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Wer Nora Roberts mag, wird Debbie Macomber lieben!
Jo Marie Rose hat nach einem schweren Schicksalsschlag in dem beschaulichen Küstenstädtchen Cedar Cove einen Neuanfang gewagt. Mit ihrem Bed & Breakfast, dem Rose Harbor Inn, steht sie nun vor einer neuen Herausforderung: Als Erinnerung an ihren verstorbenen Mann will sie einen weitläufigen, üppigen Rosengarten anlegen. Hilfe erhält sie dabei von Mark, einem begabten Handwerker, in dessen Gesellschaft sie sich fast schon gefährlich wohl fühlt. Doch auch ihre neuen Gäste halten Jo Marie in Atem, denn Mary und Annie tragen beide ein Geheimnis mit sich herum, dessen Grundsteine in Cedar Cove liegen …
Die Rose-Harbor-Reihe:
Band 1: Winterglück
Band 2: Frühlingsnächte
Band 3: Sommersterne
Band 4: Wolkenküsse (Short Story)
Band 5: Herbstleuchten
Band 6: Rosenstunden
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Seitenzahl: 474
DEBBIE
MACOMBER
Frühlingsnächte
Roman
Aus dem Amerikanischen von Nina Bader
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Die Originalausgabe erschien 2013
unter dem Titel »Rose Harbor in Bloom« bei Ballantine Books,
an imprint of The Random House Publishing Group,
a division of Random House, Inc., New York.
1. Auflage
Deutsche Erstausgabe März 2016 bei Blanvalet Verlag,
einem Unternehmen der
Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © 2013 by Debbie Macomber
This translation published by arrangement with Ballantine Books,
an imprint of The Random House Publishing Group,
a division of Random House, Inc.
Copyright © 2015 für die deutsche Ausgabe by
Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
Umschlagmotiv: plainpicture/Carl Johan Ronn
Redaktion: Ulrike Nikel
LH · Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-12651-3V001
www.blanvalet.de
Liebe Freunde,
willkommen beim zweiten Teil der Rose-Harbor-Inn-Serie. Jo Marie kann es kaum erwarten, euch bezüglich der Ereignisse in ihrem Bed&Breakfast auf den neuesten Stand zu bringen. Diesmal ist sie vollständig ausgebucht, und es wird euch Spaß machen, Kent und Julie Shivers kennenzulernen, die ihre Goldhochzeit feiern – und das, obwohl sie anscheinend überhaupt nicht miteinander auskommen. Ihre Enkelin richtet das Fest für sie aus und muss sich mit einem jungen Mann arrangieren, den sie früher für das reinste Ekelpaket hielt und der sie jetzt ständig mit seinen Blicken verfolgt. Oder Mary Smith …
Aber ich greife vor. Das passiert Romanschriftstellern öfter mal. Wir verlieben uns in unsere Geschichten und Charaktere und müssen dann aufpassen, dass wir nicht vorschnell alles verraten.
Mein Wunsch ist, dass ihr euch in der Pension wie zu Hause fühlt. Jo Marie backt Plätzchen für eine Veranstaltung, vor der ihr eigentlich graut … Halt, ich verrate schon wieder zu viel. Und dann ist da natürlich noch Mark, der … Okay, das war’s. Ich sage kein einziges Wort mehr.
Lehnt euch also zurück, und beginnt entspannt zu lesen. Jeder in Cedar Cove brennt darauf, euch zu erzählen, was in der letzten Zeit passiert ist. Was wie immer ziemlich viel zu sein scheint.
Wie alle Schriftsteller würde ich zu gerne eure Meinung erfahren und mich über ein Feedback freuen. Ihr erreicht mich entweder auf meiner Website: DebbieMacomber.com, über Facebook, oder ihr schreibt mir: P. O.Box 1458, Port Orchard, WA 98366. Ich hoffe sehr, von euch zu hören.
Herzlichst
Debbie Macomber
August 2013
Für Peter und Maureen Kleinknecht,
unsere Florida-Freunde.
Auf Wein, Golf, Geschichten und Freundschaft.
1
Rose Harbor stand in voller Blüte. Ringsum leuchteten rote und violette Farbkleckse von Rhododendren und Azaleen. Ich stand auf der Veranda, lehnte mich gegen den dicken weißen Pfosten und blickte über das Grundstück hinweg, auf dem mein Bed&Breakfast stand.
Rose Harbor Inn prangte in kunstvoller Schrift auf dem gut sichtbar im vorderen Teil des Gartens aufgestellten Holzschild, darunter mein Name Jo Marie Rose.
