Georges Bizet - Christoph Schwandt - E-Book

Georges Bizet E-Book

Christoph Schwandt

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Beschreibung

In Paris, seiner Heimatstadt, hat er fast sein ganzes Leben verbracht. In Spanien ist er nie gewesen. Und doch gilt Bizets Carmen als die spanische Oper schlechthin. Ihren überwältigenden Erfolg auf der ganzen Welt erlebte ihr Komponist nicht mehr. Genau drei Monate nach der Uraufführung im März 1875 starb er im Alter von nur 36 Jahren. Noch heute steht sein bemerkenswertes Gesamtwerk im Schatten dieses einen Meisterwerks. Die erstmals 1991 erschienene Biografie von Christoph Schwandt ist nach wie vor die einzige in deutscher Sprache. Das Standardwerk, das wichtige Forschungsergebnisse und Erkenntnisse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts berücksichtigt, wird nun aktualisiert und erweitert vorgelegt.

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Christoph Schwandt

Georges Bizet

Christoph Schwandt

Georges Bizet

Eine Biografie

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bestellnummer SDP 123

ISBN 978-3-7957-8547-5

© 2015 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer SEM 8418

©2011Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

www.schott-music.com

www.schott-buch.de

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung kopiert und in ein Netzwerk gestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen.

Inhalt

Im Schatten des eigenen Meisterwerks

Der Zehnjährige am Conservatoire

»Geschicklichkeit, Kenntnisse und Einfälle«

Für Clovis et Clotilde nach Rom

Statt einer Messe: eine Opera buffa

Vasco da Gama und Roma

Zurück in der Metropole

Iwan der Schreckliche und Leïla

Arrangements und Rhein-Romantik

Die Zigeunerin in Schottland

Keine neue Oper, Heirat, Krieg

Meisterwerke: Jeux d’enfants und Djamileh

Erfolgsmusik zum durchgefallenen Theaterstück

Die Opéra comique Carmen

Anmerkungen

Literatur

Bildnachweis

Werkregister

Personenregister

Im Schatten des eigenen Meisterwerks

Georges Bizet ist der Komponist der Oper Carmen.

Allein ihr Erfolg begründete seine Popularität, wenn auch nicht mehr zu seinen Lebzeiten. Der Komponist von Carmen wurde nur mehr im Lichte dieses Werks gesehen. So wurde Bizet als wichtiger Musiker seiner Zeit verkannt, indem man ihn den »Ein-Werk-Komponisten« der Operngeschichte zurechnete, wie es im deutschsprachigen Raum auch Charles Gounod (Faust), Ruggero Leoncavallo (Pagliacci) und Bedřich Smetana (Die verkaufte Braut) zu Unrecht erging. Carmen wurde zudem nicht in der von Bizet ursprünglich intendierten Gestalt bekannt, sondern in einer bearbeiteten, einerseits um Originales gekürzten, andererseits um anderswo Entlehntes ergänzten Fassung. Gesamtschaffen und Persönlichkeit Georges Bizets blieben im Schatten der großen Aufmerksamkeit für das eine Meisterwerk.

»Ich bin überzeugt, dass Carmen in zehn Jahren die populärste Oper der ganzen Welt sein wird. Aber der Prophet gilt nichts in seinem Vaterland. Carmen hat keinen richtigen Erfolg in Paris gehabt. Bizet starb bald nach ihrer Aufführung als junger Mensch in der Blüte seiner Jahre. Wer weiß, ob nicht infolge der Enttäuschung?«1 So urteilte Peter I. Tschaikowsky, der sich besonders in seiner Oper Pique Dame auf Bizets musikalische Dramaturgie berief und auch – zum Beispiel im Nussknacker-Ballett – deutlich von dessen Instrumentationsstil inspiriert wurde.

Dass Bizet sozusagen an gebrochenem Komponistenherzen gestorben sei, ist viel kolportierte Spekulation; Beweise dafür gibt es nicht. Der zeitliche Zusammenhang zwischen den Schwierigkeiten eines traditionsverhafteten Publikums mit einem provozierenden Meisterwerk und dem frühen Tod eines sein Leben lang kränkelnden Künstlers passte jedoch gut ins Klischee der Musikgeschichtsschreiber des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

»Er lebte in bescheidenen Verhältnissen und musste die verschiedensten Arbeiten annehmen, um Geld zu verdienen.«2 Diese Behauptung zieht sich leitmotivisch durch die meisten Begleittexte von Ton- und Bildträgern, vor allem der Carmen. Richtig ist zwar, dass Bizet mit seiner Arbeit kein reicher Mann wie Giacomo Meyerbeer geworden ist und auch kein Amt, etwa als Professor, innehatte, das ihn materiell versorgte. Er hatte aber auch nie wie Wagner drückende Schulden und musste nicht wie viele komponierende Zeitgenossen einem Brotberuf nachgehen. Bizet lebte in soliden materiellen Verhältnissen und war ein von der Gesellschaft geachteter Mann, ein Ritter der Ehrenlegion.

