Genug geredet! - Tobias Voss - E-Book

Genug geredet! E-Book

Tobias Voss

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Beschreibung

„Genug über Theorie geredet ... Jetzt wollen wir es erleben!“ So könnte der Titel dieses Buches auch heißen. Denn immer noch gibt es Lehrende, die glauben, sie könnten anderen durch reines Reden etwas beibringen. Das Buch zeigt, wie sich soziale Kompetenzen wirkungsvoller durch Interaktionsaufgaben trainieren lassen. Denn echtes Lernen und Entwickeln bedeutet, eigene Erfahrungen zu machen und diese zu reflektieren. Tobias Voss stellt zehn Anwender aus der Praxis vor, die erläutern, wie sie mit METALOG® training tools in ihrem Umfeld arbeiten. Ihre Tätigkeitsfelder finden sich in allen Schultypen, in der Erwachsenenbildung, Jugendarbeit und Familienberatung. Jeder Einzelne lässt sich dabei tief in die Karten schauen und beschreibt konkret anwendbares Know-how zum Nachmachen. Deutlich wird dabei, wie die Tools in unterschiedlichen Anwendungsfeldern ihre Wirkkraft entfalten und welche ergänzenden Methoden dabei sinnvoll sind. So erfahren Sie: - wie Gewaltprävention an der Schule funktionieren kann - was es heißt, Tools nach Lehrplan einzusetzen - wie für „nicht beschulbare Jugendliche“ Zukunft entstehen kann - wie Familienberatung neu inspiriert werden kann - wie Jugendliche mit Migrationshintergrund unterstützt werden können - wie Fremdsprachenunterricht neues Potenzial entfaltet und vieles mehr.

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Inhalt

Einführung (Tobias Voss)

Die METALOG Methode – vom Spiel zur wirksamen Intervention

Leseanleitung für dieses Buch

Kreieren statt konsumieren

Erfahrungsorientierte Lernmethoden im Berufsschulunterricht

Nicoletta Dolic, Stephanie Schöllkopf

Denn sie wissen, was sie tun!

Mobbingintervention mit METALOG training tools

Andreas Schumschal

„Klasse erleben“

Erlebnispädagogische Bausteine für den Grundschulunterricht

Lorenz Weiß, Katja Köhler

Kein Wunder!

Tagebucharbeit mit „schwierigen Schülern“

Jörg Knüfken

Lernprojekte als Wachstumshelfer

EOL in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern

Michael Kobbeloer

Mehr Selbstwert durch Coolness-Training

Schule für als „schwierig“ definierte Schüler möglich machen

Jörg Köhler

Tausend und eine Kultur im Seminarraum

Multikulturelle Gruppen in der Vorbereitung auf den ersten Arbeitsmarkt

Dr. Rüdiger Lang

Kirchliche Jugendarbeit

Ein Ort für professionelle Trainingsmethoden?

Rüdiger Sweere

Play it again!

Interaktive Methoden für den Fremdsprachenunterricht

Dr. Sandra Wynands, Tobias Voss

„… Familie sein dagegen sehr“

Gemeinsam Schwierigkeiten bewältigen in erfahrungsorientierter Familienarbeit

Jörg Finkbeiner

Tool-Register in alphabetischer Reihenfolge

Übersicht Praxisbeispiele und Isomorphien

Einführung

Tobias Voss

Lehrerinnen und Lehrer1 in Deutschland müssen täglich sisyphusähnliche Aufgaben stemmen, die auf den ersten Blick mit dem Unterrichten selbst nicht viel zu tun haben. Vielmehr handelt es sich um Schwierigkeiten, die in den letzten Jahrzehnten im System Schule entstanden sind. Manchmal entsteht der Eindruck, dass Schule es nicht geschafft hat, mit den sich verändernden Rahmenbedingungen in der Gesellschaft mitzuwachsen und sich entsprechend zu wandeln. So gilt es heute z. B., kulturell fremde Schülerinnen und Schüler in die Klassen zu integrieren, ohne jedoch selbst eine Zusatzausbildung in interkultureller Kommunikation absolviert zu haben. Auch die Fälle von Ausgrenzung und Mobbing werden immer mehr und fordern Lehrkräfte heraus, sich dem Thema Konflikte ganz anders anzunähern als zuvor. Hier offenbart sich, dass den Soft Skills in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern viel zu wenig Beachtung geschenkt wird.

Ich erinnere mich noch daran, wie verwundert ich war, als in einer meiner mehrtägigen Ausbildungen zum Thema EOL (ErfahrungsOrientierte Lernmethoden) für Trainer plötzlich Seminar-Lehrkräfte saßen, die selbst Lehrerinnen und Lehrer ausbildeten. Sie waren zufällig auf unser Angebot gestoßen und meinten, sie hätten den Auftrag, mehr soziale Kompetenzen an die Schulen zu bringen: Dies war der Beginn eines spannenden Lern- und Erfahrungsaustausches, der bis heute anhält.

Als wir 2002 die ersten METALOG training tools für Kollegen veröffentlichten, die in den Kontexten Organisations-, Führungs- und Teamentwicklung tätig waren, wagten wir noch nicht, daran zu denken, welches Potenzial sie auch in Schule, Jugendarbeit und Familienberatung auslösen könnten: Familientherapeuten hätten auf einmal neue kraftvolle Werkzeuge, Ressourcen innerhalb von Familiensystemen zu aktivieren. Sprachlehrer könnten in ihrem Fremdsprachenunterricht so authentische Sprechsituationen gestalten, dass Konversation zum neuen Lieblingsfach vieler Schüler würde. Überhaupt wäre es möglich, Schulklassen zu echten Lernteams zusammenzuschweißen, in denen sich die Beteiligten gegenseitig durch dick und dünn helfen. Und Lernen bekäme wirklich den praktischen Bezug, den es schon immer verdient hat. Aus Lehrerzimmern, die Haifischbecken ähneln, in denen Lehrerinnen und Lehrer ihr Wissen als eigenes schützenswertes Kapital gegeneinander verteidigen, würden plötzlich Kompetenz-Treibhäuser, in denen jeder vom Wissen und den Fähigkeiten des anderen lernen kann. Überhaupt würde Lernen viel mehr Sinn machen, denn es würde als Teil eines großen Entwicklungsprozesses gesehen werden.

