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Dieses eBook: "Gesammelte historische Romane: Christoph Columbus + Alexander in Babylon + Das Gold von Caxamalca + Von Helden und ihrem Widerspiel + Caspar Hauser und viel mehr" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Jakob Wassermann (1873-1934) war ein deutsch-jüdischer Schriftsteller. Er zählte zu den produktivsten und populärsten Erzählern seiner Zeit. Inhalt: Christoph Columbus - Der Don Quichote des Ozeans Alexander in Babylon Der Aufruhr um den Junker Ernst (Zeit der Hexenprozesse) Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens Christian Wahnschaffe Der Geist des Pilgers: Das Gold von Caxamalca Witberg Sabbatai Zewi Sturreganz Der goldene Spiegel Die Schwestern: Donna Johanna von Castilien Sara Malcolm Clarissa Mirabel
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Donna Johanna von Castilien + Sabbatai Zewi + Sturreganz + Christian Wahnschaffe + Der Aufruhr um den Junker Ernst + Die Schwestern und mehr
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Leben und Schicksal des Christoph Columbus zeigen mit augenscheinlicher Deutlichkeit, daß auch der zu großer Vollbringung bestimmte Mensch nur aus seiner zeitlichen Beschlossenheit heraus erklärt werden kann. Unsere Phantasie ist nur allzu geneigt, eine unsterbliche Figur mit den Eigenschaften auszustatten, die erst von ihren Wirkungen herkommen, sonach ihrer irdischen Existenz und Persönlichkeit mit nichten angehaftet haben. Ruhm ist ein höchst geheimnisvoller Kristallisationsprozeß, bei welchem viel Schlacke verarbeitet wird. Deshalb sehen die Zeitgenossen eine bedeutende Erscheinung entweder falsch oder gar nicht, während die Nachwelt stets die Endergebnisse vorwegnimmt, d. h. durch ihr Wissen vom Gewordenen (das im Grunde schon ein Erstarrtes ist) ihre Anschauung vom Werden und Sein entkräftet. Deshalb auch gleichen alle unsere Urteile über historische Epochen wie über historische Personen abgegriffenen Münzen, deren Wert nur bei seltenen Anlässen untersucht wird. Jede Überlieferung erhält sich durch die Summe der mit ihr verknüpften Irrtümer, anders kann und soll es auch nicht sein, denn der Irrtum ist ein zeugendes Element, aus ihm entsteht das Bild, der Mythos und immer erneutes Leben. Wer könnte die Wahrheit ertragen, vorausgesetzt, daß es Wahrheit gibt? An ihr zerbräche jeder Aufschwung, jede Illusion, jeder über die Wirklichkeit triumphierende Idealismus. Sie hat mit dem Dokumentarischen und der gültigen Pragmatik der Geschichte wenig zu schaffen, diese Wahrheit, wie Goldkörner im Erz ist sie in einem rauhen und schwer zu behandelnden Material verborgen, und sie auszugraben und herauszuschmelzen, bedarf es vieler Mühe, vieler Liebe und eines gewissen Mutes, denn die menschliche Seele, worin man sie allein finden kann, ist ein finsteres und von abschreckenden Gespenstern bevölkertes Labyrinth.
Eine eigentümliche Rätselhaftigkeit, ja Zweideutigkeit schillert um die Gestalt des Columbus seit jeher. Alles ist umstritten, der Charakter, die Leistung, der Werdegang, die Lebensereignisse und die Geburt. Sieben Städte im Genuesischen kämpfen um die Ehre, seine Wiege beherbergt zu haben, ihnen hat sich Korsika und Frankreich gesellt. Mit ziemlicher Sicherheit kann angenommen werden, daß sein Vater ein armer Wollweber war, aber diese Tatsache hat er selbst zu verwischen sich bemüht. Die geringe Herkunft erschien ihm als ein Makel, denn in den Tagen der Glorie spricht er von seinen adligen Ahnen; ich bin nicht der erste in meiner Familie, der als Admiral die Meere befahren hat, behauptet er. Den Beweis dafür bleibt er schuldig. Einige seiner Gegner nennen ihn deshalb einen Lügner. Sie haben wenig Einbildungskraft und eine dürftige Vorstellung dieser tiefen, schier unergründlichen Natur.
Sein Lebenslauf hat manche Ähnlichkeit mit einer mittelalterlichen Legende. In einem Zeitraum von zwanzig Jahren habe ich mich, von Frist zu Frist, immer wieder mit ihm beschäftigt; immer wieder mußte ich mich fragen: ist dies verbürgt? ist jenes nicht bloß Sage? sind die oder die Geschehnisse nicht apokryph, und die oder die überhaupt nur wahrscheinlich? Aufsteigend aus dem Nichts, ein hergelaufener italienischer Abenteurer, wird er Großadmiral von Spanien, Vizekönig ungeheurer Reiche, bezahlt sieben Jahre des Glanzes und der Macht mit jähem Sturz und beispielloser Demütigung, und nach schwachem Wiederaufflammen stirbt er als beinahe vergessener Mann einen einsamen Tod.
Außerordentliches Schicksal. Es zu verstehen, muß man das Außerordentliche der allgemeinen Situation erwägen. Man kann es nur, wenn man den inneren Blick von allem Gewußten reinigt, auch von allen schematischen Prägungen, den Verfälschungen der Ideen und Zusammenhänge. Um unbetrogen zu bleiben, müßte man als Wiederauferstandener aus der Geistesstimmung und den Begriffen der Epoche heraus sehen und zugleich über die Zeitferne hinweg das einander Widerstrebende zur Einheit bringen können. Da sich der Ehrgeiz so hoch nicht versteigen darf, hat man sich mit Geringerem zu begnügen, mit dem Versuch der möglichsten Annäherung.
Wenn heute ein tollkühner Pilot sich entschlösse, nach dem Mars zu fliegen, die Reise auch anträte, auf dem Weg aber einen bisher unbekannten Planeten entdeckte und mit der Kunde von diesem neuen Stern zurückkehrte, von fremdartigen Menschenwesen und nie gesehenen Tieren und Pflanzen Nachricht brächte, die in einer fremdartigen Atmosphäre gedeihen, von Ausmaßen und Größenverhältnissen, die alles, was das Auge bisher gewohnt gewesen, zwerghaft erscheinen ließe, so wäre die Revolution der Menschheitsphantasie ungefähr die nämliche, die damals die Entdeckung des Columbus hervorrief. Denn das und nichts anderes ist es, was sie zunächst bewirkte: Revolution der Phantasie.
Neue Welt; heute ein geographischer Begriff; dem Menschen vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein abergläubisch-religiöser. Kraft eines Zaubers, von dem er noch nicht wußte, ob er gut oder böse war, verschwanden die Wände seines Hauses, des altbewährten Hauses Europa, das er sich nach jahrtausendelangen Plagen halbwegs wohnlich eingerichtet hatte. Unheimlich genug war ihm schon Asien, das dem endlich vertraut gewordenen Besitz anhing wie einem Garten eine gefürchtete Wildnis, mit sehr fernen Lockungen allerdings; Afrika, von dem er, seit Urzeiten, nur die nördlichen Randgebiete kannte, war jenseits dessen, was man zu benennen vermochte, tödliche Wüste und bedrohliche Finsternis. Die Botschaft von neuer Welt erschütterte das Gerüst der alten. Was man vernahm, war schauerlich; ein unendliches Meer, von dem man nichts gewußt, das zu durchfahren die Schiffe Monate unterwegs waren, ohne seine Grenzen zu erreichen; namenlose Völker, die nackt gingen und namenlose Gottheiten verehrten; unzählbare Inseln, unermeßliche Länder mit barbarischen Königen und wilden Sitten: war es nicht einfach Sinnentrug, so war es das Vorzeichen des längst prophezeiten Untergangs der Welt. Die Angst, von der die europäische Menschheit erfaßt wurde, konnte nur aufgehoben werden durch eine ebenso intensive Begierde. Das Wort, das sie auslöste und bis zur Raserei hinauftrieb, hieß: Gold.
Freilich war der Glaube an den angenommenen Bestand der Welt schon gelockert gewesen. Die Entdeckung war in der Gemütsverfassung des alten Kontinents durch Ahnung wie durch sagenhafte Überlieferung vorbereitet. Die Reisen kühner Missionare und waghalsiger Kaufleute, die Unternehmungen italienischer und portugiesischer Seefahrer hatten sie in traumgleiche Nähe gerückt. Zudem hatte der weitschauende Geist einzelner Forscher denen die Bahn geebnet, die es drängte, Annahme und Erratenes zur Tat zu machen.
Es scheint immer mehr, daß die ägyptische Sage von der Atlantis, die schon Plato erzählt, keine bloße Fabel war, sondern auf der dunklen Erinnerung an eine gewaltige Erdkatastrophe beruhte. Zweifellos gibt es ein Generationengedächtnis, das den Eindruck großer Ereignisse durch die Jahrtausende trägt und in welchem jene Kraft wurzelt, die die mit ihr begabten Männer befähigt, den Kerker wenn nicht zu öffnen, so doch Schritt für Schritt zu erweitern, worin das menschliche Geschlecht gefangen liegt.
So rüsteten sich die phönizischen Schiffer zur Fahrt nach der Ultima Thule, die, ob man sie fand oder nicht, letztlich nur ein Symbol der schwebenden Sehnsucht war; so segelten, vom Urinstinkt des Wanderns getrieben, skandinavische Normannen in frühhistorischer Zeit nach den Küsten Neufundlands; so suchten die Araber, die mutigsten Seefahrer des Mittelalters, den Ozean bis zu den Azoren und Kanarischen Inseln nach neuen Ländern ab.
