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Die Geschichte der Burgundischen Niederlande ist bestimmt von machtvollen Auseinandersetzungen, in deren Zentrum als treibende Kraft die Herzöge von Burgund aus dem Haus Valois standen. Ihnen gelang es, die Niederlande als Herrschaftskonglomerat sowohl aus dem Königreich Frankreich als auch aus dem Heiligen Römischen Reich herauszulösen. Ihre Gegner waren dabei nicht nur die Könige, sondern auch die großen Städte Flanderns, die konkurrierenden französischen Fürsten, die Verwandten aus Holland sowie einzelne Adelsfamilien aus den niederländischen Fürstentümern. Von der Übernahme des flämischen Erbes durch Herzog Philipp den Kühnen 1384 bis zum sogenannten Damenfrieden von Cambrai 1529 schildert der Autor die wechselvolle Geschichte dieses Länderkomplexes, wobei erstmals in der deutschsprachigen Forschung die Zeit Maximilians I. und Philipps des Schönen als integraler Teil der Entstehung der Burgundischen Niederlande gewertet wird. Ein wichtiges Mittel der Integration des Adels und der städtischen Oberschichten in den erworbenen Ländern war der prunkvolle fürstliche Hof.
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Seitenzahl: 452
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Titelbild: Vorlage Wikipedia/UnknownDas Titelbild zeigt einen Ausschnitt aus einer Illustration einer etwa 1453 angefertigten Prachthandschrift mit Privilegien der flämischen Städte, besonders Gents (Wien ÖNB, cod. 2583, fol. 349v). Links ist der gerüstete Philipp der Gute zu Pferd zu sehen mit einem erhobenen Schwert in der Hand, ihm gegenüber knien die Genter in einfacher Kleidung und in bittender Demutshaltung; zum Genter Krieg 1447-1453 siehe Kap. 3.4.
1. Auflage 2018
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-019616-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-025916-4
epub: ISBN 978-3-17-025917-1
mobi: ISBN 978-3-17-025918-8
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Endlich kann ich hiermit die »Geschichte der Burgundischen Niederlande« vorlegen, an der ich mit größeren Unterbrechungen lange gearbeitet habe, und deren Fertigstellung sich durch Phasen der Stagnation immer wieder verzögerte. Anderes drängte unentwegt mit Macht dazwischen – es bleibt mir nur, vielmals um Nachsicht zu bitten, an erster Stelle den Verlag, sodann die Familie und nicht zuletzt all die interessierten Kollegen, die das Projekt lange Zeit mit freundlichem Interesse begleiteten. Entstanden ist das Werk in den Nebenstunden, die mir Arbeit, Beruf und Familie ließen, den Rauhnächten der letzten Jahre, den vorlesungsfreien Zeiten im Sommer, den Wochenenden.
Sinn und Zweck dieser Darstellung ist es, deutsche Leser mit der jüngeren belgischen, niederländischen und luxemburgischen Geschichtsschreibung vertraut zu machen, für die die Burgundische Zeit eine entscheidende Phase der Nationalgeschichte darstellt. Im 15. Jahrhundert lösten die Herzöge ihr Länderkonglomerat aus den übergeordneten Herrschaftsverbänden des französischen und des römisch-deutschen Königreichs – die Alten Niederlande entwickelten sich zu einer selbständigen Einheit, ein Vorgang, der im Westfälischen Frieden 1648 anerkannt wurde. Im Innern ihres Länderkonglomerats setzten die Herzöge eine Zentralisierung der Macht durch. Das Jahr 1477, der Schlachten-Tod Karls des Kühnen, bildete hierbei keinen Endpunkt, sondern der einmal eingeschlagene Weg blieb trotz der Krisenjahre 1482–1493/94 erhalten. Als Ende dieser Darstellung ist der Frieden von Cambrai 1529 gewählt worden, der sich allein aus den habsburgisch-französischen Auseinandersetzungen der 1520er Jahre verstehen lässt, und mit dem Flandern lehnsrechtlich aus Frankreich gelöst wurde.
Was nun vorliegt, ist die deutlich gekürzte Fassung des Texts, der in der ersten Version etwa 450 Seiten umfasste. Entfallen sind Passagen über die Gegner der Herzöge, über die Entscheidungsfindung, über die politischen Gruppen an den Höfen und in den Städten, den sog. Parteien, den Unter- und Mittelschichten in Stadt und Land, die einen Burgundisierungsprozess mitmachten (und erlitten, wenn sie in eine der vielen kriegerischen Auseinandersetzungen hineingerieten). Hof, Städte, Kirchen, Ständeversammlungen, auch die ländliche Bevölkerung waren keine homogenen Gebilde, sondern in unterschiedliche Interessens- und Klientelgruppen verteilt. Die Gefolgschaft des Landesherrn war nur eine von vielen Gruppen, und nicht immer war die Unterstützung des Fürsten die erste und nächst gelegene Wahl der untergeordneten Herrschaftsträger. Deren Handlungsspielräume aufzuzeigen hätte den Rahmen gesprengt. Verloren gegangen ist ein landesgeschichtlicher Überblick über die Vorgeschichte der niederen Lande, desgleichen mussten Hinweise auf Quellen aus der überreichen Überlieferung, insbesondere, was die Kommunikation mithilfe von Gesandten und Boten betraf, dran glauben, wie die Wiedergabe von einzelnen Zeremonien, in denen sich Rechts- und Herrschaftsverhältnisse ausdrückten, auch Ausführungen über die personelle Zusammensetzung vom Ratsgremien, und nicht zuletzt biographische Skizzen der am Rande erwähnten Akteure. Herausgekommen ist letztlich eine überblicksartige Darstellung der Hauptaktionsfelder der burgundischen Herzöge und ihrer direkten Nachfolger, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Zum Schluss bleibt mir nur, meinen tief empfundenen Dank auszusprechen, zunächst und besonders Herrn Prof. Dr. Werner Paravicini, meinem akademischen Lehrer in Kiel, für die kritische Durchsicht der ersten, langen Fassung und das Aufspüren von Inkorrektem und Unvollkommenen, sodann meiner Frau Dr. Jessica von Seggern, die ebenfalls die erste Fassung las und korrigierte, und nicht zuletzt an den Verlag für seine Geduld mit dem säumigen Autor, insbesondere an Herrn Dr. Daniel Kuhn für das Anfertigen des Registers, und an Frau Hanna Laux für die umsichtige Endredaktion. Möge das Buch freundliche Aufnahme finden in den Kreisen interessierter Leserinnen und Leser.
Kiel, November 2017
H.v.S.
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Ausgangspunkt: Moderne Literatur
1.2 Ausgangspunkt: Die niederen Lande
2 Der Auftakt: Philipp der Kühne und Johann ohne Furcht als burgundisch-flämische Herzöge
2.1 Philipp der Kühne vor dem Erwerb des Herzogtums Burgund
2.2 Philipp der Kühne als Herzog Burgunds 1363–1380
2.3 Genter Krieg 1379–1385
2.4 Die Herrschaft Philipps des Kühnen 1380/1384–1404
2.5 Johann ohne Furcht 1404–1407 und die beginnende Parteiung zwischen Bourguignons und Armagnacs
2.6 Die Folgen des Attentats von 1407: ein Kampf um Paris
3 Der Ausbau: Philipp der Gute 1419–1467
3.1 Der junge Philipp der Gute und das englische Frankreich
3.2 Ausschaltung Jakobäas von Bayern und die Übernahme der Fürstentümer im Reich
3.3 Der Frieden von Arras 1435 und der Wechsel der burgundischen Niederlande zu Frankreich
3.4 Die Einnahme Luxemburgs und der Genter Krieg
3.5 Kreuzzugspläne und der Bruch mit dem Thronfolger 1454–1464
3.6 Karls frühe Jahre: die antifranzösische Politik 1465–1467
4 Die Festigung: Karl der Kühne 1467–1477
4.1 Der Tod Philipps des Guten und die Niederwerfung Gents und Lüttichs
4.2 Die Außenpolitik Karls des Kühnen 1469–1473
4.3 Das Trierer Treffen – die Königskrone in Händen
4.4 Karl der Kühne und die Niederlage vor Neuss
4.5 Karl überspannt den Bogen: die »Burgunderkriege«
4.6 Das Ende Karls: die Schlacht von Nancy 1477
5 Die Umformung der burgundischen Niederlande: der Aufstieg der Habsburger 1477–1530
5.1 Die burgundische Erbfolge und der Übergang an die Habsburger
5.2 Die große Krise 1482–1489: Parteiung zwischen Fürst und Ständen
5.3 Albrecht von Sachsen als Generalstatthalter der burgundischen Niederlande und die Revolte Philipp von Kleves 1488–1492
5.4 Philipp der Schöne 1493/94–1500 und die unbestrittene Herrschaft der Habsburger
5.5 Die Niederlande als habsburgisches Nebenland seit 1500
5.6 Die Niederlande nach dem Tod Philipps des Schönen
6 Der Gewinn Flanderns im Damenfrieden von Cambrai 1529: Schlusspunkt der Geschichte der burgundischen Niederlande
7 Resümee und Ausblick
8 Literaturverzeichnis
8.1 Gesamtdarstellungen, Landesgeschichten
8.2 Biographische Studien
8.3 Institutionen
8.4 Hof, Hofkultur
8.5 Stadt, Bürgerkultur, Aufstände
8.6 Wirtschaftliche Entwicklung
8.7 Kirche allgemein, Luther in den Niederlanden
9 Abbildungsverzeichnis
10 Register
10.1 Personenregister
10.2 Ortsregister
Für heutige Menschen mag es befremdlich erscheinen, die Niederlande als »burgundisch« zu bezeichnen. Doch für das 15. und 16. Jahrhundert ist diese Verknüpfung sinnvoll und geboten. Die Benennung beruht darauf, dass der Name Burgund von dem im Osten Frankreichs gelegenen Herzogtum Burgund sowie der sich weiter östlich anschließenden Freigrafschaft Burgund, die zum Heiligen Römischen Reich gehörte, auf Flandern und die vielen Fürstentümer im Nordwesten des Reichs übertragen wurde. Für diesen Raum war im Hochmittelalter die Bezeichnung Nieder-Lothringen üblich geworden. Mit Blick auf die vielen in diesem weiten Gebiet entstandenen Herrschaften sprach man später von den niederen Landen bzw. Niederlanden. Grund für die Benennung als burgundisch war die dynastische Vereinigung der Territorien in Händen der Herzöge von Burgund, einer Nebenlinie der französischen Königsfamilie Valois. Ab etwa 1420 wurden Flandern und die benachbarten Fürstentümer zum bevorzugten Aufenthaltsort und Aktionsfeld der regierenden Fürsten. Das Bemerkenswerte ist, dass diese Übertragung derart wirkmächtig war, dass sie auch nach dem Herrschaftswechsel von den Valois-Burgundern zu den Habsburgern erhalten blieb. Im 16. Jahrhundert bürgerte es sich im politischen Sprachgebrauch ein, von Burgund zu sprechen, wenn man die Niederlande meinte, so beispielsweise beim 1512 geschaffenen Burgundischen Reichskreis.