Zugegeben: ein großer Traum! Einige kleine Schritte hinein in die Verwirklichung dieses Traums ließen sich jedoch in den letzten Jahren durch und mit inspirierten und motivierten Kolleginnen und Kollegen entwickeln. Diese möchte ich im vorliegenden Buch systematisch aufbereitet vorstellen.

Die Kolleginnen und Kollegen kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen von Schule, Jugendarbeit und Familienberatung. Sie haben alle ihren eigenen Stil gefunden, erfahrungsorientierte Lernmethoden in ihre Arbeit zu integrieren. In ihren Beiträgen lassen sie sich bei der Arbeit in die Karten schauen. Sie zeigen offen ihre Methoden und beschreiben häufig auch die Haltung, aus der heraus sie diese umsetzen.

1 Im Buch werden nicht immer durchgängig beide Geschlechter genannt. Manchmal wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die Verwendung des generischen Maskulinums ausgewichen, das selbstverständlich auch Frauen meint. Die Namen von Protagonisten wurden durchgehend abgeändert, um die Privatsphäre der beschriebenen Personen zu schützen.

Die METALOG® Methode – Vom Spiel zur wirksamen Intervention

Leseanleitung für dieses Buch

Willkommen zu dieser Sammlung von Praxisbeispielen! Damit Sie, liebe Leserin und lieber Leser, möglichst viel Inspiration erfahren beim Entdecken dieses Buches, möchte ich Ihnen zunächst eine kleine „Leseanleitung“ zum noch besseren Verständnis der folgenden Beiträge geben. Ich erkläre dabei in Kurzform wichtige, von den Autoren verwendete Begriffe und Konzepte, sodass die Lektüre noch leichter fällt.

Genug geredet? „Genug über Theorie geredet ... Jetzt wollen wir es erleben!“ könnte der Titel dieses Buches auch heißen. Denn immer noch gibt es Lehrende, die glauben, sie könnten anderen durch reines Reden etwas beibringen. Die Idee des Nürnberger Trichters ist zwar schon sehr alt, aber bei Weitem noch nicht ausgestorben. Und dies, obwohl es sich schon längst herumgesprochen hat: Wir können niemandem etwas beibringen, sondern lediglich einen geeigneten Kontext schaffen, in dem jeder Lernende selbst entscheidet, was er lernt. Kontext bedeutet dabei nicht nur die räumliche und didaktische Umgebung, sondern natürlich auch die Kommunikation mit und unter den Lernenden und die entsprechenden Interaktionen.

Element im LernprojektElement in der realen WeltSchnüreBeziehungenBauteileAufgaben der GruppeKommunikationAlltagskommunikation

Beispiel der Isomorphie eines Lernprojekts

METALOG training tools? Unter diesem Namen habe ich in den letzten Jahren mit meinem Partner Erwin Voss eine Sammlung von Interaktionsaufgaben entwickelt und veröffentlicht. Diese beruhen teils auf klassischen Ideen, sind größtenteils jedoch völlig neu entwickelte Lernszenarien. Mit diesen Aufgaben lassen sich eine Vielzahl an Themenbereichen aus dem Spektrum des sozialen Lernens, wie z. B. Kommunikation, Vertrauen, Werte, Teamarbeit oder Persönlichkeitsentwicklung, erlebbar machen. Die neuesten Entwicklungen zeigen, dass sich auch Fremdsprachenunterricht und Familienberatung damit vollkommen neu gestalten lassen.

METALOG Methode? Die METALOG Methode ist ein universelles Konzept der Arbeitsweise mit Interaktionsaufgaben. Sie integriert systemische und kompetenzorientierte Ansätze in die erfahrungsorientierte Methodik. Die Begriffe Isomorphie, Interaktionsmetapher, Inszenieren, Durchführen, Bedeutung geben, Brücken in den Alltag bauen, entspringen der METALOG Methode. „Die METALOG Methode – Hypnosystemisches Arbeiten mit Interaktionsaufgaben“(vgl. Voss 2010) ist eine empfehlenswerte zusätzliche Lektüre zu diesem Praxisbuch.

EOL? Dieses Kürzel steht für ErfahrungsOrientiertes Lernen oder ErfahrungsOrientierte Lernmethoden. Manchmal wird von den Autoren der Begriff EOL-Methoden gleichbedeutend mit dem Begriff METALOG Methode verwendet.

2 Vgl. auch Tobias Voss: Die METALOG Methode – Hypnosystemisches Arbeiten mit Interaktionsaufgaben, 2010, S. 14 ff.

Kreieren statt konsumieren –Erfahrungsorientierte Lernmethoden im Berufsschulunterricht

Nicoletta Dolic, Stephanie Schöllkopf

Die Autorinnen zeigen, wie es ihnen gelingt, erfahrungsorientierte Lernmethoden für den Unterricht in der Berufsschule maßzuschneidern. Sie setzen METALOG training tools zur Förderung von sozialem Lernen und für konkrete Lerninhalte ein. Dabei wird deutlich, dass Inhalte, die mit persönlicher und emotionaler Erfahrung vermittelt wurden, bei den Schülerinnen und Schülern langfristig verankert werden können.

METALOG training tools: KultuRallye, Team2 ['ti:mkvadra:t], Complexity, KommunikARTio

EINFÜHRUNG

Lernen ist am besten, wenn die Lernenden kreieren, statt zu konsumieren.

