Geschichte der Textilherstellung - Dieter Veit - E-Book

Geschichte der Textilherstellung E-Book

Dieter Veit

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Beschreibung

Wann wurden die ersten Textilien hergestellt?
Wie kleideten sich die Menschen im alten Ägypten?
Welche Rolle spielte der Tuchhandel im Mittelalter?
Warum begann die Industrielle Revolution mit der Textilherstellung?
Warum kleiden wir uns heute alle in Polyester?
Wie wird die Zukunft der Textilherstellung aussehen?

Diese und viele weitere Fragen werden in dem reich bebilderten und fundiert geschriebenen Buch anschaulich beantwortet. Neben der Vorstellung aller wichtigen Fasern, Technologien zur Garn- und Flächenherstellung und Er ndungen von der Steinzeit bis heute geht es in dem Buch auch um die gesellschaftlichen Veränderungen, die mit der Herstellung und dem Handel von Textilien einhergingen.

Besonders hervorzuheben ist der globale Ansatz: Nicht nur Europa steht im Fokus, sondern auch die Entwicklungen in Asien, Afrika und Amerika werden behandelt. Sagen und Märchen mit Textilbezug, die Veränderung der Mode im Laufe der Jahrhunderte sowie gebräuchliche textile Redewendungen runden das Werk ab und stellen einen Bezug zu unserem Alltag her.

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Seitenzahl: 924

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Dieter Veit

Geschichte der Textilherstellung

Technologien, Erfindungen, Handel, Mode – von der Steinzeit bis heute

Über den Autor:Dr.-Ing. Dieter Veit ist Akademischer Direktor und stellvertretender Institutsleiter am Lehrstuhl für Textilmaschinenbau und Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen.

Print-ISBN:        978-3-446-47 953-1E-Book-ISBN:   978-3-446-48 035-3EPUB-ISBN:      978-3-446-48 145-9

Alle in diesem Werk enthaltenen Informationen, Verfahren und Darstellungen wurden zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nach bestem Wissen zusammengestellt. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen. Aus diesem Grund sind die im vorliegenden Werk enthaltenen Informationen für Autor:innen, Herausgeber:innen und Verlag mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autor:innen, Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Weise aus der Benutzung dieser Informationen – oder Teilen davon – entsteht. Ebenso wenig übernehmen Autor:innen, Herausgeber:innen und Verlag die Gewähr dafür, dass die beschriebenen Verfahren usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt also auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benützt werden dürften.

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© 2024 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, Münchenwww.hanser-fachbuch.deLektorat: Dr. Philippa Söldenwagner-KochHerstellung: Melanie ZinslerCovergestaltung: Max KostopoulosTitelmotiv: © gettyimages.de/Ukususha, GOLDsquirrel und Pakin Songmor;shutterstock.com/balwanrai; Fortuna und Ursem, 2007; Kohl, 1889Satz: le-tex publishing services, Leipzig

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort

1 Einleitung

1.1 Steinzeit

1.2 Altertum

1.3 Mittelalter und frühe Neuzeit

1.4 Industrialisierung im 18. Jahrhundert

1.5 Neuzeit

1.6 Zukunft

2 Steinzeit bis frühe Bronzezeit

2.1 Älteste Darstellungen von Bekleidung

2.2 Älteste Funde

2.3 Faserstoffe

2.4 Garn- und Zwirnherstellung

2.5 Weben

2.6 Farbstoffe

2.7 Mode

2.8 Technische Textilien

3 Antike

3.1 Faserstoffe

3.2 Herstellung von Textilien

3.3 Spinnen

3.4 Weben

3.5 Teppiche

3.6 Maschenwaren

3.7 Veredlung

3.8 Warum keine industrielle Textilproduktion?

3.9 Farbstoffe

3.10 Handel

3.11 Mode

3.12 Technische Textilien

3.13 Sagen und Märchen

4 Mittelalter

4.1 Faserstoffe

4.2 Garnherstellung

4.3 Weben

4.4 Stricken

4.5 Teppiche

4.6 Veredlung

4.7 Schneider

4.8 Zünfte

4.9 Handel

4.10 Mode in Europa

4.11 Technische Textilien

5 Frühe Neuzeit (15.–17. Jahrhundert)

5.1 Fasern

5.2 Spinnverfahren

5.3 Weben

5.4 Stricken und Wirken

5.5 Spitzenklöppeln

5.6 Teppiche

5.7 Färben und Farbstoffe

5.8 Veredlung

5.9 Handel

5.10 Entwicklung in ausgewählten Ländern

5.11 Mode

5.12 Technische Textilien

6 Das 18. Jahrhundert

6.1 Fasern

6.2 Spinnen

6.3 Mechanisierung der Produktion und Beginn der Industrialisierung

6.4 Warum begann die Industrialisierung in England?

6.5 Stricken und Wirken

6.6 Teppiche

6.7 Veredlung

6.8 Färben und Drucken

6.9 Waschen und Bügeln

6.10 Nähmaschine

6.11 Handel

6.12 Die Entwicklung in ausgewählten Ländern

6.13 Mode

6.14 Technische Textilien

6.15 Wichtige Erfindungen

7 Das 19. Jahrhundert

7.1 Naturfasern

7.2 Zellulosische Chemiefasern

7.3 Anorganische Chemiefasern

7.4 Spinnereivorbereitung

7.5 Spinnen

7.6 Webmaschinen

7.7 Stricken und Wirken

7.8 Vliesstoffe

7.9 Teppichherstellung

7.10 Flechten

7.11 Nähmaschinen

7.12 Die wissenschaftliche Erforschung der Farbstoffe

7.13 Veredlung

7.14 Industrialisierung und Textilherstellung

7.15 Recycling

7.16 Soziale Auswirkungen

7.17 Handel

7.18 Die Entwicklung in ausgewählten Ländern

7.19 Mode

7.20 Technische Textilien

7.21 Wichtige Erfindungen

8 20. Jahrhundert

8.1 Naturfasern

8.2 Chemiefasern auf Zellulosebasis

8.3 Chemiefasern auf Proteinbasis

8.4 Synthetische Chemiefasern

8.5 Spinnereivorbereitungsmaschinen

8.6 Spinnmaschinen

8.7 Webmaschinen

8.8 Strickmaschinen

8.9 Wirkmaschinen

8.10 Vliesstoffe

8.11 Teppich

8.12 Flechtmaschinen

8.13 Nähmaschinen

8.14 Veredlung

8.15 Arbeitsalltag und soziale Auswirkungen

8.16 Handel

8.17 Entwicklung der Industrie

8.18 Entwicklung in ausgewählten Ländern und Gebieten

8.19 Mode

8.20 Technische Textilien

8.21 Werbung für Textilmaschinen

8.22 Wichtige Erfindungen

9 Das 21. Jahrhundert

9.1 Faserstoffe

9.2 Spinnmaschinen

9.3 Webmaschinen

9.4 Handel

9.5 Ausgewählte Länder und Regionen

9.6 Recycling und Kreislaufwirtschaft

9.7 Mikroplastik

9.8 Das architektonische Erbe der Textilindustrie

9.9 Ausblick und Trends

10 Kleidungsstücke

10.1 Hut

10.2 Krawatte

10.3 Hemd

10.4 Nachthemd

10.5 Rock

10.6 Kleid

10.7 Hose

10.8 Unterwäsche

10.9 Socken und Strümpfe

10.10 Schuhe

11 Textile Sprichwörter und Redewendungen

11.1 Rohstoffe

11.2 Spinnerei

11.3 Gewebe

11.4 Veredlung

11.5 Konfektion

11.6 Textilien in der Alltagssprache

11.7 Textile Wörter in der Alltagssprache

11.8 Textile Nachnamen

11.9 Märchen

12 Museen

13 Zeitreise

14 Literatur und Websites

14.1 Bücher

14.2 Websites

Dank

Glossar

Der Verlag und die Autoren haben sich mit der Problematik einer gendergerechten Sprache intensiv beschäftigt. Um eine optimale Lesbarkeit und Verständlichkeit sicherzustellen, wird in diesem Werk auf Gendersternchen und sonstige Varianten verzichtet; diese Entscheidung basiert auf der Empfehlung des Rates für deutsche Rechtschreibung. Grundsätzlich respektieren der Verlag und die Autoren alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft und ihrer nationalen Zugehörigkeit.

Vorwort

Gab es in der Steinzeit schon „Mode“? Seit wann tragen wir überhaupt Bekleidung aus Textilien? Warum galten Hosen bis ins Mittelalter als barbarisch? Und warum trugen Männer bis ins 19. Jh. Röcke und Strumpfhosen? Warum heißt die wichtigste Faser Baumwolle, obwohl sie doch gar nicht auf einem Baum wächst? Was machten die Schönfärber und was sind Schlechtfärber? Was sind Schamkapseln und warum haben Frauen „die Hosen an“, auch wenn sie nur eine einzige tragen? Und warum war ihnen das in Paris bis 2013 verboten? Weshalb begann die Industrialisierung ausgerechnet in England und mit der Herstellung von Textilien? Was wurde aus den Spinnereien und Webereien in unseren Städten? Wie erfand ein 15-jähriges Mädchen die wichtigste Herstellungstechnik für Teppiche? Und warum kommen unsere Textilien heute meistens aus Asien und was ist Industrie 4.0?

Auf diese und viele weitere Fragen gibt dieses Buch eine Antwort.

Sie brauchen keine „textilen“ Vorkenntnisse, um alles zu verstehen; wir beginnen tatsächlich bei „Adam und Eva“, die in Bild 1 dargestellt sind. Während Adam auf dem Feld arbeitet, unterhält Eva ihre Zwillinge Kain und Abel und spinnt gleichzeitig mit der Handspindel ein Garn. Hier sehen wir die über Jahrtausende gültige Arbeitsteilung: Die Frau ist für die Garn- und Textilproduktion zuständig und kümmert sich um die Kinder, der Mann macht die Feldarbeit.

In jedem Kapitel sehen wir uns zunächst die jeweils wichtigen Faserrohstoffe an, danach beschäftigen wir uns mit den Technologien und Maschinen zur Herstellung von Garnen und Textilien. Mit neuen Materialien und Techniken änderte sich oft die Mode, auch sie betrachten wir für jedes Zeitalter. Die Herstellung von Textilien war zunächst Heimarbeit. Schon im Altertum und vor allem ab dem Mittelalter und in der frühen Neuzeit entwickelten sich daraus zahlreiche textile Handwerksberufe. Im 19. Jh., zur Zeit der Industrialisierung, führte das zu einer nie zuvor da gewesenen Veränderung der sozialen Struktur der Gesellschaft in der ganzen Welt. Auch diese Entwicklung ist Teil des Buchs.

