Geschichte Österreichs - Thomas Winkelbauer - E-Book

Geschichte Österreichs E-Book

Thomas Winkelbauer

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Beschreibung

Alles über die Alpenrepublik Die Alpenrepublik hat im Laufe ihrer Geschichte so oft ihre Gestalt verändert wie kaum ein anderes europäisches Land. Im 19. Jahrhundert erreichte Österreich als habsburgischer Vielvölkerstaat seine größte Ausdehnung, doch der Erste Weltkrieg setzte Großmachtambitionen ein Ende. Heute ist Österreich eine moderne Republik im Herzen Europas – und doch politisch immer in Bewegung. »So wechselhaft, wie die Geschichte Österreichs verlaufen ist, so schillert auch dieser Sammelband wie ein buntes Kaleidoskop.« Die Presse E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden. 

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Seitenzahl: 984

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Christian Lackner / Brigitte Mazohl / Walter Pohl / Oliver Rathkolb / Thomas Winkelbauer

Geschichte Österreichs

Herausgegeben von Thomas Winkelbauer

Reclam

5., aktualisierte und erweiterte Auflage

 

2015, 2020, 2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Favoritbuero

Coverabbildung: © shutterstock.com

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962294-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011500-8

www.reclam.de

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Vorwort zur zweiten Auflage

Vorwort zur fünften Auflage

Einleitung: Was heißt »Österreich« und »österreichische Geschichte«?Von Thomas Winkelbauer

Formen und Wandlungen des Österreichbegriffs

Ostarrîchi – Austria

Das Land Österreich und das Land ob der Enns (Oberösterreich)

»Herrschaft zu Österreich« und »Haus Österreich«

Die österreichischen Ländergruppen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit

Der Österreichische (Reichs-)Kreis

Monarchia Austriaca (Österreichische Monarchie) und Kaisertum Österreich

Die Österreichisch-Ungarische Monarchie

Von der Ersten zur Zweiten Republik

Zur Frage des räumlichen Umfangs der österreichischen Geschichte

Von der römischen Herrschaft bis zur Karolingerzeit (15 v. Chr. bis 907)Von Walter Pohl

Epochenüberblick

Die Römerzeit im Raum des heutigen Österreich

Der Zerfall der römischen Ordnung

Awaren, Slawen und Bayern

Die Karolingerzeit

Die Länder und das Reich (907–1278)Von Christian Lackner

Epochenüberblick

Am Rande Bayerns: Herzogtümer, Marken und Grafschaften

Investiturstreit und Kirchenreform

Neue Ordnungen – Die Entstehung der Länder

Österreich

Steiermark

Kärnten

Tirol

Salzburg

Land ob der Enns (Oberösterreich)

Ein Königreich für die Babenberger?

Im Zeichen des böhmischen Löwen: König Ottokars Glück und Ende

Gesellschaft im Aufbruch

Vom Herzogtum Österreich zum Haus Österreich (1278–1519)Von Christian Lackner

Epochenüberblick

Dynastien und Länderverbindungen

Die Habsburger als Herzöge von Österreich und der Steiermark

Die Meinhardiner, Herzöge von Kärnten und Grafen von Tirol

Die Formierung der österreichischen Erblande (1335–1365)

Dynastische Teilungen (1365–1439)

Der lange Weg zurück zur dynastischen Einheit (1439–1490)

Salzburg: ein geistliches Territorium im Spannungsfeld zwischen Habsburgern und Wittelsbachern

Die große Krise und ihre Überwindung: Wirtschaft und Gesellschaft im Spätmittelalter

Österreich im Zeitalter Maximilians I. (1490/93–1519)

Die Habsburgermonarchie vom Tod Maximilians I. bis zum Aussterben der Habsburger in männlicher Linie (1519–1740)Von Thomas Winkelbauer

Epochenüberblick

Die Entstehung der Habsburgermonarchie

Die Anfänge der Herrschaft Ferdinands I. in den österreichischen Ländern

Die Herrschaftsübernahme Ferdinands I. in den böhmischen Ländern

Ungarn: Von der doppelten Königswahl zur Dreiteilung des Landes

Die Länderteilungen der Jahre 1564 bis 1619 bzw. 1665

Die Habsburgermonarchie auf dem Weg zur europäischen Großmacht

Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648)

Kriege in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

Der Spanische Erbfolgekrieg

Die Pragmatische Sanktion

Vorboten des theresianisch-josephinischen Reformabsolutismus

Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich

Kaiser und Reich

Das »Reich« und »Österreich« zwischen 1648 und 1740

Die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich

Krieg und Frieden

Das Osmanische Reich – Feindbild und Vorbild

Die Kroatisch-Slawonische Militärgrenze

Das Grenzverteidigungssystem in West- und Oberungarn

Die Militärgrenze im 18. Jahrhundert

Reformation und Gegenreformation

Tirol

Innerösterreich

Österreich unter und ob der Enns

Böhmen und Mähren

Schlesien

Salzburg

Ungarn

Siebenbürgen

Kroatien

»Österreichische Aristokratie« und »Österreichische Frömmigkeit«

Politische und soziale Konflikte

Adeliges Widerstandsrecht und Ständebündnisse

Überregionale Bauernaufstände

Kaiserhof und Landstände

Stadt und Land

Vom Tod Karls VI. bis zum Wiener Kongress (1740–1815) Von Brigitte Mazohl

Epochenüberblick

Die europäische Stellung der Monarchia Austriaca vom Tod Karls VI. bis zum Wiener Kongress

Österreichische Erbfolgekriege und Schlesische Kriege (1740–1756)

Renversement des Alliances und Siebenjähriger Krieg

Die Außenpolitik Josephs II. bis zur Französischen Revolution

Das Reich und Österreich vor den Herausforderungen der Französischen Revolution

Die erste Koalition und die preußisch-österreichischen Eigeninteressen

Neuerliche Entscheidung für den Krieg: die zweite Koalition

Von der »territorialen Revolution« bis zum Ende des Alten Reiches: die dritte Koalition

Die Phase der »Befreiungskriege«: Die vierte und fünfte Koalition

Die sechste Koalition und das Ende Napoleons

Von der »monarchischen Union von Ständestaaten« zum Kaisertum Österreich

Verwaltungsreform als Umbau der Verfassung

Die Vereinheitlichung des Rechts

Die Bildungsreform

Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche

Die Entdeckung von »Gewerbefleiß und Industrie«

»Fürstliche Kammer« und »Peuplierung«

Die bessere Nutzung der Arbeitskraft

Der Ausbau von Verkehrswegen

Die österreichische Signatur des »Zeitalters der Aufklärung«

Facetten von Aufklärung in den österreichischen Ländern

Katholische Aufklärung

Aufklärungsimpulse in den Künsten

Die Zeit zwischen dem Wiener Kongress und den Revolutionen von 1848/49Von Brigitte Mazohl

Epochenüberblick

Österreich als konservative Großmacht

Wirtschaftliche Veränderungen und sozialer Wandel

Biedermeierkultur und bürgerliche Öffentlichkeit

Die Habsburgermonarchie 1848–1918Von Brigitte Mazohl

Epochenüberblick

Ein »lebender Anachronismus«? Die innere Entwicklung der Habsburgermonarchie bis zum Ersten Weltkrieg

Die Revolutionsjahre 1848/49

Die Neugestaltung des Staates im Neoabsolutismus und der Weg zum Verfassungsstaat

Die liberale Ära

Die konservative Ära: die Regierung Taaffe (1879–1893)

Die Jahre der Krise (1894–1914)

Großmacht in Bedrängnis: Die Habsburgermonarchie und Europa

Der Nationalstaat als Leitidee des Jahrhunderts I: Das italienische Risorgimento im Kampf gegen die Habsburgermonarchie

Der Nationalstaat als Leitidee des Jahrhunderts II: Der Deutsch-Deutsche Krieg, das Ende des Deutschen Bundes und die deutsche Nationalstaatsgründung

Österreich-Ungarn und der europäische Imperialismus

Der Weg in die Katastrophe und das Ende der Monarchie

Industrialisierung, Massengesellschaft und soziale Konflikte

Bildungsrevolution, Kunst und Kultur

Die Bildungsrevolution

Kunst und Kultur

Erste Republik, Austrofaschismus, Nationalsozialismus (1918–1945)Von Oliver Rathkolb

Epochenüberblick

»Der Staat wider Willen« (1918–1938)

Rückwärtsgewandter Anfang – Demokratie in Österreich 1918/19

Militarisierung durch Privatarmeen

Das »Wendejahr« 1927

Kulturelle Gegensätze und parteipolitische Barrikaden

Zerstörung der Demokratie 1933

Zweifacher Bürgerkrieg 1934

Erodierende Diktatur und der aggressiv »schleichende« Anschluss

Kurzer demokratischer Frühling und der »Anschluss« 1938

Österreicherinnen und Österreicher im nationalsozialistischen Deutschen Reich, 1938–1945

Opfer des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges

Täter oder Opfer? Österreicher im »Dritten Reich«

Folgen der Vertreibung bzw. Vernichtung von Österreicherinnen und Österreichern jüdischer Herkunft

Konzentrationslager, Euthanasie und Zwangsarbeit

Österreicher in der Wehrmacht

Österreichischer Widerstand

Die Zweite Republik (seit 1945)Von Oliver Rathkolb

Epochenüberblick

Staatliche Souveränität auf Raten (1945–1955)

Kriegsende 1945 und Wiederaufbau

Entnazifizierung am Beispiel des verpassten Neubeginns in den Schulen

Große Koalition und Sozialpartnerschaft (1955–1966): Von der Konkordanzdemokratie zur Konkurrenzdemokratie

Die Ära der Alleinregierungen. Von Klaus zu Kreisky (1966–1983)

Die Erosion der großen politischen »Lager« (1983–2006)

Die Fortsetzung der Großen Koalition nach »schwarz-blauer« Mitte-Rechts-Koalition (2006–2016)

Von alliierter Kontrolle und Kaltem Krieg zu Staatsvertrag und Neutralität

Wirtschaftswunder, Wiederaufbau und die Sozialpartnerschaft

Internationalität als Staatsdoktrin und Zukunftsaufgabe

Spezifika der Zweiten Republik

Wirtschaftswunder

Medienmonopole

Kanzler aus den beiden Großparteien

Internationale Stellung

Kulturgroßmacht gegen die Moderne

Sportgroßmacht

Werte

Wohlfahrtsstaat

Vergangenheitspolitik

Vom Asyltransitland zum Einwanderungsland wider Willen

Die Nationalratswahlen 2017

Wahl Alexander Van der Bellens zum Bundespräsidenten, Angelobung und Platzen der türkis-blauen Regierungskoalition, Neuwahlen, türkis-grüne Bundesregierung (2016–2020)