Dave Meier

Mit diesem Zitat spricht Dave Meier (2004: 121) uns direkt aus dem Herzen, denn auch wir verstehen Schule und Lernen als einen „kre-aktiven“ Prozess, wenngleich unser Schulalltag häufig anders aussieht. Wir sind Lehrerinnen an der Robert-Bosch-Schule (RBS) Ulm, einer gewerblichen Berufsschule. Sie ist mit 3.500 Schülerinnen und Schülern, verschiedenen Schularten in fünf verschiedenen Abteilungen und 170 Lehrkräften eine der größten Schulen Baden-Württembergs.

Alltag an der RBS Ulm

Wir werden als Lehrerinnen in unterschiedlichen Schularten wie Berufsschule, Berufskolleg, Fachschule für Technik und Meisterschule für Kraftfahrzeugtechnik eingesetzt. Somit sind wir vorwiegend in der Erwachsenenbildung tätig. Da an der RBS Ulm überwiegend männlich dominierte Berufe ausgebildet werden (Kraftfahrzeugtechnik, Maschinenbau, Elektrotechnik), sind sowohl das Lehrpersonal als auch die Schülerklientel vorwiegend männlich. Frauen sind in diesen Berufen noch selten, ebenso sind weibliche Lehrkräfte dieser technischen Fächer rar. Die wenigen unterrichtenden Frauen finden sich hauptsächlich in den allgemeinbildenden Fächern.

In der Berufsschule steht meist der fachtheoretisch orientierte Unterricht im Vordergrund, was auch dem Wunsch der Betriebe entspricht. Daraus ergibt sich ein geringerer allgemeinbildender Anteil an der Stundentafel. Dennoch findet seit geraumer Zeit ein Umdenken statt, auch die Betriebe legen Wert auf eine solide Allgemeinbildung. In der Regel besuchen die Auszubildenden einmal pro Woche ganztägig den Berufsschulunterricht.

Für uns als Lehrer bedeutet dies häufige Klassenwechsel, wenig Zeit für das Vermitteln prüfungsrelevanter Inhalte und kaum Raum für außerunterrichtliche Belange. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit, den Unterrichtsstoff möglichst so aufzubereiten, dass sich eine hohe Behaltensquote bis zur kommenden Woche ergibt. Vor allem im Kinder- und Jugendbildungsbereich wurden in den letzten Jahren neue Studien zur Unterrichtsdidaktik und -methodik durchgeführt, die durchaus neue Ansätze für erfolgreiches Lernen brachten. Allerdings sind diese Ergebnisse nur bedingt auf die Erwachsenenbildung übertragbar. Somit stellte sich uns die Frage, wie wir in unserem Tätigkeitsfeld erfolgreiches Lernen bewerkstelligen können. Die Antwort fanden wir im ErfahrungsOrientierten Lernen (EOL) mit den METALOG training tools, die es uns ermöglichen, Lernen in der Erwachsenenbildung zu innovieren und erfolgreicher gestalten.

KultuRallye

Sage es mir und ich werde es vergessen. Zeige es mir und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun und ich werde es können.

Konfuzius

Schon Konfuzius beschreibt, wie wichtig Handlungsorientierung im Zusammenhang mit Lernen ist. Doch meist sieht Unterrichtsalltag anders aus: Der Lehrer vermittelt frontal einen bestimmten Stoff, der für die Schülerinnen und Schüler relevant ist. Genau hier sehen wir die große Chance bei der Verknüpfung von Unterrichtsinhalten mit den METALOG training tools. Der Fokus kann weg vom Lehrer, hin zu den Schülerinnen und Schülern und deren erfahrungsorientiertem Lernen gerichtet werden. Denn „Wissen ist nichts, was sie [die Schüler] absorbieren, Wissen ist etwas, das sie erschaffen!“ (Meier 2004: 125).

PRAXISBEISPIEL

KultuRallye: Neuorientierung und Regelfindung

Das Lernprojekt KultuRallye setzen wir gerne in Klassen der Berufsfachschule Grundstufe I ein, die neu zusammengesetzt ihre Ausbildung an der Schule beginnen. Die Auszubildenden erleben gerade zu Beginn ihrer Berufsausbildung – durch den Einstieg in die Arbeitswelt – die Trennung von ihrer Familie und ihrem bisherigen Lebensumfeld (Bildungsplan 1998: 13). Es gilt, sich auf die neue Lebenssituation an der beruflichen Schule einzustellen und diese anzunehmen.

Konkret bedeutet dies, dass der bisher vertraute Klassenverband und oftmals auch der alte Freundeskreis fehlen. Die Schüler kennen sich nicht und werden aus verschiedenen Schularten in einer Klasse zusammengewürfelt. Die bisher gültigen Regeln der Kommunikation, des Zusammenlebens und Lernens in der Klassengemeinschaft sind aufgehoben, neue Regeln hingegen zumindest nicht explizit definiert. Vieles ist unausgesprochen, es überwiegt das Gefühl der Unsicherheit. Nicht zuletzt sind Besetzung und Verteilung der Rollen in der neuen Klassengemeinschaft unklar.

Element im LernprojektElement in der realen WeltBecherInstrumente/Arbeitsabläufe/LernmittelWürfelArbeitsmittel/Arbeitsabläufe/LernmittelRegelnRegeln, Werte, Normen, SpracheEigener TischHerkunft/Peer Group/FamilieAnderer TischArbeitswelt/Schule/Klasse/neue Gruppe

Isomorphiebeispiel KultuRallye: Neuorientierung und Regelfindung

Element im LernprojektElement in der realen WeltGleich große QuadrateZu erledigende AufgabenEinzelne geometrische TeileTeilaufgaben, RessourcenAbgeklebte TischbereicheAbteilungen, situativer Kontext, Persönlichkeit/IndividuumGemeinsamer ArbeitsbereichGroßraumbüro, FertigungsinselEinzelarbeit am eigenen QuadratFokus auf die Erledigung der eigenen AufgabeGemeinsame Arbeit an den QuadratenTeamarbeit

Isomorphiebeispiel Team2 ['ti:mkvadra:t]: Konflikte

In den ersten Unterrichtsstunden im Fach Deutsch steht das Thema „Einstieg in den Beruf durch Sprache und Medien“ auf dem Lehrplan. Somit rücken Kommunikation und Zusammenarbeit in den Fokus. Hier bietet es sich an, mithilfe der METALOG Methode und des Tools KultuRallye die Klasse Gesprächsregeln formulieren und vereinbaren zu lassen.