Bild 1Adam bei der Feldarbeit und Eva beim Spinnen (von Kastav, 1475)

Die Herstellung von Textilien erfordert eine Vielzahl von Prozessen. Damit es übersichtlich und verständlich bleibt, konzentrieren wir uns auf die relevanten Verfahren der Garnherstellung, die wichtigsten Prozesse der Textilproduktion und typische Verfahren der Veredlung. Zu allen Kapiteln des Buchs gibt es Literaturempfehlungen für die vertiefende Lektüre.

Geografisch konzentrieren wir uns auf Europa, allerdings behandeln wir auch die Entwicklungen bei unseren Nachbarn im Mittelmeerraum und im Nahen Osten, wenn sie wichtig waren für die Geschichte Europas. Viele textile Rohstoffe kamen und kommen aus Asien, z.B. die Baumwolle aus Indien, und auch manche technologischen Neuerungen wurden dort erfunden, etwa das Spinnrad in China. Auch Japan und Nord-, Mittel- und Südamerika werden behandelt, um die Unterschiede zu zeigen, und auch, wenn sie mit der technischen Entwicklung in Europa in Verbindung stehen.

Die Herstellung von Textilien war ein wesentlicher Teil des täglichen Lebens für viele Menschen für Tausende von Jahren. Daraus entstanden viele textile Redensarten und werden oft bis heute benutzt. Eine Übersicht finden Sie ebenso in den hinteren Kapiteln des Buchs wie eine Liste von interessanten Museen zur Textilgeschichte, sowohl in Deutschland als auch weltweit.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre, verhaspeln Sie sich nicht, lassen Sie nicht locker und verlieren Sie nicht den roten Faden!

Aachen, im Januar 2024

Literatur und Bildquellen

von Kastav, J. (1475), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hrastovlje_Fresken_-_Genesis_9.jpg?uselang=de, CC BY-SA 4.0

1Einleitung

Textilien begleiten uns ein Leben lang. Von der ersten Windel bis zum Leichentuch nutzen wir Textilien, um uns zu schützen, zu schmücken und als technische Hilfsmittel. Die ältesten erhaltenen Reste von Textilien datieren in die Zeit um ca. 40 000 v. Chr. Seither, vielleicht schon viel länger, begleiten sie uns und machen uns ein Leben in unterschiedlichen Klimazonen erst möglich. Textilien sind seit der späten Steinzeit allgegenwärtig und wurden zunächst vor allem zu Hause und von jeder Familie selbst hergestellt. Seither bestimmen sie unsere Gesellschaft und die Formen unseres Zusammenlebens und spielen auch in der darstellenden Kunst schon immer eine herausragende Rolle. Einige der ältesten bildlichen Darstellungen, die wir kennen, zeigen die Produktion von Garnen und Geweben. Schon früh entstand eine Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern, die in vielen Bereichen bis heute anhält.

E.J. Wayland Barber erforschte als eine der Ersten die Rolle der Frauen bei der Textilherstellung. Sie kommt zu dem Schluss, dass „die Textilindustrie älter ist als die Töpferei und vielleicht sogar als Ackerbau und Viehzucht. Weil sie sehr aufwändig war, verbrauchte die Erzeugung von Textilien wahrscheinlich in den gemäßigten Klimazonen weit mehr Stunden pro Jahr als die Töpferei und Nahrungsmittelproduktion zusammengenommen. Bis zur industriellen Revolution, und bis weit ins 20. Jh. hinein verbrachten Frauen in vielen bäuerlichen Gesellschaften jede verfügbare Zeit mit Spinnen, Weben und Nähen, während die Männer ihnen dabei halfen (in Europa Schafe scheren, Flachs häckseln, gelegentlich auch beim Spinnen und Weben). Die Frauen spannen, während sie die Herden hüteten, Wasser holten oder zum Markt gingen; sie webten während sie sich um den Ofen, die Kinder und den Kochtopf kümmerten. Die Männer konnten sich ausruhen, wenn die Ernte eingebracht war. Weil aber das Weben vor allem von Frauen betrieben wurde, war die Arbeit der Frauen nie erledigt. Als die homerischen Griechen plünderten, so heißt es, töteten sie alle Männer, brachten aber die Frauen als Gefangene nach Hause, um beim Spinnen und Weben zu helfen. So arbeiteten die Frauen deutlich länger als die Männer und stellten deutlich mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte in vielen Gesellschaften. Es war die industrielle Revolution, die dies änderte mit dem mechanischen Webstuhl, der Spinning Jenny und den großen Tuchfabriken. Heute, nur wenige Generationen später, haben wir vergessen, dass die Textilproduktion einst die zeitaufwändigste einzelne Industrie war.“ (Barber, 1990)

Diese von Barber postulierte Arbeitsteilung ist nur indirekt belegbar, zieht sich aber buchstäblich wie ein roter Faden durch die Kunstgeschichte, wie zahlreiche Abbildungen in diesem Buch zeigen. Interessanterweise war nicht nur die Textilherstellung bis in die Neuzeit vor allem Aufgabe von Frauen, auch die Erforschung der Geschichte der Textilherstellung wird heute überwiegend von Frauen betrieben. Eine sehr gute Übersicht zu ganz unterschiedlichen Ansätzen einer Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen bei der Erforschung historischer Textilien gibt (Strand et al., 2010).

Textilien sind spätestens seit dem Altertum auch ein Spiegelbild der sozialen Position der jeweiligen Trägerinnen und Träger. Sie sind daher enorm wichtig für unsere „Selbstdarstellung“. Die Art und Weise, wie dies zum Ausdruck gebracht wird, ist dabei einem steten Wandel unterworfen. Die „Mode“ änderte sich bis ins Mittelalter zum Teil über Jahrhunderte nur wenig, erst in der frühen Neuzeit begannen die heute immer kürzeren Modezyklen. Die Mode früherer Zeiten unterscheidet sich dabei oft fundamental von dem, was wir heute als „modern“ ansehen: Im Altertum trugen nur „Barbaren“ Hosen, und bis ins 17. Jh. hatten Männer kurze Röcke und mussten ihre Beine zeigen. Frauen trugen lange Kleider, und das Tragen von Hosen war ihnen bis ins 20. Jh. sogar verboten.

Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die wichtigsten Entwicklungen der in diesem Buch beschriebenen Epochen.

1.1Steinzeit

Etwa um 12 000 v. Chr. wurden die Menschen sesshaft, und damit hatten sie auch die Zeit und Muße, sich mit der Herstellung von Textilien zu beschäftigen. Die ältesten Funde stammen aus dieser Epoche. Als Fasermaterialien wurden – den Funden nach – vor allem Bastfasern (z.B. Flachs, Hanf) und Wolle verwendet. Vermutlich gab es damals bereits eine geschlechterspezifische Arbeitsteilung, die aber nicht so starr war wie lange Zeit angenommen: Die Frauen blieben tendenziell eher „zu Hause“ und stellten Textilien her, die Männer gingen auf die Jagd oder zur Feldarbeit.

In manchen Zivilisationen, z.B. im alten Ägypten, gab es bereits eine vorindustrielle Produktion in größeren Einheiten für die Versorgung des pharaonischen Hofs. Auf Wandmalereien werden Frauen meist beim Spinnen und Männer oft beim Weben gezeigt, allerdings war die Zuordnung der Geschlechter zu diesen Tätigkeiten noch nicht so festgelegt wie in späteren Zeiten, wie Bild 1.1 zeigt. Die hergestellten Textilien waren sowohl grob als auch außerordentlich fein, die edelsten Stoffe wurden als „gewebter Wind“ bezeichnet, weil man durch sie hindurchsehen konnte.

Bild 1.1Textilherstellung bei den Ägyptern (de Garis Davies, 1930)

1.2Altertum

Die Arbeitsteilung, dass Frauen spinnen und Männer weben, setzte sich im Altertum allmählich durch und blieb lange bestehen. In Darstellungen der Textilproduktion auf Vasen (Griechenland) und Grabmälern (Römer) werden daher Frauen meist beim Spinnen und Männer in der Regel beim Weben dargestellt, bei den Griechen webten allerdings auch die Frauen (Bild 1.2).

Obwohl die Infrastruktur für den Transport von Waren ausgebaut und die Dampfmaschine als mögliche Energiequelle bekannt war (Heron von Alexandria), gab es keine industrielle Produktion.

Bild 1.2Griechinnen beim Spinnen und Weben (Pharos, 2017)

1.3Mittelalter und frühe Neuzeit

Das Spinnen war bis zur Mechanisierung im 18. Jh., trotz einiger technischer Verbesserungen (z.B. Spinnrad), ein langwieriger Prozess. Es wurde weiterhin vor allem von Frauen wegen des gestiegenen Bedarfs an Garn an jedem Ort und ständig durchgeführt, sogar auf Reisen. Nicht nur die Zuschauerin, sondern auch die Frau im Hintergrund in der Bildmitte spinnt (Bild 1.3), während ihr Esel hinter ihr hertrottet.

Frauen aller Gesellschaftsschichten nutzten jede freie Minute, um zu spinnen (Bild 1.4, links). Nur so konnte der große Garnbedarf gedeckt werden. Im Mittelalter bildeten sich durch die zunehmende Verstädterung viele textile Handwerksberufe, z.B. Weber und Färber. Beide waren nahezu ausschließlich den Männern vorbehalten (Bild 1.4, rechts).

Bild 1.3Frauen spinnen auch unterwegs (Valvasor, 1689)

Bild 1.4Spinnende Kurfürstin Elisabeth Auguste von der Pfalz im 18. Jh. (Ziesenis, 1753) und Weberwerkstatt im 17. Jh. (Decker, 1659)

Im 12. Jh. gründeten sich die ersten Weberzünfte in ganz Europa, die die Herstellung, die Qualität und den Verkauf der Gewebe regelten. Bis zur Industrialisierung blieb das Weben ein Kleingewerbe. Aus dieser Zeit stammen eine Vielzahl der heutigen Nachnamen, die sich auf Textilberufe beziehen. Dazu zählen z.B. Weber, Ferber und Schröder (Schneider). Den Namen „Spinner“ gibt es nicht, weil die Garnerzeugung ausschließlich Frauenarbeit war und zu Hause durchgeführt wurde, ein Handwerksberuf des „Spinners“ entstand nie.