Die Geschichte der burgundischen Niederlande ist ein Musterfall für eine zunächst rein dynastisch gebildete Landesherrschaft, die auf mehrere bereits »fertige« Fürstentümer gleichsam aufgesetzt wurde, wobei die Eigenheiten eines jedes dieser Fürstentümer gewahrt wurden. Allmählich erst, nämlich unter Karl dem Kühnen, begann eine Politik der Länder übergreifenden Vereinheitlichung, die auf die einzelnen Territorien und ihre Traditionen wenig Rücksicht nahm.
Die Geschichte der burgundischen Niederlande kurz und bündig zu beschreiben ist keine leichte Sache, zumal sie kein Anfang und kein Ende hat, es sei denn, man legt die Lebens- bzw. Regierungsdaten der Herzöge als Grenze fest. Das erste Kapitel behandelt die Politik der beiden ersten Herzöge Philipps des Kühnen und Johanns ohne Furcht, die zu weiten Teilen auf das französische Königtum ausgerichtet war. Beide hielten sich nur selten im eigentlichen Burgund auf, und die niederländischen Teile ihres Herrschaftsgebietes zogen nur phasenweise ihre Aufmerksamkeit auf sich. Im letzten Kapitel wird die Nachgeschichte der burgundischen Niederlande unter den Habsburgern seit 1494 gerafft präsentiert. Die Darstellung endet mit dem für das Lehnswesen wichtigen sog. Damenfrieden von Cambrai 1529, da mit ihm die Grafschaft Flandern aus Frankreich herausgelöst und dem Reich übertragen wurde.
Im Mittelpunkt stehen die Regentschaften der machtvollen Herzöge Philipp der Gute (1419–1467) und Karl der Kühne (1467–1477). Hierzu gehört auch die Fortführung der Politik unter Maria und Maximilian (1477–1482) und die für die Landesherrschaft schweren Krisenjahre unter Maximilians von den Ständen bestrittener Alleinherrschaft (1482–1492). Bemerkenswerterweise führten die erbitterten Kämpfe zwischen Ständen und Fürst nicht zu einem Auseinanderbrechen des Länderkonglomerats. Die Einheit der Niederlande blieb gewahrt, da die Stände sie mittrugen, die Ländereinheit also nicht mehr nur von der Person des Fürsten abhing.
An den Anfang werden zwei Ausgangspunkte gesetzt, von denen der erste der modernen Forschung, der zweite der Vorgeschichte der verschiedenen Territorien gilt.
Ausgangspunkt einer jeden Beschäftigung mit der Geschichte der burgundischen Niederlande sind die vier Bücher Richard Vaughans über die Herzöge Philipp den Kühnen, Johann ohne Furcht, Philipp den Guten und Karl den Kühnen. Es handelt sich bei ihnen nicht um Biographien im engeren Sinne, sondern um Darstellungen ihrer Machtpolitik im Hinblick auf die Verdichtung der Herzogsherrschaft zu einem, wenn man so will, Staat. Die Wertschätzung, die die moderne Forschung Vaughans Büchern entgegenbringt, wird daraus ersichtlich, dass sie Jahrzehnte nach ihrem ersten Erscheinen mit einem die jüngere Forschung resümierenden Vorwort und einer Ergänzungsbibliographie versehen wieder aufgelegt wurden.
Walter Prevenier und Wim Blockmans haben in mehreren Gesamtdarstellungen die Ergebnisse der in den 1970er und 1980er Jahren betriebenen sozio-ökonomischen Geschichtsforschung gebündelt. Als eine solche Gesamtdarstellung ist das 1986 erschienene, großmächtige und fulminant bebilderte Werk Die Burgundischen Niederlande zu nennen (1986, auch ndl., frz. und engl.). In der jüngsten Vergangenheit erfuhr die früher etwas stiefmütterlich behandelte Zeit nach 1477 mehr und mehr Aufmerksamkeit. So legte 2003 Jean-Marie Cauchies eine Biographie Philipps des Schönen vor mit einem bezeichnenden Untertitel, der diesen auch in Kastilien herrschenden Habsburger-Sohn als burgundischen Herzog reklamiert (Philippe le Beau. Le dernier duc de Bourgogne). Die Herrschaft Maximilians (1477–1494) hat bisher keine umfassende Gesamtwürdigung gefunden, näher untersucht wurde die gemeinsame Regierung von Maria und Maximilian 1477–1482 von Jelle Haemers: For the Common Good (2009), und die Auseinandersetzung zwischen Maximilian und den Ständen Flanderns 1482–1488, ebenfalls von Jelle Haemers: De strijd om het regentschap over Filips de Schone (2014). Für die Zeit Maximilians ist man daneben auf die entsprechenden Abschnitte in Hermann Wiesfleckers mächtiger Maximilian-Biographie angewiesen.
Neben den bereits genannten Werken von Prevenier und Blockmans hat die ältere und populäre Darstellung von Joseph Calmette über die Großen Herzöge von Burgund (im frz. Original 1949, in dt. Übersetzung zuletzt 1996) weite Verbreitung gefunden. Sowohl biographisch als auch sachthematisch ausgerichtet ist der detaillierte und faktengeschichtlich gehaltene Überblick von Bertrand Schnerb über den L’état bourguignon (1999). Nicht zu vergessen sind die einschlägigen Beiträge in der Algemenen Geschiedenis der Nederlanden aus den 1950er Jahren und der sozial- und wirtschaftsgeschichtlich ausgerichteten (Nieuwe) Algemene Geschiedenis der Nederlanden aus den 1980er Jahren. Als jüngeres Handbuch ist noch zu verweisen auf die 2010 erschienene Darstellung von Wim Blockmans: Metropolen aan de Nordzee, in welchem vor allem die Rolle der Städte als entscheidend in den Vordergrund gestellt wird. Von Robert Stein erschien 2014 die bisher jüngste Gesamtschau der Beziehungen zwischen den Herzögen und den Land- bzw. Generalständen, die bis in die 1480er Jahre reicht.
Die Erforschung der burgundischen Niederlande wird durch einen überbordenden Reichtum der Quellen geradezu behindert, wie Werner Paravicini in einem Aufsatz mit dem Titel Embarras de la richesse mit vielen Beispielen ausführt. Als Überblick über das Schriftgut der landesherrlichen Kanzleien, der Gerichtshöfe und der Rechenkammer dient das Werk von Robert-Henri Bautier und Janine Sornay: Les sources de l’histoire économique et sociale du Moyen Âge (1984 und 2001). Insbesondere sind vor allem die Rechnungen der herrschaftlichen Amtsträger und der Städte zu nennen, von Adligen sind vergleichsweise wenige überliefert.
