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Zugegeben, es ist ein etwas hochtrabender Titel. Man könnte fast meinen, es wäre ein Stück Geschichte der Welt. Doch das, was wir gemeinhin als Geschichte kennen, ist doch mehrheitlich die Sammlung von Daten, Kriegen und Katastrophen, Verzeichnisse von Macht und Unterdrückung oder der Triumphe von Muskelprotzen und Demagogen. Die Geschichte handelt mehr von der Bewegung der Massen, und kaum vom Maß des Einzelnen. Und doch, so meine ich, spielt sich die eigentliche Geschichte der Menschen in den Geschichten ab, die Einzelne erleben, die Geschichten, die dem Alltag seine Muster und Farben geben, die die Töne des Miteinanders gestalten, und die das Werden der kleinen Freuden, des Schmunzelns, und der manchmal skurrilen Kleinigkeiten und Absurditäten zum großen Leben wachsen lassen. In diesem Sinne sind die kleinen Geschichten Welt-Geschichten, und wer weiß, vielleicht bringen sie uns dem eigentlichen Verständnis unserer Geschichte ein kleines Stück näher - und, sie dürfen weiter geschrieben werden.
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Seitenzahl: 80
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Buchbeschreibung:
Zugegeben, es ist ein etwas hochtrabender Titel. Man könnte fast meinen, es wäre ein Stück Geschichte der Welt. Doch das, was wir gemeinhin als Geschichte kennen, ist doch mehrheitlich die Sammlung von Daten, Kriegen und Katastrophen, Verzeichnisse von Macht und Unterdrückung oder der Triumphe von Muskelprotzen und Demagogen. Die Geschichte handelt mehr von der Bewegung der Massen, und kaum vom Maß des Einzelnen. Und doch, so meine ich, spielt sich die eigentliche Geschichte der Menschen in den Geschichten ab, die Einzelne erleben, die Geschichten, die dem Alltag seine Muster und Farben geben, die die Töne des Miteinanders gestalten, und die das Werden der kleinen Freuden, des Schmunzelns, und der manchmal skurrilen Kleinigkeiten und Absurditäten zum großen Leben wachsen lassen. In diesem Sinne sind die kleinen Geschichten Welt-Geschichten, und wer weiß, vielleicht bringen sie uns dem eigentlichen Verständnis unserer Geschichte ein kleines Stück näher - und, sie dürfen weiter geschrieben werden.
Über den Autor:
Hans von Holt wurde im Jahr 1946 im weitgehend ausgebombten Hamburg geboren. Sein Spielplatz waren die Trümmer, die eine frühe Prägung hinterlassen haben. Er studierte Musik in Hamburg, Amsterdam und Salzburg. Er kam 1972 ein erstes Mal in die Schweiz.
Hier entstand aus der Leidenschaft zur Fotografie ein zweiter Beruf. Audiovisuelle Tätigkeiten führten ihn in die Welt von Film und Fernsehen. Berufsbegleitend ergänzte er seine Ausbildung zum Tonmeister. Als Filmtonmeister arbeitete er während fünfundzwanzig Jahren in Zürich und Köln. Nebenbei engagierte er sich im Musiktheater der »Mixt-Media«, Basel mit vielen Auftritten in Deutschland, der Schweiz, Italien und Griechenland. Mit dem Schreiben begann er in den neunziger Jahren.
Es begann mit der Erzählung »Nonnas Tafelrunde«, gefolgt von dem Roman »Die Wolken von Esopotamien«, 2007 folgte der Sammelband von Kurzgeschichten »Geschichten der Welt«. 2010 folgte das Theaterstück »Sisyphos oder das Ende der Ewigkeit«, ein Beitrag zum »Stuttgarter Autorenpreis 2010«, ein Theater um den Menschen, 2019 der Roman »Mein Name sei Sisyphos«, 2022 der Thriller »inject«
In Gedenken an Klara Hauser
Die Dümmste
Doppelleben
Das Getriebe
Die Masche
Die Katze
Das Ende der Schafe
Ernst
Der Fall
Der Bücherwurm
Theater
Der Hund
Der Maulwurf
Die Mandoline
Alltag
Ein Wiedersehen
Die Rose
König Parzival
Adam & Eva
Mittsommernacht
Sie haben Jesus das Lachen gestohlen
Die Bratwurst
Sissy Voss
Bodega
Die Gitarre
Rio Ooste
Happy Birthday
Wenn der Wind weht ...
