Gezeitenglück - Cedar Cove 9 - Debbie Macomber - E-Book

Gezeitenglück - Cedar Cove 9 E-Book

Debbie Macomber

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Beschreibung

Cedar Cove - wo zweite Chancen wahr werden Nachdem seine Frau vor einem Jahr verstorben ist, hat Sheriff Troy Davis seine Highschool-Liebe Faith Beckwith wiedergetroffen und führt eine Beziehung mit ihr. Doch das Glück der beiden wird schon bald getrübt, denn aus einem unbekannten Grund wird Faiths Haus Ziel von Vandalismus. Da nicht nur das Haus verwüstet, sondern auch Fotos und persönliche Erinnerungsstücke zerstört wurden, hat Faith Angst, es könnte sich um einen persönlichen Rachefeldzug gegen sie handeln. Gleichzeitig hat Troy mit dem Fund skelettierter Überreste eines Teenagers zu tun, die aus einer Höhle geborgen werden konnten. Während er sowohl in seinem Privat- als auch Berufsleben einigen Strapazen ausgesetzt ist, hat der Sheriff nun auch noch den Bürgermeister von Cedar Cove im Nacken. Denn die Überreste werfen einige Fragen auf, und die Medien erhöhen allmählich den Druck.

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Seitenzahl: 496

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Zum Buch:

Manchmal fällt es Menschen schwer zuzugeben, dass sie verliebt sind. Der Witwer Troy Davis dachte eigentlich, er sei bereit, weiterzuziehen. Seine Highschool-Liebe Faith Beckwith ist vor Kurzem in die Stadt zurückgekehrt, und es schien, als würden sie wieder ein Paar werden. Doch dann kamen ihnen einige Missverständnisse in die Quere.

Sheriff Troy hat aber noch viele andere Dinge, die ihn beschäftigen – wie die nicht identifizierten Überreste, die in einer Höhle außerhalb der Stadt gefunden wurden. Und die Einbrüche in dem Haus, das Faith zufällig von Grace Harding gemietet hat. Und während Richterin Olivia Lockhart mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, schart sich die Gemeinde um sie.

Zur Autorin:

SPIEGEL-Bestsellerautorin Debbie Macomber hat weltweit mehr als 200 Millionen Bücher verkauft. Sie ist die internationale Sprecherin der World-Vision-Wohltätigkeitsinitiative Knit for Kids. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Wayne lebt sie inmitten ihrer Kinder und Enkelkinder in Port Orchard im Bundesstaat Washington, der Stadt, die sie zu ihrer Cedar Cove-Serie inspiriert hat.

Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel92 Pacific Boulevard bei MIRA Books, Toronto.

© Debbie Macomber

Deutsche Erstausgabe

© 2024 für die deutschsprachige Ausgabe

HarperCollins in der

Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. / SÀRL

Covergestaltung von Büro Süd GmbH

Coverabbildung von superbank stock / Shutterstock

E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783749906734

www.harpercollins.de

Widmung

Für Jerry Childs und Cindy Lucarelli, weil sie meinen Traum der Cedar-Cove-Tage im August 2009 verwirklicht haben.

Und für die Vorstandsmitglieder, die so hart gearbeitet haben, um ihnen das zu ermöglichen: Gil und Kathy Michael, Dana Harmon und John Phillips, Gerry Harmon, Mary und Gary Johnson, Shannon Childs und Ron Johnson.

Liebe Freunde, …

Liebe Freunde,

die Zahl neun hat schon lange eine besondere Bedeutung für mich. Begonnen hat dies in einem Algebrakurs, als der Professor ankündigte, dass jeder, der die Abschlussprüfung umgehen wolle, stattdessen ein Essay über irgendetwas schreiben dürfe, das mit Mathematik zu tun habe. Diese Gelegenheit ergriff ich natürlich sofort. Ich muss nicht erwähnen, dass die Beschäftigung mit Zahlen meinen Blutdruck in die Höhe treibt, oder? Ein Essay klang für mich nach einem einfachen Ausweg – bis ich mit anderen Schülern meiner Klasse darüber sprach. Ein junger Mann hatte sich entschieden, über die Rolle der Mathematik im Zweiten Weltkrieg zu schreiben, ein anderer über die Wahrscheinlichkeit, eine komplizierte mathematische Hypothese beweisen zu können. Ich schluckte, besuchte die städtische Bibliothek und betete um Inspiration. Gefunden habe ich sie in der Zahl neun. Ja, ich arbeitete ein ganzes Essay darüber aus, wie die Zahl neun in der Literatur, in der Heiligen Schrift, im Unterricht und im Alltag Verwendung findet. Dafür habe ich nicht nur eine Bestnote erhalten, nein, der Lehrer bat mich obendrein, vor der ganzen Klasse zu referieren, was ich herausgefunden hatte. Wie ihr seht, habe ich also eine sehr persönliche Beziehung zur Zahl neun.

Vielleicht ist es deshalb auch nicht überraschend, dass in meinen Augen der neunte Band der Cedar-Cove-Reihe ein besonderer ist: Sheriff Troy Davis hat alle Hände voll zu tun in seiner Stadt. Ihm wurde das Herz gebrochen, als Faith entschied, ihre Beziehung zu beenden. Hinzu kommt das ungelöste Rätsel um das Skelett, das in einer Höhle außerhalb der Stadt gefunden wurde. Olivia unterzieht sich einer Chemotherapie, und es geht ihr gut. Grace hat in der Stadtbücherei ein großartiges neues Programm gestartet …

Weiterhin viel Spaß mit den Geschichten aus Cedar Cove. Ich freue mich immer, von meinen Leserinnen und Lesern zu hören. Erreichen könnt ihr mich über P.O. Box 1458, Port Orchard, WA98366 oder über meine Webseite unter www.debbiemacomber.com.

Herzliche Grüße

Debbie Macomber

Die Hauptpersonen aus Cedar Cove, Washington

Die Hauptpersonen aus Cedar Cove, Washington

Olivia Lockhart-Griffin: Familienrichterin in Cedar Cove. Mutter von Justine und James. Wohnt zusammen mit ihrem Mann Jack in der Lighthouse Road 16.

Jack Griffin: Zeitungsreporter und Chefredakteur des CedarCove Chronicle

Charlotte Jefferson Rhodes: Verwitwete Mutter von Olivia, wohnt schon ihr ganzes Leben lang in Cedar Cove. In zweiter Ehe verheiratet mit dem Witwer und pensionierten Marineoffizier Ben Rhodes, dessen Söhne David und Stephen beide nicht in Cedar Cove wohnen.

Justine (Lockhart) Gunderson: Tochter von Olivia, verheiratet mit Seth, Mutter von Leif. Dem Paar gehörte das Lighthouse Restaurant, das einem Feuer zum Opfer gefallen ist. Daher hat Justine kürzlich ein neues Teehaus eröffnet, den Victorian Tea Room. Die Gundersons leben im Rainier Drive 6.

James Lockhart: Sohn von Olivia und Justines jüngerer Bruder. James ist bei der US Navy und lebt mit Frau und Kindern in San Diego.

Will Jefferson: Olivias Bruder und Charlottes Sohn. Lebte in Atlanta, bevor er nach seiner Scheidung nach Cedar Cove zurückzog und dort die Kunstgalerie der Stadt kaufte.

Grace Sherman Harding: Olivias beste Freundin. Verwitwet. Bibliothekarin. Mutter von Maryellen Bowman und Kelly Jordan. Verheiratet mit Cliff, einem Ingenieur im Ruhestand, der sich eine Pferdezucht in Olalla ganz in der Nähe von Cedar Cove aufgebaut hat. Das Paar lebt auf der Pferderanch. Grace’ ehemaliges Haus in der Rosewood Lane 204 wurde vermietet.

Maryellen Bowman: Älteste Tochter von Grace und Dan Sherman. Mutter von Katie und Drake, verheiratet mit dem Kunstfotografen Jon Bowman.

Zachary Cox: Buchhalter. Verheiratet mit Rosie, Vater von Allison und Eddie. Die Familie lebt im Pelican Court 311. Allison besucht die Universität in Seattle, während ihr Freund Anson Butler zum Militär gegangen ist.

Cecilia Randall: Ehefrau des Navy-Soldaten Ian Randall und Mutter von Aaron. Das Paar lebte in Cedar Cove, bis Ian nach San Diego versetzt wurde.

Rachel Pendergast: Arbeitet im Frisier- und Kosmetiksalon Get Nailed. Frisch verheiratet mit dem Witwer Bruce Peyton. Er hat eine Tochter namens Jolene.

Bob und Peggy Beldon: Beide im Ruhestand. Ihnen gehört das Thyme and Tide, eine Pension am Cranberry Point 44.

Roy McAfee: Pensionierter Polizist aus Seattle, jetzt Privatdetektiv. Verheiratet mit Corrie McAfee, die ihm als Assistentin das Büro führt. Zwei erwachsene Kinder, Mack und Linnette. Wohnhaft in der Harbor Street 50.

Linnette McAfee: Tochter von Roy und Corrie, war nach Cedar Cove gezogen, um als Assistenzärztin im neuen Gesundheitszentrum zu arbeiten. Lebt jetzt in North Dakota.

Mack McAfee: Feuerwehrmann und Sanitäter, kürzlich nach Cedar Cove gezogen.

Gloria Ashton: Hilfssheriff in Cedar Cove, leibliche Tochter von Roy und Corrie McAfee, war nach der Geburt zur Adoption freigegeben worden und wuchs als Adoptivtochter der Ashtons auf.

Troy Davis: Sheriff von Cedar Cove, verwitwet, Vater von Megan. Wohnt am Pacific Boulevard 92.