Die spätmittelalterlichen Niederlande sind berühmt für ihre Städte, von denen man im Allgemeinen an die drei größten in Flandern denkt: Brügge, Gent und Ypern mit ihren jeweils ungefähr 40 000–60 000 Einwohnern. Sie kennen eine reiche Historiographie, die hier nicht weiter ausgebreitet werden kann. Als Beispiel eines umfassenden Handbuchs sei lediglich auf Jan van Houtte: Geschiedenis van Brugge (1982) hingewiesen. Festzuhalten bleibt, dass die Städte trotz ihrer Größe und politischen Bedeutung unter der Botmäßigkeit des Stadtherrn blieben, obwohl es nicht an Versuchen gefehlt hat, diese abzuschütteln, wie man insbesondere an Gent sehen kann. Dieser Stadt haftet der Ruf an, besonders rebellisch gewesen zu sein, so Johan Decavele (Hg.): Ghent. In Defence of a Rebellious City (1989), und Marc Boone: Gent en de Bourgondische hertogen (1990), und ferner Marc Boone: Geld en macht. Gentse stadsfinanciën en Bourgondische staatsvorming (1990).
Überhaupt ist nicht zu vergessen, dass es neben den großen und mittelgroßen eine Fülle kleinerer, mindermächtiger Städte gab. In der Grafschaft Flandern ist zudem das Phänomen zu beobachten, dass die drei großen Städte ihr Umland derart dominierten, dass im Laufe des 14. Jahrhunderts sogenannte Quartiere entstanden, wozu noch die Brügger Freiheit (auch Freiamt, ndl. Brugse Vrije, frz. Franc de Bruges) zu zählen ist, die sich im 13. Jahrhundert aus der Brügger Burggrafschaft entwickelt hatte. Die großen Städte verhinderten das Wachsen konkurrierender Bürgerschaften in ihrer Nähe, so dass viele flämische Städte klein blieben und nur als verlängerte Werkbank für die Textilproduktion der großstädtischen Kaufleute dienten (siehe hierzu Peter Stabel: Dwarfs amongs Giants, 1997). Die großen Städte waren beileibe nicht zimperlich, wenn es um die Durchsetzung ihrer Interessen ging; ihre Beherrschung und gelegentliche Unterwerfung war keine geringe Herausforderung für die Herzöge.
Eine scharfe Trennung zwischen Städten und Adel zu ziehen ist nicht möglich: Adlige wohnten in den Städten, reiche Kaufleute erwarben größeren Landbesitz mit den dazu gehörigen Herrschaftsrechten, zudem gab es zwischen beiden Kreisen immer wieder Heiratsverbindungen. Für den Adel in einzelnen Landschaften sei nur auf die jüngeren Studien zur Grafschaft Holland von Antheun Janse: Ridderschap in Holland (2001), für die Grafschaft Zeeland von Arie van Steensel: Edelen in Zeeland (2010) und zur Grafschaft Flandern von Fredrik Buylaert: Eeuwen van ambitie, mit einem Repertorium van de Vlaamse adel, ca. 1350– ca. 1500 (beide 2010) verwiesen.
Der großgrundbesitzende Adel in den verschiedenen Ländern war es, der von den Herzögen an sich zu binden war. Der Hof mit seinen hohen Ämtern in der direkten Umgebung des Fürsten, die ehrenvollen Gesandtschaften zu fremden Herrschern, militärische Aufträge von nicht zu unterschätzenden Gefahren, Leitungspositionen an den Spitzen der fürstlichen Gerichts- und Verwaltungsgremien, für die höchste Schicht des Adels zudem die Mitgliedschaft im 1430 gegründeten Orden vom Goldenen Vlies, dieses alles waren Form der Integration neben dem traditionellen Lehnswesen, die der Unterordnung des in der Theorie eigentlich freien, unabhängigen adligen Herrn unter einen anderen, höherrangigen Herrn dienten.
In den vergangenen Jahren hat sich die sozial- und kulturgeschichtliche Forschung intensiv mit dem fürstlichen Hof beschäftigt, der für Teile der Forschung als die wichtigste Einrichtung bei der Entstehung der Landesherrschaft gilt, wobei der burgundische Hof wegen seiner vielfältigen Beziehungen in Westeuropa überdies als Vorbild gewirkt haben mag (Paravicini [Hg.]: La cour de Bourgogne, 2013; für das späte 15. und das 16. Jahrhundert die Beiträge in Gosman, MacDonald und Vanderjagt [Hg.]: Princes and Princely Culture, 2003, zum Hof der Grafen von Flandern im 13./14. Jahrhundert Vale: Princely Court, 2001).
Die heutigen Länder des spätmittelalterlichen burgundisch-niederländischen Raums, die (heutigen) Niederlande, Belgien, Frankreich und Luxemburg, kennen eine intensive Erforschung der Landes- und Ortsgeschichte sowie der Personengeschichte, die hier nicht im Detail auszubreiten ist. Im regen Austausch mit der anglo-amerikanischen Geschichtsschreibung hat sie in den vergangenen Jahren den Wandel von der Sozial- zur Kulturgeschichte mitgemacht und versucht nicht mehr, die Schichtung bzw. Gliederung der Gesellschaft zu bestimmen, sondern fragt nach Wahrnehmung und Deutung von Vorgängen, beispielsweise auch von Naturereignissen und Katastrophen, nach Selbstverständnis von Personen, nach gesellschaftlichen Leitvorstellungen, insgesamt Fragen, die bereits die frühere Geschichtswissenschaft bewegten, die in den letzten Jahren jedoch ein neues Gewicht erhielten, zumal man sich von den Urteilen der älteren, oftmals nationalgeschichtlich bestimmten Historiographie zu befreien sucht. Dieses alles hat auch Folgen für die Politik-, Macht- und Kriegsgeschichte. Sie darf und sollte man auch unter den Auspizien der modernen Kulturgeschichte betreiben, um herausarbeiten zu können, ob ein in der Rückschau so abstrakter Vorgang wie die Staatsentstehung überhaupt erfahrbar war. Dass dieses möglich war, zeigen die, modern gesprochen, Medien, die von den Herrschern genutzt wurden, und von denen neben den Botendiensten nur der Glockenschlag, der öffentliche Ausruf und der Aushang von Texten genannt seien (von Seggern: Herrschermedien, 2003).
Im Folgenden werden die niederen Lande vor ihrer Einbindung in den burgundischen Herrschaftskomplex kurz skizziert, wobei von Nord nach Süd vorgegangen wird. Dieses hat zur Folge, dass das eigentliche Herzogtum Burgund am Ende behandelt wird.
Die niederen Lande waren seit dem 12./13. Jahrhundert eine der am dichtest bevölkerten Regionen West- und Mitteleuropas, lediglich Norditalien übertraf sie in dieser Hinsicht. In dem Küstenstreifen, der sich von Nordfrankreich bis nach Holland erstreckte und entlang der großen Flüsse, die im Maas- und Scheldedelta in die Nordsee mündeten, lebten bei aller Vorsicht, die man gegenüber Bevölkerungsangaben des Spätmittelalters haben muss, über 2 Millionen Menschen, im Laufe der frühen Neuzeit knapp 3 Millionen, der größte Teil davon in Flandern, Brabant und Holland. Diese drei Fürstentümer verfügten über einen relativ hohen Verstädterungsgrad von ca. 50 %. Auch die ländlichen Siedlungen in diesen drei Fürstentümern dürften relativ groß und dicht bevölkert gewesen sein. Entlang der großen Flüsse wie der Maas gab es größere Siedlungszentren weit ins Land hinein wie Maastricht und Lüttich. Einer der Gründe hierfür lag in den fruchtbaren Böden der Küstengegend sowie in dem Löß-Gürtel, der sich in Mittel- und Westeuropa vor der Mittelgebirgsschwelle erstreckt; Teile Brabants, des Hennegau, des Artois und der Pikardie galten als Kornkammern der Niederlande, wozu beispielsweise der Hespengau (frz. Hesbaye, ndl. Haspengouw) im Fürstbistum Lüttich zu rechnen ist. Da der Fernhandel im Hoch- und Spätmittelalter vorrangig mit (für heutige Verhältnisse) kleinen Schiffen entlang der Küste betrieben wurde und man weit die Flüsse hinauffuhr, um möglichst spät umzuladen, befanden sich die großen Hafen- und Handelsstädte relativ weit im Landesinneren. Dieses gilt auch für Hafenstädte Brügge, Gent, Antwerpen, Amsterdam. Daneben waren die durch Mittelgebirge geprägten Fürstentümer wie Luxemburg, Namur, das zu Brabant gehörende Limburg sowie das eigentliche Herzogtum Burgund und die Franche-Comté weniger stark verstädtert, in politischer Hinsicht blieb hier der großgrundbesitzende Adel stärker tonangebend. Städte und Märkte gab es zwar auch, doch waren sie deutlich kleiner und minder mächtig als die großen flämischen und brabantischen Zentren. Als weitere landschaftliche Zone sind die Gebiete mit leichten Sandböden zu nennen, die es vor allem im nördlichen Brabant und in Geldern gibt. Im Mittelalter waren diese Böden zwar leicht zu bearbeiten, sie erlaubten aber keine großen Erträge, weswegen hier die ländliche Besiedlung weniger dicht war und es nur an besonders verkehrsgünstig gelegenen Stellen wie der Einmündung von Flüssen zur Bildung von größeren Siedlungen kam, die dafür aber eine umso größere Bedeutung für ihr Um- und Hinterland hatten.