Gezeiten
Sein oder Sein
Die Heimkehr
Ein Käfig voller Narren
Der Gast
Im Gefängnis
Vom gleichen Autor erschienen
Diese Geschichte entstand am Kölner Rheinufer. Ich saß da mit der Marquise von O, die ihren Hund von der Leine gelassen hatte. Sie war es, die diese Geschichten in Gang setzte. Wir unterhielten uns, schauten auf das Wasser, und sie meinte sie zu mir:
»So! Erzähle mir jetzt eine Geschichte!« Ihr Ton duldete keinen Widerspruch. Ich dachte nach, meine Augen folgten ihrem Hund und ich begann.
Ein Hund kam in die Küche, und – nein, er stahl dem Koch nichts! Das war nicht seine Art. Der Koch mochte den Hund nicht, und der Hund mochte den Koch nicht. Das war kein Wunder, denn er war ein Hund mit Niveau, der eine besondere Küche zu schätzen wusste. Er fand den Koch schlicht und einfach schlecht! So lief der Hund denn mit erhobener Nase, jedoch keineswegs hochnäsig, durch die Küche. Er trachtete danach – bei aller Bescheidenheit – seine Nase oberhalb der Düfte zu halten, die am tiefsten gefallen waren. Er kam an der Ecke des Herdes vorbei, wo er gerne als Zeichen seiner Einschätzung der hier waltenden Kochkünste seine Notdurft verrichtet hätte. Allein, es war nicht Zeit für solche Geschäfte, und so markierte er hier, im Vorbeigehen das Bein hebend, als Ersatz für das, was er momentan nicht konnte, seine Spur. Er kam ins Freie und schlug, dem Bedürfnis nach einem frischen Winde folgend, den Weg zum Rheinufer ein. Von Ferne sah er, weit ins Wasser vorgeschoben und auf einer Buhne sitzend, etwas halb Liegendes, halb aufrecht Gebogenes, das im Sonnenlicht weißlich-gelb schimmerte. Die Umrisse waren nicht scharf, was nach allem, das die Konturen an Interpretation zuließen, auf etwas »Scharfes« schließen ließ. Aber eben: Er hatte keine Brille auf und musste sich bei dieser Entfernung auf Vermutungen beschränken. Das war nicht zu ändern, denn ein Hund mit Brille?! Das wäre jawohl der Abgrund der Ästhetik! Er trottete, als wäre nichts gewesen und munter vor sich hin pfeifend, näher und näher und ... näher ....
Die Konturen wurden schärfer, er ahnte mehr, als dass er sah ... und dann sah er deutlich, und es lag vor ihm in der Sonne, und er glaubte es kaum. Für manchen war es nur krumm. Für ihn war es die dümmste Banane der Welt. Sich zu überlegen, was die da wollte, und wie sie dahin gekommen war, war ihm nun wirklich zu dumm.
Es war ein Traum, der den Morgen erreichte, spürbar blieb und Konturen hinterließ, denen ich nachsinnen konnte. Zwischen Tag und Traum entstand diese Geschichte.
Es ist ein eigenartiges Gefühl, sich selber zuzuschauen. Wir kennen es wohl alle in irgendeiner Form, und doch ist der Gehalt, wie es erlebt wird, verschieden.
