge Linderung zu schenken.

»Aber ich muss in diesem Zug bleiben«, fuhr sie mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme fort.

»Ich verstehe. Verfolgt Sie jemand?«

»Ich muss nach St. Louis«, sprudelte es aus ihr hervor und wich dadurch seiner ursprünglichen Frage aus. »Um meine Familie zu besuchen.«

»Natürlich. Ich muss ebenfalls in diesem Zug bleiben. Was uns ein wenig in die Zwickmühle bringt, nachdem wir dem Schaffner gegenüber behauptet haben, wir wären ein verheiratetes Paar.«

»Wenn Sie mir tagsüber unter die Arme greifen, kann ich mir nachts ein ruhiges Plätzchen im Zug suchen, wo ich schlafen kann. Ich werde Ihnen keinen Ärger machen, das verspreche ich.«

Eine hübsche Frau, keinen Ärger? Soweit er wusste, war das die Definition des Wortes.

»Das würde nur Verdacht erregen.« Ganz zu schweigen davon, dass sie das der Gefahr aussetzte, vor der sie geflohen war, vorausgesetzt, besagte Gefahr war ihr in den Zug gefolgt.

Sie wandte den Kopf und schien ein weiteres Mal ihre Umgebung einer Betrachtung zu unterziehen. »Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, hierzubleiben. Haben Sie noch eine andere Ehefrau? Ich meine, eine richtige Ehefrau?«

Dann kennt sie mich also wirklich nicht? Als Präsident der New American Bank und einer der reichsten Männer des Landes stand sein Name nicht selten in der Presse – obwohl man ihn eher im Wirtschaftsteil als in den Gesellschaftsspalten fand.

»Nein, ich habe keine Ehefrau.«

»Oh, da bin ich aber erleichtert.« Kaum hatte sie das gesagt, flogen ihre Hände an ihre Wangen. »Du meine Güte, so habe ich das nicht gemeint. Ich bin nicht an … irgendetwas interessiert. Ich meinte damit, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche, eine andere Frau zu beleidigen, indem ich mich als Ihre Frau ausgebe. Was wirklich –«

»Sind Sie immer so gesprächig?« Mit schief gelegtem Kopf sah er sie an. Bitte mach, dass sie Nein sagt.

»Nun ja, ich rede schon gern, nehme ich an. Das sagen sie mir zumindest immer bei Hoyt’s – dort arbeite ich in der Parfümabteilung –, dass ich mit jedem reden kann, jederzeit. Die Kunden mögen mich.« Sie zuckte die Schultern. »Ich hatte vier Brüder und drei Schwestern, und wenn man da nicht schnell redete, dann kam man nie zu Wort.«

Mit jedem reden. Jederzeit. Ted durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag, so als wäre er an Edisons Kraftwerk angeschlossen. Ja, er hatte Verwendung für sie. Natürlich könnte sie eine Betrügerin sein und ihm ihre Angst auf dem Bahnsteig nur vorgespielt haben. Aber war nicht jedes Geschäft letztendlich eine Form von Täuschung?

»Also gut, Miss Dobson. Ich werde Ihnen helfen, aber dafür müssen Sie im Gegenzug auch etwas für mich tun.«

Clara schwankte auf wackligen Knien, und ihre Reaktion hatte nichts damit zu tun, dass der Zug sich mit einem Ruck in Bewegung setzte. Während die Räder sich zu drehen begannen und das schwere Puffen der Lok durch den Waggon klang, sah sie ihm direkt in die Augen. Was auch immer er gleich sagen würde, sie wusste, es würde ihr nicht gefallen. Er hatte die Oberhand, und sie fürchtete, dass er diesen Vorteil voll und ganz ausnutzen würde.

Oh, warum war sie nur nach New York gezogen? Der Abenteuer wegen, das hatte sie sich vor acht Monaten zu Hause in Missouri gesagt. Wegen Erfahrungen, Spaß, einem erweiterten Horizont. Und doch war sie nun hier, auf der Flucht vor Männern, die ihr wahrscheinlich Übles wollten, ohne Geld oder Habseligkeiten, und kurz davor, von einem Fremden ein unsittliches Angebot unterbreitet zu bekommen.