Doch es war das Chaos, das die weiten Gewässer begrenzte, keine Vermutung konnte da vordringen, eine Art Geisterfurcht lähmte schon die Absicht. Xerif al Edrizi, ein maurischer Schriftsteller, sagt sehr ausdrucksvoll: »Dieses Meer umgibt die letzten Ränder der bewohnten Erde, und alles dahinter ist unbekannt. Niemand war noch imstande, etwas darüber ins Klare zu setzen wegen der schweren und gefahrvollen Schiffahrt, des großen Dunkels, der häufigen Stürme und der gefährlichen Raubfische. Die Wellen, wiewohl sie sich hoch wie Berge türmen, tragen sich, ohne zu bersten, denn bersteten sie, so wäre es den Schiffern gar nicht möglich, sie zu durchfurchen.«
Aber das Unbekannte lockte ohne Unterlaß und verschlang die Verlockten, Tausende in jedem Jahrhundert. Von wenigen sind die Namen erhalten. Um 1290 verließen die Brüder Vivaldi auf zwei Galeeren den Hafen von Genua, um das unerforschte Afrika zu umschiffen. Sie kamen nicht mehr heim. Alle romanischen Völker nannten die Italiener ihre Lehrer im Seewesen; der Genuese Porsagno war portugiesischer Admiral, der Venezianer Cadomosto erforschte Senegambien. In vergessenen Chroniken geschieht bisweilen solcher unerhörten Fahrt Erwähnung, die das bewundernde Grauen der Zeitgenossen erregte; die mittelbaren Wirkungen zeigten sich, wie vorher bei den Kreuzzügen, in Dichtung und Märchen, die sich in Motiven und ganzen Motivenkreisen vielfach um die abenteuerlichen Reisen bewegten.
Religiöser Eifer war ein Antrieb, kaufmännischer Handelsgeist ein anderer. Da der Ozean unwegsam blieb und die Nautik noch ohne wissenschaftliche Befehle war, kannte man doch vor dem Jahr 1200 den Kompaß noch nicht, erzwangen sich furchtlose Pioniere den Weg über Syrien und Indien bis zum äußersten Osten Asiens. Um 1250 zogen der Dominikaner Aszelin und der Franziskaner Piano Carpini als Glaubensboten in den Orient. Bis zum Sturz der mongolischen Dynastie im fünfzehnten Jahrhundert bestand eine regelmäßige Verbindung genuesischer und venezianischer Firmen mit China. Einige betrieben sogar auf den Molukken ihre Geschäfte, und da ging es natürlich um praktischere Dinge als um die Verbreitung christlicher Lehre; sie erhandelten Pfeffer, Ingwer, Zimt, Kardamom und Indigo, begehrte und hochbewertete Ware, die schon das Wagnis des Erwerbs teuer machte.
Ja, es ging um Gewinn, aber nicht allein um Gewinn. Es war da auch ein Stück Romantik im Spiel. Die Zeit brachte den Typus des romantischen Händlers und Kaufmanns hervor, dessen charakteristischeste Verkörperung Marco Polo ist. Die phantasievolle Beschreibung seiner Reise und des jahrzehntelangen Aufenthalts in den Reichen des Groß-Chans gehört zum unveräußerlichen Gut der europäischen Literatur. Das Buch hat, in seiner Weise, eine ebenso tiefe Wirkung geübt wie die Schriften des Aristoteles oder wie Ariosts rasender Roland, es ist in die untersten Schichten des Volks gedrungen, wandernde Erzähler verbreiteten seinen Inhalt bis in das Herz des Kontinents, bis ans nördliche Meer, und Jahrhunderte hindurch hat es wie eine beglückende Fiktion in allen an die Scholle Geketteten wirklichkeitslose, wirklichkeitserlöste Bilder von fremden Ländern und Menschen erzeugt. Die Geschichte kennt nicht viele geistige Ereignisse dieser Art, Defoes Robinson Crusoe war eines.
Bei der Rückkehr der Poli von ihrer zweiten Reise wollte sie niemand in Venedig erkennen. Sie waren ziemlich entstellt, trugen schmutzige und abgerissene Kleider, und die Verwandten weigerten sich, ihnen ihre eigenen Häuser aufzuschließen. Erst nach Wochen gelang es ihnen, die Freunde zu überzeugen, daß sie die waren, für die sie sich ausgaben. Um jeden noch übriggebliebenen Verdacht zu zerstreuen und zugleich eine feine Rache zu nehmen, veranstalteten sie ein Fest, zu dem sie die vornehmsten Familien der Stadt einluden. Das Haus war prächtig geschmückt, silberne und goldene Gefäße zierten die Tafel, reichgekleidete Diener servierten köstliche Speisen und die edelsten Weine. Die Wirte erschienen zuerst in langen Schleppkleidern aus karmoisin Atlas, dann entfernten sie sich und kamen zum Erstaunen der Gäste in noch schöneren Gewändern aus karmoisin Damast wieder, dies wiederholten sie abermals und zeigten sich in karmoisin Samt. Jedesmal wurden die abgelegten Gewänder zerschnitten und der Stoff unter die Dienerschaft verteilt. Am Schluß des Abends schickten sie alle Diener hinaus, und Marco holte aus dem Nebenzimmer seine schäbigen Reisekleider von grobem Wollenzeug herbei. Als die Damen darüber die Nase rümpften, reichte Marco einer von ihnen, der herzhaftesten, eine Schere und forderte sie auf, den weiten Ärmel, den unsauberen Kragen, den geflickten Gürtel aufzuschneiden. Als die andern sahen, daß aus den geöffneten Stellen Perlen und Edelsteine herausrollten, ließen sie sich nicht mehr bitten; keine Naht blieb unaufgetrennt, denn alles was herausfiel durften sie behalten. Von da an genossen die Polos hohe Achtung, und Marco, der mit so unvergleichlicher Beredsamkeit von den Palästen und Schätzen des Groß-Chans zu erzählen wußte, wobei er mit dem Wort Million äußerst freigebig war, wurde überall der Messer Millioni genannt; sein in der Straße San Chrysostomo gelegenes Haus hieß die Casa Millioni.
»Zipangu«, berichtet er, »ist eine große Insel des Morgenlands und liegt von den Küsten von Mangi in hoher See fünfzehnhundert Miglien entfernt. Die Einwohner sind weiß, sehr schön, von angenehmem Wesen. Sie beten Götzen an und werden von ihrem eigenen König regiert. Gold haben sie in allergrößtem Überfluß, man findet es, wo man will. Der Palast des Herrschers ist ganz mit Goldplatten belegt, wie wir unsere Häuser und Kirchen mit Blei decken. Auch die Säle und Zimmer sind mit Gold getäfelt, die Fenster mit Gold verziert. Es gibt Perlen in Menge, Edelsteine so viel, daß man sich nur danach zu bücken hat, und der Stadt Quinsay, die ihren Namen, Stadt des Himmels, von ihrer Herrlichkeit hat, kommt keine in der Welt gleich. Man findet dort Vergnügungen von einer Art, daß man im Paradies zu sein wähnt. Die Frauenzimmer in allen Straßen sind so verführerisch, daß ich gar nicht davon sprechen will, und sie haben solche Erfahrungen in den Liebkosungen, daß, wer einmal davon genossen hat, sie nie mehr vergessen kann.«
Den tiefsten Eindruck jedoch machte Cambalu auf ihn (es scheint das heutige Peking zu sein), die Residenz des Groß-Chans in der Provinz Cathajo. Die Wunder der Gärten und der zwölfhundert Marmorbrücken, die Pracht des Hofstaats, der unermeßliche Reichtum des Fürsten, die Feste, die Aufzüge, die Schönheit der Landschaft verleiten ihn zu trunkener Uberschwenglichkeit. Es ist die pure Aufschneiderei, natürlich. Aber man darf annehmen, daß er alles glaubte, was er erzählte, schon deswegen, weil er keine Konfrontation mit den Tatsachen und der Wirklichkeit zu fürchten hatte. Da er das Vertrauen seiner Zuhörer und Leser besaß, log er längst nicht mehr, wenn er Niegesehenes darstellte, sondern hielt in heiterer Selbstberauschung an Erdichtetem fest. Und seine Welt zweifelte nicht im geringsten an ihm. Seine Reisebeschreibung galt als geographisches und ethnographisches Werk für unanfechtbar, die Namen der Reiche und Städte, die er besucht oder von denen er gehört, wurden nach seinen Angaben in die Landkarten aufgenommen, und erst durch seine Mitteilungen gewannen sie im Bewußtsein Europas ihre Existenz. Zweihundert Jahre später waren sie es dann, auf die Columbus immer wieder verwies, in ihnen wurzelte der sonderbare donquichotische Irrtum seines Lebens, sie waren ihm offenbarende Kundgebungen und zugleich die wissenschaftlichen Quellen, auf die er sich stützte.
Nicht sie allein allerdings. Einer von seinen Kronzeugen war der sogenannte Sir John Mandeville, eine mysteriöse Persönlichkeit, von der man nicht weiß, ob ein Phantast, ein Schelm oder ein Gelehrter dahintersteckte. Doch nahm man ihn nicht minder ernst als Marco Polo, wenn er von dem Reich Abthas fabelte und einer Provinz Buonavison, die niemand zu betreten wagt, weil sie ganz mit Nebel bedeckt ist, aus dem nur manchmal Pferdewiehern und Hähnekrähen klingt; von einem ungeheuren Sandmeer, worin Fische leben; vom Tal der Gefahren am Strome Frison, das voll von Dämonen und bösen Geistern ist; von der Insel Fracan, deren Bewohner sich vom Duft wilder Äpfel ernähren. Polos Schilderungen sind armselig gegen seine, zumal der Groß-Chan wird zu einer orientalischen Märchenfigur; dreimalhunderttausend Sklaven stehen im Dienst des Palastes, zehntausend Elefanten und zehntausend Adler hausen in goldenen Räumen, überhaupt wird mit Gold und Edelsteinen in diesen Schilderungen so verschwenderisch, so schwelgerisch umgegangen, daß man es dem Verfasser noch ehrenvoll anrechnet, wenn von gewöhnlichen Dingen die Rede ist.