Es geschah mir, als ich in einer Badewanne lag. Sie war geräumig, und ich war eingeschlafen. Gleichzeitig stand ich daneben, nicht bloß eine beobachtende Instanz, nein, leibhaftig, und ich sah meinen Kopf unter Wasser rutschen, wo er blieb. Mir war – neben der Wanne – klar, dass ich – in der Wanne – allen Grund hätte, aufzuwachen. Bekanntermaßen ist es ungesund, über eine gewisse Zeit hinaus ohne Luft und Atem zu bleiben. Ich stand da, zunächst neugierig, wann ich denn aufwachen würde. Man lässt so etwas ja nicht tatenlos über sich ergehen. Mit zunehmenden Sekunden schlich sich eine Besorgnis ein, da sich in meinem Wannen-Ich nichts regte, und ich sah, wie ich munter weiter schlief. Ich versuchte, mir einen mentalen Stups zu geben, aber der kam nicht bei mir an, und vermochte Morpheus Hüllen nicht zu durchdringen.
Die Zeit verrann unabdingbar, und da ich doppelt leibhaftig war, war mir die Möglichkeit geboten, leibhaftig einzugreifen. Ich spürte die Schwelle, wo die Luft gerade noch zur Existenz gebraucht wird, die dünne Nahtstelle zur anderen Seite, dort, wo sie gerade nicht mehr vonnöten ist, sich in der Überflüssigkeit verliert. Die Leibhaftigkeit ging ebenfalls immer unwiderruflicher in die Überflüssigkeit über: Der Auftakt zum Verwesungsprozess, dem wir uns ungern hingeben, obwohl wir um seine Unvermeidlichkeit wissen.
Hinzukommt, was ich anfangs zu erwähnen vergaß, dass ich mir, in dieser Wanne liegend, ausnehmend gut gefiel. Ich befand mich von traumhaft apollinischer Statur. Dem Narziss wäre es kaum besser gelungen, mit dem Unterschied, dass ich zu meiner Betrachtung einen nüchterneren Abstand behielt, der mein Urteil über mich in eine größere Objektivität erhob. Das gab den entscheidenden Anstoß, denn jetzt war es Zeit zu handeln, bevor mein Wannen-Ich der Unwiderrufbarkeit anheimfiel. Ich griff hinein ins Wasser und in das nicht mehr volle Menschenleben, hob mich heraus und stellte mich auf den Kopf so gut es ging, um alles Wasser aus den Lungen herauslaufen zu lassen. Ich musste ziemlich pressen, aber am Ende gelang es. Der Atem, der sich seiner Rhythmik schon entwöhnt hatte, wollte aufs Neue in Gang gesetzt werden. Nach langem Drücken und Loslassen nahm er sein Fließen wieder auf.
Ob ich weiter eins oder doppelt bleibend durchs Leben schreite, blieb mir die Zeit nicht, es herauszufinden, denn in diesem Augenblick erwachte ich: Mein drittes Ich, das dem Gedanken wohl noch nach hängen wird.
Die Marquise von O hatte des öfteren gewisse Pannen – mit ihrem leicht bejahrten Fahrzeug. Es war wieder einmal so weit, das Automobil wollte dem Sinn seiner Bezeichnung – mobil – nicht nachkommen. Der Motor lief, und es bewegte sich nicht. Und damit hatte es folgende Bewandtnis.
Es ist ein Getriebe in der Welt.
Ja, ein Getriebe nicht nur im Sinne des Treibens, das die Menschen anstellen, nein, es ist ein Getriebe, welches treibend zur Bewegung beiträgt, ja notwendig ist, nämlich zur Fortbewegung. Man kann sich hier fragen, inwieweit die Fortbewegung von einem Ort zum anderen etwas Symbolisches hat in Bezug auf die Fortbewegung in der menschlichen Entwicklung, was eigenartigerweise Fort-Schritt genannt wird, wozu keinerlei Getriebe notwendig ist. Um diese Frage soll es hier nicht gehen. Ich meine zunächst ein solches Getriebe, welches als besonders schmerzlich empfunden wird, wenn es fehlt. Wir sehen, es geht mehr ums Fort-Fahren als ums Fort-Schreiten.