Mein Name sei Sisyphos - Hans von Holt - E-Book

Mein Name sei Sisyphos E-Book

Hans von Holt

0,0

Beschreibung

Hans von Holt wurde im Jahr 1946 im weitgehend ausgebombten Hamburg geboren. Sein Spielplatz waren die Trümmer, die eine frühe Prägung hinterlassen haben. Er studierte Musik in Hamburg, Amsterdam und Salzburg. Er kam 1972 ein erstes Mal in die Schweiz. Hier entstand aus der Leidenschaft zur Fotografie ein zweiter Beruf. Audiovisuelle Tätigkeiten führten ihn in die Welt von Film und Fernsehen. Berufsbegleitend ergänzte er seine Ausbildung zum Tonmeister. Als Filmtonmeister arbeitete er während fünfundzwanzig Jahren in Zürich und Köln. Nebenbei engagierte er sich im Musiktheater der »Mixt-Media«, Basel mit vielen Auftritten in Deutschland, der Schweiz, Italien und Griechenland. Mit dem Schreiben begann er in den neunziger Jahren. Es begann mit der Erzählung »Nonnas Tafelrunde«, gefolgt von dem Roman »Die Wolken von Esopotamien«, 2007 folgte der Sammelband von Kurzgeschichten »Geschichten der Welt«. 2010 folgte das Theaterstück »Sisyphos oder das Ende der Ewigkeit«, ein Beitrag zum »Stuttgarter Autorenpreis 2010«, ein Theater um den Menschen, 2019 "Mein Name sei Sisyphos", 2022 "inject"

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 142

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



BUCHBESCHREIBUNG:

Sisyphos ist eine aktuelle Geschichte, die so oft durchlebt wurde, daß es an der Zeit ist, sie als Heutige zu reflektieren ― gerade in einer Zeit, in der das Reflektieren schon fast abhanden gekommen ist. Der antike Sisyphos ist eine Metapher, eine Struktur, die viele Menschen im eigenen Lebenslauf wiedererkennen mögen.

Auch wenn das antike Vorbild in seiner ganzen Ausweglosigkeit überliefert wurde, so scheint mir dies nicht so absolut zu sein, wie es erzählt wurde. Sisyphos ist ein Heutiger. Darüber können die antiken Wurzeln nicht hinwegtäuschen.

Tauchen wir ein in ein spannendes Geflecht aus gewohntem Alltag und seelischer Tiefe, aus Schicksal und Mut, in welchem möglicherweise ein Ariadnefaden sichtbar wird. Wohin er führt, und ob er uns zu einem Ausgang aus dem Labyrinth des Lebens, zu einer Lösung führt, kann sich erst am Ende zeigen.

Der Autor bedient sich der alten deutschen Rechtschreibung und benutzt das generische Maskulinum in Wertschätzung des ganzen Menschen und seiner sprachlichen Wurzeln und nimmt Abstand von gendersprachlichen Exkursen.

RÜCKMELDUNGEN VON LESERN

U.L. Ich bin begeistert von diesem Buch. Jeder Satz ist ein Genuss.

Normalerweise überfliege ich die Sätze, was ich hier nicht kann, weil es schade für jedes verpasste Wort wäre. Es ist etwas gelungen, das die tieferen Ebenen anspricht! Auf jeden Fall bei mir, obwohl ich über die Götter nicht so viel Wissen habe. Also nochmals herzliche Gratulation.

W.D. Mir fehlen beinahe die Worte, so sehr begeistert mich der Sisyphos-Roman!!! Abgesehen davon, dass es wirklich eine Geschichte (im doppelten Wortsinn) ist, schafft der Autor auch literarische Variationen, die voll überzeugen.

