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Gretchen McNeil

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Beschreibung

Für Fans von Riverdale und Pretty Little Liars! Kitty, Margot, Bree und Olivia gehen auf dieselbe Katholische Schule und haben darüber hinaus nicht viele Gemeinsamkeiten. Niemand käme auf die Idee, dass ausgerechnet diese vier es sind, die hinter der Geheimgruppe "DGM" stecken und an mobbenden Mitschülern Rache üben. Gnadenlos stellen sie diese vor der gesamten Schule bloß – genau wie sie es mit ihren Opfern getan haben. Sie selbst bleiben dabei immer unerkannt. Doch als ihre letzte Zielperson tot aufgefunden wird, mit einer blutverschmierten Visitenkarte der DGM in der Hand, ahnen die vier, dass nun jemand Rache an ihnen üben will. Oder kommt der Mörder aus ihren eigenen Reihen? Es bleibt jedenfalls nicht bloß bei einem Todesfall ...

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Gretchen McNeil

Get Even

Unsere Rache ist süß

Roman

Aus dem Englischen von Katharina Naumann

Über dieses Buch

Kitty, Margot, Bree und Olivia gehen auf dieselbe Katholische Schule und haben darüber hinaus nicht viele Gemeinsamkeiten. Niemand käme auf die Idee, dass ausgerechnet diese vier es sind, die hinter der Geheimgruppe «DGM» stecken und an mobbenden Mitschülern Rache üben. Gnadenlos stellen sie diese vor der gesamten Schule bloß – genau wie sie es mit ihren Opfern getan haben. Sie selbst bleiben dabei immer unerkannt. Doch als ihre letzte Zielperson tot aufgefunden wird, mit einer blutverschmierten Visitenkarte der DGM in der Hand, ahnen die vier, dass nun jemand Rache an ihnen üben will. Oder kommt der Mörder aus ihren eigenen Reihen? Es bleibt jedenfalls nicht bei einem Todesfall ...

Vita

Gretchen McNeil ist Autorin von mehreren Jugendbuch-Thrillern, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Ihr Roman «Ten» wurde für den amerikanischen Kabelsender Lifetime verfilmt, die TV-Adaptionen von «Get Even» und «Get Dirty» sind für die Streaming-Dienste BBC iPlayer und Netflix angekündigt. Gretchen McNeil ist außerdem ausgebildete Opernsängerin und Synchronsprecherin und schon mal im Zirkus aufgetreten.

 

Katharina Naumann ist Autorin, freie Lektorin und Übersetzerin und lebt in Hamburg. Sie hat unter anderem Werke von Jojo Moyes, Anna McPartlin und Jeanine Cummins übersetzt.

Für Ginger Clark und Kristin Daly Rens,

ohne die es kein «Wird schon wieder» gibt

Mord sollte freilich nirgends Freistatt finden

und Rache keine Grenzen

Shakespeare, Hamlet, 4. Aufzug

Null

Bree starrte gebannt auf den Ladebalken, der unschlüssig vor- und zurücksprang. Er schien sie zu verspotten, zeigte dreißig Sekunden, dann sechzig, neunzig, dann wieder dreißig. Na komm schon. Sie schaute den Bildschirm böse an, und ihre Finger tippten ungeduldig auf Ronnys Schreibtisch. Das konnte doch nicht so lange dauern. In Gedanken drohte sie dem Computer, ihn ernsthaft zu beschädigen, wenn er nicht endlich fertig wurde.

«Lass das», sagte Margot gereizt. Sie verlor langsam die Fassung.

«Was soll ich lassen?»

«Die ganze Zeit mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln.»

Bree hielt inne. «Wie kannst du überh…» Sie verstummte, weil ein leises Knarren die Stille im Zimmer durchbrach, gefolgt von kaum hörbaren Schritten, als liefen bloße Füße den Flur entlang.

«Was ist los?», fragte Margot.

«Pst!» Bree saß stocksteif da und lauschte, aber die Schritte waren verstummt. Sie drehte sich auf Ronnys Schreibtischstuhl herum zur Schlafzimmertür, die angelehnt war.

Hatte sie die Tür angelehnt? Sie war sich ziemlich sicher, sie weit offen gelassen zu haben. Vielleicht hatte ein Luftzug sie geschlossen? Oder hatten die DeStefanos vielleicht eine Katze?

Oder es ist jemand hier.

Eins

Bree saß gegen den Maschendrahtzaun gelehnt auf dem Rasen und ließ ihren Tennisschläger auf den Spitzen ihrer schwarzen Converse-Sneaker auf und ab springen. «Warum haben wir eigentlich immer noch Sportunterricht in der Schule?»

John schnappte sich ihren Schläger. «Das ist eine politische Verschwörung, um die amerikanische Jugend durch systematische Demütigung zu unterdrücken.»

Vier eifrige Tennisspielerinnen trabten an Bree und John vorbei zum letzten freien Platz und begannen, den Ball mit begeisterten, wenn auch ziemlich unkoordinierten Schlägen hin und her über das Netz zu schlagen. In ihren weißen Röcken und Tennisschuhen, die in der hellen Nachmittagssonne leuchteten, hüpften und reckten sie sich wie Marina Sharapova im Grand-Slam-Finale und wirkten ziemlich bescheuert dabei.

«Eine so schicke Schule wie die Bishop DuMaine sollte doch eigentlich virtuellen Sportunterricht anbieten», sagte Bree und legte den Kopf auf die Knie. «Immerhin ist das hier das Silicon Valley. Sollten wir da nicht viel mehr hightech sein?»

Eine schrille Trillerpfeife ertönte von der anderen Seite der Sportanlage. «Deringer! Baggott!» Coach Sampson deutete mit dem Schläger auf sie. «Wir haben noch keine Pause.»

Bree schaute zu den belegten Tennisplätzen hinüber. «Wir sind als Nächste dran!», rief sie und zeigte übertrieben motiviert ihre gestreckten Daumen.

Coach Sampson schüttelte verständnislos den Kopf, um sich dann wieder einem gemischten Doppel zuzuwenden.

«Die erste Woche Schule, und ich hasse den Sportunterricht jetzt schon.» John warf Brees Schläger zur Seite. «Kann dein Dad uns hier nicht irgendwie rausholen?»

Bree zog eine Braue hoch. «Kann deine Mom uns hier nicht rausholen?»

«Wozu ist meine beste Freundin die Tochter des Bundessenators, wenn wir dadurch gar keine Vorteile haben?»

«Wozu ist mein bester Freund der Sohn der Schulsekretärin», äffte ihn Bree nach, «wenn wir dadurch keine Vorteile haben?»

John fuhr sich mit der Hand durch sein schwarz gefärbtes Haar – die einzige Farbe, die nach Bishop DuMaines strenger Kleiderordnung nicht verboten war. «Immerhin habe ich keine Angst zu fragen.»

«Ich habe keine Angst», versetzte Bree.

«Wirst du aber haben.» John zog die Schultern hoch und sagte mit knurrender Yoda-Stimme: «Wirst. Haben. Du.»

Bree verdrehte die Augen. Meistens fand sie Johns albernes Beharren darauf, dass es für jede Lebenslage ein Star-Wars-Zitat gab, ja einigermaßen unterhaltsam, aber heute passte ihr seine gute Laune ungefähr so gut wie ein besonders schlimmer Herpesausbruch. Sie musste die ganze Zeit an die außerordentliche Schulversammlung morgen denken.

«Hast du eigentlich von dieser Schulversammlung morgen gehört?», fragte John aus heiterem Himmel.

Bree sog scharf die Luft ein. Konnte er ihre Gedanken lesen? «Morgen ist eine Versammlung?», fragte sie und versuchte, möglichst gleichgültig zu wirken.

John nickte. «Einberufen von Pater Uberti höchstselbst. Habe mitgehört, als er heute morgen im Schulbüro mit meiner Mutter darüber sprach.»

Bree strich sich den dichten Pony ihrer 20er-Jahre-Frisur glatt und wich Johns Blick aus. «Warum will er denn eine Versammlung einberufen?»

«Was glaubst du wohl.» John beugte sich zu ihr herüber. «Es geht bestimmt um DGM.»

«DGM geht voll den Bach runter», dröhnte eine Stimme hinter ihnen.

Bree wandte sich um und sah hoch zu Rex Cavanaugh, flankiert von seinen Lakaien Tyler Brodsky und Kyle Tanner, die auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns näher gekommen waren. Sie standen Schulter an Schulter und hatten die muskulösen Arme vor der übertrieben breiten Brust verschränkt. Alle drei trugen die gleichen königsblauen Poloshirts mit der Aufschrift «Maine Men», über ihren Herzen prangte das Wappen der Bishop-DuMaine-Schule.

Pater Uberti selbst hatte die Maine Men, zugleich coole Jungsclique und von der Schule geduldeter Schlägertrupp, ins Leben gerufen – als Antwort auf eine Welle demütigender Racheaktionen, begangen von einer Gruppe, die man nur unter dem Namen DGM kannte. Es war eine erstaunliche und wirklich ironische Wendung der Ereignisse, dass der alte P. U. ausgerechnet die schlimmsten Raufbolde, Poser und machthungrigen Egomanen – also exakt die Zielscheiben der DGM-Aktionen – ausgewählt und ihnen die Aufgabe übertragen hatte, die Schüler zu finden, die hinter DGM stecken.

Aber zu Brees großer Befriedigung waren die Maine Men ohnehin ein totaler Reinfall. Nach anderthalb Jahren zeigte der Spielstand aktuell 6:0 für DGM.