Die »Ibiza-Affäre«, die Nationalratswahlen 2019 und die neue türkis-grüne Koalitionsregierung

Die türkis-grüne Bundesregierung und die Covid-19-Pandemie

Anhang

Stammtafeln

Verzeichnis der Karten

Literaturhinweise

Allgemein

Zu den einzelnen Kapiteln

Ortsnamenkonkordanz

Zur Autorin und zu den Autoren

Vorwort des Herausgebers

»Nach 1918 bedeutet Österreich etwas wesentlich anderes als vorher.« Diesen auf den ersten Blick banalen, für jemanden, der eine Geschichte Österreichs schreiben will, aber fundamentalen Satz formulierte der dem autoritären »Ständestaat« eng verbundene, in spezifischer Weise gleichzeitig großdeutsche und großösterreichische Historiker und Melker Benediktinerpater Hugo Hantsch 1933 in einem Vortrag im Rahmen der Salzburger Hochschulwochen. Im Bürgerkriegsjahr 1934 bezeichnete er Österreich pathetisch als »das übriggebliebene Fundament des alten Baues«, »das pulsierende Herz eines zerschlagenen Körpers«, und 1937 ging er im Vorwort zum ersten Band seiner Geschichte Österreichs davon aus, dass »der Österreicher« 1918/19 (von Gott? von der Geschichte?) »als Universalerbe« der Habsburgermonarchie »eingesetzt« worden sei »und daß er damit zwar einen reichen Schatz gefunden, doch freilich auch die Verpflichtung übernommen habe, ihn redlich und tapfer zu hüten«. Wie dem auch sei: Der mit dem Namen Österreich bezeichnete geographische und politische Raum hat sich zwischen dem 10. und dem 19. Jahrhundert jedenfalls stark verändert und insgesamt gewaltig vergrößert. 1918 wurde er mit einem Schlag auf das Territorium eines der Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns reduziert.

Einige der Probleme, vor die sich die Autoren einer Geschichte Österreichs gestellt sehen, erhellen aus einem Vergleich mit der Geschichte Bayerns. Die Bayern haben das Epochenjahr 1918 ohne radikalen Bruch in ihrem historisch fundierten Landesbewusstsein durchlebt. Der territoriale Ausgangspunkt und Kern jeder Darstellung der bayerischen Geschichte ist das große, seit dem 6. Jahrhundert bestehende Herzogtum der Bayern, aus dem im Laufe der Jahrhunderte so bedeutende Teile wie die später von den Habsburgern beherrschten Länder Österreich und Steiermark (habsburgisch seit 1282), Kärnten und Krain (unter habsburgischer Landesherrschaft seit 1335), Tirol (habsburgisch seit 1363) und Salzburg (Bestandteil der Habsburgermonarchie von 1805 bis 1809 und seit 1816) ausgeschieden sind und aus dem das (im Spätmittelalter in mehrere Teilherzogtümer aufgeteilte) Territorialherzogtum und spätere Kurfürstentum der Wittelsbacher hervorgegangen ist, dem 1621 die Oberpfalz und 1777 die Kurpfalz angegliedert wurden. Das 1806 geschaffene Königreich Bayern wurde um zahlreiche ehemals reichsunmittelbare Territorien, Städte etc. in Schwaben und Franken vergrößert. Wenn man von den 1504 zu Tirol gekommenen altbayerischen Städten Rattenberg, Kufstein und Kitzbühel und dem 1779 als Innviertel an das Land Österreich ob der Enns angeschlossenen Gebiet absieht, ist Bayern in der Neuzeit in mehreren Etappen gewachsen. 1919 wurde aus dem Königreich Bayern – territorial unverändert – ein konstitutioneller Freistaat im Rahmen der Weimarer Republik, der 1933 zu einer gleichgeschalteten Verwaltungseinheit des Deutschen Reiches gemacht wurde. 1945 wurde der bayerische Staat wiedererrichtet, und die im Dezember 1946 proklamierte Verfassung des Freistaats Bayern beruft sich in der Präambel auf die »mehr als tausendjährige Geschichte« des »bayerischen Volkes«, was sich freilich nur auf Altbayern beziehen kann (und ein seit fast eineinhalb Jahrtausenden existierendes »bayerisches Volk« hypostasiert). Bayern hat jedenfalls als Land der Bundesrepublik Deutschland rechtlich in etwa die gleiche Stellung wie seinerzeit in der Weimarer Republik und im Wesentlichen dieselben Grenzen wie bis 1918 innerhalb des Deutschen Kaiserreichs.

Österreich hingegen, verstanden als Österreich-Ungarn bzw. dessen westlicher Teilstaat (»Cisleithanien«), hat den Ersten Weltkrieg nicht überlebt. Es hatte durch die Kriegserklärung an Serbien den Ersten Weltkrieg als ein Staat ausgelöst, der sich im Zeitalter des Nationalismus und der Ausbildung von Nationalstaaten – z. B. des deutschen Kaiserreichs unter Einschluss des Königreichs Bayern – aus einem vielsprachigen allmählich in einen multinationalen Staat verwandelt hatte. In den Augen eines Teils der groß- und kleinstädtischen Eliten seiner Nationen war Österreich-Ungarn zunehmend zu einem unzeitgemäßen Gebilde geworden, einer Art lebendem Anachronismus. Allerdings dachten vor 1917/18 wahrscheinlich nur kleine Gruppen politischer Aktivisten ernsthaft an eine Aufteilung der Habsburgermonarchie in souveräne Nationalstaaten, die infolge der nationalen Gemengelage in der Praxis vielfach selbst nichts anderes als ebenfalls multinationale Staaten sein konnten und Ende 1918 auch tatsächlich wurden.

Heute, rund 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie, sehen sich Historiker und Historikerinnen Österreichs in viel radikalerer Weise mit der Frage nach dem räumlichen Substrat ihrer Arbeit konfrontiert als Historiker Bayerns. Im vorliegenden Buch wird unter »Österreich« für die Zeit vor 1918 in etwa jener Raum verstanden, der von einem oder mehreren auf dem Boden der heutigen Republik Österreich gelegenen politischen, ökonomischen und kulturellen Zentren aus beherrscht oder jedenfalls maßgeblich beeinflusst wurde, wobei aus pragmatischen Gründen das heutige Staatsgebiet überrepräsentiert ist, also beispielsweise Niederösterreich, Tirol und die Steiermark stärker berücksichtigt werden als etwa Krain, Böhmen und Ungarn. Die von Brigitte Mazohl und dem Unterzeichneten verfassten Abschnitte können auch als Versuch einer problemorientierten Erzählung der Geschichte der Habsburgermonarchie (1526–1918) gelesen werden, wobei ein Schwerpunkt auf den österreichischen Ländern im engeren Sinn liegt und die anderen Teile der Monarchie vor allem im Hinblick auf ihre Beziehungen zu diesen und zum Wiener Zentrum berücksichtigt sind bzw. soweit es zum Verständnis der Monarchie als Ganzes notwendig ist. Die von Walter Pohl und Christian Lackner beigesteuerten Kapitel sind in erster Linie der Vorgeschichte, Entstehung und Entwicklung der österreichischen Länder und der Geschichte ihrer Bewohner im Mittelalter gewidmet. Die von Oliver Rathkolb verfassten Abschnitte bieten einen Abriss der Geschichte der Ersten und der Zweiten Republik Österreich sowie der »Ostmark« bzw. der »Alpen- und Donau-Reichsgaue« in der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus.

Es ist mir ein Bedürfnis, vor allem der Mitautorin und den Mitautoren des Bandes herzlich für die Beteiligung an diesem Projekt sowie für kritische Kommentare zu einer früheren Fassung dieses Vorworts und der Einleitung zu danken. Möge diese handliche »Geschichte Österreichs« ihren Zweck als solide, von Fachleuten für die einzelnen Epochen verfasste, ohne spezielle Vorkenntnisse verständliche, aber die nun einmal existierende Komplexität nicht über Gebühr reduzierende Überblicksdarstellung erfüllen und bei Leserinnen und Lesern nicht nur in Österreich wohlwollendes Interesse finden.

Wien, im Frühling 2015 Thomas Winkelbauer

Vorwort zur zweiten Auflage

Erfreulicherweise ist bereits nach einem knappen Jahr eine zweite Auflage dieser von vier Autoren und einer Autorin verfassten Geschichte Österreichs notwendig geworden. Sie unterscheidet sich von der ersten durch eine Reihe von Korrekturen und einige Ergänzungen, eine erweiterte und aktualisierte Fassung des letzten Abschnitts (»Vom Asyltransitland zum Einwanderungsland wider Willen«), zwei neue Stammtafeln (um genau zu sein: eine Stammtafel und eine Nachfahrentafel) sowie ein paar Ergänzungen in den Literaturhinweisen.

Die zweite Auflage erscheint etwa gleichzeitig mit dem 100. Geburtstag Erich Zöllners (1916–1996) am 25. Juni, des Autors der nach wie vor ausgewogensten, kompaktesten und homogensten einbändigen Geschichte Österreichs, die zwischen 1961 und 1990 in insgesamt acht Auflagen erschienen ist. Abgesehen von den in den einzelnen Auflagen jeweils angefügten Kapiteln und abgesehen von dem Umstand, dass Zöllners Geschichte Österreichs seit längerer Zeit nicht mehr lieferbar ist, ist ihr Text mittlerweile 55 Jahre alt und entspricht daher naturgemäß nicht mehr in allem dem heutigen Forschungsstand. Manche Themenbereiche sind bei Zöllner ausführlicher behandelt als im vorliegenden Buch, andere, die in der jeweiligen Epoche wesentlich waren, werden hier eingehender beleuchtet als in Zöllners klassischer Darstellung, manches werden Kenner in unserem Buch vermissen oder sich ausführlicher berücksichtigt wünschen. Wer die Muße dafür hat, dem empfehle ich, beide Werke nebeneinander zu lesen. Diese Auflage sei jedenfalls dem großen österreichischen Historiker, Humanisten und Menschenfreund Erich Zöllner in dankbarer Erinnerung gewidmet.

Wien, im Mai 2016 Thomas Winkelbauer

Vorwort zur fünften Auflage

Die vier Jahre nach der vierten Auflage erscheinende fünfte Auflage enthält ein neues, die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen der Jahre 2020 bis 2023 zusammenfassendes Schlusskapitel, einige Ergänzungen im Unterkapitel über die Revolutionsjahre 1848/49 sowie kleine Verbesserungen und Retuschen in anderen Kapiteln. Die Literaturhinweise zu sämtlichen Kapiteln wurden um wichtige Neuerscheinungen ergänzt. Möge der Band an der Geschichte Österreichs Interessierten weiterhin als zuverlässiger Wegweiser dienen.

