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Dieses eBook: "Gesammelte Werke - Romane, Erzählungen, Dramen und Märchen" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Alexander Sergejewitsch Puschkin gilt als russischer Nationaldichter und Begründer der modernen russischen Literatur. Inhalt: Romane: Eugen Onegin - Roman in Versen - 1825-1831 Dubrowskij - unvollendet, begonnen 1832/33 Die Hauptmannstochter - 1836 Erzählungen: Der Postmeister - 1831 Das Fräulein als Bäuerin - 1831 Der Sargmacher - 1831 Der Schneesturm - 1831 Der Schuß - 1831 Die Pique-Dame - 1834 Dramen: Boris Godunow - 1828 Die Russalka / Die Nixe - 1832 Märchen: Schneewittchen oder Das Märchen von der toten Prinzessin und den sieben Recken - 1820er Jahren Märchen vom Zaren Saltan - 1831 Märchen vom Fischer und dem Fischlein - 1833
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Seitenzahl: 763
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“Pétri de vanité, il avait encore plus de cette espèce d’orgueil, que fait avouer avec la même indifférence les bonnes comme les mauvaises actions, suite d’un sentiment de supériorité, peut-être imaginaire.”
Tiré d’une lettre particulière
Nicht auf die Gunst gestrenger Kenner, Auf warmen Anteil nur bedacht, Sei dir allein, als treuem Gönner, Dies Pfand der Freundschaft dargebracht.
Dir, dessen Geist seit Jugendtagen, Von heil’ger Phantasie belebt
Und von der Dichtkunst Hauch getragen, In lautrem Ernst zur Höhe strebt.
Wohlan denn, laß ihn dir behagen, Den anspruchslosen, bunten Strauß Von oft so trüb’, oft heitren Klängen, Volksweisen, Idealgesängen, Wie meinem Hirn sie wirr und kraus Bei flücht’gem Musenspiel entsprossen: Aus Träumen ferner Jugendzeit, Dem Unmut bittrer Lebensglossen Und meines Herzens tiefstem Leid!
Er stürmt durchs Leben hin, beschleunigt sein Gefühl.
Fürst Wjasemski
“Mein Onkel tut sehr brav und bieder, Jetzt plötzlich sterbenskrank zu sein: So schätzt man ihn doch einmal wieder; Gescheitres fiel ihm selten ein.
Sein Beispiel – andern eine Lehre!
Wenn nur, o Gott, die Qual nicht wäre, Vom siechen Greis bei steter Wacht Nicht loszukommen Tag und Nacht!
Und diese Last gemeinster Pflichten: Solch halbem Leichnam beizustehn, Mit Arzenei zur Hand zu gehn, Wehleidig ihm sein Pfühl zu richten – Da seufzt man wohl und denkt für sich: Wann endlich holt der Teufel dich!”
So machte seine bittren Glossen In Extrapost ein junger Fant, Dem als der Sippe letztem Sprossen Das Glück der Erbschaft vorbestand.
Euch, die ihr Ruslan und Ludmillen So warm empfingt mit Freundeswillen, Sei meines Versromanes Held Hier mit Verlaub gleich vorgestellt: Mein Freund Onegin ward geboren Am Newastrand, der auch wohl gar, O Leser, deine Wiege war, Zu deines Namens Glanz erkoren!
Einst kam auch ich dort gut zurecht – Doch mir bekommt der Norden schlecht.
Sein Vater lebte bloß vom Borgen, Seit der den Dienst mit Fug quittiert, Vergaß bei Tanz und Schmaus die Sorgen – Und war dann schließlich ruiniert.
Das Schicksal blieb Eugen gewogen: Nachdem Madame es süß verzogen, Gab man, weil trotzig, wenn auch gut, Das Kind Monsieur l’abbé in Hut.
Der zage Franzmann hielt in Sachen Des Unterrichts von Sanftmut viel, Von Strenge wenig, mit dem Ziel, Dem kleinen Schalk es leicht zu machen; Ließ gehn, was irgend Zucht noch litt, Und nahm ihn hübsch zum Stadtpark mit.
Doch als die Zeit der bangen Wonnen, Wo junge Sehnsucht schwärmt und klagt, Auch für des Zöglings Herz begonnen, Da ward Monsieur davongejagt.
Jetzt trat Eugen als freies Herrchen, Geschniegelt wie ein Dandy-Närrchen, Modern frisiert und angetan Erstmalig auf den Weltenplan.
Französisch war ihm ganz zu eigen, Er sprach und schrieb es tadellos, War als Masurkatänzer groß Und konnte sich scharmant verbeugen: Braucht’s mehr, damit die liebe Welt Uns für gescheit und reizend hält?
Gelernt hat jeder von uns allen Sein Pröbchen, minder oder mehr: Drum ist, durch Bildung aufzufallen, Bei uns, gottlob, nicht eben schwer.
Onegin war nach Ansicht vieler
(Berufner Kenner, streng subtiler) Ein kluger Kopf, wenn auch Pedant: Er pflegte nämlich höchst gewandt Unaufgefordert dreinzuschwätzen, Wo irgend nur geredet ward, Sich zu Disputen ernstrer Art
Stumm würdevoll dazuzusetzen,
Und gab sie dann dem Damenkreis Mit raschem Witz zum Lachen preis.
Latein ist heut nicht mehr so wichtig.
Drum, frei herausgesagt, Eugen
War da so weit, um leidlich richtig Widmungsinschriften zu verstehn, Von Juvenal was vorzulügen Und Briefen vale beizufügen, Auch stand ihm aus Virgil zur Not Ein magres Verschen zu Gebot.
Sich mit Historie abzuplagen
War nicht sein Fall, er wühlte nie Im Staub der Weltchronologie;
Doch Anekdoten seit den Tagen
Des Remus bis auf unsre Zeit
Hatt’ er im Kopfe stets bereit.
Den Reiz, für Poesie zu leben,
Begriff er nicht, auch nimmerdar, Soviel ich mir auch Müh’ gegeben, Was Iambus, was Trochäus war, Und schalt Homer und andre Geister.
Doch Adam Smith war recht sein Meister, Drum unterhielt er spät und früh Papa mit Staatsökonomie, Zum Beispiel: wie Kredit sich wandelt, Wenn Wohlstand zunimmt, Arbeit nährt, Und wie ein Land kein Gold entbehrt, Sofern es Rohprodukte handelt.
Papa, der nichts vom Kram verstand, Nahm Hypotheken auf sein Land.
Noch Weitres dieser Art zu melden, Erübrigt sich und führt zu weit.
Doch was den Genius meines Helden Mehr dartat als Gelehrsamkeit,
Was ihm seit frühen Jugendtagen Zur Quelle ward von Lust und Plagen, Wodurch er sich zur Leidenschaft Aus leerem Nichtstun aufgerafft – War – daß er um die Triebe wußte, Die einst Ovid so reich besang, Wofür der Dichter lebenslang Fern von Italien büßen mußte,
Aus jungem Ruhm und Glück verbannt Ins öde Moldausteppenland.
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Wie früh verstand er schon die Künste Der Eifersucht und Heuchelei, Der Überredung Truggespinste,
Des Launenspiels, der Ziererei, Die Kunst, bald sanft, bald stolz und eigen, Bald dienstbar sich, bald kühl zu zeigen!
Wie karg und stumm war hier sein Mund, Dort wie gesprächig kunterbunt, Im Liebesbrief wie überschwenglich!
Wie selbstlos schien sein Herz allein Von einem Trieb erfüllt zu sein!
Und dieser Blick, bald dreist-verfänglich, Bald schamhaft-zärtlich, der sogar Erlogner Tränen fähig war!
Wie täuschend er den Neuling spielte, Sich harmlos stellte, schüchtern tat, Verzweifelt schien, nach Rührung schielte, So schmeichelsüß um Neigung bat, Dann, lauernd auf das kleinste Schwanken, Der Unschuldsjahre keusche Schranken Mit List und Feuer überwand; Auf scheue Zärtlichkeit gespannt.
Zum Austausch drang von Liebesschwüren, Um schnell beim ersten Herzenslaut, Schon immer mehr und mehr vertraut, Ein Stelldichein herbeizuführen, Wo schleunigst nach Verführerart Der Unterricht vollendet ward.
Wie früh verfing in seinen Netzen Sich selbst die erzkokette Frau!
Und wie verstand er still zu hetzen, Verdacht zu streun und boshaft schlau Des Leumunds Gift herumzutragen, Um Nebenbuhler abzuschlagen!
Nur ihr glücksel’gen Eheherrn
Saht ihn als Hausfreund immer gern: Der Schelm sowohl, der selbst hienieden Faublas’ galante Wege lief, Der Greis, der ohne Argwohn schlief, Wie auch der Hahnrei, stets zufrieden Mit seinem Wanst, so satt und dick, Sich selbst und seinem Eheglück.
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Meist, eh er aufsteht, sind beizeiten Schon Kärtchen da. Was gibt’s, laß sehn; Man lädt ihn richtig von drei Seiten Zum Abend ein und bittet schön Hier zum Geburtstag, dort zu Bällen.
Wie soll mein Schelm sich dazu stellen?
Wohin zuerst? Ach, einerlei,
Er schafft es schon für alle drei.
Einstweilen läßt er sich frisieren, Stülpt auf den Kopf den Bolivar, Fährt aus, stellt fein den Weltmann dar Und geht geruhsam promenieren, Bis allgemach die Stunde schlägt, Da unser Freund zu speisen pflegt.
Schon dunkelt’s. Schlitten her: geschwinde Geht’s “Platz da!” sausend übers Eis; Zu Frost bereift bei scharfem Winde Sein Biberkragen silberweiß.
Dort bei Talon zu guter Stunde Harrt seiner schon die Tafelrunde, Er tritt herein, der Pfropfen knallt, Es strömt des Elfers Vollgehalt; Zum blut’gen Roastbeef gibt’s die Blüte Von Frankreichs Küche, Trüffeln just, Für junge Gaumen höchste Lust, Straßburgs Pasteten erster Güte, Limburger Käse unter Glas
Und schließlich goldne Ananas.