Faith Beckwith: Highschool-Liebe von Troy Davis, inzwischen verwitwet. Ist kürzlich nach Cedar Cove zurückgezogen und lebt zur Miete in der Rosewood Lane 204.

Teri Miller Polgar: Ehemalige Haar-Stylistin im Get Nailed, inzwischen verheiratet mit dem Internationalen Schachmeister Bobby Polgar. Sie leben in der Seaside Avenue 74.

Christie Levitt: Schwester von Teri Miller Polgar

James Wilbur: Bobby Polgars Freund und Chauffeur

Dave Flemming: Pastor der Methodistenkirche, verheiratet mit Emily, zwei Söhne. Die Familie lebt im Sandpiper Way 8.

Shirley Bliss: Witwe und Textilkünstlerin, Mutter von Tannith (Tanni) Bliss

Shaw Wilson: Freund von Anson Butler, Allison Cox und Tanni Bliss

Mary Jo Wyse: Junge Frau, die zu Weihnachten des Vorjahrs mit Mack McAfees Hilfe ihr Baby in Cedar Cove zur Welt gebracht hat.

Linc Wyse: Bruder von Mary Jo Wyse, lebte früher in Seattle. Will eine Kfz-Werkstatt in Cedar Cove eröffnen.

Lori Bellamy: Stammt aus einer wohlhabenden Familie der Gegend, hat kürzlich ihre Verlobung gelöst.

Louie Benson: Bürgermeister von Cedar Cove

1. Kapitel

Die längste Zeit seines Berufslebens arbeitete Troy Davis bereits im Sheriffbüro von Cedar Cove. Er kannte die Stadt und die Bewohner, lebte hier und gehörte dazu. Viermal war er jetzt schon mit überwältigender Mehrheit zum Sheriff gewählt worden.

An diesem trüben Januartag saß er an seinem Schreibtisch und ließ die Gedanken schweifen, während er an seinem Kaffee nippte. Er schmeckte fad. Das Pulver, das sie im Büro verwendeten, gab nie guten Kaffee, ganz gleich, wie frisch sie ihn aufbrühten. Er dachte an Sandy, mit der er über dreißig Jahre verheiratet gewesen war. Im letzten Jahr war sie an den Folgen ihrer MS gestorben, und ihr Tod hatte ein riesiges Loch in sein Leben gerissen. Oft hatte er mit ihr über seine Fälle gesprochen und diesen Gedankenaustausch schätzen gelernt. Stets hatte sie ihre Meinung geäußert, was Menschen dazu gebracht haben mochte, die Verbrechen zu begehen, die auf seinem Schreibtisch landeten, und ihre Schlussfolgerungen waren immer sehr gründlich durchdacht gewesen.

Troy hätte sehr gern gewusst, was sie von einem seiner aktuellen Fälle gehalten hätte. Ein paar Teenager waren unweit von der Straße, die aus der Stadt herausführte, zufällig auf ein Skelett in einer Höhle gestoßen. Inzwischen lagen zwar erste Berichte des Gerichtsmediziners vor, aber die warfen mehr Fragen auf, als sie beantworteten. Weitere Untersuchungen sollten folgen, und vielleicht lieferten die mehr Informationen. Er konnte nur hoffen … Obwohl es kaum zu glauben war, hatte die Leiche die ganze Zeit dort gelegen, ohne entdeckt zu werden, und niemand schien zu wissen, wer der Tote war.

Trotz dieses verwirrenden Cold Case und trotz des Verlusts seiner Frau hatte Troy allen Grund, dankbar zu sein für das, was er hatte: ein angenehmes Leben sowie gute Freunde. Außerdem war sein einziges Kind, seine Tochter Megan, mit einem netten jungen Mann verheiratet. Tatsächlich hätte Troy keinen besseren für seine Tochter finden können als Craig. In ein paar Monaten würde Megan sein erstes Enkelkind zur Welt bringen.

Auch finanziell hatte er keinen Grund zur Klage. Sein Haus war abbezahlt, sein Auto ebenfalls. Die Arbeit machte ihm Freude, und er war seiner Gemeinde eng verbunden.

Trotzdem war er unglücklich.

Und dafür gab es nur einen einzigen Grund.

Faith Beckwith.

Er hatte wieder Kontakt zu seiner Highschool-Liebe aufgenommen, und bevor er sichs versah, hatte er sich erneut in sie verliebt.

Sie waren beide von Natur aus nicht impulsiv – und erwachsen. Sie hatten gewusst, was sie wollten und was sie taten.

Doch dann war ihre Beziehung, die so vielversprechend begonnen hatte, plötzlich zerbrochen – aufgrund der Reaktion seiner Tochter und einiger unleugbar falscher Entscheidungen von ihm.

Als Megan erfuhr, dass er schon so kurz nach dem Tod ihrer Mutter mit einer anderen Frau ausging, hatte sie sich sehr aufgeregt. Troy verstand, was in seiner Tochter vorging. Es stimmte ja, dass sie Sandy erst vor wenigen Monaten zu Grabe getragen hatten. Andererseits war sie schon seit Jahren sehr krank gewesen, und im Grunde hatten sie sich in gewisser Hinsicht schon längst von ihr verabschiedet gehabt. Aber der Umstand, dass er seine Beziehung zu Faith vor seiner Tochter geheim gehalten hatte, hatte ganz wesentlich zu dem ganzen Schlamassel beigetragen.

Am selben Abend, an dem Troy das erste Mal in Erwägung gezogen hatte, Faith um ihre Hand zu bitten, erlitt Megan eine Fehlgeburt. Und wie es das Schicksal so wollte, hatte Troy, der zu dem Zeitpunkt mit Faith zusammen war, sein Mobiltelefon ausgeschaltet.

Seine Schuldgefühle hatten ihn schier überwältigt. Das Baby hatte Megan und Craig unendlich viel bedeutet, vor allem so kurz nach Sandys Tod.

Rückblickend war Troy klar, dass er völlig falsch reagiert hatte. Wegen seines schlechten Gewissens hatte er die Beziehung zu Faith unmittelbar nach Megans Fehlgeburt beendet. Faiths Gefühle hatte er dabei komplett außer Acht gelassen. Ihr Schock und ihr Schmerz verfolgten ihn bis heute.

Seitdem hatte er sich seiner Tochter und ihren Bedürfnissen verschrieben. Das änderte jedoch nichts daran, dass er immer wieder an Faith denken musste. In jedem wachen Augenblick spukte sie ihm im Kopf herum.

Die ohnehin schon verzwickte Situation war durch die Tatsache, dass Faith ihr Haus in Seattle verkauft hatte und nach Cedar Cove gezogen war, noch komplizierter geworden. Sie hatte näher bei ihrem Sohn und ihm, Troy, sein wollen. Dass er ihr nun immer wieder in der Stadt begegnete, bereitete ihm Höllenqualen. Sie hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, was er ihr nicht verdenken konnte.

»Ich habe die Akte mit den Vermisstenfällen für dich, Sheriff.« Cody Woodchase betrat sein Büro und legte den Aktenordner in seinen Posteingang.

»Danke«, murmelte Troy. »Hast du die Daten überprüft?«

Cody, effizient wie immer, nickte. »Ja, hab aber nichts gefunden. Der einzige größere Fall, an den ich mich erinnere, war der von Daniel Sherman vor ein paar Jahren.«

Troy wusste nur zu gut, was dabei herausgekommen war. Sein alter Highschool-Freund hatte ohne erkennbaren Grund seine Familie verlassen und war einfach verschwunden. Über ein Jahr lang hatte der Fall Troy beschäftigt. Schließlich war Dans Leichnam in den Wäldern gefunden worden, und es hatte sich herausgestellt, dass er Selbstmord begangen hatte.

»Der Fall wurde gelöst«, sagte Troy.

»Stimmt. Ich erinnere mich«, erwiderte Cody. »Jedenfalls habe ich alle Vermisstenfälle zusammengetragen und für dich ausgedruckt.«

»Danke.« Nachdem Cody sein Büro verlassen hatte, griff Troy nach der Mappe. Glücklicherweise hatte Cedar Cove eine geringe Kriminalitätsrate. Natürlich gab es gelegentlich Fälle von Störung der öffentlichen Ordnung, von häuslicher Gewalt, Einbrüchen oder Trunkenheit am Steuer – alles Vergehen, wie sie in jeder kleineren Stadt vorkamen. Nur selten gab es echte Kriminalfälle. Der spektakulärste, der ihm einfiel, war der von dem Mann, der im Thyme and Tide, der Pension der Beldons, aufgetaucht war. Aber auch dieser Fall, ein Mord, war aufgeklärt worden.

Und jetzt … die menschlichen Überreste, die kurz vor Weihnachten entdeckt worden waren.

Laut Autopsie war der Tote ein junger Mann, ein Teenager zwischen vierzehn und achtzehn Jahren, gewesen. Soweit die Gebeine eine Schlussfolgerung zuließen, gab es keine offensichtliche Todesursache. Keine stumpfe Gewalteinwirkung zum Beispiel. Obendrein war er schon seit fünfundzwanzig bis dreißig Jahren tot.

Fünfundzwanzig bis dreißig Jahre!

Damals hatte Troy gerade im Dezernat angefangen, noch ohne Erfahrung und bestrebt, sich zu beweisen. Nach zwei Fehlgeburten war Sandy erneut schwanger gewesen und sie beide voller Optimismus, dass sie diesmal ihr Baby bekommen würden.

