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Peter Sloterdijk und Thomas Macho über Gott, Geist und Geld, über die Hölle als »Verfassungsorgan«, Gottvertrauen und Geldvertrauen, über Kapitalismus als Religion, über den Zusammenhang von Geist und Geld. Der bekannteste Philosoph Deutschlands und Thomas Macho, Berliner Kulturwissenschaftler und Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, eröffnen neue Perspektiven über Gott, Geist und Geld abseits der vorgedachten Pfade.
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Seitenzahl: 90
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Peter Sloterdijk und Thomas Machoim Gespräch mit Manfred Osten
Gespräche über Gott, Geist und Geld
Titel der Originalausgabe: Gespräche über Gott, Geist und Geld
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Fotos im Innenteil: © Stiftung Schloss Neuhardenberg/Arianna Frickhinger
Umschlaggestaltung: Designbüro Gestaltungssaal Sabine Hanel
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book): 978-3-451-80370-3
ISBN (Buch): 978-3-451-30928-1
MANFRED OSTEN: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zu einem Gespräch über »Gott, Geist und Geld«, wenn man es mit drei Worten zusammenfassen möchte.
Gegenwärtig scheint eine Katastrophe bevorzustehen, die vor allen Dingen auf die Begegnung von Gier und Geld zurückzuführen ist. Dabei blieb der Geist anscheinend auf der Strecke und ich glaube, wir sollten uns fragen, ob wir die Tendenzen, die gegenwärtig vor allem in der Ökonomie und den Finanzmärkten zu beobachten sind, unbedingt hinnehmen müssen oder ob wir uns vielleicht lieber Karl Valentin zuwenden, der ja behauptet hat, alle Menschen seien eigentlich gut, nur die Leute seien schlecht. Oder wie es Ödön von Horváth mal gesagt hat: »Ich bin eigentlich ein ganz anderer, ich komme nur so selten dazu.« Das heißt, wir wollen auch der Frage nachgehen, ob das Wort aus den Evangelien eigentlich noch gilt, der Geist weht, wohin er will und nicht wohin das Geld es will.
Um diesen Themen näherzukommen, habe ich zwei Gäste hier bei mir, die vermutlich jeder kennt.
Peter Sloterdijk, geboren 1947, ist Philosoph und dürfte vielen unter anderem aus dem ›Philosophischen Quartett‹ bekannt sein. Seine Bücher und Beiträge sowie Kommentare zu den Themen Religion und zuletzt zur Finanzkrise lösen immer wieder größere Debatten im Feuilleton aus.
Thomas Macho, geboren 1952, ist Kulturwissenschaftler und Philosoph. Bekannt ist er für seine Beiträge zur Religion in der Moderne und auch zu vergangenen und noch bevorstehenden Apokalypsen. Ich heiße Sie beide herzlich willkommen!
Damit möchte ich auch sogleich zur ersten Frage kommen. Lieber Herr Sloterdijk, Sie haben kürzlich in der Wochenzeitung ›Die Zeit‹ eine Möglichkeit angedeutet, dass wir aus der gegenwärtigen Geld- und Gierkrise herauskommen könnten, wenn wir das finanzpolitische Wahnsystem beseitigen könnten, das uns durch Ignoranz und guten Willen der Politiker seit ungefähr 20 Jahren verordnet ist. Wie könnten wir denn genau aus diesem ›Wahnsystem‹ wieder herauskommen?
Manfred Osten, Peter Sloterdijk, Thomas Macho (v. l. n. r.)
PETER SLOTERDIJK: Wenn wir rekonstruieren wollten, aus welchen Motiven die europäischen Politiker den Euro seinerzeit entwickelt haben, mit welchen Gründen sie die Griechen als ›Mutterland der Demokratie‹ – das seit ungefähr 2200 Jahren nicht mehr weiß, was Demokratie ist – in diese Konstruktion von gutem Willen und Halbbildung hinein geschummelt haben, dann würden wir den heutigen Abend in eine Wahlveranstaltung verwandeln. Wir würden den Saal polarisieren in solche, die glauben, dass man das geringere Übel in der gegenwärtigen Situation noch identifizieren kann und solche, die glauben, dass dies nicht mehr möglich ist.
Ich habe mich kürzlich in einer öffentlichen Äußerung bloßgestellt als jemand, der aktuell unfähig ist, das geringere Übel zu sehen. Das sollte einem Intellektuellen eigentlich nicht passieren.
Einstiege in Gespräche sollten nach meinem Dafürhalten daher nicht aktuell sein. Ich glaube, man muss Gedanken immer weit herholen, denn das Wesen des Geistes besteht ja darin, dass er das Weithergeholte ist. Dieses weite Herholen ist jedoch aus dem Gebrauch gekommen in dieser Zeit, in der wir uns allesamt – um ein schönes Wort des jungen Nietzsche zu zitieren – zu ›Legionären des Augenblicks‹ haben machen lassen. Nietzsche hatte damals gerade Goethes Gespräche mit Eckermann wieder gelesen und unter dem Eindruck der darin wahrnehmbaren olympischen Jovialität gesagt, er würde seinerseits gerne tausend Tonnen Zeitgenössisches preisgeben, um auch nur eine Stunde in dieser anderen Reflexion verbringen zu dürfen.