Umwerfend für mich jene Teile in der Götterwelt, an denen ich als hochliterarisch im Sinne von Wortverwandlungen/ -verwandtschaften/ -spielen mich ergötze. Aber auch die Ebene der beiden Vosses ist absolut überzeugend eingefangen - auch jene, wo er immer wieder mal ahnungsvoll sein Dasein am Felsen und der grandiosen Idee eines Nichts, statt dem an sich schon unmöglichen spitzen Gipfel erinnert. Aber auch der Tiefengehalt der hinführenden Grundaussage kommt, ohne belehrend zu sein, gut herüber. Ich könnte jetzt noch eine Menge schreiben, so sehr hat mich der Roman eingenommen.

E.J. Ein fantasievoller, flüssig geschriebener Roman mit viel Humor und ›Altersweisheiten‹. Ich habe ihn sehr gerne gelesen, viel lachen können und die Verbindung der göttlichen Griechen zu den heutigen ›Göttern‹ raffiniert gefunden. Subtil revolutionär.

ÜBER DEN AUTOR:

Hans von Holt wurde im Jahr 1946 im weitgehend ausgebombten Hamburg geboren. Sein Spielplatz waren die Trümmer, die eine frühe Prägung hinterlassen haben. Er studierte Musik in Hamburg, Amsterdam und Salzburg. Er kam 1972 ein erstes Mal in die Schweiz. Hier entstand aus der Leidenschaft zur Fotografie ein zweiter Beruf. Audiovisuelle Tätigkeiten führten ihn in die Welt von Film und Fernsehen. Berufsbegleitend ergänzte er seine Ausbildung zum Tonmeister. Als Filmtonmeister arbeitete er während fünfundzwanzig Jahren in Zürich und Köln. Nebenbei engagierte er sich im Musiktheater der »Mixt-Media«, Basel mit vielen Auftritten in Deutschland, der Schweiz, Italien und Griechenland. Mit dem Schreiben begann er in den neunziger Jahren.

Es begann mit der Erzählung »Nonnas Tafelrunde«, gefolgt von dem Roman »Die Wolken von Esopotamien«, bzw. »inject«. 2007 folgte der Sammelband von Kurzgeschichten »Geschichten der Welt«. 2010 folgte das Theaterstück »Sisyphos oder das Ende der Ewigkeit«, ein Beitrag zum »Stuttgarter Autorenpreis 2010«, ein Theater um den Menschen und um den Grund für des Menschen Einkommen.

Im Gedenken an die griechische Seele

und die immense Leistung,

die sie für die Menschheit erbrachte.

Alles, was wahr ist, war schon immer wahr.

Alles, was Du suchtest, war schon immer da.

Nichts, was Du siehst, ist das, was es ist.

Nichts, was Du trennst, ist das, was Du bist.

Erkenne Dein Selbst.

Das Orakel von Delphi

Inhaltsverzeichnis

Buchbeschreibung

Rückmeldungen von Lesern

Über den Autor

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

ES BEGANN IN KORINTH

Kapitel 2

DER ANFANG

Kapitel 3

DAS GERICHT

Kapitel 4

DER BERG

Kapitel 5

INTERMEZZO

Kapitel 6

TRAUM

Kapitel 7

SISSY VOSS

Kapitel 8

MOUNT CLEAN

Kapitel 9

ALLTAG

Kapitel 10

SISSY

Kapitel 11

ARBEIT

Kapitel 12

DIE AUGEN

Kapitel 13

NOCH IMMER AM BERG

Kapitel 14

INTERMEZZO

Kapitel 15

PARTYTIME

Kapitel 16

KOMMISSAR SIEGFRIED VOSS

Kapitel 17

ABGESANG ― das letzte Kapitel

Endnoten

Die Personen

Danksagung

BIBLIOGRAFIE

VORWORT

Sisyphos ist eine Geschichte des Menschen, des Menschen schlechthin, oder besser, des europäischen Menschen. Für die anderen kann ich nicht sprechen. Es ist eine mögliche Geschichte. Eine der möglichen, eine, die immer wieder und wieder ausprobiert wird. Eine ganz normale Geschichte. Das scheint ihre Besonderheit zu sein: ihre Normalität. Man könnte andererseits sagen, daß sie unmöglich sei. Aber dies scheint ein Phänomen des Menschseins zu sein, daß die unmöglichsten Geschichten immer wieder durchlebt werden. Menschsein als eine Form der Widersprüche, des Paradoxen.

