Geschichten zum Zuschauen - Karl Forster - E-Book

Geschichten zum Zuschauen E-Book

Karl Forster

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Beschreibung

Wer es vermag, wirklich zuzuschauen, dem werden die Dinge Ereignis. In den Bildern, die Karl Forster schreibt, gilt das für Naturphänomene ebenso wie für Städte und bis ins kleinste Detail, sogar für die Elemente des Zeichensystems, mittels derer sie ans Licht kommen. Seine Texte funktionieren wie organische Bühnen. Sie breiten sich vor einem aus wie sedimentierte Szenarien - voller Spuren von Leben und Menschsein. Als Leser wünscht man ihnen eigensinnige Spaziergänger im Zuschauerraum. (aus dem Nachwort von Marion Vera Forster)

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Seitenzahl: 55

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Geschichten zum Zuschauen

Gedanken, Gedichte und Kurzgeschichten über Träume und Geträumtes.

von Karl Forster

IMPRESSUM

Copyright © 2019 by Karl Forster, Bad Grönenbach-Zell

Umschlaggestaltung: Karl Forster

Umschlagfoto: Karl Forster

Fotos im Innenteil: Karl Forster

(Seite 34 bis 59 von den als Texttitel genannten Personen)

Verlag und Druck: Tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN 978-3-7497-4930-0 (Paperback)

ISBN 978-3-7497-4931-7 (Hardcover)

ISBN 978-3-7497-4932-4 (e-Book)

Für Monika, die mich mein Zaudern überwinden lässt,

für Marion Vera, die mich immer wieder motiviert,

und für alle, die mich zu einem Text ermutigt oder inspiriert haben.

Inhalt

Das traurige Schiff

Zwischendurch

Die Birke auf dem Telegrafenmast

Der Fels – Die See

Zwei Schiffsführer am See

Zärtliches Amsterdam

für Rolf W. (†)

für Mehmet A.

für Martin D.

für Heinz K. (†)

für Klaus M

für Gregor G.

für Martina H.

für Thomas B.

für Axel H.

für Franz L.

für Meike S.

für Andreas M. (†)

für „ungenannt“ (†)

Die Unfähigkeit eines Traumes, sich zu entschuldigen

Clown

Mala Rava

Cowboy

Der Bär

Der König

Der Löwe

Die Katze

Fee

Hexe

Indianerhäuptling

Die Karote

Kasperl

Matrose

Maus

Printz

Prinzessin

Pumukl

Schneekönigin

Seereuber

Teufel

Zauberer

Zoro

Zwerg

Hilfsworte

Basaltsee

Granitfluss

Ufer

Nachwort

Das traurige Schiff

Eigentlich bin ich für das Wasser bestimmt, aber ich stehe auf Stützen im Allgäu, weitab von Meereswellen und Ozeandünung. Ich roste vor mich hin, seit Jahren. Sicher tut mir das nicht gut und es wird immer unwahrscheinlicher, dass ich noch irgendwann meiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt werde.

Ich selbst habe den Eindruck, dass ich ganz schön robust bin und bestimmt sicher über die Weltmeere segeln könnte, wenn ich nicht noch länger hier auf dem Trockenen stehe und weiter vor mich hin roste. Man würde mich wohl einen gemäßigten Kurzkieler nennen, so ein Ding zwischen traditionellem Langkieler und sportlichem Kurzkieler.

Auf Sport bin ich nicht getrimmt, da ist schon mein Stahlgehäuse zu schwer dafür. Aber sicher wäre ich wohl, rundum fest und mit meinen kleinen Fensteröffnungen auch gegen schwerste Brecher ziemlich gut geschützt. Ich bin schon ein ganz prächtiges Stück, oder könnte es nach meiner Fertigstellung sein. Mit über fünfzehn Metern Länge und fast fünf Metern Breite bin ich doch ziemlich mächtig und würde in Wasser rund zwanzig Tonnen verdrängen.

Gut sechs Tonnen Blei würden mich stabil im Wasser halten und meinen Passagieren viel an Sicherheit bieten.

Ein Skeg vor dem Ruderblatt habe ich auch, damit nichts passiert, wenn ich mal wo dagegenrauschen würde – ja, wenn…

Bevor ich hier unter den Bäumen gegenüber einem landwirtschaftlichen Holzstadel abgestellt wurde, stand ich auf einem anderen Nichtwasserplatz im Allgäu, nicht weit von meinem jetzigen Lagerplatz – im Wasser würde es dann Liegeplatz heißen - entfernt.