Auch das Stricken von Hand war eine Tätigkeit, die gelegentlich dargestellt wurde (Bild 1.5). Sie war immer Frauensache und wurde schon von Mädchen durchgeführt. Erst ab dem 16. Jh. gab es mechanische Wirkmaschinen.

Bild 1.5Strickende Maria wird vom Engel besucht (Bertram, 1400) und strickendes Mädchen im 19. Jh. (Anker, 1884)

1.4Industrialisierung im 18. Jahrhundert

Ab dem 16. Jh. eroberten viele europäische Länder von ihnen neu entdeckte Gebiete in Amerika, Asien und Afrika und richteten dort Kolonien ein. So konnten sie Rohstoffe billig und in großen Mengen importieren. Damit war die Basis für eine Massenproduktion von Textilien geschaffen.

Die Erfindung der Spinning Jenny in England durch James Hargreaves im Jahr 1764 läutete die Industrialisierung im Bereich der Textilerzeugung ein. Erstmals konnten Garne in großen Mengen mit wenigen Arbeitskräften hergestellt werden. Bald folgten weitere Verbesserungen an den Spinnmaschinen, und die Garnherstellung wanderte vom häuslichen Umfeld in die neuen Spinnereifabriken (Bild 1.6). Dennoch wurde weiterhin für den eigenen Bedarf zu Hause mit dem Spinnrad und zum Teil sogar noch mit der Handspindel gesponnen.

Bild 1.6Spinnerei mit Spinning Mules

Mit der Erfindung der Spinnmaschine mit Wasserradantrieb durch Richard Arkwright im Jahr 1767 war die technische Grundlage für die Mechanisierung der Textilherstellung geschaffen. Durch die Weiterentwicklung der Dampfmaschine bis zum Ende des 18. Jh. stand eine günstige Energiequelle zur Verfügung, und so begann zunächst die Industrialisierung der Gewebeherstellung, später auch der Garnerzeugung. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde das Handwerk des Webers von großen Webereien verdrängt. Dieser Prozess begann in England und setzte sich in Frankreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern fort. Viele professionelle Weber wurden arbeitslos und dazu gezwungen, in den neuen Textilfabriken ihr Geld zu verdienen. Weil die Löhne oft sehr gering waren, mussten auch Frauen in den Fabriken arbeiten (Bild 1.7), zusätzlich zu ihren Aufgaben im Haushalt und bei der Kindererziehung. Schon damals wurden sie meist schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen.

Bild 1.7Weberei im 19. Jh. mit Kraftwebstühlen

1.5Neuzeit

Die meist sehr schlechten Arbeitsbedingungen in den großen Textilfabriken führten im 19. Jh. zu zahlreichen Unruhen und Aufständen der Arbeiter und Arbeiterinnen. Es bildeten sich erste Gewerkschaften, die für ihre Rechte kämpften, und so verbesserte sich die Situation zumindest in vielen europäischen Ländern allmählich.

Neben den Naturfasern wurden ab dem Ende des 19. Jh. die ersten zellulosischen Chemiefasern entwickelt und ab den 1930er-Jahren auch synthetische Fasern aus Erdöl hergestellt. Sie dominieren heute den Textilmarkt mit einem Anteil von rund 70 % an allen Faserstoffen, wobei Polyester mit rund 30 % an allen Fasern die wichtigste ist. Im 20. Jh. wurden neben Bekleidung auch verstärkt sogenannte technische Textilien hergestellt, z.B. Schutzbekleidung und Implantate. Durch die Verstärkung von Kunststoffen mit Textilien entstand eine neue Klasse von Werkstoffen, die Faserverbundmaterialien. Sie sind von großer Bedeutung im Leichtbau, z.B. in der Luft- und Raumfahrt und im Automobilbau (Bild 1.8).

Bild 1.8Flugzeug aus Faserverbundwerkstoff (ENAC, 2006) und Türverkleidung eines Autos aus naturfaserverstärktem Kunststoff (Gahle, 2007)

Ab den 1950er-Jahren wurden in großen Mengen Vliesstoffe hergestellt, die nicht aus Garnen, sondern nur aus miteinander verfestigten Fasern bestehen. Die wichtigsten Produkte sind Filter aller Art und Windeln.

Durch die steigenden Löhne wurde schon ab dem 19. Jh. die Textilproduktion zunehmend in Länder außerhalb Europas verlagert, vor allem nach Asien, z.B. nach Japan und Korea. Dieser Prozess beschleunigte sich im 20. Jh., und heute wird ein Großteil der Textilien dort hergestellt, vor allem in China und anderen ostasiatischen Ländern. Die Arbeitsbedingungen sind oft noch schlecht, aber auch hier sind Verbesserungen erkennbar.

1.6Zukunft

In Europa spielt seit den 1980er-Jahren der Umweltschutz eine immer größere Rolle und für viele Verbraucher und Verbraucherinnen ist mittlerweile eine nachhaltige Textilproduktion von Bedeutung. Dies beginnt bei der Gewinnung der Fasern und reicht bis zur Konfektionierung der fertigen Bekleidung. Daher werden neue Werkstoffe entwickelt, die nicht auf Erdöl basieren, sondern auf Zellulose oder Eiweiß. Und seit einigen Jahren hält die Digitalisierung, auch als Industrie 4.0 bezeichnet, Einzug in die Textilherstellung. Maschinen werden miteinander vernetzt und Daten zwischen den einzelnen Prozessstufen ausgetauscht, sogar zwischen Kontinenten.

Die Herstellung von Textilien ist heute eine der größten Branchen der Welt und Arbeitgeber für mehrere Hundert Millionen Menschen. Sie bestimmt immer noch unser Leben, wie seit 40 000 Jahren.

Literatur und Bildquellen

Anker, A. (1884), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Anker_Strickendes_M%C3%A4dchen_1884.jpg

Baines, E. (1835), The history of cotton manufacture in Great Britain. Fisher, Fisher & Jackson, London.

Barber, E. J.W. (1990), Prehistoric textiles. Princeton University Press, Princeton.

Bertram, M. (1400), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KnittingMadonna.jpg

Decker, C. G. (1659), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cornelis_Gerritsz._Decker_004.jpg

De Garis Davies, N. (1930), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Weavers,_Tomb_of_Khnumhotep_MET_DT204509.jpg

ENAC (2006), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:A_380_meeting.jpg

Gahle, C. (2007), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:T%C3%BCrinnenverkleidung_Hanf-PP_nova.jpg, CC BY-SA 3.0

Grips, C. J. (1866), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Charles_Joseph_Grips_-_The_Spinner%27s_Favorite,_1866.jpg

Nguyen, M.-L. (2007), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Woman_spinning_BM_VaseD13.jpg?uselang=de, CC BY 2.5

Petrarcha, F. (1332). Von der Artzney bayder Glück, des guten und widerwertigen: unnd weß sich ain yeder inn Gelück und Unglück halten sol, fol. 193.

Pharos (2017), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Terracotta_lekythos_%28oil_flask%29_MET_DT264.jpg, CC0 1.0

Raddato, C. (2014), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Front_of_the_sarcophagus_of_Titus_Flavius_Trophimas_with_scenes_of_craftsmen_at_work,_a_shoemaker_and_a_rope-maker,_found_in_Ostia,_National_Museum_of_Rome,_Baths_of_Diocletian_(13 271 306 584).jpg, CC BY-SA 2.0

Schnorr von Carolsfeld, J. (1822), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schnorr_von_Carolsfeld,_Vittoria_Caldoni_with_a_spindle.jpg?uselang=de

Strand, E. A., Frei, K. M. et al., (2010), „Old Textiles – New Possibilities“, European Journal of Archaeology 13 (2), S. 149–173, SAGE Publishing, Thousand Oaks.

Tiergärtner (2011a), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mendel_I_004_v.jpg

Valvasor, J. V. (1689), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Re%C4%8Dani-Valvasor.jpg?uselang=de

von Kastav, J. (1475), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hrastovlje_Fresken_-_Genesis_9.jpg?uselang=de, CC BY-SA 4.0

Wilkinson, J. G. (1887), The ancient Egyptians. John Murray, London.

Ziesenis, J. G. (1753), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:M_Elisabeth_Auguste_Pfalz_by_Ziesenis.jpg

2Steinzeit bis frühe Bronzezeit

Wann Menschen begannen, textile Kleidung herzustellen, ist unbekannt. Weil organisches Material normalerweise spurlos biologisch abgebaut wird, gibt es aus der Frühzeit des Menschen keine entsprechenden Funde, auch wenn schon Textilien hergestellt worden sein sollten. Der Fund eines Steinschabers mit anhaftenden Resten von Eichengerbsud zeigt, dass bereits vor rund 200 000 Jahren Felle gegerbt und vermutlich für Bekleidung eingesetzt wurden (Pötsch, 2006). Möglicherweise haben also schon die Neandertaler zu dieser Zeit Kleidung hergestellt (Bild 2.1).

Bild 2.1Neandertaler (links, Fährtenleser, 2021) und moderner Homo sapiens mit Fellkleidung (Pxhere, 2022)

Funde aus Marokko deuten darauf hin, dass dort vor rund 120 000 Jahre Menschen Bekleidung erzeugten, vermutlich ebenfalls aus Fellen und Häuten (Hallett et al., 2021). Die Untersuchung des Genoms der Kleiderlaus ist ein Hinweis darauf, dass Menschen vor ca. 72 000 ± 42 000 Jahren begannen, Kleidung aus Textilien zu tragen (Kittler et al., 2003), was zum einen mit diesen Funden und zum anderen mit dem Auftreten der ersten bekleideten Figurinen übereinstimmt (Bild 2.2). Es wird angenommen, dass Textilien vor allem von Frauen hergestellt wurden (Barber, 1994), sicher nachweisbar ist dies aber nicht.

2.1Älteste Darstellungen von Bekleidung

Wesentlich älter als die frühesten Funde von Textilien sind Darstellungen von Bekleidung auf Statuetten. Besonders hervorzuheben sind hier die sogenannten Venus-Figurinen, die in ganz Europa gefunden wurden und aus dem Gravettien stammen (25 000–14 000 v. Chr., Wiki, 2022). So ist z.B. auf der Venus von Lespugue ein Schnurrock mit elf Schnüren, vermutlich aus Bastfasern, dargestellt, der ein besonders betontes Hinterteil bedeckt (Soffer et al., 2000). Auch die Venus von Gagarino aus dem heutigen Russland (ca. 25 000 v. Chr.) trägt einen Schnurrock, was die weite und frühe Verbreitung dieser Art von Kleidung zeigt (Svoboda, 2017).