Und sie hoffte, dass das so bleiben würde. Zumindest noch für einen Tag.

«Hast du mich gehört?», bellte Rex.

Bree blinzelte in die Sonne. «So klein und schon bei den Sturmtruppen?» John neben ihr prustete.

«Häh?», fragte Rex.

«Was willst du?», sagte Bree extra langsam und betonte dabei jede Silbe.

«DGM sind am Ende», wiederholte Rex. «Ein für alle Mal.»

«Genau», sagte Bree und stand auf. «Weil ihr bisher einen so tollen Job gemacht habt.»

Rex kam mit seinem verschwitzten Gesicht sehr nah an den Zaun, so nah, dass Bree jede einzelne verstopfte Pore auf seiner Nase erkennen konnte. «Wir wissen, dass du damit zu tun hast, Deringer. Warte nur ab bis morgen. Selbst dein Daddy kann dich dann nicht mehr retten.»

John war sofort auf den Beinen und stellte sich schützend zwischen Bree und den Zaun. «Komm runter, Cavanaugh.»

Rex rüttelte am Zaun wie ein Gorilla im Käfig. «Vielleicht willst du als Nächster drankommen, Baggott, du Schwuchtel?»

Bree warf den Kopf zurück und lachte ironisch. «Ha, ha, ha. Der Witz war noch nie lustig.»

«Rex!» Ein Typ mit sandfarbenen Haaren und grauenvoller Akne lief herbei. Bree hatte ihn noch nie gesehen, aber den Falten in seinem blauen Maine-Men-Hemd nach zu urteilen, hatte er es gerade erst aus der Verpackung genommen. Ein neuer Rekrut. «Rex, sieh dir das an.»

«Wer bist du?», fragte Rex, den Blick immer noch auf John gerichtet.

«Ronny DeStefano?», antwortete der Neue.

Rex schüttelte den Kopf. «Wer?»

Ronny runzelte verwirrt die Stirn. «Ronny DeStefano. Wir haben uns letzte Woche auf Jezebels Hausparty getroffen.»

Rex sah sich zu ihm um und biss sich auf die Lippen, offenbar musste er sein Neandertaler-Hirn zwingen, sich an die alkoholvernebelte Party zu erinnern. «Neu hier?»

«Ja», erwiderte Ronny leicht verärgert. «Wir haben einen gemeinsamen Freund, weißt du noch?» Er sah ihn mit vielsagendem Blick an. «Wir hatten beide mal ein merkwürdiges Erlebnis …»

«Genau!», unterbrach ihn Rex hastig. «Ronny. Was ist los?»

Ronny nickte in Richtung Fußballfeld. «Da unten läuft was mit Coach Creed. Ich dachte, du solltest …»

«Dann hin», unterbrach ihn Rex. Er stürmte los, Tyler und Kyle blieben ihm dicht auf den Fersen. Ronny hetzte hinter ihnen her wie ein Welpe.

Bree sah John an. «Was war das denn?»

«Keine Ahnung.» John schaute über ihren Kopf hinweg zum Fußballfeld, wo sich jetzt immer mehr Leute versammelten. «Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es gleich erfahren werden.»

 

Olivia kam aus der Mädchenumkleide, den Schläger in der Hand, und strich ihr Designer-Tenniskleid glatt.

«Also, dieses Outfit sieht total toll an dir aus», sagte Amber, die neben sie getreten war. «Ich finde es super, dass du kein Problem damit hast, Sachen aus der letzten Saison zu tragen.»

«Ach, gar nicht.» Olivia lächelte. Die Hälfte ihrer Garderobe bestand aus von Amber geerbten Kleidern, die diese für die «letzte Saison» hielt.

Peanut setzte sich eine Baseballmütze auf und zog ihren langen Pferdeschwanz hinten heraus. «Wie ärgerlich, dass Dontés Basketballtraining in der Turnhalle stattfindet», bemerkte sie gedankenverloren. «Wenn er dich in diesem Dress sähe, würde er dir wie ein Hündchen hinterherlaufen.»

Olivia erstarrte. «Warum sollte mich kümmern, was Donté denkt?»

Peanut sah sie erstaunt an. «Hast du mir nicht letzte Woche erzählt, dass du gern wieder mit ihm zusammenkommen würdest?»

Das sollte ein Geheimnis bleiben, Peanut.

Amber zog eine Augenbraue hoch. «Liv, Süße. Wir haben doch darüber geredet. Du brauchst jemand …»

«Reicheren», vervollständigte Jezebel, die hinzugetreten war, den Satz. Sie zog sich eine weiße Kapuzenjacke über ihre fleischigen Schultern. «Du hast mit ihm Schluss gemacht, erinnerst du dich?»

Olivia biss sich auf die Unterlippe. «Ja.»

«Wenn du noch mal neu mit ihm anfangen willst», fügte Amber hinzu, «wirkt das echt armselig.»

«Unglaublich, dass wir bis Montag warten müssen, bis wir erfahren, welches Stück im Herbst aufgeführt wird», sagte Olivia, um das Thema zu wechseln. Das Letzte, was sie wollte, war noch ein Gespräch mit Amber über Donté Greene. «Diese Spannung macht mich fertig.»

«Ich finde es viel unglaublicher, dass Mr. Cunningham in der ersten Schulwoche fehlt», sagte Jezebel und schüttelte den Kopf. «Was für ein Lehrer tut so etwas?»

Amber holte eine Tube Lipgloss aus der Tasche ihres neuen Designer-Tenniskleides und tupfte sich ein wenig auf die Lippen. «Ich wette ja immer noch auf Mamet.»

Olivia lächelte. Amber war die Letzte, die Insider-Informationen aus der Theatergruppe erreichen würden.

«Was auch immer es wird», sagte Peanut, «darin gibt es bestimmt eine tolle Rolle für dich, Livvie.»

«Wer weiß.» Olivia fuhr sich mit der Hand durch ihre raspelkurze Pixie-Frisur und lachte. «Vielleicht besetzt er mich ja dieses Mal als Junge.»

Jezebel seufzte dramatisch. «Nur du kannst dir das Haar abrasieren und siehst danach immer noch aus wie ein Supermodel.»

Die Rolle der Krebspatientin Vivian Bearing im Theaterstück Wit von Margaret Edson letzten Frühling war Olivias beste Leistung bisher gewesen. Mr. Cunningham hatte ihr eine Glatzenperücke besorgt, aber Olivia hatte alle schockiert, als sie sich ihre rötlich blonden Locken zur Premiere kurzerhand abrasiert hatte. Sie hatte es nie bereut – jede einzelne Vorstellung war ausverkauft gewesen, und sie war jeden Abend mindestens drei Mal wieder vor den Vorhang gerufen worden.

«Tja, wir werden es bald erfahren», sagte Amber, warf ihre braune Mähne zurück und wandte sich um. «Los, Mädels. Tennis war …»

Sie verstummte. Olivia drehte sich um und sah Rex wie einen Wilden über den Platz rennen, Tyler und Kyle im Schlepptau. Ein dünner Typ, den Olivia noch nie gesehen hatte, hetzte hinter ihnen her.

«Hi, Baby!», rief Amber Rex zu. Sie posierte herausfordernd in ihrem kaum vorhandenen Kleidchen.

«Jetzt nicht!», rief Rex und hob abwehrend die Hände. Er und seine Kumpel rannten ungebremst an ihr vorbei.

Amber blieb der Mund offen stehen. «Was zum Teufel?»

«Was ist denn da los?», fragte Peanut.

«Keine Ahnung.» Olivia schaute zu der großen Schülergruppe hinüber, die sich auf dem Hügel über dem Fußballfeld versammelt hatte. Rex und sein Maine-Men-Club bahnten sich einen Weg durch die Menge. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Amber hob das Näschen in den Wind. Wie ein Hai, der noch das kleinste Tröpfchen Blut im Wasser wittern konnte, erspürte sie Klatsch und Tratsch aus kilometerweiter Entfernung. Ein listiges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.

«Ich glaube, der Sportunterricht wird deutlich interessanter als gedacht.»

 

Sollte Kitty jemals daran gezweifelt haben, dass Coach Creed eine Lektion verdient hatte, dann war ihr Mitleid spätestens jetzt vergessen.

«Beweg deinen Arsch, Baranski!» Coach Creeds Gebell schallte über die Tartanbahn zum Volleyballfeld herauf, wo Kitty das Schulteam zum Aufwärmen einige Runden laufen ließ.

Sie blieb stehen. Unter ihr versammelten sich immer mehr Schüler auf dem Hang, der sich bis hinunter zum Fußballfeld neigte. Sie verteilten sich auf unterschiedlichen Höhen, alle in ihre blau-goldenen Sportuniformen gekleidet, und hatten den Blick auf den Fuß des Hügels und die pausbackige, keuchende Gestalt von Theo Baranski gerichtet.

Coach Creed ragte über ihm auf, die Hände in die Hüften gestemmt. Er spannte seine Brustmuskeln an wie ein Kampfsportler. «Die erste Schulwoche, Baranski, und du kommst schon nicht mehr mit.»

Theos Gesicht war hochrot und nass, vielleicht war es Schweiß, vielleicht waren es seine Tränen, vielleicht beides. Er blickte den steilen Hügel hinauf, sein Blick voll Angst und Scham. Tief in Kitty regte sich eine Erinnerung, so nah und real, als wäre sie wieder in der sechsten Klasse im Matheunterricht, wo die Ziffern und Symbole vor ihren Augen verschwammen und ihr so sinnlos erschienen wie Hieroglyphen.