Wenn in den späten Siebziger- oder in den frühen Achtzigerjahren ein Teenager als vermisst gemeldet worden wäre, würde er sich daran erinnern, davon war Troy überzeugt. Die Akten, die Cody ihm ausgedruckt hatte, gaben ihm recht. Nicht ein einziger Fall eines vermissten Teenagers, männlich oder weiblich, war ungelöst geblieben.

Um sicherzugehen, überprüfte er auch alle Fälle fünf Jahre davor und danach. Zwölf Jungen, überwiegend Ausreißer, waren in diesem Zeitraum vermisst gemeldet worden. Alle diese Fälle waren gelöst: Einige der Jungen waren aus eigenem Antrieb zurückgekommen, andere von Freunden, Verwandten oder der Polizei aufgestöbert worden.

Mit Sicherheit hatte dieser junge Mann auch eine Familie, eine Mutter und einen Vater, die sich über sein Verschwinden den Kopf zerbrachen und voller Sorge auf seine Rückkehr warteten. Troy schloss die Augen und versuchte, sich Jungen in Erinnerung zu rufen, die er damals gekannt hatte. Ein paar Namen und Gesichter kamen ihm in den Sinn.

Um 1985 herum hatte die Cedar Cove Highschool die Staatsmeisterschaft im Baseball gewonnen. Er hatte ein Bild vom ersten Baseman, Robbie Irgendwer, vor Augen, dazu eins von Weaver, einem seiner derzeitigen Hilfssheriffs, der damals der beste Pitcher der Mannschaft gewesen war. Troy hatte alle Playoff-Spiele besucht. Sandy hatte ihn begleitet, und obwohl sie sich nicht wirklich für Baseball begeistern konnte, hatte sie genau wie alle anderen geklatscht und sich die Seele aus dem Leib geschrien, um die Jungs anzufeuern.

Oh, wie sehr ihm Sandy doch fehlte …

Über die Feiertage hatte er ihr Grab ein paarmal besucht. Selbst am Ende, als ihr Körper sie immer mehr im Stich ließ und die MS ihr einen großen Teil ihrer Würde geraubt hatte, war sie immer noch fröhlich. Ihm fehlte ihre Dankbarkeit für die einfachen Dinge im Leben.

Wenigstens hatten er und Megan inzwischen einmal jedes Fest im Jahr ohne Sandy überstanden: das erste Thanksgiving ohne sie. Das erste Weihnachtsfest. Den ersten Geburtstag, Hochzeitstag, Muttertag … Das waren die Gedenktage, die am schwersten wogen. Die Tage, an denen Sandys Fehlen ihnen wie eine Last vorkam, die nie leichter werden würde. Die Tage, an denen er und seine Tochter sich eingestanden, dass nichts je wieder so werden würde wie zuvor.

Abrupt wurde Troy aus seiner Grübelei gerissen, als jemand seinen Namen rief.

»Störe ich bei etwas Wichtigem?«, fragte Louie Benson, der in der Tür des Büros stand.

»Louie.« Troy erhob sich. Schließlich besuchte der Bürgermeister von Cedar Cove ihn nicht jeden Tag. »Komm rein. Schön, dich zu sehen.« Damit deutete er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

»Frohes neues Jahr«, wünschte Louie, als er sich setzte, einen Fußknöchel auf das Knie des anderen Beins legte und sich entspannt zurücklehnte.

»Danke, dir auch«, erwiderte Troy und nahm ebenfalls wieder Platz. »Was kann ich für dich tun?«

Der Bürgermeister war ein vielbeschäftigter Mann, der seine Zeit nicht mit unnötigen Besuchen vertrödelte. Tatsächlich konnte Troy sich nicht erinnern, wann Louie ihn das letzte Mal aufgesucht hatte. Natürlich begegneten sie sich oft. Das ließ sich gar nicht vermeiden, da sie beide im selben Bürokomplex arbeiteten. Im Grunde waren sie jedoch lediglich Bekannte und trafen einander bei Gemeindeveranstaltungen und gelegentlichen Partys.

Ernst beugte der Bürgermeister sich vor. »Ich habe ein paar Dinge mit dir zu besprechen.«

»Natürlich.«

Louie senkte den Blick. »Erstens möchte ich dich daran erinnern, dass im November die nächste Bürgermeisterschaftswahl ansteht. Ich hoffe auf deine Unterstützung im Wahlkampf.«

»Selbstverständlich.« Es überraschte Troy, dass sein Gegenüber es für nötig hielt, das Thema schon so früh im Jahr anzusprechen. Außerdem hatte er Louie auch bei seinen vorherigen Wahlkämpfen unterstützt. Und auch dieses Mal würde niemand gegen ihn kandidieren, soweit Troy wusste.

»Das weiß ich sehr zu schätzen«, sagte Louie, »und natürlich hast du auch meine Unterstützung.« Sein Blick fiel auf Troys Schreibtisch. »Anderes Thema … Was kannst du mir zu den menschlichen Überresten sagen, die kürzlich entdeckt wurden?«

»Der Bericht der Gerichtsmedizin ist vor ein paar Tagen eingetroffen. Jack Griffin hat am Wochenende einen Artikel im Chronicle dazu veröffentlicht. Ich hatte gehofft, dass sich vielleicht ein Leser mit Informationen bei uns meldet. Der Zahnstatus hilft uns auch nicht weiter, weil wir ohne Namen keinen Vergleich anstellen können. Mit anderen Worten: Es gibt noch keine Ergebnisse.«

Interessiert musterte der Bürgermeister den aufgeschlagenen Aktenordner auf Troys Tisch. »Also … noch keine Ahnung, wer die arme Seele sein könnte?«

»Nein.«

Das schien Louie nicht zu gefallen. »Der Grund, warum ich dich in dieser Sache bedränge, ist, dass ich einen Anruf von einer Zeitung aus Seattle erhalten habe. Offenbar hat Jacks Artikel dort Interesse geweckt. Sie wollen über diese noch nicht identifizierten menschlichen Überreste schreiben.« Er runzelte die Stirn. »Ich habe versucht, die Reporterin davon abzubringen, aber sie scheint entschlossen zu sein, alles herauszufinden, was nur irgend möglich ist. Ich habe ihr deine Kontaktdaten gegeben. Stell dich also darauf ein, dass sie anruft.«

»Es gibt ja nicht viel, worüber eine Zeitung berichten könnte.« Troy war froh, im Vorwege informiert worden zu sein. »Aber danke für die Vorwarnung.« Im Laufe der Jahre hatte er schon oft mit der Presse zu tun gehabt und war den Umgang mit Reportern gewohnt. Er hatte nichts gegen sie, solange sie nicht in Dingen herumstocherten, die sie nichts angingen, oder Falschinformationen verbreiteten.

»Ich fürchte einfach«, fuhr Louie fort, »dass eine negative Story dem Ruf von Cedar Cove schaden könnte. Wir wollen Touristen anlocken und nicht mit … mit schaurigen Storys über unsere Stadt abschrecken.«

»Im Moment gibt es nichts Schlimmes zu berichten«, versicherte Troy ihm.

»Hast du überhaupt irgendwas herausgefunden?«, hakte Louie nach.

»Nicht wirklich.« Troy zuckte die Achseln. »Im Grunde nur das, was Jack in seinem Artikel geschrieben hat. Die Überreste stammen von einem jungen Mann im Alter zwischen vierzehn und achtzehn Jahren. Er ist seit 1980 tot, plus minus ein paar Jahre. Kein Hinweis auf die Todesursache.«

Louie schien kein Interesse an den Details zu haben. »Die Sache ist die: Cedar Cove kann keine schlechte Presse gebrauchen. Wir bemühen uns dieses Jahr, mehr Touristen anzulocken. Der Gedanke, dass unser schöner Ort im Mittelpunkt einer makabren Story über unidentifizierte menschliche Überreste und ein unaufgeklärtes Verbrechen stehen könnte, ist mir zuwider.«

Troy nickte. »Ja, das verstehe ich.«

»Gut.« Louie erhob sich. »Gib dein Bestes, um diesen Fall so schnell wie möglich abzuschließen.«

Auch Troy stand auf und öffnete den Mund, um dem Bürgermeister zu versichern, dass er bereits sein Bestes gab, bekam aber keine Gelegenheit dazu, weil Louie bereits weitersprach: »Ich sage nicht, dass du irgendwas unter den Teppich kehren sollst, verstehst du?«

»Natürlich.«

»Gut.« Louie streckte ihm die Hand entgegen, und Troy schüttelte sie. »Sorg einfach dafür, dass nichts Sensationsheischendes oder Beängstigendes in der Presse erscheint, okay? Wie schon gesagt, ich will, dass Cedar Cove ein Touristenmagnet wird, keine Freakshow.«

»Weißt du noch, wie die Reporterin heißt?«, fragte Troy.

»Als ob ich das vergessen könnte: Kathleen Sadler.«

»Kathleen Sadler«, wiederholte Troy. »Mach dir keine Sorgen, ich regle das mit ihr.«

»Danke.« Louie lächelte erleichtert. »Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann.«

Nachdem der Bürgermeister gegangen war, machte Troy sich wieder an den Papierkram auf seinem Schreibtisch. Das Telefon klingelte an diesen Nachmittag oft, die Reporterin rief jedoch nicht an. Er konnte nur hoffen, dass Kathleen Sadler nicht auf die Idee gekommen war, den Fundort der Leiche zu erkunden. Die Höhle war zwar noch gesperrt, aber ein gelbes Absperrband reichte oft nicht, um entschlossene Reporter fernzuhalten.

Troy hatte dafür gesorgt, dass die Namen der beiden Teenager, die die Leiche gefunden hatten, nicht im Chronicle erwähnt worden waren. Trotzdem würde Sadler sie ausfindig machen, wenn sie wollte.