Hier wirft sich die Frage auf, inwieweit die Menschen verschiedener Epochen fähig sind, Wirklichkeit zu erfassen. Dieses Vermögen ist im fünfzehnten Jahrhundert ein vollständig anderes als im zwanzigsten. Es gibt eine Faktentreue, die den kindlicheren Zeiten abgeht, der Begriff der Wahrheit ist so unscharf wie die Verpflichtung zur Wahrheit unverbindlich. Zwischen dem Gegenstand und dem Bild von ihm ist noch zu viel leerer Raum, den die Phantasie mit vorgelebten Anschauungen, mit Angst-, Wunsch-und Traumvorstellungen füllt und der sich erst bei zunehmendem Wissen und geordneter Erfahrung verengert. Das Auge Keplers ist nicht mehr das des Ptolemäus, das des modernen Bakteriologen ein ganz anders beschaffenes Organ als das des mittelalterlichen Alchimisten. Solange die Menschheit von der Natur und vom Leben Wunder verlangt, weil Gott nur im Wunder geglaubt wird, fühlen sich diejenigen, die tiefer in unerforschtes Wesen dringen, beinahe gezwungen, Wunder zu berichten, um sich zu legitimieren. Und berichten sie sie, so werden sie ihnen auch schon zugeschrieben, der Schwindler wird zum Hexenmeister, ohne daß ers recht merkt.
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Einige Bewunderer des Columbus versichern, er habe seine Studien auf der Universität Padua gemacht, sie haben sogar mit vielem Fleiß die Namen der Professoren herausgefunden, deren Collegia er besucht haben soll. Es gibt keinen Beweis dafür. Wahrscheinlich wurde ihm nur der primitivste Unterricht zuteil, und obgleich er sich mündlich und schriftlich oftmals auf die klassischen Autoren beruft, kann man annehmen, daß er sie nicht in der Ursprache gelesen, vielleicht überhaupt nicht gelesen, sondern nur von ihnen gehört und das ihm wichtig Dünkende sich eingeprägt hat. Sicherlich war sein Geist von Anfang an auf den einen einzigen Zweck gerichtet und hat alles hierzu Dienliche mit manischer Gier aufgesogen.
Das Jahr seiner Geburt ist unbestimmt. Er selbst nennt es nicht, die Angaben anderer schwanken zwischen 1436 und 46. Schon im Alter von vierzehn Jahren soll er zur See gegangen sein, doch über den Erlebnissen seiner Jugend liegt unaufhellbares Dunkel. Er schweigt so beharrlich darüber, daß man auf den Gedanken kommen muß, er habe triftigen Grund, zu schweigen. Er muß sich viel herumgetrieben, viel Mißgeschick erlitten, hart ums Brot gerungen haben, denn es wird berichtet, daß er in verhältnismäßig jungen Jahren schon grauhaarig gewesen sei.
Einmal erzählt er eine sonst nirgends verbürgte Geschichte aus dem Dämmer seines Aufstiegs, wonach er im Dienste des Königs René von Neapel eine Fahrt nach Tunis unternommen habe, um eine feindliche Galeere abzufangen. Da die Besatzung mutlos geworden sei und die Rückkehr gefordert habe, sei er zum Schein darauf eingegangen, habe jedoch heimlich die Richtung des Kompasses verändert und so die Mannschaft getäuscht. Bei Sonnenaufgang habe sich das Schiff am Kap von Cartagena befunden, während alle glaubten, es segle nach Marseille.
Davon abgesehen, daß ein historischer Anhalt für diese Begebenheit fehlt, verrät sie durch die Analogie mit einem ähnlichen Betrug während der ersten Fahrt nach Westindien, daß ihr die charakteristischen Züge erst durch eine spätere Erfahrung verliehen worden sind. Wann immer er sich über seine eigene Vergangenheit äußert, geschieht es in der Absicht, Heldenmythos zu erzeugen. Er wußte nie, wer er war, er wußte nur, wer er sein wollte.
Ebenso unerwiesen ist die Seereise nach Island und ins Polargebiet, die er unternommen zu haben behauptet, und zwar im Monat Februar des betreffenden Jahres. Seine Berichte darüber sind sehr wenig glaubwürdig, die geographischen und klimatischen Angaben falsch, auch wo sie nicht schlechthin absurd sind wie die, daß die Flut in jenen Breiten täglich sechsundzwanzig Klafter hoch steige. Nicht als ob er löge, er lügt nicht, er sieht es so oder er will es so gesehen haben, jedes Gewesene und ihm Geschehene wird ihm Roman, kein Ereignis bleibt in seinen natürlichen Maßen und Grenzen, alles drängt zum Ungeheuern hin, alles ist Katastrophe und Äußerstes. Man spürt einen Menschen, der im Gefühl einer Sendung geradezu verbrennt, aber er weiß noch nicht die Richtung und sieht noch keinen Weg.
Darum hat er auch keinen bestimmten Plan, noch ist er bestrebt oder imstande, sich wissenschaftliches Material zu beschaffen. Wie aus den zeitgenössischen Zeugnissen hervorgeht, ist er ein Dilettant in den nautischen Künsten, seine Unwissenheit in der Erdkunde erregt den Spott der Fachleute. Es wäre nicht ohne Reiz, zu untersuchen, wann und bei welchem Anlaß der Gedanke zum erstenmal in ihm auftauchte, die Ostküste Asiens auf geradem Weg vom Westen her zu erreichen (denn nur dieses und nichts anderes wollte er), aber darüber findet sich nicht einmal eine Andeutung, und seinem mystischen Hang gemäß mußte ihm alles daran liegen, solche Spuren zu verwischen.
Kurz vor seinem Tode schrieb er an die spanischen Hoheiten: »Zur Ausführung meiner Fahrt nach Indien haben mir weder Vernunft, noch Mathematik, noch Weltkarten geholfen, es ist ganz einfach in Erfüllung gegangen, was der Prophet Jesaias vorhergesagt hatte. Vor dem Ende der Welt müssen alle Prophezeiungen in Erfüllung gehen, das Evangelium muß auf der ganzen Erde gepredigt werden, und die heilige Stadt muß der Kirche Christi zurückgegeben sein. Gott hat durch meine Entdeckung ein großes Wunder bewirken wollen.«
Kennen wir diese Töne nicht? Klingt es nicht ähnlich, wenn Don Quichote von seiner Bestimmung spricht, Vorbild der Ritterschaft und Heilsbringer der Menschheit zu sein? Es ist nicht ohne Großartigkeit, wie er die Vorbereitungen aufzählt, die er, als Auserkorener, dennoch habe treffen müssen und welche Schwierigkeiten er dabei zu überwinden gehabt: »Von meiner frühesten Jugend an war ich ein Seefahrer und habe dies fortgesetzt bis auf heut. Der Seefahrer will die Geheimnisse der Welt ergründen. Wo man auf Erden zu Schiff war, bin ich zu Schiff gewesen. Verhandlung und Gespräch habe ich gepflogen mit gelehrten Leuten, mit Geistlichen und Weltlichen, Lateinern und Griechen, Juden und Mauren und mit vielen andern von anderm Glauben. Meinem Wunsche war der Herr geneigt, er verlieh mir Geist und Einsicht. In der Wissenschaft vom Segeln gab er mir zum Überfluß, in der Astrologie so viel als nötig war, und so auch in der Geometrie und Astronomie. Ferner gab er mir Lust und Geschicklichkeit, um Karten zu zeichnen und darauf Städte, Gebirge, Flüsse, Inseln, Häfen, jedes an seiner Stelle. Ich habe gesehen und in Wahrheit auch studiert alle Bücher, Weltbeschreibung, Historie, Chroniken und Philosophie, dann noch andre Künste, für die mir unser Herr mit sichtbarer Hand den Sinn aufschloß und mich aufs Meer schickte und mir das Feuer gab zur Tat. Die von meinem Unternehmen hörten, nannten es ungereimt und verhöhnten mich und lachten. Wer aber möchte zweifeln, daß es nicht Erleuchtung vom heiligen Geist gewesen ist?« (Er meint: da es ihm schließlich gelang, konnte man unmöglich daran noch zweifeln, vorher hielten ihn die Menschen für wahnsinnig.)
Hier steckt ein beachtenswertes Stück Autobiographie. Welch eine Stimme, was für eine Starrheit des Geistes, wieviel Bitterkeit im Zurückschauen, und das Aufatmen im Erfolg, das glühende Gefühl der eigenen Leistung! Als ob einer ganz eingehüllt wäre vom Bewußtsein der Übermenschlichkeit. Er macht sich klein, weil er sich so gewaltig groß erscheint; wenn er sich als das Werkzeug der Gottheit betrachten darf, steht er Gott näher als jede andere Kreatur. Er hat jene Demut mit den harten Fäusten, die auf dem Weg zur Selbstentäußerung alles zerbricht, was ihr verwehrt, sich in ein höheres Selbst zu verwandeln.