Sie kniff die Augen zusammen. Die Scham, die richtige Antwort nicht zu wissen. Die Angst, dass Ms. Turlow sie ausschimpfen würde …

Wie kann es sein, dass du das einzige asiatische Kind auf diesem Planeten bist, das keine Mathematik kann?

«Wie kann es sein, dass du der einzige Mensch auf diesem Planeten bist», dröhnte Coach Creed, «der seinen Arsch nicht diesen Hügel hochbekommt?»

Mika trat neben Kitty. «Der Arme hat schon genug Probleme, auch ohne Coach Creed, der ihn ständig so anschnauzt.»

«Ich weiß», erwiderte Kitty leise. Theo war letzten Frühling auf die Bishop DuMaine gekommen, und seitdem terrorisierte Coach Creed ihn.

Mika nahm das Schweißband ab und schob sich die krausen schwarzen Locken zurecht. «Theo bekommt einen Herzinfarkt, wenn er noch einmal diesen Hügel hinaufgejagt wird. Wir sollten etwas unternehmen.»

Das haben wir bereits.

Sosehr Kitty auch eingreifen und helfen wollte – sie durfte es nicht riskieren. Sie hatte gehofft, dass Coach Creed Theo wenigstens in der ersten Schulwoche in Ruhe lassen würde, damit DGM etwas Zeit hatte, den Plan in Gang zu setzen. Aber Fehlanzeige.

«Weißt du», sagte Mika nachdenklich. «Das Volleyballteam könnte doch wirklich einen Manager gebrauchen. Meinst du, ich sollte mal mit Coach Miles reden, damit wir Theo dafür bekommen?»

Kitty lächelte. «Das ist eine tolle Idee.»

Die Menge unten wurde unruhig, als sich Amber Stevens hindurchdrängelte. Sie lächelte vergnügt in Theos Richtung. «Sieh an, was für ein schwitzendes Schwein!»

«Super», murmelte Mika. «Die Oberzicke ist gekommen.»

Amber ließ den Blick über den Hügel schweifen, als sie sich mit der Würde einer Königin an ihre Untertanen wandte. «Ich meine, habt doch einfach ein bisschen Selbstachtung und haltet Euch von Double-Cheeseburgern fern.»

«Beweg dich!», brüllte Coach Creed. «Ist mir völlig egal, wenn es dich umbringt. Schlepp deinen Arsch jetzt da hoch!»

Auf einmal löste sich John Baggott aus der Menge. «Scheiß drauf», sagte er laut und marschierte den Hang hinunter.

 

Margot blieb mitten auf dem Hügel stehen. Sie fühlte sich klebrig und ungemütlich in ihrem übergroßen Trainingsanzug und rang nach Atem. Unter den Schichten aus Baumwolle und Mikrofaser hämmerte ihr das Herz in der Brust, nicht nur wegen der körperlichen Anstrengung, sondern ebenso vor Wut. Sie sah zum Fußballfeld hinunter und verfolgte Coach Creeds neueste Attacke auf Theodore Baranski.

«Ich habe gesagt, los jetzt!», dröhnte der Coach noch mal. «Alle warten auf dich.»

Margot begriff die Grausamkeit seiner Erniedrigung genau. Er wusste, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren, dass alle ihn für seinen unförmigen Körper verurteilten und leise «fetter Arsch» vor sich hin murmelten, weil sie annahmen, dass sein Übergewicht allein seine Schuld war. Margot wischte sich mit dem Sweatshirt-Ärmel den Schweiß von der Stirn. Sie wollte Theo helfen, aber wie sollte das gehen, ohne den Plan von DGM zu ruinieren?

Plötzlich schlenderte die große, geschmeidige Gestalt von John Baggott zu Coach Creed und Theo hinüber.

«’tschuldigung!», sagte er mit heiterer Stimme. Sein kantiges Gesicht strahlte. «Ich unterbreche ja auch nur ungern, aber bist du nicht Theo Baranski?»

Margot erschrak. Was machte John da? Warum stoppte Bree ihn nicht?

Coach Creed wirbelte herum. «Was willst du, Baggott?»

John hielt Coach Creeds wütendem Blick ruhig stand. «Ich komme gerade aus dem Schulbüro», sagte er und lächelte weiter. «Pater Uberti hat mich gebeten, Theo aus dem Unterricht zu holen. Irgendein Notfall.»

Die Vorstellung, dass Pater Uberti persönlich John Baggott gebeten haben sollte, etwas für ihn zu erledigen, war lächerlich, aber wenn er John nicht einen Lügner nennen wollte, konnte Coach Creed kaum etwas einwenden.

«Ein Notfall also», wiederholte der Coach.

«Jepp», sagte John, immer noch freundlich lächelnd. Er fasste Theo an der Schulter. «Wir müssen uns beeilen.»

Coach Creed schüttelte verächtlich den Kopf, als John Theo den Hügel hinaufbegleitete. «Du bist ein Jammerlappen, Baranski», rief er ihnen hinterher. «Du auch, Baggott. Und ich bin noch nicht fertig mit euch!»

Margot stand noch wie angewurzelt da, als Creed längst wieder aufs Feld gerannt war und auch die anderen Sportkurse ihr Training wieder aufgenommen hatten. Sie brauchte einen Augenblick, bis sie merkte, dass sich noch drei weitere Umrisse auf dem Hügel dunkel gegen die helle Nachmittagssonne erhoben: Kitty Wei, Bree Deringer und Olivia Hayes.

Sie sahen einander an, und es war, als würden sie alle dasselbe denken. Noch vor einer Stunde hätte ein Racheplan gegen Coach Creed keinen speziellen Verdacht erregt. Aber jetzt würde Brees bester Freund ganz oben auf Pater Ubertis Liste der Verdächtigen stehen. Und diese Nähe zu einem echten DGM-Mitglied war zu groß, um sich noch sicher zu fühlen. Sollten sie die Sache abbrechen?

Alle Blicke richteten sich auf Kitty. Sie würde wissen, was zu tun war.

Ohne zu zögern, fuhr sich Kitty mit der Hand quer über die Brust, von der linken zur rechten Schulter, dann ließ sie den Arm zur Seite fallen und ging fort.

Margot atmete langsam aus. Die Botschaft war eindeutig: Ihr Plan gegen Coach Creed stand.

Zwei

Margot kaute auf ihrem linken Zeigefingernagel herum, während sie mit ihrem Politikkurs zur Versammlung in die Turnhalle ging. Das Stimmengewirr der plaudernden Schüler wurde hin und wieder vom Quietschen der Gummisohlen auf dem auf Hochglanz polierten Ahornparkett unterbrochen, aber Margot nahm es kaum wahr. Sie war nervös bis in die Haarspitzen – fast als wäre es ihr erster Einsatz mit DGM und nicht schon ihr siebter –, und sie brauchte all ihre Selbstdisziplin, um nicht einfach vom Schulgelände zu rennen und ihre Eltern anzubetteln, sie gleich am nächsten Morgen in der öffentlichen Highschool anzumelden.

Komm runter.

Margot hatte genau gewusst, worauf sie sich einließ, als sie sich «Don’t Get Mad – Get Even» anschloss. Das Motto lautete ab jetzt: Wir regen uns nicht auf, wir zahlen es ihnen heim!

Sie erinnerte sich lebhaft an den Moment, als wäre es gestern gewesen – und nicht im Religionskurs vor zwei Jahren, in ihrem ersten Jahr an der Bishop DuMaine. Kitty, Margot, Bree und Olivia waren zufällig zusammen in einer Projektgruppe gelandet, die gemeinnützige Arbeit leisten wollte. Die vier Mädchen waren grundverschieden: keine gemeinsamen Freunde, überhaupt keine gemeinsamen Interessen. Aber als es darum ging, sich eine Initiative für ihr soziales Engagement auszusuchen, wählten alle vier dasselbe aus: ein Anti-Mobbing-Projekt.

Eigentlich keine Überraschung. Es gab ein extremes Ungleichgewicht zwischen den wohlhabenden Schülern an der Bishop DuMaine und denen, die sich die Privatschule durch ein Stipendium finanzieren mussten, zwischen den privilegierten Schülern und den anderen, nicht privilegierten. Mobbing gab es ständig und überall – von reichen Mädchen, die sich über die ärmeren Schülerinnen lustig machten, weil sie billige Klamotten trugen, bis hin zu Prügeleien in den Umkleiden und Erpressungen in der Mittagspause – und Pater Uberti hatte stets weggesehen. Ihm waren nur gute Testergebnisse und herausragende sportliche Leistungen wichtig, denn beides trieb die Zahl der Anmeldungen an seiner Schule in die Höhe.

Als die vier Mädchen also während eines nachmittäglichen Treffens ihrer Projektgruppe auf den letzten Mobbingvorfall in der Schule zu sprechen kamen und Kitty halb im Scherz bemerkte, dass man es dem Fußball-Schulteam eigentlich mit gleicher Münze heimzahlen sollte, hatte Margot – die schmerzhaft hatte erfahren müssen, was passierte, wenn eine Schulleitung Mobbing duldete – sofort zugestimmt. DGM war geboren.

Dennoch war Margot heute immer noch so aufgeregt wie beim ersten Mal. Sie kniff die Augen zusammen und atmete langsam und leise durch die zusammengebissenen Zähne. Denk dran, was Dr. Tournay sagt: Panik ist ein Geisteszustand. Beruhigst du deinen Geist, beruhigst du auch die Panik.