Wien, im Frühling 2024 Thomas Winkelbauer

Einleitung: Was heißt »Österreich« und »österreichische Geschichte«?Von Thomas Winkelbauer

Formen und Wandlungen des Österreichbegriffs

Ostarrîchi – Austria

Die Bayern nannten, wie es scheint, gegen Ende des 10. Jahrhunderts den östlichsten Bereich ihres Herrschaftsgebietes in der Volkssprache Ostarrîchi. In den Jahrzehnten nach dem Sieg Ottos I. auf dem Lechfeld bei Augsburg gegen die Magyaren (955) war das durch die bayerische Niederlage bei Pressburg (907) verlorengegangene Gebiet östlich der Enns zum Teil zurückgewonnen worden. Unter dem Markgrafen Burkhard und nach dessen Absetzung (976) unter den ersten Markgrafen aus dem Geschlecht der Babenberger wurde zwischen Enns und Tulln die bayerische »Mark an der Donau« eingerichtet und Schritt um Schritt nach Osten, Norden und Süden erweitert. In einer Urkunde Kaiser Ottos III. für das Bistum Freising, die das Datum 1. November 996 trägt und sich heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München befindet, wurde dem Freisinger Hochstift die Schenkung von Besitztümern in Neuhofen an der Ybbs (bei Amstetten im heutigen niederösterreichischen Mostviertel) verbrieft. Zur Lagebestimmung der Schenkung und der Ortschaft bedient sich die Urkunde der Formulierung »in der Gegend, die in der Volkssprache Ostarrîchi heißt, in der Mark und in der Grafschaft des Grafen Heinrich, des Sohnes von Markgraf Leopold« (»in regione vulgari vocabulo Ostarrichi in marcha et in comitatu Heinrici comitis, filii Liutpaldi marchionis«). Die Textierung der Urkunde beruht auf einer Vorlage, die Kaiser Otto II. 973 für die Freisinger Kirche ausgestellt hatte. Das im heutigen Slowenien gelegene Gut, dessen Schenkung mit dieser Vorbild-Urkunde verbrieft wurde, wird in der Urkunde als »in regione vulgari vocabulo Chreine« gelegen lokalisiert (»in der Gegend, die in der Volkssprache Krain [d. h. Grenzland] heißt«). Als das Bistum Freising 23 Jahre später wieder eine Kaiserurkunde erbat, um den in Neuhofen geschenkten Besitz rechtlich abzusichern, nahm der mit dem Verfassen der sogenannten Empfängerausfertigung betraute Freisinger Schreiber das Diplom von 973 als Vorlage – und ersetzte Chreine durch Ostarrichi. Allmählich entwickelte sich aus der Gegendbezeichnung Ostarrîchi der Name der bayerischen Mark an der Donau.

1156 wurde »Österreich«, die bayerische Mark an der Donau, von Kaiser Friedrich I. Barbarossa vom Herzogtum Bayern losgelöst und zu einem selbständigen Herzogtum erhoben. In der diese Erhebung dokumentierenden Urkunde (Privilegium minus) bezeugte der Kaiser, dass er die Mark Austria in ein Herzogtum verwandelt habe (»marchiam Austrie in ducatum commutavimus«). Das erste eindeutige Quellenzeugnis für die Verwendung des lateinischen Landesnamens Austria stellt eine am 25. Februar 1147 ausgestellte Urkunde König Konrads III. für das Chorherrenstift Klosterneuburg dar, in der dem Stift unter anderem Besitz bestätigt wird, der ihm von den Markgrafen von Österreich (»Austrie marchionibus«) geschenkt worden war. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts setzte sich Austria als lateinischer Landesname Österreichs durch.

Das Land Österreich und das Land ob der Enns (Oberösterreich)

Während der Herrschaft der Babenberger (976–1246) wurde Österreich nicht nur zu einem Herzogtum, sondern auch zu einem Land, das heißt, mit den klassischen Worten des österreichischen Historikers Otto Brunner in seinem Buch »Land und Herrschaft« (1939), »eine Rechts- und Friedensgemeinschaft […], die durch ein bestimmtes Landrecht geeint ist« und deren Träger »das Landvolk« ist, »die Landleute, die den politischen Verband des Landes bilden«. Ausgehend von den adeligen Landleuten entwickelten auch andere Bewohner des Landes ein Landesbewusstsein als Österreicher. Spätestens seit 1230 repräsentierte das Landeswappen des rot-weiß-roten Bindenschildes die rechtliche und politische Einheit des Landes Österreich.

Die im Laufe des 12. und des frühen 13. Jahrhunderts von den Babenbergern erworbenen Gebiete westlich der Enns im heutigen Oberösterreich unterstanden vielleicht schon unter den letzten Babenbergern einem eigenen Landrichter (iudex provincialis), der dann in der Zeit der Herrschaft des böhmischen Königs Prěmysl Otakar II., der in den Jahren um 1270, am Höhepunkt seiner Macht, auch Landesherr der Herzogtümer Österreich, Steiermark und Kärnten, der Markgrafschaft Krain und der Windischen Mark war, bezeugt ist. Als Landesname für das Gebiet westlich der Enns und nördlich der Donau (im heutigen Mühlviertel) setzte sich »Land ob der Enns« durch. Endgültig besiegelt wurde die Teilung des (Erz-)Herzogtums Österreich in zwei Länder aber wohl erst durch die Herrschaftsteilung des Jahres 1458, bei der Kaiser Friedrich III. Österreich unter der Enns mit der Residenzstadt Wien und sein Bruder Albrecht VI. das Land ob der Enns mit der Residenzstadt Linz erhielt.

»Herrschaft zu Österreich« und »Haus Österreich«

Mit der seit der Zeit um 1300, also seit den ersten Jahrzehnten der Herrschaft der Habsburger in Österreich und der Steiermark, belegten Formulierung »Herrschaft zu Österreich« konnten (1.) die aus dem Südwesten des Reichs stammende Dynastie selbst, die sich nach ihrem neuen Hauptland nannte, gemeint sein, (2.) die Summe ihrer Herrschaftsrechte und (3.) alle Länder und Herrschaftsgebiete der Habsburger. Seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde das Geschlecht der Habsburger sowohl von Angehörigen des Hauses selbst als auch von anderen als »Haus Österreich« (domus Austriae) bezeichnet. Dieser dynastische Begriff setzte sich bald auch in verschiedenen europäischen Sprachen durch (franz. Maison d’Autriche, ital. Casa d’Austria, span. Casa de Austria, engl. House of Austria).

Die Bezeichnung »Erzhaus« für die Dynastie der Habsburger bürgerte sich erst nach der reichsrechtlichen Bestätigung des – im Auftrag von Herzog Rudolf IV. 1358/59 gefälschten – Privilegium maius durch Friedrich III. 1442 (als König) und 1453 (als vom Papst gekrönter Kaiser) ein.

Die österreichischen Ländergruppen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit

Es gab zwei längere Perioden der Teilung der Herrschaft über die »altösterreichischen« Länder, die erste im Spätmittelalter und die zweite in der Frühen Neuzeit. Basierend auf mehreren dynastischen Verträgen (beginnend mit dem Vertrag von Neuberg an der Mürz 1379) entstanden drei Ländergruppen, die schließlich 1490/1493 in der Hand Maximilians I. wieder vereinigt wurden. 1564 bis 1619 bzw. 1665 kam es nach dem Tod Kaiser Ferdinands I. erneut zu einer Drei- bzw. Zweiteilung der österreichischen Länder.

Die Bezeichnungen der Ländergruppen schwankten. Als »niedere Lande«, später »niederösterreichische Lande« (»Niederösterreich«), wurden Österreich unter und ob der Enns und von 1490 bis 1564 überdies auch die Steiermark, Kärnten, Krain, Görz und die habsburgischen Besitzungen an der Adria bezeichnet. Die Hauptstadt dieser Ländergruppe war Wien. »Innere Lande«, später »innerösterreichische Lande« (»Innerösterreich«), war die Sammelbezeichnung für die Steiermark, Kärnten, Krain, Görz etc. mit der Hauptstadt Graz. Als »obere Lande« oder »oberösterreichische Lande« (»Oberösterreich«) wurden Tirol und die westlich des Arlbergs gelegenen Vorlande bezeichnet (Hauptstadt: Innsbruck). »Vordere Lande«, »Vorlande« oder »vorderösterreichische Länder« (»Vorderösterreich«) schließlich war im weiteren Sinn die Bezeichnung für die habsburgischen Länder und Herrschaften westlich des Arlbergs. Der Verwaltungsmittelpunkt der Vorlande war Ensisheim im Sundgau. Als 1648 infolge des Westfälischen Friedens der Sundgau an Frankreich verlorenging, wurde der Regierungssitz nach Freiburg im Breisgau verlegt. Die habsburgische Herrschaft in den vorderösterreichischen Gebieten im engeren Sinn (Breisgau, Oberelsass) und Schwäbisch-Österreich endete während der Napoleonischen Kriege (Friede von Pressburg 1805).

Spätestens seit den Staats- und Verwaltungsreformen in der Habsburgermonarchie um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde es üblich, die österreichischen und die böhmischen Erblande, die ja (letztere nur mit Einschränkungen) bis zu dessen Auflösung 1806 zum Heiligen Römischen Reich (deutscher Nation) und von 1815 bis 1866 zum Deutschen Bund gehörten, als »deutsche Erblande« zu bezeichnen. Zu den »ungarischen Erblanden« (Erblande der Habsburger waren sie seit 1687) gehörten das Königreich Ungarn im engeren Sinn, die ihm inkorporierten Königreiche Kroatien und Slawonien sowie das Großfürstentum Siebenbürgen.

Der Österreichische (Reichs-)Kreis

Das Heilige Römische Reich, dessen oberste Lehensherren (Kaiser bzw. Könige) von 1438 bis 1740 ohne Unterbrechung Habsburger und von 1745 bzw. 1765 bis 1806 Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen waren, wurde auf den Reichstagen von 1500 und 1512 in Kreise gegliedert. Seit 1512 gab es auch einen Österreichischen Kreis, zu dem neben den österreichischen Ländern auch sogenannte »Kreismitstände« gehörten, insbesondere die Fürstbischöfe von Trient und Brixen, aber auch die Bischöfe von Gurk, Seckau und Lavant, die Landstände der Steiermark und Kärntens waren, sowie die Deutschordensballeien »Österreich« und »An der Etsch und im Gebirge«, die in Österreich bzw. in Tirol landsässig waren, später auch einige der im 17. Jahrhundert installierten »neuen« Reichsfürsten, insbesondere die Eggenberg und die Dietrichstein. Die böhmischen Länder (Böhmen, Mähren, Schlesien und die beiden Lausitzen) waren mit dem Heiligen Römischen Reich nur durch den böhmischen König in seiner Funktion als ranghöchster weltlicher Kurfürst verbunden und verblieben daher außerhalb der Kreiseinteilung. Das Erzstift Salzburg gehörte zum Bayerischen Reichskreis, und als die Landeshoheit über die Reichsgrafschaft Hohenems um 1765 an Österreich fiel, verblieb die Grafschaft weiterhin beim Schwäbischen Kreis.