Er kennt die Kosmographie des Papstes Pius; die astronomischen Ephemeriden des Regiomontan; die Schriften des Abtes Walfried von Reichenau; die imago mundi des Kardinals d’Ailly; nicht erst im Umgang mit dem Prior von La Rabida und in der Vorbereitung zur Prüfung vor der spanischen Junta hat er sie kennengelernt, sondern sicherlich schon viel früher, auf ausgedehnten Fahrten, in allen Mittelmeerhäfen, im Gespräch mit Kartographen, gelehrten Mönchen, Schiffskapitänen, Händlern, Sterndeutern und Manuskriptverkäufern. Aus einer dem Aristoteles zugeschriebenen, in Wirklichkeit von Posidonios verfaßten Abhandlung hat er erfahren, daß man schon im Altertum der Ansicht war, man könne von der Westküste Afrikas aus in wenigen Tagen nach Indien gelangen; in dem mystischen Buch, das er am Ende seines Lebens schrieb, zitiert er feierlich eine Stelle aus der ›Medea‹ des Seneca, deren Sinn ist: in späten Jahren wird eine Zeit kommen, wo Ozeanus die Bande der Dinge zerreißen, der ungeheure Erdkreis erschlossen sein, die Meergöttin neue Welten enthüllen wird. Das bedeutet ihm mehr als poetische Vision, es ist eine Prophetenstimme, die seine Annahme zur Gewißheit erhebt. Aber er wägt keine Stimme, prüft keine Zeugenaussage auf ihre Vertrauenswürdigkeit, was ihm zu dienen, seinen Drang zu bestätigen scheint, nimmt er wahllos an und auf und verkündet es wieder, als wäre es von ihm selbst erforscht und gesagt; alle haben vor seinen Augen denselben Anspruch auf Autorität, der von seinen Einbildungen berauschte Schwärmer und der auf die Leichtgläubigkeit unwissender Zuhörer spekulierende Betrüger; wenn sie seine flammenden Halluzinationen nähren, verweist er auf die skrupellosen Phantasten und Märchenerzähler mit derselben gläubigen Gebärde wie auf einen Martin Behaim oder Pablo Toscanelli.
Herrschte in einem solchen Kopf nicht das Chaos, jene düster lohende Verwirrung, die keine Rangordnung der Gedanken und Werte mehr zuläßt, der Schrecken vor der Tat wäre zu groß, als daß die Tat vollbracht werden könnte. Erkenntnis macht feig, der Wille kann nur in einem gewissen Zwielicht unaufhaltsam vorwärts treiben.
Das Interesse der seefahrenden Nationen war um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ausschließlich auf die Umschiffung Afrikas gerichtet. Dieser Kontinent war der mächtige Damm, der ihrem Entdeckertrieb Halt gebot. Weit in den Ozean hinaus wagte sich kein Fahrzeug. Von 1431 bis 53 setzten sich die Portugiesen unter Führung des wunderbaren Infanten Don Enrico an der Gold-und Pfefferküste fest und machten die Inseln Santa Maria, San Miguel, Terçeira, San Jorge, Fayal und Graciosa zu ihren Kolonien. Unbestritten war noch immer Wort und Meinung des Ptolemäus: nach seiner Annahme dehnte sich das Festland von Afrika bis zum Südpol aus, ohne eine Durchfahrt zu gestatten. Doch gab es Überlieferungen, denen zufolge Eudoxus von Cyzicus schon in frühester Zeit vom Roten Meer nach Gibraltar und der Karthager Hanno mit einer Flotte von sechzig Schiffen von Gibraltar nach Arabien gefahren sei. Don Enrico beschloß, der Ungewißheit ein Ende zu machen. Er errichtete zu Sagres ein Kollegium des Seewesens und eine Sternwarte, ließ alle Karten revidieren und führte auf allen Schiffen den Kompaß in verbesserter Form ein, so daß sich die Schiffer auch in dunkelster Gewitternacht, in Sturm und Nebel zurechtfinden konnten. Da wagten sich denn die Kapitäne in die bisher für unzugänglich gehaltene heiße Zone, wo das Meer in siedenden Wellen aufkochen sollte, und siehe, sie kehrten unversehrt und unverbrannt aus den äquatorialen Regionen zurück. Die Kunde ihrer Fahrten verbreitete sich über die Mittelmeerländer, die ahnungsvolle Menschheit lauschte und wartete. Gerüchte wurden eifrig umhergetragen, alte Fabeln mischten sich mit neuen, und jener Christoph Columbus, der mit dem Gefühl der Bestimmung in der Brust, von Ehrgeiz verzehrt, in irgendeiner Hafenstadt als Kartenzeichner oder auf einer Galeazze als Steuermann unbeachtet lebte, nahm das vielfache Hörensagen gierig in sich auf.
Da erzählt ein Schiffer, er habe auf hoher See ein Stück Holz aus dem Wasser gefischt, das mit kunstvollen Schnitzereien, wie man sie nie gesehen, geziert war. Ein anderer hat Bambusrohre im Meer gefunden, die von einem Knoten zum nächsten acht Karaffen Wein fassen. Die Bewohner der Azoren berichten, daß der Sturm an der Insel Fayal gewaltige Fichtenstämme von fremder Art an den Strand geworfen habe, und eines Tages werden bei der Insel Graciosa zwei männliche Leichname angeschwemmt, deren Gesichts-und Körperbildung durchaus keine Ähnlichkeit mit Christen (will heißen Europäern) aufweist. Ein Seemann aus Madeira hat auf hohem Meer gebirgiges Land weit im Westen erblickt, Leute von der Insel Gomara, die es ebenfalls gesehen haben, bestätigen ihre Wahrnehmung mit einem Eidschwur. Da er Kartograph war, kannte Columbus die Namen der sagenhaften Inseln, die zu seiner Zeit, ohne daß ihr Vorhandensein wissenschaftlich wäre festgestellt worden, auf allen Weltkarten, auch noch auf Martin Behaims Erdapfel eingezeichnet waren: die Inseln der Seligen, die Insel Brandan, die Insel Antilia, die Insel Brazil, die Insel der Satanshand, die Insel der sieben Städte. Niemand hat eine von ihnen betreten, sie erhalten ihre Stofflichkeit von Legende und Schiffermärchen. Der schottische Abt Brandan zieht mit seinem Schüler Sankt Malo ins Meer hinaus, um die paradiesischen Inseln zu suchen und die Heiden dort zu bekehren. Nach langen Irrfahrten landet er auf der einsamen Insel Ima, deren Bewohner das geheimnisvolle Grab eines Riesen anbeten. Sankt Malo weckt den Riesen aus hundertjährigen Todesschlaf, und der Unhold ist geneigt, von dem heiligen Mann Unterweisung in der christlichen Lehre zu empfangen. Er wird getauft und erhält den Namen Mildum. Er erzählt von einer andern Insel, deren Ufer von hohen Mauern aus purem Gold umgeben sind, und um die frommen Männer hinzuführen, wirft er sich ins Meer und zieht das Schiff an einem Tau durch die stürmischen Fluten. Die Insel steigt vor ihnen aus der Tiefe, doch kaum haben sie an der Küste ihr Gebet verrichtet, so wankt das Eiland in seinen Festen, sie müssen fliehen und können von der See aus noch gewahren, wie es in einer Art versinkt, als werde es von einem Ungeheuern Fisch hinabgerissen. Der Riese, auf seine heimatliche Insel zurückgebracht, ist so müde von all dem Fasten und Beten, daß er die Missionare inständig bittet, sich wieder ins Grab legen zu dürfen. Hier spuken Erinnerungen an Vorwelt und prähistorisches Ungetier in der verängsteten Phantasie des mittelalterlichen Menschen, für den der Einsamkeitsgedanke nichts Erhabenes, sondern Grauen und Schrecken enthält, die nur durch die zauberische Verwandlung einer Realität ins Grandiose oder Komisch-Abstruse gemildert werden können. Manchmal spinnen sich von geschichtlichen Ereignissen her erkennbare Fäden zu dem transozeanischen Traumbild wie in der Legende von den Inseln der sieben Städte. Nach der Eroberung Spaniens durch die Mauren fuhren sieben Bischöfe mit zahlreichen Mitgliedern ihrer Gemeinden, um den Schwertern der Sarazenen zu entfliehen, auf sieben Schiffen über den Ozean nach Westen und kamen nach schweren Stürmen zu einer Insel, wo sie die Schiffe verbrannten, um die Reisegenossen zum Bleiben zu zwingen, und mitten in der Öde des Weltmeers sieben wunderbare Städte gründeten, die freilich von keinem sterblichen Auge aus dem alten Land je erblickt wurden. Was aber ihre Existenz durchaus nicht anzweifelbar machte, denn wie kein Forscher jener Tage es gewagt hätte, die Wirklichkeit dieser Märchengebilde zu leugnen, waren sie auch der Inhalt der Sehnsucht und der Gegenstand der verwegenen Pläne aller Nomaden und Konquistadoren der See.
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Erst nach seiner Ankunft in Portugal tritt das Leben des Columbus aus dem Bezirk der Mutmaßung und Heroendichtung allmählich in den einer annähernden historischen Gewißheit. Wo er vorher gewesen ist und was er gewesen ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Panegyriker des merkwürdigen Mannes haben für ihren Teil ebensogut dafür gesorgt wie seine Feinde, daß die Spuren nicht aufzufinden sind, und er selbst hat von einem bestimmten Zeitpunkt ab nach seinem eigenen Beschluß kein Vorleben gehabt, so wie Don Quichote kein Vorleben gehabt hat.