Auswertung

Das Lernprojekt KultuRallye wird wie im Tool-Register beschrieben durchgeführt (siehe S. →). Nach dem finalen Tischwechsel der Sieger wird die Auswertung in Angriff genommen. Dazu lösen wir die Tisch- und Spielanordnung auf und lassen die Schülerinnen und Schüler im Stuhlkreis Platz nehmen. Die offene Frage „Was habt ihr erlebt?“ ermöglicht allen Schülerinnen und Schülern, Stellung zu nehmen und von ihren Erfahrungen und Einschätzungen zu berichten. Äußerungen wie „Ich konnte meine Verständnisschwierigkeiten den anderen nicht erklären“, „Die haben einfach nicht kapiert, was ich meine“ oder „Ich hatte das Gefühl, falsche Zeichen zu machen, obwohl ich mir doch Mühe gegeben habe“ schildern anschaulich die soeben erlebten Schockmomente.

Diese zumeist verwirrenden Erfahrungen versuchen wir aufzufangen, indem wir durch gezielte Fragen den Zusammenhang zwischen dem Lernprojekt und der Situation in der Klasse thematisieren. Schnell können die Schüler formulieren, dass eine Parallele zwischen dem eben Erlebten und ihrer Situation in der Klasse besteht. Zuweilen kommt von den Schülern ohne weiteren Lehrerimpuls der Hinweis darauf, dass für die Klasse Regeln vereinbart werden müssen, die es allen ermöglichen, wertschätzend miteinander zu kommunizieren.

Sicherung und weitere Verwendung der Ergebnisse im Unterricht

Um das Erlebte für die Klasse nachhaltig und wieder abrufbar zu machen, gilt es nun, die bereits angesprochenen Regeln zu bündeln. Im Think! Pair! Share!-Verfahren (Brüning & Saum 2009: 15 ff.) erarbeitet die Klasse gemeinsam Gesprächsregeln, die in Zukunft für die Klasse gelten sollen. Dazu reflektieren (Think) die Schülerinnen und Schüler zunächst nochmals für sich alleine die Regeln, die für das weitere gemeinsame Zusammenleben und -lernen in der Klassengemeinschaft hilfreich sein können. Hierauf folgt die Phase der Partnerarbeit (Pair). Dabei werden die gefundenen Regeln mit dem Nebensitzer ausgetauscht. Des Weiteren werden die eigenen Überlegungen mit dem Partner in der Diskussion vertieft. Abschließend präsentieren einige Schülerinnen und Schüler die in der dritten Phase (Share) erarbeiteten Ergebnisse im Plenum.

Schließlich werden die Gesprächsregeln im Klassenzimmer an die Pinnwand gehängt und gelten für die weitere Zusammenarbeit in der Klasse. So kann im Unterricht immer wieder, sowohl von den Lehrern als auch von den Schülern selbst, auf die gemeinsam vereinbarten Gesprächsregeln verwiesen werden. Dass die erarbeiteten Regeln die der Klasse sind und nicht von uns Lehrern vorgegebenen wurden, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie den Schülerinnen und Schülern im Unterricht präsent sind und von den Schülern selbst auf ihre Einhaltung hingewiesen und bestanden wird.

PRAXISBEISPIEL

Team2['ti:mkvadra:t]: Konflikte

Dieses Lernprojekt verwenden wir sehr gerne, um den Schülerinnen und Schüler der Fachschule für Technik einen erfahrungsorientierten Einstieg in die Lehrplaneinheit „Konflikte“ zu ermöglichen. Gemäß Lehrplan sollen die Schüler im Fach Betriebliche Kommunikation in der Fachstufe II „Konfliktsituationen beschreiben und analysieren [können]. Sie entwickeln sowohl eine differenzierte Wahrnehmung sozialer Prozesse als auch eine differenzierte Selbstwahrnehmung. Dabei wird ihr Verständnis für die Eigenart und Dynamik innerer und zwischenmenschlicher Konflikte gefördert. Zudem werden sie befähigt, erfolgreich bei der Konfliktbewältigung vorzugehen“ (Bildungsplan 1999: 21).

Um eine Sensibilisierung für Konfliktarten, Konfliktformen und Konfliktursachen etc. zu erreichen, eignet sich Team2 besonders, da diese Themenkomplexe in der Durchführung erfahren werden können.

Element im LernprojektElement in der realen WeltFührungsteamFührungsteam, ChefMitarbeiterteamMitarbeiterteam, AbteilungInternetcaféAbteilung, Arbeitsbereich, FertigungInternetseiten (Plättchen)Einzelne ArbeitsschritteZeitlimitZeitmanagement bei Fertigungsprozessen/ProjektabgabeDurchführung des ProzessesTeamarbeit – meist durch Selbstorganisation des Mitarbeiterteams

Isomorphiebeispiel Complexity: Führung

Element im LernprojektElement in der realen WeltAugenbindenBlindheit für andere/anderesVerschiedene FormenVerschiedene VorstellungenVerschiedene FarbenAbgrenzung/ZugehörigkeitSpracheWerkzeug der Lösungsfindung

Isomorphiebeispiel KommunikARTio: Kommunikation

Team2['ti:mkvadra:t]

Auswertung, Sicherung und weitere Verwendung der Ergebnisse im Unterricht

Das Lernprojekt Team2 wird wie im Tool-Register beschrieben durchgeführt (siehe S. →). Mit der Erkenntnis, dass die Lösung nur gemeinsam und unter Zurückstellen der eigenen Interessen möglich ist, gelingt der Gruppe die Aufgabe. Große Erleichterung empfinden dabei vor allem die Schülerinnen und Schülern, die nicht oder nur wenig zur Lösung beitragen konnten.