MANFRED OSTEN: Dann zäumen wir das Pferd vielleicht etwas anders auf. Wir haben das Phänomen einer Entgrenzung in vielen Bereichen, einer Entgrenzung der Geldschöpfung, die nicht mehr mit einer Wertschöpfung in Verbindung steht, einer Schuldenakkumulation, die nicht mehr mit der Schuld in Verbindung steht. Wie ist das überhaupt möglich geworden, dass wir in solche Entgrenzungsprozesse hineingeraten sind, in denen diese Dinge nicht mehr zusammengehören? Dass also praktisch Schulden akkumuliert worden sind, bei denen überhaupt jede Möglichkeit der Tilgung außer Acht gelassen wurde?
PETER SLOTERDIJK: Dazu muss man fragen, was eigentlich in der Moderne insgesamt passiert ist – und wann es angefangen hat. Wir müssen dafür ungefähr 700 Jahre zurückgehen und dürfen den Ausdruck ›Moderne‹ nicht leichtfertig in den Mund nehmen. Wenn wir etwas technischer denken und uns fragen, von welchem Moment an Menschen in diese intensiven Steigerungen geraten sind, dann landen wir im 14. Jahrhundert.
Diese Zeit beinhaltet die Kumulation des Mittelalters und damit einhergehend eine unglaubliche Hochblüte mystischer Seelenübungstechniken. Eine große Anzahl von Europäern verschreibt sich damals der ›Imitatio Christi‹. So lautet der Titel eines Buches des Mystikers Thomas von Kempen, das eines der am meisten verbreiteten Bücher der älteren Weltliteratur war. Im Zusammenhang mit der ›Imitatio Christi‹ entdeckten die christlichen Mystiker im psychischen Bereich die sogenannte ›positive Rückkoppelung‹. Sie brachten es fertig, aus der Anweisung der Selbstvergessenheit eine Übung zu machen, die zu einer Art ursprünglicher Akkumulation von psychischer Energie geführt hat. Genau zu diesem Zeitpunkt und unter Anwendung dieser Seelenübungstechniken entstand der moderne Mensch. Er ist derjenige, der alles kann, weil er geübt hat, sich selber bei allem zu vernachlässigen.
In diesem selben 14. Jahrhundert fängt zugleich in Italien und in Flandern etwas Neues – wiederum etwas Modernes – an. In den Künstlergilden Norditaliens und in einigen flandrischen Schulen übt eine Gruppe von Menschen, die man später Künstler nennen wird, eine entgegengesetzte Steigerungsspirale. Sie verausgaben einen großen Teil ihrer eigenen psychischen Energie dafür, es bei der nächsten Ausübung dessen, was sie jetzt tun, noch besser zu machen. Künstler sind also Menschen, die es von Grund auf und systematisch immer besser machen wollen.
Das setzt Anfang des 14. Jahrhunderts mit Cimabue, Giotto und einigen anderen ein. Es ist eine Art artistischer Spirale, die auf dem Weg über die positive Rückkoppelung dazu führt, dass innerhalb der folgenden 200 bis 300 Jahre unvorstellbare Kunststeigerungen erreicht werden, die dann in den Werken von Leonardo, Michelangelo, Rembrandt und Caravaggio gipfeln.
Wer von diesen Dingen etwas versteht und das Handwerkliche an diesen Arbeiten mit vollzieht, ist heute noch sprachlos darüber, dass das jemals hat entstehen können.
Im 14. Jahrhundert ist in Europa also etwas entdeckt worden, was unser ganzes Leben bis auf den heutigen Tag prägt. Europa verwandelte sich immanent in ein riesiges Trainingslager. Zusammen mit China, der alten Großmacht des Übens, ist Europa seit dem 14. Jahrhundert ein einziges riesiges Trainingslager geworden, in dessen Zentrum übrigens nicht Politiker stehen, sondern Lehrer – oder wie wir heute sagen: Professoren.
Diese Tätigkeit des Übens verknüpft sich im 14. und 15. Jahrhundert mit weiteren Steigerungsspiralen. Wir leben zum Beispiel seither in einer permanenten Verrechtlichung der Lebensverhältnisse. So kommt es, dass Kunst mehr Kunst erzeugt, Recht mehr Recht erzeugt, Geldgeschäfte mehr Geldgeschäfte erzeugen. Diese dritte Spirale ist in den italienischen Bankhäusern entdeckt worden, weshalb wir immer unfreiwillig italienisch sprechen, wenn wir über Geldgeschäfte reden. Das älteste Bankhaus Europas, ›Monte dei Paschi di Siena‹, existiert heute noch und stammt aus dieser Zeit.