Carmen wurde in der Tat die bei Weitem populärste Oper. Auch die bekanntesten Bühnenwerke Mozarts, Verdis und Puccinis können nicht konkurrieren, sind sie doch alle in bestimmter Weise an das zentraleuropäische Theaterverständnis gebunden, von Wagners Werken ganz zu schweigen. Von Carmen hingegen gibt es mehrere Schallplattenaufnahmen in russischer Sprache und sogar eine in Mandarin-Chinesisch.3 Prosper Mérimées Carmen-Stoff – durch die Oper Weltliteratur geworden – wurde außerdem, von Bizets kongenialer Musik nicht mehr trennbar, auf unterschiedlichste Weise adaptiert: als Ballett mit originaler Musik wie auch mit Rodion Shchedrins Bizet-Paraphrase4, als Stummfilm (so 1918 von Ernst Lubitsch mit Pola Negri) mit Bizet-Klängen vom Klavier, als aufwendige Kino-Oper, als Hollywood-Musicalfilm Carmen Jones mit Songtexten von Oscar Hammerstein in der Regie von Otto Preminger und als alternatives Musiktheater von Peter Brook. Carlos Saura verband schließlich Tanz und Film mit Carmen.

Georges Bizet wurde zu einem der meistgespielten Komponisten, obwohl außer Carmen und den beiden Suiten mit Musik aus dieser Oper, von denen nur eine autorisiert ist, allein die Orchestersuiten aus L’Arlésienne relativ häufig auf Konzertprogrammen mit sogenannter populärer Klassik stehen. Hier stammt wiederum die zweite nicht von Bizets eigener Hand.

Kurioserweise bekam überdies der Pariser Bizet, dessen einzige wirkliche Auslandsreise5 nach Italien führte, durch den Schauplatz seines Erfolgswerks das Etikett, Spanien in authentischer Musik verewigt zu haben. Die Carmen-Musik ist aber nicht mehr und nicht weniger spanisch als die Musik von Mozarts Figaro oder Beethovens Fidelio, beides Werke, die ebenfalls in und um Sevilla spielen.

Walter Klefisch, der erste deutsche Übersetzer und Heraus geber von Bizet-Briefen, vermerkt mit Recht: »Die Geschichte seines Lebens ist daher weitgehend identisch mit der Geschichte seiner Werke.«6 Aber auch dieser Ansatz zur Würdigung des Komponisten ist heute noch schwierig genug. Eine kritische Gesamtausgabe seiner Werke liegt nicht vor. Die einzige breit angelegte wissenschaftliche Arbeit über das, was Bizet vor Carmen geschaffen hat, konstatiert in diesem Sinne zu Recht »eine jahrhundertlange Entstellung der Originaltexte«.7

Bizets erste Symphonie ist ein genialisches Jugendwerk, das erst über fünfzig Jahre nach seinem Tod wiederentdeckt wurde. Sie galt bis dahin als unbedeutende Schülerarbeit, was auch noch die Fachleute glaubten, die das Manuskript dann verwahrten. Niemand hatte den Nachlass des Künstlers inventarisiert, geschweige denn ihn für eine eventuell interessierte Nachwelt beisammengehalten. Wichtige Korrespondenz wurde von den Erben vernichtet, vieles ging im Zweiten Weltkrieg verloren, ohne vorher kritisch ausgewertet worden zu sein. Charles Pigot, der erste Biograf, berichtete elf Jahre nach dem Tod Bizets viele Fakten und Begebenheiten, die er selbst nur von Dritten erfahren haben kann, und blieb dem Usus der Zeit entsprechend Nachweise schuldig. Vieles davon darf man nach heutigem Kenntnisstand für unwahrscheinlich halten.