Unbedingt notwendig ist die Auswertung des Lernprojektes, da sonst vorrangig der Spielcharakter des Tools bei den Schülerinnen und Schülern in Erinnerung bleibt. Dabei werden wie im Lehrplan vorgesehen sowohl sich aus dem Spielverlauf ergebende Konflikte bearbeitet (Verteilungskonflikt) als auch konkrete Konflikte aus dem betrieblichen Alltag beschrieben und analysiert. Daneben kann mit den Schülern im Unterrichtsgespräch ganz problemlos auch eine erste Definition des Begriffes Konflikt herausgefiltert werden.

Um einen weiterführenden thematischen Transfer im Hinblick auf verschiedene Konfliktarten zu ermöglichen, werden anschließend die Ergebnisse gesichert, vertieft und in Bezug auf Konfliktformen und -arten weiterentwickelt. So lässt sich der weitere Themenbereich mit Leichtigkeit im Unterricht bearbeiten.

PRAXISBEISPIEL

Complexity: Führung

Ein weiteres Thema im Lehrplan der Fachschule für Technik im Fach Betriebliche Kommunikation ist der Bereich „Führung“: „Wegen der zunehmenden Komplexität von Arbeitsabläufen [müssen] Aufgaben an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegiert werden“ (Bildungsplan 1999: 35). Der Lehrplan weist dabei explizit auf den Zusammenhang von Delegation und Motivation hin.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass Fachwissen umso mehr dem Führungswissen weicht, je höher die Führungsposition ist. Darüber hinaus können Führungskräfte und Teams häufig im Alltag erleben, welche Herausforderung es ist, unter Zeit- und Erfolgsdruck zu stehen. Es stellt sich also die Frage, wie sich Teams in ihren Arbeitsabläufen organisieren können und wie es Führungskräften gelingt, diese optimal zu unterstützen. Zur Einführung dieses Themenbereichs und zur Sensibilisierung für die vom Lehrplan geforderten Inhalte hat sich das Tool Complexity im Unterricht bewährt.

Auswertung

Das Lernprojekt Complexity wird wie im Tool-Register beschrieben durchgeführt (siehe S. →). Irgendwann gelingt es dem Mitarbeiterteam, die geforderte Zeit zu unterbieten. In der Regel sieht das Mitarbeiterteam den Erfolg in der eigenen Leistung, völlig entkoppelt vom Führungsteam.

Um die Erfahrungen für den weiteren Unterricht zum Thema Führung nutzen zu können, ist eine zielgerichtete Auswertung notwendig. Allein durch die Beschreibung der Schüler, was sie erlebt haben, kann sehr schnell abgeleitet werden, was von Führungspersonen erwartet wird und wie die Realität in Bezug auf Kompetenzverteilung aussieht. So wird deutlich, dass Mitarbeiter weniger konkrete Anweisungen aus der Führungsetage erwarten als vielmehr Wertschätzung und Motivation. Durch das Übertragen des Erlebten auf den beruflichen Alltag kann zudem der Aufgabenbereich einer Führungsperson definiert werden.

Sicherung der Ergebnisse und weitere Verwendung im Unterricht

Um das Erlebte mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft abzugleichen, arbeiten wir vertiefend mit einem Zeitungsartikel mit der Überschrift „Das ist der perfekte Chef “ weiter (Südwest Presse

30. 04. 2010: 39). Für gewöhnlich stellen die Schülerinnen und Schüler fest, dass ihre eigenen Erfahrungen und Empfindungen während des Lernprojekts mit den Ergebnissen der im Artikel zitierten Studie übereinstimmen.

PRAXISBEISPIEL

KommunikARTio: Kommunikation

Dieses Tool kann bei mehreren Themen eingesetzt werden. Schwerpunktmäßig verwenden wir es in der Fachschule für Technik im Fach Betriebliche Kommunikation im Rahmen der Lehrplaneinheit Kommunikation. Die Fachschülerinnen und -schüler sollen hier die „Vielschichtigkeit der Kommunikation [erfassen] [...] und können über Kommunikation reflektieren“ (Bildungsplan 1999: 30). Dazu ist es notwendig, dass die Schülerinnen und Schüler ein Bewusstsein für die Grundlagen der Kommunikation entwickeln.

Auswertung, Sicherung der Ergebnisse und Weiterführung im Unterricht

Das Lernprojekt KommunikARTio wird wie im Tool-Register beschrieben durchgeführt (siehe S. →). Wenn es den Schülern gelungen ist, die Aufgabe zu lösen, wird im Gespräch ihr Erleben dabei thematisiert. Danach findet der Transfer zum Thema statt: Jetzt wird analysiert, was zu Stillstand in der Aufgabenlösung geführt hat. Davon werden dann typische Kommunikationssperren abgeleitet. Darüber hinaus wird besprochen, was hilfreich bei der Lösung der Aufgabe war und warum. Somit können in der Nachbesprechung auch Kommunikationsstrategien zur Konfliktlösung erarbeitet werden.

Anschließend kann mit dem nun vorhandenen Verständnis für Kommunikationsstörungen und Ideen zu deren Lösung weitergearbeitet werden. Zunächst wird das Sender-Empfänger-Modell nach Friedemann Schulz von Thun eingeführt. Daran lassen sich die Störungen aus dem Lernprojekt nachvollziehen. Im weiteren Verlauf werden bereits vorhandene intuitive Kommunikationsstrategien (z. B. aktives Zuhören) bewusst gemacht und Alternativen vorgestellt.