Oh Clara. Was hast du nur getan?

»Ja?«, brachte sie gepresst hervor.

»Könnten wir uns setzen?«

Sie ließ sich auf dem Sofa nieder und versuchte sich vorzustellen, was Mr Harper gleich sagen würde. Sie musterte ihn und suchte in seinen Zügen nach etwas, das ihr seine Absichten verraten würde. Er war nicht verteufelt gut aussehend. Er war nicht übermäßig groß und trug schlichte Kleidung. Kein modischer Bart, und eine schwache Spur von Grau zog sich durch das braune Haar an seinen Schläfen.

Aber er hatte eine selbstbewusste Haltung. Ein Mann, der wusste, was er wollte. Gefestigt. Verglichen mit den flatterhaften jungen Männern ihrer Bekanntschaft fand sie Mr Harpers selbstsichere Präsenz interessant.

Zu schade, dass er kein bisschen küssen konnte.

»Der Grund für meine Reise«, sagte er, »ist ein Treffen mit Erik Webber, einem potenziellen Partner bei einem geplanten Vorhaben. Meine Mitarbeiter haben sich schon zweimal in New York mit ihm getroffen, und er hat uns abgewiesen. Aber er reist in diesem Zug zurück nach St. Louis, und ich habe noch zwei Abende, an denen ich mein Anliegen vorbringen kann.«

»Inwiefern betrifft das mich?«, fragte sie argwöhnisch.

»Dieser Mann hat seine Ehefrau mitgebracht, und sie ist … leicht reizbar. Notorisch abweisend neuen Ideen gegenüber. Ich fürchte, sie ist gegen meinen Vorschlag, und ich werde keine Chance haben, ihn zu überzeugen, wenn sie involviert ist.«

»Sie wollen, dass ich sie ablenke?«

Seine Mundwinkel hoben sich, und Anerkennung leuchtete in seinen blauen Augen auf. Oh. Oh. Sie hatte nicht bemerkt, wie überaus beeindruckend seine Augen waren. Das Licht hatte sie in strahlende Seen klarsten Himmelblaus verwandelt. Unvermittelt wurde ihr bewusst, dass sie tief Luft holen musste.

»Ganz genau«, erwiderte er.

Clara verdrängte ihre unerwartete Reaktion und dachte darüber nach, worum er sie gebeten hatte. Es fühlte sich nach nicht besonders viel an, nicht, wenn man die Bitte mit den Kosten einer Zugfahrkarte und der Bereitstellung eines luxuriösen Wagens wie diesem für zwei Nächte verglich. Zwei Nächte. Würde sie wirklich im selben Waggon wie dieser Fremde schlafen, und das nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal?

Aber was war ihre Alternative? Flucht war in New York ihr einziger Gedanke gewesen, und sie hatte weder Geld noch Kleider bei sich. Sich in diesem Zug zu verstecken, würde ihr zumindest Zeit geben, sich etwas einfallen zu lassen. Und das Allerwichtigste war doch, dass diese Fahrt sie von den Männern, die sie verfolgten, fortbrachte.

Dann bemerkte sie, dass Mr Harper sie geduldig ansah, während er auf eine Antwort wartete. »Ich helfe Ihnen gern, wenn Sie bereit sind, mir Ihre Hilfe anzubieten«, stieß sie hervor.

»Ausgezeichnet. Nun, besteht irgendeine Chance, dass Sie mir sagen, was Sie auf dem Bahnsteig so verängstigt hat?«

Ein Kloß bildete sich in ihrem Magen. Wie sollte sie das erklären, wenn sie es doch selbst kaum verstand? Es war alles so schnell gegangen. Sie hatte ihrem Manager Mr Ross einen Brief überbringen wollen. Als sie die Tür öffnete, sah sie einen Mann, der Mr Ross würgte, einen Mann, den sie als Edward Thompson erkannte, einen bekannten Politiker. Ein Polizist lehnte an der Wand und sah zu. Sie hatte noch die Worte »Schnapp sie dir« gehört, unmittelbar bevor sie weggerannt war.