Monarchia Austriaca (Österreichische Monarchie) und Kaisertum Österreich

Die spanischen Königreiche, Länder und Herrschaften waren schon seit längerem als Monarchia Hispanica bezeichnet worden, als parallel dazu um 1700 die Bezeichnung Monarchia Austriaca (»Österreichische Monarchie«) aufkam. Zum Beispiel finden sich in dem Testament, das der künftige Kaiser Karl VI. als König Karl III. von Spanien am 26. September 1711 in Barcelona aufstellte, bevor er zur Kaiserkrönung nach Frankfurt am Main aufbrach, beide Bezeichnungen nebeneinander. Es war also »der Wiener Hof und somit die Politik, die den Begriff um 1700 aus dem Spanischen herüberholte« (Grete Klingenstein).

Der erste bekannte Beleg für den Begriff »Österreichische Monarchie« oder eigentlich »Monarchie des Hauses Österreich« ist der Titel eines 1673 in Prag erschienenen Buches, Johann Jakob von Weingartens Fürstenspiegel oder Monarchia deß Hochlöblichen Ertzhauses Oesterreich. In den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts, also etwa dreißig Jahre nach dem Beginn der maria-theresianischen Staatsreform, kam der Wandel des Begriffs »Österreichische Monarchie« von einer dynastischen Herrschaftsbezeichnung zu einer Territorial- bzw. Staatsbezeichnung zu einem Abschluss. Der Wiener Arzt Heinrich Johann von Crantz dürfte der erste gewesen sein, der den Begriff in seinem 1777 publizierten Werk Gesundbrunnen der österreichischen Monarchie, einem Verzeichnis von 656 Badeorten mit Erläuterungen, in einem gedruckten Buch im territorialen Sinn verwendete.

Napoleons Krönung zum erblichen Kaiser der Franzosen zeichnete sich bereits ab, als am 11. August 1804 durch ein kaiserliches Patent verkündet wurde, dass Kaiser Franz II. den Titel eines erblichen Kaisers von Österreich (Franz I.) angenommen habe. Zwei Jahre später, am 6. August 1806, liquidierte Kaiser Franz die römische Kaiserwürde, indem er die Niederlegung der »deutschen« Kaiserkrone proklamierte. Im staatsrechtlichen Sinn war erst in den Verfassungsentwürfen von 1848 und 1849 von einem »Kaisertum Österreich« und einem »österreichischen Kaiserstaat« die Rede (»Verfassungs-Urkunde des österreichischen Kaiserstaates« vom 25. April 1848, »Reichsverfassung für das Kaiserthum Oesterreich« vom 4. März 1849). Immerhin bezeichnete bereits Clemens Lothar Fürst Metternich, der maßgebliche österreichische Staatsmann des Vormärz, das komplexe Staatswesen auch kurz als »Kaiserstaat«, »(österreichische) Monarchie« und »österreichischen Staat«.

Die Österreichisch-Ungarische Monarchie

Die Politik des Neoabsolutismus nach der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 mit ihrem primären Ziel der Schaffung eines alle Länder des Hauses Habsburg bzw. Habsburg-Lothringen umfassenden, zentral von Wien aus regierten Kaisertums Österreich scheiterte schließlich vor allem infolge militärischer Niederlagen und der daraus resultierenden schweren Krise der Staatsfinanzen und wurde ab 1860 durch eine zaghafte Konstitutionalisierung sowie 1867 (»Ausgleich« mit Ungarn) durch eine Teilung der Monarchie in zwei »Reichshälften« (»Doppelmonarchie«) ersetzt.

Was verstand man zwischen 1867 und 1918, vom »Ausgleich« bis zum Ende Österreich-Ungarns, unter »Österreich«? Darüber gingen die Meinungen der österreichischen (insbesondere der deutsch-österreichischen) und der ungarischen Politiker und Staatsrechtler auseinander. In der westlichen Reichshälfte hielt man an der Vorstellung von Österreich-Ungarn als – in völkerrechtlicher Hinsicht – einem Staat fest, während man in Ungarn von zwei politisch, militärisch und wirtschaftlich verbündeten selbständigen Staaten unter einem gemeinsamen Monarchen sprach. »Der Österreichbegriff begann sich«, wie es Ernst Bruckmüller treffend formuliert hat, »auf den nichtungarischen Teilstaat der Habsburgermonarchie zurückzuziehen.« »Österreich« wurde damit zum Synonym der Bezeichnungen »westliche Reichshälfte«, »Cisleithanien« sowie »die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder«. In diesem Sinne gab es seit 1867 ein »österreichisches Staatsbürgerrecht«, eine »österreichische Staatsbürgerschaft«. Dennoch blieben auch nach 1867 alle drei Bedeutungsebenen des Österreichbegriffs in Gebrauch: 1. Österreich als Kronland bzw. zwei Kronländer (Österreich unter und ob der Enns), 2. Österreich als der, von Wien aus gesehen, »diesseitige Staat« (Cisleithanien) und 3. (vor allem in der Umgangssprache) Österreich als die Gesamtmonarchie.

Von der Ersten zur Zweiten Republik

Am 21. Oktober 1918 konstituierten sich im Sitzungssaal des niederösterreichischen Landhauses in Wien die deutschen (d. h. deutschsprachigen) Abgeordneten des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, des, neben dem Herrenhaus, zweiten Hauses des Parlaments der österreichischen Reichshälfte, als »Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich«. Am 30. Oktober nahm die Provisorische Nationalversammlung die von Karl Renner ausgearbeitete, den Anschluss an Deutschland proklamierende »provisorische Verfassung« (»Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt«) an. Am 12. November verabschiedete sie das Gesetz, in dem Deutschösterreich als Republik konstituiert wurde, und erklärte gleichzeitig, dass die Republik Deutschösterreich ein Bestandteil der Deutschen Republik sei. Diese Beschlüsse konnten teilweise nicht umgesetzt werden, da der am 10. September 1919 unterzeichnete Friedensvertrag (»Staatsvertrag«) von Saint-Germain-en-Laye den Staatsnamen »Republik Österreich« festlegte und ein Verbot des »Anschlusses« an Deutschland aussprach. Die am 1. Oktober 1920 von der im Februar 1919 gewählten Konstituierenden Nationalversammlung der Republik Österreich beschlossene Verfassung sah eine starke Stellung des Parlaments gegenüber der Regierung vor, stärkte aber auch die Position der Länder gegenüber dem Bundesstaat.

Österreich war – sozusagen im ersten Versuch – nur 14 Jahre und ein paar Monate, von November 1918 bis Anfang März 1933, eine demokratische Republik. In der Präambel der oktroyierten »Maiverfassung 1934« (»Verfassung des Bundesstaates Österreich«) heißt es: »Im Namen Gottes, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.« Noch im Aufruf zu der geplanten Volksabstimmung am 13. März 1938 lautete die Parole: »Für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich.«

Mit dem Gesetz über die »Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« vom 13. März 1938 wurde der »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich vollzogen. Seit dem 14. April 1938 war der ehemalige Staat Österreich in sieben Reichsgaue gegliedert. Statt »Österreich« bürgerte sich in der NS-Zeit zunächst der Begriff »Ostmark« ein. 1942 wurde jedoch verfügt, die Sammelbezeichnung »Reichsgaue der Ostmark« zu vermeiden und stattdessen die zusammenfassende Bezeichnung »Alpen- und Donau-Reichsgaue« zu verwenden.

1945, nach der militärischen Niederlage des Großdeutschen Reiches, kehrte die neu konstituierte Republik Österreich zum staats- und verfassungsrechtlichen Zustand des Jahres 1929 zurück (durch die Verfassungsnovelle des Jahres 1929 war die Position des Bundespräsidenten innerhalb des Institutionengefüges der Republik Österreich gestärkt worden). Die größte Änderung der österreichischen Bundesverfassung nach 1945 brachte der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995. Seither besitzt Österreich, so der österreichische Verfassungsrechtler Manfried Welan, eine Art »Doppelverfassung«, in der das Recht des »Quasi-Bundesstaates« EU im Konfliktfall eine Änderung des österreichischen Verfassungsrechts erzwingen kann. Ob der weitere Integrationsprozess der EU langfristig Auswirkungen auf den Österreichbegriff haben wird, lässt sich noch nicht absehen.

Zur Frage des räumlichen Umfangs der österreichischen Geschichte

Wer sich mit der Geschichte Österreichs befasst, hat es mit zwei unterschiedlichen historiographischen Traditionen zu tun, und zwar (1.) mit der Landesgeschichtsschreibung, die infolge des relativ stabilen räumlichen Rahmens der meisten österreichischen (Bundes-)Länder seit dem Hoch- und Spätmittelalter – abgesehen von den erst nach 1918 geschaffenen Bundesländern Wien und Burgenland – »eine Art ruhenden Pol der Geschichtsschreibung in Österreich darstellt«, und (2.) mit der »gemeinsamen« österreichischen Geschichte. Im Unterschied zur Geschichte der einzelnen Länder ist die gemeinsame österreichische Geschichte ein »im räumlichen Umfang wie in zeitlicher Kontinuität instabiler Traditionsstrang«. Ausgehend von diesen Überlegungen hat Gerald Stourzh 1991 am Beispiel von zwischen 1853 und 1988 publizierten »Reflexionen zur österreichischen Geschichte« die »Problematik des Umfanges der österreichischen Geschichte« illustriert.