FAZIT

Wir setzen die METALOG training tools bereits seit einigen Jahren im Unterricht ein und können feststellen, dass Inhalte, die mit persönlicher und emotionaler Erfahrung vermittelt wurden, bei den Schülerinnen und Schüler wesentlich präsenter sind als andere. Dies zeigt sich insbesondere bei unseren Technikerschülern in den Prüfungen: Häufig wird bei der Beantwortung der Aufgaben Bezug zu den Lernprojekten genommen, die im Unterricht durchgeführt wurden, auch wenn diese Erlebnisse bereits zwei Jahre zurückliegen. Auch die Berufsschüler erinnern sich lange nach Verlassen unserer Schule noch an die Stunden „mit dem Holzkoffer“. Nicht unser herkömmlicher Rechtschreibunterricht hat den Weg in ihr Langzeitgedächtnis gefunden, sondern Inhalte, die sie mit konkretem Erleben verknüpfen konnten.

Auch nach Jahren der Berufspraxis sind wir von großem Idealismus in Bezug auf unsere Aufgabe geprägt. Unser Alltag lässt uns allerdings nicht immer den Raum für besonderes Lernen, den wir uns wünschen würden. Mit der METALOG Methode und den Tools haben wir für uns den benötigten „Kitt“ zwischen den Bedingungen und Anforderungen des Schulalltags einerseits und unserer Vision einer anderen Form der Wissensvermittlung gefunden.

Über die Autorinnen

Nicoletta Dolic und Stephanie Schöllkopf sind Lehrerinnen an der Robert-Bosch-Berufsschule in Ulm. Mit ihrer Begeisterung für das Erfahrungs-Orientierte Lernen gelang es den beiden EOL-Trainerinnen bereits viele ihrer Kollegen von dieser Arbeitsweise zu überzeugen. Neben dem Einsatz von METALOG training tools für soziales Lernen setzen die beiden die Methoden auch für fachliches Lernen ein. Sie verwenden zahlreiche Tools, um Ziele im Lehrplan zu erfüllen. Um die Nachhaltigkeit von EOL an ihrer Schule zu fördern, geben sie regelmäßig Fortbildungen für Kolleginnen und Kollegen.

Literatur

Bildungsplan für die Berufsschule,

Band 1, Ergänzungsband, 1998, Lehrplanheft 7/1998.

Bildungsplan für die Fachschule,

Band 1, Fachschule für Technik, Heft 1 Für alle Fachrichtungen

Betriebliche Kommunikation,

Lehrplanheft 8/1999.

Brüning, Ludger/Saum, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen. Strategien zur Schüleraktivierung.

Essen: Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft, 2009.

Das ist der perfekte Chef,

Südwest Presse 30. 04. 2010: 39.

Meier, Dave: Accelerated Learning. Handbuch zum schnellen und effektiven Lernen in Gruppen. Bonn: managerSeminare Verlags GmbH, 2004.

Denn sie wissen, was sie tun! –Mobbingintervention mit METALOG® training tools

Andreas Schumschal

Der Experte für Gewaltprävention beschreibt den von ihm entwickelten Mobbinginterventionsansatz in der Arbeit mit Schulklassen.

Anhand konkreter Beispiele wird deutlich, wie er einzelne METALOG training tools für die Zielgruppe maßschneidert und die entstehende Gruppendynamik für das Lernen und die persönliche Entwicklung nutzbar macht. Darüber hinaus gibt er Einblicke in begleitende Methoden zum Umgang mit Gewalt.

METALOG training tools: MeBoard, Tower of Power, KultuRallye, Team2['ti:mkvadra:t]

EINFÜHRUNG

Verschiedene Studien und Erfahrungsberichte aus Schulen belegen, wie wichtig das Thema Gewaltprävention an Schulen ist. Im Ostalbkreis wird Gewaltprävention seit vielen Jahren intensiv umgesetzt. Seit dem Jahr 2000 koordiniere ich die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Einrichtungen, die sich mit dem Thema beschäftigen. In den vergangenen Jahren konnte so ein stabiles Netzwerk mit Schulen, Polizei, Jugendhilfe und schulpsychologischer Beratungsstelle aufgebaut werden. Darüber hinaus veranstalte ich regelmäßig Vorlesungen für Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter und pädagogische Fachkräfte.

Mit meinem Mobbinginterventionskonzept möchte ich einen Beitrag leisten, ein gutes Miteinander und ein konstruktives Lernklima in Schulklassen zu ermöglichen, damit Lernen und Entwicklung junger Menschen gelingt. Meine typische Zielgruppe sind Schulklassen ab der 3. Grundschulklasse bis hin zu Berufsschulklassen. Im Vorfeld einer Präventionsveranstaltung werden die Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Eltern in einem pädagogischen Seminar über meine Vorgehensweise informiert.

Das Thema „Mobbing“ hat mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert an Schulen. Es besteht aber auch eine hohe Unsicherheit, sich diesem wichtigen Thema zu nähern. Es gibt eine Vielfalt an Theorien zum Thema Mobbing. Ich sehe meine Arbeit im Sinne von Richard Sennett (Sennett 2012: 10):

Die Kooperation ist in unseren Genen angelegt, darf sich aber nicht in Routineverhalten erschöpfen, sondern muss entwickelt und vertieft werden. Das gilt vor allem für den Umgang mit Menschen, die anders sind als wir. Dort wird Kooperation zu einem anspruchsvollen Unterfangen.

Richard Sennett

Diese Aussage stellt einen Grundgedanken für meinen Ansatz dar (no blame approach – „ohne Schuld“-Ansatz), indem das Einüben von Kooperation im Klassenverband zum zentralen Thema erhoben wird. Empathie, Zuhörenkönnen und das gemeinsame Entwickeln von Lösungen stehen dabei im Vordergrund. Das Potenzial dafür liegt in den Schulklassen selbst. Dafür braucht es von den Lehrkräften ein behutsames „Begleiten“, „Mut machen“ und die Entwicklung von „zivilcouragiertem Handeln“ einzelner Schüler. Dabei gleicht die Arbeit mit Mobbing häufig einer Gratwanderung zwischen Prävention und akuter Intervention. So sind auch die Methoden, die ich im Folgenden vorstelle, meist für beide Auftragssituationen geeignet.