Bild 2.2Venus von Lespugue (links; Hitchcock, 2021) und von Gagarine (rechts; Franzkowiak, 2017) mit Schnurrock

Dieses Bekleidungsstück war offenbar in ganz Europa und mindestens bis in die Bronzezeit verbreitet, wie der Fund des Grabs des Mädchens von Estved zeigt (Bild 2.13). Man kann also von einer frühen „Mode“ sprechen.

Die rund 29 000 Jahre alte Venus von Willendorf (Bild 2.3) trägt möglicherweise eine Art gewebter Mütze oder eine geflochtene Kappe, deren Struktur einem Bastkorb ähnelt (Soffer et al., 2000).

Auf vielen figürlichen Frauendarstellungen aus dem Gravettien sind Kopfbedeckungen aus Textilien dargestellt. So zeigt die Venus von Kostenki (ca. 25 000 v. Chr.) eine gewebte Kopfbedeckung und Bänder bzw. Gürtel, die aus schmalen Geweben bestehen (Bild 2.4, links). Die Venus von Brassempouy ist nicht nur eine der ältesten Plastiken mit ausgeprägten Gesichtszügen, sondern zeigt auch eine netzartige Kopfbedeckung (Bild 2.4, rechts), die sehr verbreitet war. In den Grottes des Enfants in Ligurien (Italien) wurde ein 20 000 Jahre altes Skelett gefunden, das eine entsprechende netzartige Kopfbedeckung trug, von der noch die Muschelperlen erhalten sind.

Bild 2.3Venus von Willendorf mit textiler Kopfbedeckung (Fotos: Markus Veit)

Bild 2.4Venus von Kostenki (Hitchcock, 2019) und Venus von Brassempouy (Berizzi, 2013)

Auffällig ist, dass alle Venus-Statuetten gar nicht oder nur teilweise bekleidet sind. In Anbetracht des in Europa meist kühlen Wetters waren sie also wohl eher Fruchtbarkeitssymbole als Darstellungen von „realen“ Frauen und ihrer typischen Bekleidung.

In Sibirien wurden Statuetten aus dem Gravettien mit menschlichen Zügen entdeckt, oft sogar mit ausgearbeiteten Gesichtern (z.B. in Mal’ta). Einige waren am ganzen Körper bekleidet, allerdings wohl meist mit Fellen, eindeutige Hinweise auf Textilien fehlen bisher. Weil typisch weibliche Attribute oft nicht erkennbar sind, wird vermutet, dass es sich teilweise um Darstellungen von Männern handeln könnte.

Auf den meisten neolithischen Felszeichnungen, die üblicherweise Jagdszenen zeigen, sind die dargestellten Menschen unbekleidet. Es gibt allerdings auch wenige Ausnahmen. So sind auf Felszeichnungen in Spanien (Bild 2.5, links) zwei Frauenfiguren zu sehen, die ein Kleid bzw. einen Rock tragen. Rechts daneben ist ein Mann dargestellt, der mit einer Art Kniehose bekleidet ist (Obermaier, 1939). Auch wenn diese Bekleidung nicht aus Stoff bestanden hat, sondern aus Tierfellen, so nimmt sie spätere Formen von Kleidung vorweg. Die Schieferritzzeichnung von vier Frauen, die in Gönnersdorf gefunden wurde, zeigt möglicherweise schematisierte Darstellungen von Bekleidung, vielleicht Röcke und Schulterumhänge (Bild 2.5, rechts).

Bild 2.5Felszeichnungen bekleideter Menschen in den Höhlen von Els Secans, Minateda und Cogul, Spanien, ca. 4000–1000 v. Chr., und Venus-Darstellungen von Gönnersdorf, ca. 14 000–11 000 v. Chr. (Foto: Markus Veit)

Auf einer Grabstele aus Sion, Schweiz, aus der Zeit um 3000 v. Chr., sind flächige Textilien und ein Gürtel mit komplexen Mustern dargestellt. Sie werden als hemd- oder rockartige Bekleidung interpretiert (Feldtkeller, Schlichtherle, 1987). Auf der Venus von Vinèa sind textile Strukturen zu erkennen, vermutlich ein geflochtener Rock, für ein Gewebe sind die Abstände zwischen den Fäden zu groß (Bild 2.6).

Bild 2.6Grabstele von Sion mit eingeritzten textilen Strukturen (Rama, 2010) und Schemazeichnung der Venus von Vinèa (Serbien), ca. 4500 v. Chr.

Neben diesen bildlichen Darstellungen von Textilien gibt es zahlreiche indirekte Nachweise für textile Strukturen, vor allem von Schnüren, Körben und Geweben. So werden auf der ganzen Welt immer wieder Keramikscherben mit Abdrücken textiler Strukturen gefunden, aus denen sich in einigen Fällen die Art der Bindung ableiten lässt (Bild 2.7, links). Die Kultur der Schnurkeramik erhielt davon sogar ihren Namen, weil in die noch feuchte Keramik vor dem Brand Schnüre eingedrückt wurden, um die Gefäße mit entsprechenden Mustern zu verzieren (Bild 2.7, rechts).

Bild 2.7Abdrücke von Textilien in Keramikscherben und Gefäße der Schnurkeramiker (Schütze, 2011)

2.2Älteste Funde

Textilien waren vermutlich oft Prestigeobjekte (Soffer et al., 2000). Nur sehr wenige Textilreste sind aus dem Neolithikum erhalten. In trockenen Klimazonen, z.B. in Ägypten, sind vor allem Stoffe aus Leinen konserviert, die in feuchten Gebieten, z.B. in Nordeuropa, meist vergangen sind. Dort sind neben Textilien aus Wolle, die in sauren Mooren oder im Untergrund von Pfahlbausiedlungen überdauert haben, vor allem Gerätschaften zur Herstellung von Garnen und Geweben erhalten geblieben, die in der feuchten Umgebung vor Zerfall durch Mikroorganismen geschützt waren.

Der früheste Nachweis eines Garns wurde in Frankreich in einer Höhle in der Ardeche-Schlucht entdeckt und wird den Neandertalern zugeschrieben (Hardy et al., 2020). Das 6,2 mm lange Stück ist ca. 41 000–52 000 Jahre alt und besteht aus einem dreifach verzwirnten Kiefernrindenbast. Es war um ein Stück Feuerstein gewickelt und möglicherweise ein Teil eines Griffs oder ein Teil eines Netzes, in dem der Feuerstein transportiert wurde. Während die einzelnen Garne S-Drehung besaßen, wurde der Zwirn in Z-Drehung hergestellt (Bild 2.8).

Anhand von Funden aus der Aghitu-3-Höhle in Armenien wurden mithilfe von DNA-Analysen Reste von Pflanzen aus der Zeit von 37 000–22 000 v. Chr. bestimmt, die für die Herstellung von Textilien und Farbstoffen geeignet sind. Dazu zählen u.a. Pollen vom Rohrkolben (Typha sp.) und von Weiden (Salix sp.). Ob daraus wirklich Textilien, z.B. Schnüre oder Körbe etc., erzeugt und sogar gefärbt wurden, bleibt Spekulation (ter Schure et al., 2022).

Bild 2.8Fadenstück an einem Feuerstein (Foto: Marie-Hélène Moncel)

(Adovasio et al., 2001) analysierten Abdrücke von Geflechten und Geweben in Lehm und schlossen daraus, dass bereits vor rund 25 000 Jahren in Europa Körbe hergestellt wurden. Die textilen Strukturen bestanden aus gezwirnten Baststreifen. In Israel wurden verdrehte Fadenstücke entdeckt, vermutlich aus Bast (Nadel et al., 1994). Für Nordamerika sind entsprechende Funde bis zu 12 000 Jahre alt, für Südamerika ca. 10 000 Jahre. Sie sind damit die ältesten, indirekt nachgewiesenen textilen Strukturen.

Die ältesten bekannten Reste von Bekleidung, Hemden und Hosen aus Leder, stammen aus einem Kindergrab bei Wladimir in Sibirien aus der Zeit um 20 000 v. Chr. Vergleichsweise jung, nämlich 9000 Jahre alt, sind ca. 300 Bastsandalen, die in der Fort Rock-Höhle in den USA entdeckt wurden (Bild 2.9). Sie wurden aus dem Bast des Wüsten-Beifußes hergestellt.

Bild 2.9Sandale aus Bastgeflecht, Fort Rock Höhle, USA, ca. 7500 v. Chr.

In der Höhle von Guitarrero (Peru) wurden Reste von Schnüren und einfachen textilen Strukturen aus einer Art von Zwirn entdeckt, die in die Zeit 10 000–9000 v. Chr. datiert werden (Jolie et al., 2011). Sie bestehen aus Fäden, die sich gegenseitig umschlingen und in ihrer Überstruktur Geweben bzw. sogar Drehergeweben ähneln (Bild 2.10). Vermutlich waren sie Teile von Körben oder Säcken. Im Westen der USA wurden geflochtene Körbe und Schnüre gefunden, die ca. 9000 Jahre alt sind (Connolly et al., 2016).

Die ältesten Bekleidungstextilien, die aus Garnen aufgebaut sind, sind ca. 8000 Jahre alt und wurden in Catal Hüyük in der Türkei gefunden. Als Fasermaterial wurden Flachs und Wolle verwendet. Die ältesten Baumwollfunde stammen aus der Zeit um 5500 v. Chr. aus Mexiko (Höhle von Coxcatlan). Der möglicherweise älteste Rock wurde in Armenien gefunden und ist 5900 Jahre alt.

Bild 2.10Textile Strukturen aus Peru, ca. 11 000 v. Chr. (Jolie et al., 2011)

Bereits im Magdalénien (18 000–12 000 v. Chr.) wurden Nähnadeln aus Knochen hergestellt (Bild 2.11). Einige sind so fein und damit brüchig, dass davon ausgegangen werden kann, dass mit ihnen nicht Häute und Felle vernäht wurden, sondern dünne Gewebe. Diese sind allerdings nicht erhalten.

Bild 2.11Nadeln aus Knochen aus dem Magdalénien (Descouens, 2010)

Aus dem 8. Jt. v. Chr. stammt die Darstellung von fünf menschlichen Figuren, die auf einem Auerochsenknochen eingeritzt sind, der in Ryemarksgard (Dänemark) gefunden wurde. Sie tragen eindeutig Kleidung (Bild 2.12).