Man würde gern noch weiterzechen, War das Menü doch reichlich fett, Allein, die Uhr mahnt aufzubrechen: Schon läutet’s drüben zum Ballett.
Nun eilt Onegin ins Theater,
Allwo er sich als Kunstberater
Und Primadonnenfavorit
Nach Laune um Erfolg bemüht,
Und jeder kritisch sich betätigt, Hier Beifall klatscht dem entrechat, Dort mit Gezisch Kleopatra Und Phädra abzutreten nötigt,
Vor allem Lärm macht, möglichst toll, Damit man rings ihn hören soll.
O Zauberwelt erlauchter Geister!
Wo einst so kühn die Geißel schwang, Fonwisin, der Satire Meister,
Knjashnin manch klassisch Werk gelang; Wo mit Semjonowa, der schönen,
Sich Oserow den Zoll der Tränen
Und Beifallsstürme spenden ließ; Katenin seine Kunst bewies,
Der uns Corneille erst schätzen lehrte; Wo Schachowskoi mit seiner Schar Komödien – Liebling aller war, Und wo Didelot sich stets bewährte – Dort, dort in der Kulissen Raum
Träumt’ ich so manchen Liebestraum.
Wo seid ihr göttlich Anmutsgleichen?
Ist euer Wirbel heut verrauscht?
Habt ihr mit andern, ach, nicht gleichen Zu meinem Schmerz den Platz getauscht?
Tönt euer Sang noch süß belebend?
Wird Rußlands Terpsichore schwebend Mein Aug’ und Herz noch an sich ziehn?
Soll ich vergebens mich bemühn,
Ein teures Antlitz aufzufinden?
Und achtlos, mit dem Glas bewehrt, Das fremden Reizen zugekehrt,
Enttäuschung mühsam nur verwinden, Um gähnend unter all dem Schein
Entschwundnen Glücks gedenk zu sein?
Schon ist das Haus gefüllt bis oben, Parterre und Logen – dichter Hauf’; Die Galerie beginnt zu toben; Da endlich rauscht der Vorhang auf: Und lächelnd, in der Nymphen Reigen, Umkost vom Zaubersang der Geigen, Steht feenhaft im Märchenglanz Istomina: sie hebt zum Tanz
Ihr Füßchen, kreist in leichten Ringen, Dem Boden sanft nur angeschmiegt, Schnellt auf – und plötzlich fliegt sie, fliegt Wie zarter Flaum auf Zephirs Schwingen; Dreht blitzschnell Wirbel Schwung um Schwung Und schließt graziös im Trillersprung.
Der Beifall rast. Jetzt kommt gewichtig Onegin, zwängt sich stolpernd vor, Erhebt sein Glas, durchmustert flüchtig Der Logen reichen Damenflor, Läßt Schmuck, Kostüm und Coiffüren Sehr nonchalant Kritik passieren Und dreht sich unbefriedigt um; Grüßt da und dort ins Publikum
Mit streng bemeßner Etikette,
Beschaut dann, steif zurückgelehnt, Die Bühne, kehrt sich ab und gähnt Und murmelt: “Viel zuviel Ballette; Das Personal taugt gar nichts mehr, Und auch Didelot enttäuscht mich sehr.”
Noch flattern Engel, toben, dräuen Lindwurm und Höllenkreatur,
Noch schnarcht der müde Troß Lakaien, Die Pelze hütend, auf dem Flur;
Noch rauscht Musik, noch tönt dazwischen Das Husten, Schneuzen, Klatschen, Zischen; Noch breiten übers ganze Haus Laternen ihren Schimmer aus;
Noch stampfen schauernd in den Strängen Die Pferde, knirschen, schlagen sich, Derweil die Kutscher ärgerlich In Frost und Wärmefeuer drängen; Doch fort schon ist Eugen: für ihn Ist’s Zeit, daheim sich umzuziehn.
Soll nun vom Kabinett ich melden, Wo unser Freund jetzt wohlbedacht Als Muster junger Modehelden Subtilste Toilette macht?
Was irgend London schwerbereichert An Weltimporten aufgespeichert
Und gegen Holz und Talg und Teer Zu Schiff uns austauscht übers Meer, Und was Paris durch Kunstvermögen Und als Geschmacksbeherrscherin An Mitteln aufbringt, um den Sinn Für Pracht und Luxus anzuregen – Mit all dem schmückte seinen Hof Der achtzehnjähr’ge Philosoph.
Da sah man Stambuls Bernsteinpfeifen, Nippes, Bronzen, Porphyr, Medaillons Und (nur für Kenner) feinste Seifen, Kristallgerät, Odeurflakons Nebst kleinen Feilen, weichen Schwämmen, Diversen Scheren, Messern, Kämmen Und Bürsten jeder Wahl und Art Für Zähne, Nägel, Kopf und Bart.
Man weiß, wie sich Rousseau beklagte, Weil Grimm, der Weltmann, ruhig dreist Vor ihm, dem lauten Feuergeist, Die Nägel sich zu putzen wagte.
Doch war der Kämpfer für das Recht In diesem Fall höchst ungerecht.
Es kann als Mensch sehr viel bedeuten, Wer sonst auf saubre Nägel hält.
Weshalb auch gegen Mode streiten?
Regiert sie doch die ganze Welt.
Drum war Onegin, im Bestreben,
Nie Anlaß zur Kritik zu geben,
In seinem Äußren als Pedant
Fast übertrieben elegant,
Saß stundenlang, sich eifrig schmückend, Vorm Spiegel, eh er fertig war,
Und glich dann wirklich auf ein Haar Der lockren Venus, die berückend, Als flotter junger Mann frisiert, Zum Maskenball davonkutschiert.
Ich könnte nun, nachdem ihr eben Der Toilette Glanz gesehn,
Um Bildungswünschen nachzugeben, Ans Schildern seiner Kleidung gehn.
Bei solchem Wagnis wird indessen Die Nennung von Kostümfinessen,
Frack, Pantalons, Gilet, zur Pflicht, Und – all das gibt’s auf russisch nicht.
Auch ist ja leider, mir zum Schaden, Mein ungelenker, trockner Stil
Seit Anbeginn schon viel zuviel
Mit Fremdwortflittern überladen, So heiß ich auch studiert’ genug Das akadem’sche Wörterbuch.
Doch halten wir mit derlei Fragen Uns hier nicht auf, um unverweilt Zum Ball zu gehn, wohin im Wagen Onegin schon vorausgeeilt.
Vor stummen Häusern, nachtumdunkelt, Entlang der stillen Straße funkelt In freundlich heller Doppelspur Der Kutschlaternen Lichterschnur.
Buntfarbnen Scheins, den Schnee bestrahlend, Besät mit Lampen flammt die Pracht Der stolzen Hausfront durch die Nacht, Und an den Fenstern, Schatten malend, Huscht flüchtig Kopf um Kopf dahin Von Kavalier und Tänzerin.
Da rollt Eugen zum Vestibüle:
Flugs eilt er am Portier vorbei
Treppaufwärts durch die Marmordiele, Streicht übers Haar und schreitet frei Zum Saal hinein: Gedrängte Massen; Noch hat Musik nicht nachgelassen, Geräuschvoll wogt Masurkatanz, Rings helle Lust, bewegter Glanz; Die blanken Gardesporen klirren, Graziöser Füßchen holder Schwung Entzündet heiße Huldigung, Die Wangen glühn, die Blicke schwirren, Und scheeler Zungen Spott und Hohn Verschlingt der Geigen Jubelton.
Im Jugenddrang nach Lust und Scherzen Ließ so ein Ball mir keine Ruh’: Man angelt nirgends leichter Herzen Und spielt sich kleine Briefchen zu.
Ihr Herrn Gemahle, seht, ich stelle Mich euch zu Dienst für derlei Fälle: Bedenkt mein Wort im vorhinein, Ich will euch nur ein Warner sein.
Auch ihr Mamas, daß auf die Blüte Der lieben Tochter scharf ihr paßt, Nie das Lorgnon vom Auge laßt, Sonst könnte, könnte – Gott verhüte!
Das schreib’ ich hier so offen hin, Weil ich nun längst gesittet bin.
Was hab’ ich, ach, auf lockren Pfaden Für schöne Zeit vertan! Und doch: Wär’s meinem Ruf nur nicht zum Schaden – Auf Bälle flög’ ich heute noch.
Wie lieb’ ich all den bunten Trubel, Die frische Lust, den Glanz und Jubel, Der Damen Anmut, Duft und Schein, Und ihre Füßchen erst! … Allein In Rußlands grenzenloser Weite Gibt’s hübscher Füßchen kaum drei Paar.
Ach, unvergeßlich immerdar
Bleibt eines mir! … Noch heute, heute, So ernst ich bin, verfolgt es mich, Und selbst im Traume zittre ich.
Wann nur, in welchen Wildnisbanden Schlägst du sie, Tor, dir aus dem Sinn?
O Füßchen, Füßchen! Wo zulanden
Schwebt heut ihr über Blumen hin?
Gehätschelt in des Südens Milde, Ließt ihr im öden Schneegefilde
Des rauhen Nordens keine Spur;
Dem wohlig weichen Teppich nur
Wart ihr gewohnt euch anzuschmiegen.
Vergaß ich blinder Schwärmer nicht Verbannung, Heimat, Ruhm und Pflicht, Um eurem Zauber zu erliegen?
Mein junges Glück entschwand im Blühn, Gleich eurer Spur im Wiesengrün.
Dianens Busen, Floras Wangen,
O Freunde, reizen meinen Sinn!
Und dennoch zieht mich mehr Verlangen Zum Füßchen Terpsichores hin.
Denn, wie es Augen selig blendet Und, Gunst verheißend, Wonne spendet, Entfesselt es in Lust und Qual Der Wünsche ungemeßne Zahl.
Das Füßchen lieb’ ich, o Elvine, Am Tische, vom Damast verhüllt,
Auf Wiesen, die der Lenz erfüllt, Am Winterabend vorm Kamine,
Im glatten Ballsaal, hoch am Strand, Auf schroffgranitner Klippenwand.
Ich sah das Meer an Sturmestagen: Mit welchem Neid genoß ich dann, Wie Flut um Flut herangetragen Liebkosend ihr zu Füßen rann!