Mobbing tritt vor allem in hierarchisch gegliederten Systemen mit klaren Machtstrukturen und Zwangscharakter auf, die nicht einfach zu verlassen sind (z. B. im Militär, im Gefängnis, in der Schule). Und zwar besonders dann, wenn nur schwache Kontrolle herrscht oder diese ganz fehlt (vgl. Sharp & Smith 1994).

Gerade deshalb ist es wichtig, zu Beginn einer neuen Klassenzusammenstellung gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern klare Regeln des Zusammenlebens zu vereinbaren und z. B. in einem Regelbarometer schriftlich zu fixieren. Statt Kontrolle auszuüben, versuche ich mit meinem Programm, das Klassenklima zu stärken und positive Kräfte und Ressourcen in der Klasse zu aktivieren. Es soll zivilcouragiertes und prosoziales Handeln aufgebaut und gefördert werden. Mit den Schülern versuche ich, eine vertrauensvolle und ehrliche Gesprächssituation zu schaffen. In jeder Klasse gibt es mutige und couragierte Schüler, die ich dann später als „Anwälte“ für das Mobbingopfer einsetze. Diese Ressource muss gezielt und sehr behutsam im Laufe des Vormittags vorbereitet werden.

In meinem Konzept möchte ich alle Beteiligten angemessen mit ihrer Verantwortlichkeit konfrontieren und ihnen eine Rückkehr in den Klassenverband ermöglichen. Untersuchungen an der Universität München (vgl. Schäfer & Korn 2004) konnten darlegen, dass das Verhalten von Mobbingopfern keinen Einfluss darauf hat, ob die Täter das Mobbing einstellen oder weiter betreiben. Gut gemeinte Ratschläge an das Opfer verunsichern und schwächen das Selbstbild der Betroffenen noch mehr. Eine sekundäre Viktimisierung, ausgelöst durch die, die helfen sollten, kommt in Gang (vgl. Cordes 2006). Schülern mit Zivilcourage muss der Rücken gestärkt werden, damit sie ihre soziale Kompetenz wahrnehmen und sich unterstützend für die „Situation des Opfers“ einsetzen können.

Auch durch die Anwesenheit des Klassenlehrers während des Trainings – er ist in der Rolle des Beobachters – ergibt sich für diesen die Chance, die einzelnen Schülerinnen und Schüler aus einer anderen Perspektive zu sehen, um so auch die Ressourcen einzelner Schüler zu erkennen.

Mobbing muss als Gruppenphänomen betrachtet werden, zu dem das gesamte System „Schule“ seinen Teil dazu beiträgt. Folglich muss die Mobbing-Dynamik – mit den ihr zugrunde liegenden Motiven – identifiziert werden, um brauchbare Interventionen möglich zu machen. Empirische Befunde bestätigen, dass eine Intervention sehr schwierig sein kann, weil Mobbing für die Mobber funktioniert, diese wenig Sanktionen bekommen und in ihrem Verhalten verstärkt werden. Häufig sind die Mobber einflussreiche und beliebte Schüler. Ist dann Mobbing in den Klassen weit fortgeschritten, kann es zu einer legitimen und akzeptierten Dominanzerwerbsstrategie innerhalb der Klasse werden (Hörmann & Stoiber 2014: 179). Opfer von Mobbing kann jedes Kind werden. Franz Hilt beschreibt in seinem System der Schikane drei Phasen: Test-, Konsolidierungs- und Manifestationsphase (vgl. Grüner & Hilt 2012). Bei Mobbing ist es wichtig, sehr früh zu intervenieren. Jedoch reden die Opfer in der Regel sehr selten mit ihren Eltern und Lehrern, was zu einer weiteren Geheimhaltung in der Klasse beiträgt.

Mit meinem Konzept möchte ich den Schülern ein eigenes „Drehbuch“ zur Orientierung in schwierigen Beziehungssituationen an die Hand geben. Denn es ist möglich, durch eine gute Klassengemeinschaft und einen regelmäßigen Austausch z. B. im Klassenrat ein positives Lernklima herzustellen. Wirkungsvolles Arbeiten im Bereich Gewaltprävention braucht einen Rahmen, in dem die Kinder eigene Erfahrungen machen können. Schon 1762 schrieb Jean-Jacques Rousseau (zitiert bei Fileccia 2012):

Unsere Begierde zu unterrichten und unsere Pedanterie treibt uns immer dahin, Kindern Dinge zu lehren, die sie viel besser durch sich selbst lernen würden.

Jean-Jacques Rousseau

Tag 1Woche 11.Auftragsklärung, Begrüßung20–30 Min.2.EmotionCards, MeBoard oder Smileyrunde30 Min.3.Stargastinterview45 Min.4.Tower of Power mit Auswertung Transfer auf Regelbarometer oder MeBoard60 Min.5.Abschlussrunde und Hausaufgaben für den nächsten Termin30 Min.
Tag 2Woche 21.Begrüßung und Rückmeldung mit einer Smileyrunde30 Min.2.Einsatz der Schwimmnudel und Sensibilisierung für das Thema Mobbing30 Min.3.Regelbarometerauswertung (Wie hat es in der letzten Woche mit den vereinbarten Regeln geklappt?)30 Min.4.KultuRallye mit Auswertung Isomorphie-Tabelle60 Min.5.Klassensoziogramm Alternativ: „Plötzlich bist du Außenseiter“60 Min.6.Abschluss und Auswertung
Tag 3Woche 31.Begrüßung und Rückmeldung mit einer Smileyrunde30 Min.2.Mobbingopfer identifizieren und motivieren60 Min.3.Eigenverantwortung der Schüler einfordern (Verhaltensvertrag)120 Min.4.Abschluss und Auswertung
Tag 4Idealerweise ca. 4 Wochen nach dem letzten Treffen1.Begrüßung und Smileyrunde oder Bilder vom MeBoard (Hat jeder Schüler noch sein Bild aus der ersten Veranstaltung im Kopf?)30 Min.2.Austausch über die Veränderungen in der Klasse60 Min.3.TeamTransfer 2 zur Klassensituation45 Min.4.Installierung des Klassenrats mit konkreten Beispielen45 Min.5.Abschluss mit einer Übung, die bei allen Beteiligten ein „gutes Gefühl“ hinterlässt, z. B. Das Band („Respekttuch“), Moderationsbälle zur Auswertung