Bild 2.12Darstellung von fünf bekleideten Figuren (Samlinger, 2007)

Das älteste vollständig erhaltene Textil ist ein Leinenhemd aus der Zeit um 3100 v. Chr., das 1913 von dem britischen Archäologen Flinders Petrie aus einem ägyptischen Grab in der Nähe von Tarkhan geborgen wurde (Bild 2.13, links). Erst 1977 wurde es bei Aufräumarbeiten im Victoria and Albert Museum, London, wiederentdeckt (Stevenson und Dee, 2016). Wie deutlich zu erkennen ist, hat sich die Mode seit dieser Zeit nur unwesentlich verändert. In Bild 2.13 (rechts) ist das Kleid des Mädchens von Egtved, Dänemark, zu sehen (ca. 1400 v. Chr.). Es besteht aus Schafwolle und im unteren Teil aus einem Schnurrock, der auch schon auf mehr als 25 000 Jahre alten sogenannten Venus-Figurinen (z.B. Venus von Lespugue) zu sehen ist (Soffer et al., 2000).

Bild 2.13Ägyptisches Hemd, ca. 3100 v. Chr. (Pax Britannica, 2021) und Kleid von Egtved, ca. 1400 v. Chr. (Fortuna und Ursem, 2007)

Andere Funde (ca. 2000 v. Chr.) stammen aus Peru (Huaca Prieta). Sie ähneln in Qualität, Farbe und Art der Verzierung entsprechenden Funden aus Ägypten. Auch aus Indien (Industal) sind Reste von Baumwollgeweben und Geflechten aus Leinen bekannt (ca. 1700 v. Chr.).

In Europa wurden ebenfalls schon sehr früh Textilien hergestellt, wie Funde von Textilresten aus Flachs in den Pfahlbauten am Bodensee (ca. 4000 v. Chr.) sowie in Baumsärgen zeigen. Aus Lindenbast wurden Sandalen in einer Kombination aus Flecht- und Webtechnik gefertigt, wie sie z.B. in Allensbach und Sipplingen am Bodensee aus der Zeit von ca. 3000 v. Chr. gefunden wurden. Der Lindenbast wurde zur Herstellung von Textilien aller Art (z.B. Dolchscheiden) oft verzwirnt.

Der berühmteste Fund von Bekleidung aus der späten Jungsteinzeit (ca. 3200 v. Chr.) wurde 1991 am Similaun-Gletscher, Italien, gemacht. Der als Ötzi bekannte Wanderer, der einem Mordanschlag zum Opfer fiel, war mit mehreren verschiedenen Kleidungsstücken bekleidet, die allerdings fast alle aus Fell bestanden. Einzig eine Art Cape, dessen Funktion umstritten ist, bestand aus einem einfachen Gewebe aus Bast (Bild 2.14). Dieser Fund zeigt, dass in Mitteleuropa zu dieser Zeit Kleidung oft noch aus Fellen bestand und nicht aus gewebten Textilien.

Die erste umfangreiche Schrift zu den Funden neolithischer Textilien wurde 1937 von Emil Vogt publiziert (Vogt, 1937). Weil viele entsprechende Funde schon im 19. Jh. gemacht wurden, vor allem in den Seeufersiedlungen in Deutschland und der Schweiz, ist dieses Werk immer noch lesenswert.

Bild 2.14Ötzi mit Fellkleidung und textilem Umhang aus Bast (Sauber, 2012; Melotzi5713, 2022)

2.3Faserstoffe

Die wichtigsten Faserstoffe im Neolithikum waren im Osten und Süden Europas Flachs und Hanf, im Norden wurden Brennnesseln eingesetzt und in einem breiten Streifen vom Osten (Kaspisches Meer) bis zum Westen (Frankreich) wurde Wolle verwendet. In China und den angrenzenden Gebieten wurde daneben außer Ramie auch Seide verarbeitet.

Bei Textilfunden aus dem Neolithikum ist es oft schwierig, das verwendete Fasermaterial eindeutig zu bestimmen. So wird Flachs leicht mit Hanf und anderen Bastfasern verwechselt, auch Wolle ist nicht immer eindeutig identifizierbar und wurde gelegentlich für Flachs gehalten. Zahlreiche Funde aus Europa, die angeblich aus Seide bestehen sollen, wurden tatsächlich aus anderen Fasern, u.a. Flachs, erzeugt, wie heutige chemische Untersuchungen oft zeigen.

Eine weitere Möglichkeit zur Bestimmung des Fasermaterials ist die Untersuchung der zur Faserverarbeitung verwendeten Werkzeuge. So zeigte sich in Untersuchungen von (Cheval, 2021), dass das sogenannte Webschwert, mit dem der Schussfaden an das fertige Gewebe angeschlagen wird, unterschiedliche Abnutzungsspuren aufweist, je nachdem, aus welchem Fasermaterial die Kettfäden bestanden. Garne aus schlecht verarbeiteten, relativ harten Flachsfasern führten zu deutlich mehr Abnutzungsspuren als weiche Wollfäden.

2.3.1Flachs, Hanf und andere Bastfasern

Flachs gehört wie Gerste und Weizen zu den ältesten Kulturpflanzen. Als Stammform wird die schmalblättrige, ausdauernde Wildart Linum angustifolium (Linum bienne) mit aufspringenden Kapseln angesehen (Bild 2.15). Sie kommt in einem Gebiet vor, das sich vom Mittelmeerraum bis nach Südwestasien erstreckt (Zohary und Hopf, 2000). Es ist unklar, ob Flachs zunächst zur Ölgewinnung oder direkt als Faserlieferant genutzt wurde. Oft wird Flachs auch als Leinen bezeichnet.

Bild 2.15Linum angustifolium (Lazaregagnidze, 2012)

Bereits um 7000 v. Chr. ist wilder Flachs (Linum bienne) im Gebiet der heutigen Türkei, des Iran und des Irak sowie Syriens bekannt. Der älteste Fund stammt vom Tell Abu Hureyra (Syrien) aus dem 9. Jt. v. Chr. (Hillman, 1975). Vor mehr als 6000 Jahren wurde Flachs von den Ägyptern sowie den Sumerern im heutigen Irak angebaut und kam ab dem 3. Jt. v. Chr. in das südliche Mitteleuropa. Auch in Israel wurden Geflechte aus Flachs gefunden (Bar-Yosef, 1985). In Catal Hüyük (Türkei) ausgegrabene Textilien aus Leinen aus der Zeit vor ca. 8000 Jahren wurden neu untersucht, und es stellte sich heraus, dass sie in Wirklichkeit aus Eichenbast bestehen (Rast-Eicher, 2021). Wohl erst im 5. Jt. v. Chr. wurde der heute meist genutzte Flachs (Linum usitatissimum) gezielt zur Fasergewinnung angebaut (Helbaek, 1959). Entsprechende Funde aus der Zeit von 5000–3000 v. Chr. stammen aus Syrien, Ägypten, Spanien, der Schweiz und Deutschland. In Ägypten wurde dabei eine Sorte mit großen Samen (Ölgewinnung), in den Pfahlbausiedlungen Mitteleuropas eine andere Varietät mit kleinen Samen kultiviert (Barber, 1991). Aus der Frühzeit Ägyptens, ca. 3000 v. Chr., stammen die ältesten Darstellungen von Flachsverarbeitung. In der 3. Dynastie (ca. 2750 v. Chr.) ist bereits ein Flachsdirektor für ganz Ägypten bekannt. Insbesondere Mumienbinden und Bekleidung wurden aus Flachs- bzw. Leinengarnen hergestellt. Manche Garne erreichen dabei Feinheiten von 4 tex (4 g/km). Flachs galt als besonders „rein“, und manche Tempel durften nur in Leinenkleidung betreten werden, nicht in Textilien aus Wolle. Ab ca. 2100 v. Chr. beginnt in Mesopotamien der großflächige Anbau zum Zweck der Textilherstellung. Bild 2.16 zeigt die Flachsernte durch Raufen, bei der die gesamte Pflanze mit den Wurzeln aus dem Boden gerissen wird. Dadurch können zum einen die Fasern in den Wurzeln genutzt und zum anderen kann sowieso nur alle sieben Jahre auf demselben Feld Flachs angebaut werden, weil die Pflanze den Boden auslaugt („Flachsmüdigkeit“).

Bild 2.16Flachsanbau und -ernte in Ägypten im Totenbuch von Theben und auf einem Leinengewebe

Leinengewebe aus Ägypten waren oft besonders feine Stoffe (Hoskins, 2011). Die Mumienbinden des Pharaos Sethos I (ca. 1300 v. Chr.) bestanden z.B. aus Kett- und Schussfäden mit einer Feinheit von 4 bis 5 tex. Von Ägypten gelangte die Kunst der Flachsverarbeitung in die Levante und von dort nach Vorderasien. Offensichtlich war es damals üblich, Mischgewebe aus Flachs und Wolle herzustellen, denn diese Praxis wird in der Bibel an zwei Stellen explizit verboten (Leviticus 19:19, Deuteronomium 22:11). Für Priester war sie dagegen ausdrücklich erlaubt.

In den Pfahlbausiedlungen am Bodensee und in der Schweiz wurden große Mengen an Flachspollen gefunden. Weil diese vor allem von Insekten und nicht vom Wind verbreitet werden, wurde offenbar in unmittelbarer Nähe der Siedlungen Flachs angebaut. Ob vor allem zur Öl- oder eher zur Fasergewinnung ist unbekannt. Die Fasern wurden in einem Wasserröstprozess gewonnen und zur Herstellung von Textilien eingesetzt, wie experimentelle Untersuchungen zeigen (Leuzinger und Rast-Eicher, 2011). Die Stoffe waren durch Variation der Fadenbindung oft aufwendig gemustert (Bild 2.17).

Das älteste Textil aus Hanf (eine Schnur) wurde in Japan entdeckt und stammt aus der Zeit von ca. 10 000 v. Chr. (Ueda, 2007). In Nordchina wurden ca. 7000 Jahre alte Seile, Schnüre und Netze gefunden (Andersson, 1923), Abdrücke von Geweben stammen aus dem 4. und 5. Jt. v. Chr. In China wurde Hanf zunächst zur Erzeugung von Rauschmitteln und Arzneien eingesetzt, erst später, nachweislich erst im 2. Jt. v. Chr., zur Textilherstellung (Bild 2.18). Auch in Tibet und in Europa gibt es Hinweise auf den Gebrauch von Hanf, vermutlich bereits zur Herstellung von Textilien. Weil Hanf- und Flachsfasern meist nur schlecht erhalten und schwer zu unterscheiden sind, bleibt unklar, ob nicht viele als „Leinen“ identifizierte Stoffe in Wirklichkeit aus Hanf bestehen.