Der gebürtige Prager Joseph Alexander (später: von) Helfert (1820–1910), seit 1848 Unterstaatssekretär im Wiener Unterrichtsministerium, ging 1853, also in der Zeit des Neoabsolutismus, in seinem programmatischen Büchlein Über Nationalgeschichte und den gegenwärtigen Stand ihrer Pflege in Oesterreich davon aus, dass »die alte Gränze, welche zwischen den zwei Hälften der Monarchie gelaufen war«, nämlich zwischen den »deutsch-slawischen« Ländern und dem Königreich Ungarn, endlich verwischt sei. Es existiere nunmehr ein – einheitlich von Wien aus regiertes – Groß-Österreich. Während die Heimatkunde der Kenntnis des jeweiligen Kronlandes und seiner Geschichte diene, diene die Vaterlandskunde bzw. die vaterländische Geschichte der Kenntnis des »Gesammtvaterlandes von Groß-Österreich«. Helferts Vorstellung von Nationalgeschichte orientierte sich am Begriff der Staatsnation, nicht an jenem der Sprachnation: »Österreichische Nationalgeschichte ist uns die Geschichte des österreichischen Gesammtstaates und Gesammtvolkes […].« Nicht zufällig wurden in der Zeit des Neoabsolutismus, im Zuge der Universitätsreform des Unterrichtsministers Leo Graf Thun-Hohenstein, an den »österreichischen« Universitäten eigene Lehrstühle für Österreichische Geschichte – ganz im Sinne Helferts! – eingerichtet (Prag 1850, Wien und Innsbruck 1851). Hauptadressaten des neuen Faches waren Lehramtskandidaten und Juristen, denen während des Studiums für ihre künftige Berufslaufbahn ein solides »vaterländisches historisches Bewusstsein« vermittelt werden sollte. Wie Brigitte Mazohl und Thomas Wallnig unlängst gezeigt haben, waren bereits die zahlreichen seit ungefähr 1800 erscheinenden Kompendien der österreichischen Geschichte, die allesamt nicht von professionellen Historikern verfasst wurden, der aus den Grundelementen »Kaiserhaus«, »Vaterland« und »Staat« amalgamierten »Großen Erzählung« (im Sinne Jean-François Lyotards) von der »österreichischen Geschichte« verpflichtet gewesen, der »Erzählung, wie aus einer Markgrafschaft eine Großmacht wurde«. Die genannten Grundelemente des Diskurses »österreichische Geschichte« ihrerseits waren bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts fertig ausgebildet und wurden um 1800 lediglich »verdichtet« und »in eine fertige Form gegossen«. Die »Erfindung einer österreichischen Nationalgeschichte« (Georg Christoph Berger Waldenegg) nach 1848 war also keine Creatio ex nihilo. Es ging den Vordenkern des Neoabsolutismus um die »Schaffung einer österreichischen Staatsnation«, allerdings nicht unbedingt einer strikt »übernationalen« österreichischen Staatsnation, sondern »einer deutsch geprägten österreichischen Staatsnation« (Berger Waldenegg), eine Idee, die begreiflicherweise bei den Vorkämpfern der (Interessen der) nicht-deutschen (Sprach-)Nationen der Monarchie wenig Anklang fand.

Alfons Huber (1834–1898), seit 1870 Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Innsbruck und ab 1887 am Institut für Österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien, das 1854 auf Anregung und im Geiste Helferts gegründet worden war, eröffnete 1885 die programmatische Einleitung zum ersten Band seiner Geschichte Österreichs mit den folgenden Sätzen: »Eine Geschichte Österreichs ist unzweifelhaft ein schwierigeres Werk als die Geschichte der anderen Staaten. Die meisten Reiche, welche in der Geschichte eine hervorragende Rolle gespielt haben, tragen den Charakter von natürlichen Gebilden an sich, sind dadurch entstanden, daß eine kräftige Nation im Kampfe um das Dasein ihre Existenz behauptet, sich eine gesicherte Stellung errungen und kleinere Völkerschaften oder Teile von solchen sich unterworfen und mehr oder weniger vollständig sich assimiliert hat. Österreich dagegen ist ein künstlicher Bau, indem das im südöstlichen Deutschland regierende Haus Habsburg auch in benachbarten nichtdeutschen Reichen […] sich Anerkennung verschaffte und so mehrere Staaten mit ganz verschiedener Bevölkerung und vielfach verschiedenen politischen und sozialen Zuständen zunächst durch Personalunion in seinen Händen vereinigte. Österreich ist […] eine Verbindung von drei ursprünglich getrennten Gebäuden, aus denen erst eine Reihe von Baumeistern ein einheitliches architektonisches Werk zu schaffen bemüht war.« Im Unterschied zu Huber hatte Franz (von) Krones (1835–1902) in seinem fünfbändigen, in den 1870er Jahren erschienenen Handbuch der Geschichte Österreichs Österreich nicht als »Mechanismus«, sondern als »Organismus« aufgefasst, dessen »Wachstum nicht bloß durch politische Zufälligkeiten, sondern auch durch geographische Gesetze« bedingt gewesen sei.

Der Innsbrucker Jurist und Historiker Hans von Voltelini (1862–1938) beantwortete um 1900 – in Reaktion auf die 1893 erfolgte Einführung des Pflichtfaches »Österreichische Reichsgeschichte (Geschichte der Staatsbildung und des öffentlichen Rechts)« für die rechtshistorische Staatsprüfung im Rahmen des rechts- und staatswissenschaftlichen Studiums an den österreichischen (d. h. cisleithanischen) Universitäten und ausgehend vom »Ausgleich« des Jahres 1867 – die Frage, »ob die österreichische Reichsgeschichte eine Geschichte der Gesamtmonarchie und der beiden Staaten, aus denen dieselbe besteht, sein soll, […] oder ob sie neben der Gesamtmonarchie nur die staatsrechtliche Entwicklung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder vertreten soll«, im Sinne der engeren, das Königreich Ungarn ausklammernden Auffassung: »Ungarn ist nach den Ausgleichsgesetzen von 1867 ein in seinen inneren Angelegenheiten selbständiger und unabhängiger Staat. Die Geschichte seiner Verfassung und Verwaltung kann daher nur insoweit für die österreichische Reichsgeschichte von Belang sein, als die mit Österreich gemeinsamen Institutionen in Betracht kommen, und als die ungarischen Verhältnisse auf die Entwicklung des österreichischen Staatsrechtes zurückgewirkt haben.« Anders als die englische, die französische oder die deutsche Geschichte werde die österreichische Geschichte »immer eine Staatsgeschichte bleiben müssen, denn die Nationen, welche den Kaiserstaat bewohnen, gehören verschiedenen nationalen Kulturkreisen an«.

Der in Wien lehrende Mediävist und Österreichhistoriker Oswald Redlich (1858–1944) war nach 1918 – ähnlich wie, aber mit anderen Akzenten als Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951), der bekannteste Vertreter der »gesamtdeutschen« Geschichtsauffassung – bestrebt, bei seinen Kollegen und Lesern in Österreich und Deutschland Verständnis und Wertschätzung für das komplizierte Staatswesen und die Kultur »Altösterreichs« zu erwecken. Er war ohne Zweifel derselben Meinung wie sein Kollege und Freund Aloys Schulte, der ihm 1921 aus Anlass des Erscheinens seines Buches Österreichs Großmachtbildung in der Zeit Kaiser Leopolds I. in einem Brief schrieb: »Wenn man wie ein Jordanes [der Geschichtsschreiber der Ostgoten; Th. W.] über ein verlorenes Reich schreiben muß, darf man nicht in seine Fehler fallen. Und von Österreich-Ungarn gilt doch auch für die Zukunft: es war ein Näherungswerk für die Quadratur des Zirkels. Aber die Zukunft wird wohl zunächst andere Wege einschlagen.«

Otto Brunner (1898–1982), seit 1940 Direktor des (Österreichischen) Instituts für Geschichtsforschung in Wien und Vorsitzender der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft, einer Institution der nationalsozialistischen »Südostforschung«, plädierte noch 1944 für den Primat des Volkes (im völkisch-nationalen Sinn) und der »Volksgeschichte« gegenüber dem Staat und der Staatsgeschichte. Die Geschichte des österreichischen Deutschtums werde künftig im Wesentlichen als »Landes- und Volksgeschichte« zu schreiben sein. Neben der Geschichte der Deutschen in den Ländern der Habsburgermonarchie betrachtete Brunner die Geschichte der Habsburger und ihrer dynastischen Großmachtpolitik als das zweite große Thema der österreichischen und gleichzeitig der gesamtdeutschen und der europäischen Geschichte und war davon überzeugt, dass »[d]er einheitliche Rahmen einer österreichischen Geschichte als Geschichte des ›Staates‹ Österreich […] längst sinnlos geworden« sei. »Die wichtigsten uns heute [1944!] beschäftigenden Fragen finden hier keine Antwort mehr. Sie können […] ernsthaft nur aus einer gesamtdeutschen und damit europäischen Sicht in Angriff genommen werden.«

Erst nach 1945 versöhnten sich die meisten Österreicher und die österreichischen Historiker und Historikerinnen mit der Existenz Österreichs als Kleinstaat. Zweimal, so Gerald Stourzh in seiner Studie Vom Reich zur Republik, hat »die Geschichte« die Österreicher in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts »von einem Reich in eine Republik transportiert«: vom Reich der Habsburgermonarchie in die Erste Republik und vom Großdeutschen Reich in die Zweite Republik. »Der endgültige Übergang vom Bewußtsein, die Österreicher seien ›Großstaatsmenschen‹, wie [Bundeskanzler] Ignaz Seipel es einmal während der Ersten Republik ausdrückte, zur Bejahung der kleinstaatlichen Republik ist zäh gewesen. Gelungen ist der Übergang nach 1918 noch nicht – erst nach 1945.«

Alphons Lhotsky (1903–1968), seit 1946 Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien, verfocht 1949 in einem Vortrag auf dem ersten österreichischen Archivtag die Ansicht, dass die österreichischen Erblande um 1500 eine Einheit gebildet hätten, die mit relativ geringen Veränderungen die folgenden Jahrhunderte überdauert habe. »Spinnen wir diesen Gedanken weiter aus, so erscheinen uns die vierhundert Jahre Großmacht im Verein mit Böhmen und Ungarn von 1526 bis 1918 als ein Zwischenspiel, an dessen Ende neuerdings jenes natürliche Ergebnis des Spätmittelalters, im großen und ganzen räumlich ähnlich, zutage trat und damit seine in sich selbst zurücklaufende echte Wesenhaftigkeit bewiesen hat.« Noch kurz vor seinem Tod gab sich Lhotsky 1966 im programmatischen Vorwort zu seiner Geschichte Österreichs seit der Mitte des 13. Jahrhunderts überzeugt: »Eine ›Geschichte Österreichs‹ darf heute nur noch demjenigen Territorienkomplex gelten, der sich im Laufe des Mittelalters durch spontane Konvergenz der Landschaften in weitgehender Identität mit der politischen Gestaltungskraft dreier Dynastien zu einer lebenskräftigen Einheit entwickelte, die über zahllose Krisen hinweg ihre Daseinsberechtigung bewiesen hat. Die Republik Österreich der Gegenwart ist nichts anderes als das nur wenig modifizierte ›Haus Österreich‹ der Zeit Kaiser Friedrichs III.«