Friesland kann zurückgeführt werden auf die bereits in römischer Zeit an der Nordseeküste siedelnden Friesen. Das von ihnen bewohnte Gebiet war wesentlich größer als das spätere oder heutige Friesland in den Niederlanden und Deutschland. Im Verlauf des 14. Jahrhunderts entwickelten sich die Landschaften auseinander. Zwischen Weser und Ems bildete sich Ost-Friesland. Zwischen der Ems und der Lauwers konnte die Stadt Groningen mit ihrem Umland so etwas wie einen Stadtstaat bilden. Weiter westlich schloss sich West-Friesland an, auch Friesland-bewesten-Lauwers genannt.
Entlang eines langen Dünengürtels an der Nordseeküste mit anschließenden waldreichen Geestlandschaften entstand zu Beginn des 10. Jahrhunderts innerhalb des friesischen Siedlungsgebiets eine Landschaft, deren Name Holland sich vom Waldreichtum ableitete (ndl. Houtland, direkt übersetzt: Holzland), zu Beginn des 12. Jahrhunderts wird die Benennung auf eine Grafschaft bezogen, zu der drei Landschaften gehörten, im Norden das Kennemerland, dessen Grenzen zu Friesland nicht genau bekannt sind, in der Mitte das Rijnland, und weiter nordöstlich das Waterland mit der späteren Großstadt Amsterdam. Grafen (aber noch ohne den Zusatz Holland) gab es seit dem späten 9. Jahrhundert, deren Stellung sich wohl aus der Normannenabwehr erklärt. Kulturelles Zentrum war im Hochmittelalter vor allem das Kloster Egmond. Ab dem 13. Jahrhundert rückte mehr und mehr ’s-Gravenhage (oder kurz Den Haag) als Residenz in den Vordergrund, erhielt jedoch kein Stadtrecht. Zwei Dynastiewechsel bestimmten das politische Geschick der Grafschaft. Als erstes folgten 1296 nach der Ermordung des letzten Grafen aus holländischem Haus die Hennegauer Grafen aus der Families Avesnes, und nach deren Ende 1347 eine Nebenlinie der Wittelsbacher, die eigentlich Herzöge von Bayern waren. Über die zweite Erbfolge entstand eine Spaltung innerhalb des holländischen Adels und der städtischen Führungsschichten, die für rund 150 Jahre die Innenpolitik Hollands bestimmen sollte.
Für das sich durch Ebbe und Flut ständig ändernde Insel- und Halbinselgebiet im Delta von Maas und Schelde bürgerte sich um 1200 die Bezeichnung Zeeland ein. Seit 1323 war Zeeland als Landschaft mit Flandern politisch verbunden, Zeeland behielt allerdings seine eigene Adels- und Städtevertretung. Der jahrhundertlange Streit um die Herrschaft in Zeeland und dessen Zugehörigkeit zu Flandern und Holland erklärt zudem die verwaltungsmäßige Zweiteilung Zeelands in Beoosten-Schelde mit Zierikzee als Hauptort und Bewesten-Schelde mit Middelburg als Hauptort. Naheliegenderweise kannte Zeeland eine bedeutende Schifffahrt, die der Kaufmannschaft einiger Städte zu ansehnlichem Reichtum verhalf. Überdies gab es auf den größeren Inseln einige Adelsfamilien, die einen Teil des ertragreichen Grund und Bodens in ihren Händen vereinigten, was ihnen eine sozial-informell so gut wie unangefochtene Herrschaftsstellung verschaffte.
Von allen Fürstentümern des erweiterten niederlothringisch-niederrheinischen Raums hat die Grafschaft Flandern besonders früh, d. h. im 10. Jahrhundert, die Entwicklung zu einer Landesherrschaft durchgemacht. Nach einem Diktum Heinrich Sproembergs (1889–1966) war im Vergleich zu den deutschen Territorien »in Flandern alles anders«, was die Entstehung der Landesherrschaft betraf. Sie setzte sehr früh (im 9./10. Jahrhundert) ein und führte zu einer machtvollen Stellung der Grafen. Ihren Namen hat die Grafschaft von einem erst im 8. Jahrhundert erwähnten kleinen Gau erhalten, der um den Ort Brügge lag.
Als Folge der Schwäche der Könige im Westfrankenreich erhielten die Grafen, die eigentlich Lehnsmannen des westfränkisch, späteren französischen Königs waren, auch Teile des Reichs in Händen (sog. Reichsflandern, die östlich der Schelde gelegenen Teile um die Stadt Aalst, frz. Alost), wodurch sie zugleich Lehnsmannen des römisch-deutschen Königs wurden. Unter Graf Dietrich (1128–1168) und dessen Sohn Philipp (1168–1191) erlebte die Grafschaft in wirtschaftlicher und allgemein gesellschaftlicher Hinsicht eine Blüte. In einigen Städten wie Gent, Ypern, Arras oder Saint-Omer (weniger in Brügge) begann eine im großen Stil betriebene Tuchproduktion, die auf der Weiterverarbeitung einheimischer Schafwolle, in zunehmenden Maße auch auf der Einfuhr von Wolle aus England beruhte. Bis ins 13. Jahrhundert hinein exportierten flämische Kaufleute sie nicht nur in die direkt benachbarten Länder, sondern bis nach Süd- und Osteuropa. Insbesondere unter dem zweiten dieser Grafen, Philipp von Elsaß, wurde die Grafschaft zu einer entwicklungsmäßig den anderen Fürstentümern und selbst den Königtümern voranschreitenden Herrschaft ausgebaut. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts setzten die großen Städte durch, dass mit den Schöffen Flanderns (scabini Flandriae) ein neues Gerichtsorgan geschaffen wurde, das eigentlich zur Klärung von Fragen dienen sollte, die aus dem dichten Handel zwischen den Städten entstanden, tatsächlich aber so etwas ein landesweit tätiges Gericht darstellte, das der gräflichen Rechtsprechung Konkurrenz machte. Faktisch handelte es sich um eine in Europa sehr frühe Form der Ständevertretung.
Zu Flandern gehörte seit dem 10. Jahrhundert auch die ältere Landschaft Artois mit Arras (ndl. Atrecht) als wirtschaftlichem Mittelpunkt. Im 12. Jahrhundert war Arras einer der bedeutendsten Zentren der Tuchherstellung. 1180 kam das Artois als Mitgift für die Nichte des flämischen Grafen, die den französischen König Philipp II. Augustus heiratete, zum Kronbesitz. Ludwig VIII. gab das Land 1237 als Apanage für seinen Sohn Robert aus und erhob sie dabei zur Grafschaft. Bis 1362 bildete diese ein eigenes Territorium, danach kam das Artois wieder an die Grafschaft Flandern.
Das Herzogtum Brabant entstand erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts aus der Grafschaft Löwen. 1106 konnte Graf Gottfried I. von Löwen (ndl. Leuven, frz. Louvain) den Titel des Herzogs von Nieder-Lothringen erwerben, einem der alten spätkarolingischen Teilreiche. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts wurden die Grafen von Löwen nach und nach als Herzöge von Brabant neu benannt, womit Bezug genommen wurde auf einen alten karolingischen Gau, zu dem u. a. die Grafschaft Ukkel (frz. Uccle) mit dem Hauptsitz Brüssel gehörte. Etwas später als in Flandern entstand auch in brabantischen Städten eine größere Tuchproduktion, die dazu führte, dass die Löwener Grafen als Herzöge von Niederlothringen sich gezwungen sahen, ihre Kaufleute auf den Fernverkehrsstraßen vor allem nach Osten Richtung Aachen und Köln zu schützen. 1288 konnte Johann I. dank der gewonnenen Schlacht von Worringen das Herzogtum Limburg erobern, dessen herrschende Familie ausgestorben war. Die relativ starke Stellung der Herzöge beruhte u. a. auf der Unterstützung der durch sie geförderten Städte, die sich seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu kurzfristigen Bündnissen zusammenschlossen und als solche zur Landesbildung beitrugen.
Die selbstständige Herrschaft Mecheln und die Grafschaft Namur spielten eine eigene, wenn auch eher untergeordnete Rolle, waren aber innerhalb des Territorialverbandes der Burgundischen Niederlande immer wieder von Interesse.
Der Hennegau geht zurück auf eine alte karolingische Grafschaft, die ihren Sitz in Mons (ndl. Bergen) hatte. Im 10. Jahrhundert kam sie an das ostfränkische Reich. Seit Mitte des 11. Jahrhunderts gab es eine politische und dynastische Nähe zu den Grafen von Flandern. Wichtig für den Ausbau der fürstlichen Herrschaft und die Landesentwicklung war Graf Balduin V., der mit seinem Kanzler Giselbert von Mons für eine politische Absicherung beim Kaiser sorgte. Kurzzeitig stellten die Grafen sogar den Kaiser des Oströmischen Reichs, nachdem dieses 1204 von einem Kreuzfahrerheer eingenommen worden war. Die Hennegauer Landesherrschaft wurde im 13. Jahrhundert von einem Erbfolgestreit erschüttert, bei dem die Familie von Avesnes sich durchsetzen konnte.