Bild 2.17Funde von Flachstextilien in der Pfahlbausiedlung von Robenhausen, Schweiz (Keller, 1863)

Bild 2.18Erleuchteter chinesischer Gelehrter mit Hanfpflanze (ca. 2700 v. Chr.)

Ramie wird schon seit mehr als 4500 Jahren als Faserlieferant genutzt. Die ältesten Funde stammen aus Ägypten (Mumienbinden), die erste schriftliche Erwähnung aus China (1797 v. Chr., als mehrjähriger Hanf). Dort wurde er zu Schnüren und Geweben verarbeitet. Jute wiederum wird schon seit einigen Tausend Jahren in Indien zur Fasergewinnung, als Gemüsepflanze und für Heilzwecke angebaut.

Weiden- und Lindenbast aus der Rinde der entsprechenden Bäume wurden vor allem zur Herstellung von Körben und Schuhen verwendet, wie zahlreiche Funde, vor allem aus den Pfahlbausiedlungen im Bodenseeraum, zeigen. Linden hatten im Neolithikum in Mitteleuropa einen Anteil von rund 25 % an allen Bäumen. Sie können zur Gewinnung des Bastes beschnitten werden und bilden danach schnell neue Äste.

2.3.2Wolle

Man geht heute davon aus, dass das Schaf nach dem Hund und der Ziege das dritte Wildtier war, das ca. 9000 v. Chr. im sogenannten fruchtbaren Halbmond (Nordosten des Irak, Iran, Anatolien, Süd-Zentralasien) domestiziert wurde. Das Hausschaf (Ovis aries) ist ein Nachkomme der Wildschafe. Diese werden unterschieden in die westlichen Wildschafe (Mufflons) und die Steppenwildschafe (Uriale). Erstere waren vom Balkan bis in die heutige Osttürkei verbreitet, letztere lebten in einem Gebiet, das vom Iran bis nach Nordindien reicht. Wildschafe wurden zunächst vor allem zur Erzeugung von Fleisch, Fett, Milch und Fellen, und erst später von Wolle, gezüchtet (Bild 2.19). Entsprechend entstanden sehr viele verschiedene Phänotypen des Schafs, die wir heute als separate Rassen bezeichnen. Bei fast allen Rassen sind die Tiere heute deutlich kleiner als ihre wilden Vorfahren. Es wurde wohl schon frühzeitig nach der Farbe „Weiß“ selektiert, was die Färbung der Wolle stark erleichtert. Auf Sardinien und Korsika leben heute noch verwilderte Formen dieser ersten domestizierten Schafe, die stark den ursprünglichen Riesenwildschafen ähneln. Mit der Zunahme der Schafhaltung ging eine Veränderung der Landschaft einher (mehr Grasland), was in Deutschland in der Jungsteinzeit begann (Becker et al., 2016).

Bild 2.19Riesenwildschaf (Rufus, 2014)

Schafwolle ist möglicherweise der erste textile Rohstoff, der von Menschen zur Herstellung von Bekleidung verwendet wurde, weil er vergleichsweise einfach zu gewinnen ist. Dabei wurden zunächst aus den gerupften oder geschorenen Haaren Filze hergestellt. Durch die Entwicklung der Spinn- und Webtechnik wurden gewebte Stoffe („Tuche“) erzeugt. Mit der Schafhaltung zur Wollgewinnung änderte sich die Lebensweise der Menschen, denn Wolle kann über große Entfernungen transportiert werden. Daher können Schafe weit außerhalb von Siedlungen in Gegenden gehalten werden, in denen keine Nahrungsmittel angebaut werden können. Man geht aufgrund von erhaltenen Knochen heute davon aus, dass die Zucht von Schafen zur Wollerzeugung mehrmals zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Gegenden „erfunden“ wurde (Schier und Pollock, 2018). Im Laufe der Zeit gelang es dann durch Zucht, die Qualität der Wollfasern erheblich zu verbessern. Während das Haarkleid des Mufflons noch viele grobe Haare aufweist (Durchmesser bis 200 μm), gelang es bis zur Zeitenwende, die groben Haare nahezu komplett zu eliminieren. Dadurch musste die feine Unterwolle nicht mehr durch Zupfen von den groben Haaren getrennt werden. Darüber hinaus gelang es, die Breite der Verteilung der Faserfeinheit erheblich auf einen Mittelwert von ca. 25–40 μm zu verkleinern, je nach Rasse (Bild 2.20).

Nach (Grömer, 2010) ist es denkbar, dass die Erfindung der Schere mit der Wollgewinnung unmittelbar verknüpft ist, weil ab ca. 1000 v. Chr., wohl zuerst in Anatolien (Ryder, 1997), Schafe gezüchtet wurden, die ihre Wolle nicht mehr abwarfen wie die Urschafe, sondern sie kontinuierlich bildeten, was eine Schur erforderlich machte. Die Form der Schere blieb über Jahrtausende unverändert (Bild 2.21).

Bild 2.20Faserdurchmesserverteilung von Mufflon- und Merinowolle (Daten: Ryder, 1997)

Bild 2.21Schafschur mit Schere im 21. Jh. (Yallanish, 2016) und antike Schere aus dem 2. Jh. (Ytrottier, 2006)

Neuesten Forschungsergebnissen zufolge, wurde bereits im ausgehenden 4. Jt. v. Chr. in Mesopotamien Wolle in größeren Mengen verarbeitet. Keilschriften erwähnen für das 3. Jt. Herden von mehreren Tausend Tieren (Becker et al., 2016). Wolle war offenbar zu dieser Zeit das bevorzugte Fasermaterial zur Herstellung von Textilien. Die große Bedeutung, die Kleidung beigemessen wurde, zeigt sich im Gilgamesch-Epos aus dem 2. Jt. v. Chr. Der zunächst unzivilisierte Gefährte des Helden, Enkidu, wird zuerst eingekleidet, und erst danach wird ihm gezeigt, wie man „richtig“ isst und trinkt, als er in das städtische Leben eingeführt wird.

Die wichtigsten Textilzentren in Mesopotamien waren Ur, Laggas und Guabba. Nach Berichten auf Keilschrifttafeln waren dort bis zu 15 000 Weberinnen mit der Erzeugung von Wollstoffen für den königlichen Hof beschäftigt. Dazu wurden Überlieferungen zufolge an einem einzigen Tag 2314 Schafe „gerupft“ (das „Scheren“ wurde erst später erfunden). Die Jahresproduktion belief sich auf rund 500 Tonnen (bei ca. 85 000 Schafen), und der Preis für ein Kilogramm Wolle lag bei 1–4 g Silber, was ca. 0,5–2 € entspricht. Für die Bediensteten am königlichen Hof gab es neben Brot und Bier eine jährliche Wollzuteilung: Männer 1,5–2,0 kg, Frauen 1,0–1,5 kg und Kinder 0,5–1,0 kg (Sallaberger, 2014). Dies führte vermutlich zur Erfindung der Waage, weil Wolle kompressibel und das Gewicht nicht ohne Waage zu bestimmen ist (Büttner, 2018). Auch Steuern wurden zum Teil in Wolle beglichen. Für den Königshof produzierten in eigenen Werkstätten vor allem freie Handwerker, kaum Sklaven. Wollschafe zeigt auch die Friedensseite der Standarte von Ur aus dem 3. Jt. v. Chr. (Bild 2.22), was ihre wirtschaftliche Bedeutung unterstreicht.

Höhlenmalereien in Spanien zeigen, dass dort bereits 3000 v. Chr. Schafe gehalten wurden. Die ältesten Funde von Wollstoffen stammen aus Clairvaux-les-Lacs, Schweiz (2900 v. Chr.), aus Wiesenkathen, Schweiz (2400 v. Chr.) in Form eines verkohlten Gewebes und aus Dänemark, ca. 2300 v. Chr. (Grömer, 2010) und in Form von Wollfäden an einem Feuersteindolch.

In Ägypten ist die Schafhaltung ab der Mitte des 3. Jt. v. Chr. nachweisbar, allerdings wurde auch noch 1000 Jahre später Wolle aus Kleinasien eingeführt und zu Textilien verarbeitet. Schafe galten als heilig, der Gott Amun wurde daher als Widder dargestellt. Dennoch – oder vielleicht deswegen – durften die Statuen von Göttern nicht mit Wollstoffen, sondern nur mit Leinentüchern bedeckt werden, die wiederum mit der Göttin Isis in Verbindung gebracht wurden und als Symbol für „Reinheit“ galten.

In der Frühzeit der archäologischen Forschung an Textilien wurde oft angenommen, dass die Wolle mit anderen, groben Fasern vermischt wurde, um Fäden herzustellen. Dabei wurde übersehen, dass in der Anfangsphase der Schafzucht die Tiere sowohl grobe als auch feine Haare produzierten. Eine Trennung vor dem Verspinnen fand nicht statt, und so gelangten auch grobe Grannenhaare in die Textilien, die oft fälschlich für andere Fasern (z.B. Hanf) gehalten wurden.

Bild 2.22Wollschafe auf der Standarte von Ur (Geni, 2013)

2.3.3Baumwolle

Die Baumwollpflanze (lat.: Gossypium) gehört zur Familie der Malvaceen (Malvengewächse). Sie wurde mindestens viermal unabhängig voneinander domestiziert (Renny-Byfield, 2016): zweimal in Amerika (Gossypium hirsutum und Gossypium barbadense), einmal in Asien (Gossypium arboreum) und einmal in Afrika (Gossypium herbaceum). Baumwolle war bereits um 7000 v. Chr. im Industal bekannt, um 5800 v. Chr. in Mexiko (Tehuacan-Tal), wo ebenfalls die Textilherstellung nachgewiesen ist, und um 2500 v. Chr. in Peru und in Chile. Das älteste bisher gefundene Baumwollgewebe der alten Welt stammt aus Dhuweila (Jordanien) und wird auf ca. 3000–4500 v. Chr. datiert (Betts et al., 1994). Für ein Gewebe aus Baumwolle aus Huaca Prieta (Peru), das mit Indigo gefärbt war, wurde ein Alter von 6000 Jahren bestimmt (Bild 2.23). In Harappa (Pakistan) wurden Reste eines Gewebes aus Baumwolle gefunden, das ca. 2000 v. Chr. hergestellt wurde. In Indien wurde um 1500 v. Chr. Baumwolle mit lokaler Wildseide in Garnen kombiniert (Allchin, 1969). Zwar war die Baumwolle in Ägypten und Nubien bekannt, wie z.B. Darstellungen von Baumwollbüschen am Tempel von Karnak zeigen. Sie wurde aber wohl nicht zur Textilerzeugung eingesetzt, nur die Samen dienten als Tierfutter.