Blau kenne ich nur vom Himmel über mir, nicht vom Wasser unter mir und um mich herum, wie es meiner Natur entspräche.

Wo ich in meinen aktuellen Zustand gebracht wurde? Gebaut, also mein Kasko – so heißt der Zustand meiner Unfertigkeit – wurde ich bei einer Firma im Tal der Günz, wenigstens ein Flüsschen und damit ein Hauch von Wasser bei meiner Kiellegung.

Die Günzwerke GmbH, so hieß das Unternehmen in dem ich in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts sozusagen das Licht der Welt erblickte, gibt es nicht mehr. Kein Eintrag im Branchenregister, keine Adresse. Ich war eines der letzten Objekte, das die Hallen verließ oder vielleicht sogar verlassen musste. Vier Jahre lag ich ohne Zuwendungen irgendwelcher Art unter manchmal blauem Himmel und nur Regen brachte mir vertrautes Nass.

Beim Transport an meinen jetzigen Platz musste die Luft aus den Reifen des Aufliegers gelassen werden, weil ich mir sonst meinen Kajütaufbau unter einer Autobahnbrücke angestoßen hätte.

Mein Erbauer ist nach Australien gereist mit dem Versprechen, wiederzukommen und mich fit für die Meere zu machen. Wenn ich dann auch noch die beiden Achtzylinder-Motoren in mir und den langen Weg über Land ins große Wasser überstanden hätte, wollte er mit mir zurück nach Australien segeln, zuvor aber noch rund um die Welt. Nur die Aussicht auf diese Reise in meinem ureigenen Element hat mir die Kraft verliehen, so lange gegen den nagenden Rost anzukämpfen.

Und plötzlich ziehen drohende Wolken auf, keine Wetterwolken. Aus Menschengesprächen habe ich Wortfetzen erfasst, die mir Sorgen bereiten, weil deren Inhalt meine Zukunft bedrohen könnte.

Mein Erbauer hat Schulden bei staatlichen Organisationen, vernehme ich, und das Landratsamt wolle das Geld eintreiben.

Mein Wert wird geschätzt, obwohl das Landratten doch überhaupt nicht können. Also schätzen sie meinen reinen Materialwert. Schrottwert sagen sie respektlos, kennen nicht meine Bestimmung und wie mein Wert sein könnte, wäre ich schon seetauglich.

Der Erlös, sagen sie, würde gerade die Schulden ausgleichen und die Angelegenheit wäre dann aus den Büchern und der Schandfleck außerdem weg. Mit Schandfleck meinen sie mich, obwohl ich selbst in dem unfertigen Zustand in dem ich mich noch befinde, eine gute Figur abgebe. Aber dafür haben sie keine Augen und schon gar kein Gefühl. Voralpenländler eben, mit besonderen Kenntnissen der Viehzucht und der Landwirtschaft. Keine Küstenbewohner mit dem angeborenen Respekt vor Schiffen, auch vor im Bau befindlichen – eben vor allem, was sei sicher übers Wasser tragen kann.

Es wird ein trauriges Ende werden, wie ich es jetzt zu erwarten habe. Meine Vorstellungsgabe reicht nur bedingt aus, mir die Grausamkeit meiner Schrottwerdung vor Augen zu führen. Man wird mich unsanft auf ein Transportfahrzeug laden, und wenn das nicht problemlos möglich sein sollte, wird man mich in transportable Teile zerlegen. Nein, man wird mich zerschneiden mit kreischenden Schneidgeräten oder mit großer Hitze meine feste Hülle zerschmelzen. Dann werden sie meine Teile irgendwo solange Zwischenlagern, bis mein Schrottwert angestiegen ist und ich für wehmütiges Geld in einen Schmelzofen wandere, aus dem ich, gestaltlos und all meiner Träume und Tugenden beraubt, herausfließen werde. Wasser, das Element für das ich bestimmt bin, würde ich bis dahin nie unter meinem Kiel gespürt haben. Das macht unendlich traurig.

Zwischendurch

Worte wandern müdgesprochen

in die Stille dunkler Vergessenheit.

Entfesselte Buchstaben versuchen sich zu ordnen

und bauen auf den stolzen Recken,

der Ihnen Rat und Richtung gibt.

Sierra Tango schmiegen sich an seinen Rücken,

Alpha Bravo glühen im Eifer Schrift zu stellen aus der Weite.

Des Kräftigen Fuß,

von Silbenwogen umtost,

gibt den Zeiger, R.

Die Birke auf dem Telegrafenmast