Die Grafschaft bzw. ab 1354 das Herzogtum Luxemburg umfasste weite Teile des heutigen südöstlichen Belgiens und war damit deutlich größer als das heutige Großherzogtum. Die Grafschaft lässt sich zurückführen auf die Burg, die die Mitglieder der adligen Familie der Ardennen (wie die gleichnamige Waldlandschaft) in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts errichteten. Als Land war das Herzogtum stark von den Mittelgebirgen geprägt, die eine bedeutende Land- und Waldwirtschaft zuließen, weswegen der Adel gegenüber den Städten eine tonangebende Rolle ausüben konnte.
Die Grafschaft Geldern entstand ungefähr in der Mitte des 12. Jahrhunderts, als sich die Herren von Wassenberg nach dieser Burg nannten. Nacheinander konnten sie mehrere kleinere Herrschaften übernehmen, bis die Belehnung mit der Grafschaft eine deutliche Vergrößerung darstellte. Eine wichtige Einnahmequelle stellte der Rheinzoll von Lobith dar, der so viel abwarf, dass die Grafen ihren Einflussbereich im Laufe des Spätmittelalters nach Norden auf Kosten des Bistums Utrecht und nach Süden auf Kosten des alten Herzogtums Limburg, das ab 1288 zu Brabant gehörte, erweitern konnten.
Daneben gab es eine Reihe geistlicher Fürstentümer, auf die die burgundischen Herzöge ebenfalls Einfluss nahmen, insbesondere, indem sie auf mehr oder minder subtile Art und Weise dafür sorgten, dass ihnen genehme Kandidaten zum Bischof gewählt wurden, wie man am Beispiel des Bistums Utrecht sehen kann.
Durch die Stadt Utrecht floss der Alte bzw. Krumme Rhein (ndl. Kromme Rijn). Bereits im 7. Jahrhundert wurde in Utrecht ein Missionsbistum zur Bekehrung der Friesen gegründet. Die Diözese erstreckte sich im Prinzip auf das Gebiet der heutigen Niederlande nördlich der Waal bis auf Groningen mit seinem Umland, das sich im Hochmittelalter davon löste, und den östlichen Teil Gelderns. Erst im Verlauf des frühen 10. Jahrhunderts wurde der Bischofssitz wieder nach Utrecht zurückverlegt. 1060 kamen die Rechte eines Grafen hinzu, womit der Bischof weltlicher Herr und höchster Gerichtsherr über seine Besitzungen wurde. Mehrere schnell aufeinander folgende Bischofswechsel sorgten für Verluste von Ländereien und Rechten, zumal einige der Amtsinhaber ihre Familien auf Kosten der Kirche mit Ämtern und Gütern ausstatteten. Auch versuchte die Stadt Utrecht, die Macht ihres Stadtherrn einzuschränken, weswegen der Bischof sich ab 1448 oft in seiner Residenz Wijk bij Duurstede aufhielt. Das Stift Utrecht ist für seine frühe Bildung von Landständen bekannt. Bereits im 14. Jahrhundert entwickelte sich das Domkapitel zu einer um die sieben Stiftskirchen in Utrecht erweiterten Synode, der auch die Adligen und die Stadt Utrecht sowie die kleineren Städte angehörten. Die Stände durften sich aus eigenem Antrieb versammeln und bildeten wegen der außerordentlich häufigen Versammlungen eine tatsächliche Mitregierung bei der Herrschaft über das Land.
Kurz nach 700 wurde die an der Maas gelegene Stadt Lüttich zum Sitz des vormaligen Bischofs von Tonger(e)n. Das (Fürst-)Bistum Lüttich gehörte zum Heiligen Römischen Reich, seine Besitzungen zogen sich an dem Fluss Maas entlang und umfassten zahlreiche Städte, von denen neben dem Bischofssitz Lüttich vor allem Huy und Dinant zu nennen sind. Hinsichtlich der inneren Verhältnisse mussten die Fürstbischöfe seit 1316 ihre Herrschaft mit der Geistlichkeit, dem Adel und den durch den Maashandel reich gewordenen Städten teilen. Faktisch hatten die Stände damit eine starke Stellung erhalten, auch wenn es ihnen zunächst nicht gelang, den Bischof selbst aus der Stadt Lüttich zu vertreiben. Die Stadt Lüttich war wie die anderen Städte an der Maas (Dinant, Huy) für ihre Metallverarbeitung bekannt. Insbesondere in Lüttich gab es Spezialisten für die Waffenherstellung, wovon insbesondere das Gießen von Kanonen hervorzuheben ist.
Zwischen Flandern und Hennegau lag das Bistum Tournai (ndl. Doornik) mit der gleichnamigen, heute östlich der Metropol-Region Lille-Courtrai im Hennegau liegenden Stadt als Zentrum. Die an der Schelde gelegene Stadt war bereits im 12. Jahrhundert ein bedeutendes Handelszentrum und kannte später eine umfangreichere Tuchproduktion.
Heute im Norden Frankreichs liegt am Oberlauf der Schelde die Stadt Cambrai (ndl. Kamerijk), die Sitz des gleichnamigen Bistums und Zentrum des Cambrésis war, eines Gebiets ertragreicher Landwirtschaft. Cambrai erhielt seine Bedeutung als Zentralort für die Merowinger und die Karolinger. Durch die Bestimmung der Einflusssphären zwischen west- und ostfränkischem Reich im frühen 10. Jahrhundert geriet Cambrai in eine Grenzlage, war aber noch Teil des ostfränkischen Reichs. Kurz danach entstand um die Mitte des 10. Jahrhunderts ein neues Bistum, das 1007 endgültig bestätigt wurde und südlich Flanderns ein kleines Territorium zwischen dem Artois und Hennegau bildete. Beherrschende Macht in der Stadt und Umland blieb der Bischof, akzeptieren musste er hingegen, dass die Grafen von Flandern 1093 in Arras ein neues Bistum errichten ließen, was die Cambraiser Diözese deutlich verkleinerte.
Ein weiteres Bistum befand sich in Thérouanne (ndl. Terwaan), heute ein kleiner Ort im Norden Frankreichs mit ungefähr 1000 Einwohnern, der an der Leie (frz. Lys) gelegen ist. Wirtschaftlich befand sich die Stadt im Hintertreffen gegenüber den größeren Orten Flanderns. Von der Zerstörung durch Truppen Kaiser Karls V. 1553 erholte sich die Stadt nicht, der Ort verfiel in die Bedeutungslosigkeit.
Die Bezeichnung Burgund stammt letztlich von der spätantik-frühmittelalterlichen Siedlungsgruppe der Burgunder ab, die seit dem 5. Jahrhundert im Tal der Rhône und deren Nebenflüssen siedelten. Im Rahmen der sich lange, etwa von 840 bis 950 hinziehenden Auflösung des karolingischen Reichs entstanden in diesem Raum mehrere Herrschaftsgebiete, die den Namen Burgund führten: Erstens westlich der Saône im westfränkischen Reich das gegen Ende des 9. Jahrhunderts entstehende Herzogtum Burgund. Zweitens ein Königreich, das gegen Ende des 9. Jahrhunderts aus einem Teil des 855 geformten Mittelreichs Lothars entstand. Dieses Königreich wurde von den Nachfolgern um südliche Teile, sog. (Nieder-)Burgund, erweitert, ungefähr der heutigen Provence entsprechend. Und schließlich drittens der sich vom Königreich Burgund lösende Nordteil, gelegen östlich der Saône, der über mehrere Zwischenstufen an das ostfränkische Reich kam, und erst im 14. Jahrhundert als Franche-Comté oder Freigrafschaft Burgund bezeichnet wurde. Mehrmals konnten im Lauf des Hoch- und Spätmittelalters die Herzöge von Burgund über Eheschließungen auch die Freigrafschaft in ihren Besitz bringen, zudem erwarben sie Besitzungen und Rechte wie die wegen ihrer Salzproduktion äußerst ertragreiche Herrschaft Salins, die als Enklaven in der Freigrafschaft lagen.
Das Herzogtum Burgund, gelegen im westfränkischen Reich, die erste der genannten Herrschaften, erlebte unter den mächtigen Grafen von Autun seine eigene Entwicklung. Die Grafen dehnten gegen Ende des 9. Jahrhunderts ihren Machtbereich auf Kosten der benachbarten Grafschaften aus, für längere Zeit auch auf den Teil östlich der Saône. Erst im Lauf des 10. Jahrhunderts bürgerte sich für die Herrscher die Bezeichnung als Herzöge ein, womit kein Landgebiet, sondern eine Kompetenz über die Grafen gemeint war. In der Regel wurde das Gebiet als Regnum bezeichnet, was wohl als Unter-Königtum zu verstehen ist. Seit 1031 regierte im Herzogtum eine Nebenlinie der französischen Könige, die Robertiner, ununterbrochen bis ins 13. Jahrhundert, wobei sie über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg stets an der Seite der Könige standen. Während dieser Zeit gab es nur geringe Änderungen am Grundbesitz der herzoglichen Familie, das Herzogtum im engeren Sinn war im 12. Jahrhundert »fertig«. Als wichtigste Orte sind die Burgstädte Dijon, Beaune, Autun, Avallon, Semur und Châtillon-sur-Seine zu nennen.