Wie wünscht’ ich damals mit den Wellen Im Kuß an sie heranzuschwellen!
Nein, nicht im tollsten Jugenddrang, Da Gier mich trieb und Überschwang, Empfand ich mich so hingerissen, Holder Armiden süßen Mund, Erblühten Busens volles Rund,
Entflammter Wangen Glut zu küssen; Nein, nie hat sonst der Sinne Macht In mir solch heißen Wunsch entfacht!
Noch andre teure Bilder schweben Durch meiner Seele Traumesland:
Ich darf sie in den Bügel heben, Ich fühl’ ihr Füßchen auf der Hand; Und wieder stürmt’s in meinem Innern, Holder Berührung süß Erinnern Treibt jäh zum Herzen mir das Blut – Erneute Qual, erneute Glut! …
Genug. Es sind die stolzen Schönen Nicht würdig, daß Gesang sie ehrt, Sie sind der Leidenschaft nicht wert, Der Lieder nicht, die ihnen tönen; Ihr Mund, ihr lächelnd Auge lügt Genau so, wie ihr Füßchen trügt.
Na, und Eugen? Der fährt vom Balle Schlaftrunken heim, aufs Bett bedacht, Derweil ringsum bei Trommelschalle Das Treiben Petersburgs erwacht.
Der Kaufmann rüstet, Boten fliegen, Zur Börse rollt’s von Droschkenzügen, Die Milchmagd stapft, so schnell sie kann, Durch knarrend frischen Schnee heran; Der Frühlärm schallt als froher Wecker Vor offnen Läden, blauer Rauch Steigt kraus empor, und längst geht auch Beim flinken Deutschen dort, dem Bäcker Im weißen Hut, ohn’ Unterlaß Klapp-auf, klapp-zu sein “Was-ist-das”.
Inzwischen schläft, vom Ball ermüdet, Vertauschend Nacht mit Morgenschein, Das Kind der Weltlust wohlumfriedet Bis in den hellen Tag hinein.
Erst mittags wird er sich erheben, Und dann beginnt das gleiche Leben, Dann lockt der gleichen Freuden Schar, Und morgen folgt, was heute war.
Ob freilich dieser unbedachte,
Durch nichts gehemmte Vollgenuß
Von Jugend, Glanz und Überfluß
Eugen auch wirklich glücklich machte?
Erhielt sich, so von Lust betört, Sein Herz trotz allem unversehrt?
Nein, sein Gefühl war bald erstorben, Die bunte Welt erschien ihm leer; Und, die er sonst so heiß umworben, Die Schönen reizten ihn nicht mehr: Er war es satt, genarrt zu werden.
Auch Freundschaft schuf ihm nun Beschwerden, Denn ewig konnte man doch nicht Zum Beefsteak oder Nachgericht
Champagner durch die Kehle jagen, Und auf Verlangen obendrein
Mit schwerem Kopf noch geistreich sein; Ja, sonst bereit, sich gleich zu schlagen, Selbst Ehrenhändel ließ er nun, So Degen wie Pistole, ruhn.
Ein Leiden, welches aufzuklären, Obschon verwandt mit Englands Spleen, Die Ärzte längst verpflichtet wären, Kurz: Rußlands Trübsinn hatte ihn Seitdem bedenklich in den Krallen.
Sich aber einfach totzuknallen,
Das, Gott sei Dank, mißfiel ihm just; Nur schwand ihm jede Lebenslust.
Und nun erschien er auf den Festen Gleich Ritter Harold eisig stumm Und blieb für Tanz und Spiel ringsum, Für holde Seufzer, zarte Gesten, Skandalgeschichten, Spott, Bonmots Vollkommen kalt und teilnahmslos.
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Ihr launenhaften großen Damen!
Euch ließ er ganz zuerst im Stich.
Der “feine Ton” im steifen Rahmen Langweilt ja heut auch fürchterlich.
Zwar wissen manche höchst Aparten Mit Say und Bentham aufzuwarten, Doch was man sie so plappern hört, Ist schaudervoll und mitleidswert.
Und dabei tun sie noch so wichtig, So arg gebildet, stolz und fein, Sind allesamt so engelrein, So unzugänglich, keusch und züchtig, So ganz den Männern abgeneigt,
Daß schon ihr Anblick Spleen erzeugt.
Auch euch, ihr Dämchen freier Liebe, Die ihr in sinnlich toller Hast
Spätnachts durch Petersburgs Getriebe Von Droschken euch entführen laßt, Auch euch beschloß er kühl zu meiden.
Und gründlich satt der wilden Freuden Spann gähnend er zu Haus sich ein Und nahm sein Schreibzeug vor. Allein, Entwöhnt, mit Arbeit sich zu quälen, Und weil der Feder nichts entfloß, Mißlang’s ihm, sich als Zunftgenoß Den kecken Leuten beizuzählen, An denen sich nicht gerne reibt, Wer, so wie ich, ihr Handwerk treibt.
Aufs neu dem Nichtstun preisgegeben, Verstimmt, sich seelisch leer zu sehn, Verfiel er drauf als löblich Streben, Der Weisheit andrer nachzugehn.
Nun ließ er Haufen Bücher kommen, Las, las, doch ohne Nutz und Frommen: Hier war nur Unsinn, Trug und Tand, Dort weder Einsicht noch Verstand, Kurz, lauter Schund von blöden Schreibern; Die alten waren nichts mehr wert, Die neuen dreist und gleich verkehrt.
Deshalb verließ er nächst den Weibern Nun auch der Bücher staub’ges Chor Und überwarf’s mit Trauerflor.
Gleich ihm entflohn der Weltlust Plagen, Befreit aus hohler Formen Bann,
Ward ich sein Freund in jenen Tagen.
Er zog als Mensch mich lebhaft an Mit seinem Hang zum Phantasieren, Den unnachahmlichen Manieren, Dem unbeirrbar scharfen Geist.
Ich war verbittert, er vereist,
Uns beide hatte schon das Leben, Der Leidenschaften Spiel genarrt, Uns beiden war das Herz erstarrt; Wir hatten Jugend hingegeben, Und nur Fortunas blinden Hohn
Und unsrer Mitwelt Haß zum Lohn.
Wer lebt und urteilt, lernt beizeiten, Wie tief verächtlich Menschen sind; Wer fühlt, dem muß es Schmerz bereiten, Wie schnell des Lebens Wahn zerrinnt.
Er kann nun all den Zauber missen, Verzehrt sich in Gewissensbissen Und spürt der Reue dumpfe Pein …
Dergleichen spendet insgeheim
Der Unterhaltung reiche Würze.
Erst quälte mich Onegins Ton;
Doch ich gewöhnte bald mich schon An seine blendend scharfe Kürze, Den spöttisch überlegnen Stil, Das fein geschliffne Redespiel.
Wie oft – wenn in der sommerhellen, Durchsicht’gen Nacht, des Mondes bar, Sich in der heitern Newa Wellen Spiegelten leuchtend, weiß und klar Die endlos hohen Himmelsräume – Ging unser Flug ins Reich der Träume, Gedachten wir der Jugendzeit, Der ersten Liebe Lust und Leid,
Und schwelgten in Erinnerungen,
Vom tiefen Zauber stumm berauscht!
Wie ein Gefangner träumend lauscht, Zum grünen Wald sich wähnt entsprungen, So trug uns lockend Schwärmersinn Zum Frühling unsres Lebens hin.
Dann stand Eugen, sich heimlich sehnend, Gedankenvoll, elegisch trüb
Und schweigsam am Granitbord lehnend, Wie ein Poet sich einst beschrieb.
Ganz still war’s; nur vereinzelt schollen Der Schildwach’ Rufe; fernes Rollen Von spätem Fuhrwerk hallte matt Aus der in Schlaf versunknen Stadt.
Im Strom, der schlummernd ausgebreitet Dahinfloß, sich ein Kahn verlor, Und fernher glitt zu unserm Ohr Ein heitrer Sang, vom Horn begleitet …
Oh, um wie voller man genießt,
Wo Tassos Lied die Nacht versüßt!
O Adrias kristallne Wogen!
O Brenta! Doch – ich schaue euch, Geschwellten Herzens hingezogen
Zu eurer Klänge Zauberreich!
Sie sind Apollos Enkeln teuer
Und mir durch Albions stolze Leier Längst innig kund in tiefster Brust.
Ich will in sel’ger Nächte Lust
Italiens goldne Wonnen schlürfen, In stiller Gondel zärtlich warm, Venedigs holde Maid im Arm, Bald stumm, bald plaudernd schwelgen dürfen, Bis meinen Lippen süß vertraut Petrarcas und der Liebe Laut!
Wird meiner Freiheit Stunde schlagen?
O schnell, schon treibt’s mich ohne Ruh’
Zum Ufer hin, den Wind zu fragen, Schon wink’ ich Segeln Grüße zu.
Wann endlich gönnt mir Schicksalswille, Durch Sturmwind oder Meeresstille Frei hinzuziehn ins Sonnenland?
Bloß fort von diesem öden Strand Mir feind gewordner Elemente,
Auf daß ich froh des Südens, nah Dem Himmel meines Afrika,
Vom Düster Rußlands träumen könnte, Wo Liebe mich und Leid bedrängt, Wo ich mein Herz ins Grab gesenkt …
Zum Plan, uns reisend aufzufrischen, War auch Onegin schon bereit;
Allein das Schicksal trat dazwischen Und trennte uns für lange Zeit:
Sein Vater starb. Mit harten Blicken Begannen Gläub’ger ihn zu drücken.
Ein jeder tut, was ihm gefällt:
Onegin, vor die Wahl gestellt,
Entschloß sich, um von Schachernöten Nicht weiter drangsaliert zu sein, Der eklen Sippschaft insgemein Den magren Nachlaß abzutreten;
In stiller Ahnung offenbar,
Wie nah des Oheims Ende war.
Schon kam auch wirklich mit Stafette Bericht vom Gutsvogt an Eugen:
Sein Oheim, siech im Sterbebette, Verlange dringlichst ihn zu sehn.