Im deutschen Sprachraum wurde der faire und kundige Umgang mit Georges Bizet und seinem Werk zudem dadurch erschwert, dass er namentlich durch Friedrich Nietzsche in eine unsachliche Diskussion um Wagner hineingezogen wurde. Dabei scheint Nietzsches antiwagnerische Eloge auf Bizet und Carmen nichts anderes als eine Caprice des Philosophen gewesen zu sein.8 Auch sind Nietzsches Anmerkungen zu Bizets Oper mit dem Vorbehalt zu würdigen, dass er seinerzeit in Turin wie zuvor in Genua eine italienisch gesungene und in ihrer mangelnden Werknähe fragwürdige Aufführung erlebt hatte und seine Randglossen9 auf die von Julius Hopp übersetzte deutsche Carmen-Fassung machte; Bizets Ästhetik und Dramaturgie hatte er gar nicht unentstellt kennenlernen können.

Die Fachautoren taten das Ihre, indem sie Bizet – von Carmen abgesehen – weitgehend ignorierten. In deutscher Sprache wurde neben einer fundierten Gesamtdarstellung von Leben und Werk des französischen Komponisten aus der Feder Paul Stefan Grünfelds, über deren Vollendung der Autor 1943 im amerikanischen Exil verstarb, nur eine weitere geschrieben, die aus der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende datiert. Adolf Weissmann meinte schon damals über Bizet: »… auch ihm ist das tragische Vorrecht der Großen, mißverstanden zu werden, in reichstem Maße zuteil geworden. Man begreift heute nicht warum … Wagner mißzuverstehen, hatte Deutschland ein gutes Recht; Bizet konnte nur Frankreich mißverstehen. In der Tat war Bizet fast der einzige, der Wagner begriffen hatte, um ihm ausweichen zu können. Kaum war Carmen nach Deutschland gekommen, so erteilte man Frankreich eine Lektion, wie das Land seine Propheten zu ehren habe.«10 Selbst der allerehrenwerte Musikwissenschaftler Guido Adler kolportierte Missverständnisse und Gerüchte, wie die angebliche Existenz von drei Symphonien Bizets neben den Orchestersuiten, und behauptet gar: »Bizet kommt von der Operette her.«11 Auch bei Eduard Hanslick ist (wohl aufgrund schlichter Unkenntnis der Werke) von Les Pêcheurs de perles und La Jolie fille de Perth als »komischen Opern« zu lesen, und dass ihr Komponist ein angestauntes und preisgekröntes Wunderkind gewesen sei.12

Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts fanden dann zwar die übrigen Werke des Carmen-Komponisten etwas mehr verdiente Beachtung, die meisten grundsätzlichen Missverständnisse um Bizet aber blieben.

Der Zehnjährige am Conservatoire

Georges Bizet wurde in ein Elternhaus geboren, das ihn wie selbstverständlich auf den Weg zur Musik führte. Es war bei Weitem mehr als ein »musikalisches Elternhaus« des gebildeten Bürgertums. Bei den Bizets war durch die Beschäftigung mit der Musik der Aufstieg vom einfachen Handwerkerdasein zu mittelständischem Ansehen gelungen. Der Vater Adolphe Bizet (1810–1886) war aus Rouen gebürtig. Bei seiner Heirat mit der um fünf Jahre jüngeren Aimée Delsarte im Jahre 1837 – er war gerade nach Paris gezogen – gab er als Beruf noch Friseur und Perückenmacher an. Schon bei der Eintragung der Geburt des später Georges genannten Sohnes Alexandre César Léopold bezeichnete er sich aber als Gesangslehrer.

Der Drang zur Musik war bei Adolphe Bizet zeitlebens bestimmend gewesen, die unkünstlerische Berufstätigkeit vermutlich nur eine Absicherung des realistischen Mannes, der sein nicht unbedingt herausragendes Talent richtig einzuschätzen vermochte. Einige Kompositionen des alten Bizet liegen in Archiven, mehr als anekdotische Bedeutung haben sie sicherlich nicht. Als Gesangslehrer konnte Adolphe aber durchaus Erfolge vorweisen: Sein Schüler Hector Gruyer hätte beinahe in der Uraufführung von Charles Gounods Faust die Titelpartie übernommen, war den zugegeben außergewöhnlichen Ansprüchen der Partie dann aber doch nicht gewachsen. Gruyer machte immerhin unter dem Namen Guardi in Italien Karriere und wurde in seiner Heimat Ritter der Ehrenlegion.

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