Neben dem Herzogtum ist die zum Heiligen Römischen Reich gehörende Freigrafschaft Burgund zu nennen, die dritte der im Früh- und Hochmittelalter entstanden Herrschaften. Die Freigrafschaft hat ihre historischen Wurzeln in der Verselbständigung des nördlichen Teiles des frühmittelalterlichen Königreichs Burgunds im 10. Jahrhundert dadurch, dass eine Nebenlinie der burgundischen Königsfamilie, der Rudolfinger, sich eine eigene Machtstellung aufgebaut hatte. Dieses gelang, indem sie mehrere adlige Herrschaften in ihrer Hand vereinigte und so die Grafschaft Burgund bildete. Seit dem 13. Jahrhundert gab es eine enge dynastische Verbindung zwischen dem Herzogtum und der Freigrafschaft Burgund, eine klare Grenzziehung zwischen beiden Fürstentümern war nicht möglich.
Bereits im Laufe des 15. Jahrhunderts wurde es üblich, dieses Länderkonglomerat, das im Laufe des späten 14. und des 15. Jahrhunderts unter die Herrschaft der Valois-Herzöge von Burgund geriet und aus einem Nord- und einem Südteil bestand, kurz und bündig und der Einfachheit halber in seiner Gesamtheit zu benennen, und zwar nach dem formal höchst-rangigen Titel, dem des Herzogs von Burgund. Da die Herzöge und mit ihnen der Hof sich ab etwa 1420 meistens in Flandern, Brabant oder Hennegau aufhielten und die Großstädte dieses Raums dank ihrer wirtschaftlichen Kraft besondere Anziehungspunkte darstellten, geschah dieses vom Norden aus. Ganz folgerichtig sprach man von den »diesseitigen Landen« (frz. pays par deça) und »jenseitigen Landen« (frz. pays par delà). Zu den ersteren gehörten neben den bereits genannten Flandern, Brabant und Hennegau auch Holland-Zeeland, Artois, Namur, Lüttich usw., während zu den jenseitigen Landen das Herzogtum und die Freigrafschaft Burgund gerechnet wurden, wozu die 1390 gekaufte Grafschaft Charolais als Apanage für den Thronfolger, die Grafschaften Mâcon und Auxerre, die Herrschaft Salins und einige andere kleinere Herrschaften gezählt wurden. Der Sprachgebrauch änderte sich, wenn Herzog und Hof doch einmal im Süden weilten.
Die Frage nach der Entstehung der burgundischen Niederlande führt in die Geschichte Frankreichs um die Mitte des 14. Jahrhunderts, die Zeit des entstehenden Hundertjährigen Kriegs und des die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände bis ins Mark treffenden Pestzugs der Jahre 1347–1352. Zudem stellte der 1328 vollzogene Wechsel der Königsdynastie von den Kapetingern zu den Valois eine bedeutende Änderung in der Welt des französischen Hochadels dar.
Es war dies die politische Welt der Fürsten, in die Philipp der Kühne, der spätere Herzog von Burgund, am 17. Januar 1342 in Pontoise hinein geboren wurde. Er war der vierte Sohn Herzog Johanns von der Normandie, der wenige Jahre später (1350) König von Frankreich werden sollte (als Johann II. mit dem Beinamen der Gute), und dessen Ehefrau Bonne de Luxembourg (dt. Guda von Luxemburg). Damit war Philipp der Kühne einer der vielen Enkel König Philipps VI., des ersten Valois auf dem französischen Königsthron.
Über die frühen Jahre Philipps des Kühnen ist nicht viel bekannt. Am Hof seines Vaters wuchs Philipp der Kühne zusammen mit seinem älteren Bruder, dem Thronfolger Karl, auf, wo auch die anderen, ebenfalls älteren Brüder Ludwig und Johann sowie eine ganze Reihe weiterer adliger Kinder hinzukamen. So gehörte auch Philippe de Rouvres, der Enkel Herzogs Ottos IV. von Burgund, der Gemeinschaft an. Sie alle bildeten zusammen die compagnie des Thronfolgers Karl V. Sie erhielten eine weltliche Ausbildung, die die Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens umfasste sowie die ritterlich-militärischen Fähigkeiten, nämlich das Reiten, Jagen und das Waffenhandwerk.
Philipp der Kühne kam als Kind und Heranwachsender nicht nur in die Welt des Hofs, sondern mit der weiteren politischen Gesellschaft des Königreichs in Kontakt, die aus dem Hochadel, den Fürsten und Grafen, der dominierenden Großstadt Paris mit ihren Kaufleuten, den Hoflieferanten und Handwerkern, sodann den Ständen in den vielen Fürstentümern bestand. Innerhalb dieser Gesellschaft zählten die persönlichen Beziehungen zwischen den Adligen wohl mehr als der reine Besitz an Ländereien und Einkünften.
Als Philipp der Kühne geboren wurde, war sein Vater Johann (Titular-)Herzog der Normandie. Diese Funktion bekleidete er seit 1332. Der Titel war von König Philipp VI. eigens geschaffen worden, um eine Adelsrevolte in der Normandie zu besänftigen, bei der eine Gruppe des Adels sich als Verteidiger der alten normannischen Freiheiten verstand und insbesondere gegen die Einziehung von Steuern durch den französischen König ankämpfte.
Innerhalb der erst seit 1328 regierenden Dynastie der Valois kam es 1350 zu dem ersten Herrschaftswechsel. Nach dem Tod Philipps VI. bestieg dessen Sohn als Johann II. den Thron. Bei manchen spätmittelalterlichen Chronisten war er wenig gelitten, da er verantwortlich gemacht wurde für die erneute und unerwartete Niederlage gegen die Engländer, die die Franzosen 1356 bei der Schlacht von Poitiers einfuhren, und welche eine schwere Krisenzeit nach sich ziehen sollte: Nicht nur, dass die französischen Truppen vernichtend geschlagen wurden und der König höchstselbst in eine vierjährige Gefangenschaft geriet, sondern auch, dass in dem dadurch bedingten Machtvakuum soziale Unruhen, der Aufstand der Jacquerie, aufflackerten. Der erst 14jährige Philipp stand stets an der Seite seines Vaters, wich nicht von ihm und begab sich anders als seine drei Brüder mit in die englische Gefangenschaft. Die älteren Brüder Karl, Ludwig und Johann hatten sich zurückgezogen, als absehbar war, dass die Schlacht verloren gehen würde. Philipp soll für sein ritterliches Verhalten den Beinamen »der Kühne« erhalten haben. Immerhin vier Jahre dauerte die Gefangenschaft König Johanns, bei der er mit allen ihm zustehenden Ehren zunächst in Bordeaux, dann ab Mai 1357 in Windsor arretiert gewesen war. Er durfte an Hoffesten und Jagden teilnehmen, während sein ihn begleitender Sohn Philipp in die Kunst der Falknerei eingeführt wurde und gelegentlich mit dem »Schwarzen Prinzen«, dem Sohn Eduards III. von England, Schach spielte. Die Rückkehr des Königs nach Frankeich wurde erst möglich durch das Eingehen eines Friedensvertrags.
Um endlich aus der Gefangenschaft gelöst zu werden, willigte Johann II. in Bestimmungen ein, die für Frankreich ausgesprochen ungünstig waren. Eduard verzichtete zwar auf den französischen Thron, erhielt aber den deutlich erweiterten Südwestteil des Reichs, dazu Teile im Norden, die alle zusammen ungefähr ein Drittel von ganz Frankreich ausmachten. Im Gegenzug verzichtete Eduard auf mehrere von seinen Truppen besetzter Burgen und sah von einem Bündnis mit Flandern ab. Zudem musste Johann das enorme Lösegeld von 3 Millionen écus (Schilden, eine Goldwährung) leisten und mehrere Gefangene freilassen. 600 000 écus waren vorab zu zahlen, der Rest in sechs jährlichen Tranchen, die durch die Gestellung von Geiseln abgesichert wurden. Ratifiziert wurde der Vertrag erst am 24. Oktober 1361 in Calais, woraufhin endlich Johann II. entlassen wurde.
Philipp der Kühne wurde ebenfalls aus englischer Gefangenschaft entlassen. Als Dank für das Verbleiben an der Seite des Königs erhielt er bald darauf das zwar vergleichsweise kleine und unbedeutende Touraine als Lehen, wurde damit aber im Alter von 19 Jahren zu einem der Pairs, d. h. einer der bevorrechtigten Fürsten, und damit eine selbständige Figur der französischen Politik.