Sofort bestieg nach diesen Zeilen Eugen die Post, um hinzueilen,
Mit stillem Groll darauf gefaßt, Daß ihm so manche Pein und Last
Bei Wehgestöhn und Seufzermienen Ums liebe Geld zu tragen blieb
(Wie ich’s zu Anfang schon beschrieb); Doch, kaum auf Oheims Gut erschienen, Fand er den Greis schon aufgebahrt Im Leichenschmuck zur Grabesfahrt.
Der Gutshof schwoll von Dienerscharen; Von fern und nah zum Trauerhaus
Kam Freund und Feind herbeigefahren, Begierig auf den Leichenschmaus.
Kaum barg das Grab die Erdenreste, Bezechten Popen sich und Gäste
Und taten beim Nachhausegehn,
Als wär’s in frommer Pflicht geschehn.
Mein Freund besaß nun weite Länder, Mit Äckern, Mühlen, Wald und Flur, War Gutsherr, bis vor kurzem nur Ein Ordnungsfeind und Geldverschwender, Und froh, weil seiner Lebensbahn Solch Umschwung sichtbar wohlgetan.
Zwei Tage lang gefiel die Stille, Das freie Land ihm wirklich gut, Der dunkle Wald, die Saatenfülle, Des Bächleins leise Murmelflut; Am dritten schien der Fluren Segen Ihn freilich kaum noch anzuregen!
Und endlich ließ ihn alles kalt.
Ihn drückte nun auch hier sehr bald Dieselbe Langeweile nieder,
Wie dort bei Prunk und Stadtgewühl, Theater, Ball und Kartenspiel.
Der alte Trübsinn kehrte wieder
Und hing ihm wie sein Schatten an, Wie Weiber am geliebten Mann.
Dafür kann ich so recht genießen, Wenn mir des Dörfleins Ruhe winkt, Wo im verborgnen Lieder sprießen, Der Leier Stimme süßer klingt.
Dort darf ich schlendern, wunschlos sinnen, Im Nachen schaukelnd Träume spinnen, Dem far niente still geweiht.
Mit froher Ungebundenheit
Beschenkt mich jeder neue Morgen: Ich lese wenig, schlafe viel
Und frage kaum nach Zweck und Ziel.
War’s nicht dies Dasein ohne Sorgen, In goldner Freiheit auf dem Land, Wo ich das reinste Glück empfand?
O Blumen, Liebe, Flur und Frieden, Euch geb’ ich mich von Herzen hin!
Es freut mich, daß ich so verschieden Von meinem Freund Onegin bin,
Weil nun kein Leser, mich bespöttelnd, Noch jemand sonst, der, Arges zettelnd, Mich selbst mit ihm vergleicht, fortan Gewissenlos behaupten kann, Ich hätte mich sehr unverfroren, Von Byrons stolzer Art verführt, Hier deutlich selber porträtiert; Als müßten alle Herrn Autoren Nur immerfort mit sich allein,
Dem lieben Ich beschäftigt sein!
Beiläufig: Dichter schwärmen immer, Sobald ihr Herz von Liebe quillt.
Auch mich entzückte früh der Schimmer Süßholder Wesen, deren Bild
Mir heimlich in der Seele webte, Bis es der Muse Hauch belebte;
Und so besang ich froh-bereit
Mein Ideal, des Berglands Maid,
Die am Salgir gefangnen Schönen.
Nun fragt ihr lieben Freunde mich Jetzt gar so oft: “Für wen, o sprich, Entströmt dein Schmerz in Leiertönen?
Wem aus der eifersücht’gen Schar Der Mädchen bringst du Opfer dar?
Wes Zauberblick voll Seligkeiten Belohnte mit der Liebe Dank
Den tiefen Wohllaut deiner Saiten?
Sprich, wen vergöttert dein Gesang?”
Ei, niemand, Freunde, Gott zum Zeugen!
Der Leidenschaften Sturmesreigen Warf Trostes bar mich an den Strand.
O glücklich, wer dem Sinnenbrand Des Sanges reine Glut vermählte, Zwiefach so steigernd ihren Glanz Und mit Petrarcas Ruhmeskranz Begnadet – alles, was ihn quälte, Vom Herzen warf! Nur mich allein Zwang Liebe, blöd und stumm zu sein.
Sie schwand; die Muse kehrte wieder, Der Schleier fiel von meinem Blick.
Befreit nun ruf’ ich alte Lieder, Gefühl, Gedanken mir zurück.
Mein Herz ist still, derweil ich schreibe; Die Feder malt zum Zeitvertreibe Kein Köpfchen, keine Füßchen mehr, Wie sonst, um meine Strophen her.
Kein Funke kann im Busen zünden, Der Seufzer starb, ich traure nur, Und bald wird auch die letzte Spur Der einst’gen Seelenstürme schwinden.
Gleich fang’ ich ein Poem sodann In fünfundzwanzig Sängen an.
Schon hab’ ich nebst der Form des Planes Mir einen Helden ausgedacht – Inzwischen hier des Versromanes Ersten Gesang zum Schluß gebracht; Hab’ viel gebessert, viel gestrichen, Zwar wimmelt’s noch von Widersprüchen, Doch sei’s darum. Und kurz und gut: Dem Zensor zahl’ ich gern Tribut, Und übergebe zur Vernichtung Mein Werk der Rezensentenhand.
So zieh denn hin zum Newastrand, Du, meine neugeborne Dichtung,
Und wirb mir dort des Sängers Lohn: Mißdeutung, Undank, Spott und Hohn!
O rus!
Horaz
O Rußland!
Der Landsitz, wo Onegin gähnte, War recht ein Plätzchen zum Gedeihn; Dort durfte, wer nach Glück sich sehnte, Dem Himmel wahrhaft dankbar sein.
An eines Bächleins klarem Spiegel Stand unterm Windschutz sanfter Hügel Allein für sich ein Herrenhaus.
Sein Giebel schaute frei hinaus Auf Saatengold und grüne Matten; Rings lagen Dörfchen still verstreut, Viehherden grasten weit und breit, Und flüsternd wölbte seine Schatten Des Parks verträumter Wipfelwald, Ernster Dryaden Aufenthalt.
Das Schloß, von ernst behäb’gen Zügen, Wie sich’s für Schlösser so gebührt, War würdevoll und streng gediegen Nach alter Baukunst ausgeführt: Hochhelle Räume, breite Gänge, Im Saal schwerseidne Wandbehänge, Des Zaren Bild in Hermelin
Und bunte Fliesen am Kamin.
Heut gilt das alles für veraltet, Weiß Gott warum; wie dem auch sei, Für meinen Freund blieb’s einerlei, Welch ein Geschmack darin gewaltet: Denn gähnend fand er’s ganz egal, Ob alter, ob moderner Saal.
Er fand im selben Raum Behagen, Wo vierzig Jahr’ lang frommbeseelt Der Dorfgreis Fliegen totgeschlagen Und mit der Magd herumkrakeelt.
Ein schlichtes Zimmer: eichne Diele, Zwei Schränke, Sofa, Tisch und Stühle, Kein kleinster Tintenfleck zu sehn.
Die Schränke prüfend fand Eugen: Hier Wirtschaftsbücher, dort die Spender Des Seelentrostes: Schnaps, Likör Und Apfelwein, ein ganzes Heer; Von Anno acht den Volkskalender.
Sonst hatte bei der Pflichten Last Der Greis kein Buch mehr angefaßt.
Allein inmitten seiner Güter, Auch weil er sonst noch nichts getan, Verfiel Eugen als Ortsgebieter Auf einen neuen Wirtschaftsplan: Als freier Geist in engen Zeiten Erließ er seinen armen Leuten Die altererbte harte Fron;
Sie dankten ihm mit Gotteslohn.
Darob erboste sich im Winkel
Der geiz’ge Nachbar, weil für ihn Solch Beispiel höchst gefährlich schien; Gespottet ward sogar aus Dünkel, Und endlich kam man überein:
Das muß ein schlimmer Vogel sein!
Erst gab’s noch oft Besuch und Gönner; Doch weil er sich verschmitzt erwies Und jedesmal sich flugs den Renner Im Hinterhofe satteln ließ,
Sobald er vorn die stark beschwerte Familienkutsche rumpeln hörte, Verschnupfte diese Prellerei, Und mit der Freundschaft war’s vorbei.
“Der Nachbar ist verrückt, ein Flegel Und Umsturzmann, so frech wie roh; Sitzt immerfort beim Glas Bordeaux; Vergißt vor Fraun die Anstandsregel; Brummt weiter nichts wie ja und nein, Der Tropf!” So hieß es allgemein.
Dortselbst erschien in jenen Tagen Ein neuer Gutsherr auf dem Land, An dem mit gleichem Unbehagen Die Nachbarschaft zu kritteln fand: Wladimir Lenski, ein im Busen Göttingisch freier Sohn der Musen, Von jugendfrischem Hauch umweht, Anhänger Kants, dazu Poet.
Er brachte aus Germaniens Nebeln Die Früchte reifer Wissenschaft: Verstand, sehr tief, doch rätselhaft, Freiheitsbegeisterung, kaum zu knebeln, Beredsamkeit, höchst wunderbar, Und langes, schwarzes Lockenhaar.
Noch rein und unberührt geblieben Vom Lastertreiben dieser Welt, War noch von Freundschaft, treuem Lieben Sein ahnungsloses Herz geschwellt.
Noch stand es holdem Irrtum offen, Noch wiegte ihn ein süßes Hoffen, Und gläubig gab sein Schwärmersinn Sich noch dem Trug des Lebens hin.
Den Zweifel, wenn er leis erwachte, Verscheuchte seiner Träume Spiel, Wobei er sich des Daseins Ziel Als abgrundtiefes Rätsel dachte, Sich oft den Kopf darum zerbrach Und von der Zukunft Wundern sprach.
Er glaubte, eine Seele wäre
Für ihn bestimmt, durch Sympathie, Die trostlos sich in Harm verzehre Und seiner harre spät und früh; Er glaubte, treue Freunde ließen Sich gern für ihn in Ketten schließen Und seien hilfreich jederzeit Zu Beistand in Gefahr bereit; Daß Menschen leben, die in Gnade Erwählt vom Schicksal …
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Sein Mitleid mit der Not auf Erden, Sein Wahrheitstrieb und Edelmut Sowie der Wunsch, berühmt zu werden, Erregten früh sein junges Blut.
Die Welt durchschwärmend mit der Leier, War ihm an Schillers, Goethes Feuer In deren Himmel seine Brust
Emporgeloht in Sangeslust.
Und seiner Muse holde Gaben
Entweihte er, der Reine, nie: Der Hochflug seiner Poesie
War über Erdenstaub erhaben,
Von träumerisch naivem Schwung Und schöner, keuscher Mäßigung.
Er sang von demutsvoller Liebe, Und harmlos war sein Lied und rein Wie eines Mägdleins Unschuldstriebe, Wie Kindestraum, wie Mondenschein, Dem, wenn er nachts so friedlich leuchtet, Die Sehnsucht ihren Kummer beichtet; Er sang von Wehmut, Trennungsharm, Von Nebelduft und andrem Schwarm, Von Rosen, die romantisch sprossen; Er sang von Ländern fern und weit, Wo in verschwiegner Einsamkeit Einst bitter seine Zähren flossen; Er sang von frühem Tod sogar – Ein halbes Kind von achtzehn Jahr!
In dieser Wüste, wo von allen Ihn nur Eugen nach Wert bemaß, Empfand er wenig Wohlgefallen An seiner Nachbarn derbem Spaß Und ihren lauten Trinkgelagen; Auch ihr Gespräch von Wirtschaftsfragen, Heuernte, Dung und Ackerfrucht, Familie, Wein und Hundezucht
Gebrach zu sehr an Geistesblüten, Poetisch reiner Harmonie,
Verstand, Gefühl und Phantasie, Um für den Ton Ersatz zu bieten; Das Schlimmste freilich war dabei Der bessern Hälften Klatscherei.
Als hübscher Bursch mit viel Vermögen Kam Lenski als ein Freiersmann Den Landfamilien sehr gelegen: Jedweder Mutter lag daran,
Den “halben Russen” einzufangen.
Er kommt: gleich wird drauflosgegangen, Wie öde doch das Einerlei
Des Hagestolzenlebens sei;
Zum Samowar wird herbefohlen,
Schön-Dunja macht den Tee geschwind, Man flüstert: “Sei recht lieb, mein Kind!”
Dann läßt man die Gitarre holen, Und Dunja flötet (wehe dir!):
“Komm auf mein güldnes Schloß zu mir!”
Doch Lenski schien aus guten Gründen Solch zarte Fesseln noch zu scheun Und wünschte, statt sich schon zu binden, Vorerst Onegins Freund zu sein.
Es glückte. Zwischen Fels und Fluten, Gesang und Prosa, Eis und Gluten Gab’s eher noch ein Bindeglied.
Auch schuf der Wesensunterschied Den beiden anfangs viel Beschwerden; Doch man gefiel sich, wurde warm, Ritt täglich aus, ging Arm in Arm, Um schließlich eng vertraut zu werden.
Wie denn (mir selber ist’s passiert) Faulenzerei zur Freundschaft führt.
Zwar ist auch solche Freundschaft selten, Weil unser blinder Dünkel meint, Daß andere bloß für Nullen gelten, Wodurch man selbst als Eins erscheint.
Uns dünkt, wir seien Bonaparte, Und blicken von der steilen Warte Auf die zweibein’ge Kreatur:
Für uns ist sie ein Werkzeug nur.
Da war Eugen noch gut zu leiden; Denn eben, weil er ganz und gar Kein Freund der lieben Menschheit war, Verstand er scharf zu unterscheiden, So daß er manchen gelten ließ
Und seinem Herz Respekt erwies.
Drum ließ er Lenski ruhig schwärmen, Begeistert in den Himmel schaun, Sich an der Rede Glanz erwärmen Und arglos seinen Sinnen traun; Ihm war’s so neu, so ungewöhnlich.
Auch hielt er, von Natur versöhnlich, Mit kühlem Widerspruch zurück
Und dachte: soll ich ihm dies Glück Der kurzen Täuschung jetzt schon rauben?
Das tut die Zeit ja später doch.
Mag denn dies Herz einstweilen noch Ans Paradies der Erde glauben, Und Nachsicht drum dem jungen Blut, Dem jungen Wahn, der jungen Glut!
Sie stritten über jede Frage,
Die Stoff zum Disputieren bot: Das Völkerschicksal grauer Tage, Das Leben vor und nach dem Tod, Das Vorurteil, an dem wir kranken, Und unsrer Weisheit enge Schranken, Ja, oft sogar ward Gott und Welt Noch ernster Prüfung unterstellt.
Wenn dann sein Dichterherz ihm pochte, Trug Lenski, der sich gern verlor, Fragmente seiner Lyrik vor,
Und Freund Eugen, der lächeln mochte, Ergab sich mit Geduld darein
Und ließ ihn hochpathetisch sein.
Ihr liebstes Thema war daneben Der Leidenschaften Tyrannei.
Eugen, schon mehr gereift im Leben, Beschränkte sich zumeist dabei Auf melancholisch ernste Glossen.
Wohl dem, der Liebe tief genossen Und ihr zuletzt sich doch entwand; Noch besser, wer sie nie gekannt, Der Lockung durch Verzicht begegnet, Dem Haß durch Spott; im warmen Nest Bei Weib und Freund sich wohl sein läßt, Von Argwohn frei sein Schicksal segnet Und nie sein hübsch ererbtes Geld Dem Spieltisch zur Verfügung stellt!
Sobald wir in der Weisheit Hafen Nach manchem Sturm gelandet sind, Begierden, Wunsch und Triebe schlafen, Und nun dies ganze Labyrinth
Durchkämpfter Qual, verfehlter Ziele, Der Nachhall einst’ger Hochgefühle, Die mühsam wir zur Ruh’ gebracht – Uns nur noch leise lächeln macht, Dann lauschen wir mit Wohlbehagen Der heißen Jugend Herzenswahn.
Hört doch der blinde Veteran,
Der einst im Feld sich brav geschlagen, Noch gern in seiner Altersruh’
Berichten jüngrer Krieger zu.
Wogegen, immer überschwenglich, Die Jugend nicht zu schweigen weiß: Ihr rascher Mund gibt unbedenklich Haß, Liebe, Glück und Kummer preis.
Sich selbst als Veteranen fühlend, Vernahm Eugen, den Ernsten spielend, Wie sein Poet so nach und nach Das Siegel seines Herzens brach Und sein Geheimnis zarter Triebe Dahingab an des Freundes Schoß.
Und so empfing er mühelos,
Die scheue Beichte erster Liebe, Ein bunt Gewirr von Schwärmerei, Das alte Lied, doch ewig neu.
Er liebte, ach, wie heutzutage, Kein einz’ger mehr in Lieb’ entflammt, Und wie vom Los zur Liebesplage Nur der Poet ist noch verdammt: In steter Sehnsucht, steter Trauer, In ewig gleichem Wonneschauer, In ungemindert heißem Brand!
Kein Aufenthalt in fremdem Land, Kein hold Getändel mit den Musen, Nicht Studium, nicht Trennungszeit, Nicht Freundschaft noch Geselligkeit Noch andrer schöner Mädchen Busen – Nichts hatte je das Band, gesprengt, Den Trieb des Herzens abgelenkt.
Er hatte früh schon aus der Ferne Sich an Klein-Olgas Reiz erbaut Und unschuldsvoll, ein Knabe, gerne Dem Spiel der Kleinen zugeschaut, Es oft im Garten selbst geleitet Und so die Neigung vorbereitet, Bis hier Mama und dort Papa
Im Geist das künft’ge Pärchen sah.
Auf diesem stillen Erdenfleckchen War sie erblüht zu keuscher Pracht, Von Elternaugen treu bewacht,
Wie ein verborgnes Maienglöckchen, Im Grün versteckt, das holde Ding, Vor Bienchen wie vor Schmetterling.
Sie schenkte ihm zu stiller Feier Den ersten Traum der Seligkeit; Der erste Seufzer seiner Leier War ihrem süßen Bild geweiht.
Ade, ihr goldnen Jugendspiele!
Nun zog es ihn zur Waldeskühle, Wo Einsamkeit und Schweigen wohnt, Zur dunklen Nacht, zu Stern und Mond, Dem guten Mond, der Himmelsleuchte, Die uns auf jungem Liebespfad
So oft ein treuer Kamerad,
So oft ein Trost in Tränen deuchte …
Und die man später nur noch kennt, Wenn sonstwo kein Laternchen brennt.
Stets artig, folgsam, sanft, bescheiden, Stets heiter wie das Morgenrot, Unschuldig wie des Dichters Freuden, Gleich einem Kuß, den Liebe bot, Die Augen blau, die blonden Zöpfchen, Der Gang, der Wuchs, das feine Köpfchen, Dies alles zwang in Olgas Bann.
Jedoch in jedem Schundroman –
Man liest ihn wohl in Mußestunden – Wird euch ihr Konterfei beschert.
Ich selber hab’ es einst verehrt, Doch später recht banal gefunden.
Drum laßt uns, ohne umzusehn,
Zur ältren Schwester übergehn.
Sie hieß Tatjana … Solcherweise Bin ich’s zuerst, der unverzagt Euch diesen Namen niedrer Kreise Gar im Roman zu bieten wagt.
Warum auch nicht? Er klingt poetisch, Obschon, ich weiß es, zart ästhetisch Geschulten Ohren sehr trivial, Vulgär. Nun, in der Namenwahl
(Von unsern Versen ganz zu schweigen) Vermögen wir trotz Bildungslack, Wir alle, weder viel Geschmack Noch eben viel Kultur zu zeigen; Uns blieb vom Segen höhern Lichts Nur Affektiertheit – weiter nichts.
Kurzum: Tatjana hieß sie eben.
Mit jener frischen Wangenpracht, Der Schönheit und dem quicken Leben Der Schwester war sie nicht bedacht.
Schwermütig, wortkarg, ernst und eigen, Scheu wie ein Reh im Waldesschweigen, Erschien sie im Familienkreis
Wie ein verpflanztes, fremdes Reis.
Den Eltern zärtlich anzuhängen Verstand sie nicht; als Kind sogar Vermied sie schon, sich in die Schar Der Spielgenossen einzumengen, Und hockte lieber ganz allein
Am Fenster, um für sich zu sein.
Solch stundenlanges Träumespinnen, Von Kindheit auf ihr liebster Hang, Verklärte ihren weichen Sinnen Den dörflich stillen Alltagsgang.
Zum Nähen wie zu Handarbeiten
Gelang es nicht sie anzuleiten, Dergleichen häuslich frohe Pflicht Geriet den zarten Händchen nicht.
Den Trieb zum Herrschen offenbaren Sonst Mädchen zeitig: schon das Kind Erzieht sein Püppchen, lernt geschwind Die spätre Kunst in jungen Jahren Und wiederholt mit strengem Ton Dem kleinen Balg Mamas Lektion.
Doch selbst in diesen Kindestagen Ließ Tanja derlei Spielzeug ruhn, Sie mochte nie die Püppchen tragen, Mit ihnen schwatzen, zärtlich tun, Auch nichts von Kinderspäßen hören.
Allein bei schönen Schauermären Am warmen Herd zur Winterzeit
Ward ihr das Herzchen wohlig weit.
Selbst wenn die Amme Spielgenossen Zum Fangball auf die Wiese rief Und Olga fröhlich sprang und lief, Tat sie nicht mit und schien verdrossen, Weil Lust und Lärm der kleinen Schar Dem ernsten Kind zuwider war.
Vor Tagesanbruch stand sie gerne Schon am Balkon, vom Schlaf erfrischt, Wenn nach und nach der Chor der Sterne Am bleichen Horizont verlischt, Die fernen Hügel rot zerfließen, Frühwinde sanft den Morgen grüßen Und dann im Glanz der Tag erwacht.
Im Winter selbst, wenn tiefe Nacht Noch hüben in den Tälern schlummert Und drüben blaß und still der Mond Auf dunklen Wolkenschleiern thront, Der graue Osten träge schlummert – War sie gewohnt bei Kerzenschein Schon zeitig aus dem Bett zu sein.
Dem stillen jungen Mädchen galten Romane längst als höchste Lust; Rousseaus und Richardsons Gestalten Belebten ihre Schwärmerbrust.
Ihr Vater, der als komisch trister, Beschränkter Kauz und Hausphilister Nie Bücher las, deshalb den Kram Für harmlos leichten Plunder nahm, Versäumte, weil er nichts entdeckte, Beizeiten auf der Hut zu sein, Welch Schmöker seinem Töchterlein Nachtsüber unterm Kissen steckte; Obzwar ja doch Mama sogar
Durch Richardson ganz närrisch war.
Die hielt auf ihn so große Stücke, Nicht weil sie selbst ihn etwa las, Und Lovelace, diesen Schuft voll Tücke, Mit Grandison, dem Edlen, maß; Nein, bloß weil einstmals die Kusine In Moskau, die Komteß Pauline, Von beiden gar so oft erzählt.
Da war sie selbst noch unvermählt, Verlobt zwar, aber glomm in Schmerzen Für einen andern jungen Mann,
Der ihre Neigung rasch gewann, Ein Grandison nach ihrem Herzen, Ein Spieler, dabei sehr galant, Ein Geck und Gardeleutenant.
Sie trug sich, wie dies Wunderwesen, Stets ganz modern und höchst geziert, Ward aber ohne Federlesen
Doch mit dem ersten kopuliert.
Der fuhr in wohlerwogner Eile, Damit ihr wundes Herzchen heile, Mit ihr davon aufs stille Gut.
Dort kam zunächst die Tränenflut, Sie sträubte sich und schrie und stöhnte, Bis allgemach nach Zwist und Zank, Beschwichtigt durch den Wirtschaftsgang, Ihr Trotz sich friedsam eingewöhnte.
Hat Gott doch dem, der Glück entbehrt, Gewohnheit als Ersatz beschert.
Sie half den Kummer überwinden, Der andern Balsam von sich wies, Und lehrte bald ein Mittel finden, Das jeden Schmerz vergessen ließ: Und zwar die Kunst, durch feine Schlingen Den Gatten unters Joch zu zwingen, Um selbst das Räderwerk zu drehn.
Und gleich ging alles wunderschön: Sie zankte mit den Ackerleuten, Schor Köpfe, salzte Pilze ein, Nahm alles selbst in Augenschein, Ließ samstags sich ihr Bad bereiten, Ohrfeigte ab und zu die Magd
Und ließ den Gatten ungefragt.
Wenn vormals sie den Schwarm nur kannte, Mit Blut ins Album Verse schrieb, Das Bäschen süß “Pauline” nannte, Die Stimme bis zum Flöten trieb, Die Taille ganz unglaublich schnürte Und unser N, das ungezierte,
Französisch durch die Nase sprach – Ließ jetzt solch Unfug gründlich nach: Korsett und Album nebst “Pauline”, Das Näseln, das Gebildettun
Ward abgetan, sie rief auch nun Kurzweg Akulka statt “Seline”
Und trug zu guter Letzt im Haus Nur Haube noch und Watteflaus.
Ihr Mann, gewohnt, sich still zu schicken, Stets sanft und liebreich im Verstehn, Vertraute ihr in allen Stücken Und ließ sich nur im Schlafrock sehn.
Sein Tag verfloß in Ruh’ und Frieden, Und kamen abends, froh beschieden, Die Nachbarn zum Besuch kutschiert, Dann ward gemütlich diskutiert, Der liebe Nächste vorgenommen, Ein heitres Späßchen laut belacht Und prächtig so die Zeit verbracht, Bis Olga mit dem Tee gekommen, Hernach geschmaust, die Uhr befragt Und schließlich gute Nacht gesagt.
Sie hielten sich im schlichten Rahmen Altbiedrer Art behaglich frisch; Stets in der Fastnachtwoche kamen Die fetten Plinsen auf den Tisch, Und zweimal jährlich ging man beichten.
Der Mummenschanz und Christmarkt reichten Zu ihrer Kurzweil völlig aus.
Am Pfingsttag, wenn im Gotteshaus Die Bauern gähnend Messe hören, Vergossen sie so rührsam nett
Paar Tränchen auf ihr Pfingstbukett.
Bei Tisch kam stets der Kwaß zu Ehren, Und Gästen ward, wie sich’s gebührt, Genau nach Stand und Rang serviert.
So kamen beide in die Jahre,
Bis eines Tags der Alte starb
Und, friedlich schlummernd auf der Bahre, Sich einen neuen Kranz erwarb.
Er starb ein Stündchen vor dem Essen, Von allen Nachbarn unvergessen Und Weib und Kindern laut beweint, Als treue Seele, niemand feind.
Er war als Herr so sanft und gnädig, Und über seinem Totenschrein
Verkündet ein Gedächtnisstein: “Hier ruht in Gott, der Sünden ledig, Erlöst von aller Erdenqual,
Herr Dmitri Larin, General.”
Alsbald, nachdem er heimgekommen, Trat Lenski vor die stille Gruft, Die teure Ruhstatt dieses Frommen, Und machte sich in Seufzern Luft, War sturmbewegt und weinte lange.
“Poor Yorick!” sprach er wehmutsbange: “Auf seinen Armen trug er mich; Ließ oft das Knäblein väterlich Mit seinen blanken Orden spielen; Er hatte Olga mir geweiht,
Er sprach: ›Erleb’ ich noch die Zeit?‹”
Und übermannt von Schmerzgefühlen, Schrieb Lenski mit erhabnem Sinn Ein Verschen auf den Grabstein hin,
Um gleichen Ortes unter Zähren Auch seiner Eltern Trauermal
Mit einem ernsten Spruch zu ehren …
Ach, hier im bunten Erdental
Ist kurz Erblühn und schnell Erkalten Nach unerforschtem Schicksalswalten Das Erbteil aller Kreatur,
Und eine folgt der andern Spur …
So sprießt in kurzen Erdentagen Die Menschensaat und welkt hinab, Zu ihrer Ahnen dunklem Grab.
Auch uns wird bald die Stunde schlagen, Da unsern Leib, wie’s Gott so lenkt, Der Enkel in die Grube senkt!
Drum, Freunde, schlürft in vollen Zügen Des Lebens kurzbemeßne Lust!
Ich freilich kenne seine Lügen, Bin mir der Täuschung kühl bewußt Und mag den Irrwahn nicht mehr teilen.
Ein leiser Wunsch nur quält zuweilen Mein Herz mit ungewisser Pein: Ich möchte nicht verurteilt sein, Ganz spurlos aus der Welt zu scheiden; Begehre keinen eitlen Ruhm – Nur soll mein Erdenpilgertum
Sich noch in solchen Schimmer kleiden, Daß freundlich, wenn auch matt beschwingt, Ein Schall doch von mir Kunde bringt,
Um da und dort ein Herz zu rühren; Daß, vom Geschick bewahrt, fortan Mein Lied im Strom sich nicht verlieren, In Lethes Nacht versinken kann; Ja, daß vielleicht (o schönstes Hoffen!) Einst noch der dümmste Narr betroffen Vor meinem Bilde stille steht
Und staunend ausruft: “Welch Poet!”
Dir aber sag’ ich treuverbunden, O Freund der Musen, wärmsten Dank, Wenn mein bescheidner, flücht’ger Sang In deiner Brust Asyl gefunden
Und gönnerhaft dein Finger rührt Den Lorbeer, der das Haupt mir ziert.
Elle était fille, elle était amoureuse.
Malfilâtre
“Schon fort? Ein Kreuz mit euch Poeten!” – “Leb wohl, Onegin, höchste Zeit!” – “Schön, schön, ich will dich nicht verspäten; Doch wohin eilst du? Gib Bescheid.” – “Zu Larins.” – “Hm … Gesteh mal ehrlich: Ist’s auf die Dauer nicht beschwerlich, Dies Hocken in Familie, sprich?” – “Durchaus nicht.” – “Traun, das wundert mich; Man malt sich solche Dorfgeschichte – So ist’s doch? – schon von weitem aus: Ein russisch-philiströses Haus, Sehr gastfrei, eingemachte Früchte, Nebst ewig gleichem Redeschwall
Von Wetter, Flachs und Rinderstall …” –
“Das läßt sich immer noch ertragen.” – “Man stirbt vor Langerweile, Freund.” – “Dir mag die große Welt behagen, Mich lockt ein Heim, wo traut vereint Zwei Herzen …” – “Himmelst du schon wieder?
Freund, bitte, keine Schäferlieder!
Du fährst nun, schade. Noch ein Wort: Hör, Lenski, könnt’ ich wohl mal dort Die Phyllis sehn, die all dein Dichten Begeistert, stets im Traum dir nah, Und Harm und Schwarm et cetera? …
Stell mich doch vor.” – “Du scherzt.” – “Mitnichten!” – “Dann gern.” – “Wann also?” – “Gleich, steig ein, Wir werden sehr willkommen sein.” –
“Wohlan!” – Sie fahren los, gelangen Ans Ziel und sehn sich allbereit Behaglich-würdevoll empfangen
Mit umstandsreicher Gastlichkeit.
Hier ist die alte Zeit zu spüren: Auf kleinen Tellern Konfitüren,
Gastfreundlich wird herangeschafft In hohem Kruge Beerensaft.
… … … … … … … … … … … .
… … … … … … … … … … … .
… … … … … … … … … … … .
… … … … … … … … … … … .
… … … … … … … … … … … .
… … … … … … … … … … … .
Der Abend kommt, die Freunde scheiden Und kutschen heim bei Dämmerlicht.
Nun laßt uns hören, was die beiden Zu reden haben. Lenski spricht:
“Du gähnst, Onegin?” – “Laß das Fragen, Gewohnheit, Freund, hat nichts zu sagen.” – “Doch mehr als sonst.” – “Ach was, egal!
Wie schnell es dunkelt, schau doch mal!
Andrjuschka, zugefahren! Scheußlich, Dies öde Feld … Na, tut mir leid: Mama wirkt etwas bäurisch breit, Scheint aber sonst ganz brav und häuslich …
Daß der verdammte Beerensaft
Mir nur keine Beschwerden schafft!
Hm ja, die Töchter … wer von beiden War Tanja?” – “Jene, die so trüb Und schweigsam, wie um uns zu meiden, Ans Fenster trat und abseits blieb.” – “Dich reizt die Jüngre?” – “Ja – weswegen?” – “Mir wär’ an jener mehr gelegen, Wär’ ich, wie du, apollbeseelt:
Den Augen deiner Olga fehlt,
Gleichwie van Dycks Madonnen, Leben; Ihr Rosenlärvchen, prallgesund, Gleicht dort dem Mond, der dumm und rund Sich anschickt, uns Geleit zu geben.”
Wladimir wich der Antwort aus
Und schwieg verdrossen bis nach Haus.
Bei Larins hatte mittlerweile
Eugens Besuch sehr vorteilhaft
Und tief gewirkt. Mit Windeseile
Drang dies Gerücht zur Nachbarschaft: Die Neuigkeit ward flugs verbreitet, Es ward geklatscht, geraunt, gedeutet, Und man verriet sich mitteilsam Tatjanens künft’gen Bräutigam.
Ja, ganz Erfahrne wollten wissen, Die Heirat sei perfekt, jedoch
Verschoben, denn man habe noch
Um neue Ringe schreiben müssen.
Daß Olga Lenski zugedacht,
Galt allen längst als ausgemacht.
Tatjana nahm Geschwätz und Fragen Unwillig auf, doch insgeheim
Empfand sie leises Wohlbehagen –
Unmerklich wuchs der Neigung Keim; Bis endlich, was den Blick noch trübte, Der klaren Sonne wich: sie liebte …
So aus dem Schoß der Erde sprießt Die Saat, sobald der Frühling grüßt.
Längst trieb ein scheues Glücksverlangen Sie ruhelos durch Qual und Lust, Längst sehnte sich die junge Brust Aus tiefem Wirrsal, stetem Bangen In keuschen Wonnen aufzugehn: Das Seelchen suchte – irgendwen
Und harrte … Endlich kam der Rechte.
“Der ist es!” rief ihr Herz befreit.
Ach, nun ist alles, Tag und Nächte, Der stille Traum der Einsamkeit
Von ihm erfüllt, und all ihr Denken, Ihr Hoffen, Fühlen, Sichversenken Gilt einzig ihm! Sie weicht im Haus Dem heitren Wort der Ihren aus, Entzieht sich treubesorgten Fragen.
Sie wandelt wie verstört umher
Und kann nun kaum die Gäste mehr
Mit ihrem Alltagsklatsch ertragen, Die stets im Kommen so geschwind
Und zum Verzweifeln seßhaft sind.
Wie jetzt Romane sie beglücken,
Wie eifrig sie nun liest und liest, Mit immer steigendem Entzücken
Der holden Täuschung Reiz genießt!
Der Phantasie geschäftig Walten
Haucht Leben in die Traumgestalten, Der Freund der Julia Volmar,
Malek-Adhel und de Linar
Und Werther, dieses Herz in Flammen, Selbst Grandison in seiner Pracht (Der mich gewöhnlich schläfern macht), Sie fließen all in eins zusammen, In eines einz’gen herrlich Bild: Eugen, dem ihre Sehnsucht gilt.
Sie malt sich aus, die Heroine
Der Lieblingsdichtungen zu sein,
Clarissa, Julia, Delphine;
Durchstreift mit ihrem Buch allein Den stillen Wald, um dort zu träumen; Was sie bekümmert, im geheimen Ihr Herz beseligt, Harm und Glück, Es spiegelt ihr das Buch zurück.
Und während sie mit allen Sinnen
Bei fremdem Leid und fremder Lust, Beginnt ihr Geist, halb unbewußt, An ihn ein Briefchen auszuspinnen …
Allein, was sonst mein Held auch war – Ein Grandison doch nimmerdar.
Ein idealisch reiner Schimmer
Umfloß den Dichter alter Zeit:
Er malte seinen Helden immer
Als Muster der Vollkommenheit.
Der Liebling mußte tausend Plagen, Verfolgung, Haß und Pein ertragen, War stets an Geist ein Phänomen, Gefühlvoll und bezaubernd schön.
Im Vollbesitz solch reicher Mittel Vergießt er, groß an Opfermut,
In stetem Kampf sein edles Blut,
Bis endlich dann im Schlußkapitel Das schwarze Laster unterliegt
Und, Gott sei Dank, die Tugend siegt.
Doch heut ist unser Sinn umnebelt, Moral ein überwundner Wahn;
Das Laster, früher fest geknebelt, Nun triumphiert es im Roman.
Was Englands Musen wild gebären,
Kommt dräuend, unsern Schlaf zu stören: Der jüngste Backfisch sieht zumal Im Vampir heut sein Ideal, In allen Köpfen spukt’s gigantisch Vom ew’gen Juden, vom Korsar,
Vom düstren Melmoth, vom Sbogar.
Lord Byron kam uns hochromantisch Und hob, der Willkür Ebenbild,
Den Egoismus auf den Schild.
Wohin, o Freunde, soll das führen?
Kann sein, daß bald ein Gott mich zwingt, Mein Ränzel als Poet zu schnüren Und, ob auch Phöbus zürnend winkt (Ein neuer Dämon wird mich lenken), Zur schlichten Prosa abzuschwenken.
Dann kehr’ ich friedlich im Roman Zurück zur alten, biedren Bahn,
Und werde keine Spukgeschichten
Von schwarzen Sündern, Gift und Blut, Nein, nur was harmlos, brav und gut Am stillen Herd sich spinnt, berichten: Getreue Lieb’ und Herzeleid Und alte, fromme Redlichkeit;
Ich bring’ vergeßne schlichte Worte, Vom Vater und vom Ohm gehört,
Erzähl’, wie an verborgnem Orte
Sich traf das Pärchen ungestört,
Und führ’ es sacht durch Kuß und Freuden, Durch Eifersucht und Harm und Leiden Zum frohen Ende Hand in Hand Beseligt in den Ehestand …
Und schwelge wieder in den süßen, Glutvollen Worten, wunderbar,
An denen ich so reich einst war,
Da ich, ein Jüngling noch, zu Füßen Des heißgeliebten Mädchens saß,
Und die ich, ach, so lang vergaß.
Tatjana, holdes, teures Wesen!
Nun wein’ ich mit dir, weil du blind An den Tyrannen, ach, den bösen, Dein Schicksal hingabst, armes Kind!
Du gehst zugrunde, liebe Kleine,
Und wirst zuvor dich noch im Scheine Trügrischer Hoffnung süß ergehn, Des Lebens Wonnen vor dir sehn,
Den Giftkelch des Verlangens trinken, In Träumen schweben für und für, Und allerorten werden dir
Verstecke sel’gen Kosens winken;
Wohin auch deine Schritte fliehn, Wird dein Versucher mit dir ziehn.
Nun ist’s um Tanjas Ruh’ geschehen; Sie irrt im Garten trüb umher
Und bangt und seufzt, bleibt sinnend stehen, Starrt vor sich hin und atmet schwer: Ihr Busen wogt, die Wangen flammen, Der Kummer preßt ihr Herz zusammen, Es rauscht und hämmert ihr im Ohr, Den Blick verhüllt ein Tränenflor …
Schon breitet Nacht die dunklen Schwingen; Von droben schaut mit mildem Schein Der Mond herab; im Fliederhain Beginnt die Nachtigall zu singen.
Nur Tanja findet keine Ruh’
Und flüstert ihrer Amme zu:
“Wie schwül … kein Schlummer will mir kommen!
Das Fenster auf – mich drückt’s so schwer.” – “Was ist dir, Schatz?” – “Nichts – nur beklommen; Erzähl mir etwas, setz dich her.” – “Ja, was denn, Kind? In Jüngern Tagen, Da freilich wußt’ ich viele Sagen Aus alten Zeiten, wunderschön, Von bösen Geistern, guten Feen;
Doch jetzt ist’s alle, ich behalte Rein gar nichts mehr, der Kopf wird dumm, Die bessern Jährchen sind herum, Es geht bergab …” – “Ach, gute Alte, Besinn dich, was es sonst noch gibt – Sag, warst du selber mal verliebt?”