Lhotskys Interpretation der österreichischen Geschichte zwischen 1526 und 1918 als Zwischenspiel, um nicht zu sagen: als historischer Irrweg, und seine Reduktion der österreichischen Geschichte auf das Staatsgebiet der Republik nach 1918 bzw. 1945 ist von manchen als provinzielles Wunschdenken kritisiert worden, zunächst von »großösterreichischen« bzw. (vormals) »gesamtdeutschen« Zeitgenossen wie Theodor Mayer (1883–1972), Hugo Hantsch (1895–1972) und Adam Wandruszka (1914–1997), zuletzt von Gerald Stourzh. Wandruszka polemisierte 1955 gegen das »krampfhafte« Suchen »nach Parallelen und Vorläufern zur Gegenwart […] in einem angeblichen ›spätmittelalterlichen Territorialstaat‹«. Stourzh gab 1991 unter anderem zu bedenken: »Wenn man die Republik Österreich ›in ihren heutigen Grenzen‹ als ›nichts anderes als das nur wenig modifizierte Haus Österreich der Zeit Kaiser Friedrichs III.‹ bezeichnet, bagatellisiert man die […] Änderungen [das Innviertel, Salzburg und das Burgenland sind erst später dazugekommen, Krain, Südtirol, die Untersteiermark, die Besitzungen an der Adria, in Schwaben und Vorderösterreich sind weggekommen; Th. W.] über Gebühr.«

Außerdem plädierte Lhotsky – ähnlich wie wenige Jahre zuvor der ihm politisch fernstehende Otto Brunner – für eine Trennung der Geschichte der Dynastie von jener der Länder. Dazu bemerkte Stourzh mit Recht: »Dennoch gibt es – mit flexiblem Umfang – eine österreichische Geschichte, die über den Umfang der gegenwärtigen Republik Österreich hinausreicht und mehr ist als ›Herrscher- oder Herrschaftsgeschichte‹. Die Schicksale und die Sozialisation zu vieler Menschen in zu vielen Lebensbereichen – nicht nur im Bereich der öffentlichen Verwaltung oder des Militärwesens – sind von der Zugehörigkeit zum Institutionengefüge der Monarchia Austriaca geprägt worden, als daß man mit einer Trennung in Dynastiegeschichte einerseits und Landes- oder Ländergeschichte andererseits das Auslangen finden könnte. Man denke etwa an die enormen Wanderungsbewegungen des 19. Jahrhunderts aus den ›Ländern der böhmischen Krone‹ in das ›Erzherzogtum unter der Enns‹, man denke an die jüdischen Westwärts- und Südwärtswanderungen innerhalb der Monarchie, und man merkt sogleich, daß hier historische Phänomene vorliegen, die weder als ›Dynastiegeschichte‹, noch als ›Landes- oder Ländergeschichte‹, noch auch als ›Nationalgeschichte‹ zu verstehen sind.«

Ernst Hanisch schließlich plädierte 1988 und neuerlich 1991 dafür, bei einer Darstellung und Analyse der Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert nicht mit dem Bruch von 1918, sondern bereits um die Mitte der 1890er Jahre zu beginnen. »Was aber heißt Österreich vor dem Ersten Weltkrieg? Im öffentlichen Sprachgebrauch war zumeist die westliche Reichshälfte der Habsburgermonarchie gemeint. Der Begriff ist zu weit für meine Intentionen, für mein Programm einer Gesellschaftsgeschichte. Am ehesten trifft grob der ebenfalls, vor allem in der Statistik, verwendete Terminus ›Alpenländer‹ zu; kurz: die spätere Republik Österreich.« Stourzh gab dieser Auffassung gegenüber zu bedenken, »daß eine solche Einschränkung des Begriffs Österreich schon für das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts und dann natürlich auch für die ersten 18 Jahre des 20. Jahrhunderts gerade vom Standpunkt einer gesellschaftshistorischen Methode problematisch ist. Die vor allem in den letzten Jahrzehnten Altösterreichs in ihrer Bedeutung überhaupt nicht zu überschätzende demographische, soziale und wirtschaftliche Verbindung der böhmischen Länder und der Donauländer (weniger der Alpenländer) erinnern daran, daß hier eine zu frühe Verengung angelegt ist.« Hanisch antwortete 1994 in der Einleitung zu seiner – wie angekündigt Mitte der 1890er Jahre einsetzenden – Gesellschaftsgeschichte Österreichs im 20. Jahrhundert (Der lange Schatten des Staates), diese Kritik sei zwar »theoretisch richtig, aber praktisch wenig ergiebig. Alle Längsschnitte würden an Aussagekraft verlieren, wenn sich das Korpus der Vergleichsdaten einmal auf das Gebiet der westlichen Reichshälfte, das andere Mal auf das Gebiet der Republik bezöge. Es ist allerdings notwendig, die Perspektive offenzuhalten, das Blickfeld nicht vorschnell auf das Gebiet der späteren Republik einzuschränken, die Verflechtungen mit zu berücksichtigen.«

Was aber, wenn man nicht, wie Ernst Hanisch, eine Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert schreiben will, sondern, wie die Autorin und die Autoren des vorliegendes Bandes, eine Überblicksdarstellung der Geschichte Österreichs vom Frühmittelalter bis ins 21. Jahrhundert? Ein gangbarer Weg scheint die methodische Unterscheidung und Kombination mehrerer unterschiedlich großer Räume zu sein, zu denen bzw. an denen »Österreich« zu verschiedenen Zeiten variierende Beziehungen und Anteile hatte. Arno Strohmeyer hat 2008 den Versuch unternommen, »Österreichische Geschichte der Neuzeit« als »multiperspektivische Raumgeschichte« zu begreifen. Er geht von einer »Pluralität der Räume« der österreichischen Geschichte aus. Der Schwerpunkt seiner Überlegungen liegt »auf politischen Räumen, d. h. auf Räumen, die sich durch politische Praxis konstituierten und politische Ordnung produzierten«. Um einen Raum als Gegenstand und Bestandteil österreichischer Geschichte zu verstehen, müsse »nicht unbedingt ein genetischer Bezug aufgrund von Staatsbildungsprozessen oder der Entwicklung des Nationalbewusstseins bestehen, ausschlaggebend ist vielmehr die geographische Überschneidung. Eine so verstandene österreichische Raumgeschichte konstituiert sich somit aus der Geschichte der Räume, die das Gebiet des heutigen Österreich oder einzelne seiner Teile beinhalten oder beinhaltet haben und der Geschichte, die in diesen Räumen stattfand. Darin eingeschlossen ist die Wahrnehmung dieser Räume durch die Zeitgenossen wie rückblickend in der österreichischen und internationalen Geschichtswissenschaft.«

Strohmeyer unterscheidet als für die (neuere) österreichische Geschichte relevante Räume – neben Europa – (1.) staatlich-territoriale Räume, (2.) europäische Mesoregionen (Zentraleuropa und Ostmitteleuropa) und (3.) das habsburgische Imperium, d. h. die die Herrschaftsräume sowohl der spanischen als auch der österreichischen (oder deutschen) Linie des Hauses Habsburg umfassende »dynastische Agglomeration«. Für unsere Zwecke relevant und praktikabel sind in erster Linie die sich im Zeitverlauf ändernden staatlich-territorialen Räume, nämlich die habsburgischen Erblande des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, die Habsburgermonarchie (1526–1918) und das Heilige Römische Reich (962–1806) bzw. der Deutsche Bund (1815–1866), die Erste Republik (1918–1933/38), das nationalsozialistische Deutsche Reich (1938–1945) und die Zweite Republik (seit 1945). Der Raumpluralismus der österreichischen Geschichte ist ein Kernproblem, dem man sich als Historiker Österreichs stellen muss: »Eine als multiperspektivische Raumgeschichte verstandene österreichische Geschichte konstituiert sich nicht aus einem Raum, dessen Entwicklung den maßgeblichen Gedanken der Sinnkonstruktion darstellt, sondern aus einem Bündel von Räumen mit jeweils einer eigenen Geschichte, spezifischen Deutungsvoraussetzungen und Quellenverhältnissen.«

Karl Vocelka hat seiner erstmals im Jahr 2000 erschienenen Überblicksdarstellung der Geschichte Österreichs plausible Überlegungen zur Frage des räumlichen Umfangs der österreichischen Geschichte vorangestellt, die eine pragmatische Lösung der Widersprüche zwischen zwei gegensätzlichen Auffassungen des Begriffs »österreichische Geschichte«, nämlich als Geschichte des heutigen Staatsgebietes auf der einen und als Geschichte der Habsburgermonarchie auf der anderen Seite, nahelegen. »Eine allseits befriedigende Lösung wird sich nicht finden lassen, doch scheint sich die Entwicklung der letzten Zeit auf ein System konzentrischer Kreise hinzubewegen – oder, um einen Terminus aus der Fotografie zu verwenden: zu ›zoomen‹. Das heißt also, dass für die Neuzeit der deutschsprachige Teil der Donaumonarchie zwar im Mittelpunkt des Interesses der österreichischen HistorikerInnen steht, dass aber die Entwicklungen der einst mit dem Haus Habsburg verbundenen Länder, insbesondere sofern sie das wirtschaftliche, politische und kulturelle Klima beeinflussen, entsprechend berücksichtigt werden.« Ganz ähnlich ist Alois Niederstätter in der jüngsten, 2007 vorgelegten einbändigen Darstellung der Geschichte Österreichs vorgegangen. Im Vorwort hat er dies damit begründet, dass »für einen historischen Längsschnitt, der von der Eingliederung des Ostalpenraums in das römische Reich bis zur Gegenwart reichen soll«, nur »der Kompromiss« in Frage komme, »das Schwergewicht auf das heutige Staatsgebiet zu legen, aber auch weiter auszugreifen, wo es nötig erscheint«.