Die abendliche Menschenmenge im Kaufhaus hatte etwas Schutz geboten, und sie hatte sicher die Straße erreicht. Da war sie auf eine nach Norden fahrende Straßenbahn gesprungen und hatte versucht, wieder zu Atem zu kommen. Nach Hause zu kommen – das war ihr Plan gewesen.

Dort würde sie in Sicherheit sein. Doch als sie die Thirty-Fourth Street überquerten, bemerkte sie, dass ein Wagen der Metropolitan Police der Straßenbahn unablässig folgte, und der Polizist mit dem buschigen Schnurrbart saß vorne. Zwei weitere Wachmänner waren bei ihm.

Sie brauchte eine weitere Menschenmenge, um sie abzuschütteln. In Anbetracht ihrer Auswahlmöglichkeiten erschien ihr Grand Central als die sinnvollste Option. Als sie in den Bahnhof rannte, spürte sie, dass die Wachmänner sie verfolgten. Aber sie war in ihrer Familie schon immer die Beste im Versteckspielen gewesen, also hielt sie sich geduckt und verschmolz mit der Menge. Dann fand sie den ersten Zug, der nach St. Louis abfuhr, und suchte nach einem Mann, der allein war.

Einem Mann, der ganz und gar zu nett wirkte, um in ihr gefährliches Drama verwickelt zu werden.

»Miss Dobson, der Bahnsteig. Was ist da draußen passiert?«

Rede, dachte sie. Bring ihn dazu, die Frage zu vergessen. »Ach, das. Ich hatte keine Angst. Ich dachte nur, es würde Spaß machen, einen Ausflug zu unternehmen, nach Hause zu fahren, um meine Familie in St. Louis zu besuchen. Sie leben in Columbia, und meine Mutter hat Geburtstag. Sie wird fünfundfünfzig, und ihr einziger Wunsch ist, dass all ihre Kinder da sind. Reisen Sie viel? Ich wette, das tun Sie, nachdem der Schaffner Ihren Namen zu kennen schien. Waren Sie schon einmal in St. Louis?«

Er stieß einen schweren Seufzer aus. »Ich nehme an, es gibt keinen Grund, mir zu vertrauen, aber ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie nicht versuchen würden, mich schwindlig zu reden, Miss Dobson.«

»Bitte, nennen Sie mich Clara«, sagte sie mit einem breiten Lächeln. Wenigstens war er klug. Die meisten Männer in ihrem Alter hätten inzwischen glasige Augen bekommen, weil ihnen von ihrem albernen Geplapper der Kopf schwirrte. »Und ich werde es versuchen. Aber ich werde Ihnen nur helfen, wenn Sie damit einverstanden sind, keine Fragen darüber zu stellen, was auf dem Bahnsteig passiert ist.«

»Sie haben bereits eingewilligt, mir zu helfen.«

»Ich nehme es zurück, es sei denn, Sie versprechen, mir keine Fragen zu stellen.«

Er hob die Hände. »Na schön. Keine Fragen.« Entspannt lehnte er sich im Sessel zurück. »Würde es Ihnen sehr viel ausmachen, wenn ich mich vor dem Abendessen ein wenig meiner Arbeit widme?«

»Nein, ganz und gar nicht.«

Er griff nach seiner Aktentasche und öffnete die Klappe. Aus der Innentasche seines Jacketts holte er eine Brille und setzte sie auf die Nase. Es gefiel ihr, wie er mit der Brille aussah. Intelligent. Ernst. Und es weckte in ihr das äußerst merkwürdige Verlangen, sein zerzaustes Haar zu glätten, während er ihr einen Vortrag über … Fossilien oder Wissenschaft oder was auch immer hielt.

Vielleicht konnte sie ihm beibringen, wie man besser küsste. Für ihre Fähigkeiten in diesem Bereich hatte Clara von zwei Verehrern Komplimente bekommen. Der arme Mann hatte wohl nicht viel Übung. »Es tut mir leid, dass ich Sie auf dem Bahnsteig geküsst habe. Vielleicht –«