Die Art, wie er nach Portugal gekommen sein soll, ist noch ganz Roman. Seegefecht mit Piraten, Feuersbrunst auf der angegriffenen Galeazze, Untergang des Schiffes und Schwimmen an die nahe Küste, wo ihn genuesische Landsleute aufnehmen, alles dies, obschon von seinem Sohn Hernando berichtet und von seinem hingebenden Bewunderer, dem Bischof Las Casas, bekräftigt und bestätigt, ist Sage, dem heldischen Nimbus zuliebe erfunden, und hat vor der Forschung in keiner Einzelheit standgehalten. Es läßt sich denken, daß es viel natürlicher, viel armseliger dabei zugegangen ist.
Nicht minder stilisiert und auf poetischen Effekt hin bearbeitet scheint alles, was mit seiner Ehe zusammenhängt. Ein harmloser deutscher Kompilator, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das Leben des Columbus ausführlich beschrieben hat, läßt sich folgendermaßen vernehmen (und nicht wesentlich anders kann man es bei Washington Irving und bei den vielen lesen, die ihm vorangegangen und gefolgt sind): »Für einen Mann wie Columbus war Lissabon die hohe Schule, um sich auf seine fernere Laufbahn vorzubereiten. Hier fehlte es ihm nicht an Gelegenheit, sich als praktischer Schiffskapitän zu versuchen und Schiffe nach der Levante, nach der Küste von Guinea, nach den Azoren und nach der Nordsee zu führen oder zu begleiten, zugleich aber fand er, wenn ihm ruhiger Aufenthalt im Hafen vergönnt war, die beste Schule, sich in seinem Beruf auszubilden, mit den neuesten Entdeckungen bekanntzumachen und im Kartenzeichnen zu vervollkommnen. Zu diesen stillen Beschäftigungen würde indessen der rastlose Freund des offenen Meeres schwerlich Muße gefunden haben, hätte er nicht zu seinem Piloten Amor gewählt, der ihn einst, denn wohin wagte der kleine heidnische Dämon sich nicht, bei stürmischem Wetter in die Allerheiligenkapelle bugsierte, wo sein Herz, und zwar mit vollen Segeln, vor Anker ging. Hier sah er Donna Filippa Muñiz di Perestrello, eine edle Portugiesin von ausnehmender Schönheit; er suchte nähere Bekanntschaft, warb um ihre Hand und vermählte sich mit ihr. Sie war die Tochter des verstorbenen Don Pietro di Perestrello, Gouverneurs der Insel Porto Santo, was Columbus dann veranlaßte, mit seiner Gattin für einige Zeit diese Insel zum Wohnsitz zu wählen und den literarischen Nachlaß seines Schwiegervaters zu studieren, der in allerlei nautischen Aufzeichnungen bestand, und wo auch sein Sohn Diego geboren wurde…«
Ein Idyll im Biedermeierstil. Gott Amor, nein, das ist zu rührend und zu neckisch. So kann es nicht gewesen sein, so ist es nicht gewesen.
Der Mann muß tiefer in Wirrnisse geraten sein. Ich stelle mir vor, daß er in der Hölle gelebt hat. Er ist bereits über vierzig, und was hat er erreicht? Seit Dezennien erfüllt ihn das eine Verlangen, sich hervorzutun, die Niederungen zu verlassen, an die ihn ein boshaftes Geschick kettet, der inneren Berufung zu folgen, die von der Welt mißkannt zu sehen ihm mit dem Verlauf der Jahre zu unerträglicher Folter wird. Er ist nahe daran, die Hoffnung aufzugeben. Er hört von Erfolgen weit jüngerer Seefahrer, Schiffe kehren mit aufregenden Nachrichten heim, von Monat zu Monat hellt sich der dunkle Horizont über dem Atlantik mehr auf, und er, zur Untätigkeit verdammt, im Schatten stehend, ohnmächtig und arm.
Ich sehe ihn, wie er nachts am Hafen liegt und mit brennenden Augen die Mastbäume und die Sterne betrachtet. Ich weiß, daß er ruhelos durch die Städte gewandert ist, daß er heimlich in den Matrosenschenken gelauert hat, um zurückkehrende Leute auszuhorchen und frisch angeheuerten gewisse Aufträge zu erteilen. Die Aussichtslosigkeit seiner Situation muß ihn an den Rand des Verbrechens getrieben haben. In späteren Jahren hat er eine inbrünstige, fast bigotte Frömmigkeit an den Tag gelegt, manche meinen: zur Schau getragen. Ich glaube nicht, daß sie eine Maske gewesen ist oder bloße Anpassung an spanische Lebensform, ich bin überzeugt, daß sie die gesetzhafte Umkehrung des gegensätzlichen Zustandes, der Leugnung, des Haders, der Feindschaft gegen Gott und aus diesem Grund die wahrhaftige Stimmung seiner Seele war.
Diese Donna Filippa, scheint mir, war ein vermögensloses Edelfräulein, das von ihren Verwandten unterstützt wurde; was fängt man mit ihr an; man ist froh, als sich ein halbwegs respektabler Mann ihrer erbarmt, ist er gleich ohne Familie, zugereister Fremdling, man wird ihm Käufer für seine Karten verschaffen, ihm die Wege ebnen, ihn protegieren und einflußreichen Personen empfehlen. So öffnet sich ihm ein Lichtspalt im Kerker der Namen-und Tatlosigkeit.
Zieht man die Summe der Lebenserfahrungen und vergleicht danach die Existenzen, so erweist sich das allmähliche, schleichende, stufenweise Fortschreiten als viel häufiger denn das plötzliche, unerwartete und dramatische. Die meisten Dramen der Geschichte nehmen sich nur von ferne lapidar aus, in der Nähe bestehen sie aus minutiösen und schwer entzifferbaren Runen.
Im bedrängtesten Moment, dicht vor dem Abgrund, greift das Schicksal zum erstenmal günstig entscheidend ein, indem es Columbus die Verbindung mit dem berühmten, damals schon achtzigjährigen Florentiner Toscanelli ermöglicht.
Es muß ein innerlicher Zwang für ihn bestanden haben, den Namen dieses Mannes in allen späteren Briefen und Aufzeichnungen mit Schweigen zu übergehen. Da er sich als Werkzeug in der Hand eines Höheren fühlte, durfte der Verdacht nicht entstehen, als habe er sich irdischer Hilfe bedient; es hätte die mystische Überzeugung von seiner Sendung vor allem in ihm selbst erschüttert. Bei der hintergründigen Veranlagung seiner Natur muß man annehmen, daß er die Erinnerung an den Beistand eines den seinen überragenden Geistes, vielleicht sogar die Erweckung, die er durch ihn erfuhr, hartnäckig zu ersticken trachtete. Was die Welt davon hielt, kümmerte ihn nicht. Dank ist die Angelegenheit einer sehr persönlichen Moral; Dankesschuld nicht anerkennen braucht nicht immer auf einem Mangel an Noblesse oder Selbstachtung zu beruhen, da ist oft das nämliche Gesetz wirksam, das den Nachtwandler den Weg vergessen läßt, den er geschritten, und den Ort, von dem er ausgegangen.
Und noch eines. Columbus war sicherlich unfähig, die Kategorien des Denkens und Handelns in seinem Geist zu sondern und fürchtete, in dieser nicht für voll genommen zu werden, wenn er sich nicht auch jene anmaßte.
Toscanelli, Astronom und Geograph von Rang, hatte durch Beobachtung der Sonnenhöhe vermittels des Astrolabiums (der damaligen Form des Quadranten) die Sonnen-und Mondtafeln und die Angabe der Polhöhe verschiedener Orte verbessert und in Florenz ein sogenanntes Gnomon errichtet. Als Nicolo dei Conti um 1450 von seiner Reise nach Indien und Java zurückkehrte und sich vom Papst Eugen IV, der zu der Zeit in Florenz residierte, den Ablaß erbat, weil er dort im Orient, schiffbrüchig und mit dem Tod bedroht, zum Islam übergetreten war, erstattete er auch dem großen Gelehrten ausführlichen Bericht, auf Grund dessen Toscanelli zu der Überzeugung gelangte, die Länge von Europa und Asien mache etwa zwei Drittel des Erdballs aus, d. h. zweihundertdreißig Breitengrade, daß also der Westweg über den Ozean nach Indien nur einhundertdreißig Grade betragen könne. Ein folgenschwerer Irrtum, der das ganze Leben und die ganze Ideenstruktur des Columbus beeinflußte. Ohne diesen Irrtum hätte er niemals den Mut zu seinem Unternehmen gefunden.