So zügig es ging, schob sie sich durch die vielen Schüler hindurch auf die Tribüne zu. Die Spannung in der Turnhalle war mit Händen zu greifen und verstärkte nur Margots Kribbeligkeit. Sie musste sich immer wieder selbst daran erinnern, dass sie etwas sehr Wichtiges tat. Sie konnte nicht einfach die Zeit zurückdrehen und den Albtraum auslöschen, der die Junior High für sie gewesen war, aber sie konnte immerhin dafür sorgen, dass niemand anders dasselbe Mobbing ertragen oder zu derselben verzweifelten Entscheidung gelangen musste wie sie vor vier Jahren.

Gerade als sich ihre Nerven ein wenig zu beruhigen begannen, rammte sie etwas Schweres in den Rücken und ließ sie nach vorn stolpern. Sie riss den Kopf hoch und sah gerade noch, wie ihr großer Wanderrucksack, den sie wenige Momente zuvor noch über der Schulter getragen hatte, zur Seite schleuderte und so schwer auf dem Boden aufschlug, dass der Verschluss aufsprang und der Inhalt sich in alle Richtungen verstreute.

Ihr Angreifer wirbelte herum und ließ seinen eigenen fast leeren Rucksack auf den Boden neben ihren fallen. Rex Cavanaugh.

«Was zum Teufel machst du da, du Anfängerin?», brüllte Rex. «Pass doch auf, wo du hingehst.»

Margot verkniff sich die bissige Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Sie schaute auf die Schulsachen und ihre anderen Utensilien, die auf dem Turnhallenboden verstreut waren. Irgendwo dazwischen musste die Fernbedienung liegen! Sie fiel auf die Knie und sammelte hastig alles ein. Wenn die Fernbedienung kaputt war oder verlorenging, würde ihr ganzer Plan misslingen.

Rex schnappte sich seinen Rucksack. «Nicht mal ein ‹Entschuldigung› kriegst du hin. Blöde Kuh.»

Stifte, einzelne Zettel, ein paar Notizblöcke. Aber keine Fernbedienung. Margot griff nach ihrem Rucksack. Sie riss Klettverschlüsse auf, öffnete zahllose kleine Innentaschen und durchwühlte alles nach dem handtellergroßen Gerät. Bitte sei da.

Im Laptop-Fach umschlossen ihre Finger die Plastikfernbedienung, heil und unbeschädigt. Margot seufzte. Katastrophe abgewendet.

Die Lautsprecher knisterten, als der Hausmeister das Mikrophon auf der Bühne aufstellte. Die Versammlung würde gleich beginnen.

Der Schreckmoment gab Margots Entschlossenheit einen Schub. Sie ließ sich vom Strom der anderen Schüler mitziehen und schob sich in eine der Sitzreihen auf der Tribüne, die Fernbedienung fest in der Hand. Sie wagte es nicht, sich umzusehen und nach Bree und Olivia Ausschau zu halten, nur Kitty entdeckte sie sofort auf einer Bank in der ersten Reihe neben Mika Jones. Kitty wirkte so ruhig und gefasst. Sie trug Jeans und dazu eine blau-weiße Bishop-DuMaine-Laufjacke. Das lange schwarze Haar hatte sie sich zu einem straffen Pferdeschwanz zusammengebunden, der wippte, als sie mit Mika flüsterte. Margot fragte sich, ob Kitty wirklich so entspannt sein konnte oder ob ihre Gelassenheit eine lange geprobte Fassade war.

Die Seitentür wurde aufgerissen, und Pater Uberti marschierte in die Turnhalle. Er war klein und drahtig und sah sehr gepflegt aus, wie immer. Sein grau melierter, ordentlich gezwirbelter Schnauzer und der Kinnbart waren getrimmt, sein dunkles, welliges Haar – gefärbt, da war sich Margot relativ sicher – mit einer ordentlichen Dosis Haarwachs an Ort und Stelle geklebt. Er bewegte sich flink; die schwarze Pelerine, die er über dem langen Talar trug, fiel ihm über die Schultern, und die Quasten an seiner Gürtelkordel schwangen bei jedem seiner forschen Schritte hin und her. Sein ganzes Gehabe wirkte noch großspuriger als sonst, und als er auf halbem Wege zum Mikrophon war, begriff Margot auch, warum.

Zwei Menlo-Park-Polizisten folgten ihm in die Turnhalle.

Sofort war die Panik wieder da. Nicht in ihren wildesten Träumen hatte Margot an die Polizei gedacht.

Was, wenn sie erwischt wurden? Sie würde verhaftet oder – noch schlimmer – der Schule verwiesen werden. Sie würde die Chance auf Harvard oder Yale verlieren, und ihre Eltern … ihre Eltern würden sie umbringen.

Margots rechtes Bein zuckte so heftig auf und ab, dass sie sich sicher war, die ganze Reihe müsste den Takt ihrer Nervosität spüren. Unauffällig stützte sie sich auf ihr Knie und versuchte sich zu beruhigen, aber ihr Herz hämmerte völlig außer Kontrolle, und auf ihrer Oberlippe bildete sich Schweiß. Panikattacke in drei … zwei … eins …

«Alles in Ordnung mit dir?», fragte eine Stimme ganz dicht an ihrem Ohr.

Margot stieß einen erschrockenen Laut aus. Sie fuhr herum und fand sich Nase an Kinn mit einem Jungen wieder.

«Alles in Ordnung mit dir?», wiederholte er.

Margot öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber jede Fähigkeit zu vernünftigem Denken hatte sie verlassen. Sie konnte nur noch in das schönste Gesicht starren, das sie je gesehen hatte.

Nicht, dass er besonders einzigartig aussah. Er hatte typisches kalifornienblondes Haar mit von der Sonne ausgeblichenen Strähnen. Seine Haut war gebräunt, und mit seinen breiten, muskulösen Schultern wirkte er, als verbrächte er seine Wochenenden gern auf dem Surfbrett in Santa Cruz. Aber leicht schief lächelnd und umgeben vom Hauch eines würzigen Aftershaves, brachte er Margots Herz wieder zum Rasen, nur dieses Mal aus einem ganz anderen Grund.

«Tut mir leid», sagte er mit diesem Lächeln, das sich ein wenig nach links neigte, wie ein Schiff im Wind. «Ich wollte dich nicht erschrecken.»

«Du hast mich nicht erschreckt», zwang sich Margot zu erwidern.

«Oh!» Er zog die Brauen erstaunt zusammen. «Okay. Ich habe nur … es sah so aus, als hättest du dich erschrocken.»

Scheiße, Margot. Versuch, nicht wie eine Idiotin zu klingen.

«Ich meine», fing sie an, «ich habe nur gerade nachgedacht. Über die Kurse. Ich muss eine ziemlich große Hausarbeit schreiben.»

«Am dritten Schultag?»

«Ähm, ja genau», redete Margot schnell weiter. «Es ist ein Aufbaukurs. Für Stanford. Da war ich gerade mit meinen Gedanken. Darum war ich so angespannt. Genau, sonst gibt es gar keinen Grund.» Oh Gott, hör bloß auf zu quatschen!

Der Junge blinzelte noch mal überrascht, dann neigte er den Kopf ein wenig zur rechten Seite, als wollte er sein schiefes Lächeln ausgleichen. «Ich heiße Logan Blaine», sagte er schlicht. «Ich bin neu hier.»

«M-Margot», sagte sie und hätte sich verfluchen können, wie eine Idiotin über ihren eigenen Namen zu stolpern. «Margot Mejia.»

«Schön, dich kennenzulernen, Margot.»

Margot wollte gerade etwas erwidern, als vereinzeltes Gelächter aus den Zuschauerreihen ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Coach Creed stand fast ganz oben auf der Tribüne und schaute wütend auf den ebenfalls immer noch stehenden Theo Baranski hinunter, der ihn aus seinem runden Gesicht erschrocken ansah.

«Baranski!», bellte Coach Creed lauter als nötig. «Warum sitzt du nicht auf deinem Platz?» Er deutete in einem großen Bogen auf die Tribünen. «Die gesamte Schule wartet auf dich, damit die Versammlung beginnen kann. Würdest du uns darüber unterrichten, warum du Schwierigkeiten hast, einen Platz zu finden?»

«Ich …» Theo schaute auf die Bank neben sich herunter. Nur ein sehr kleines Stück war noch frei, vielleicht genug Platz für einen dünnen Fünftklässler, aber Theo war weder dünn noch ein Fünftklässler. Margot erschauderte und wartete auf den unvermeidlichen Wutausbruch von Coach Creed, aber diesmal blieb Theo diese Entwürdigung erspart. Ein Mädchen am Ende der Bank stand auf und setzte sich in die Reihe dahinter, sodass Theo genügend Platz hatte, sich ebenfalls zu setzen.

«Gerettet von einem Mädchen.» Coach Creed lachte höhnisch auf. «Wie traurig.»

Logan beugte sich noch weiter vor, seine Lippen jetzt ganz nah an Margots Ohr. «Ist der immer so ein Arschloch?»

«Coach Creed?»

«Ja. Der Typ verdient es, öffentlich ausgepeitscht zu werden.»

Margot warf Logan einen Blick zu und schaute dann wieder zu Pater Uberti, der zum Mikrophon ging. Sie hielt die Fernbedienung fest in der Hand.

«Ja», sagte sie leise. «Ja, das stimmt.»

Drei

Bree beobachtete, wie Pater Uberti die schwarzen Lederquasten seines Gürtels durch die Hände gleiten und sie dann fallen ließ. «Setzt euch.»