Es ist eine Hommage an die griechische Seele, die sich mit heldenhaftem Mut um diese unmögliche Geschichte verdient gemacht und sich all diesen Polaritäten gestellt hat. Dies ist ein Versuch, einer dieser unmöglichen Geschichten auf die Schliche zu kommen, weil sie so oft gelebt wird, nicht nur im antiken Griechenland und in der alten Götterwelt, sondern gerade heute, in einer Zeit des Umbruchs, wo Widersinnigkeiten und Unmöglichkeiten elegant ›umschifft‹ werden. Das gibt der Geschichte des Sisyphos unter der Oberfläche Raum, sich auszuleben, breitzumachen, unbemerkt aktiv zu sein.

Ich will versuchen, alle Aspekte, deren ich habhaft werden kann, zusammenzutragen, um ― wenn möglich, Hintergründe zu erhellen ― wirkliche und mögliche. Das ist kein wesentlicher Unterschied, da alles, was möglich ist, einmal in die Wirklichkeit erhoben wird. So ist der Mensch. Aufgrund der langen Geschichte, die diese aufzuweisen hat, erlaube ich mir, folgende Behauptungen aufzustellen:

Sisyphos hat viele Gesichter. Sisyphos ist eine Sammlung von Lebensaspekten, von Schnappschüssen aus Raum und Zeit, ein Fenster zu Lebensformen. Die Versuche des Menschen, das hiesige Leben zu leben und zu meistern. Oder einfach nur glücklich zu sein. Manchmal auch dies zu vermeiden. Fragen nach dem Sinn. Fragen nach dem Scheitern. Fragen nach dem Wert. Der Schwerpunkt liegt auf den Fragen.

Auf der Suche nach einem Sinn wird es immer deutlicher, daß die richtigen Fragen wichtiger sind als die Antworten. Nicht die Fragen als solche sind genug. Denn es gibt dumme Fragen und unwichtige Fragen. Wichtig sind die intelligenten Fragen. Intelligenz, die ihre Quelle in Wahrnehmung und Fühlen hat. Aber was ist Intelligenz? Was ist Fühlen? Was ist Glücklichsein? Und gibt es einen Weg zum Glück? Warum einen Weg? Warum muß Glück erst gefunden werden? War es nicht von Anfang an da ― bis ...?

Alles, was wir bis jetzt wahrnehmen können, ist ein Sisyphos, der einen weiten Weg geht. Er geht ihn ― immer bergauf ― vom Verschlagenen über den Intelligenten, bis ...? Daß er immer wieder unten, immer wieder von Neuem beginnt, macht uns glauben, er käme nicht von der Stelle, bliebe an immer demselben Hang stecken. Doch das ist der äußere Schein. Was wirklich geschieht, das kann sich erst am Ende zeigen. Nicht am Ende der Fragen, denn es ist fraglich, ob sie jemals enden. Eher am Ende der Antworten. Aber wir wollen nicht vorgreifen.

Wie es dazu kam, wird wohl noch lange im Mythos der Vermutungen vergraben sein, obwohl die Historiker ihn zu kennen glauben ― den Mythos. Und den Sisyphos? Die Vermutungen führen uns zum Mut, den der griechische Mensch einst aufbrachte, den Weg der Fragen zu gehen, ohne Rücksicht auf die Antworten. Das war damals neu. Heute auch. Oder immer noch? Das Labyrinth des Ungewissen auf sich zu nehmen, das Risiko des Lebens, ist ein mutiges Unterfangen. Einem ›Faden‹ zu folgen, ohne den Ausgang zu wissen, ohne zu wissen, wo man ankommt, scheint nicht jedermanns Sache zu sein. Im Labyrinth läuft die Zeit anders. Und ob der Faden zum Ausgang führt, sich als ›Ariadnefaden‹ erweist, ist ungewiß. Ob der Ausgang am Ende der einstige Anfang ist, kann nur die Erfahrung zeigen. Alles mag anders sein. In der Welt läuft die Zeit anders als im Labyrinth.