Aber Toscanelli konnte sich auf Marinus von Tyrus, den Vorgänger des Ptolemäus, berufen und entlehnte auch den Netzentwurf einer oblongen Plattkarte von ihm, eine bis dahin unbekannte Art der Darstellung, die später Martin Behaim für seinen Globus benutzte. Die Karte, die er zeichnete, machte gewaltiges Aufsehen, an solchen Neuerungen hingen so viele Interessen wie heute etwa an einer umwälzenden chemischen Entdeckung. Nichts natürlicher, als daß der Gelehrte sein Werk zuerst jenem Fürsten schickte, der im Mittelpunkt aller nautischen Bestrebungen stand, dessen Schiffe bis zu den gefürchteten unüberschrittenen Grenzen die Meere schon seit Jahrzehnten berühren, dem König von Portugal. Er wandte sich, wie üblich, an den Beichtvater des Königs, setzte ihm in einem bemerkenswerten Brief die geographischen Verhältnisse, wie er sie auffaßte, klar auseinander und empfahl den Seeweg nach Indien mit den dringlichsten Argumenten. Er schrieb am 24. Juni 1474: »Ihr erseht aus meiner Karte, daß die Entfernung von Lissabon nach der Stadt Quinsay sechsundzwanzig Espacios, d. h. dreitausend neunhundertdreißig Meilen beträgt, die von der Insel Antilia bis nach Zipangu (d. i. Japan) fünfzehnhundert Meilen. Ich wünsche, daß die Karte Seiner Hoheit gefallen möge und bitte, Deroselben zu sagen, daß ich bereit und willens bin, in jeder Sache, zu der ich befohlen werde, zu Diensten zu sein.«
König Alfonso, sei es, daß es ihm an Geld mangelte, sei es, daß seine Interessen nach anderer Richtung gingen, zeigte keine Neigung für das Projekt, und so blieb der Brief des Florentiners jahrelang unbeachtet in den Archiven liegen. Columbus, der schwerlich vor dem Jahr 1477 nach Portugal gekommen ist, mag auf irgendeine Art davon erfahren haben. Man kannte seine Leidenschaft, wie hätte er sie seiner Umgebung verhehlen können, man wußte, daß er mit seinem glühenden Traum eingesperrt war wie mit einem Tiger im Käfig, an dessen Gittern er verzweifelt rüttelte, man wird ihm gesagt haben: Toscanelli hat dem König ein wichtiges Geheimnis mitgeteilt, sieh zu, daß du das Dokument zu lesen bekommst. Das wurde nun sein einziges Trachten. Wahrscheinlich hatte ihn seine Frau mit Personen aus den Hofkreisen in Verbindung gebracht, durch deren Einfluß er die monumentale Epistel des Italieners lesen durfte, vielleicht nur in der Abschrift. Und was er las, muß ihn mit Blitzgewalt getroffen haben. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß diese Stunde sein Schicksal gebar. Von da an vermochte er, was er wollte, zu formulieren.
Er schrieb nun seinerseits an Toscanelli, und zwar so, als wisse er nichts von dessen Brief an den König, kenne auch die Erdkarte nicht, die der Florentiner an den Beichtvater geschickt. Toscanelli antwortete mit großer Bereitwilligkeit, schickte eine neue Karte, gab genaue Auskunft und schloß mit den Worten: »Seid versichert, daß Ihr mächtige Königreiche finden werdet und daß es den Fürsten, die dort herrschen, Freude bereiten wird, wenn Ihr ihnen den Weg öffnet, mit der Christenheit in Verbindung zu treten und in unserer Religion und allen unsern Wissenschaften unterrichtet zu werden.«
Columbus, sehr empfänglich für jede Art der Weissagung, schloß diese tief in sein Herz und machte sie zu seinem Glaubensartikel. Durch die Ermunterung eines solchen Mannes fühlte er sich gleichsam zum Ritter geschlagen, und nun kam alles darauf an, das Ohr des Königs zu gewinnen. Es war König Joan, dem er sein Anliegen vortrug, Alfonso war 1481 gestorben. Was er hierfür an Material, an Nachweisen, an Argumentation gesammelt, in mühevoller Arbeit vermutlich, entzieht sich unserer Kenntnis, mit alleiniger Ausnahme des Umstandes, daß er es ängstlich vermied, sich auf Toscanelli zu beziehen. Alle seine Gewährsmänner führte er ins Feld, Dichter, Philosophen, Astrologen, die biblischen Propheten, hier wie später in Spanien, den Namen Toscanelli nannte er nicht, obschon es nahelag, dem gefeierten Manne seine Reverenz zu erweisen und sich selbst dadurch zu beglaubigen.
Sonderbar. Dabei steht fest, daß er bei der ersten Ausfahrt, zehn Jahre nachher, Toscanellis Karte an Bord hatte und nach ihr die Fahrtrichtung bestimmte. Wenn es nicht schlechtes Gewissen war, was ihn zu dieser Felonie bewog, war es vielleicht die Angst vor dem Zeitgenossen, die am Anfang begründeter Hoffnung seine dunkle und dämonisch befangene Seele erfüllte; denn wie Toscanelli ihn zur Tat befeuert, mochte es auch einem andern geschehen sein, der ihm zuvorkommen konnte. War er der erste nicht, so war er verloren und verworfen.
Die ganze Briefgeschichte hat unter den bedingungslosen Anhängern des Columbus von jeher eine Art Panik verursacht. Um ihn von dem Vorwurf der Unredlichkeit und Hinterhältigkeit zu reinigen, wurden die Daten verschoben, der Wortlaut verschleiert oder bewußt mißdeutet, der Sachverhalt vertuscht. Alles, um glauben zu machen, er habe sich aus eigenem Antrieb an Toscanelli gewendet und nicht erst auf Schleich-und Umwegen Einblick in den jahrealten Brief an König Alfonso erhalten. Sein Brief an den Florentiner kann aus sehr stichhaltigen Gründen kaum vor dem Jahre 1479 abgefaßt sein; schon dies heißt seiner Geduld viel zumuten, denn da König Alfonso den Vorschlag Toscanellis abgelehnt hatte und ein zweiter Versuch zwecklos gewesen wäre, dauerte es ohnehin zwei Jahre, bis sich seine Aussichten durch den Tod Alfonsos verbesserten. In der Zwischenzeit wird er wohl sein Projekt den Regierungen von Frankreich und England und dem Rat von Genua vorgelegt haben, um überall abgewiesen oder vertröstet zu werden.
Aber darum handelt es sich nicht. Um Ehrenrettung nicht, um Bemäntelung und Schönfärberei nicht. Hier soll kein Postament errichtet, sondern ein Mensch gezeigt werden, dessen eigentümliche, mit Finsterkeit vermengte Größe erst hinter der traditionellen Historie erkennbar wird. Alle die moralischen Anfechtbarkeiten gehören wie die geschichtlichen Unsicherheiten in das Kapitel ›Nebulosa de Colón‹, das ein moderner spanischer Schriftsteller mit einer Fülle von Stoff ausgestattet hat. Wären die Bemühungen der Kirche, diese Nebel zu zerstreuen, um einen neuen Heiligen zu inthronisieren, nur im entferntesten geglückt, so hätte die Figur damit ihren tragischen Glanz und ihre ergreifende Problematik eingebüßt.
Mit dem Tag, wo ihm König Joan Audienz gewährt, tritt Columbus in das volle Licht der Geschichte.
Er verheißt goldene Berge, im wahrsten Sinn. Er verspricht das Paradies, ebenfalls ohne Metapher, denn es zu finden, will er ausziehen. Er zeigt sich als ein Mann von erstaunlicher Beredsamkeit, und obschon ihm diese Gabe angeboren ist, kann man sich doch vorstellen, bis zu welchem Fieber, zu welch hinreißender Gewalt sie sich steigert, da er zum erstenmal Gelegenheit hat, an so hohem Ort von seiner Idee, von seiner Mission zu sprechen und alles vom Nein oder Ja des Fürsten abhängt.
Der König schwankt. Er läßt den Vorschlag von seinen Räten prüfen. Die Räte erklären Columbus für einen hirnlosen Schwätzer, der mit seinen Phantastereien von der Insel Zipangu keinen Glauben verdiene. Hätte der Monarch noch irgend Neigung gehabt, sich weiter in Verhandlungen einzulassen, so mußte er durch die geradezu unsinnigen Forderungen des Mannes abgeschreckt werden. (An eben diesen Forderungen hielt er auch später den spanischen Hoheiten gegenüber mit eisenstirniger Hartnäckigkeit fest, ohne zu begreifen, daß sie ihn in den Augen jedes vernünftig und billig Denkenden zum Verrückten stempelten.)
Eine zweifelhafte Überlieferung berichtet, daß König Joan heimlicherweise ein Schiff ausgerüstet, es mit den Plänen und Karten des Genuesen versehen und unter dem Vorwand, es solle Proviant nach den Kapverdischen Inseln bringen, auf eine Entdeckungsreise ausgeschickt habe. Der Schiffer sei jedoch unverrichteterdinge zurückgekehrt und habe beteuert, Orkane und stürmische See hätten der Fahrt unüberwindliche Hindernisse bereitet. Diese treulose Handlung habe Columbus veranlaßt, den portugiesischen Hof zu verlassen und nach Spanien zu fliehen.
So einfach war die Sache nicht. Die Flucht des schwer enttäuschten Mannes steht allerdings fest, die Motive sind aber dunkel. Es scheint, daß er mit den Gerichten in Konflikt kam. Einige Andeutungen (in einem späteren Brief des Königs) lassen darauf schließen, daß ihm Schuldhaft, wenn nicht Schlimmeres, drohte. Man darf nicht vergessen, daß er ein gedrückter kleiner Beamter war, vielleicht nicht einmal das, Herumlungerer, Petitionist, Antichambrist, Pläneschmied. Solchen Personen mißtraut man instinktiv, und sie sind beständig in Gefahr, geringe Verfehlungen wie große Verbrechen büßen zu müssen, wozu noch der Ruf der Lächerlichkeit kommt, in dem sie stehen.
Er nimmt sein Söhnchen Diego auf die Reise mit, die Frau und die kleineren Kinder bleiben in Portugal, vermutlich in Not und Elend. Besorgt, diese Herzlosigkeit könne ein allzu übles Licht auf ihren Heros werfen, behaupten moralisierende Biographen, Donna Filippa sei schon vorher gestorben, und er habe das älteste Kind zu einer Verwandten nach Huelva in Spanien bringen wollen. Ich vermag aber nicht zu glauben, daß ihn in diesem finstern Lebensmoment Rücksichten des Gefühls sollten verhindert haben, ein Land zu verlassen, wo er keine Hilfe mehr zu erwarten hatte. Der Kern seines Wesens ist Unrast. Er ist ewig auf der Flucht, bis zu seinem Tode. Unablässig wandert er durch die Länder, zieht er durch die Meere, eine der friedlosesten Gestalten, von denen die Geschichte weiß.