Sofort wurde es still in der Halle. Niemand flüsterte, niemand lachte. Selbst John saß regungslos; sein Blick war auf die Bühne gerichtet.

«Danke», sagte Pater Uberti ohne einen Funken Aufrichtigkeit. Er räusperte sich ungewöhnlich heftig, als wollte er seine Stimmbänder für ihre Durchschaubarkeit bestrafen. «Ich habe diese Versammlung einberufen, um eine dunkle Gefahr anzusprechen, die die reine Seele unserer Schule bedroht.»

Er machte eine bedeutungsschwere Pause und legte die Hand auf das Kreuz, das um seinen Hals hing, als wollte er damit den besonderen Schmerz betonen, den man ihm persönlich angetan hatte. Bree musste den Drang unterdrücken, sich in ihren Schoß zu übergeben.

«Wir wollen dieses Schuljahr auf befreite Weise beginnen – frei von der ständigen Bedrohung durch den anonymen Schüler – oder die Schülergruppe –, die unter dem Kürzel DGM bekannt ist.»

Stille. Bree hatte überraschtes Gemurmel erwartet, aber offenbar war der Anlass dieser Versammlung ungefähr so vorhersehbar gewesen wie die Tatsache, dass Liberace schwul war.

«Um DGM das Handwerk zu legen», fuhr Pater Uberti fort, «brauchen wir eure Hilfe. Wir brauchen eure Informationen. Wir haben heute Sergeant Callahan vom Menlo Park Police Department bei uns, der mit uns über die illegalen» – an dieser Stelle machte er erneut eine Pause, um diesen Aspekt besonders zu betonen – «ich wiederhole, die illegalen Aktionen dieser Gruppe sprechen wird.»

Bree biss sich auf die Unterlippe, um ihr Lächeln zu verbergen, als Sergeant Callahan ans Mikrophon trat. Sie liebte den gefährlichen Kitzel ihrer DGM-Aktionen, und zwar so sehr, dass sie sich meistens freiwillig für die besonders riskanten Aufgaben meldete. Natürlich war sie es gewesen, die am Wochenende in die Schulturnhalle einbrechen durfte, um ein geheimes Videogerät zu installieren. Manchmal wünschte sie sich beinahe, erwischt zu werden. Von der Bishop DuMaine zu fliegen, würde ihren Dad ganz sicher wahnsinnig machen. Und selbst wenn er seine ständige Drohung wahr machte, sie auf eine Klosterschule an der Ostküste zu schicken, wäre es das wert – allein damit sie mit Genugtuung zusehen könnte, wie sein missbilligendes Gesicht vor hilfloser Wut dunkelrot anlief.

«Guten Morgen», sagte Sergeant Callahan knapp. «Auf die Bitte von Pater Uberti hin hat das Menlo Police Department eine Hotline für anonyme Hinweise zu DGM eingerichtet. Wir bitten euch, Augen und Ohren offen zu halten. Jeder Hinweis, egal wie unwichtig er erscheinen mag, kann uns weiterhelfen.»

John stützte sein Kinn auf Brees Schulter. «Klingt ja nach einer richtigen Hexenjagd», flüsterte er.

Genau, und ich bin die Hexe.

«Danke, Sergeant Callahan.» Pater Uberti schüttelte die Hand des Polizisten und wandte sich dann wieder an die Schüler. «Wir hoffen, dass diese Schritte zur Festnahme der Täter führen, deren böswillige Angriffe in den letzten drei Semestern die Schüler der Bishop-DuMaine-Schule terrorisiert haben.»

Böswillig? Bree schloss die Augen, um sie nicht für alle sichtbar zu verdrehen. Böswillig war eher das Mobbing, das an seiner Schule täglich passierte, und darum scherte sich Pater Uberti einen Feuchten. Und weil er nichts dagegen unternahm, musste Don’t Get Mad es an seiner Stelle tun.

«Jetzt wird euch die Vizepräsidentin der Schülervertretung, Kitty Wei, eine kurze Präsentation des Leadershipkurses zeigen.»

Kitty war fünfzehn Zentimeter größer als Pater Uberti, sie musste das Mikrophon auf die höchste Stufe stellen und sich immer noch vorbeugen, um hineinzusprechen. «Guten Morgen, Leute!» Sie lächelte breit und sprach mit fester Stimme. «Seien wir ehrlich, ein Teil von uns ist doch irgendwie auch neidisch auf DGM.»

Ein Murmeln ging durch die Halle. In Brees Ohren klang es, als wären die Schüler der Bishop DuMaine derselben Meinung.

«Aber wir wollen natürlich, dass unsere Schule ein sicherer Ort der Geborgenheit für jeden von uns ist», fuhr Kitty fort. «Also haben wir ein kleines Video darüber zusammengestellt, was wir tun können, um den Namen Bishop Du Maines zu ehren und hochzuhalten.»

Kitty richtete sich wieder auf. Schnell und beiläufig schob sie sich eine unsichtbare Haarsträhne hinters Ohr. Es war eine ganz harmlose Geste, die jedes Mädchen in der Schule ein Dutzend Mal am Tag unbewusst machte.

Und es war das Signal, auf das Bree gewartet hatte.

Kitty lächelte. «Ich hoffe, unsere kleine Präsentation gefällt euch», sagte sie und trat vom Mikrophon weg.

 

Kitty beobachtete Pater Uberti aus dem Augenwinkel. Er holte eine sperrige Fernbedienung aus den Tiefen seines Gewandes und richtete sie auf ein kleines Fenster ganz oben in der gegenüberliegenden Wand. Der Videoplayer im Technikraum erwachte zum Leben und warf das Logo der Bishop-DuMaine-Schule klar und riesig auf die Leinwand über ihrem Kopf.

Kaufhausmusik dudelte, und eine Reihe von Fotos erschienen und verschwanden wieder. Darauf waren Schüler aller Staturen, Größen und Hautfarben zu sehen, die lachten, für die Kamera posierten und fröhlich auf dem Schulhof ihr Mittagessen aßen. Es war genau die Sorte Jugendparadies, die sich Erwachsene für ihre Kinder wünschten, eine Welt, in der alle verständnisvoll, kooperativ und nett waren, die elterliche Illusion einer modernen Highschool.

Nur dass die Schüler der Bishop DuMaine es besser wussten. Diese Highschool war kein Paradies, sie war ein brutaler Ort.

Die Dudelmusik verklang, und eine glockenklare Stimme begann zu sprechen. «An der Bishop DuMaine sind wir alle eine Familie, ein starkes Team, das für das Gute an unserer Schule und in jedem …»

Kittys Herz klopfte ihr bis zum Hals. Der Film auf der Leinwand flackerte verzerrt. Das Abspielgerät, das Bree am Wochenende installiert hatte, übernahm jetzt die Kontrolle.

Margots Technik funktionierte perfekt, wie versprochen.

Ein neues Bild tauchte auf der Leinwand auf: ein Schlafzimmer, unordentlich und schmuddelig. Ein sehniger Arm zerrte einen Stuhl heran, und die muskulöse Gestalt von Coach Creed erschien und setzte sich direkt vor die Kamera.

«Ich heiße Richard Creed», sagte er und zeigte sein bestes Scheißegal-Lächeln. «Aber ihr könnt mich Dick nennen.» Er trug ein blaues Turnhemd, das zwei Größen zu klein war, und seine massigen Arme sahen aus, als hätte er sie mit Bratfett eingerieben. Er wies mit dem Daumen auf sich selbst. «Und ich bin hier» – jetzt zeigte er auf sein imaginäres Publikum in der Kamera – «um Ihnen drei Gründe zu nennen, weshalb ich den Titel America’s Next Fitness Model gewinnen werde.»

«Oh Gott!» Coach Creeds Ausruf durchbrach die überraschte Stille in der Halle. Kitty konnte ihn von der Bühne aus nicht sehen, sondern nur die allgemeine Unruhe in den höheren Bankreihen hören, als er mit schweren Schritten nach unten marschierte.

Pater Uberti packte Kitty grob am Ellenbogen. «Was ist da los?», zischte er. «Was ist das?»

Kitty schaute auf ihn hinunter und wünschte sich verzweifelt, zumindest einen Hauch von Olivias schauspielerischem Talent zu besitzen. «Ich habe keine Ahnung», sagte sie und versuchte, so verwirrt wie möglich zu wirken. «Der Film hat ganz normal angefangen, und dann …» Sie verstummte und blickte wieder auf die Leinwand.

Das Video zeigte jetzt eine neue Szene, in der Coach Creed hinter einem vornehm geschnitzten Holzschreibtisch saß. Hinter ihm standen Bücherregale, die zu beiden Seiten eines großen Fensters bis an die Decke reichten. Die Läden waren geöffnet, sodass man draußen den sonnenbeschienenen Rasen der Bishop DuMaine Preparatory School erkennen konnte.

Die gesamte Schule schien den Atem anzuhalten. Alle kannten diese Aussicht.

«Mein Büro?», knurrte Pater Uberti.

«Grund Nummer eins», sagte Coach Creed und zeigte auf die Regale voller Fachliteratur. «Ich bin nicht nur ein Fitness-Guru, sondern auch Wissenschaftler.» Er lehnte sich in Pater Ubertis Ledersessel zurück und legte einen Fuß im Turnschuh auf den Schreibtisch, direkt neben ein gerahmtes Bild vom Papst. «Weshalb ich natürlich schlauer bin als das durchschnittliche Model. Dennoch habe ich mein Aussehen nicht meiner Intelligenz geopfert, wie man sieht.»