Das für die österreichische Geschichte eine tiefe Zäsur darstellende Jahr 1918, die militärische Niederlage Österreich-Ungarns und die Auflösung dieses Staatsgebildes, bedeuten den meisten heutigen Österreichern kaum mehr etwas ihre eigene, historisch fundierte (nationale) Identität Berührendes, werden nicht als »unsere« Niederlage oder der Zerfall »unseres« ehemaligen Staates empfunden. Das Gegenteil gilt für die Bedeutung der Jahre 1526 (Schlacht bei Mohács) und 1920 (Friedensvertrag von Trianon) im historischen Gedächtnis der heutigen Ungarn oder der Jahre 1620/21 (Schlacht am Weißen Berg, »Prager Blutgericht«) und 1918 (Gründung der Tschechoslowakei) im nationalen Geschichtsbild der heutigen Tschechen. Die moderne österreichische Nation ist eine sehr junge Nation. Ihre wichtigsten historischen »Erinnerungsorte« sind die Jahre 1945 (Kriegsende, Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, Wiedererrichtung der Republik Österreich) und 1955 (Staatsvertrag, Ende der Besatzungszeit, Erklärung der Immerwährenden Neutralität). Die Aufgabe, eine moderne »österreichische Geschichte« oder »Geschichte Österreichs« zu schreiben, wird dadurch nicht einfacher. Eine »Geschichte Österreichs« seit dem Frühmittelalter kann jedenfalls keine »österreichische Nationalgeschichte« sein. Während die ersten Jahre nach 1918 von einer »Entösterreicherung« des Bewusstseins der Deutsch-Österreicher geprägt gewesen waren und der »Ständestaat« in den 1930er Jahren die Parole von Österreich als »zweitem deutschem Staat« ausgegeben hatte, kam es zu einer »Austrifizierung« Österreichs im engeren Sinn – Ernst Hanisch hat von der »Reaustrifizierung«, der eigentlichen österreichischen Nationsbildung gesprochen – erst nach 1945, nach dem Bruch mit Deutschland und der deutschen Geschichte. Noch 1956 waren nur 49 % der befragten Österreicher der Ansicht, die Österreicher seien eine eigene Nation, 1964 sogar nur 47 %; 1970 – nach der »Borodajkewycz-Affäre« 1965 und der Einführung eines österreichischen Nationalfeiertags im selben Jahr – waren es dann bereits zwei Drittel, und seit den späten 1980er Jahren waren stets zwischen 74 und 80 % der Befragten dieser Meinung.

Jede »Geschichte Österreichs« ist letzten Endes ein Konstrukt, ein Konstrukt freilich, das die Österreichhistoriker nicht nur den historisch wissbegierigen Österreicherinnen und Österreichern, sondern allen an der Geschichte Europas und Österreichs in Europa Interessierten schuldig sind.

Von der römischen Herrschaft bis zur Karolingerzeit (15 v. Chr. bis 907)1Von Walter Pohl

Epochenüberblick

Die fast 1000 Jahre von der römischen Besetzung des Ostalpen- und Donauraumes bis zur Ungarnzeit bieten kaum eine einheitliche Erzählperspektive. Zu keiner Zeit unterstand der gesamte Raum des heutigen Österreich einer länger andauernden einheitlichen Herrschaft. In der Römerzeit, von 15 v. Chr. bis 487 n. Chr., ging Roms direkter Machtbereich bis zur Donau, und auch wenn der Raum nördlich davon oft weitgehend kontrolliert wurde, gelang die mehrfach geplante Errichtung einer Provinz nicht. Auch das Karolingerreich beherrschte vom Awarensieg Karls des Großen (796) bis zur bayerischen Niederlage gegen die Ungarn bei Pressburg (907) im Wesentlichen den Raum südlich der Donau, während nördlich davon die Mährer trotz mehrfacher Unterwerfung nicht integriert werden konnten. Nie befand sich in der in diesem Abschnitt behandelten Epoche auf dem Gebiet des heutigen Österreich ein überregional bedeutsames Herrschaftszentrum, es wurde meist von außerhalb dominiert. Rom beherrschte weite Teile des Raumes von Italien aus, Hunnen im 5. und Awaren im 6.–8. Jahrhundert aus dem heutigen Ungarn, das bayerische Herzogtum der gleichen Epoche von Regensburg aus, und die Residenzen des karolingischen Frankenreiches lagen zunächst noch weiter westlich, etwa in Aachen.

Eine »Geschichte Österreichs« in dieser Zeit kann daher, nach dem Vorbild der ersten Bände der von Herwig Wolfram herausgegebenen Österreichischen Geschichte, nur von »Grenzen und Räumen« handeln, die in unterschiedlichem Maß von Mächten außerhalb des hier behandelten Gebietes dominiert und beeinflusst wurden. Dabei blieb der Raum Begegnungszone sehr unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen: von Kelten, Römern und Germanen in der Römerzeit; von germanischen Völkern, römischen Provinzialen und Steppenreichen in der Völkerwanderungszeit des 5./6. Jahrhunderts; von Bayern, Romanen, Slawen und Awaren ab der Mitte des 6. Jahrhunderts; gegen 800 kamen dazu noch Franken und andere Bewohner ihres Reiches, während die Awaren verschwanden und ein knappes Jahrhundert später von den Ungarn ersetzt wurden. An der Besiedlung des Raumes hatten diese Völker und Sprachgruppen in sehr unterschiedlichem Maß Anteil. Um 900 bestand die Bevölkerung Ostösterreichs vorwiegend aus Slawen, im Westen aus Bayern (westlich des Arlbergs aus Alemannen), dazu gebietsweise auch Romanen. Das heißt nicht, dass frühere Bevölkerungen (Kelten, Germanen, Awaren) einfach verschwunden waren; sie können Identität und Sprache gewechselt haben, wie es später auch bei den Slawen und Romanen der Fall war, die im Hochmittelalter (mit Ausnahme vor allem der Kärntner Slowenen) zu Deutschen wurden. Über diese ethnischen und sprachlichen Prozesse wissen wir im einzelnen recht wenig; der Wandel der Sprachverhältnisse kann bis zu einem gewissen Grad aus den komplexen Ortsnamenlandschaften erschlossen werden, die (mit dem Sprachwandel nicht immer gleichzeitige) Veränderung der Selbstzuordnung wird nur ausnahmsweise deutlich erkennbar.

Im Untersuchungsgebiet entstanden immer wieder regionale Ordnungen: die römische Provinz Noricum sowie Teile der Nachbarprovinzen Raetien und Pannonien, wo Carnuntum als Legionslager und Zivilstadt einige strategische und kulturelle Bedeutung hatte; die kurzlebigen Reiche der Rugier, Eruler und Langobarden im Ostösterreich des 5./6. Jahrhunderts; das karantanische Fürstentum im 8. Jahrhundert, in dem sich die slawische Bevölkerung eine politische Struktur gab; und schließlich das Erzbistum Salzburg als kirchliches und kulturelles Zentrum des Ostalpenraumes im 9. Jahrhundert. Die regionalen bäuerlichen Lebensformen überdauerten zum Teil diese Veränderungen. Doch gerieten sie zweimal in den Sog einer expansiven arbeitsteiligen Kultur mit ausgebildeter Schriftlichkeit und hierarchischen Strukturen: am Beginn der Epoche von der klassisch-römischen Zivilisation und im 8./9. Jahrhundert von der christlich-fränkischen Ordnung. Um 900 war die Reichweite und Differenziertheit dieses Kulturmodells aber noch recht beschränkt. Der österreichische Raum blieb noch einige Jahrhunderte lang Peripherie der Zentralräume des lateinischen Europa in Italien und den beiden Frankenreichen. Das Potential der mitteleuropäischen Lage als Durchgangsraum zwischen Deutschland und Italien sowie zwischen West und Ost konnte erst allmählich genutzt werden.

Die Römerzeit im Raum des heutigen Österreich

15 v. Chr.

Der Ostalpenraum kommt unter römische Herrschaft.

Ca. 40

Carnuntum wird Legionslager.

Ca. 114

Vindobona wird Legionslager.

166–180

Markomannenkriege unter Kaiser Marc Aurel

Ca. 190

Gründung des Legionslagers Lauriacum

193

Septimius Severus in Carnuntum zum Kaiser ausgerufen

284–305

Kaiser Diocletian

306–337

Kaiser Constantin der Große

308

Kaiserkonferenz in Carnuntum

Die Ostalpen verdankten ihre überregionale Bedeutung im 1. Jahrtausend v. Chr. vor allem ihren Bodenschätzen. Salzbergbau machte Hallstatt zu einem (heute durch Ausgrabungen gut erschlossenen) Zentrum der danach benannten Hallstatt-Kultur der ersten Jahrtausendhälfte. Später war es vor allem das norische Eisen, das Grundlage der Prosperität der sogenannten La-Tène-Zeit war, einer von den Westalpen bis nach Ostmitteleuropa reichenden Kultur, und in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten römisches Interesse erregte. Vereinzelt wird (etwa bei Polybios) auch von Goldfunden berichtet. Der Ostalpenraum war vor allem von Kelten besiedelt; das ist eine bereits bei Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. bezeugte Großgruppenbenennung. Wie beim Germanennamen wissen wir aber nicht, ob der ethnographische Sammelname überhaupt als Selbstbezeichnung diente und wenn, wie weit. Identitätswirksamer waren im Ostalpenraum wohl die Stammesnamen und regionalen Bezeichnungen, die in römischen Berichten erwähnt werden und zum Teil von Flüssen abgeleitet sind (z. B. Ambidravi an der Drau, Ambisontes wohl an der Salzach). Der Name der Breonen im Tiroler Oberinntal ist über die Spätantike bis ins 9. Jahrhundert bezeugt. Besondere Bedeutung bekamen die seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. belegten Noriker; ein religiöses, vermutlich auch politisches Zentrum lag am Kärntner Magdalensberg, wo eindrucksvolle Überreste ergraben wurden. Das regnum Noricum gelangte durch den Bergbau zu Reichtum und spielte bald eine dominierende Rolle im Gebiet südlich des Alpenhauptkammes und darüber hinaus bis zur Donau. Es war durch einen Freundschaftsvertrag an Rom gebunden.

Im Verlauf des 1. Jahrhunderts v. Chr. geriet das Gebiet des heutigen Österreich von zwei Seiten unter Druck. Der Ausbau der römischen Position in Norditalien seit der Gründung der Kolonie Aquileia im Jahr 181 v. Chr. beeinflusste die politischen Verhältnisse im Alpenraum. Von Nordwesten her breiteten sich neue Gruppen aus, die man in Rom seit Caesar Germanen nannte. Der Zug der Kimbern durch die Ostalpen im Jahr 113 v. Chr. mit der Schlacht beim schwer genau lokalisierbaren Noreia blieb noch Episode. Nachhaltiger wirkte das Zurückweichen der Boier aus Böhmen an die mittlere Donau im frühen 1. Jahrhundert v. Chr., das sie um die Jahrhundertmitte auch in Konflikt mit dem Dakerreich des Burebista brachte, der mit ihrer Niederlage und dem Abzug der meisten Boier endete. Das zunehmende Engagement Roms am Rhein und die Konfrontation mit den Germanen warfen auch die Frage nach einer besseren Kontrolle der Wege durch die Alpen auf.