Die Antwort steht über dem Eingang des Orakels von Delphi. Dem Tempel des Apollon.

PROLOG

Ich sitze hier in Gefilden, zu denen es die Menschen nicht zieht, zumindest normalerweise nicht. Die meisten haben eher Angst davor. Mit einigen Ausnahmen natürlich. Obwohl es aus meiner heutigen Sicht keinen Grund gibt, sich zu fürchten. Mancher wird es schon vermutet haben, von welchen Gefilden ich hier spreche. Man nennt sie zum Beispiel das Jenseits. Früher nannten wir sie Hades. Oder wie immer Ort, Zeit und Gewohnheit der Menschen sie zu nennen pflegten. Mit jedem Begriff einer jeden Gegenwart waren Vorstellungen verknüpft. Aber ich kann Ihnen versichern: Keine der Vorstellungen ist am Ende zutreffend. Man kann auch sagen: Alle Vorstellungen sind ― bei Beachtung ihres Ablaufdatums ― passend, denn das, was wir uns im Erdenleben als Wahrheit vorstellten, das Absolute, Einzigartige, gibt es hier nicht. Und wie viele Vorstellungen haben uns zu Meistern der Verstellung gemacht?

Hier ist es eher so ― wenn man denn von einem örtlichen ›hier‹ reden will ― daß die Fähigkeit, sich zu verstellen, abhanden gekommen ist. Die Vorstellung, daß die Verstellung unmöglich ist, mag dem Erdenmenschen Unbehagen einflößen, ein Gefühl der Nacktheit vermitteln. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, kann man sich zunehmend in die Vorteile dieses Seins einleben, auch wenn uns mancher Erdenbürger nicht zu den Lebenden zählt. Das sehen wir hier etwas anders. Das Maß an Klarheit, das ohne Verstellungen in Erscheinung tritt, weil die Vorstellung in den Hintergrund gerät, ja abhanden gekommen ist, bringt ein angenehmeres Dasein mit sich als das in irdischen Gefilden übliche Versteckspiel mit den kleinen und größeren Maskeraden.

Ich möchte eine gewisse Vorsicht den Berichten jener gegenüber anraten, die zurückkehren konnten. Derer, von denen man heute sagt, sie seien ›klinisch‹ tot gewesen. Sicher mag der eine oder andere von ihnen schon ein Stück des jenseitigen Weges gegangen und in der Lage sein, authentisches Erleben zu vermitteln, was nebenbei gesagt subjektiv ist und für jeden wieder andere Aspekte hat, neben vielem, was kollektiv ist. Doch wie es ist, bekommt erst seine volle Gültigkeit und Transparenz, wenn es keinen Weg zurück mehr gibt, unabdingbar, endgültig, nicht mehr das leiseste Silberschnürchen zur Körperlichkeit, es sei denn, man ließe sich auf ein neues Geborenwerden ein. Das kann nicht als ein ›zurück‹ bezeichnet werden. Eher als ein ›noch mal von vorne‹ ― womit wir wieder bei unserer Geschichte sind ― in jedem Fall ein erneuter Aufstieg aus der Jugend zum Gipfel des Alters, auf welchem es keinen Verbleib gibt. Warum es auf dem Gipfel keinen Verbleib geben kann, wird uns Sisyphos später eindrücklich demonstrieren.