«Was für ein Volltrottel!», rief jemand.

Die nächste Szene zeigte eine Ganzkörperaufnahme von Coach Creed. Er hing an einer Stange und machte Klimmzüge. Zu seinem hautengen Tanktop trug er blaue Laufshorts mit goldenen Rändern aus den Siebzigern, die so unangemessen kurz waren, dass Kitty schon befürchtete, durch das Beinloch jeden Moment seine Geschlechtsteile sehen zu können, als er das Kinn über die Stange stemmte. «Neunundvierzig», zählte er, vor Anstrengung nach Luft japsend.

Das Publikum brach in Gelächter aus.

«Ausschalten!», schrie Coach Creed. Er rannte über das Basketballfeld auf die Bühne und riss Pater Uberti die Fernbedienung aus der Hand. Dann marschierte er zum Bühnenrand und wedelte das nutzlose Gerät in Richtung Technikfenster. «Mach schon, du Scheißding! Aus!»

Im Video machte Creed angestrengt einen weiteren Klimmzug. «Fünfzig.» Er ließ sich zu Boden fallen. «Grund Nummer zwei: fünfzig Klimmzüge», keuchte er. «Einer für jedes meiner Lebensjahre. Dick Creed wird nicht älter, sondern immer besser.» Er posierte wie ein Bodybuilder. «Ja, das gefällt euch, was?»

Schallendes Gelächter erklang, die Menge wurde immer ausgelassener. Pater Uberti nahm das Mikrophon. «Mr. Phillips», sagte er. «Öffnen Sie den Technikraum. Sofort!»

Der Hausmeister war schon an der Tür und suchte hektisch nach dem richtigen Schlüssel an seinem Bund. Kitty lächelte in sich hinein. Er hing nicht dran. Olivia hatte den Schlüssel zum Technikraum gestohlen, und Bree hatte ihn weggeworfen, nachdem sie den Videoplayer installiert hatte. Nach ein paar Sekunden rannte Mr. Phillips aus der Turnhalle, vermutlich, um den Ersatzschlüssel zu suchen.

Coach Creed schleuderte die Fernbedienung auf den Boden und stürmte zur verschlossenen Tür, wo er mit seinen fleischigen Händen wie wild an der Klinke rüttelte. «Jemand soll die verdammte Tür aufmachen!»

Auf der Leinwand änderte sich die Szene erneut, und in der Halle wurde es wieder still. Alle Schüler und die Hälfte der Lehrer saßen gespannt ganz vorn auf ihren Sitzbänken und schauten erwartungsvoll. Ein Schwimmbecken war zu sehen. Es schien ein bewölkter Tag zu sein, aber das graue Wetter hielt den zukünftigen Reality-Show-Star Dick Creed natürlich nicht auf. Er posierte auf einem Strandtuch am Rande des Wassers. Sein blaues Turnhemd und die kurzen Laufshorts hatte er gegen eine Badehose eingetauscht, und seine alternde, viel zu stark gebräunte Haut hing schlaff von seinem Körper. Der Bauch erinnerte an einen alten Ballon, aus dem die Luft entwichen war – eine unangenehme Mischung aus straff und schlaff, bei deren Anblick Kitty unwillkürlich an Captain Kirk in den alten Star-Trek-Folgen denken musste, die ihr Dad so liebte.

«Grund Nummer drei.» Er zog die linke Braue hoch. «Seien wir ehrlich, Dick Creed ist doch ein sexy Stück männliches Fleisch. Die Damen lieben es und können gar nicht genug davon bekommen. Also werden sie jede Woche einschalten, um mehr von mir zu sehen, das kann ich garantieren.» Er nahm ein Glas Sekt in die Hand und prostete in die Kamera. «Schlau, stark und sexy. Dick Creed ist alles – und noch viel mehr. Meinen Sie nicht auch, dass dieses Gesamtpaket ein Vorsprechen verdient hat?» Er zwinkerte noch einmal, dann wurde das Bild schwarz.

Niemand rührte sich. Die ganze Halle hielt den Atem an. Pater Uberti, der noch nach Mr. Phillips rief, brach mitten im Wort ab, und sogar Coach Creed hörte auf, mit den Fäusten gegen die Tür zum Technikraum zu hämmern. Ein letztes Bild erschien auf der Leinwand.

Schwarze Buchstaben auf weißem Grund. Eine unverkennbare Schrift, die aussah, als wäre sie auf einer altmodischen Schreibmaschine getippt.

Mit den besten Grüßen

von DGM

Vier

Es hatte fast den ganzen Tag gebraucht, bis Margot sich nach der Versammlung wieder beruhigen konnte. Das Zittern in ihren Händen wurde auch während des Politikkurses nicht schwächer, und als es nach Ende der sechsten Stunde zur Pause klingelte, spürte sie ihr Herz immer noch bis zum Hals schlagen.

Normalerweise ging es bei den Aktionen von DGM nicht so sehr um öffentliche Demütigung als darum, die Machtlosen mit den Mächtigen ein wenig mehr auf Augenhöhe zu bringen, aber Coach Creed war ein besonderer Fall. Sie hatte schon befürchtet, dass eine Ader in seinem Kopf platzen und er direkt vor ihnen auf dem Basketballfeld zusammenbrechen könnte, der Tatbestand wäre dann wohl Totschlag. Aber dennoch: Theos Gesichtsausdruck war unbezahlbar gewesen. Sie hatte sein Lächeln beobachtet, das zuerst nur aufgeflackert war und dann immer sicherer wurde, bis er über das ganze Gesicht strahlte. Außerdem hatte sie gesehen, wie ein Klassenkamerad zwei Reihen hinter ihm die Hand ausstreckte und ihm auf die Schulter klopfte. Dann noch einer und noch einer. Sie hatten alle begriffen, dass Theo endlich Genugtuung verspürte für all das, was Coach Creed ihm angetan hatte.

Der Gerechtigkeit war Genüge getan worden.

Selbst jetzt, als sie zu Fuß von der Schule nach Hause ging, gab die Erinnerung daran ihr ein besseres Gefühl. Sie tat etwas Gutes. Sie veränderte etwas. Dafür war Don’t Get Mad da: Rache für die schlimmen Erfahrungen derer zu üben, die selbst nicht dazu in der Lage waren.

Margot hielt den Atem an, als sie die Haustür öffnete, und lauschte nach Anzeichen dafür, dass ihre Eltern zu Hause waren. Aber alles war still. Das Haus war leer.

Sie schloss und verriegelte die Tür hinter sich und atmete tief und erleichtert aus. Das Letzte, was sie jetzt wollte, war, zwanzig Fragen über ihren Tag zu beantworten.

Es war nicht so, dass sie ihre Eltern je ganz allein lassen würden. Es gab immer eine Liste mit Aufgaben auf dem Küchentresen, als wäre sie noch ein zwölfjähriges Schlüsselkind, das ohne strenge Anweisungen den ganzen Tag Eiscreme essen und Trickfilme gucken würde.

Auch die heutige Liste war ein wahres Meisterwerk ihrer Mom.

14:45 Ankunft zu Hause

14:50 Kleiner Snack (Apfel oder Banane und eine Scheibe Käse)

15:00–16:00 Mathehausaufgaben (wenn früher fertig, die nächste Aufgabe erledigen)

16:00–17:00 Zusätzliche Aufgaben erledigen, die von der Bishop DuMaine zur Verfügung gestellt sind

17:00–17:15 Pause. Mindestens eine von Dr. Tournays Meditationsübungen machen, mindestens zehn Minuten

17:15–18:00 Aufgaben für die Stanford-Aufbaukurse

18:00–19:00 Abendbrot mit der Familie

19:00–19:30 Dreißig Minuten Fernsehen, entweder Nachrichten oder Quizshow

19:30–20:00 Duschen

20:00–23:00 Wenn deine Übungen für Stanford und alle anderen Hausaufgaben fertig sind, darfst du lesen, was dir Freude macht

Natürlich meinte ihre Mom mit was dir Freude macht, dass sie einen Klassiker der Weltliteratur von einer der Listen auswählen durfte, die für die Fortgeschrittenen-Literaturkurse in Harvard, Yale und Stanford vorgeschrieben waren. Margot lachte freudlos. Es gab doch nichts Schöneres, als den Tag mit drei Stunden Chaucer oder Hardy abzuschließen.

Und ihre Eltern wunderten sich ernsthaft, warum sie versucht hatte, sich umzubringen.

Margots Selbstmordversuch vor vier Jahren war ein absoluter Schock für ihre Mutter und ihren Vater gewesen. Es war nicht so, dass es keine Warnzeichen gegeben hätte: Margot hatte alles getan, um ihr Unglück zu zeigen. Sie hatte wochenlang jeden Morgen geweint und auf keinen Fall in die Schule gehen wollen. Sie hatte ihren Eltern vom Mobbing erzählt, davon, dass sie keine Freunde hatte, dass sie sich selbst hasste. Aber ihre Eltern hatten es einfach nicht glauben wollen – als hätten sie damit zugeben müssen, dass sie keine guten Eltern waren. Nach ihrem Selbstmordversuch waren sie dann zu dem Schluss gekommen, dass sie ihrem einzigen Kind zu wenig Struktur gegeben, ihr zu sehr ihren Willen gelassen hatten. Daher hatten sie neue Saiten aufgezogen. Margots Tagesablauf wurde jetzt kontrolliert, mit Terminen vollgepackt und bis zur letzten Sekunde durchgeplant. Sie hatte keine Freizeit und folglich auch keine Zeit, darüber nachzudenken, wie schlecht es ihr ging. In den Augen ihrer Eltern war das ein Glück.