Bild 2.23Geweberest aus Baumwolle aus Huaca Prieta (links: ca. 2500 v. Chr., Daderot, 2012) und (rechts) mit Indigo gefärbtes Baumwollgewebe, ca. 4000 v. Chr. (Foto: Lauren Badams, courtesy of the Huaca Prieta Archaeological Project; Splitstoser et al., 2016)

2.3.4Esparto

Espartofasern wurden aus den Blättern des in Spanien und Nordafrika heimischen Halfabzw. Alfagrases (Stipa tenacissima) gewonnen und schon im 4. Jt. v. Chr. vor allem zur Herstellung von Matten, Körben und Seilen verwendet. Mit einer Ausbeute von 40–50 % war dieses Gras als Faserlieferant sehr attraktiv, und so wurden auch kleinere Körbe in der Grabausstattung von Pharao Tutanchamun (14. Jh. v. Chr.) aus diesem Material hergestellt. Im Süden Spaniens wurden geflochtene Sandalen sowie gewebte Kopfbedeckungen und sogar Tuniken und Halstücher aus Esparto geborgen (Bild 2.24).

Bild 2.24Espartogras (Niehaus, 2005) und Sandalen aus der Höhle von Albunol (Spanien), ca. 4800–5200 v. Chr. (Zaqarbal, 2008)

Espartogras ist bis heute nicht domestiziert, daher wurde das Material nie exportiert und hatte nur in Spanien und Nordafrika lokale Bedeutung.

2.3.5Seide

Die Seide wurde zunächst ausschließlich in China gewonnen. Aus dem 5. Jt. v. Chr. stammt ein Becher aus Elfenbein, in den Seidenraupen eingraviert sind, und in Henan wurden Seidenstoffe aus der gleichen Zeit gefunden (NNA, 2019). Nach einer Sage im chinesischen Geschichtswerk Li-Kin entdeckte Prinzessin Si Ling-chi, die Ehefrau des Kaisers Huangdi, am Anfang des 3. Jt. v. Chr., das Geheimnis der Seidenerzeugung. Danach fiel ihr im Garten ein Kokon in eine heiße Tasse Tee, wobei sich das Serizin, die äußere Schicht des Seidenfadens, löste und die Prinzessin die Seide als Endlosfaden abwickeln konnte, bevor der Seidenspinner ausschlüpfte. Dies war wohl die Voraussetzung, Seide zu verarbeiten, weil Wildseide wegen der Zerstörung des Kokons durch das Ausschlüpfen des Seidenspinners nur aus kurzen Stücken besteht, die sich mit damaligen Werkzeugen nicht verspinnen ließen. Aus derselben Zeit stammt der erste Nachweis der Nutzung von Seide als textiles Rohmaterial in Form eines aufgeschnittenen Kokons. Seidenstoffe wurden von Fronarbeitern produziert und waren ausschließlich dem Adel vorbehalten. Für die Ernährung einer einzigen Raupe werden dabei 23 kg Maulbeerblätter benötigt. Die Puppe wurde – wie auch heute noch – bereits vor dem Schlüpfen getötet. Dadurch konnte aus dem unbeschädigten Kokon ein einziger Faden von ca. 1000 m Länge gewonnen werden. So ließ sich mit der Seide von 100 Raupen ein ca. 25 × 25 cm großes Gewebestück herstellen.

2.3.6Überblick

Die Karte in Bild 2.25 zeigt die Nutzung wichtiger Fasern in Europa und Asien um ca. 3000 v. Chr., bevor Textilien über größere Entfernungen gehandelt wurden. In Mittel- und Nordeuropa waren Flachs, Hanf und Wolle dominierend, letztere vor allem für warme Winterkleidung. In Spanien wurde das nur dort vorkommende Espartogras eingesetzt. In Ägypten wurden vor allem Flachs, das bei hohen Temperaturen eine kühlende Wirkung hat, und – in kleineren Mengen – Ramie verwendet. Die Baumwolle war in Indien ein beliebter Rohstoff, weil sie dort natürlich vorkommt und sehr feine Textilien daraus hergestellt werden können. Die Seide wurde ausschließlich in China und nur von der Oberschicht verwendet, weil nur dort der Seidenspinner kultiviert wurde. Auch Ramie und Hanf waren in China als Fasermaterialien bekannt und wurden vor allem von der ärmeren Bevölkerung genutzt.

Bild 2.25Vorkommen und Nutzung wichtiger Fasern im Neolithikum um ca. 3000 v. Chr. in Europa und Asien (dunkelgrau: Wolle)

2.4Garn- und Zwirnherstellung

Die Forschung geht davon aus, dass das Spinnen eines Fadens in verschiedenen Regionen unabhängig voneinander entwickelt wurde. In Indien wird das erste Garn aus Baumwolle bestanden haben, in Ägypten aus Flachs und in Mesopotamien und Nordeuropa vermutlich aus Wolle. Das Spinnen war bis auf wenige Ausnahmen wohl meistens Frauenarbeit, weil es zu Hause oder auch unterwegs erledigt werden konnte. Bild 2.26 zeigt auf einem Siegel der Uruk-Kultur im rechten Bildteil eine Spinnerin mit Handspindel, bei der der Spinnwirtel oben angeordnet ist.

Bild 2.26Abwicklung eines Uruk-zeitlichen Siegels aus Chagha Mish (Iran), ca. 3300 v. Chr.

Der bisher älteste erhaltene Zwirn wurde in Israel entdeckt und ist rund 19 000 Jahre alt (Nadel et al., 1994). Vermutlich bestand er aus Bastfasern, die genaue Zusammensetzung lässt sich nicht mehr feststellen. In der Höhle von Lascaux, berühmt für ihre Felsmalereien, wurde ein Stück Zwirn aus Bastfasern aus der Zeit von vor ca. 17 000 Jahren entdeckt (Glory, 1959).

Funde in den Pfahlbausiedlungen am Bodensee und in der Schweiz sowie in Ägypten zeigen, dass dort um ca. 3000 v. Chr. Garne aus Flachsfasern hergestellt wurden. Dabei wurden Faserbündel (nicht einzelne Fasern), vermutlich durch Abrollen zwischen Daumen und Zeigefinger, an das bereits bestehende Garnende angedreht, wie experimentelle Untersuchungen zeigten. Typische Garnfeinheiten lagen im Bereich bis 250 tex. Dieses Verfahren war mühselig, und es bestand ständig die Gefahr, dass sich das gerade gebildete Garn wieder auflöste. Der Prozess war nur einsetzbar, wenn die Fasern eine gewisse Länge hatten, was bei Flachs gegeben war, bei der damaligen Wolle hingegen nicht. In Bild 2.27 (links) ist eine ägyptische Spinnerin dargestellt, die mit dieser Methode einen Faden erzeugt. Bild 2.27 (rechts) zeigt ein entsprechendes Garnknäuel aus Flachs, das auf eine Keramikscherbe aufgewickelt wurde, wodurch der Faden transportiert werden konnte. Diese Art von Garnknäuel wurde auch in Italien gefunden. (Gleba et al., 2018) geben einen Überblick zur Spleißtechnologie, also der Verbindung von zwei Garnen miteinander.

Bild 2.27Ägyptische Spinnerin (Spleißmethode, ca. 1900 v. Chr.) und Garnball (ca. 1000 v. Chr.)

Offenbar wurden schon bald rotierende Spindeln eingesetzt, die mit Gewichten beschwert waren, die sogenannten Spinnwirtel. Dadurch wurde der rotierenden Spindel Stabilität verliehen. Diese Technik wurde vermutlich mehrfach und unabhängig voneinander entwickelt, eine Weitergabe dieser Technologie über größere Entfernungen (China, Europa) erscheint unwahrscheinlich. Die ältesten bisher gefundenen Spinnwirtel stammen aus der Zeit von 5800–5200 v. Chr. und wurden in Syrien entdeckt (Rooijakkers, 2012). Durchbohrte Keramikscheiben vom selben Fundort werden auf ca. 7000 v. Chr. datiert und könnten ebenfalls Spinnwirtel darstellen, das ist aber nicht gesichert. In China wurde diese Technik schon um 4500 v. Chr. eingesetzt. Die Spindeln bestanden fast immer aus Holz, in Ausnahmefällen auch aus Metall (Gold, Silber, Bronze). Damit konnten zum einen Fasern an das Garnende einfach angelegt und zum anderen konnte gleichzeitig dem entstehenden Faden Drehung verliehen werden (Bild 2.28, links). Sollten hochgedrehte (feste) Garne erzeugt werden, z.B. als Kettfäden für Gewebe, so wurden dazu kleine Spinnwirtel eingesetzt, die sehr schnell rotieren können. Für weniger hoch gedrehte Fäden (weichere Garne), z.B. als Schussgarne für Gewebe, wurden dagegen breitere Spinnwirtel verwendet, die sich entsprechend langsamer drehen (Bild 2.28, rechts). Der hier verwendete Spinnwirtel aus der Fundstelle Arbon-Bleiche 3 (ca. 3380 v. Chr.) hat ein Gewicht von 21 g und der ersponnene Lindenbastfaden eine Stärke von 0,7 mm (ca. 700 tex).

Je kürzer die Fasern und je feiner das Garn, desto geringer das Gewicht des Spinnwirtels, damit nicht einerseits kurze Fasern wieder aus dem gerade gebildeten Garn herausgezogen werden und andererseits der Faden durch das Gewicht der Spindel nicht reißt. Typische Spindelgewichte für Flachs lagen bei 5 g für feine Fäden und über 100 g für grobe Garne (Bild 2.29). Zur Erzeugung von Wollfäden waren die Spinnwirtel deutlich leichter wegen der geringeren Festigkeit von Wolle. Viele Spinnwirtel wurden kunstvoll verziert. Daher ist es bei kleinen Spinnwirteln oft schwierig, sie von Perlen für Arm- und Halsbänder etc. zu unterscheiden.

Bild 2.28Handspinnprinzip mit Spindel (links) und Spindel mit Garnresten (Foto: Amt für Archäologie Thurgau, Schweiz)

Bild 2.29Spinnwirtel (Todd, 2016)

In Europa und Anatolien wurden Garne immer Z-gedreht, in Ägypten dagegen meist in S-Richtung gesponnen (Bild 2.30). Dies liegt vermutlich daran, dass in Ägypten vor allem Flachs verarbeitet wurde und Flachsfasern die Tendenz besitzen, sich in entspanntem Zustand in S-Richtung zu winden. S-gedrehte Flachsgarne sind dadurch wesentlich stabiler als Z-gedrehte (Bellinger, 1950).