Ich will Sie nicht langweilen mit Dingen, die Sie unabdingbar erleben, oder sollte ich sagen ersterben werden. Warum ich mich melde aus dem Jenseits, hat nur den Grund, daß ich einiges richtigstellen möchte, Dinge, die nicht so überliefert wurden, wie sie mir heute zu stimmen scheinen. Sei es, daß der ›Transport‹ aus mythischer Zeit und reiner Polarität hinein in die Welt der Worte mit ihren gedanklichen Strukturen in eine Welt der Gegensätze nicht so geklappt hat. Sei es, daß das Ende der Geschichte in seiner ursprünglichen Überlieferung mehr Vermutung als Wahrheit wurde, mehr einem moralischen Soll Genüge tat, als dem Fluß des Geschehenen zu entsprechen. Ist dem Mythos der Humor abhanden gekommen? War er jemals dort zu finden? Der Ernst ist herrschsüchtig geworden und will von der Erde nicht weichen. So scheint der Ernst der einzig wirklich Unsterbliche zu sein, obwohl er in der Götterwelt verständlicherweise keinen Platz erhielt. Dazu spielte die Lust bei den Göttern eine zu große Rolle. Hier wird ein Stück der Tragik sichtbar: Eine göttliche Aphrodite, ein weiser Apollon, eine kluge Athene, um nur einige zu nennen, schwanden dahin, und ein profaner Ernst ist nicht totzukriegen.

So sitze ich hier, jenseitig, für die meisten unhörbar, für fast alle unsichtbar, und doch so anwesend in der irdischen Welt wie selten zuvor. Das liegt weniger an meiner Hinwendung zu euren irdischen Gefilden als daran, daß meine Geschichte für so viele ungemein attraktiv zu sein scheint. Denken Sie nur, wie intensiv ich heutzutage imitiert werde, in einer Zeit, in der die Masken nicht nur virtuell sind. Man bekommt sie bereits verordnet.

Verzeihen Sie! Ich habe mich nicht vorgestellt. Mein Name ist Sisyphos. Das ist nur wichtig in Bezug auf den Mythos des Sisyphos und die damit verbundene Imitation in der heutigen Zeit. Ansonsten könnten Sie mich auch Meier nennen, Müller, Schmidt oder wie es Ihnen beliebt. Das wäre der Gegenwart durchaus angepaßt. Aus meiner Sicht jedenfalls. Das ist subjektiv. Aber Sie wissen ja aus der Geschichte, wie kraftvoll Subjektives sein kann. Ich habe schon früh lernen müssen, welche Durchsetzungskraft das Subjektive hat, besonders in irdischen Gefilden, wo es sich gerne als Objektivität maskiert. Man schaue sich nur die vielfältige Propaganda an, wie verführerisch sie das Spiel mit vermeintlicher Objektivität treibt. Wenn ich da an Zeus denke ... Aber wir wollen nicht vorgreifen. Diese Verkleidung will ich versuchen, zu vermeiden, was mir gelingen sollte, da mir als Jenseitigem ja die Fähigkeit der Verstellung abhanden gekommen ist. Es sei denn, auch dies wäre wiederum subjektiv.

Dieses Spiel mit der Objektivität war bei den Unsterblichen, wie wir sie früher nannten, ein beliebter Zeitvertreib. Zeit-Vertreib ist ein eigentlicher Widersinn, da die Unsterblichkeit zeitlos sein sollte. Aber Götter vertreiben ja nicht ihre Zeit, sondern unsere ― möglicherweise einer der Gründe für unsere Sterblichkeit. Das Spiel mit der sogenannten Objektivität wurde bei meinem damaligen Prozeß unter der ruhmreichen Führung des Göttervaters Zeus deutlich. Doch davon später.