Nachdem sie über die Überreste gestolpert waren, hatte Troy zweimal mit den beiden gesprochen. Er war sicher, dass Philip »Shaw« Wilson und Tannith Bliss ihm alles gesagt hatten, was sie wussten, und das war nicht viel. Die Gespräche waren unkompliziert verlaufen. Obwohl Tannith – Tanni – so getan hatte, als würde ihr der Zwischenfall nichts ausmachen, hatte Troy erkennen können, dass sie ziemlich mitgenommen war. Er war froh gewesen, die Sechzehnjährige direkt ihrer Mutter übergeben zu können.

Von der Presse in Seattle befragt zu werden konnte Tanni überhaupt nicht gebrauchen. Shaw war ein bisschen älter, und Troy hatte das Gefühl, der junge Mann würde bewundernswert gut mit einem Trommelfeuer von Fragen zurechtkommen. So oder so konnte es nicht schaden, die beiden vorzuwarnen.

Als sein Telefon erneut klingelte, griff er nach dem Hörer und wappnete sich dafür, Kathleen Sadler in der Leitung zu haben. »Sheriff Davis.«

»Ähm, ich hoffe, dass ich nicht störe.« Es war Cody Woodchase. Das Zögern in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Du störst nicht. Was ist los?«

»Ich hatte gerade einen Anruf von der Notrufzentrale. Anscheinend ist in der Rosewood Lane 204 eingebrochen worden.«

»Faith?« Troy sprang auf. Das war die Adresse des Mietshauses, in das Faith kürzlich eingezogen war. Seit etwas mehr als zwei Monaten lebte sie nun schon dort.

»Ich meine gehört zu haben, dass sie eventuell mit … dir befreundet ist.«

»Ja«, erwiderte Troy knapp. Die Angst um Faith schnürte ihm die Kehle zu.

»Ich dachte, du würdest davon wissen wollen.«

»Das stimmt, Cody. Danke.« Sekunden später trug Troy bereits seinen Mantel und griff nach seinem Hut. Dann stürzte er aus dem Büro, unfähig, an etwas anderes zu denken als an Faith. Er musste sich vergewissern, dass ihr nichts passiert war und niemand ihr etwas tun konnte.

2. Kapitel

Schon als Faith Beckwith sich ihrem Zuhause näherte, erkannte sie, dass etwas nicht stimmte. Eine ungute Vorahnung ließ sie einen Moment innehalten, bevor sie die Küchentür aufschloss. Sie fröstelte trotz ihres Wintermantels, doch nach einem Moment des Zögerns verdrängte sie ihre negativen Gedanken, drehte den Schlüssel im Schloss herum und trat ein – mitten hinein ins Chaos.

Auf dem Küchenboden lag überall Müll verstreut. Irgendwer hatte den Abfalleimer einfach aufs Linoleum ausgeleert – Kaffeesatz, Eierschalen, ein leerer Orangensaftkarton – und war mitten durch den Unrat hindurchgelaufen. Die Fußspuren führten ins Wohnzimmer.

Ohne nachzudenken, griff Faith nach ihrem Handy. Es gelang ihr, sich davon abzuhalten, Troy Davis’ Nummer zu wählen, die sie schon seit Langem auswendig kannte. Stattdessen rief sie im Büro ihres Sohnes an, in der Hoffnung, dass er noch auf der Arbeit war.

Die Erleichterung, die sie erfasste, als sie Scotts Stimme hörte, ließ ihr die Knie weich werden. »Scottie … jemand ist ins Haus eingebrochen.«

»Mom? Was meinst du damit?«

»Jemand ist ins Haus eingebrochen«, wiederholte sie zitternd, überrascht, dass sie so ruhig klang.

»Bist du sicher?«

»In der Küche ist überall Müll verstreut!«

»Mom«, erwiderte Scottie ruhig. »Leg bitte auf und ruf den Polizeinotruf an. Dann melde dich noch mal bei mir.«

»Oh, natürlich.« Darauf hätte sie auch von allein kommen können. Normalerweise war sie eine vernünftige und logisch denkende Frau, doch die Sauerei in der Küche hatte sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.

»Melde dich noch mal bei mir, sobald du mit der Polizei gesprochen hast.«

»Okay«, versprach sie Scottie, legte auf, atmete tief durch, wählte den Notruf und wartete, dass die Zentrale sich meldete.

»Leitstelle Not- und Rettungsdienst. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»In mein Haus ist eingebrochen worden«, sprudelte es aus Faith heraus, nachdem sie ihren Namen und ihre Adresse genannt hatte. »Ich bin nur bis in die Küche gegangen. Wer immer das war, hat eine schreckliche Sauerei hinterlassen.«

»Sind Sie sicher, dass der Einbrecher nicht mehr im Haus ist?«

Der Gedanke, dass der Eindringling noch da sein könnte, war Faith gar nicht gekommen. Oh Gott!

»Nein …« Wieder lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. Es fühlte sich an, als wären ihre Füße am Boden festgefroren. Wer weiß, womöglich stand der Einbrecher noch im Zimmer nebenan …

»Rufen Sie von einem Handy aus an?«, fragte der Leitstellendisponent und unterbrach damit die erschreckenden Szenarien, die ihr durch den Kopf gingen.

»Ja …«

»Dann gehen Sie bitte nach draußen und bleiben Sie dran«, fuhr der Disponent fort.

Faith zwang sich, zur Tür zu eilen. Sie bewegte sich so leise, wie sie konnte, was vermutlich ziemlich albern war, denn sie hatte ja vorher schon in normaler Lautstärke gesprochen. Wenn derjenige, der für das Chaos in der Küche verantwortlich war, noch im Haus war, hatte er sie sicherlich längst gehört.

»Ich bin jetzt draußen«, flüsterte sie.

»Gut«, meinte der Disponent in beruhigendem Ton. »Ich habe bereits einen Streifenwagen zu Ihnen geschickt.«

»Danke.«

»Deputy Weaver wird voraussichtlich in drei Minuten bei Ihnen sein.«

»Ich bin mit Sheriff Troy Davis befreundet«, sagte sie und bereute ihre Worte sofort. Sie hatte nichts mehr mit Troy zu schaffen, und doch war er derjenige, den sie sofort hatte kontaktieren wollen, als ihr klar wurde, dass bei ihr eingebrochen worden war. »Ich war mit ihm befreundet«, schob sie nach.

In der Leitung piepte es. Das hieß, ein anderer Anrufer versuchte sie zu erreichen.

»Ich glaube, das ist mein Sohn«, erklärte Faith dem Disponenten. »Er wollte, dass ich ihn anrufe, sobald ich … das Verbrechen gemeldet habe.« Sie wusste nicht einmal, wie sie den Einbruch nennen sollte.

»Sie können ihn gleich zurückrufen«, erklärte der Disponent. »Deputy Weaver sollte jeden Moment bei Ihnen sein.«

Faith seufzte vor Erleichterung, als sie den Streifenwagen um die Ecke biegen sah. »Er ist gerade gekommen.«

Erneut piepte es in der Leitung. »Ich muss diesen Anruf annehmen, damit Scottie sich keine Sorgen macht.« Sie dankte dem Disponenten, beendete das Gespräch und wählte dann die Nummer ihres Sohnes.

»Mom, alles in Ordnung?«

»Der Polizeibeamte ist jetzt da«, versicherte sie ihrem Sohn.

»Gut. Ich fahre gleich los.« Leider lag Scotts Büro nicht in unmittelbarer Nähe der Rosewood Lane. Er würde mindestens eine Viertelstunde brauchen, bis er hier wäre.

Trotzdem fühlte sie sich, als müsste sie zusammenbrechen, jetzt, da sie wusste, dass Scott auf dem Weg zu ihr war. Als hätte sie nicht mehr die Kraft, sich aufrecht zu halten.

Der Deputy stellte den Streifenwagen am Straßenrand ab, und nachdem sie mit ihm gesprochen hatte, betrat er mit gezogener Waffe das Haus.

Ihre Handtasche an sich gedrückt, stand Faith in der Einfahrt zur Garage. Es kam ihr zwar wie eine kleine Ewigkeit vor, dauerte aber kaum eine Minute, dann tauchte Deputy Weaver wieder auf.

»Alles klar, niemand im Haus«, erklärte er.

Faith nickte und wandte sich dem Haus zu, um hineinzugehen, aber Deputy Weaver hielt sie zurück. »Haben Sie Familie in der Gegend?«, wollte er wissen.

Erneut nickte Faith. »Mein Sohn Scott ist schon auf dem Weg hierher.«

»Dann rate ich Ihnen, hier zu warten, bis er Sie ins Haus begleiten kann.«

Irritiert schüttelte sie den Kopf. »Aber warum denn? Sie sagten doch, es sei niemand mehr im Haus. Wer immer das getan haben mag …«

Der Deputy zögerte. »Ich glaube nicht, dass Sie das allein sehen wollen«, sagte er. »Ich kann natürlich auch mit Ihnen reingehen …«

Faith hatte Mühe zu begreifen. »Sie meinen … der Schaden ist sehr groß?«

»Das können nur Sie selbst beurteilen.«

»Oh.« Faith wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte.

»Haben Sie irgendeine Ahnung, wer dafür verantwortlich sein könnte?«, wollte der Deputy wissen.

»Nein«, erwiderte sie kopfschüttelnd, überrascht von seiner Frage. »Ich lebe erst seit ein paar Monaten in der Stadt. Das Haus habe ich gemietet. Ich … ich wollte meinem Sohn und seiner Familie nicht zur Last fallen, indem ich bei ihnen wohne, während ich mich nach einem Haus umsehe, das ich kaufen kann.«

Deputy Weaver nickte nachdenklich.