Für Margot ging es nur noch darum durchzuhalten.

Noch siebenhundertundzweiundzwanzig Tage, dann würde sie auf dem College sein, hoffentlich an der Ostküste. Dann würde sie frei von allem sein – von ihren Eltern, ihrer Vergangenheit und all den Erinnerungen, die sie nicht losließen.

Mit einem schweren Seufzer zog Margot ihren Rucksack zu sich heran. Siebenhundertundzweiundzwanzig Tage.

Aber erst die Mathehausaufgaben.

Sie steckte die Hand ins Seitenfach, um nach ihrem Lieblingsdrehbleistift zu suchen, aber stattdessen streiften ihre Finger etwas Glattes und Hartes. Sie zog den Gegenstand heraus. Es war eine flache Plastikhülle, darin lag eine einzelne DVD.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich heute Morgen noch nicht in ihrem Rucksack befunden hatte? Einhundert Prozent.

Neugierig holte Margot die DVD aus der Hülle. Sie war selbst gebrannt, und darauf hatte jemand eine kurze Nachricht gekritzelt.

Rex, Alter, guck dir das an!

Die DVD musste nach ihrem Zusammenstoß mit Rex Cavanaugh versehentlich in ihren Rucksack geraten sein. Ein privates Video für Rex? Das könnte hervorragendes Material sein.

Margot fuhr ihren Laptop hoch.

 

«Warum müssen wir immer den Hintereingang nehmen?» John lehnte sich gegen den Türrahmen.

Bree seufzte. «Weil mein Dad die Sicherheitskamera vorne an der Haustür im Auge behält.» Sie schob John beiseite, um den vierstelligen Code einzugeben, wartete, bis das Schloss klickte, und stieß die Tür auf.

John warf einen Blick auf die Sicherheitskameras über ihnen. «Und die? Nur zur Dekoration?»

Bree schob ihn ins Haus. «Nein, aber diese Aufzeichnungen schaut er sich nicht an. Geh ruhig schon hoch.»

«Warum n…»

Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu, lief den schmalen Weg zurück und eilte um das Haus herum zur Eingangstür, damit ihr Dad sah, dass sie zu Hause war, und zwar allein. Nicht, dass es ihn sonderlich interessierte, was sie nach der Schule tat, solange in den Sechs-Uhr-Nachrichten nicht darüber berichtet wurde. Aber je weniger ihr Vater über ihre Freunde wusste, desto besser. So hatte er keinen Anlass zur Kritik.

John stellte sich vielleicht manchmal vor, wie toll es wäre, einen berühmten Politiker und mutmaßlichen Anwärter auf den Gouverneursposten als Dad zu haben, aber für Bree sah die Realität anders aus. Es nervte sie, seit sechzehn Jahren unablässig daran erinnert zu werden, dass sie das schwarze Schaf der Familie war, dass sie nirgends hineinpasste, ihre Privilegien nicht zu schätzen wusste und angeblich nicht verstand, wie wichtig es war, das sorgfältig gepflegte Image ihres Vaters als treusorgender Familienvater aufrechtzuerhalten.

Bree fragte sich manchmal, warum er sie nicht einfach in Ruhe lassen konnte. Er hatte doch schon ein perfektes Kind – Brees älterer Bruder Henry Jr. schrieb nur Bestnoten an der Columbia University. Warum brauchte er zwei?

«Was wollen wir denn heute hören?», rief Bree und stieg die Treppe hinauf. Sie schleifte ihre Armeetasche hinter sich her und fand es irgendwie befriedigend, wie sie über den Boden kratzte und gegen jede einzelne Holzstufe polterte. «Killers oder …» Sie stieß ihre Zimmertür auf und erwartete, John im Sitzsack liegen zu sehen, aber das Zimmer war leer. «John?»

Ein schweres Rumsen erklang aus ihrem begehbaren Kleiderschrank. «Verdammt», sagte John und stolperte aus der Schranktür. «Du hast aber wirklich eine Menge Mist dadrin.»

«Privaten Mist», versetzte Bree. «Was zum Teufel machst du da?»

John ließ sich in den Sitzsack fallen. «Entspann dich. Du lässt mich das Auto deines Dads fahren, ich kenne den Sicherheitscode für dieses Haus und für deinen Spind in der Schule. Warum regst du dich so auf, wenn ich in deinem Anziehzimmer bin? Fürchtest du, dass Senator Deringer mich dabei erwischt, wie ich mich durch deine Unterhöschen wühle?»

Bree rollte die Augen, als er ihren Vater erwähnte. «Er ist sowieso in Sacramento.»

«Und deine Mom ist mit ihm dort?»

«Klar», sagte Bree. Die Lüge war ebenso gut wie jede andere.

«Okay.»

«Seit wann kümmert es dich, wo meine Eltern sind?»

John streckte seine langen Beine aus. «Ich dachte, sie würden dich vielleicht in Ruhe lassen, wenn sie mich mal kennenlernen.»

«Rockmusiker und erster Verdächtiger auf Pater Ubertis Liste der möglichen DGM-Mitglieder?» Bree sah auf ihn herab und sagte mit vornehm verstellter Stimme: «Du bist wohl kaum ein passender Freund für die Tochter von Senator Henry Deringer.»

John stemmte sich aus dem Sitzsack und ging zum Badezimmer. «Ich würde töten, um zu erfahren, wer eigentlich hinter DGM steckt. Sie sind toll. Ehrlich.»

Bree lächelte, als die Tür hinter ihm zufiel. Zu wissen, dass ihr bester Freund DGM gut fand, gab ihr ein warmes und …

Ihr Handy summte und unterbrach ihre Gedanken. Eine SMS? Das war merkwürdig. Der Einzige, der ihr je Textnachrichten schickte, war John.

 

Olivia war hundemüde, als Peanut sie zu Hause absetzte. Sie war kaum noch in der Lage gewesen, dem aufgeregten Geplapper ihrer Freundin zu folgen, und als sie die Stufen zu der winzigen Wohnung emporstieg, die sie sich mit ihrer Mom teilte, spürte Olivia in jedem ihrer erschöpften Schritte das volle Gewicht ihres Körpers.

Sie wollte jetzt allerhöchstens noch ein paar schlechte Fernsehsendungen schauen.

Aber Fehlanzeige.

«Soso! Wer hat dich denn in diesem schicken Cabrio nach Hause gefahren? Neuer Freund?» Olivias Mom stand gegen den Küchentresen gelehnt. Sie war schon fertig gemacht für die Arbeit in der Bar, hatte sich das dicke, dunkle Haar straff zu einem Pferdeschwanz gebunden und war entsprechend dramatisch geschminkt: ein geschwungener Eyeliner-Strich, schimmernder Highlighter, tiefrote Lippen. Enge Jeans, die in kniehohen Stiefeln steckten, vervollständigten den Look, dazu trug sie ein tief ausgeschnittenes schwarzes T-Shirt, das so viel von ihrer Oberweite zeigte, dass Olivia den Blick abwenden musste.

«Kommst du nicht zu spät zur Arbeit?», fragte sie und hoffte, dass sie nicht so genervt klang, wie sie sich fühlte.

Ihre Mom seufzte. «Sei doch nicht immer so eine Mom, Livvie.»

Olivia nahm sich eine Dose Diätlimo aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Tisch. Einer muss hier ja die Mom sein.

«Ich wollte nur noch schnell das Neueste über das Theaterstück im Herbst hören.» Ihre Mom beugte sich vor. «Hat Mr. Cunningham endlich verkündet, was es wird?»

«Ich hab’s dir doch gesagt», sagte Olivia langsam. «Mr. Cunningham war die ganze Woche nicht da. Er kommt erst am Montag wieder.» Hörte ihre Mom überhaupt jemals zu?

«Hm. Dann sollten wir dein Vorsprechen übers Wochenende vorbereiten.»

Wir? «Mom …»

«Ich habe schon ein paar Monologe herausgesucht. Aus jedem Genre etwas, damit du auf alles vorbereitet bist. Heute ist mir aufgefallen, dass wir die Klassiker seit Monaten nicht mehr angerührt haben, also fangen wir einfach damit an.»

Olivia zog eine Augenbraue hoch. Die manischen Phasen ihrer Mom wurden fast immer von etwas hervorgerufen, das mit Schauspielerei zu tun hatte, und das machte Olivia extrem nervös. So begeistert und motiviert ihre Mom auch vor jedem einzelnen Vorsprechen war – die Depression, die sie überkam, wenn sie eine Rolle nicht bekam, fesselte sie danach tagelang ans Bett. «Hast du denn heute ein Vorsprechen gehabt?», fragte Olivia vorsichtig.

«Ja!» Ihre Mom lief in der winzigen Küche auf und ab. «Und du glaubst nicht, wofür.» Sie wartete nicht ab, bis ihre Tochter etwas erwidern konnte. «Die Olivia in Was ihr wollt! Meine Lieblingsrolle. Hab ich dir mal von meinen Auftritten als Olivia im Public Theatre erzählt?»

Erst ungefähr eine Million Mal. «Ich glaube schon.»

«Die Kritiken waren wunderbar. ‹June Hayes bezaubert als Olivia›», zitierte sie aus dem Gedächtnis. «‹Ein phantastisches, anregendes neues Gesicht im Public Theatre›.»