Schließlich ist eine vierte Spirale zu nennen, die ebenfalls in dieser Zeit ihren Ursprung hat. Ihr großer Kronzeuge ist Leonardo da Vinci, weil er – analog zur Berührung von Geld und Maschinenbau – die Berührung von Kunst und Maschinenbau als Erster systematisch durchdacht hat. Seine Skizzenbücher sind bis heute die reichste Quelle, in der man sich über das vergewissern kann, was in Europa seither maschinentechnisch passiert ist. Im Maschinenbau wird die Fähigkeit, in der man durch ›ingenio‹, also durch Ingenieurskunst, noch mehr ›ingenio‹ erzeugt, sehr deutlich: Maschinen führen zu weiteren Maschinen. Und zuletzt kommt noch der moderne Staat hinzu. Wenn der Staat einmal eingerichtet ist, hat er die Tendenz, zu noch mehr Staat zu werden.
Wir haben also insgesamt fünf positiv rückgekoppelte Kreisprozesse, die ineinandergreifen: das Kunstsystem – das man vor dem Hintergrund des religiösen Übungssystems wahrscheinlich an den Anfang stellen muss –, das Geldsystem, das Rechtssystem, das Staatssystem und das System des Maschinenbaus. Jedes von diesen Feldern ist so strukturiert, dass derjenige, der daran teilnimmt, unter das Gesetz der positiven Rückkoppelung gerät. Wenn er angefangen hat, mit dieser Sache zu arbeiten, muss er lernen, wie man noch mehr lernt auf seinem eigenen Gebiet. Diese Spirale ist es eigentlich, von der wir auch mit Blick auf unsere Gegenwart sprechen müssen. Im Grunde hebt sich im 20. Jahrhundert innerhalb des Geldsystems – wiederum durch positive Rückkoppelung – noch einmal ein Metasystem ab. Das verstehen wir aber noch nicht so richtig, bis jetzt besitzen wir nur Approximationen in der Beschreibung dieser Phänomene.
MANFRED OSTEN: Vielen Dank für diese Phänomenologie der europäischen Entgrenzungen mit ihren positiven Rückkoppelungen. Meine Frage an Sie, Herr Macho: Wird nicht durch die industrielle Revolution diese Spirale der Entgrenzung noch einmal gesteigert? Und zwar durch eine weitere Entgrenzung des Geldes durch die technisch mögliche Entgrenzung der Beschleunigung: im Sinne von »time is money«, wie es Benjamin Franklin genannt hat. Das Ergebnis ist eine alle Lebensbereiche erfassende Rangerhöhung des Geldes.
Herr Sloterdijk hat in seinen ›Philosophischen Temperamenten‹ in diesem Zusammenhang über die Aktualität von Karl Marx gesagt: Das Untote, das als Geldwert unter Menschen umgehe und das als lachender Kommunikator den Lebenden Zeit und Seelen abziehe, herrsche heute schon fast ohne Vorwände über die avancierten Gesellschaften. Arbeit, Kommunikation, Kunst und Liebe gehören hier ganz den Endspielen des Geldes. Diese bilden die Substanz der aktuellen Medien und Erlebniszeit, weil Geld zu seiner Verwertung Zeit braucht.
Das Entscheidende ist die Frage: Hat sich durch die industrielle Revolution nicht zum ersten Mal die Möglichkeit ergeben, Geld in einer bis dahin unvorstellbaren Weise zu akkumulieren? Nämlich durch Beschleunigung von drei Dingen: der Produktion, der Kommunikation und der Transportmittel. Das gipfelt nun in einer weiteren exponentiellen Beschleunigung dieses Profitvorteils der Beschleunigung – und zwar durch die digitale Revolution. Ist das nicht das, was uns an den Kern unserer ganz modernen, ungeheuren Entgrenzungsphänomene bringt?
THOMAS MACHO: Vielleicht muss man daran erinnern, dass etwa Bernard Vincent in seinem Buch ›1492. Das Jahr der Wunder‹ behauptet hat, dass genau diese Entgrenzungsprozesse schon für 1492 charakteristisch waren. Es gab Dimensionen der Entgrenzung, die etwas mit Navigationstechniken zu tun hatten – der Entdeckung Amerikas zum Beispiel –, die etwas mit Ökonomie und der Etablierung von Währungen zu tun hatten, die etwas mit Vertreibungen – der Juden und Moslems aus Spanien – zu tun hatten. Im selben Jahr wurde aber auch die erste Grammatik einer lebenden Sprache, des Kastilischen, verfasst.
Aber ich würde gern noch einmal ins 14. Jahrhundert zurückkehren, bevor wir zur Gegenwart kommen, und zwar im Anschluss an einen Gedanken, den Peter Sloterdijk vor nicht allzu langer Zeit in einem Vortrag auf dem Philosophicum Lech formuliert hat. Damals ging es um die Frage, ob nicht eigentlich das Zentrum des 14. Jahrhunderts, das Zentrum der Entgrenzungsprozesse, die in dieser Zeit anbrachen, Entgrenzungen waren, die gerade nicht