»Warum?«, fragte sie ängstlich.

Mitfühlend sah er sie an. »Es tut mir leid, das zu sagen, aber das Ganze sieht sehr nach einem persönlichen Motiv aus.«

»Persönlich? Grundgütiger, das kann nicht sein! Ich habe vor vielen, vielen Jahren in Cedar Cove gelebt, aber heute kenne ich hier nur wenige Menschen. Ich arbeite im Gesundheitszentrum und, na ja …« Faith verstummte mitten im Satz, als sie Troys Auto sah.

Er fuhr an den Straßenrand, parkte hinter dem Streifenwagen und stieg aus. Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, nicht zu ihm zu laufen.

Troy suchte sofort den Blickkontakt mit ihr. Obwohl sie sich mit Macht dagegen wehrte, stiegen Faith Tränen in die Augen. Seit kurz vor Weihnachten hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und es hatte sie viel Mühe gekostet, jede Erinnerung an ihn zu verdrängen – leider mit sehr mäßigem Erfolg. Immerhin gab es Tage, an denen sie kaum an ihn denken musste. Das war ein Fortschritt, und trotzdem war der erste Mensch, an den sie sich in einer Krise hatte wenden wollen, Troy gewesen.

Deputy Weaver lief ihm entgegen, und die beiden Männer redeten kurz miteinander. Dann ging der Deputy zum Nachbarhaus hinüber, und Troy kam auf sie zu.

»Geht es dir gut?«, fragte er mit prüfendem Blick.

Sie schaute zu Boden, damit er nicht bemerkte, wie froh sie war, ihn zu sehen. »Ich … ich weiß es noch nicht.« Irgendwie brachte sie ein schwaches Lächeln zustande, das ihn vermutlich nicht täuschen konnte.

»Weiß Scott Bescheid?«

»Ich … ich habe ihn sofort angerufen. Er hat mir gesagt, ich solle den Notruf wählen. Er ist auf dem Weg vom Büro hierher.«

»Gut.«

»Er braucht aber noch mindestens zehn Minuten.«

»Möchtest du lieber auf ihn warten oder soll ich jetzt mit dir ins Haus gehen?«

Es musste schlimm aussehen. »Würdest du mich begleiten?«, fragte sie flüsternd.

Er fasste sie am Ellenbogen, und gemeinsam gingen sie auf die Tür zur Küche zu. »Ich schätze, es sieht ganz schrecklich aus.« So viel hatte ihr die Reaktion des Deputys bereits verraten.

Als ob sie zu berühren ihn schmerzlich daran erinnerte, dass sie ihre Beziehung beendet hatten, ließ Troy die Hand sinken. Um zu verbergen, wie sehr sie das verletzte, öffnete Faith den schmalen Schrank neben der Waschküche und griff nach dem Besen.

»Ich schlage vor, wir sehen uns den Schaden erst mal an, bevor du versuchst, sauber zu machen.«

»Oh, ja, natürlich.«

Er ging voraus ins Wohnzimmer, sie folgte ihm und schnappte entsetzt nach Luft. Hier sah es so aus, als hätte ein Orkan gewütet und nichts als Verwüstung zurückgelassen. Die Möbel waren umgeworfen, gelbe Farbe über ihr Klavier und ihren Bücherschrank gesprüht worden.

Am schlimmsten aber war, was der Eindringling mit den Familienfotos angestellt hatte, die auf dem Kaminsims standen. Schockiert schlug Faith sich die Hände vor den Mund.

»Dahinter muss etwas Persönliches stecken«, murmelte Troy und griff nach dem Foto von Scott, seiner Frau und den Kindern. Jedes Gesicht war mit einem X in hellroter Farbe beschmiert. Auch das Foto von Faiths Tochter Jay Lynn war so besudelt worden. Am schlimmsten jedoch hatte es ein Foto von ihrem verstorbenen Mann Carl getroffen. Sein Bild war regelrecht vernichtet worden.

»Wer tut denn so was?«, rief Faith entsetzt.

»Hattest du in letzter Zeit Streit mit jemandem?«, fragte Troy.

Das war im Grunde dieselbe Frage, die Deputy Weaver ihr gestellt hatte, und die Antwort lautete genauso wie zuvor. »Nein …«

»Denk nach, Faith«, hakte Troy nach. »Wer immer das hier getan hat – und das kann mehr als einer gewesen sein –, versucht, dich zu verletzen.«

»Wenn das so ist, dann ist es ihm gelungen«, gab sie knapp zurück.

»Es tut mir so leid, dass das passiert ist«, meinte Troy sanft. Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er sie in die Arme nehmen.

Schwach und verletzlich, wie sie sich in diesem Augenblick fühlte, hätte Faith sich nur zu gern in seine Umarmung geflüchtet. Sie hätte den Trost, den er ihr bot, gern angenommen, das Gefühl genossen, dass sie bei ihm in Sicherheit war.

Zum Glück fiel ihm offenbar ein, dass sie kein Paar mehr waren und es nicht länger angemessen war, sie zu berühren. Er ließ die Arme sinken und trat einen Schritt zurück.

»Was ist mit dem Schlafzimmer?«, fragte Faith, um ihre wankende Entschlossenheit zu verbergen.

»Bist du sicher, dass du damit fertig wirst?«, fragte Troy.

Konnte sich jemand dessen sicher sein? »Ich … ich muss mich früher oder später ja doch damit auseinandersetzen.«

»Stimmt.« Wieder ging er voran.

Sie mussten über Schubladen steigen, die in den Flur gezerrt worden waren, über Stuhlpolster, Bücher und Lampen und so ziemlich jedes Kleidungsstück, das sie besaß. Es sah so aus, als wäre alles, was sich in ihrem Haus befand, in den Flur befördert worden.

Als sie ihr Schlafzimmer und das darin herrschende Chaos sah, konnte sie nicht länger an sich halten. Der Anblick war zu viel für sie. Schluchzend drehte sie sich um und rannte aus dem Zimmer.

Zorn durchflutete sie. Es war ihr ein Rätsel, wer das getan haben mochte. Doch wer immer es war, er wollte den Frieden und die innere Gelassenheit, die sie sich seit ihrem Umzug nach Cedar Cove so mühsam erarbeitet hatte, zerstören.

»Kannst du sagen, ob irgendetwas gestohlen wurde?«, fragte Troy. Vermutlich versuchte er nur, sie abzulenken.

Sie ging ins Wohnzimmer und atmete ein paarmal tief durch. »Nein … noch nicht.« Dass es sich um mehr als Vandalismus handeln konnte, brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht. Wer hier eingebrochen war, hatte vermutlich alle Wertsachen mitgenommen, die er finden konnte.

Aber warum ausgerechnet bei ihr? Sie besaß nur wenige teure Schmuckstücke, von denen sie einige trug. Die anderen – ihr Trauring und die Perlen, die ihrer Mutter gehört hatten – lagen in einem Schließfach der Bank.

»Und? Fehlt irgendwas Wichtiges?«, hakte Troy nach.

Sie schüttelte den Kopf.

»Zuallererst solltest du dir ein neues Schloss einbauen lassen«, fuhr er fort, während er die Haustür untersuchte. »Und zwar ein Sicherheitsschloss. Zieh auch eine Alarmanlage in Betracht.«

»Ich werde mich informieren.« Sein Vorschlag hielt sie davon ab, über das Geschehene nachzugrübeln, aber nicht sehr lange.

»Meine Familie«, flüsterte sie und starrte die Fotos von ihren Kindern und Enkeln an. »Ist sie sicher?«

Unbehaglich zuckte Troy die Achseln. »Ich schätze, dir will jemand Angst einjagen.«

»Aber warum?«

Mit finsterem Blick runzelte er die Stirn. »Das kann ich dir nicht beantworten. Ich wünschte, ich könnte es dir sagen, aber ich kann es nicht.«

»Ich will wissen, warum …«

»Ja, ich auch, und ich verspreche dir, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um den Schuldigen ausfindig zu machen.«

Das war ja schön und gut, aber Faiths größte Sorge galt ihrer Familie. »Warum ext jemand ihre Gesichter aus? Ich werde nachts nicht schlafen können, wenn womöglich meine Enkel in Gefahr sind … Und das nur meinetwegen«, sprudelte es aus ihr heraus. »Was könnte ich denn nur getan haben, um so etwas zu verdienen?«

Troy fasste sie bei den Schultern, und einzig sein Griff bewahrte sie davor, zusammenzubrechen.

»Faith, hör mir zu«, sagte er streng und in sehr offiziellem Tonfall. »Ich regle das und werde veranlassen, dass ein Streifenwagen regelmäßig bei dir und Scotts Haus Patrouille fährt. Ich will, dass du dir keine Sorgen machst, verstanden?«

Selbst einfach nur zu nicken fiel ihr schwer.

»Mom!«, hörte sie Scott von der Veranda rufen.

Als sie nicht sofort antwortete, übernahm Troy das für sie. »Wir sind im Haus«, rief er, ließ sie los, ging zur Haustür und öffnete sie.

Scott stürmte ins Haus und erstarrte bei dem Anblick, der sich ihm bot. Es verschlug ihm die Sprache, und seine weit aufgerissenen Augen verrieten, wie geschockt und entsetzt er war. Als er sich einigermaßen gefangen hatte, wandte er sich an Troy, damit der ihm sagte, was los war – genauso wie Faith nur wenige Augenblicke zuvor.

Faith streckte die Arme nach ihrem Sohn aus. Sie stand ihren beiden Kindern und ihren Enkeln sehr nahe, wollte ihnen aber auf keinen Fall zur Last fallen. Ihre Unabhängigkeit war ihr äußerst wichtig, und sie war entschlossen, sie sich zu bewahren. Nach Carls Tod hatte sie sich mit dem Leben als Witwe abgefunden und war allein in dem großen Haus in Seattle geblieben. Zwar war sie mittlerweile nach Cedar Cove zurückgekehrt, kümmerte sich aber immer noch selbst um alles, ohne ihre Kinder um Hilfe zu bitten.

Bis jetzt war sie gut zurechtkommen, aber dieses … dieses Ungeheuer, das in ihr Haus eingedrungen war, hatte nicht nur ihre Möbel umgeworfen. Es hatte ihre ganze Welt ins Wanken gebracht und ihr den Seelenfrieden geraubt.

»Deputy Weaver spricht mit den Nachbarn«, erklärte Troy. »Ich frage ihn, ob er etwas in Erfahrung bringen konnte.«

»Derjenige, der das getan hat, ist durch die Tür ins Haus rein?«, fragte Scott ungläubig und legte den Arm um Faiths Schultern. Sie war dankbar für seine Unterstützung.

»Sieht ganz so aus«, erwiderte Troy.

»Am helllichten Tag? War denn niemand in der Straße zu Hause?«

Faith blickte auf. »Die Vesseys verbringen den Winter in Arizona, und … und …« Sie geriet ins Stocken. »… alle anderen Nachbarn sind entweder bei der Arbeit oder in der Schule.«

»Kommst du zurecht?«, fragte Troy. Sein Blick verriet, wie schwer es ihm fiel zu gehen. Aber jetzt, da Scott da war, hatte er keinen Grund zu bleiben. Er hatte seine Pflicht getan. Nein, er hatte weit mehr als seine Pflicht getan.

Es kostete sie zwar ihre ganze Kraft – und ein schauspielerisches Talent, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie es besaß –, aber sie schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. »Ja, danke. Ich komme zurecht, Troy. Es … es hat mir sehr geholfen, dass du persönlich vorbeigekommen bist.«

Er tippte sich an die Hutkrempe, nickte Scott kurz zu, drehte sich um und verließ das Haus.

3. Kapitel

Olivia Griffin löffelte den Rest ihrer Suppe aus und stellte die leere Schale in die Spüle. Die hausgemachte Tomaten-Basilikum-Suppe war eins ihrer Lieblingsgerichte, und ihre Mutter sorgte jede Woche für einen großzügigen Vorrat. Jack würde sich freuen, dass sie ihr Mittagsgericht aufgegessen hatte. In der Vorwoche hatte sie ihre erste Chemotherapie erhalten, und es war besser gelaufen als erwartet.

Allerdings waren ihre Erwartungen auch nicht allzu optimistisch gewesen. Als sie vor ein paar Monaten die Diagnose Brustkrebs erhalten hatte, hatte sie befürchtet, dass ihr Leben praktisch vorbei wäre. Die Diagnose als Schock zu bezeichnen war noch untertrieben. Sie hatte sich immer vernünftig ernährt, regelmäßig Sport getrieben und alle empfohlenen Vitamine genommen.

Die wichtigste Lektion in Sachen Krebs hatte darin bestanden, dass diese Krankheit einfach nicht fair war. Aber auch das Leben im Allgemeinen war nicht unbedingt fair. In ihrem Alter hätte ihr das eigentlich längst klar sein müssen. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie das auch gewusst. Immerhin hatte sie eins ihrer Kinder verloren, als es gerade dreizehn Jahre alt gewesen war, und ihre erste Ehe war gescheitert … Dennoch hatte sie dummerweise geglaubt, die Kontrolle über ihren Körper und ihre Gesundheit zu haben, wenn sie nur das Richtige tat. Diese Kontrolle zu verlieren war schwer zu akzeptieren, aber ihr blieb nichts anderes übrig. Sie war eine Frau, die alles im Griff hatte – in ihrem Haus gab es keine Unordnung, Punkt. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass dieser Charakterzug nach Jordans Tod noch viel ausgeprägter geworden war.

Jetzt nahm sie sich eine Auszeit von ihrem Amt als Familienrichterin und wappnete sich emotional wie körperlich für die Behandlungen, die in den nächsten drei Monaten anstanden. Sie wusste, dass manche Leute auch während einer Chemotherapie ihrer Arbeit nachgingen, aber alle hatten sie dazu gedrängt, das nicht zu tun. »Gönn dir eine Pause«, hatte Jack gesagt, also hatte sie das getan.

Draußen wurde eine Autotür zugeschlagen und machte Olivia darauf aufmerksam, dass Besuch gekommen war. Ein Blick aus dem großen Küchenfenster verriet ihr, wer der Besucher war: ihre Mutter. Das war keine Überraschung.

Trotzdem runzelte Olivia leicht die Stirn, als sie sah, dass Charlotte allein war. Seit ihre Mutter vor etlichen Jahren Ben geheiratet hatte, waren die beiden praktisch immer zusammen. Am Weihnachtstag waren sie von einer Kreuzfahrt durch die Karibik zurückgekommen, und seitdem schaute ihre Mutter täglich vorbei.

Da sie wusste, dass Charlotte am liebsten neben dem Haus parkte und den Hintereingang benutzte, öffnete Olivia ihr die Tür, die von der Küche aus ins Freie führte.

Ihre Mutter lächelte, als sie das Haus betrat. »Ich hatte gehofft, dass ich dich erwische, bevor du deinen Mittagsschlaf hältst«, sagte sie, stellte einen Korb auf den Tisch, legte rasch Handtasche und Mantel ab und hängte sie an den Garderobenhaken neben der Tür. Charlotte ließ sich selten blicken, ohne irgendeine Leckerei mitzubringen, fast immer ein Produkt ihrer Kochkünste.

»Mom«, meinte Olivia scherzhaft. »Mittagsschlaf halte ich schon nicht mehr, seit ich vier Jahre alt war.«

»Ja, ich weiß, meine Liebe«, erwiderte Charlotte gut gelaunt, »aber du musst dich ausruhen, ganz besonders jetzt.«

»Ich habe heute Morgen gründlich ausgeschlafen.« Olivias Alltagsroutine hatte darin bestanden, um sechs Uhr aufzustehen und um halb neun im Gerichtsgebäude zu sein. Nicht jeden Abend den Wecker stellen zu müssen ist der reinste Luxus. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen, dachte sie.

»Ausgeschlafen bis wann?«, wollte Charlotte wissen, schlug das rot karierte Tuch zurück, das den Korbinhalt verdeckte, und holte eine Dose Cookies und einen Orangen-Napfkuchen hervor, der zufällig einer von Jacks Lieblingskuchen war.

»Bis beinahe acht.«

Ihre Mutter warf ihr einen Blick über die Schulter zu und tat so, als schnappte sie nach Luft. »Meine Güte, das ist ja so spät.«

Olivia lachte. »Na ja, für mich ist es das – und es war himmlisch.«

»Jack hat sich allein für die Arbeit fertig gemacht und dich nicht geweckt?«

Tatsächlich hatte ihr Mann sie geweckt, aber auf überaus romantische Weise. Er hatte ihr eine Tasse frisch gebrühten Kaffee gebracht. Dann hatte er sie geküsst – mehrmals –, bevor er das Haus verließ, um in die Redaktion zu fahren. Die Erinnerung an seine Küsse, die sie sanft geweckt hatten, erfüllte sie mit Wärme und Glück.

»Möchtest du einen Tee, Mom?«, fragte sie. Normalerweise trank sie morgens Kaffee und später nur Tee.

»Ja. Ich werde ihn zubereiten«, sagte Charlotte.

»Ich bin keine Invalidin«, protestierte Olivia, wohl wissend, dass es keinen Sinn hatte zu streiten. Ohne auf eine Antwort zu warten, zog sie einen Stuhl unter dem Tisch hervor, setzte sich und sah ihrer Mutter zu, die in der Küche herumwuselte.

Gern ließ sie es zu, dass Jack und ihre Mutter sie verwöhnten. Die beiden konnten so wenig für sie tun, und kleine Aufmerksamkeiten wie Kaffee im Bett oder selbst gebackene Leckereien halfen auch ihnen, sich besser zu fühlen.

»Wo ist Ben?«, fragte sie, als ihre Mutter Wasser aufsetzte und Teebeutel in die Kanne hängte.

»Zu Hause, in seinem Ruhesessel«, antwortete Charlotte. »Er ist nicht ganz auf dem Damm.«

»Hast du ihm deine Hühnernudelsuppe gekocht?« Diese Suppe war das todsichere Heilmittel ihrer Mutter gegen so ziemlich alles, woran die Menschen, die sie liebte, litten.

Charlotte nickte. »Sie köchelt im Crock-Pot vor sich hin.« Sie nahm zwei Teetassen samt Untertassen aus dem Schrank. »Ben ist erschöpft von der Kreuzfahrt, und außerdem … na ja, dieser ganze Kram mit David und dem Baby macht ihm ziemlich zu schaffen.«

An Heiligabend war eine junge schwangere Frau namens Mary Jo Wyse auf der Suche nach David Rhodes, Bens jüngstem Sohn, in Cedar Cove aufgetaucht. David war der Vater ihres Kindes und hatte der naiven jungen Frau einen Haufen Lügen aufgetischt. Abgesehen von den schwerwiegenderen Unwahrheiten – dass er sie liebe und das Baby wolle – hatte er sie in dem Glauben gelassen, er würde die Feiertage bei Charlotte und Ben verbringen. Dabei hatte er nur zu gut gewusst, dass sein Vater und seine Stiefmutter eine Kreuzfahrt machten. Offenbar war er davon ausgegangen, dass Mary Jo nicht nach ihm suchen würde.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie in die Stadt kommen, geschweige denn dass ihre Wehen einsetzen und sie hier in Cedar Cove ihre Tochter zur Welt bringen würde. Jener Abend war zu einer Nacht voller Wunder geworden, die Olivia und ihrer besten Freundin Grace Harding noch lange in Erinnerung bleiben würde.

»Hat Ben Kontakt mit David aufgenommen?«, fragte Olivia. Zuletzt hatte sie gehört, dass niemand David erreichen konnte, um ihm zu sagen, dass Mary Jo eine Tochter zur Welt gebracht hatte.

Charlotte nickte, als der Teekessel zu pfeifen begann. Sie nahm ihn vom Herd und füllte die Teekanne, stülpte einen Kannenwärmer darüber und trug sie zum Tisch. Als Nächstes deckte sie Tassen und Untertassen auf. Ihre Bewegungen sind allesamt ökonomisch und präzise, wie Olivia insgeheim feststellte. Das zeugte von den vielen Jahren, die sie in der Küche gearbeitet und anderen Gutes getan hatte.

»Ich fürchte, es war keine erbauliche Unterhaltung«, meinte Charlotte seufzend. »Ben ist schrecklich enttäuscht von seinem Sohn.«

Und das leider nicht zum ersten Mal …

»David hat sogar versucht zu leugnen, dass er Mary Jo kennt.«

Was für ein Arschloch! Es war typisch für ihn, dass er sich vor jeglicher Verantwortung zu drücken versuchte. Olivia hatte das erste Mal mit David zu tun bekommen, als er versucht hatte, Charlotte etliche Tausend Dollar abzuluchsen. Zum Glück hatte Olivias Tochter Justine ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Erneut stieß Charlotte einen tiefen Seufzer aus. »Ich fürchte, Ben und David haben sich gestritten. Ben hat hinterher nicht viel gesagt, und ich habe ihn nicht bedrängt, aber du kannst dir sicher vorstellen, wie ihm zumute ist.«

»Immerhin hat er diesem Schlamassel eine wunderschöne Enkelin zu verdanken«, erinnerte Olivia ihre Mutter.

»Oh ja, und er ist ganz hingerissen von Noelle. Ich weiß, dass er schon sein Testament geändert hat.«

»Habt ihr etwas von Mary Jo gehört?«

»Wir haben diese Woche ein paarmal mit ihr geredet. Sie klingt, als ginge es ihr gut, und das Baby gedeiht prächtig.«

»Das sind gute Nachrichten.«

»Und ihre Brüder sind verrückt nach der kleinen Noelle.«

Die Erinnerung an den Heiligen Abend entlockte Olivia ein Lächeln. Die drei Wyse-Brüder waren auf der Suche nach ihrer kleinen Schwester zur Ranch von Grace und Cliff hinausgefahren. Dabei hatten sie sich in der Gegend um den Puget Sound etliche Male verfahren und waren gerade noch rechtzeitig angekommen, um ihre neugeborene Nichte begrüßen zu können. Mary Jo war auf der Ranch in der Wohnung über Cliffs Scheune untergebracht gewesen, als bei ihr die Wehen einsetzten.

»Als wir gestern miteinander sprachen, sagte Mary Jo, Mack McAfee habe bei ihr vorbeigeschaut, um das Baby zu sehen«, erzählte Charlotte weiter.

»Er ist also nach Seattle gefahren?« Der junge Feuerwehrmann hatte Mary Jo während der Geburt beigestanden und das Baby auf die Welt geholt. Es war seine erste Geburt gewesen. Olivia konnte sich gut erinnern, wie aufgeregt er gewesen war. Er hatte so gestrahlt, dass man hätte meinen können, er wäre der Vater des Kindes.

»Ja, und Mary Jo erzählte, er habe Noelle noch ein Stofftier mitgebracht.« Charlotte nahm den Kannenwärmer ab und goss ihnen beiden dampfenden grünen Tee ein. Amüsiert den Kopf schüttelnd, schaute sie Olivia an. »Dank Mack und Mary Jos Brüdern hat das Baby jetzt schon genug Spielzeug für seine ganze Kindheit.«

»Das ist so schön«, sagte Olivia und griff nach ihrer Tasse.

»Hast du das von Faith Beckwith gehört?« Charlotte öffnete die Keksdose und bot Olivia ein Hafer-Rosinen-Cookie an.

»Dass sie wieder in die Stadt gezogen ist, meinst du?« Das war Olivia längst bekannt. Sie biss von ihrem Cookie ab, das wie immer perfekt gebacken war.

»Nein.« Olivia trank einen Schluck Tee. »Bei ihr wurde eingebrochen und das Haus verwüstet.«

»Nein!«, rief Olivia entsetzt. »Du meine Güte! Weiß Grace davon?«

Das Haus gehörte ihrer besten Freundin, die lange überlegt hatte, ob sie es verkaufen oder behalten sollte. Ihre ersten Mieter, ein junger Marinesoldat und seine Frau, Ian und Cecilia Randall, waren kaum eingezogen, da wurde Ian auf einen anderen Stützpunkt versetzt. Die nächsten Mieter hatten monatelang keine Miete gezahlt und schienen wild entschlossen, alle rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um so lange wie möglich mietfrei dort wohnen zu können. Offenbar hatten das Paar und seine Freunde, die bei ihnen wohnten, ganz genau gewusst, was sie taten und wie sie am besten damit durchkamen.

Das war eine schreckliche Erfahrung für die arme Grace gewesen. Zum Glück waren die Mieter dann doch noch aus eigenem Antrieb ausgezogen – nachdem Jack und Grace’ Mann Cliff ein bisschen nachgeholfen hatten, um die Mietnomaden dazu zu bewegen, das Haus zu räumen.

»Ach herrje«, murmelte Charlotte und stellte ihre Tasse ab. »Das hatte ich ganz vergessen. Grace hat mich gebeten, dir nichts davon zu erzählen.«

»Warum denn das nicht?«

»Sie wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«

Olivia hatte eigentlich nur einen Wunsch, nämlich dass ihre Angehörigen und Freunde endlich aufhörten, sie so zu behandeln, als würde sie bei der kleinsten Andeutung schlechter Nachrichten in Ohnmacht fallen.

»Mit Grace spreche ich später, aber jetzt erzähl mir erst mal von Faith.«

Ihre Mutter umfasste ihre Teetasse mit beiden Händen. »Oh, es geht ihr gut. Sowie ich von dem Einbruch erfahren habe, bin ich zu ihr, um ihr beim Aufräumen zu helfen. Grace und Cliff haben natürlich genauso gehandelt und Corrie und Peggy und noch ein paar andere. Das Haus war ein einziges Schlachtfeld.« Charlotte verzog das Gesicht. »Es sah schrecklich darin aus.«

»Wie kommt Faith damit zurecht?«

Ihre Mutter lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Du kennst Faith. Sie ist eine starke Frau, aber dieser Einbruch hat sie ziemlich durcheinandergebracht. Zum Glück war der Einbrecher schon fort, als sie nach Hause kam.«

Olivia konnte sich gut vorstellen, wie verstörend das Ganze für Faith gewesen sein musste. »Ist was gestohlen worden?«, fragte sie.

»Als ich da war, war sie noch nicht sicher, und wir waren alle so sehr damit beschäftigt, aufzuräumen und sauber zu machen, dass es kaum festzustellen war. Ich glaube nicht, dass sie es wissen wird, bevor sie eine Chance hatte, alles durchzugehen.«

»Wer ist noch alles gekommen, um zu helfen?« Das war etwas, was Olivia an Cedar Cove liebte. Hier waren Nachbarn mehr als nur Nachbarn – sie waren Freunde, die bereitwillig einsprangen, wenn sie gebraucht wurden.

»Nun, natürlich ihr Sohn und seine Frau.«

»Natürlich.«

»Megan Bloomquist war auch da.«

»Troys Tochter?«

»Ja. Faith und Megan haben sich angefreundet.«

Das war eine Überraschung. »Was ist mit dem Sheriff und Faith?«

Charlotte setzte ihre Teetasse ab und runzelte nachdenklich die Stirn. »Das ist leider eine heikle Angelegenheit. Wie ich höre, haben sie beschlossen, sich nicht mehr zu treffen.«

»Tatsächlich?« Es tat Olivia leid, das zu hören. Sie erinnerte sich, dass die beiden schon in der Highschool miteinander gegangen waren. In letzter Zeit kursierten Gerüchte, dass sie sich wieder nähergekommen seien. Eine wirklich schöne Vorstellung, wie Olivia fand. Es machte sie traurig, dass offenbar doch nicht alles so lief wie erhofft. Aber wie sie nur zu gut wusste, hatte nicht jede Liebesgeschichte ein Happy End.

Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen. »Jemand vom Schlüsseldienst kam, als ich da war«, meinte Charlotte dann. »Troy hatte ein Sicherheitsschloss vorgeschlagen, und Grace hat es sofort einbauen lassen.«

»Gut.«

»In jede Tür. Am Vorder- und Hintereingang und in die Garagentür.« Ihre Mutter grinste. »Lloyd meinte, damit wäre jeder weitere Einbruchsversuch zum Scheitern verurteilt.«

Lloyd Copeland gehörte der örtliche Schlüssel- und Sicherheitsdienst. Er verfügte über zwanzig Jahre Erfahrung. Wenn er sagte, das Haus sei sicher, dann war es das auch. Jetzt gab es nur noch einen Weg hinein – durch ein Fenster, aber Olivia erinnerte sich, dass Grace sich im Erdgeschoss für besonders starkes Glas entschieden hatte.