Noch während der Gefangenschaft bzw. kurz danach starben innerhalb von kurzer Zeit seine, Johanns II., zweite Frau Johanna von Boulogne und deren Sohn Philippe de Rouvres. Beide Todesfälle gaben Johann einen Anspruch auf die Erbschaft des Herzogtums Burgund, der Freigrafschaft Burgund und weiterer Fürstentümer.
Ohne lange zu zögern erklärte Johann II. im November 1361, dass das Herzogtum Burgund sowohl als heimgefallenes Lehen als auch als Erbe ihm und damit der Krone Frankreich zustünde. Bevor sich eine adlig-ständische Opposition formieren konnte, schuf Johann Tatsachen. Gleich am 30. November ließ er durch Jean de Melun Grafen von Tancarville die wichtigsten Orte des Landes besetzen.
Rasch setzte sich dieser durch, so dass der König nach nicht einmal vier Wochen bereits zu Mitte Dezember 1361 von Burgund Besitz ergreifen konnte. Als seinen Vertreter setzte Johann II. einen Gouverneur ein, wie man sie schon aus der Zeit der Minderjährigkeit von Philippe de Rouvres kannte. Als solchen bestimmte er im Januar 1362 Henri de Bar, den Herrn von Pierrefort, dem er als Marschall einen seiner engen Vertrauten aus der Zeit als Herzog der Normandie an die Seite stellte, den genannten Grafen von Tancarville, der ebenfalls 1356 bei Poitiers in englische Gefangenschaft geraten war.
Hinsichtlich der Freigrafschaft war die Sachlage komplexer, zumal Johann II. als Herzog über Eigenbesitz (Domänen) verfügte, daneben aber auch über Lehnsleute. Letztlich machte er es sich einfach, indem er trotz des unterschiedlichen Erbganges und der Zugehörigkeit der Grafschaft zum Heiligen Römischen Reich eine Urkunde Herzog Roberts II. (1272–1306), des Vaters von Herzog Otto IV., wiederholte, die bestimmte, dass das Herzogtum und die Freigrafschaft niemals getrennt werden sollten.
1363 änderte sich die Lage erneut, indem nun Philipp zum königlichen Vertreter von Burgund eingesetzt wurde, was im Februar 1364, als Johann II. wieder in England weilte, erweitert wurde zu einem Gebiet, das weit über Burgund hinausging und auch die Champagne, die Grafschaft Brie und eine ganze Reihe von weiteren Bailliages umfasste. Am 6. September 1363 wurde Philipp als jüngster Sohn des Königs – inzwischen 21 Jahre alt – formell als Herzog von Burgund belehnt mit der Bestimmung, dass dieses auch für seine direkten Nachkommen gelten sollte. Damit verbunden war die ehrenhafte Vorrangstellung als Erster Pair von Frankreich. Im Prinzip wurde Philipp Landesherr über das Herzogtum. Er hatte eine so gut wie unbegrenzte, fast königsgleiche Macht inne, nur war er dem König zur Lehnstreue und zum Homagium, dem Lehnseid, verpflichtet.
Allgemein bekannt gemacht wurde die Einsetzung erst mit dem Herrschaftswechsel im Königtum. Johann II. der Gute war am 8. April 1364 in London verstorben; er hatte sich Anfang Januar 1364 freiwillig in englische Gefangenschaft begeben, nachdem einige der französischen Geiseln, insbesondere sein Sohn Herzog Ludwig von Anjou, die zur Absicherung der ungeheuren Lösegeldsumme in Calais verblieben waren, sich der Geiselung entzogen hatten, was einen Bruch des ritterlichen Ehrenworts bedeutete. Der neue König Karl V. bestätigte am 2. Juni 1364 mit einer Urkunde die vom Vater verfügten Bestimmungen hinsichtlich Burgunds.
Philipp erhielt 1363 den Herzogstitel und war nach dem Tod Johanns II. für den gesamten Südosten des Königreichs zuständig, der sich südlich an das Herzogtum anschloss.
In der Tat gestalteten sich die Beziehungen zur Freigrafschaft Burgund, einem Lehen des Römischen Reichs, kompliziert. Zwar hatte Kaiser Karl IV. ihm bereits zu Lebzeiten König Johanns II. 1362 die Ansprüche auf die Freigrafschaft zugesagt. Dennoch war auf dem Erbweg die Freigrafschaft nach dem Tod Philippe de Rouvres 1361 an die jüngere Schwester seiner Großmutter geraten. Seine Großtante Margaretha, die 1322 Ludwig von Nevers Grafen von Flandern geheiratet hatte, verzichtete nicht auf ihren Anspruch. Die Stände der Freigrafschaft, insbesondere Teile des Adels, bevorzugten die Nachfolge der Gräfin Margaretha, die vermutlich als politisch schwächer eingeschätzt wurde und deswegen dem Adel mehr Handlungsspielraum zu gewähren versprach. Es entwickelte sich ein militärischer Kampf um die Freigrafschaft, der erst im Sommer 1364 durch einen vorläufigen, nach weiteren zwei Monaten endlich im September 1364 durch einen endgültigen Frieden beigelegt wurde; die Freigrafschaft blieb in Margarethes Händen.
Eine der, wenn nicht sogar die wichtigste Dimension der fürstlichen Machtpolitik stellte die Fortführung und Sicherung der Dynastie dar. Im Zentrum der Überlegungen stand die Eheschließung mit einem Partner, der möglichst viel in die Ehe einbrachte, was den gemeinsamen Kindern vererbt werden konnte. In aller Regel wurden die Ehen im weiten Vorfeld von den beteiligten Familien ausgehandelt, wobei geprüft wurde, ob beide Seiten ungefähr gleichviel einbrachten. Auf die Wünsche der zu verheiratenden Kinder wurde dabei so gut wie keine Rücksicht genommen, es handelte sich um politische Ehen, die über eine ganze Reihe von Zwischenschritten bei der Eheanbahnung eingegangen wurden. Im Laufe des Spätmittelalters bildete sich ein regelrechtes Vertragswerk um die Ehe herum, dessen Sinn es war, offene Fragen und Probleme zu lösen wie beispielsweise die nach der Witwenversorgung, der Mitgift und Morgengabe, Ausrichtung des (meist) pompösen Fests sowie Absprachen über das Erbe.
Für Philipp den Kühnen standen Heiratspläne im Raum, die sein Vater Johann II. recht bald nach seiner Rückkehr aus der englischen Gefangenschaft geschmiedet hatte. Mehrere seit 1362 in Betracht genommene Heiratsprojekte mit südeuropäischen Königshäusern zerschlugen sich im Laufe der Jahre, bis der Blick nach Johanns II. Tod 1364 auf die Ebene unterhalb der Königtümer gerichtet wurde und auf die Witwe des 1361 jung verstorbenen Philippe de Rouvres fiel, auf Margarethe von Flandern.
Trotz der engen Verwandschaft genehmigte der Papst die Verehelichung, die er nur Jahre zuvor dem englischen Prinzen Edmund von Langley unter den gleichen Voraussetzungen aus politischen Gründen verboten hatte.
Seit 1365 förderte Karl V. von Frankreich intensiv die Eheverbindung zwischen seinem Bruder Philipp und Margarethe von Flandern, sah er hierin doch eine Möglichkeit, die dank der florierenden Tuchindustrie reiche Grafschaft Flandern als königliches Lehen näher an die Krone zu binden. Die Verhandlungen über den Heiratsvertrag zogen sich allerdings bis 1369 hin. Schließlich kam man im April diesen Jahres überein, dass Karl V. dem flämischen Grafen die Städte Lille, Douai und Orchies, die 1302 mit ihrem Umland von der Krone annektiert worden waren, und eine Zahlung von 200 000 Pfund Tournois übereignen sollte; an dieser Summe beteiligte sich Philipp der Kühne zur Hälfte. Karl V. behielt sich ein Rückkaufrecht an Lille, Douai und Orchies vor, doch wurde dieses durch eine gemeinsame Erklärung von Philipp und Margarethe später aufgehoben. Hierin liegt eine erste Distanzierung Philipps von den Interessen der französischen Krone.
Am 19. Juni 1369 wurde in Gent die Hochzeit feierlich begangen. Karl V. stellte seinem Bruder in großem Stil königliches Personal zur Verfügung (Musiker, Herolde, weiteres Gesinde), dazu Turnierpferde, Silbergeschirr, Juwelen, kurzum: alles, was man für ein überbordendes höfisches Fest brauchte, um die reichen Bürger und Adligen Flanderns zu beeindrucken, und zugleich öffnete der neue Schwiegersohn des Landesherrn seine Schatullen und ließ einen regelrechten Geschenkeregen über die flämischen Adligen und besonders über die Räte und Amtsträger des gräflichen Hofs niedergehen.