Bild 2.30Z- und S-Drehung bei Garnen (links) und Zwirnen (rechts)

In Ägypten wurde die Spindel über die Hüfte abgerollt und so in Drehung versetzt. Dadurch ergibt sich automatisch eine S-Drehung der Spindel, was für Flachs vorteilhaft ist. Entsprechend waren die Spinnwirtel am oberen Ende der Spindel angebracht. In Europa dagegen wurde die Spindel durch Daumen und Zeigefinger in Drehung versetzt, wodurch sie bei Rechtshändern in Z-Richtung rotierte. Dies ist deutlich einfacher als das Abrollen über die Hüfte. Da in diesen Gebieten viel Wolle versponnen wurde, deren Fasern keine bevorzugte Drehrichtung besitzen, setzte sich diese Technik durch, auch zur Verarbeitung von Flachs und anderen Bastfasern. Entsprechend waren in Europa und dem Nahen Osten die Spinnwirtel im unteren Teil der Spindel befestigt (Barber, 1991). Im Grenzgebiet zwischen diesen Regionen wurden vereinzelt Spindeln mit mittig angebrachten Wirteln gefunden. Am jeweils oberen Ende einer Spindel ist oft eine Kerbe angebracht, um das Garn zu führen, wenn die Drehung eingeleitet wird. Daran ist einfach festzustellen, um welche Art von Spindel es sich handelt. In europäischen Museen werden ägyptische Spindeln oft falsch herum präsentiert (Wirtel unten), was so leicht zu erkennen ist.

Bild 2.31 zeigt links eine ägyptische Spinnerin im Grab von Pharao Amenemhet II. (12. Dynastie), rechts eine elamitische Frau knapp 1000 Jahre später, die beide nach der gleichen Methode im Sitzen Garn erzeugen. Die technologische Entwicklung war zu dieser Zeit offenbar eher langsam.

Bild 2.31Ägyptische Spinnerin (1850 v. Chr.) und elamitische Spinnerin (1. Jt. v. Chr., Rama, 2016)

Eine Besonderheit in Ägypten war, dass die Fasern nicht wie in Europa aus einem sogenannten Rocken gezogen und bei der Garnbildung gleichzeitig verstreckt und gedreht wurden, sondern zunächst ein grobes Garn gebildet wurde (Bild 2.27). Dieses wurde anschließend weiter verstreckt und so fein ausgesponnen.

Mit der Handspindel konnte auch „unterwegs“ gesponnen werden. So berichtet z.B. Herodot vom persischen König Darius, der sich wunderte, als ihm eine Frau in Paeonien entgegenkam, am Arm ein Pferd führend, einen Wasserkrug auf dem Kopf balancierend und gleichzeitig mit der Handspindel ein Garn herstellend. Auch andere Tätigkeiten waren während des Spinnens möglich, wie Bild 2.32 zeigt.

Bild 2.32Vielbeschäftigte Spinnerin und Spinnen mit der Handspindel als Nebentätigkeit (Gegenbaur, 2020)

Die Spindel selbst hing entweder frei oder wurde auf den Boden in einen flachen Behälter gestellt und rollte dann auf dessen Boden ab. Damit konnte vermieden werden, dass das Garn verschmutzt, und das Gewicht des Spinnwirtels hatte keinen Einfluss. (Kemp, 2001) vermutet, dass für die Erzeugung besonders feiner Fäden die Garne in diesen Behältern mit einer Schlichte benetzt wurden, z.B. in Ägypten. Diese Methode wurde noch im 16. Jh. bei den Azteken verwendet (Bild 2.33).

Bild 2.33Spinnen mit Schale bei den Azteken im Codex Mendoza (1541)

InBild 2.34 sind drei ägyptische Spinnerinnen dargestellt. Ganz links sieht man vermutlich eine Auszubildende, die etwas erhöht steht. Die mittlere Spinnerin rollt die Spindel gerade an ihrer rechten Hüfte ab, während die andere Spindel frei rotiert. Es ist davon auszugehen, dass die Abrollbewegung abwechselnd rechts und links durchgeführt wurde, wie es auf anderen Darstellungen zu sehen ist. Die rechte Spinnerin zieht gerade die Spindel zu sich heran, um mehr vorbereiteten Faden aus der Schüssel zu ziehen. Alle Spinnerinnen stellen gleichzeitig zwei Fäden her, was offenbar üblich war. Die Schüsseln mit dem vorgefertigten Garn scheinen vor den Frauen zu stehen, was unpraktisch wäre und daher wohl auf die nicht perspektivische Darstellung zurückzuführen ist. In anderen Bildern stehen die Schüsseln mit dem Vorrat an ungedrehtem Garn hinter den Spinnerinnen, und diese ziehen die Fäden über die Schulter daraus ab. Auch Darstellungen mit männlichen Spinnern sind verbreitet, die Garnherstellung lag also zu dieser Zeit in Ägypten nicht allein in Frauenhand.

Bild 2.34Garn- und Zwirnherstellung im Grab von Baqt III in Beni Hassan, ca. 2100 v. Chr.

Um besonders reißfeste Fäden herzustellen, wurden oft zwei oder mehr Fäden mit Handspindeln miteinander verzwirnt. Z-Fäden wurden in der Regel in S-Richtung verzwirnt (Leuzinger und Rast-Eicher, 2011), S-gedrehte Garne entsprechend in Z-Richtung, was ihre Kringelneigung verringert (Bild 2.30).

Wie praktische Versuche zeigen, reichte es für geübte Handspinnerinnen aus, wenn sie die Spindel ein- bis zweimal pro Minute andrehten (Linder, 1967). Damit konnten, je nach Fadenfeinheit, 20–200 m Garn pro Stunde hergestellt werden bei Drehzahlen von 1200–3600 U/min, je nach Spinnwirtelgewicht. Mit Wolle erzeugten sogar ungeübte Spinnerinnen bis zu 50 m Garn pro Minute, wie (Nosch und Rahmstorf, 2008) in praktischen Versuchen nachwiesen. Die feinsten Fäden lagen in einem Bereich von 12 bis 50 dtex (g/10 km), wie Funde, u.a. aus Indien und Peru, belegen. Weil die Fasern im Neolithikum vor dem Verspinnen nur wenig parallelisiert wurden, lagen sie im Garn nicht hauptsächlich in Achsrichtung vor wie ab der Bronzezeit, sondern wirr (Grömer, 2010). Das verringerte die Garnfestigkeit bzw. erforderte mehr Fasern im Querschnitt zur Erzielung einer vergleichbaren Festigkeit und führte entsprechend zu gröberen Garnen.

Typische Werte aus einem Spinnversuch mit unterschiedlichen Spindeln zeigt die Tabelle in Bild 2.35. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Spinnerin nicht ohne Unterbrechung spinnen kann, weil das Garn zwischendurch manchmal reißt oder andere Störungen (z.B. heimkehrender Mann mit Jagdbeute) auftreten.

Bild 2.35Spinnversuche nach (Linder, 1967)

2.5Weben

Vermutlich aus Geflechten wurden die Gewebe entwickelt. Sie können sowohl rein manuell durch rechtwinkliges Verkreuzen von Fäden erzeugt werden als auch mithilfe technischer Geräte unterschiedlicher Komplexität (Bild 2.36). Bei der Herstellung von Geweben werden zwei Fadensysteme unterschieden: die gespannten Kettfäden, die in der Regel eine höhere Festigkeit besitzen, und die Schussfäden, die zwischen die Kettfäden eingetragen werden. Man unterscheidet schmale Bandgewebe, z.B. für Borten und Gürtel, und normale Gewebe, aus denen Bekleidung hergestellt wurde.

Bild 2.36Einfaches Webgerät (Jaumann, 1938)

2.5.1Bandgewebe

Bandgewebe sind vermutlich die Urform aller Gewebe, weil sie mit einfachen Mitteln herzustellen sind und nur wenig Garnmaterial erfordern. Typischerweise sind solche Bänder 2–15 cm breit und dienten als Riemen, Gürtel, Borten oder als Anfangsstücke breiter Gewebe (siehe unten).

Solche Textilien wurden schon vor rund 3500 Jahren mithilfe des Brettchenwebens hergestellt, wie Funde von Brettchen aus Knochen und Holz in Deutschland zeigen. Noch ältere Funde aus der Zeit um 4500 v. Chr. aus Südosteuropa deuten darauf hin, dass diese Technik sogar noch älter ist, allerdings fehlen entsprechende Textilien aus dieser Zeit, um die Annahme zu bestätigen.

Bild 2.37 zeigt das Grundprinzip des Brettchenwebens. Die Fachbildung erfolgt mithilfe von quadratischen Täfelchen aus Knochen oder Holz, die in jeder Ecke ein Loch aufweisen. Dort wird jeweils ein Kettfaden durchgezogen. So entsteht das Webfach, in das der Schussfaden eingetragen wird. Durch eine Vierteldrehung des Täfelchens werden die Kettfäden anschließend nach unten bzw. oben bewegt, und es entsteht ein neues Fach, in das der nächste Schuss eingetragen wird.

Die Kettfäden werden bei diesem Verfahren sehr dicht nebeneinander angeordnet, sodass der Schussfaden nicht zu sehen ist (Bild 2.38).

Bild 2.37Prinzip der Fachbildung und Musterung beim Brettchenweben (links) und Brettchen (rechts, Mößbauer, 2006)

Bild 2.38Herstellung eines Brettchengewebes (Tsourinaki, 2020)

Mit einer großen Anzahl von Brettchen können sehr komplexe Muster erzeugt werden. Weil durch die Drehung der Brettchen die Kettfäden verdreht werden, sollte die Drehrichtung regelmäßig geändert werden, um ein Kringeln zu vermeiden. Durch diese Notwendigkeit entstehen die typischen Muster, deren Aufbau sich regelmäßig um 180° ändert (Bild 2.39).

Bild 2.39Typische Muster von Brettchengeweben

Beim Brettchenweben werden außer den Brettchen und einem Stock, um den die Kettfäden gewickelt werden, sowie einer Garnspule für den Schuss, keine weiteren Hilfsmittel benötigt (Bild 2.40). Das gesamte Gerät ist leicht transportabel und kann überallhin mitgenommen werden.

Bild 2.40Brettchenweben nach (Salvor, 2014)

Dieses Verfahren wurde in nahezu allen Teilen der Welt eingesetzt und wird bis heute verwendet.