Überblick eines möglichen Trainingsablaufs

Nach meinen Erfahrungen sind Schülerinnen und Schüler sehr wohl bereit, sich mit Mobbing auseinanderzusetzen. Dazu biete ich ihnen mit meinem Programm eine Möglichkeit. Bevor ich in die Klasse gehe, kläre ich mit den Klassenlehrkräften den Rahmen und die Erwartungen. Letztlich muss aber für eine erfolgreiche Arbeit der Auftrag und die Bereitschaft, sich mit mir zu diesem Thema auseinanderzusetzen, von den Schülern kommen. Kommt eine solche Beauftragung nicht eindeutig zustande, braucht es einen anderen Zugang, meist über die Schulleitung oder die Eltern.

Arbeit mit der Klasse: Überblick

Ein idealer Arbeitsrahmen sind drei einzelne Tage in drei aufeinanderfolgenden Wochen mit einem Follow-up-Termin vier Wochen nach dem letzten Treffen. An den einzelnen Tagen arbeite ich mit der Schulklasse von 8:30 bis 12:00 Uhr mit 20 Minuten Pause. Ein möglicher Ablauf kann wie auf S. → dargestellt aussehen.

Im Folgenden möchte ich die oben aufgelisteten Schritte und Interventionen, die ich im Rahmen des Trainings verwende, im Einzelnen vorstellen. Die Verwendung von METALOG training tools ist jeweils als Praxisbeispiel gekennzeichnet.

Auftragsklärung

Die Auftragsklärung stellt die grundsätzliche Basis der Zusammenarbeit dar. Dabei kläre ich mit den wichtigen Beteiligten die Rahmenbedingungen ab und überprüfe auch für mich, ob ich den Auftrag annehmen kann bzw. was noch fehlt, damit die Mobbingintervention im System Klasse Wirkung zeigen kann. Bereits während der Auftragsklärung vermittle ich folgende Haltung: Der Fokus der Aufmerksamkeit sollte weg von der gemobbten Person gehen hin zur zentralen Frage „Wie gehen wir in der Klasse damit um?“.

Mit der Klassenlehrkraft: Was ist vorgefallen? Was kann die Lehrkraft einbringen? Ist die Klasse bereit, mit mir zu arbeiten? Was soll sich verändern? Was hat die Lehrkraft bereits ausprobiert? Ist die Lehrkraft bereit für eine dritte, ganz andere Lösung außerhalb des bisherigen Handlungsspektrums?

Welches Bild gibt es dafür?

Mit den Eltern: Die Eltern müssen damit einverstanden sein, dass in der Klasse zum Thema Mobbing gearbeitet wird. Das wird über den Klassenlehrer koordiniert.

Mit der Klasse: Was ist heute unser Thema? Welche Vorstellungen gibt es?

Begrüßung

Die Schülerinnen und Schüler werden im Stuhlkreis von mir begrüßt. Jeder erhält ein Namensschild, sodass er oder sie mit dem Namen angesprochen werden kann. Auf diese Weise nehme ich zu jedem Schüler kurz Kontakt auf und schaffe ich persönliche Nähe. Dabei finde ich auch heraus, wie mir die Schüler begegnen: z. B. mit einem Lächeln, sie bedanken sich für das Namensschild, machen Bemerkungen zur Klasse usw. Dabei entstehen erste Gesprächskontakte, aber auch erste aufkommende Störungen können im Vorfeld geklärt werden. Mit dieser Eröffnung schaffe ich Struktur und die Schüler nehmen sehr schnell wahr, dass wir uns auf die Beziehungsebene fokussieren.

In dieser Einstiegsrunde frage ich z. B. die Schüler: „Was ist heute unser Thema?“, „Fühlt ihr euch hier in der Klasse wohl?“ oder „Was könnte besser werden, wenn ihr einen Wunsch äußern dürftet?“ Durch Zuwerfen eines Balles schaffe ich erste Gesprächsregeln. Wer den Ball in der Hand hat, hat das Wort und die anderen hören zu. Der Ball muss immer wieder an mich zurückgeworfen werden. So vermeide ich, dass die Schüler mir ihre Kommunikationsstruktur aufsetzen, bleibe zunächst am Steuer und lenke das Gespräch.

Smileyrunde

Als alternative Einstiegssequenz arbeite ich auch gerne mit der Smileyrunde. Hier verwende ich drei große, runde Moderationskärtchen mit einem Smiley, einem „Neutralie“ und einem „Heulie“. Die Kärtchen lasse ich im Kreis herumgehen und jeder erzählt, wie es ihr oder ihm heute geht. Manche reagieren jetzt schon betroffen. In der Smileyrunde lasse ich noch nicht zu, dass nachgefragt wird. Zu diesem Zeitpunkt kommt es häufig schon zu mutigen Äußerungen zur Situation in der Klasse wie „Ich fühle mich oft in dieser Klasse nicht wohl“ oder „Ich vertraue nicht allen Schülern“. Auch Solidaritätsbekundungen durch couragierte Personen können für den weiteren Interventionsprozess auftauchen. Mit diesen Schülern kann ein Unterstützungssystem (Verbündete) für das Mobbingopfer aufgebaut werden. Aus diesem ersten Eindruck kann viel nützliches Wissen selektiert werden. Diese Runde zeigt mir, wo die Klasse zurzeit steht, und gibt mir erste Ansatzpunkte für eine Intervention.

PRAXISBEISPIEL

MeBoard: Einleitung und Abschluss von Gruppenprozess sowie Lernprojekten

Das MeBoard eignet sich für eine Vielzahl an Einsatzbereichen zu Beginn des Gruppenprozesses, nach der Durchführung eines Lernprojektes und auch für das Ende des Trainings.

Zu Beginn: