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Die arabische Welt ist mehr als die Summe der Länder, in denen überwiegend Arabisch gesprochen wird. Seit der Expansion des Islams bildet sie einen religiösen und kulturellen Resonanzraum mit immer wieder neuen Ansätzen zur politischen Einheit. in dieser neuen Geschichte der arabischen Welt beschreiben international renommierte Experten, wie sich diese «Welt» seit der Spätantike formiert hat, wie die arabische Kultur weit über diesen Raum hinaus – bis nach Europa und Amerika – verbreitet wurde und welche Besonderheiten die einzelnen Regionen bis heute prägen. So ist das Buch zugleich ein fasinierender Beitrag zur Globalgeschichte der letzten zweitausend Jahre aus arabischer Sicht. Mit der Arabischen Halbinsel, Ägypten, Syrien-Palästina, dem Irak und dem nordafrikanischen Maghreb prägen fünf große Regionen die arabische Welt. In diesem Buch beschreiben rund vierzig renommierte Experten aus Deutschland, Frankreich, den USA und anderen Ländern die Geschichte dieser Regionen von der Spätantike über die Ausbreitung des Islams seit dem 7. Jahrhundert und die Besatzung durch europäische Staaten im 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Kulturgeschichtliche Überblicke über die vier wichtigsten Perioden machen deutlich, welche gemeinsamen Entwicklungen in dem riesigen Raum zwischen Atlantik und Persischem Golf prägend waren. Oftmals unterschätzt, wird in diesem Buch auch der weltweiten Ausstrahlung der arabischen Kultur – nach Lateineuropa und Byzanz, nach Iran und ins Osmanische Reich, in das subsaharische Afrika und nach Amerika – Raum gegeben. So ist das wissenschaftlich zuverlässige, allgemeinverständlich geschriebene Werk zugleich ein bedeutender Beitrag zur Globalgeschichte der letzten zweitausend Jahre.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
GESCHICHTE DERARABISCHEN WELT
Herausgegebenvon Andreas Kaplony
C.H.BECK
Cover
Inhalt
Textbeginn
Titel
Inhalt
Einleitung
(Von Andreas Kaplony)
Die arabische Welt
Vernetzte Regionalgeschichten
Zu Umschrift, Jahreszahlen und Aussprache
ERSTER TEIL: Arabien und die Araber in Altertum und Spätantike 2500 v.Chr.–632 n.Chr.
1: Südarabien (Jemen)
(Von Peter Stein)
– Das «Glückliche Arabien»
Forschungsstand und Hilfsmittel
Entstehung der altsüdarabischen Kultur (1000–700 v.Chr.)
Das sabäische Großreich (altsabäische Periode, 800–300 v.Chr.)
Der Aufstieg der Stämme aus dem Hochland (frühe mittelsabäische Periode, 3.–1. Jahrhundert v.Chr.)
Sabaʾ und Ḥimyar im Kampf um die Vorherrschaft (späte mittelsabäische Periode, 1.–3. Jahrhundert n.Chr.)
Das sabäo-ḥimyarische Großreich und der Einzug des Monotheismus (spätsabäische Periode, 300–500 n.Chr.)
Die religionspolitischen Auseinandersetzungen im frühen 6. Jahrhundert
Eine letzte Blütezeit und der Niedergang des antiken Südarabien (550–632 n.Chr.)
2: Ostarabien
(Von Peter Stein)
–
Handelsstädte der Golfregion
Forschungsstand und Hilfsmittel
Dilmun und Magan: Lokale Herrschaften unter dem Einfluss Mesopotamiens (2500–400 v.Chr.)
Die ḥasaitische Schriftkultur, Gerrha und das Königreich von Oman (4. Jahrhundert v.Chr.–3. Jahrhundert n.Chr.)
Ostarabien in sasanidischer Zeit (um 230–632 n.Chr.)
3: Irak und Syrien, das alte Nordarabien
(Von Michael C. A. Macdonald)
–
Von den vielen Arabien zum «eigentlichen» Arabien
Wer waren die Alten Araber?
Die Araber und die verschiedenen Arabien in der Antike: Syrien und der Norden der Halbinsel sowie Babylonien
Mehrere Arabien: Der Libanon, die Bekaa-Ebene und der Anti-Libanon
Das nördliche und südliche Transjordanien und die Grenze zu Ägypten
Die Halbinsel
4: Die Araber des vorislamischen Nahen Ostens
(Von Isabel Toral)
– Ġassāniden und Laḫmiden als Kulturvermittler
Die historischen Quellen
Die Welt der Spätantike
Die Großmächte und ihre arabischen Verbündeten
Stammesursprünge und Dynastie
Materielle Kultur und Lebensweise
Religion
Sprachen und Ethnien
Das historische Erbe
5: Der Hedschas zur Zeit von Muḥammad
(Von Nicolai Sinai)
–
Entstehung und Frühgeschichte der islamischen Gemeinde in Mekka und Medina
Zur Quellenproblematik
Mekka zur Zeit Muḥammads
Das Wirken Muḥammads
ZWEITER TEIL: Das arabisch-islamische Imperium als Teil der Spätantike 632–800
1: Das arabisch-islamische Imperium
(Von Andreas Kaplony)
– Zusammenwachsen unter muslimischer Verwaltung
Die Entstehung eines arabisch-muslimischen Diskursraumes
Der Blickwinkel der imperialen Elite I: Geschichtsschreibung und Steuerverwaltung
Der Blickwinkel der imperialen Elite II: Ḥadīṯsammlungen und Korankommentare (und die biographische Literatur)
Der Blickwinkel der imperialen Elite III: Der Koran – Dichtung und Reden
Der Blickwinkel der alten Eliten: Geschichtsschreibung, Apokalypsen – christliche Heiligenviten und Dogmatik
Die dokumentarischen Quellen
Der Neustart des islamischen Projektes nach dem Tod Muḥammads und die Etablierung der muslimischen Herrschaft (632–685): Islamisches Recht, Koran und Glaubensanstrengung (ǧihād)
Imperiale Verwaltung (685–813): Steuereinzug, Militärverwaltung und das Angebot einer hybriden Identität
2: Syrien-Palästina
(Von Paul M. Cobb und Stefan Heidemann)
–
Vom erobernden Gemeinwesen zum umayyadischen Reichszentrum und zur abbasidischen Provinz
Die Eroberung Syrien-Palästinas, die Statthalterschaft und Amīr al-Muʾminīn des Westensvon Muʿāwiya ibn Abī Sufyān (18–41/639–661)
Die Etablierung staatlicher Strukturen (39–60/659–680)
Der Zweite Große Nachfolgekrieg innerhalb der Elite (60–73/680–692)
ʿAbd al-Malik, al-Walīd, Sulaymān und al-Ḥaǧǧāǧ (65–99/685–717): Die Formulierung einer imperialen Idee
Verteilungskämpfe und das Ende der Umayyadenherrschaft (99–132/717–750)
Die Residenzen der umayyadischen Kalifen
Syrien: Ein abgelegenes Abbasiden-Gebiet?
3: Der Irak
(Von Isabel Toral)
– Fünf arabische Städte in einem Meer von Aramäern
Die Kulturlandschaft Irak
Al-Ḥīra, Kufa, Basra – die Rolle der Städte bei der Eroberung des Irak
Die beiden dynastischen Gründungen: Wāsiṭ und Bagdad
Die nicht-muslimische Bevölkerung des Irak
4: Ägypten
(Von Mathieu Tillier)
–
Vom Provinz-Ǧund zur Integration in das Imperium
Die Eroberung und die Gründung von al-Fusṭāṭ
Die zentralen Regierungseinrichtungen
Die Territorialverwaltung
Von einer Fitna zur nächsten
Die Abbasidische Revolution und ihre Auswirkungen
Die militärischen Eliten: Von der regulären Armee bis zur Auflösung des Ǧund
Das religiöse Wissen
Die Nicht-Muslime und die Last der Steuern
Glaubenswechsel und Patronage
(walāʾ)
DRITTER TEIL: Die Zeit der Arabisierung und Islamisierung 800–1250
1: Arabisierung und Islamisierung
(Von Ronny Vollandt)
– Allgemeine Überlegungen – jüdische und samaritanische Gemeinschaften
Die arabische Schrift
Arabisch als Sprache der Religion und der Verwaltung
Die Ausbreitung des Arabischen in den jüdischen Gemeinschaften
Die Ausbreitung in den samaritanischen Gemeinschaften
Islamisierung und Konversion
2: Die Arabische Halbinsel, der Jemen (und Ostafrika)
(Von Eric Vallet)
– Islamische Durchdringung und der Aufstieg der Küstengebiete
Die Quellenlage
Die Kontrolle des Raums: Eine Herausforderung für die Autorität der Abbasiden
Die neuen Gesichter Arabiens (4.–7./10.–13. Jahrhundert)
3: Syrien-Palästina
(Von Paul M. Cobb und Stefan Heidemann)
–
Vom Zerfall der Reichsstrukturen über die beduinische Vorherrschaft zur Integration in das Seldschukenreich und seine Nachfolgestaaten
Die Erosion des abbasidischen Reiches im Westen
Syrien unter den Ṭūlūniden (264–282/877–896)
Der Zerfall der Reichsstrukturen: Ḥamdāniden, Iḫšīden und Fāṭimiden (282–390/896–1000)
Die Vorherrschaft der Beduinen (390–458/1000–1066)
Das Ende der nomadischen Vorherrschaft und die Seldschuken (458–479/1066–1086)
Eine Periode der Transformation
Die Frankenstaaten und die Seldschukengrenze (1050–1125)
Zangīden und Ayyūbiden (1125–1260)
4: Der Irak
(Von Jens Scheiner)
–
Multi-polar, religiös divers, kulturell fragmentiert
Die Phase der abbasidischen Dominanz (800 bis 920er Jahre)
Die Phase der Polyherrschaft ohne Beteiligung der Abbasiden (920er bis 1110er Jahre)
Die Phase der Polyherrschaft mit Beteiligung der Abbasiden (1120er Jahre bis 1258)
Die Phase der mongolischen Dominanz (1258 bis 1260er Jahre)
Religiöse Gemeinschaften
Kulturelle Entwicklungen
Darstellung der im Irak herrschenden Familien nach Regionen
5: Ägypten (und Nubien)
(Von Ursula Hammed)
– Politik, Unterhaltung und Religion nach arabischen Originaldokumenten
Quellen
Geschichte, Ideologie, politisches Denken
Unterhaltung und Kultur
Religiöse Vorstellungen
6: Der Maghreb
(Von Pascal Buresi und Mehdi Ghouirgate)
–
Von der religiösen Vielfalt zum berberischen sunnitischen Islam
Erste islamische Vorstöße
Die Berber: Vom Widerstand zur Reform
Die Machtergreifung der Berber: Almoraviden-Emirat und Almohaden-Imperium
Das Ende der religiösen Vielfalt, der berberische Islam, die Sunnifizierung des Maghreb und die almohadische Reform
Die langsame Arabisierung des Maghreb und der dynamische Widerstand der Berbersprachen
Die allmähliche Etablierung staatlicher Strukturen: Von der Stammesherrschaft zum universellen Kalifat
Militärische Neuerungen: Söldnertruppen, Festungsbauten und Stärkung der Seemacht
Die Verwaltung der Provinzen durch Besteuerung, Administration lokaler Zuständigkeiten und offensive Geldpolitik
7: Al-Andalus (711–1492)
(Von Francisco Vidal-Castro)
–
Ein arabisch-islamischer Staat in Westeuropa
Geographie: Gebiet und Bevölkerung
Das Umayyaden-Emirat und -Kalifat (711–1031) sowie die Zersplitterung in Taifa-Königreiche (1031–1090)
Nordafrikanische Dynastien: Almoraviden und Almohaden (1090–1228)
Das Naṣriden-Emirat (1232–1492)
Die Institutionen: Regierung, Verwaltung, Justiz, Religion und Armee
Die andalusische Gesellschaft
Wirtschaft und Produktion – in einem Steuerstaat
Kultur auf Andalusisch: Vielstimmig, morgenländisch inspiriert, intellektuell rege und arabischsprachig
Die materielle Produktion: Bauwesen und Künste
8: Arabische Kultur in Iran, Zentralasien und Nordwestindien
(Von Eva Orthmann)
– Die Dominanz des Arabischen in Sprache, Schrift und Literatur
Araber in Iran und in Indien
Verdrängung und Wiedererstarken: Arabisch und Persisch im Iran
Verwaltung: Das Ineinander von Kanzleiwesen und Korankenntnis
Philosophie, Wörterbücher und Lehnwörter im Neupersischen: Wissenschaft und Sprache im Zeichen arabischer Dominanz
Wege und Wandlungen der Schrift
Dichtung und Literatur
9: Kenntnis und Rezeption der arabischen Kultur in Byzanz
(Von Joe Glynias und Johannes Pahlitzsch)
–
Konkurrenz um das Erbe der Antike
VIERTER TEIL: Arabische Kultur in der Vormoderne 1200–1800
1: Arabische Kultur als Teil der islamischen Kultur 1038–1798
(Von Thomas Bauer)
–
Ein Plädoyer für einen
nicht-teleologischen Ansatz
Der teleologische Blick
Krise und Aufbruch: Das 11. Jahrhundert
Bildungsexpansion: Syrien und Ägypten zur Ayyūbiden- und Mamlukenzeit
Globalisierung – gewollt und ungewollt: Die Osmanenzeit
2: Die Arabische Halbinsel, der Jemen
(Von Eric Vallet)
– Von der Grenze zwischen Imperien zu einer neuen monarchischen Kultur
Das wiedergefundene Arabien
Arabien als neue Grenze der Imperien: 1250–1498
Arabien als neue Grenze der Imperien, diesmal: 1498–1700
Das Arabien der Sultane und die Errichtung einer neuen monarchischen Kultur
3: Syrien-Palästina
(Von Konrad Hirschler)
– Regionale, dann von Kairo, dann von Istanbul abhängige Haushalte
Die mamlukische Periode: Von regionaler Autonomie zur Provinz Ägyptens (circa 658–922/circa 1260–1516)
Die osmanische Periode: Zentralherrschaft mit und durch lokale Notabeln (ab 922/1516)
4: Der Irak
(Von David Jordan und Stefan Reichmuth)
– Randprovinz – kulturell blühende Grenzregion – autonome lokale Haushalte
Irak unter mongolischer und turkmenischer Herrschaft, 1258–circa 1500
Zwischen Ṣafawiden und Osmanen: Irak im 16. und 17. Jahrhundert
Der Irak im 18. und frühen 19. Jahrhundert (bis 1831)
5: Ägypten
(Von Malika Dekkiche)
– Arabischer Kanzleistil und literarische Salons
Ägypten, «die Mutter des Hier und Jetzt» (umm ad-dunyā)
Die Schreiber (al-kuttāb), die Feder und das Volk
Die Akteure der Populärkultur
6: Der Maghreb
(Von Pascal Buresi und Mehdi Ghouirgate)
–
Der Kampf gegen europäische und osmanische Expansion: Mystik und Scherifentum
Die Zersplitterung nach den Almohaden (1200–1500) und die Etappen der europäischen Expansion
Zwischen Hammer und Amboss, die osmanische Entscheidung für den Maghreb
Der Aufschwung der Mystik und des Scherifentums (1200–1600)
Die Piratenüberfälle, ein Mittel der Bereicherung vom Mittelmeer bis zum Atlantik
Städte in der Krise
Der Zerfall der Zentralgewalt im Maghreb
Das unterschiedliche Schicksal der maghrebinischen Provinzen (1550–1800)
Die Umwälzungen im Zusammenhang mit der Proto-Globalisierung
Der Maghreb am Ursprung des Orientalismus
7: Arabische Kultur in Iran und Zentralasien
(Von Florian Schwarz)
– Die große Zeit der Persophonie
Integriert ins Mongolische Reich
Die geschwächte Stellung des Arabischen
Arabisch und Persisch als Bildungsmedium
Korankommentare
Wachsende Bedeutung des Persischen
8: Arabische Kultur in den nicht-arabischen Regionen des Osmanischen Reiches
(Von Henning Sievert)
– Die Osmanisierung der arabischen Eliten
Araber und Nicht-Araber im Osmanischen Reich
Wahrnehmungen und Verflechtungen
Arabische Literatur und Bildung außerhalb der arabischen Provinzen
Arabische Literatur im Osmanischen Reich
9: Arabische Kultur als Teil westeuropäischer Identität
(Von Regula Forster)
– Abgrenzung und intensiver Austausch
Schrift, Sprache, Literatur
Objekte
Philosophie, Medizin und Wissenschaften
FÜNFTER TEIL: Arabische Kultur als Teil der Globalkultur seit 1800
1: Arabische versus islamische Kultur
(Von Rainer Brunner)
– Säkularisierung und Salafisierung
Begriffliche Unschärferelationen: Arabische und islamische Welten
Abkürzungen vom 18. zum 21. Jahrhundert: Schia und Wahhābīya
Der säkulare Moment: Die kulturelle Erneuerung der Nahḍa
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Die Salafisierung des Islam
Das Zeitalter der Extreme: Arabismus, Islamismus, Arabellion
2: Die Arabische Halbinsel, der Jemen
(Von Ulrike Freitag)
– Die Wandlung charismatischer Herrschaft zu Staaten im imperialen Kontext
Historische Perspektiven und Quellen
Charismatische Herrschaft im tribalen Kontext: Zentralarabien, Jemen, Oman
Die Küstenregionen der Arabischen Halbinsel im Kontext des Indischen Ozeans
Die Halbinsel im imperialen Wettstreit
Der Erste Weltkrieg als Katalysator politischer Neuordnung
Staatenbildung, Urbanisierung und Kalter Krieg
3: Syrien-Palästina
(Von Johann Büssow und Nils Riecken)
–
Reform, Kolonialherrschaft, prekäre Staatlichkeit
Historische Perspektiven
Quellenlage
Reichskrisen, Rebellionen, Notabeln und Provinzmagnaten (bis in die 1860er Jahre)
Reform angesichts europäischer Expansion (1856–1908)
Die Nahḍa-Bewegung: Erneuerung arabischer Sprache und Kultur
Die jungtürkische Periode: Verfassungsstaat, liberales Experiment und osmanischer Kataklysmus im Ersten Weltkrieg (1908–1918)
Zwischenkriegszeit und Völkerbundmandate (1918–1939)
Die Region seit dem Zweiten Weltkrieg: Ende des Mandatsregimes, Dekolonisierung und neue politische Formationen
Der Nahostkonflikt und Palästina/Israel: Brennpunkt und Brennglas der Dekolonisation
4: Der Irak
(Von Achim Rohde)
–
Bildung und Fragmentierung eines Staates
Spätosmanische Periode (1800–1914)
Britische Besatzung und haschemitische Monarchie (1914–1958)
Republikanische Periode (1958–1968)
Die Herrschaft des Baʿṯ-Regimes (1968–2003)
Invasion 2003 und zeitgenössischer Irak
5: Ägypten und der Sudan
(Von Johanna Pink)
–
Von Khedive und Mahdī zu Militärdiktaturen
Die Herrschaft von Muḥammad ʿAlī in Ägyten und im Sudan (1805–1849)
Die Hinwendung zu Europa (1854–1879)
Die Mahdī-Herrschaft im Sudan (1881–1899)
Das britische «verkappte Protektorat» über Ägypten (1882–1922) und das britisch-ägyptische Kondominium im Sudan (1899–1922)
Die «nationale Frage» in Ägypten und im Sudan (1922–1952)
Sudan: Erlangung der Unabhängigkeit und Militärdiktaturen mit parlamentarischen Intermezzi (ab 1952)
Das republikanische Ägypten: Militärdiktatur und gescheiterte Revolution (ab 1952)
Arabische Nation, Islam und nationale Identitäten
6: Der Maghreb und die Sahara
(Von Albrecht Fuess)
– Neu ausgerichtet nach Norden (nicht mehr nach Osten)
Was ist der Maghreb?
Sprachen des Maghreb
Der Maghreb – kolonial (1830–1962)
Der Maghreb – postkolonial (1962–2022)
Zwischen Islamismus und Arabischem Frühling: Der Maghreb im 21. Jahrhundert
7: Arabische Kultur in Iran
(Von Christoph U. Werner)
– Wandel einer Kulturtradition
Die arabische und arabischstämmige Bevölkerung Irans
Die Bedeutung Ḫūzistāns
Ḫūzistān und die iranische Angst vor Panarabismus und Sezession
Die arabische Kultur Irans in der Gegenwart
Die arabische Sprache und Nationalismen
Die Diskussion um das Arabische im Bildungs- und Erziehungswesen
Sprachpolitik, Sprachnationalismus und der arabische «Andere»
Sprachunterricht und der Status des Arabischen in der Islamischen Republik
Arabische Literatur in Iran seit 1800
Druckwesen im 19. Jahrhundert
Arabische Dichtung im Iran des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
Übersetzungen aus dem Arabischen als Transportmittel literarischer Moderne
Die Rezeption moderner arabischer Literatur in Iran
8: Das Arabische in den nicht arabischsprachigen Gebieten des Osmanischen Reichs
(Von Christoph K. Neumann)
– Sprache der Religion und absterbendes Bildungserbe
Die Position der Medresen
Die Mediensphäre des Buchdrucks
Osmanischer Kolonialismus
Das Ende einer kulturellen Dominanz
9: Arabische Kultur in Europa, Süd- und Nordamerika
(Von Albrecht Fuess)
– Einwanderer-Subkulturen auf dem Weg der Integration
Kulturkontakte und ihre Früchte
Europa und die arabische Kultur (1800–1914)
Araber und ihre Kultur in und zwischen den europäischen Weltkriegen (1914–1945)
Arabische (Kultur-)Migration nach Süd- und Nordamerika
Arabische Kultur in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg
Zeitgenössische arabische Kultur in Europa
10: Arabische Kultur in West- und Ostafrika
(Von Roman Loimeier)
– Islam als Mittel politischer Mobilisierung
Die Phase der Akklimatisierung
Die Phase der islamischen Revolutionen
Die Entwicklung der islamischen Gelehrsamkeit
Die Phase der Integration (ab dem späten 19. Jahrhundert)
11: Eine transnationale arabische Globalkultur?
(Von Friederike Pannewick und Christian Junge)
Transregionale Verflechtungen und neue mediale Öffentlichkeiten
Der Arabische Frühling – eine transregionale Protestkultur
Der lange Schatten der Proteste: Dokumentation, Gewalt und Migration
ANHANG
Anmerkungen, Quellen und Literatur
Einleitung
Anmerkungen
Zu Umschrift, Jahreszahlen und Aussprache
Anmerkungen
Erster Teil Arabien und die Araber in Altertum und Spätantike 2500 v.Chr. – 632 n.Chr.
1. Südarabien (Jemen). Das «Glückliche Arabien»
Anmerkungen
Quellen
Literatur
2. Ostarabien. Handelsstädte der Golfregion
Anmerkungen
Quellen
Literatur
3. Irak und Syrien, das alte Nordarabien. Von den vielen Arabien zum «eigentlichen» Arabien
Anmerkungen
Quellen
Literatur
4. Die Araber des vorislamischen Nahen Ostens. Ġassāniden und Laḫmiden als Kulturvermittler
Anmerkungen
Quellen
Literatur
5. Der Hedschas zur Zeit von Muḥammad. Entstehung und Frühgeschichte der islamischen Gemeinde in Mekka und Medina
Anmerkungen
Quellen
Literatur
Zweiter Teil Das arabisch-islamische Imperium als Teil der Spätantike 632–800
1. Das arabisch-islamische Imperium. Zusammenwachsen unter muslimischer Verwaltung
Anmerkungen
Quellen
Literatur
2. Syrien-Palästina. Vom erobernden Gemeinwesen zum umayyadischen Reichszentrum und zur abbasidischen Provinz
Anmerkungen
Quellen
Literatur
3. Der Irak. Fünf arabische Städte in einem Meer von Aramäern
Anmerkungen
Quellen
Literatur
4. Ägypten. Vom Provinz-Ǧund zur Integration in das Imperium
Anmerkungen
Quellen
Literatur
Dritter Teil Die Zeit der Arabisierung und Islamisierung 800–1250
1. Arabisierung und Islamisierung. Allgemeine Überlegungen – jüdische und samaritanische Gemeinschaften
Anmerkungen
Quellen
Literatur
2. Die Arabische Halbinsel, der Jemen (und Ostafrika). Islamische Durchdringung und der Aufstieg der Küstengebiete
Anmerkungen
Quellen
Literatur
3. Syrien-Palästina. Vom Zerfall der Reichsstrukturen über die beduinische Vorherrschaft zur Integration in das Seldschukenreich und seine Nachfolgestaaten
Anmerkungen
Quellen
Literatur
4. Der Irak. Multi-polar, religiös divers, kulturell fragmentiert
Anmerkungen
Quellen
Literatur
5. Ägypten (und Nubien). Politik, Unterhaltung und Religion nach arabischen Originaldokumenten
Anmerkungen
Quellen
Literatur
6. Der Maghreb. Von der religiösen Vielfalt zum berberischen sunnitischen Islam
Anmerkungen
Literatur
7. Al-Andalus (711–1492). Ein arabisch-islamischer Staat in Westeuropa
Anmerkungen
Quellen
Literatur
8. Arabische Kultur in Iran, Zentralasien und Nordwestindien. Die Dominanz des Arabischen in Sprache, Schrift und Literatur
Anmerkungen
Quellen
Literatur
9. Kenntnis und Rezeption der arabischen Kultur in Byzanz. Konkurrenz um das Erbe der Antike
Anmerkungen
Quellen
Literatur
Vierter Teil Arabische Kultur in der Vormoderne 1200–1800
1. Arabische Kultur als Teil der islamischen Kultur 1038–1798. Ein Plädoyer für einen nicht-teleologischen Ansatz
Anmerkungen
Quellen
Literatur
2. Die Arabische Halbinsel, der Jemen. Von der Grenze zwischen Imperien zu einer neuen monarchischen Kultur
Anmerkungen
Quellen
Literatur
3. Syrien-Palästina. Regionale, dann von Kairo, dann von Istanbul abhängige Haushalte
Anmerkungen
Quellen
Literatur
4. Der Irak. Randprovinz – kulturell blühende Grenzregion – autonome lokale Haushalte
Anmerkungen
Quellen
Literatur
5. Ägypten. Arabischer Kanzleistil und literarische Salons
Anmerkungen
Quellen
Literatur
6. Der Maghreb. Der Kampf gegen europäische und osmanische Expansion: Mystik und Scherifentum
Anmerkungen
Quellen
Literatur
7. Arabische Kultur in Iran und Zentralasien. Die große Zeit der Persophonie
Anmerkungen
Quellen
Literatur
8. Arabische Kultur in den nicht-arabischen Regionen des Osmanischen Reiches. Die Osmanisierung der arabischen Eliten
Anmerkungen
Quellen
Literatur
9. Arabische Kultur als Teil westeuropäischer Identität. Abgrenzung und intensiver Austausch
Anmerkungen
Quellen
Literatur
Fünfter Teil Arabische Kultur als Teil der Globalkultur seit 1800
1. Arabische versus islamische Kultur. Säkularisierung und Salafisierung
Anmerkungen
Quellen
Literatur
2. Die Arabische Halbinsel, der Jemen. Die Wandlung charismatischer Herrschaft zu Staaten im imperialen Kontext
Anmerkungen
Quellen
Literatur
3. Syrien-Palästina. Reform, Kolonialherrschaft, prekäre Staatlichkeit
Anmerkungen
Quellen
Literatur
4. Der Irak. Bildung und Fragmentierung eines Staates
Anmerkungen
Quellen
Literatur
5. Ägypten und der Sudan. Von Khedive und Mahdī zu Militärdiktaturen
Anmerkungen
Literatur
6. Der Maghreb und die Sahara. Neu ausgerichtet nach Norden (nicht mehr nach Osten)
Anmerkungen
Quellen
Literatur
7. Arabische Kultur in Iran. Wandel einer Kulturtradition
Anmerkungen
Quellen
Literatur
8. Das Arabische in den nicht arabischsprachigen Gebieten des Osmanischen Reichs. Sprache der Religion und absterbendes Bildungserbe
Anmerkungen
Quellen
Literatur
9. Arabische Kultur in Europa, Süd- und Nordamerika. Einwanderer-Subkulturen auf dem Weg der Integration
Anmerkungen
Quellen
Literatur
10. Arabische Kultur in West- und Ostafrika. Islam als Mittel politischer Mobilisierung
Anmerkungen
Literatur
11. Eine transnationale arabische Globalkultur?
Anmerkungen
Quellen
Literatur
Zum Buch
Vita
Impressum
Von Andreas Kaplony
Die vorliegende neue «Geschichte der arabischen Welt» knüpft an das Standardwerk gleichen Titels an, das Ulrich Haarmann 1987, vor bald vierzig Jahren, im selben Verlag herausgebracht hat. Heinz Halm hat das Handbuch als Herausgeber der vierten Auflage von 2001 – kurz vor den Anschlägen des elften September – und der fünften Auflage von 2004 weitergeführt und aktualisiert. Doch schon er musste feststellen, dass angesichts der rasanten weltpolitischen Veränderungen und ganz neuer Forschungsperspektiven, die damit einhergingen, eine Aktualisierung nur ein Notbehelf sein konnte. So kam der Verlag mit der Bitte auf mich zu, das Werk neu zu konzipieren und herauszugeben.
«Der Orient» ist im öffentlichen Diskurs Westeuropas in den letzten zwei Jahrzehnten noch stärker zur Projektionsfläche geworden. Wer von «dem Orient», «der islamischen Welt» oder «der arabischen Welt» spricht, denkt meist entweder an autoritäre, gewalttätige und enthemmte Verhältnisse oder an ein «schönes», in sich ruhendes, zeitloses und religiös weises «Morgenland». Aber ob nun schön oder schrecklich, in jedem Fall gilt «der Orient» als rückständig und dient als Kontrastfolie, um sich eines selbstbestimmten, friedliebenden und kontrollierten – und gleichzeitig fremdbestimmten, getriebenen und unendlich banalen – Lebens in Westeuropa zu versichern. Diese orientalistischen Projektionen sagen viel über die Ängste und Wünsche in Westeuropa aus, doch nichts über die islamische und arabische Welt. Diesen Projektionen will der vorliegende Band ein auf den Quellen basierendes und in der akademischen Diskussion erprobtes Wissen entgegensetzen.
Der Ausdruck «arabische Welt» bezeichnet drei konzentrische Kreise. Im engeren Sinne meint er Arabien (die Arabische Halbinsel) mit den Araberinnen und Arabern, im weiteren Sinne alle arabisch(sprachig)en Länder, also neben der Arabischen Halbinsel auch die arabisierten Regionen in Nordafrika, Ägypten, Syrien-Palästina, dem Irak und dem Jemen mit ihren älteren Kulturtraditionen. Im weitesten Sinne zählen wir zur arabischen Welt alle Regionen der vom Islam geprägten Welt und deren Nachbargebiete, die von der arabischen Sprache und Schrift geprägt sind, auch wenn in ihnen nicht Arabisch gesprochen wird. Diese vom Islam geprägte Welt umfasst dabei selbstverständlich auch alle nicht-islamischen Gemeinschaften, nicht nur Christen, Juden und Zoroasthrier, sondern beispielsweise auch Jesiden, Bahais und Atheisten. Daher ist der deutsche Begriff islamische Welt letztlich unglücklich und wird zunehmend durch das englische Kunstwort Islamicate World ersetzt.
Die Vormoderne räumte dem ersten Kreis, der Arabischen Halbinsel, wegen seiner Vertrautheit mit den Anfängen des Islam und der arabischen Sprache einen Ehrenvorrang ein, sah aber den dritten Kreis, die islamische Kulturgemeinschaft, als den wichtigsten Rahmen. Erst die Moderne hat mit dem arabischen Nationalismus auch dem zweiten Kreis seine Bedeutung gegeben, und heute machen mehr und mehr die einzelstaatlichen arabischen Nationalismen das Rennen. Im vorliegenden Band soll es um alle drei Kreise gehen.
Die eigentliche Klammer der arabischen Welt ist eine bestimmte Art und Weise, Herausforderungen in arabischer Sprache und Schrift auszuhandeln. Dazu einige wenige Beispiele. Im Alltag gehören dazu die höfischen Formen der Anrede, die häufige Verwendung von guten Wünschen und die Benennung sozialer Beziehungen mit Verwandtschaftsbezeichnungen. Im literarischen Betrieb umfasst dies u.a. die dauernde Bezugnahme auf zentrale Werke wie Koran und Bibel, Traditionen (Ḥadīṯe), Dichtung und Werke der antiken Philosophen und der großen Mystiker, die in Kommentaren und Superkommentaren immer weiter geschrieben werden. Eigentlich konstituiert sich «die arabische Welt» durch die Teilhabe an einem weiten, von Zeit, Ort und Gemeinschaft abhängigen Set von Verhaltensweisen in arabischer Sprache und Schrift: Wo man sich diesen Normen entsprechend verhält, da ist «die arabische Welt». In diese zutiefst höfische (nicht: religiöse!) Welt will das vorliegende Buch einen Einblick geben.
Die «Geschichte der arabischen Welt» geht konsequent davon aus, dass wir die Vergangenheit und Gegenwart der arabischen Welt am besten als eine Vielzahl miteinander verbundener, in longues durées untergliederter Regionalgeschichten verstehen.
Dabei unterscheiden wir bei den arabischsprachigen Länder die folgenden großen Regionen: (1) die Arabische Halbinsel (mit dem Jemen),[1] (2) Syrien-Palästina, (3) den Irak, (4) Ägypten und (5) Nordafrika (mit Spanien). Hier herrscht etwa seit dem Jahr 800 überall die arabische Schrift vor, spätestens seit etwa dem Jahr 1200 spricht die Bevölkerung aller fünf Regionen überwiegend arabisch, und heute hat jede dieser Regionen einen distinkten arabischen Dialekt. Mit dem Erstarken der modernen Staaten gewannen die staatlichen Grenzen immer mehr an Gewicht, aber noch heute sind die Beziehungen innerhalb jeder Region, unabhängig von Staatsgrenzen, besonders eng.
Zu diesen großen Regionen kommen zwei weitere hinzu, in denen die arabische Sprache und Schrift etwa seit dem Jahr 800 ebenfalls eine wichtige Rolle spielt und die Bevölkerung über sie Anteil an der islamischen Kulturgemeinschaft hat: (6) Iran, Zentralasien und Indien[2] sowie (7) West- und Ostafrika. Schließlich konnte bzw. kann man auch außerhalb der islamischen Welt, in (8) Byzanz und (9) Westeuropa, viel später auch in (10) Nord- und Südamerika, überraschend häufig (echte und nachgemachte) arabische Schrift sehen und arabische Lehnwörter hören. Aktiv und passiv nahmen auch diese Regionen Anteil an der arabischen Welt.
Diese zehn Regionalgeschichten wurden für dieses Buch in fünf große Zeiträume eingeteilt: (A) das antike und spätantike Arabien bis und mit der Zeit Muḥammads (bis ca. 632), (B) das spätantike arabisch-islamische Reich bis zum Bürgerkrieg zwischen den Abbasiden al-Amīn und al-Maʾmūn (809–813), (C) die Periode einer fortschreitenden Arabisierung und Islamisierung der immer mehr vom Islam geprägten Welt bis zu den Verwüstungen der Banū Hilāl und der Banū Sulaym im Maghreb (um 1050) bzw. der Mongolen im Osten (um 1250), (D) die Vormoderne bis zur Besatzung durch die europäischen Staaten (um 1800) und (E) die Zeit bis zur Gegenwart, in der die arabische Welt ihren Platz in den großen globalen Diskursen sucht.
Insgesamt ergeben sich so etwa vierzig Kapitel, denen zur Orientierung jeweils eine kurze Zeittafel vorangestellt ist. Im Anhang werden nach den Anmerkungen zentrale Quellen und die aktuelle Forschung zu den Kapiteln aufgeführt. Die Teile B bis E beginnen je mit einem einleitenden Überblickskapitel über die Periode. Abgeschlossen wird das Buch mit einer Schlussbetrachtung darüber, welchen Platz die arabische Welt in unserer globalen Welt heute einnimmt.
Eine Geschichte der arabischen Welt ist weniger eine Aufreihung von Heldentaten (latein. res gestae) oder Heldentagen (arab. ayyām) als vielmehr eine Darstellung dessen, was wir mithilfe der Fragestellungen unserer Zeit aus den Quellen von damals über die damaligen Diskurse und ihre Umstände herauslesen können. Dabei setzen die Autorinnen und Autoren der Beiträge unterschiedliche Akzente, die sich durchaus auch aus der jeweiligen Quellenlage und der vorhandenen Forschung ergeben. Für sie bestand die Herausforderung darin, aus inniger Vertrautheit mit den Quellen und der Forschung auf begrenztem Raum das ganz Eigene des gegebenen Raum-Zeit-Ausschnittes zu benennen, und dies so geschickt, dass sowohl die Fachleute als auch das breitere Publikum den Beitrag mit Gewinn lesen können und entlang den in den Anmerkungen und in der Bibliographie gegebenen Verweisen auf Quellen (und deren Übersetzungen) und die aktuelle Forschung gerne der einen oder anderen Frage weiter nachgehen. So will das Buch ein Schlüssel sein, mit dem sich der vergangene und der gegenwärtige Reichtum der arabischen Welt in einer Zeit der polarisierten Diskussionen und eines neuen Freund-Feind-Denkens neu erschließen lässt.
Wer fast am Ende eines langen Wegs angekommen ist, schaut mit Dankbarkeit zurück. Ich danke den Autorinnen und Autoren dieses Bandes für die gute Zusammenarbeit, für alles Vertrauen und für ihr geduldiges Eingehen auf manch nachträglichen Wunsch. Und ich danke dem Verlag C.H.Beck, zuvorderst Ulrich Nolte und Sabine Walther, aber auch all den Lektorinnen und Lektoren, Übersetzerinnen und Übersetzern für die engagierte, treue und geduldige Begleitung.
München und Kilchberg, im März 2024 Andreas Kaplony
Das Buch verwendet für die arabischen, persischen, türkischen, hebräischen und aramäisch-syrischen Namen und Bezeichnungen grundsätzlich die korrekten hochsprachlichen Formen, aus Gründen der Verständlichkeit allerdings nicht in Originalschrift, sondern in lateinischer Transkription. Diese folgt den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG),[1] gelegentlich auch der türkei-türkischen Orthographie. Namen und Begriffe werden in der im Deutschen geläufigen Form wiedergegeben, wenn diese in den Duden aufgenommen worden sind.[2] Beim ersten Vorkommen wird in Klammern auf die originalsprachliche Form verwiesen, etwa: Kairo (al-Qāhira). Im Kapitel über das arabische Spanien wird sowohl die arabische als auch die damit verwandte spanische Bezeichnung angegeben, etwa al-qarya/alquería, in den Kapiteln über die osmanische Periode die osmanistische und die arabistische Transkription, etwa ʿAbdülḥamīd/ʿAbd al-Ḥamīd. Jahreszahlen werden doppelt angegeben, wobei die erste Zahl das Mondjahr nach der Auswanderung oder Hidschra (hiǧra) Muḥammads im Jahr 622 von Mekka nach Medina bezeichnet, das zweite das Sonnenjahr nach Christi Geburt.[3]
Die Buchstaben werden wie folgt ausgesprochen:
ā als langes a
ai und ay als ai
au und aw als au
türkisches c als dsch
č und ç als tsch
ḏ als stimmhaftes englisches th wie in engl. «there»
ḍ als mit Druck gesprochenes d
ǧ mit Hatschek als dsch
türkisches ğ mit rundem Bogen als y
ġ als Zäpfchen-r
ḥ als nicht-kratzendes ch wie in «Bach»
ḫ als gefauchtes ch wie in Schweizerdeutsch «Chuchichäschtli»
ī als langes i
ı ohne Punkt als schwaches ö
k als nicht aspiriertes k
ḵ wie ḫ, also als gefauchtes ch
q als tief in die Kehle gerutschtes k
r als gerolltes Zungen-r
s und s̱ als stimmloses s wie in «Asthma»
š als sch
ṣ als mit Druck gesprochenes, gelispeltes s
t als nicht aspiriertes t
ṯ als stimmloses englisches th wie in englisch «thesis»
ṭ als mit Druck gesprochenes t
ū als langes u
w als bilabiales w wie in englisch «wow»
z und ż als stimmhaftes s wie in norddeutsch «Sonne»
ž als stimmhaftes sch wie in französisch «Journal»
ẓ als mit Druck gesprochenes stimmhaftes englisches th
ʾ als Stimmeinsatz wie im «Spiegel-Ei» im Gegensatz zur «Spiegelei»
ʿ tief in der Kehle als Quetschlaut
ERSTER TEIL
1
Das «Glückliche Arabien»
Von Peter Stein
1000 v.Chr. Erste sabäische und minäische Schriftzeugnisse. – Um 700 v.Chr. Erste Blütezeit des Sabäerreiches. – 500–200 v.Chr. – Minäer kontrollieren Handel auf der Weihrauchstraße. – 110 v.Chr. Beginn der Ḥimyarischen Ära. – 25/24 v.Chr. Römischer Feldzug unter Aelius Gallus. – 200–230 Neue Blütezeit des Sabäerreiches. – 275–300 Vereinigung des Jemen unter den Ḥimyar. – Seit 380 Monotheismus jüdischer Prägung herrscht vor. – 400–440 Abukarib Asʿad dehnt Einfluss ins Zentrum der Halbinsel aus. – 522–525 Josef Asʾar Yaṯʾar treibt Christen aus dem Land, Niederlage gegen die Abessinier unter Kāleb Ella Aṣbeḥā. – 533–560 Abraha unterwirft weite Teile der Halbinsel. – Um 575 Sasanidische Besetzung.
Die archäologische und epigraphische Erforschung der Arabischen Halbinsel hat in den zurückliegenden Jahrzehnten erhebliche Erkenntnisfortschritte gebracht, die das bisherige Bild von der historischen Entwicklung der Region in vorislamischer Zeit gehörig modifizieren. Dies gilt insbesondere für die Entstehung und die Spätphase der altsüdarabischen Zivilisation – letzteres vor allem im Hinblick auf die religionspolitischen Verhältnisse in Arabien am Vorabend des Islam – sowie für die Geschichte Ostarabiens in hellenistischer Zeit. Die Darstellung dieser Perioden basiert auf zahlreichen Forschungsberichten und Einzelstudien, von denen nur eine kleine Auswahl in das Literaturverzeichnis aufgenommen werden konnte.
Die wichtigste Quelle zur Erforschung des antiken Südarabien bilden die einheimischen Inschriften, deren Gesamtzahl sich mittlerweile auf mehr als 12.000 Texte beläuft, gut die Hälfte davon in sabäischer Sprache. Nicht nur die umfangreichen Tatenberichte altsüdarabischer Herrscher, sondern auch die zahllosen Bau- und Weihinschriften von Privatpersonen lassen in ihren erzählenden Abschnitten immer wieder Hinweise auf gesellschaftliche, historische und militärische Ereignisse durchscheinen, die mosaiksteinartig zu einem historischen Gesamtbild geformt werden müssen.[1] Die sabäische Herrscherchronologie nach der Zeitenwende konnte dadurch nahezu vollständig rekonstruiert werden, wohingegen das 1. Jahrtausend v.Chr. noch größere Lücken in der Dokumentation aufweist, die erst allmählich geschlossen werden.[2]
Die Erschließung der epigraphischen Dokumentation erfolgt mittlerweile weitgehend über datenbankbasierte Online-Ressourcen. Die altsüdarabischen Inschriften sind nahezu vollständig im Corpus of South Arabian Inscriptions (CSAI) erfasst und werden großenteils lexikalisch durch das Sabäische Wörterbuch der Universität Jena erschlossen.[3]
Mit «Altsüdarabien» (engl. «Ancient South Arabia», abgekürzt ASA) wird der durch eine einheitliche Schriftkultur gekennzeichnete Raum umschrieben, der im Wesentlichen das Gebiet der heutigen Republik Jemen umfasst und eine reichhaltige epigraphische Dokumentation aufweist. Während der Niedergang dieser Kultur in die Zeit vor 600 n.Chr. datiert werden kann, sind ihre Ursprünge noch nicht völlig geklärt. Ging man lange Zeit von einer Entstehung der altsüdarabischen Zivilisation nach 800 v.Chr. (oder gar noch später) aus, lassen neuere Forschungsergebnisse eine um zwei Jahrhunderte frühere Datierung zu.[4] Das scheinbar unvermittelte Auftreten der voll ausgebildeten Kultur mit Schriftgebrauch, Monumentalarchitektur usw. kurz nach 1000 v.Chr. ist ohne einen Einfluss von außen schwer vorstellbar. Neben der vom kanaanäischen Alphabet abgeleiteten Schrift sprechen vor allem linguistische Indizien dafür, dass als Träger dieser Kultur eine Bevölkerungsgruppe aus dem nordarabisch-syrischen Raum in Betracht kommt, die sich gegen Ende des 2. Jahrtausends, vielleicht im Zuge der politischen Verwerfungen im östlichen Mittelmeerraum im 12. Jahrhundert, auf den Weg in den Süden der Halbinsel begab. Hier kam es zu einem Akkulturationsprozess mit der ansässigen, semitischsprachigen Bevölkerung (den Vorfahren der späteren Minäer, Qaṭabaner und Ḥaḍramiter, s.u.), in dessen Verlauf die Einwanderer, die Sabäer (deren Stammesname, sabäisch Sbʾ, so viel wie «Reisende» bedeutet), die kulturelle und politische Führungsrolle übernahmen.[5]
Schauplatz dieses Prozesses war zunächst das Wādī l-Ǧawf im Norden des Landes, wo sich minäische Stadtstaaten etablierten.[6] Doch auch in den angrenzenden Regionen Qaṭabān, Awsān (einem östlich von Qaṭabān gelegenen, nach 700 v.Chr. von den Sabäern zerschlagenen Stammesgebiet) und Ḥaḍramawt wurde alsbald die von den Sabäern eingeführte Schriftkultur übernommen, wenngleich all diese Sprachen sich linguistisch deutlich vom Sabäischen unterscheiden.[7] Die Lückenhaftigkeit der schriftlichen Dokumentation lässt eine Rekonstruktion der politischen Geschichte dieser frühesten Periode nicht zu, doch sprechen die archäologischen Befunde dafür, dass bereits im 10./9. Jahrhundert v.Chr. im Jemen eine sozial differenzierte Gesellschaft existierte, die in ummauerten Städten lebte und monumentale Tempelbauten errichtete.
Grundlagen der wirtschaftlichen Prosperität Altsüdarabiens, die der Region später den Namen Arabia Felix einbringen sollte, waren einerseits der internationale Handel entlang der Weihrauchstraße,[8] andererseits eine intensive Landwirtschaft. Letztere fußte auf der Urbarmachung der Wüstengegenden am Nordostrand des jemenitischen Berglands, wo durch ausgeklügelte Bewässerungstechniken zur Nutzung der aus dem Gebirge herabströmenden Monsunregenfluten fruchtbare und bevölkerungsreiche Oasen entstanden.[9] In diesen am Fernhandelsweg aufgereihten Oasen etablierten sich auch die politischen Zentren der Stammesgebiete bzw. späteren Königreiche: von Šabwat (Ḥaḍramawt) über Timnaʿ (Qaṭabān) und Mārib (Sabaʾ) bis hin zu den Minäerstädten (insbesondere Qarnāw, Yaṯill und Naššān) im Wādī l-Ǧawf. Der im 6. Jahrhundert v.Chr. errichtete Damm von Mārib, der als bedeutendstes Zeugnis altsüdarabischer Bewässerungstechnik bis zu 10.000 Hektar Oasenfläche fruchtbar halten konnte, blieb bis in das ausgehende 6. Jahrhundert n.Chr. kontinuierlich in Gebrauch.
Die altsüdarabische Gesellschaft war tribal organisiert.[10] Die Stämme (altsüdarab. šʿb) waren sesshaft und an eine (oft befestigte) Siedlung gebunden, die nicht selten den gleichen Namen trug (z.B. der sabäische Stamm Ṣirwāḥ [šʿbn Ṣrwḥ] in der gleichnamigen Stadt [hgrn Ṣrwḥ] unweit westlich der sabäischen Hauptstadt Mārib). Das Amt des «Sprecher» (altsüdarab. qwl bzw. qyl) genannten Stammesoberhauptes wurde von dem angesehensten Sippenverband bekleidet und in der Familie vererbt. Mehrere benachbarte Stämme gleicher Identität und Sprache wiederum konnten sich zu einer größeren politischen Einheit zusammenschließen, die von einem König (altsüdarab. mlk) geleitet wurde.
Die Religion Altsüdarabiens war durch ein astral geprägtes Pantheon bestimmt, an dessen Spitze der mit der Venus assoziierte Gott ʿAṯtar stand. Jeder Stamm verehrte darüber hinaus eine eigene Hauptgottheit, der jeweils das lokale Hauptheiligtum gewidmet war und die unter dem Appellativum ʾl («Gott») oder šym (etwa «Patron») firmierte.[11] Die bedeutendsten Gottheiten waren Almaqah und Taʾlab (bei den Sabäern in Mārib bzw. im zentraljemenitischen Hochland), Wadd bei den Minäern, ʿAmm in Qaṭabān und Sīn (oder Sayīn) in Ḥaḍramawt. Im ausgehenden 4. Jahrhundert n.Chr. wurde der polytheistische Kult durch einen Monotheismus jüdischer Prägung abgelöst (s.u.).
Um 750 v.Chr. ist erstmals eine von Sabäern (lúŠabaʾayya) geführte Karawane am mittleren Euphrat dokumentiert.[12] Gegen Ende desselben Jahrhunderts trat das sabäische Reich mit einem Mal als politische Großmacht in Erscheinung. Zwei der Mukarrib (mkrb)[13] genannten Herrscher von Sabaʾ in dieser Zeit, Yiṯaʿʾamar Watar und Karibʾil Watar (um 715 bzw. um 685 v.Chr.), sind nicht nur durch ihre Selbstzeugnisse in Gestalt monumentaler Tatenberichte im Heiligtum von Ṣirwāḥ bekannt, sondern haben auch Eingang in die Annalen der assyrischen Könige Sargon II. und Sanherib gefunden.[14] Unter Karibʾil umfasste das sabäische Reich den gesamten Jemen mit Ausnahme von Ḥaḍramawt und erreichte damit für kurze Zeit eine Ausdehnung, die es erst ein Jahrtausend später unter den Ḥimyar wiedererlangen sollte. Politisches und religiöses Zentrum dieses Reiches war die Stadt Mārib (altsüdarab. Mryb, später Mrb), wo sich der Königspalast mit Namen Salḥum (später Salḥīn) sowie drei große Heiligtümer des sabäischen Hauptgottes Almaqah befanden. Diese Tempel blieben bis zur Annahme des Monotheismus durch das ḥimyarische Herrscherhaus im 4. Jahrhundert n.Chr. ununterbrochen in Gebrauch; der in der Oase südlich der Stadt gelegene Tempel Awām war Ziel jährlicher Wallfahrten.[15]
Sabäischer Einfluss ist seit dem 9. Jahrhundert v.Chr. auch in Äthiopien nachweisbar, doch sind politischer Charakter und ethnische Zusammensetzung dieses Gemeinwesens mit Namen Diʿamat bislang noch nicht völlig geklärt.[16] Die sogenannte äthio-sabäische Kultur mit Zentrum in Yeḥa, wo neben dem berühmten Tempel inzwischen auch ein großer Verwaltungsbau freigelegt wurde, verschwand nach dem 6. Jahrhundert v.Chr. unter ungeklärten Umständen wieder. Äthiopien sollte erst in der aksumitischen Periode, seit dem frühen 3. Jahrhundert n.Chr., erneut in Interaktion mit seinem östlichen Nachbarn treten (s.u.).
Auch die sabäische Vorherrschaft in Südarabien befand sich seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. im Niedergang. Im Wādī l-Ǧawf bildete sich bereits im 7. Jahrhundert aus einer Konföderation minäischer Stämme das Königreich von Maʿīn mit der Hauptstadt Qarnāw, welches in der Folgezeit den internationalen Handel auf der Weihrauchstraße kontrollieren sollte: Von Ägypten über die Levante bis nach Griechenland entstanden minäische Handelskolonien, deren größte, nach der Anzahl der hinterlassenen Inschriften zu schließen, sich in der Oase von Dedān (al-ʿUlā) befand.[17] Der Süden des Landes wurde von Qaṭabān übernommen, dessen Hauptstadt Timnaʿ nur 70 Kilometer Luftlinie von Mārib entfernt lag. Die nun entstandene politische Konstellation aus vier mehr oder weniger gleich starken Königreichen (Sabaʾ, Maʿīn, Qaṭabān und Ḥaḍramawt) sollte die folgenden Jahrhunderte südarabischer Geschichte bestimmen.[18]
Im 3. Jahrhundert v.Chr. verlagerte sich das politische Gewicht von den Oasengebieten in das jemenitische Hochland, wo sabäische Stämme eigene Königtümer bildeten (vor allem der nördlich von Sanaa angesiedelte Stammesverband von Sumʿay). Da zeitweise auch in der Hauptstadt Mārib nur noch ein «König von Mārib» (mlk Mryb) residierte,[19] kann von einem Zerfall der traditionellen Herrschaftsstruktur ausgegangen werden, der sich auch in einem Wandel der sabäischen Sprache niederschlug. Doch auch die minäischen Stadtstaaten waren im Niedergang begriffen – mit dem 1. Jahrhundert v.Chr. versiegen die Quellen in dieser Sprache weitestgehend. Ob dies mit dem Feldzug des Aelius Gallus zu tun hat, ist ungewiss: Der römische Präfekt von Ägypten zog 25–24 v.Chr. in den Jemen, doch scheiterte der Feldzug, nach anfänglichen Erfolgen, vor den Mauern der Stadt Mārib, wie Strabo berichtet.[20]
Nutznießer dieser Schwächeperiode Sabaʾs sollten neben Qaṭabān die Ḥimyar werden, ein Stammesverband sabäischer Zunge aus dem Süden des jemenitischen Hochlands mit Zentrum in Ẓafār, die seit der Zeitenwende mit eigenen Inschriften präsent waren und die Gründung ihres Reiches auf das Jahr 110 v.Chr. zurückführten (diese Zahl markiert den Beginn der Ära, nach welcher die Ḥimyar ihre Texte datierten).[21] Inwieweit der Aufstieg der Ḥimyar durch eine Allianz mit Rom befördert wurde, ist umstritten.[22] Abseits dieser politischen Verwerfungen erlebte im Osten des Landes das Reich von Ḥaḍramawt einen Aufschwung, das seinen Einfluss bis an die omanische Küste ausweiten konnte, wo es in Samārum (oft auch Sumhurām vokalisiert), dem heutigen Khōr Rōrī, eine befestigte Hafenstadt unterhielt.[23]
Seit dem 1. Jahrhundert n.Chr. rangen die Ḥimyar mit den wiedererstarkten Sabäern um die Vorherrschaft im westlichen Teil des Jemen.[24] Dieser Herrschaftsanspruch manifestierte sich in der von beiden Konkurrenten zugleich geführten Herrschertitulatur «König von Sabaʾ und Ḏū-Raydān» (mlk Sbʾ w-Ḏ-Rydn), deren erster Bestandteil auf das alte Sabäerreich mit der Hauptstadt Mārib im Norden, der zweite hingegen auf den Namen des Königspalastes in Ẓafār, der Hauptstadt der ḥimyarischen Stammeskonföderation im südlichen Hochland, Bezug nimmt. Auf sabäischer Seite entwickelte sich die Stadt Sanaa (sab. Ṣnʿw) mit ihrem spätestens um 200 errichteten Königspalast Ġumdān zum zweiten politischen Zentrum des Königreiches neben Mārib. Die umkämpfte Grenze zwischen Sabaʾ und Ḥimyar verlief nur etwa 40 Kilometer südlich der Stadt. Der bedeutendste Herrscher dieser Epoche war der sabäische König Šāʿirum Awtar (um 200–230), dessen militärische Aktivitäten sich bis nach Qaryat al-Fāw, das zu jener Zeit von Königen der Kinda beherrscht wurde, gegen die Äthiopier in der Tihāma sowie ins Kernland von Ḥaḍramawt erstreckten (das dazwischen liegende Reich von Qaṭabān war bereits einige Jahrzehnte zuvor von der Bildfläche verschwunden).[25] Seine Nachfolger konnten indes nicht an diese Erfolge anknüpfen, und so gelang es um das Jahr 275 dem ḥimyarischen König Šammar Yuharʿiš, das Sabäerreich zu annektieren. Mit seiner Eroberung auch von Ḥaḍramawt gegen Ende des 3. Jahrhunderts war erstmals der gesamte Jemen unter einer Herrschaft vereint.[26]
Die ḥimyarischen Könige stellten ihre Herrschaft in die Tradition des alten Sabäerreiches: Sie behielten zunächst die zentralen Tempelkulte bei und führten bis zum Schluss den Herrschertitel «König von Sabaʾ, Ḏū-Raydān, Ḥaḍramawt und Yamanat» (mlk Sbʾ w-Ḏ-Rydn w-Ḥḍrmt w-Ymnt) – Yamanat steht dabei für den äußersten Südwestzipfel des Jemen. Das politische Zentrum des Reiches aber verlagerte sich nun endgültig von der alten Hauptstadt Mārib in das Hochland nach Sanaa und Ẓafār. Zu den erfolgreichsten Herrschern des sabäo-ḥimyarischen Reiches gehörte Abukarib Asʿad (um 400–440): Er dehnte den südarabischen Machtbereich erstmals bis ins Zentrum der Halbinsel, das Stammesgebiet von Maʿadd, aus und fügte seiner Titulatur die Elemente «und (König) ihrer ‹Araber› von Ṭawdum und Tihāmat» (w-ʾʿrb-hmw Ṭwdm w-Thmt) hinzu.[27] Die viel spätere islamisch-arabische Historiographie schrieb diesem Herrscher zudem die Einführung des Judentums im Jemen zu, die aber wohl bereits einige Jahrzehnte früher erfolgt war.[28] Seit den 380er Jahren sind jedenfalls in den Inschriften aus ganz Südarabien anstelle des früheren Pantheons nur noch Bezüge auf einen Gott zu finden, der unter den Namen Ilān oder Ilāhān (ʾl-n, ʾlh-n «[der] Gott») bzw. Raḥmānān (Rḥmn-n «Der Barmherzige») angerufen wurde. Einige klare Indizien sprechen dafür, diesem monotheistischen Bekenntnis eine jüdische Prägung zu unterlegen, wenngleich der genaue Charakter dieses «Judentums» umstritten bleibt.[29] Die vom Herrscherhaus und der Oberschicht ausgehende Konversion ist wohl als Reaktion auf den Übertritt des äthiopischen Königs ʿEzana zum Christentum wenige Jahrzehnte zuvor (um 340 oder 360) und damit in erster Linie als religionspolitische Maßnahme der Abgrenzung von der konkurrierenden Macht auf der anderen Seite des Roten Meeres zu verstehen.[30]
Der bereits dreihundert Jahre lang schwelende Konflikt mit Äthiopien um die Vormachtstellung im inzwischen großenteils auf den Seeweg verlagerten Indienhandel eskalierte zu Beginn des 6. Jahrhunderts – begleitet von religiöser Motivation. Nach kurzzeitiger Annäherung Südarabiens an das christliche Byzanz übernahm im Jahr 522 mit Josef Asʾar Yaṯʾar (dem Yūsuf Ḏū Nuwās der arabischen Literatur) ein vehementer Verfechter des Judentums die Macht in Ẓafār. Er warf die äthiopischen Christen aus dem Land und massakrierte die christlichen Einwohner von Nagrān (arab. Naǧrān), die als «Märtyrer von Nagrān» in das kollektive Bewusstsein der christlichen Zeitgenossen eingegangen sind. Josefs Gegenspieler, der äthiopische König Kāleb Ella Aṣbeḥā, nahm dies zum willkommenen Anlass, um mit byzantinischer Unterstützung erneut den Jemen anzugreifen, was zur endgültigen Niederlage der Ḥimyar führte.[31] Daraufhin richteten die Sieger nun christliche Strukturen im Jemen ein (Kirchenbau) und unterstellten das Land einem Klientelkönig ihrer Wahl.
Um die Mitte des 6. Jahrhunderts konnte sich Südarabien, nun unter christlichem Vorzeichen, noch einmal als Großmacht etablieren, als der äthiopische Statthalter im Jemen, Abraha (um 533–560), sich zum König des Landes erhob. Mit seiner Titulatur «König von Sabaʾ, Ḏū-Raydān, Ḥaḍramawt und Yamanat sowie ihrer ‹Araber› (von) Ṭawdum und Tihāmat» (mlk Sbʾ w-Ḏ-Rydn w-Ḥḍrmwt w-Ymnt w-ʾʿrb-hmw Ṭwdm w-Thmt) an die Herrschertradition seiner ḥimyarischen Vorgänger anknüpfend, unterwarf er in mehreren Feldzügen erneut die Stämme Zentralarabiens. 552 führte ihn eine Kampagne bis zu den Ṭayyiʾ und Ǧuḏām im Norden der Halbinsel, wobei er auch die Oase von Yaṯrib, dem heutigen Medina, streifte. Auch wenn in seinem Bericht die Stadt Mekka (Makka) keine Erwähnung fand, ist es gut möglich, dass dieses Ereignis dem im Koran (Sure 105) reflektierten Kriegszug der «Leute des Elefanten» (ʾaṣḥāb al-fīl) zugrunde liegt.[32]
Damit stand um die Mitte des 6. Jahrhunderts der Großteil der Arabischen Halbinsel unter der Kontrolle des christlichen Herrschers aus dem Jemen.
Dieses Großreich bestand jedoch nicht lange. Noch während Abrahas Regierungszeit brach mehrfach der große Damm zu Mārib und konnte nur unter erheblichen Anstrengungen wiederhergestellt werden.[33] Schon seit Längerem trugen auch klimatische Veränderungen dazu bei, dass den jahrhundertealten Siedlungsgebieten entlang des Karawanenweges die Lebensgrundlage entglitt, doch können neben wirtschaftlichen auch soziale und politische Faktoren für den Niedergang der städtischen Siedlungsstrukturen geltend gemacht werden.[34] Das Ende der reichen Oasenkultur im Jemen hat ebenfalls seinen Niederschlag im Koran gefunden (Sure 34:14–15). Das Land fiel wieder in seine Stammesstruktur zurück, die auch nach der Islamisierung erhalten blieb, wobei sich der Siedlungsschwerpunkt endgültig aus den Oasen der Wüstenrandgebiete in das jemenitische Bergland verschob. Dort trafen arabische Gelehrte noch im 10. Jahrhundert auf Bevölkerungsgruppen, die eine ihnen unverständliche Sprache («Ḥimyarisch») sprachen – die linguistische Kontinuität des Sabäischen ist letztlich bis in die modernen jemenitischen Dialekte hinein zu spüren.[35] Kulturell hingegen lag das antike Südarabien bereits vor dem Ende des 6. Jahrhunderts darnieder; die einheimischen Schriftquellen versiegten, die auf Abraha folgenden Herrscher, darunter zwei seiner Söhne, sind nur aus der späteren islamisch-arabischen Tradition bekannt.[36] Um 575 nahmen die Sasaniden unter Ḫusraw I. das Land in Besitz. Deren letzter Gouverneur, Bāḏān, soll um 630 den Islam angenommen haben; die tatsächliche Unterwerfung des Jemen durch die Muslime erfolgte freilich erst nach Niederschlagung der Abfallbewegung (arab. ridda) einige Jahre später.[37]
2
Handelsstädte der Golfregion
Von Peter Stein
2500–2300 v.Chr. Erste Erwähnungen von Dilmun und Magan in mesopotamischen Keilschriftquellen; Umm an-Nār-Kultur in Oman. – Um 1400 v.Chr. Kassitisches Verwaltungszentrum in al-Baḥrayn. – 400–100 v.Chr. Blütezeit der ḥasaitischen Schriftkultur. – Um 300 v.Chr. Ostarabische Handelsniederlassungen im Jemen. – Um 220 v.Chr. «Königtum von Oman» mit Zentrum in Mleiha. – Um 150 v.Chr. Ḥāriṯat, König von Hagar (Gerrha?). – Seit 230 n.Chr. Golfregion unter sasanidischer Kontrolle. – Seit 350 n.Chr. Nestorianisches Christentum. – Um 552 Feldzug des südarabischen Königs Abraha durch ganz Arabien.
Im Unterschied zu dem reich mit inschriftlicher Dokumentation gesegneten südarabischen Raum sind wir für die Rekonstruktion der Geschichte und Kultur Ostarabiens nach wie vor im Wesentlichen auf archäologische Befunde angewiesen, die durch vornehmlich indirekte, externe Schriftzeugnisse ergänzt werden.
Epigraphische Dokumente aus der Golfregion in vorislamischer Zeit beschränken sich auf einzelne Keilschriftzeugnisse aus dem 2. Jahrtausend (namentlich ein Verwaltungsarchiv der Kassitenzeit aus Bahrain)[1] sowie mehrere Dutzend Inschriften aus der hellenistischen Periode, die sich sprachlich auf das sogenannte Ḥasaitische sowie einige wenige aramäische Texte verteilen.[2] Das Material lässt einige Aufschlüsse über die religiösen und sozialen Verhältnisse zu, ist aber für die Rekonstruktion der politischen Geschichte kaum relevant. Die bislang veröffentlichten Inschriften aus Ostarabien sind weitgehend über das Online Corpus of the Inscriptions of Ancient North Arabia (OCIANA) zugänglich.[3]
Die arabische Golfregion lag seit jeher im Einflussbereich der mesopotamischen Zivilisation und bildete – ähnlich der Weihrauchstraße im Westen der Halbinsel – einen Korridor für den internationalen Handel zwischen Indien, Iran und dem Zweistromland. Ab etwa 2400 v.Chr. fanden in sumerischen und akkadischen Keilschrifttexten wiederholt Könige von Dilmun (auch: Tilmun) Erwähnung. Der Name stand dabei zunächst für die ostarabische Küstenregion zwischen Kuwait und Katar (Qaṭar), seit dem Ende des 3. Jahrtausends dann für den Archipel von Bahrain.[4] Die Bedeutung Bahrains (arab. al-Baḥrayn) als politisches Zentrum um 2000 v.Chr. wird von archäologischer Seite durch den befestigten Siedlungsplatz Qalʿat al-Baḥrayn sowie etwa 170.000 über die Insel verteilte Grabhügel eindrucksvoll bestätigt.[5] Die Handelskontakte Mesopotamiens mit der Golfregion wurden unter Sargon von Akkade (um 2300 v.Chr.) und seinen Nachfolgern über Dilmun hinaus bis nach Oman (Magan in den Keilschriftquellen), das auch militärisch bezwungen wurde, und weiter in das untere Indus-Tal (Meluḫḫa) ausgeweitet.[6] Aus Dilmun wurden unter anderem Datteln ins Zweistromland eingeführt, aus Magan hingegen Kupfer sowie der in der Bildhauerei begehrte schwarze Stein (Gabbro bzw. Diorit).[7] Im Norden der omanischen Halbinsel stand zu jener Zeit die durch ihre monumentalen Rundgräber bekannte Umm-an-Nār-Kultur in Blüte. Im 15. Jahrhundert v.Chr. dehnten die in Babylonien herrschenden Kassiten ihren Einfluss über die nördliche Golfregion aus und richteten in Qalʿat al-Baḥrayn ein Verwaltungszentrum ein, wovon das oben erwähnte Tontafelarchiv zeugt.[8] Mit dem Ende der Kassitenherrschaft in Babylonien (um 1225 v.Chr.) versiegen die historischen Quellen, erst im späten 8. Jahrhundert v.Chr. tauchen neuerlich Herrscher von Dilmun und Orten in Oman als Tributbringer in assyrischen Texten auf. Im 5. Jahrhundert v.Chr. stand Dilmun unter Einfluss des Neubabylonischen Reiches.[9] Inwieweit nach dessen Untergang 539 v.Chr. die Achämeniden ihre Herrschaft über die Golfregion ausweiteten, ist bislang nicht völlig geklärt.[10]
Spätestens mit dem Beginn der hellenistischen Epoche in Vorderasien ändert sich auch die Quellenlage für die arabische Golfregion fundamental. Nun liegen erstmals Schriftzeugnisse der einheimischen Bevölkerung vor: Inschriften (zumeist Grabsteine) in einem regionalen semitischen Dialekt, geschrieben in altsüdarabischer Schrift. Ursprung und chronologische Einordnung dieser nach der Herkunftsregion der Texte (al-Ḥasā, insbesondere die Gegend um Ṯāǧ und al-Qaṭīf im heutigen Saudi-Arabien) konventionell als Ḥasaitisch bezeichneten Schriftsprache waren lange Zeit umstritten; erst in den zurückliegenden Jahren konnte aufgrund neuer Textbefunde aus Südarabien sowie aus Mleiha (s.u.) ein klareres Bild gezeichnet werden:[11] Demnach ließen sich um 300 v.Chr. Händler aus Ostarabien im Jemen nieder und kamen dort mit der altsüdarabischen Schriftkultur in Kontakt, die sie für ihre eigene Muttersprache (das Ḥasaitische) adaptierten und fortan auch in ihrer Heimat gebrauchten. Das genannte Datum, das aus ihren im Jemen hinterlassenen Weihinschriften (datiert in die ersten Regierungsjahre Seleukosʼ I., reg. 311–281 v.Chr.)[12] resultiert, kann als spätester Terminus post quem für die Datierung der ḥasaitischen Inschriften betrachtet werden.
Das politische Zentrum dieses ostarabischen Händlervolkes dürfte die in den klassischen Quellen vielfach genannte Handelsmetropole Gerrha gewesen sein, deren genaue Lokalisierung ebenso wie ihr einheimischer Name lange umstritten war. Die jüngst von Christian Robin ins Spiel gebrachte Identifikation von Gerrha mit der Oase von al-Ḥufūf, die in zeitgenössischen semitischen Quellen den Namen Hagar (arab. Haǧar) trägt, vermag auch der historischen Bedeutung des Ortes gerecht zu werden, da Hagar im 2. Jahrhundert v.Chr. Sitz eines Königs namens Ḥāriṯat war, wie uns Münzfunde verraten.[13] Zuvor dürfte das Gemeinwesen von Gerrha den Seleukiden untertan gewesen sein, wie die Bezugnahme auf Seleukos I. in den oben genannten Inschriften aus dem Jemen zeigt. Die von Polybios überlieferte Notiz über die Expedition Antiochosʼ III. im Jahr 205 wiederum macht deutlich, dass diese Abhängigkeit zeitweise nur sehr oberflächlich gewesen sein kann.[14] Für die beiden Jahrhunderte um die Zeitenwende schließlich weist der inschriftliche und numismatische Befund auf politischen Einfluss des Reiches von Mesene (Charakene) hin, das sich auch der nun Tylos genannten Insel Bahrain bemächtigt zu haben scheint.[15] Im Mittelpunkt des kultischen Lebens der Gerrhäer stand die Sonnengöttin Šams.[16]
Ein weiteres Zentrum der ḥasaitischen Schriftkultur konnte inzwischen in Mleiha (Mulayḥa) im Landesinnern des heutigen Emirates Schardscha (aš-Šāriqa) ausgemacht werden. Zu den dort entdeckten Texten gehören Votivinschriften auf kostbarem Material, die für die Existenz eines Heiligtums der Göttin Allāt in Mleiha sprechen.[17] Eine (ebenfalls nach seleukidischer Ära) datierte aramäisch-ḥasaitische Grabinschrift (222/1 oder 215/4 v.Chr.) nennt weiterhin den Beamten eines «Königs von Oman» (mlk ʿmn) – die früheste Erwähnung eines Königreiches dieses Namens überhaupt.[18] Die historische und geographische Erstreckung dieses Königreiches Oman ist noch unbekannt; Mleiha, dessen archäologische Befunde im 3. Jahrhundert v.Chr. einsetzen, dürfte jedenfalls ein wichtiges Zentrum desselben, wenn nicht gar seine Hauptstadt gewesen sein. Dafür sprechen neben der epigraphischen und archäologischen Evidenz auch die zahlreichen Münzfunde aus der Region, die mit der aramäischen Aufschrift «Abiʾel» (ʾbʾl bzw. ʾbyʾl) versehen sind, wohinter man den Thronnamen der Herrscher dieses Königreiches vermutet.[19] Als prestigeträchtige Lingua franca im Dunstkreis des Achämeniden- bzw. Seleukidenreiches war das Aramäische neben Ḥasaitisch als Schriftsprache für repräsentative Zwecke in den städtischen Zentren Ostarabiens etabliert, wie zahlreiche (auch bilingue) Inschriften bezeugen.[20] Im 1.–3. Jahrhundert n.Chr. erlebte Mleiha einen weiteren Aufschwung, der sich in befestigten Monumentalbauten manifestiert; zur gleichen Zeit florierte 50 Kilometer entfernt an der Küste des heutigen Emirates Umm al-Qaywayn der Hafenplatz von ad-Dūr. Die bereits von Daniel Potts geäußerte Vermutung, dass in diesem Ort der in dem Seefahrerhandbuch Periplus maris Erythraei (etwa «Umfahrung des Roten Meeres») sowie bei Plinius dem Älteren im 1. Jahrhundert n.Chr. genannte Hafen Omana zu suchen sei, hat durch die epigraphischen Befunde aus dem benachbarten Mleiha deutlich an Plausibilität gewonnen.[21] Die Blütezeit dieser Region nimmt um die Mitte des 3. Jahrhunderts, wohl im Zuge der sasanidischen Expansion, ein abruptes Ende.
Die Quellenlage für diese Periode ist insgesamt spärlich. Ob Teile Ostarabiens kurzzeitig unter Einfluss des Partherreiches standen, ist umstritten. Mit dem Aufstieg der sasanidischen Dynastie unter Ardašīr I. (224–242) gelangte die gesamte Golfregion jedenfalls unter die Kontrolle des persischen Reiches.[22] Die Herrschaft in Nordostarabien wurde dabei zeitweise von den Laḫmiden ausgeübt, arabischstämmigen Vasallen der Sasaniden mit Zentrum in al-Ḥīra am unteren Euphrat. Im 5. Jahrhundert hielt das nestorianische Christentum Einzug in der Region; es entstanden mehrere Bischofssitze in Nordostarabien (auf syrisch-aramäisch Bet Qaṭrāyē) und in Oman (Bet Mazūnāyē). Inwieweit sich die politische Einflussnahme des Sasanidenreiches auch auf größere Gebiete des heutigen Oman erstreckte, das in dieser Zeit unter dem Namen Mazūn firmierte und durch die aus dem Jemen eingewanderten al-Azd (Azd ʿUmān) dominiert wurde, ist weniger klar.[23] Als Ḫusraw I. um 575 den Jemen annektierte, dürfte jedenfalls die omanische Küstenregion schon länger unter sasanidischer Hoheit gestanden haben. In der Mitte des 6. Jahrhunderts wurde Nordostarabien von den Feldzügen des jemenitischen Königs Abraha tangiert, der um 552 die Stämme im Zentrum und im Norden der Halbinsel unterwarf, darunter auch das Gebiet von «Hagar(um) und Ḫaṭṭ» im Bereich des früheren Gerrha (s.o.). Rund achtzig Jahre später (um 630) erfolgte die Eingliederung der Region in den muslimischen Machtbereich. Nach Darstellung der islamischen Historiographie unterwarfen sich die lokalen Stämme zunächst dem Diktat des Propheten. Nach dessen Tod jedoch sollte vor allem das stark christlich geprägte Nordostarabien zu einem Schauplatz der gegen die muslimische Herrschaft gerichteten Abfallbewegung (arab. ridda) werden. Dennoch erlebten die christlichen Gemeinden von Bet Qaṭrāyē in den folgenden zwei Jahrhunderten einen weiteren Aufschwung, wie archäologische Funde von Kirchen- und Klosterbauten (vor allem in Faylaka, Ǧubayl und Ṣīr Banī Yās) belegen, deren Errichtung neueren Erkenntnissen zufolge nicht in die sasanidische, sondern in die frühe islamische Epoche zu datieren ist.[24]
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Von den vielen Arabien zum «eigentlichen» Arabien
Von Michael C. A. Macdonald
853 v.Chr. Früheste Erwähnung eines «Arabers». – 737–652 v.Chr. Sechs arabische Königinnen kämpfen gegen die Assyrer. – 673 v.Chr. Araber helfen den Assyrern bei der Eroberung Ägyptens. – 440er Jahre v.Chr. Gešem der Araber widersteht Nehemiah. – 332 v.Chr. Araber in Gaza kämpfen gegen Alexander. – Um 300 v.Chr. Nabatäer siedeln sich im Süden Jordaniens an. – 63 v.Chr. Eroberung Syriens und seiner Araber durch Rom. – 24 v.Chr. Invasion Südarabiens durch Aelius Gallus. – 106 n.Chr. Rom annektiert das nabatäische Königreich. – 244–249 Philipp «der Araber» römischer Kaiser.
Historiker und andere haben zahlreiche Versuche gemacht, den Begriff «Alte Araber» zu definieren, und dabei ist viel Verwirrung entstanden.[1] Um nur zwei neuere Beispiele zu nennen: Retsös Theorie, dass es sich um einen «sozio-religiösen Verband von Kriegern» gehandelt habe,[2] steht zwar am Ende einer meisterlichen Beschreibung des Quellenmaterials, stieß aber dennoch auf wenig Gegenliebe. Dagegen beruht Peter Webbs neuere Behauptung, dass sich eine «arabische Ethnizität» erst mit dem Aufstieg des Islam entwickelt habe, auf einem Missverständnis und einer Fehlbehandlung der antiken Quellen.[3]
Oft wird angenommen, dass der Begriff «Araber» in der Antike eine andere Bezeichnung für nomadische Kamelzüchter gewesen sei.[4] Wenn wir jedoch die Lebensweise der Menschen untersuchen, die in den antiken Quellen als Araber bezeichnet werden, stellen wir fest, dass es sich bei ihnen um Gründer und Wiedererbauer von Städten handelte, um Stadtbewohner und deren Herrscher, um Könige mit zahlreichen Streitwagen, um wohlhabende Kaufleute und Steuereintreiber; einen Barbier, einen Vogel-Auguren, einen Lehrer, einen Korbverkäufer; um Polizisten, Soldaten, Paramilitärs, Wächter und Räuber, Bauern, kleine Landbesitzer und Gärtner; um sesshafte Besitzer von Schafen und Ziegen und last, not least tatsächlich auch um Kamele züchtende Nomaden.[5]
Andere gehen davon aus, Personen, deren Name eine arabische Etymologie hat, müssten Araber gewesen sein, was auch immer das im jeweiligen Kontext bedeuten mag. Ich habe an anderer Stelle die Ansicht vertreten,[6] dass dies eine falsche und irreführende Annahme ist und man sich nur zu vergegenwärtigen braucht, dass von den 46 Einzelpersonen und Familien, die sich in den überlieferten Quellen aus der Antike als «Araber» identifizierten, nur sechs etymologisch arabische Namen hatten.[7]
Schließlich wurde lange Zeit angenommen, dass die Arabische Halbinsel die Urheimat der Araber sei und sie sich von dort aus in aufeinanderfolgenden Wellen in der Levante und anderswo verbreiteten.[8] In Wirklichkeit jedoch verdanken wir die Bezeichnung der Halbinsel als «arabisch» aufgrund einer Reihe von Missverständnissen den Griechen, und die weit überwiegende Mehrheit der antiken Hinweise auf Araber bezieht sich auf Völker, die nichts mit der Halbinsel zu tun haben.[9]
Tatsächlich finden wir zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 853 v.Chr. und etwa 200 n.Chr. Hinweise auf Araber in Ostägypten, im Fayyum-Becken und im Nildelta, auf dem Sinai, in Südpalästina und in Samaria, in Süd- und Nordtransjordanien, auf dem Berg Hermon und in der Bekaa-Ebene (al-Biqāʿ), im Libanon und im Anti-Libanon; in Süd-, Mittel- und Nordsyrien, in der Ǧazīrah (dem Gebiet zwischen Tigris und Euphrat), in Nord-, Mittel- und Südmesopotamien sowie in Teilen des Nordens und der Ost- und Westküste der Halbinsel.[10]
Für die assyrischen, griechischen und römischen Schriftsteller waren alle Gebiete, die von als «Araber» bezeichneten Menschen bewohnt wurden, «Arabien», auch wenn dies bedeutete, dass es mehrere Gebiete dieses Namens gab. Die Bezeichnung eines Gebiets als «Arabien» bedeutete in der Antike jedoch nicht, dass es nur von Arabern bewohnt worden wäre oder diese auch nur die Mehrheit der Bevölkerung gestellt hätten. Es bedeutete lediglich, dass sie die Bewohner waren, über die der Autor gerade schrieb. Sobald jedoch «Außenstehende» wie Assyrer, Griechen und Römer einen Ort als «Arabien» bezeichneten, erlagen die antiken Autoren häufig dem Zirkelschluss, dass seine Bewohner Araber seien, auch wenn dies nicht dem Selbstbild all seiner Bewohner entsprach.[11]
Im Jahr 106 n.Chr. annektierten die Römer das Königreich der Nabatäer, die von griechisch-römischen Schriftstellern und ihren jüdischen Nachbarn regelmäßig als «Araber» bezeichnet wurden,[12] und gaben ihm den neuen Namen Provincia Arabia. Dies bedeutete erstmals, dass der Wohnsitz in einem bestimmten Gebiet Menschen verwaltungstechnisch zu «Arabern» machte. So erhielt etwa Philipp der Araber (römischer Kaiser 244–249 n.Chr.), der aus der Provinz Šahbā im Ḥawrān (Südsyrien) stammte, seinen Beinamen, weil er aus der Provinz Arabien stammte. Die allmähliche Einschränkung des Begriffs «Araber» in der römischen Welt auf die Bewohner der Provincia Arabia bedeutete, dass ein neuer Name für die «Araber» aus anderen Gebieten gefunden werden musste. Dies war der Begriff «Sarazenen». Er wurde zunächst für arabische Nomaden, dann für alle Araber, die nicht aus der Provinz Arabia stammten, und im Mittelalter schließlich für alle Muslime verwendet.[13]
All dies wirft die schwierige Frage auf, was vorher einen Araber zum Araber gemacht hatte. Wenn es nicht der Wohnort oder die Lebensweise gewesen war, was konnte dann eine so große Vielfalt von Menschen an so vielen verschiedenen Orten zu einer identifizierbaren Gruppe gemacht haben? Die Tatsache, dass ethnische Bezeichnungen, die aus der semitischen Wurzel ʿ-r-b gebildet werden, in verschiedenen antiken semitischen Sprachen sowie im Griechischen und im Lateinischen für Völker mit einer Vielfalt verschiedener Lebensweisen aus vielen verschiedenen Gebieten verwendet werden, deutet stark darauf hin, dass es sich um eine Selbstbezeichnung handelte, die von Autoren, die die Menschen beschrieben, übernommen wurde. Aber wenn dem so ist, was war es, das diese Menschen bei sich selbst und anderen erkannten, das sie als zur selben Gruppe gehörig auswies?
Ich habe diese Frage anderswo einigermaßen ausführlich behandelt[14] und bin zu folgender Schlussfolgerung gelangt: Da «eine der häufigsten Grundlagen für die Identifizierung der ethnischen Zugehörigkeit seiner selbst und anderer ein loser, relativ schlecht definierter Komplex aus Sprache und Kultur ist (…) war dies wahrscheinlich das (…) Kriterium, nach dem Araber sich selbst als solche identifizierten und nach dem sie in der Antike von anderen als solche erkannt wurden und heute immer noch werden».[15] Obwohl nämlich Arabisch sprechende Menschen vom Maghreb bis zum Irak heute aus sehr verschiedenen Kulturen kommen und Dialekte sprechen, die manchmal gegenseitig unverständlich sind, haben sie genug gemeinsam, um einander als Araber zu erkennen und von anderen als solche erkannt zu werden.
In diesem Abschnitt befassen wir uns mit den verschiedenen Gebieten des Nahen Ostens, in denen die überlieferten antiken Quellen Araber ausweisen. Dabei wird deutlich, dass es lange vor den islamischen Eroberungen kaum Orte in der Levante und in Mesopotamien gab, in denen es nicht irgendwann einmal Araber gab. Da ich jedes Gebiet einzeln behandle, bewegen wir uns chronologisch ein wenig vor und zurück.
Die erste Erwähnung einer Person, die als «Araber» bezeichnet wird, stammt aus dem Jahr 853 v.Chr.: In den Annalen von Salmanassar III. (König von Assyrien 858–824 v.Chr.) wird erwähnt, dass «Gindibu der Araber» (mGi-in-di-buʾ kurAr-ba-a-a