Es ist ungemein fesselnd, von der weiten Entfernung aus, die der historisch abgeschlossene Verlauf erzeugt, zu beobachten, wie ein großer Mensch von seinem Stern wie durch eine nie aussetzende magnetische Kraft zu dem ihm bestimmten Ziel hingezogen wird; was er auch tut oder unterläßt, jeder Fehler, jedes Versäumnis, das verkehrt Scheinende sogar bringt ihn in Wirklichkeit um den jeweilig notwendigen Schritt der Erfüllung näher.
Der Bettler, der an der Pforte des Franziskanerklosters La Rabida erschöpft um Brot und Wasser flehte, sah sich am Ende seiner Hoffnungen. Er ist kein junger Mann mehr, Ende der Vierzig vermutlich, seine Haare sind völlig grau, seine Züge gefurcht, er hat so viel Erniedrigung und Bitternis kennengelernt, so viel vergebliche Arbeit getan, so viel Seelenglut verschwendet, so viel Hohn und Abweisung erfahren, daß es ihm genug dünkt, um sich hinzulegen und zu sterben.
Dieser tiefste Punkt der Lebenskurve ist der Beginn des Aufstiegs. Um ihn zu ermöglichen, hat die Vorsehung zwei ungewöhnliche Männer in das entlegene Kloster versetzt, den ehrwürdigen Prior Juan Perez, der einst im Schatzamt gedient hat, Beichtvater der Königin war und, des weltlichen Glanzes müd, in der Zurückgezogenheit der Zelle frommen Übungen und gelehrten Arbeiten obliegt, und den Mönch Antonio de Marchena, einen stillen Träumer, der sich ebenfalls mit kosmographischen und liebevoller noch mit astrologischen Studien beschäftigt.
Das geistig leidende Gesicht, die hohe hagere Gestalt, das pathetische Wesen, der fremdartige Dialekt des Hilfeheischenden fallen auf. Man fragt ihn, wer er sei. Er antwortet: »Ich nenne mich Cristobal Colón, bin ein Seefahrer aus Genua und muß betteln, weil die Könige die Reiche, die ich ihnen anbiete, nicht annehmen wollen.«
Wundervoll donquichotisch gesprochen, unvergleichlich erfundene Worte, falls sie erfunden sind. Die Nachwelt dichtet ihre Unsterblichen in der reinen Idee weiter, die sie während ihrer irdischen Laufbahn vielleicht nicht völlig zum Ausdruck gebracht haben.
Eines solchen Sonderlings muß man sich versichern. Man gewährt ihm Gastfreundschaft. Er überrascht durch seine Kenntnisse, seine tiefen Spekulationen, die Erzählung ungewöhnlicher Erlebnisse, seine überlegene Haltung, den unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Die Gespräche dehnen sich Nacht für Nacht bis in den Morgen. Auf seinen Karten zeigt Columbus den Weg, den er einschlagen will, seine Beweisführung ist schlagend, seine Eloquenz unwiderstehlich. Er macht keinen Hehl daraus, daß er, wie schon früher, auch nach seiner Flucht aus Portugal durch Vermittlung seines Bruders Bartolomé abermals England und Frankreich seine Dienste angeboten habe; der Prior, Feuer und Flamme, erklärt, ein Projekt von solcher Tragweite dürfe der spanischen Regierung nicht vorenthalten bleiben. Aus der benachbarten Hafenstadt Palos werden Sachverständige berufen, darunter Alonso Pinzon, der nachmals, bei der ersten Ausfahrt des Columbus, eine der drei Karavellen befehligt und unter allen Seeleuten der Epoche die genialste Form des Mutes besitzt. Der Plan findet die Zustimmung der erfahrenen Männer, sie halten seine Ausführung durchaus für möglich, der Prior ermuntert Columbus, an den Hof nach Cordova zu reisen und gibt ihm ein dringliches Empfehlungsschreiben an den allmächtigen Hernando de Talavera mit, den jetzigen Beichtvater der Königin Isabella.
Columbus, unverbrüchlich sanguinisch wie alle fahrenden Ritter, sieht schon vollendet, was kaum erst keimt und macht sich frohgestimmt nach Cordova auf.
Wieder erweist sich die Zeit als ungünstig. Ferdinand und Isabella führen Krieg gegen die Mauren. Die Staatskassen sind leer, das königliche Paar ist in Bedrängnis und hat wenig Interesse für die phantastischen Vorschläge eines Unbekannten, Talavera verbirgt seine Skepsis nicht, der Erzbischof von Toledo, bei dem er sich Gehör verschafft, will sich durch keinen Bescheid binden, der reiche Herzog von Medina-Celi, der eine Schwäche für seefahrende Abenteurer hat, ist geizig, vorsichtig und launenhaft. Der armselige Aufzug, in dem Columbus bei Hof erscheint, trägt nicht dazu bei, sein Ansehen zu erhöhen. Man schickt ihn von einem großen Herrn zum andern, von Vorzimmer zu Vorzimmer, er folgt dem Hof nach Salamanca, sucht alle Welt für seine Ideen einzunehmen, wird von aller Welt vertröstet, belächelt, verspottet, und nach heißen Mühen gelingt es ihm endlich, daß er vor die Königin treten darf. Es geschieht auf Fürspruch des glaubensstrengen Erzbischofs von Toledo (er ist Großkardinal von Spanien), der nach ängstlichen Erkundigungen die Überzeugung gewonnen hat, daß in den Absichten des Genuesen nichts enthalten ist, was der Heiligen Schrift widerspricht, daß er sich vielmehr ausdrücklich und unverdächtig auf die Worte des Propheten beruft, nach denen »die Enden der Erde zusammengebracht und alle Völker, Zungen und Sprachen unter der Fahne des Heilands vereinigt werden sollen«.
Die Königin, in ihrer Meinung von den kirchlichen Würdenträgern abhängig, hört den Bittsteller an, zweifelt, begreift nicht recht, kann sich aber gleichwohl des seltsamen Eindrucks nicht erwehren, den der beunruhigend redebegabte, innerlich flammende Mensch auf sie macht. Wahrscheinlich erregt er nebstbei ihr weibliches Mitleid; sie ist eine gutherzige Frau trotz allen rabiaten Glaubenseifers. Das Verhältnis zwischen der Herrin und dem treuesten ihrer Diener enthält auch in der Folge geheimnisvolle Zartheiten. Fast in jedem der späteren Briefe des Columbus an sie schwingt im Verborgenen ein Ton, der weniger der Fürstin als dem Weib gilt und der sie bewegt haben muß, so daß sie ihn gegen seine geschäftigen Feinde in Schutz nimmt und seine Torheiten mit Nachsicht behandelt. Er gewinnt ihr Vertrauen durch seine expressive, sehr spanische Frömmigkeit, und da sie eine geborene Herrscherin ist, fühlt sie instinktiv die schicksalsvolle Willensgewalt in dem Manne und daß seine Versprechungen was ganz anderes sind als Windmacherei. Sie beschließt, eine Junta soll die Thesen und Behauptungen des Fremdlings prüfen und ein Gutachten darüber abgeben, und um seiner offensichtlichen Bedürftigkeit zu steuern, bewilligt sie ihm bis zur Erledigung seiner Angelegenheit ein kleines Wartegeld. So kann er sich wenigstens als Angestellter der Krone betrachten und seine Sache mit legitimem Hinweis betreiben.
Doch standen ihm noch Jahre qualvollen Harrens bevor, des vergeblichen Ansturms gegen höfische Umtriebe und kirchliche Vorurteile, und gewisse Andeutungen in seinen Briefen sowie die ganze Anlage seines Charakters lassen darauf schließen, daß in dieser Zeit die Verzweiflung sein seelisches Gleichgewicht aufs bedenklichste gefährdete.
Inhaltsverzeichnis
Befohlenermaßen versammelte sich die Junta, und zwar im Dominikanerkloster zu San Estéban in Salamanca, in welchem Columbus auch eine Wohnung angewiesen wurde. Es war die Jahreswende 1486 zu 87. Colón wird gerufen, er soll seine Entwürfe vortragen und erläutern. Was das Ergebnis betrifft, sind die Urkunden nicht mißzuverstehen: die gelehrten Würdenträger, mit Ausnahme des Fray Diego de Deza, Professors der Theologie, verhielten sich durchaus ungläubig und ablehnend.
Religion und Wissenschaft waren zu jener Zeit in Spanien identische Disziplinen. Die Inquisition hatte ihre größte Machtentfaltung erlangt, jede der Ketzerei verdächtige Meinung setzte ihren Bekenner blutiger Verfolgung aus. Daß das fromme Tribunal auch in diesem Fall voreingenommen war, erhellt aus seiner Verfassung und seinem Geist; Columbus erschien nicht so sehr als Beauftragter in königlicher Sache denn als Delinquent, dessen Irrtümer und Verfehlungen gerichtet werden sollten. Jedenfalls galt er für einen Glücksritter, am mildesten betrachtet für einen Volksverführer und mußte sich von Anfang an in eine feindliche Position verschanzen.