»Das freut mich«, sagte sie. »Faith braucht ihren Seelenfrieden.«

»Amen.« Charlotte trank ihren Tee aus und stand auf, um die Tasse in die Spüle zu stellen. »Kann ich noch irgendwas für dich tun, Olivia?«

»Ich brauche nichts, Mom. Danke für das Angebot.«

»War dein Bruder in letzter Zeit mal hier?«, fragte Charlotte auf dem Weg zur Tür.

»Will hat heute Morgen angerufen.«

Die Miene ihrer Mutter zeigte Olivia, dass sie alles andere als erfreut war. Charlotte erwartete, dass Will mindestens dreimal wöchentlich vorbeischaute, um seine Schwester zu bedauern und ihr die Hand zu halten.

»Mom«, protestierte sie. »Will hat viel zu tun. Er arbeitet daran, die Galerie zum Erfolg zu führen, und baut gleichzeitig seine Wohnung um.«

»Das ist keine Entschuldigung.«

Olivia machte sich nicht die Mühe zu widersprechen.

»Seit Weihnachten hast du ihn aber schon mal gesehen, oder?«

»Natürlich.« Tatsächlich war Will Weihnachten zu Besuch gekommen und hatte ein wenig deprimiert gewirkt. Vorher war er bei Shirley Bliss gewesen, die zu seiner Verwunderung nicht zu Hause war. Er hatte ein übergroßes Ego und ging davon aus, dass alle Welt sich nach seinem Terminkalender richtete. Dass Shirley, eine seiner Künstlerinnen und verwitwete Mutter zweier Teenager, irgendwo anders sein könnte als zu Hause, wo sie sehnsüchtig auf seinen Besuch wartete, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Olivia hoffte, dass ihr Bruder daraus gelernt hatte.

»Vergiss nicht, dass ich dir meinen Orangen-Napfkuchen mitgebracht habe.«

»Wie könnte ich das vergessen?!« Obwohl Jack ihn mit größerem Appetit essen würde als sie selbst. »Du willst, dass ich ein bisschen mehr Speck auf die Rippen kriege, richtig?«

Ihre Mutter leugnete das nicht. »Als Nächstes koche ich dir meine ganz besondere Lasagne.«

»Mom«, wehrte Olivia lachend ab. »Wenn das so weitergeht, passe ich nicht mehr in meine Klamotten.« Tatsächlich brauchte sie sich darüber absolut keine Sorgen zu machen. Jedes Kleidungsstück schlotterte an ihr, weil sie vor Weihnachten aufgrund einer schweren Infektion stark abgenommen hatte. Trotzdem wollte Olivia ihre Mutter wissen lassen, dass sie zwar alles, was sie für sie tat, zu schätzen wusste, aber bereits auf dem Weg der Besserung war.

»Lass mich dich noch ein bisschen verwöhnen«, bat ihre Mutter. »Bitte, Schatz!«

Lächelnd gab Olivia nach. »In Ordnung, Mom.«

Charlotte zog ihren Mantel an, griff nach ihrer Handtasche und dem leeren Korb. »Ich gehe jetzt Bess besuchen.« Das war eine ihrer vielen Freundinnen. »Du rufst an, wenn du was brauchst, ja? Versprichst du mir das?«

»Natürlich«, versicherte Olivia ihr.

Ihre Mutter fasste nach dem Türknauf. »Und lass ja nicht zu, dass Jack den ganzen Kuchen allein aufisst, hörst du?«

Wieder musste Olivia lachen. »Ich tue, was ich kann, Mom.«

Ein kurzes Winken, und schon war Charlotte zur Tür hinaus. Olivia hoffte inständig, dass sie, wenn sie achtzig wurde, ebenso viel Charme, Tatkraft und Optimismus besitzen würde wie ihre wundervolle Mutter.

4. Kapitel

Irgendwer hämmerte an Christie Levitts Haustür, als sie am Waschbecken im Bad stand und sich die Zähne putzte. Sie spülte sich den Mund aus, reinigte die Zahnbürste und stellte sie in den Zahnputzbecher. Dann spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht. Es war ihr ein Rätsel, wer so früh am Tag schon vor ihrer Tür stehen mochte.

»Immer mit der Ruhe«, rief sie und zuckte zusammen. Ihr Schädel dröhnte unangenehm. Heftige Kopfschmerzen kündigten sich an.

Wer auch immer der unangekündigte Besucher war, er war auf jeden Fall hartnäckig, denn er klopfte weiter an die Tür. Auf ihrem Weg durch den Flur ins Schlafzimmer überlegte sie kurz, welche Rechnungen sie bezahlt hatte, und war sich absolut sicher, sowohl die Strom- als auch die Wasserrechnung beglichen zu haben.

Strom und Wasser waren ihr schon einmal abgestellt worden, doch ihrer Meinung nach schickten beide Versorger niemanden vorbei, um fällige Rechnungsbeträge einzufordern. Bisher jedenfalls war noch niemand gekommen, jedenfalls nicht, soweit sie sich erinnern konnte.

Sie griff nach ihrem Morgenmantel, schlüpfte hinein und verknotete den Bindegürtel um ihre Taille. Dabei bemühte sie sich nach Kräften, das schmerzhafte Hämmern in ihrem Kopf zu ignorieren.

»Wer ist denn da?«, rief sie, während sie aufschloss. Ihr Kopf schmerzte und ihr brannten die Augen. Was sie jetzt dringend brauchte, war eine Tasse starken Kaffee. Je stärker, desto besser, und lieber früher als später. Da sie mit einem so trockenen Mund aufgewacht war, als wäre er mit Watte ausgestopft, hatte sie sich zuerst die Zähne geputzt. Der Kaffee sollte als Nächstes folgen.

Kaum hatte sie ihre Wohnungstür geöffnet, drängte sich ihre Schwester an ihr vorbei.

Gequält stöhnte Christie auf. Sie hatte versucht, Teri aus dem Weg zu gehen. Die hartnäckigen Telefonanrufe hatte sie ignoriert. Den Zettel, den Teri ihr unter der Tür hindurchgeschoben hatte, hatte sie zerrissen, ohne ihn zu lesen. Das war auch nicht nötig gewesen, denn sie wusste, was darauf stand. Sie hätte auch wissen müssen, dass Teri selbst den heftigsten Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstand.

»Was willst du?« Wieder zuckte sie zusammen, als der Kopfschmerz ihr stechend durch den Schädel fuhr.

Teri, im fünften Monat schwanger mit Drillingen, funkelte sie verärgert an. »Du siehst grauenvoll aus.«

»Danke.« Christie ging in die Küche und griff nach der Kaffeekanne. »Nimm nur kein Blatt vor den Mund.«

»Das habe ich noch nie und werde jetzt auch nicht damit anfangen.« Teri folgte ihr in die Küche, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, ohne auf eine Einladung zu warten. »Stell bitte Wasser für Tee auf«, sagte sie, ließ die Hände zu ihrem prallen Bauch wandern und legte die Füße auf den Stuhl gegenüber, als hätte sie vor, eine Weile zu bleiben.

Na großartig! Nicht genug damit, dass Christie rasende Kopfschmerzen hatte, jetzt hatte sie auch noch Teri am Hals. Als kleines Zeichen ihrer Auflehnung kümmerte sie sich erst um ihren Kaffee, bevor sie einen Becher mit Wasser füllte und in die Mikrowelle stellte. Wütend hieb sie auf den Timerknopf.

»Was willst du hier?«, fragte sie, obwohl sie es sich denken konnte. Der Besuch musste etwas mit James Wilbur zu tun haben, Teris und Bobbys ehemaligem Chauffeur. Allein schon an den Namen zu denken, erfüllte sie mit Schmerz.

Dieser Mistkerl.

Diese Ratte.

Christie war überzeugt gewesen, ihn zu lieben. Ihn wirklich und wahrhaftig zu lieben. Oh, sie hatte auch vorher schon geliebt, allerdings immer die falschen Männer, wie sich herausgestellt hatte. Sie war verheiratet gewesen, geschieden worden und hatte eine ganze Reihe von Männern gehabt, die alle behaupteten, ihre Gefühle zu erwidern … Und naiv, wie sie war, hatte sie ihnen geglaubt.

Bei James jedoch war es anders gewesen, und sie hatte gedacht, dass zwischen ihnen alles stimmte. Aber dann hatte er genau das getan, was vor ihm schon alle anderen Männer getan hatten. Er hatte sie fallen lassen. Nachdem er ihr eine kryptische Nachricht hinterlassen hatte, war er einfach abgehauen und hatte ihr das eh schon verwundete Herz gebrochen.

Okay, das würde ihr nicht noch einmal passieren. Nie wieder!

Christie war fertig mit den Männern.

Ein für alle Mal.

Diesmal meinte sie es ernst. Jemandem sein Herz zu schenken war immer mit Schmerz und Kummer verbunden.

»Dein Wagen steht vorm Pink Poodle«, erklärte Teri und beobachtete sie dabei, wie sie in der Küche umherlief.

»Und?«, gab Christie schnippisch zurück. Schließlich ging es ihre Schwester nichts an, wo sie ihren Wagen stehen ließ. Die Mikrowelle gab einen Piepton von sich, aber sie ignorierte es.

»Und«, erwiderte Teri sarkastisch, »du trinkst wieder.«

»Na und? Da hängen meine Freunde ab.« Es war keine große Sache, wenn sie nach der Arbeit ein paar Bier mit den Jungs trinken wollte. Ein paar Stunden im Pink Poodle