Der Blick ihrer Mom fiel auf ein gerahmtes Bild an der Wand, das sie selbst in einem aufwendig verzierten elisabethanischen Kostüm zeigte. Sie strahlte aus dem Foto heraus, der Blick voller Begeisterung und Freude. Diese Produktion von Was ihr wollt war eine ihrer letzten Bühnenrollen gewesen. Bald danach wurde sie schwanger, und heute sah Olivia dieses Funkeln in den Augen ihrer Mom nur noch, wenn ihre Tochter auftrat.

Gedankenverloren sah ihre Mutter die Fotografie an, und Olivia spürte, dass sie wieder in die Dunkelheit ihrer verlorenen Träume entglitt. Und dieser tief in ihr liegende Ort war nicht schön, das wusste sie. «Kommst du nicht zu spät, Mom?»

Ihre Mutter warf einen Blick auf die Uhr an der Mikrowelle. «Mist!» Sie griff ihr Portemonnaie und ihre Schlüssel und gab Olivia einen Kuss auf die Stirn. «Schau dir doch heute Abend die Monologe an, dann können wir uns am Wochenende einen aussuchen.»

Olivia merkte erst, dass sie den Atem angehalten hatte, als das Klappern der Absätze ihrer Mom verklungen war und sie alle Luft aus ihren Lungen ließ. Dann stand sie langsam auf und ging in ihr Zimmer. Das Sofa im Wohnzimmer war noch nicht gemacht, ein klares Zeichen dafür, dass ihre Mutter bis spät in den Nachmittag geschlafen hatte, aber Olivia blieb nicht stehen, um das Bettzeug wegzuräumen. Stattdessen schaute sie aus dem Fenster und sah, wie der blaue Civic ihrer Mutter auf der Straße wendete.

Sicher, endlich vollkommen allein zu sein, hockte sich Olivia neben ihr Bett und tastete mit der Hand nach einem großen Tupperware-Behälter, der hinter einigen alten Schuhkartons versteckt war. Sie zog ihn hervor.

Der Geruch stieg ihr in dem Augenblick in die Nase, als sie den Gummideckel anhob. Zucker. Sie atmete tief ein und genoss den würzig-süßen Duft. Sie wühlte sich durch Schokoriegel und Erdnussbutter-Pralinen, bis sie auf eine Packung glasierter Cupcakes stieß. Sie zog sie hervor. Mindestens zwei Mal würde sie ihre Pilates-DVD durchturnen müssen, um die Kalorien wieder loszuwerden, aber das war ihr egal.

Olivia ließ sich auf ihr Bett fallen und stopfte sich einen ganzen Cupcake auf einmal in den Mund. Das Bishop-DuMaine-Theaterstück kam ihr so albern vor im Vergleich zu dem, was DGM an diesem Tag geschafft hatte. Noch ein Mobber, dem es heimgezahlt worden war. Noch ein Opfer, das Genugtuung erfahren hatte.

Eine leise Melodie ertönte in Olivias Tasche. Eine Nachricht auf ihrem Handy. Sie seufzte und griff danach.

Immer wenn DGM eine weitere Aktion erfolgreich hinter sich gebracht hatte, hoffte sie, dass sie sich besser fühlen würde. Dass die Fehler, die sie gemacht hatte, dadurch ausgelöscht würden – ebenso wie das schlechte Gewissen, immer noch Teil des Terrorregimes zu sein, das von Amber, Rex und den anderen aufrechterhalten wurde. Von Mitschülern, die sie ihre «Freunde» nannte.

Aber das klappte nie.

 

Kittys elfjährige Zwillingsschwestern sprangen sofort auf, als sie durch die Eingangstür trat.

«Kitty!», rief Sophia und stürmte ihr entgegen.

Lydia war kaum zwei Schritte hinter ihr. «Warum bist du schon so früh zu Hause?»

«Die Übungen sind ausgef…»

«Spiel mit uns», forderte Lydia.

«Wir spielen Percy Jackson», erklärte Sophia.

«Du musst Blackjack sein», informierte sie Lydia.

Aus irgendeinem Grund liebten es die Zwillinge, so zu tun, als wäre ihre Schwester ein sprechendes, fliegendes Pferd.

«Okay, okay», beruhigte Kitty die zwei lachend und befreite sich aus ihren Armen. «Kann ich erst mein Zeug in mein Zimmer legen, bevor ihr mir alle Glieder ausreißt?»

Lydia schob die Unterlippe vor. «Fünf Minuten, mehr nicht.»

«Sonst kommen wir dich holen», sagte Sophia drohend.

Kitty lächelte, als sie den Flur entlang zu ihrem Zimmer ging. Es lag etwas Tröstliches darin, zu ihren Schwestern nach Hause zu kommen, die noch so unschuldig, so glücklich und so vertrauensselig waren. Sie hatten noch nicht erlebt, dass Jungs auch etwas anderes sein konnten als eklig oder dass nicht jeder auf der Welt immer nur das Beste für sie wollte. Einer der Gründe, aus denen Kitty so sehr für DGM kämpfte, war der Gedanke, dass sie dadurch irgendwie auch Sophia und Lydia beschützte.

Kitty warf ihren Seesack in eine Ecke ihres Zimmers. Sie würde sich später um ihre Hausaufgaben kümmern. Jetzt war erst einmal Zeit, mit ihren Schwestern zu spielen.

Als sie gerade gehen wollte, hörte sie ihr Handy summen.

«Fünf Minuten sind um!», kreischte Lydia aus dem Wohnzimmer.

«Beeil dich, Kitty!», stimmte Sophia ein.

Kitty holte ihr Handy heraus und öffnete die Nachricht. Sie erstarrte, weil sie sofort die Nummer des Notfall-Wegwerfhandys von DGM erkannte.

Wir müssen uns heute Abend treffen.

Fünf

Fünf Stunden später saß Kitty ungeduldig auf einem halbfertigen Tisch im Möbellager ihres Onkels. Sie atmete tief durch. Der Geruch von Sägespänen und Leinöl erinnerte sie an ihre Kindheit, damals hatte sie stundenlang in den dunklen Winkeln der Werkstatt gespielt, während ihre Mom im Büro aushalf. Sie fühlte sich hier sicher, deshalb war dieser Ort DGMs geheimer Treffpunkt.

Margots Stuhl knarrte, als sie zum fünften Mal auf die Uhr schaute. Sie seufzte tief, als wäre Olivias Verspätung etwas irgendwie Neues. «So spät kommt sie nie.»

«Sie kommt immer so spät», widersprach Bree.

«Sie wird schon kommen.» Innerlich war Kitty mindestens so nervös wie Margot, aber sie versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. Sie war die Anführerin. Sie musste sich auch so benehmen.

Ein Klopfen hallte durch die Lagerhalle. Ein Klopfer, eine Pause, dann drei weitere Klopfer, hohl und tief.

«Endlich», murmelte Margot.

Kitty schob den Stahlriegel der schweren Metalltür zurück und zog sie gerade eben so weit auf, dass Olivia hineinschlüpfen konnte.

«Sorry!» Sie schlitterte halb über den glatten Betonboden und schwankte gefährlich auf ihren hohen Absätzen. «Mein Bus hatte Verspätung.»

«Dein Bus hat immer Verspätung», versetzte Bree.

Olivia ließ sich auf einen Sessel fallen und warf ihr einen Seitenblick zu. «Wir dürfen nicht alle Daddys brandneuen Lexus fahren», entgegnete sie eisig.

«Hört auf, Leute», sagte Kitty. «Deshalb sind wir nicht hier.» Olivia und Bree passten ungefähr so gut zusammen wie Zahnpasta und Orangensaft, und manchmal hatte Kitty das Gefühl, dass sie den größten Teil ihrer Treffen damit verbrachte, sie davon abzuhalten, aufeinander loszugehen.

«Warum sind wir denn hier?», fragte Bree. Sie kippte ihren Sessel zurück und legte ihre Stiefel auf den Tisch. «Ein neues Ziel? Bitte sag mir, dass wir uns diesmal endlich um Amber Stevens kümmern.»

«Nein, noch nicht!» Es brach geradezu aus Margot heraus.

Bree schwang herum, sie war eindeutig verblüfft. «Warum nicht? Amber ist das schlimmste Biest der ganzen Schule. Wenn irgendjemand eine ordentliche Lektion verdient, dann sie.»

«Noch nicht», wiederholte Margot mit einem leisen Beben in der Stimme. «Ich werde euch sagen, wann es an der Zeit ist, dass wir uns um Amber kümmern.»

Bree öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich aber dann anders. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit ihren Fingernägeln zu und knibbelte letzte Flecken ihres blauen Nagellacks ab.

Olivia hob die Hand. «Und warum hast du das Treffen dann einberufen, Kitty?»

«Ich nicht.» Kitty nickte in Richtung Margot. «Sie hat es einberufen.»

Wortlos stellte Margot einen Laptop auf den Tisch. Es war der flachste Computer, den Kitty je gesehen hatte, und er fuhr in Sekundenschnelle hoch. Margot öffnete ein Browserfenster, ohne sich vorher in ein WLAN-Netz einzuwählen.

«Nicht schlecht», sagte Bree anerkennend. «Wo hast du den denn her, von der CIA?»

«Eigentlich aus dem Verteidigungsministerium», antwortete Margot. «Der neue Prototyp meiner Eltern. Drei Terabyte Halbleiterplatte, Identifikation per Fingerabdruck, schusssicheres Gehäuse und ein Core-i13-Prozessor, der in den nächsten zwei Jahren nicht auf den Markt kommt.»