Jetzt, im Lebensalter von mittlerweile 28 bis weit in seine 30er Jahre, machte Philipp der Kühne sich mit den Regeln des militärischen Operierens vertraut und wurde in die Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie eingeführt. In den Jahren 1370 bis 1372 nahm Philipp an mehreren Feldzügen zur Wiedereroberung des Poitou und Aquitaniens teil. 1373 marschierte Philipp in die Bretagne ein, als Johann von Lancaster seine berühmte chevauchée, einen schnellen Plünderungszug zu Pferd, vollführte und innerhalb von fünf Monaten von Calais nach Bordeaux gelangte. Philipp vermochte ihn immerhin von Paris fernzuhalten, weil er den Engländern in den Rücken hätte fallen können.
Wichtig war seine Tätigkeit als Leiter einer großen Gesandtschaft, die Karl V. 1375 nach England entsandte, um endlich einen Frieden zwischen England und Frankreich zu schließen, nachdem in den letzten Jahren mehrere Anläufe dazu gescheitert waren. Für den französischen König sprach dessen Bruder, für den englischen König dessen Sohn Johann von Gent Herzog von Lancaster. Ende März 1375 begannen die Verhandlungen in London und dauerten bis Ende Juni an. Sie wurden von einer ganzen Reihe Banketten und Turnieren begleitet. Allein, man konnte sich nicht weiter einigen als auf einen einjährigen Waffenstillstand, der bis zum 30. Juni 1376 reichte, und auf eine Verabredung für weitere Gespräche. Die Verhandlungen fanden ihr feierliches Ende durch ein pompöses Bankett, zu dem Philipp der Kühne am 1. Juli alle Teilnehmer einlud.
In der Tat traf man sich in geänderter Zusammensetzung mit einiger Verzögerung am 28. Dezember 1375 in Brügge. Wieder einigte man sich nur auf eine Verlängerung des Waffenstillstandes um etwas mehr als ein weiteres Jahr bis zum 1. April 1377. Diesen zwei Konferenzen schloss sich noch eine dritte, ebenfalls nicht zu einem Friedensvertrag führende an, an der Philipp aber nicht mehr beteiligt war. Die Positionen der beiden Könige waren nicht miteinander in Einklang zu bringen.
Seit seiner Eheschließung 1369 war Philipp sowohl im königlichen Auftrag als auch in eigenen Interessen ständig unterwegs. Beide Dimensionen sind nicht von einander zu trennen. Im Interesse des Königs lag es, dass sein Bruder den Osten und Norden Frankreichs im Sinne des Königs beeinflusste, und für Philipp war entscheidend, dass er seine Länder aufsuchte. Herrschaft meinte auch im späten 14. Jahrhundert in erster Linie die persönliche Herrschaft, der Fürst musste mindestens einmal im Jahr in seinem Gebiet nach dem Rechten sehen. Jedes Jahr (bis auf 1373) besuchte er einmal Flandern. Wegen dieser Verpflichtungen war Philipp der Kühne nicht mehr ständig am königlichen Hof präsent, weswegen er Vertraute brauchte, die ihn über die dortigen Vorgänge unterrichteten. Auf Bitten Philipps wurde bereits 1367 der Bailli von Dijon Hugues Aubriot zum königlichen Prévôt von Paris ernannt, also zum Vorsteher der Stadtregierung. Für das System der Vertrauten in der Fremde spricht auch, dass Philipp ab 1372 einen Residenten in Avignon beim Papst hatte. Derartige Kontaktleute waren wichtig, da sie je nach ihrem Zugang zu den führenden Kreisen Nachrichtenquellen von nicht zu unterschätzender Bedeutung waren.
Eine große Bewährungsprobe für Philipp stellte der Genter Krieg dar, der 1379 in Flandern ausbrach und sich eigentlich gegen die Herrschaft seines Schwiegervaters richtete. Man könnte meinen, dass es für Philipp keine Frage gewesen sein dürfte, auf welche Seite er sich schlug. Tatsächlich jedoch war seine Haltung schwankend. Er trat zunächst als Vermittler zwischen dem Grafen von Flandern und der Stadt Gent auf und schlug sich erst später ganz auf die Seite des Landesherrn.
Der Aufstand begann, als Anfang September 1379 im Streit um die Gerichtszuständigkeiten die Weber – die einen Großteil der Genter Bevölkerung stellten – den Bailli, d. h. den höchsten stadtherrlichen Amtsträger, ermordeten und die vor kurzem erbaute gräfliche Burg Wondelgem im Genter Umland zerstörten. Die Genter suchten sofort Unterstützung für ihre Sache bei den anderen Städten, doch das stadtadlig dominierte Brügge hielt zum Grafen und Ypern hatte sich den gräflichen Zentralisierungsbestrebungen gefügt. Lediglich aus den unteren Bevölkerungsschichten der eigenen Stadt kam der Genter Führung Unterstützung entgegen, so dass man nach einem Monat dazu übergehen konnte, die südlich Gents an der Schelde gelegene Stadt Oudenaarde, die offiziell zum Grafen hielt, zu belagern, einzukesseln und von der Nahrungsmittelzufuhr abzuschneiden. Der flämische Graf Ludwig von Male hielt sich zu dieser Zeit in Dendermonde auf, wo er ab dem 10. November von den Gentern bedrängt wurde. In dieser Situation erschien auf Bitten der Gräfin von Artois, Margarethe von Frankreich, am 12. November Philipp der Kühne in Tournai. Drei Tage später begann er mit direkten Gesprächen zwischen der Genter Armee und dem Grafen. Innerhalb von zwei Wochen konnte man sich auf einen Frieden einigen, der bemerkenswerterweise Auflagen für den flämischen Grafen beinhaltete: Einer der führenden Räte des Grafen wurde seines Amtes entsetzt, und es wurde eine Kommission der drei großen Städte eingesetzt, die die Einhaltung der Privilegien überwachen sollte.
Damit war der Frieden für ungefähr ein halbes Jahr gerettet, und Philipp der Kühne hatte sich bei seinen künftigen Untertanen überaus beliebt gemacht. Es blieb aber die Frage, ob der flämische Landesherr sich mit den ihm auferlegten Beschränkungen abfinden würde. Ludwig von Male vergewisserte sich zunächst des Rückhalts von Teilen des Adels in Stadt und Land, ehe er im Mai 1380 begann, einige Städte auf seine Seite zu ziehen, und sich dann daranmachte, Gent zu belagern, das er aber nicht eroben konnte, da es zu groß und militärisch zu stark war. Im November sah der Graf sich gezwungen, mit den Gentern Verhandlungen über einen Waffenstillstand aufzunehmen. Zumindest die Kampfhandlungen wurden eingestellt.
Im März 1381 flackerten die Unruhen wieder auf. Dieses Mal entsandte Philipp der Kühne mit Unterstützung der burgundischen Stände, die eine Zahlung von 60 000 Francs genehmigt hatten, ein größeres Kontingent, das am 23. Juli 1381 in Brügge eintreffen und dem Grafen helfen sollte. Die Belagerung Gents schlug abermals fehl. Stattdessen verlegte der Graf sich darauf, die Lebensmittelzufuhr über die Leie und die Schelde großräumig abzuschneiden. Begleitet wurde dieses alles durch Vermittlungsversuche und Verhandlungen, in die sich im August 1381 auch Philipp der Kühne und seine Frau Margarethe einschalteten.
Die Genter wiederum wehrten sich. Gut gerüstet konnten sie Züge unternehmen, die sie im Frühjahr 1382 bis nach Brabant führten, wo sie umfangreiche Getreidelieferungen der mit ihnen sympathisierenden Stadt Lüttich in Empfang nahmen und ungehindert heimbrachten. Militärisch war Gent nicht niederzuringen, konnte sich aber auch nicht wirklich aus der Umklammerung der gräflichen Verbände befreien, weswegen beide Seiten sich gezwungen sahen, im April 1382 erste Verhandlungen zu führen. Ihnen war keinerlei Erfolg beschieden. Auf beiden Seiten wuchs die Einsicht, dass man den Gegner ohne fremde Hilfe nicht würde besiegen können, weswegen man den französischen und den englischen König um Unterstützung bat. Der französische reagierte schneller und begann sofort mit den Rüstungen, während die Engländer erst 1383 aufmarschierten. Karl V. war 1380 verstorben und für den noch minderjährigen Karl VI. führte zu dieser Zeit, 1382, dessen Onkel Philipp der Kühne die Regierungsgeschäfte. Im Herbst diesen Jahres zog der König mit dem Herzog von Burgund und einer massiven Truppenmacht nach Flandern, wo man am 3. November ankam. Allein die Präsenz brachte Ypern dazu, sich am 21. November kampflos zu ergeben, woraufhin der Westen Flanderns nachzog, und die Truppen problemlos auf Brügge zuhalten konnten.
In dieser Situation ergriffen die Genter die Gelegenheit und rüsteten zum Kampf. Am 26. und 27. November trafen sich beide Heere zum direkten Treffen bei West-Rozebeke, ungefähr zehn Kilometer nordöstlich von Ypern. Der Sieg der Franzosen und der landesherrlichen Truppen war entscheidend, die Genter und ihre Verbündeten verloren ein Großteil ihrer Mannschaften.