Unter Augustus wurde in Rom daher eine systematische Expansionspolitik im Alpenraum betrieben, deren Erfolg in dem bis heute erhaltenen (7/6 v. Chr. errichteten) Tropaeum Alpium in La Turbie dokumentiert ist. 15 v. Chr. marschierte ein Heer unter Drusus die Etsch aufwärts über den Reschenpass ins Inntal, wo die Breuni unterworfen wurden, und weiter ins heute bayerische Alpenvorland. Tiberius zog von Gallien aus nach Osten an den Bodensee und schlug Vindeliker und Raeter. Vermutlich gleichzeitig annektierte Rom das regnum Noricum. Bewaffneter Widerstand der Ambisontes wurde gebrochen. In den Jahren nach 12 v. Chr. leitete Tiberius die Ausweitung des römischen Illyricum in die künftige Provinz Pannonien. Im Jahr 6 n. Chr. diente Carnuntum als Operationsbasis für einen Feldzug des Tiberius gegen das Markomannenreich unter Marbod im böhmischen Raum. Der Feldzug des Jahres 6 scheiterte, weil im selben Jahr ein großer Aufstand der bereits unterworfenen Dalmater ausbrach. Schließlich blieb die Donau die Nordgrenze des direkten römischen Machtbereiches. Freilich dominierte Rom auch nördlich davon durch eine aktive Bündnis- und Gleichgewichtspolitik. Immer wieder gelang es, bei den Markomannen und Quaden von Rom unterstützte Könige durchzusetzen. Ebenso fanden, trotz aller Konflikte, von ihren Völkern vertriebene Fürsten, wie Marbod 19 n. Chr. oder der Quadenkönig Vannius in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., politisches Asyl auf Reichsgebiet.

Nach der Besetzung und Annexion der Gebiete südlich der Donau dauerte der Aufbau provinzialer Verwaltungsstrukturen und römischer Lebensformen viele Jahrzehnte. Zunächst wurden Noricum und Pannonien gemeinsam verwaltet. Die römischen Besatzungstruppen im Ostalpenraum und an der norisch-raetischen Donau blieben noch darüber hinaus relativ klein. Zugleich wurden in den eroberten Gebieten bald Truppen für den Einsatz in anderen Provinzen rekrutiert. Die Bewohner mussten Steuern zahlen, darunter die Kopfsteuer, die diejenigen zu leisten hatten, die keine römischen Bürger waren. Schließlich konsolidierte sich unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) die administrative Einteilung in Provinzen: Raetien, das sich vom Inn und dem Zillertal westwärts erstreckte; Noricum, das östlich davon bis zum Alpenostrand anschloss und mit dem Gebiet von Celeia/Celje/Cilli auch ins heutige Slowenien reichte; und Pannonien wiederum östlich davon. Um 40 n. Chr. oder bald danach wurde die Legio XV Apollinaris in Carnuntum stationiert, wo die von der Ostsee kommende Bernsteinstraße die Donau überquerte. Längere Zeit blieb Carnuntum damit das einzige Legionslager des österreichischen Raumes; weder in Raetien noch in Noricum standen so große Heereseinheiten.

Allmählich wurde die Infrastruktur römischen provinzialen Lebens aufgebaut. Die oft aufwendig angelegten transalpinen Straßen waren das Rückgrat der römischen Präsenz, und heute noch belegen Reste von Straßen, Meilensteinen (etwa am Radstädter Tauern), Raststationen (wie das archäologisch gut erforschte Immurium/Moosham im Lungau) und Votivgaben die römerzeitliche Benützung auch hochgelegener Alpenübergänge (sogar des 2575 m hohen Hochtors an der Glocknerstraße). Die Hauptverbindung von der Donau nach Italien, ein Teilstück der Bernsteinstraße, umging allerdings die Alpen im Osten und verlief von Carnuntum über Scarbantia/Sopron/Ödenburg, Savaria/Szombathely/Steinamanger, Poetovio/Ptuj/Pettau, Celeia/Celje/Cilli und Emona/Ljubljana/Laibach nach Aquileia. Von Augusta Vindelicorum / Augsburg führte eine wichtige transalpine Verbindung über Brigantium/Bregenz und Curia/Chur nach Italien. Stadtgründungen begannen ebenfalls unter Claudius und konzentrierten sich zunächst auf das Draugebiet. Der norische Hauptort am Magdalensberg wurde durch die Talsiedlung Virunum auf dem Zollfeld ersetzt, wo sich der Sitz des Provinzstatthalters befand. Als Municipien, Städte mit eingeschränktem römischem Bürgerrecht, gegründet wurden ferner Teurnia nahe Spittal an der Drau und Aguntum bei Lienz, nördlich der Alpen Iuvavum/Salzburg. In diesen Städten wurden vor allem italische und andere Zuwanderer angesiedelt. Etwas später kam Flavia Solva beim steirischen Leibnitz dazu; auch Carnuntum war Municipium. Wenig markant blieb zunächst die römische Erfassung des Raumes donauaufwärts von Carnuntum; erst in flavischer Zeit (69–96) ist hier der Bau der Limesstraße und von Militärposten belegt. Freilich handelte es sich noch für etwa ein Jahrhundert vorwiegend um Holz-Erde-Lager, erst später wurden die Kastelle in Ziegelbauweise errichtet.

Auch wenn sich bereits aus dem 1. Jahrhundert die typische materielle Hinterlassenschaft der römischen Kultur abzeichnet (oft noch klar als Hinterlassenschaft von römischen Zuwanderern identifizierbar), blieben viele regionale Besonderheiten erhalten. Dazu gehören etwa Kultstätten und inschriftliche Nennungen lokaler und überregionaler keltischer Gottheiten (wie Grannus oder Teutates) oder die norisch-pannonische Frauentracht, bei der vor allem die markanten Kopfbedeckungen der Frauen hervorstechen. Was üblicherweise »Romanisierung« genannt wird, war ein komplexer Akkulturationsprozess, dessen Erfolg gerade darauf beruhte, dass die Römer flexibel fremde Traditionen integrieren konnten. Die römische Religion etwa erlaubte es, fremde Gottheiten oder mythische Gestalten mit solchen des römischen Pantheons oder der klassischen Mythologie zu identifizieren (etwa Isis Noreia, Mars Latobius oder Iuppiter Arubianus). In dieser Form konnte dann eine lebendige provinziale Mischkultur entstehen, so dass etwa Frauen in norischer Tracht auf Epitaphien römischer Machart abgebildet sind. Zuwanderer kamen nicht nur aus dem Imperium, auch »Barbaren« von jenseits der Grenzen wurden von Anfang an auf Reichsboden angesiedelt. So war etwa der Westteil Pannoniens südlich der Donau und östlich des Neusiedler Sees zunächst dünn besiedelt; hier wurde die Gefolgschaft des vertriebenen Quadenkönigs Vannius angesiedelt.

Die Beziehungen zu Roms nördlichen Nachbarn waren zunächst im Wesentlichen friedlich. Nur durch Truppenentsendung war Pannonien von den Dakerkriegen betroffen, die bis zur Unterwerfung der Daker durch Trajan immer wieder ausbrachen. Näher lagen seit der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. die Siedlungen der sarmatischen Jazygen im Theißgebiet, die aus den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres kamen und gegen die unter anderem Kaiser Domitian zu kämpfen hatte. Die Markomannen, die vom Weinviertel bis nach Mähren und Böhmen hinein siedelten, und die Quaden in der heutigen Westslowakei standen meistens in einem Klientelverhältnis zu Rom. Wald- und Mühlviertel waren kaum besiedelt. In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts erreichten die Machtstellung und Prosperität des Imperiums ihren Höhepunkt, und das bedeutete auch für Noricum und seine Nachbargebiete eine friedliche Zeit. Die Urbanisierung der Provinzen wurde u. a. durch die Gründung der Municipien Ovilava/Wels und Aelium Cetium / St. Pölten verstärkt, die vielleicht anlässlich eines Besuchs von Kaiser Hadrian in Raetien und Noricum im Jahr 122 erfolgte. In Vindobona zog 113 oder bald darauf die Legio X Gemina ein. Unter Trajan wurde offenbar der Umbau des Lagers Carnuntum in Stein abgeschlossen, statt der 15. Legion wurde hier nun die Legio XIIII Gemina heimisch. Damals wurde die Stadt nach der Teilung Pannoniens Residenz für den Statthalter Oberpannoniens. Die Zivilstadt von Carnuntum dehnte sich rasch aus. Auch die ländliche Besiedlung intensivierte sich; mehrere villae rusticae, Landgüter mit gehobener Ausstattung, aus dem 2. Jahrhundert wurden archäologisch erschlossen, etwa in Altheim im Innviertel.

Im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts wurde der Aufbau der römischen Infrastruktur durch die Markomannenkriege unterbrochen. Sie waren vor allem das Resultat von Migrationen und Machtverschiebungen in der Germania nördlich der Karpaten. Am ersten Angriff auf Oberpannonien im Jahr 166 waren etwa Langobarden von der unteren Elbe beteiligt; er konnte bald abgewehrt werden. 169 griff eine viel größere Streitmacht an, in der die benachbarten Markomannen, Quaden und Jazygen wohl am zahlreichsten waren; sie drang bis nach Oberitalien vor, während andere Gruppen in Pannonien und Noricum plünderten. Archäologische Hinweise auf Zerstörungen, die in diese Zeit datiert werden könnten, gibt es etwa aus Iuvavum, Aelium Cetium und Flavia Solva. Als die Feinde vertrieben waren, setzte Kaiser Marc Aurel 172 von Carnuntum aus zum Gegenschlag an; dazu wurden mehrere Donaubrücken errichtet. Das war jener Feldzug, von dem das »Regenwunder« berichtet wird – ein plötzlicher Regenguss, der den bedrängten Römern in kritischer Lage zum Sieg verhalf. Der Feldzug, der zur Unterwerfung der Quaden führte, wurde auf der Marc-Aurel-Säule in Rom ausführlich propagandistisch stilisiert. Weitere römische Feldzüge, aber auch Plünderungszüge der Barbaren folgten. Vorposten nördlich der Donau wurden eingerichtet, etwa in Mušov in Südmähren, wo ein reiches Grab eines wahrscheinlich verbündeten Germanenfürsten gefunden wurde. Gegen Ende der 170er Jahre waren bereits weite Teile des Markomannen- und Quadenlandes besetzt. Als Marc Aurel 180 starb (kaum wie früher oft angenommen in Vindobona), verzichtete sein Sohn Commodus darauf, neue Provinzen zu errichten. Die Kriege führten aber zu einer verstärkten Militarisierung der Donaugrenze zwischen Raetien und Pannonien. Im neu errichteten Lager Lauriacum an der Ennsmündung wurde die Legio II Italica stationiert. Überall entlang des Donaulimes wurden nun neue Wachttürme und Befestigungsanlagen errichtet.