Der wesentlichste Einwurf war: Nachdem tiefe Philosophen die Gestalt der Welt zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht und tüchtige Seefahrer seit Tausenden von Jahren vertrauenswerte Zeugnisse beigebracht, sei es eine starke Anmaßung für einen gemeinen Mann, zu behaupten, eine so große Entdeckung, wie er sie verheiße, sei ihm vorbehalten. Es widersprächen dem die Psalmen Davids, die Aussprüche des heiligen Chrysostemus, des heiligen Hieronymus, des heiligen Gregorius, heiligen Basilius und heiligen Ambrosius. Vor allem war eine Stelle aus dem heiligen Lactantius im Wege, die lautet: »Ist wohl irgend jemand so von Sinnen, daß er glaubte, es gäbe Antipoden, die mit ihren Füßen gegen die unseren stehen, Menschen, die mit in die Höhe gekehrten Beinen und herunterhängenden Köpfen gehen? Daß eine Gegend der Erde existiere, wo die Dinge unterst zu oberst sind, die Bäume abwärts wachsen und es in die Höhe regnet, hagelt und schneit? Der Wahn, daß die Erde rund sei, ist die Ursache der törichten Fabel von den Antipoden mit den Füßen in der Luft, und solche Personen gehen in ihren Ungereimtheiten von dem anfänglichen Irrtum immer zu neuen Irrtümern und leiten einen aus dem andern ab.«
Auch der heilige Augustinus erklärt die Lehre von den Antipoden als unverträglich mit dem reinen Glauben; wer bewohnte Länder auf der andern Seite der Erdkugel annehme, der verneine die Abkunft ihrer Völker von Adam, da es für diese unmöglich gewesen sei, über das Weltmeer zu gelangen; er entziehe also der Bibel die fundamentale Wahrheit, daß alle Menschen von einem einzigen Elternpaar abstammten. Und heiße es nicht in den Psalmen, der Himmel sei ausgespannt gleich einem Fell? Was so viel bedeute, daß er die Decke eines Zeltes sei, die bei den alten Hirtenvölkern aus Tierfellen gemacht gewesen; daher habe der heilige Paulus im Brief an die Hebräer den Himmel ein Tabernakel genannt, das über die Erde gebreitet sei, womit deutlich gesagt sei, daß er in seiner ganzen Ausdehnung flach sein müsse.
Einige liberalere Mitglieder des Konziliums leugneten die Kugelgestalt der Erde nicht, gaben sogar die Existenz von Gegenfüßlern zu, doch hielten sie es für unmöglich, zu ihnen zu reisen, da in den Tropen das Meer in kochenden Wellen siede. Übrigens sei nach der Autorität Epikurs die Erde, wenn sie eine Kugel sei, nur auf der nördlichen Hälfte bewohnbar und von Himmel umgeben, auf der andern sei das Chaos, der Abgrund, die unendliche Wasserwüste. Angenommen, Indien könne zur See erreicht werden, auf welche Art solle man die Rückkehr bewerkstelligen, da man auf der Kugeloberfläche wohl hinab, nimmermehr aber bergauf fahren könne? Und hatte nicht schon Seneca, der Rhetor, in seiner Schrift Suasoriae die Frage aufgeworfen: Wird sich Alexander auf dem Ozean einschiffen, in Anbetracht, daß Indien das äußerste Land der Welt ist und jenseits dessen die ewige Nacht beginnt? Nein, antwortet er selbst, Alexander wird sich nicht einschiffen, um eine neue Welt zu suchen; wie darf also ein Heutiger so Ungeheures wagen, der weder Alexanders göttliche Kräfte noch seine königlichen Hilfsmittel besitzt?
Eigentümlicher Konflikt: Wie sollte Columbus den Sturm der scholastischen Diskussion und Verhörung abwehren, er, der mit allen Anschauungen und Begriffen auf dem nämlichen Boden stand wie seine Inquisitoren und ihnen nichts entgegenzusetzen hatte als ein unmitteilbares inneres Bild und seine felsenfeste Überzeugung? Er mußte versuchen, was ihm freilich bei seinem Rednertalent nicht schwerfiel, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen; jeder wissenschaftliche Stützgrund, auch wenn er sich eines solchen wirksam hätte bedienen können, wäre ihm verhängnisvoll geworden.
In den Jahren des Glücks schrieb er einmal an König Ferdinand: »Ich kam als Abgesandter der heiligen Dreieinigkeit zu Eurer Hoheit, um den heiligen Glauben zu verbreiten, denn klar genug spricht Gott von diesen Ländern durch den Mund des Propheten Jesaias, der da versichert, daß von Spanien aus sein Name solle verkündet werden.« So beharrte er schon vor der frommen Körperschaft in San Esteban darauf, daß er als ein Erleuchteter anzusehen sei. Die gewaltsam ausgedeuteten Stellen im Jesaias befinden sich im vierundzwanzigsten und fünfundsechzigsten Kapitel: »Von den Enden der Erde hören wir Gesänge«, und: »Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde bauen.« Daß diese Mission dem König von Spanien vorbehalten sei, ist eine großartige Freiheit dieses Monomanen und Wortsklaven, und nicht minder willkürlich und das Wunder seiner Erwählung preisend verfährt er, wenn er die geheimnisvollen Worte aus dem Buch Hiob zitiert: »Woher kommt denn die Weisheit und wo ist die Stätte des Verstandes? Sie ist verhohlen vor den Augen der Lebendigen, auch vor den Vögeln unter dem Himmel, der Abgrund und der Tod sprechen: Wir haben mit den Ohren ihr Gerücht gehört, Gott weiß den Weg und kennt ihre Stätte, da er dem Wind sein Gewicht machte und setzte dem Wasser sein gewisses Maß.«
Mit solchen Tönen, ehrwürdig aus dem Urbrunnen der Menschheit emporschallend, bringt er die ihn hart bedrängende Versammlung zur Ruhe. Man sieht, auch er hat Autoritäten auf seiner Seite, er rollt seine Pergamente auf, liest mit majestätischer Stimme vor. Für ihn haben die Stammväter der Menschheit gesprochen, für ihn die Patriarchen. Da sind seine Karten, eingezeichnet ist bereits die Fahrt; doch um die möglichen und von ihm erkannten Wege nicht vorzeitig aufzudecken und so um die Früchte seiner Lebensarbeit betrogen zu werden (er ist nach König Joans Betrugsversuch klüger geworden), beschränkt er sich auf unbestimmte Andeutungen, die die Mönche, Prälaten, Äbte, Bischöfe und Erzbischöfe vielleicht mehr zum Aufhorchen zwingen als es eine klare Darlegung, als es etwa die Berufung auf einen Forscher wie Toscanelli vermocht hätte, die er hier wieder, ich erwähnte es bereits, durchaus unterließ. Man konnte nicht umhin, ihn zu hören und mit ihm zu rechten, aber die stärkste Wirkung ging von seiner Ergriffenheit aus, der Haltung eines unbeugsamen Fanatikers, und von dem visionären Auge, das die Länder und Reiche schon erblickte, deren Existenz erst zur Debatte stand.
Dennoch lautete das Urteil der Junta abweisend. Colón ging zur Königin und sagte: »Das Tribunal bringt Euch um Ruhm, Ehre und Reichtum.« Die Königin wollte ganz sichergehen und überwies das Projekt zur abermaligen Prüfung an den Staatsrat. Der Staatsrat fällte das Verdikt, die Meinung des genuesischen Fremdlings könne unmöglich richtig sein, er sei das Opfer wirrer Einbildungen. Die kriegerischen Verwicklungen hinderten die Königin in den nächsten Monaten daran, sich um ihren Schützling zu kümmern, sie ließ ihm jeweils geringe Geldsummen aushändigen, damit er an den Hof nach Malaga komme. Die Stadt war erobert worden, die große Moschee wurde als Kathedrale eingeweiht. Durch die Anhäufung von Menschen oder die leichtfertige Bestattung der Leichen brach, im August 1487, die Pest aus, und der Hof reiste eilig nach Cordova, dann, für den Winter, nach Saragossa, dann, im Frühjahr, nach Murcia, dann, im Herbst, nach Valladolid. In unerträglicher Gespanntheit und beklommener Ratlosigkeit folgte Columbus der Fürstin von Stadt zu Stadt, von Feldlager zu Feldlager, von Valladolid nach Medina del Campo, von da wieder nach Cordova. Er verfaßte Bittschriften über Bittschriften, bemühte sich um Audienzen bei Herzögen, Bischöfen, Ordensrittern, Prinzen und Prinzessinnen, erwarb bisweilen Gunst und Unterstützung, z. B. des Herzogs von Medina Sidonia, doch meist wurde er nur hingehalten und nicht selten verächtlich abgetan, bald als komische Figur, bald als aufdringlicher Supplikant, bald als wandernder Astrolog und manchmal sogar als ausländischer Spion.
An Unterstützungsgeldern erhielt er im Mai 1487 dreitausend Maravedis (ungefähr zweihundertvierzig Mark heutigen Geldes), im Juli wieder dreitausend, im August viertausend, im Oktober viertausend. Damit konnte er gerade seine Notdurft bestreiten. So wenig es war, beweist es doch, daß die Königin trotz der zweimaligen Ablehnung, die sein Projekt durch Junta und Ratsversammlung erfahren hatte, sich nicht entschließen konnte, ihn fallenzulassen.
Es ist noch ein königlicher Befehl vorhanden, ein in Form eines Freipasses ausgestellter Brief an die Stadträte, Richter, Regidoren, Ritter, Lehnsträger, Offizialen des Landes, worin diese alle aufgefordert werden, dem Cristobal Colón, wenn er in irgendwelchen Städten, Ortschaften, Dörfern eintreffen sollte, gutes Quartier ohne Bezahlung zu geben; nur die Verköstigung sollten sie zu den üblichen Preisen berechnen dürfen. Denn er sei um wichtiger, den königlichen Dienst betreffender Dinge willen an den Hof und nach andern Teilen des Reiches beschieden worden.