“Ei Kind! Man hat in unsern Jahren Nicht erst nach Liebe viel gefragt; Sonst hätte, wenn sie das erfahren, Mich auch die Schwieger schön geplagt.” – “Wie wurdest du denn Braut?” – “Ach, Tanja, Das kam, wie’s Gott so fügt. Mein Wanja War jünger noch als ich, das Ding Von dreizehn Jahr. Die Muhme ging Zwei Wochen lang bei beiden Teilen Mit Werbung um; zuletzt in Ruh’
Gab Vater seinen Segen zu,
Und ich bekam vor Schreck das Heulen.
Mit Tränen löste man mein Haar,
Und mit Gesang ging’s zum Altar.
So lernt’ ich denn die Fremde kennen …
Ja, hast du denn auch zugehört?” – “Ach, Amme, meine Schläfen brennen, Und diese Angst, die mich verzehrt – Ich könnte weinen ohne Ende! …” – “Kind, du bist krank, so heiße Hände – Allmächt’ger Gott, erbarme dich!
Schnell, schnell, was soll ich holen, sprich …
Weihwasser wird das Fieber stillen; Du glühst, bist krank …” – “Nicht krank – betrübt; Ach, Amme … hör … ich bin verliebt.” – “Gott steh dir bei, um Christi willen!”
Die Alte hebt, vor Schreck gebannt, Bekreuzigend die greise Hand.
“Ich liebe …”, seufzt Tatjana wieder Und birgt ihr fiebernd Angesicht.
“O Kind, du leidest, leg dich nieder.” – “Ich liebe – laß mich, stör mich nicht.”
Und still und stiller wird’s im Zimmer …
Der Mond läßt seinen sanften Schimmer Um Tanjas aufgelöstes Haar,
Ihr kummerbleiches Wangenpaar,
Um ihre feuchten Wimpern fließen
Und um die alte, schlichte Frau
In Wams und Häubchen, müd und grau, Auf niedrem Schemel ihr zu Füßen; Sein Zauber webt im stillen Raum, Und alles schweigt und ruht im Traum.
Und sinnend schaut die Sehnsuchtkranke Zum Vollmond auf – ihr ist so weh …
Da kommt ihr plötzlich ein Gedanke: “Ich will allein sein, Amme, geh.
Erst Feder noch und Tinte, schiebe Das Tischchen her … und nun, du Liebe, Gut Nacht, schlaf wohl.” Sie ist allein.
Das Haupt gestützt, vom Mondenschein Beleuchtet, schreibt sie, schreibt mit Schmerzen, Im Geist bei seinem teuren Bild, Und was die krausen Zeilen füllt, Es strömt aus keuschem Mädchenherzen.
Sie ist am Schluß; nun seufzt sie tief …
Tatjana, sprich! wem gilt der Brief?
Ich kannte schöne Weiblichkeiten, Keusch, unerbittlich, kalt wie Eis, Unangreifbar, nicht auszudeuten, Durch nichts gerührt, um keinen Preis.
Bewundernd sah ich ihre Jugend,
Die makellose, strenge Tugend
Und – lief entsetzt von ihnen fort; Mir schien, als ob das Höllenwort Auf ihrer Stirn geschrieben stünde: “Laß alle Hoffnung weit zurück.”
Abstoßend sein heißt ihnen – Glück, Und Herzen an sich ziehen – Sünde.
Vielleicht sind euch am Newastrand Solch edler Damen mehr bekannt.
Ich sah noch andre stolze Schönen, Umringt von der Trabanten Schar,
An deren Hochmut Liebessehnen
Und Schmeichelei vergeudet war.
Doch was bemerkt’ ich mit Erstaunen?
Erst wiesen sie durch spröde Launen Den brünst’gen Sklaven rauh zurück, Um hinterher mit süßem Blick Das Närrchen wieder anzulocken;
Zumal im Klang der Worte schien
So täuschend echte Gunst zu glühn, Daß jener, eben noch erschrocken, Aufs neu vertrauensvoll naiv Nach seinem holden Irrlicht lief.
Ist Tanjas Schuld nun wirklich schlimmer?
Wenn sie, des klaren Blicks beraubt, Umgaukelt von der Täuschung Schimmer, An goldne Ideale glaubt?
Wenn sie, beseelt von reinem Triebe, In ungekünstelt echter Liebe
Sich hingibt dem erträumten Ziel?
Weil Gott ihr Sinnen, ihr Gefühl
Zur Zärtlichkeit, zur Güte lenkte, Sie mit Verstand und Willenskraft, Beglückend warmer Leidenschaft Und einem starken Herz beschenkte?
Soll, was die Unschuld gläubig rein Zur Irrung führte, Sünde sein?
Kokette Mädchen ziehen Schranken, Tatjana liebt naiv und blind
Und überläßt sich ohne Wanken
Der Neigung, wie ein holdes Kind.
Sie sagt nicht: hübsch behutsam, leise, Das steigert unsre Gunst im Preise, Fängt auch den Freier sichrer ein; Erst lassen wir ihn selig sein, Im Glücksrausch eitler Hoffnung gleiten, Und stürzen dann sein Herz in Nacht, Bis Eifersucht ihn rasend macht; Weil sonst, verwöhnt durch Zärtlichkeiten, Ein launenhafter junger Mann Leicht unversehns entwischen kann.
Nun kommt mir eins noch ungelegen: Daß ich Tatjanas Brieferguß
Der nationalen Ehre wegen
Erst förmlich übersetzen muß.
Ihr Russisch konnte wenig gelten, Journale las sie auch nur selten, Und schrieb drum, weil sie offenbar, Des Heimatlauts nicht mächtig war, Französisch … Nun, dergleichen Sitten Sind schuld, wenn unsre Damenwelt Noch immer nicht für schicklich hält, Ihr Herz auf russisch auszuschütten: Die eigne Sprache, stolz und tief, Ist noch verpönt beim Liebesbrief.
Ich weiß, daß man zum Russischlesen Die Damen drängt. O Unverstand!
Man denke sich ein holdes Wesen,
Den “Wohlgesinnten” in der Hand!
Nein, ihr Poeten sollt mir sagen, Die ihr in lockren Jugendtagen
Dem Gegenstand der Zärtlichkeit
Manch heimlich süßes Lied geweiht: War’s nicht das reizend ungeschickte, Halbrussisch-wirre Kunterbunt!
Das, einem roten Mädchenmund
Entsprudelnd, uns so hoch beglückte?
Was fragte unser Herz danach,
Wenn solcher Mund Französisch sprach?
Daß Gott mich bloß davor bewahre, Auf Bällen mich umringt zu sehn
Von Löckchen, die zum Seminare,
Und Zöpfen, die studieren gehn!
Gleich roten Lippen ohne Lachen,
Sind Mädchen, die nicht Fehler machen Beim Russischsprechen, mir verhaßt.
Zwar wird ja bald, ich fürcht’ es fast, Ein neuer Nachwuchs junger Schönen, Vom Pädagogenwitz belehrt (Und mit poet’scher Kost genährt!) Uns an korrekten Stil gewöhnen …
Ich aber – ja, wie sollt’ ich auch? – Ich schwöre auf den alten Brauch.
Dies hold verlegne Radebrechen,
Der schalkhaft regellose Bach
Der Worte läßt Erinnerung sprechen, Ruft alte Wonnen in mir wach.
Drum bleib’ ich, sei’s auch ungezogen, Den Gallizismen wohlgewogen,
Wie meinem sünd’gen Lebensmai,
Wie Bogdanowitschs Reimerei.
Doch still – wir haben nachzutragen: Tatjanens Brief versprech’ ich euch; Ich gab mein Wort zum Pfand, obgleich Entschlossen fast, mich loszusagen.
Der Ton Parnys liegt uns zu fern; Gefühlvoll sein ist unmodern.
Wärst du, schwermüt’ger Freund und Sänger, Der du die “Feste” schufst, noch hier, Dann trüg’ ich meine Last nicht länger Und bäte dich, das Briefchen mir Melodisch zart zu übertragen,
Das Tanja, um ihr Leid zu klagen, In fremden, wirren Lauten schrieb.
Wo bist du? Hilf mir – dir zulieb Begeb’ ich mich der eignen Rechte …
Doch fern, im felsig-rauhen Nord
Vereinsamt, taub dem Freundeswort, Irrt er durch Finnlands stumme Nächte, Und seine Seele hört es nicht, Wie bang zu ihr die meine spricht.
Hier leg’ ich denn mein Kleinod nieder: Tatjanens lieben, holden Brief.
Ich les’ ihn oft – und immer wieder Bewegt er mich so seltsam tief.
Wer lehrte sie die süßen Worte,
So frei, und doch am rechten Orte, Wer dieser Sprache schlichte Kraft, Den Herzenston der Leidenschaft, So kühn, so rührend überschwenglich?
Ich weiß es nicht – und bringe nur Statt lebenswarmer Vollnatur
Ein Nachbild, matt und unzulänglich, Wie wenn ein Stümper, der nicht fühlt, Den “Freischütz” euch herunterspielt.
Tatjanens Brief an Onegin
“Ich bin so kühn, an Sie zu schreiben – Ach, braucht es mehr als dies allein?
Nun wird gewiß – was soll mir bleiben? – Verachtung meine Strafe sein!
Doch wenn, wo Angst und Qual mich treiben, Ein Fünkchen Mitleid für mich spricht – O dann verwerfen Sie mich nicht!
Erst wollt’ ich schweigen, hätte nimmer, Was nun zu Schmach und Schande ward, Dem strengen Auge offenbart, Ach, bliebe nur ein winz’ger Schimmer Von Hoffnung, Sie von Zeit zu Zeit In unsrer Abgeschiedenheit Zu sehn, zu grüßen, im geheimen
Mich ihres klugen Worts zu freun, Um selig-froh für mich allein
Vom nächsten Wiedersehn zu träumen …
Doch heißt’s, Ihr Stolz vertrüge nicht, In niedren Hütten einzukehren; Und wir – sind klein, gering und schlicht, Nur dankbar, einen Gast zu ehren.
Ach, warum kamen Sie aufs Land,
Wo wir so still verborgen waren?
Ich hätte nimmer Sie gekannt
Und nie solch Herzeleid erfahren.