Jetzt werde ich mich erst einmal auf die Suche nach einem geeigneten menschlichen Ohr machen. Nach einem Menschen aus Fleisch und Blut, einem Diesseitigen, der nebst einer genügenden Fähigkeit zu hören das Gehörte in die geeigneten Worte fließen lassen kann. Heute nennt man das, wie ich letzthin hörte, ›Durchsagen‹ oder moderner ›Channeling‹. Doch vielleicht hat derjenige, der dies für mich aufschreibt, auch nur das Gefühl, ab und zu einen Einfall zu haben, ein Stück Intuition, wenn man so will. Für mich spielt es keine Rolle, wie man es nennt. Autorennamen wären hier Schall und Rauch, wenn es denn so etwas in unseren Gefilden überhaupt gäbe. Die Urheberrechte haben hier keine Bedeutung, so wenig wie Verleger, und noch weniger Verkaufszahlen und Statistiken.

Das ist ein beruhigender Gedanke, denn nach unseren bisherigen Forschungen wohnt der Tabellenkalkulation keine Seele inne. Somit stirbt sie ― die Tabellenzelle ― mit der menschlichen Hülle und ihren Zellen. Vielen macht das heute Angst, und sie verschanzen sich hinter all diesen Zellen voller Zahlen und Formeln wie in einer Burg, ohne zu merken, daß Zellen ein wesentlicher Teil eines Gefängnisses sind. Aber ich kann euch versichern, es ist eine riesige Erleichterung, wenn man sie hinter sich gelassen hat. Statistiken und Tabellenzellen sind ja unglaublich rückwärtsgewandt, bauen auf Historien auf und sind damit abgrundtief reaktionär. Dabei nennen sie die eifrigsten meiner heutigen Nachahmer ― man nennt sie, glaube ich, inzwischen Manager ― ›zukunftsträchtig‹. Welch ein Widersinn! Nun ja, keine Angst. Die Erleichterung um diese Dinge ist euch gewiß!

Mir liegt wie gesagt daran, ein weiteres Stück ›Wahrheit‹ in eure Welt zu entlassen. Subjektiv, versteht sich. Da fällt es mir wieder ein: War Wahrheit jemals etwas anderes als subjektiv? Oftmals war sie nur eine Frage des Datums. Ich denke da zum Beispiel an die vielen Helden, die man zu einem anderen Datum vielleicht sogar als Mörder tituliert und hingerichtet hätte. Oder die edlen Kämpfer von Troja, die so tapfer die Liebe von Paris und Helena verteidigten, bis notabene mein eigener Sohn Odysseus sie mit diesem unseligen Pferd hereingelegt hat.

Wer die Liebe verteidigt, hat auf die Dauer in der Gesellschaft kein Brot. Das war damals schon so. Außer in Romanen oder im Kino. Das berühmte ›Happy End‹. Das entspricht nicht den Geschäftsbedingungen. Ob ›happy‹ am Ende glücklich heißt, scheint auch nicht endgültig geklärt zu sein. In der Gesellschaft kehrt sich da manches um. So kennt man heute die Trojaner ― nicht besagtes Pferd ― nur noch als Viren, obwohl in diesem Pferd keine Trojaner waren. Es war Odysseus mit seinen Gefährten. Ein beliebter Etikettenschwindel. Stellen Sie sich vor, Ihr Computerfachmann eröffnete Ihnen, Sie hätten ein ›Pferd‹ im System! Was analog korrekt wäre. Nein, er sagt, Sie hätten einen ›Trojaner‹. Welch eine Verdrehung der Tatsachen! Welch eine Entwicklung! Bei den Göttern! Aber entscheidet das selber, ihr als Leser, als ›Jenseitige‹ ― von mir aus gesehen ― natürlich wieder subjektiv.

So wollen wir von vorne beginnen, so, wie es einmal angefangen hat. Objektiv. Natürlich, ja! Ich weiß ...

Ich bin selbst ein wenig gespannt, wie viel auf diese Weise aus meinen Gefilden in die euren hinüberfließt. Damit übergebe ich an meinen Schreiber.

Es grüßt Euch Sisyphos.

KAPITEL 1

ES BEGANN IN KORINTH