Dabei lag es eigentlich nie in meiner Absicht, ein Bed&Breakfast zu kaufen oder gar selbst zu betreiben. Allerdings hatte ich auch nicht damit gerechnet, mit achtunddreißig und nach nur neun Monaten Ehe meinen Mann zu verlieren und alleine klarkommen zu müssen. So geht es eben zu auf der Straße des Lebens. Sie macht oft unerwartete Biegungen und bringt uns von dem Weg ab, der uns zuvor als der einzig mögliche erschien.
Meine Freunde rieten mir von dem Kauf ab. Der Schritt sei zu drastisch, meinten sie. Weil er nicht nur den Umzug in eine Kleinstadt und die Kündigung meines Jobs bedeutete, sondern die Veränderung meines gesamten Lebens. Ich solle mindestens ein Jahr warten mit einer so weitreichenden Entscheidung. Doch sie lagen falsch, denn ich fand hier Frieden und zu meiner Überraschung sogar eine gewisse Zufriedenheit.
Bis zu meiner Übersiedlung nach Cedar Cove hatte ich in einer Eigentumswohnung im Herzen der Innenstadt von Seattle gelebt und einen verantwortungsvollen Posten bei einer Bank gehabt, sodass ein Haustier für mich nicht infrage gekommen war. Hier stellte sich die Situation anders dar, und so holte ich mir Rover ins Haus. Er wurde im Laufe der letzten Monate zu meinem Schatten, meinem ständigen Begleiter, und ich möchte ihn nicht mehr missen.
Rover war ein Fundtier. Grace Harding, die Bibliothekarin des Ortes und nebenher ehrenamtliche Mitarbeiterin des Tierheims, brachte mich auf die Idee, mir einen vierbeinigen Hausgenossen zuzulegen. Obwohl ich ursprünglich an einen Schäferhund gedacht hatte, kam ich mit einem undefinierbaren kurzhaarigen Mischling nach Hause. Im Tierheim war er Rover getauft worden, weil der Name »Vagabund« bedeutet und es ganz so aussah, als sei der Hund allein auf sich gestellt gewesen und ziemlich lange durch die Gegend gestreunt.
Plötzlich hörte ich ein unwilliges Gemurmel. Es kam von Mark Taylor, der bereits das Rose-Harbor-Inn-Schild gestaltet und angefertigt hatte und gerade den Rasen umgrub, weil ich mir dort einen Rosengarten mit einem Pavillon wünschte.
Mark, ein interessanter Mensch und genialer Allroundhandwerker, arbeitete ziemlich regelmäßig für mich, denn irgendwas fiel immer an. Wie er persönlich zu mir stand, wusste ich hingegen nicht so recht. Meistens verhielt er sich freundschaftlich und kumpelhaft, konnte sich aber auch schlagartig in einen mürrischen, unausstehlichen, streitsüchtigen Zeitgenossen verwandeln. Die Liste seiner weniger sympathischen Eigenschaften war lang.
»Was ist los?«, rief ich.
»Nichts«, gab er ungehalten zurück.
Offenbar steckte er wieder in einer schlechten Phase.
Bereits kurz nach meinem Einzug hatten wir über die Gestaltung des Grundstücks gesprochen, wozu auch das Anlegen eines Rosengartens samt Pavillon gehörte. Ein Projekt, das mir sehr am Herzen lag, für ihn offenbar jedoch nur untergeordnete Priorität besaß. Er beschäftigte sich lediglich damit, wenn er gerade in der Stimmung oder nichts anderes zu tun war. Beides kam leider nicht allzu oft vor. Außerdem hatte der strenge Winter Arbeiten im Freien nahezu unmöglich gemacht.
Alles zusammen führte dazu, dass meine Erwartungen nicht erfüllt wurden. Die Rosenbüsche hätten jetzt gepflanzt werden müssen, aber nichts war vorbereitet – nicht einmal zum Umgraben war Mark bis heute gekommen. Dabei war es meine Hoffnung gewesen, den Garten am Tag der offenen Tür, zu dem unter anderem die für mich wichtigen Mitglieder der Handelskammer von Cedar Cove erscheinen würden, fertig und in voller Pracht präsentieren zu können.
Das Problem oder zumindest eines davon bestand in Marks Perfektionismus, der Zeit kostete. So hatte er allein eine Woche benötigt, um den Garten zu vermessen. Schnüre und Kreidemarkierungen verliefen damals kreuz und quer von einem Ende des Rasens zum anderen, der zuvor gemäht werden musste, damit die Exaktheit der Markierungen auch ja nicht durch die unterschiedliche Grashöhe beeinträchtigt wurde.
Zähneknirschend nahm ich seine Marotten immer wieder hin, denn ich war froh, ihn zu haben. Es gab einfach nichts, was er nicht beherrschte, und ich brauchte ihn ständig für irgendwelche Arbeiten, die mit schöner Regelmäßigkeit in einem betagten Haus wie meinem anfielen. Selbst wenn es sich bloß um Kleinigkeiten handelte.
Neu in diesem Geschäft und handwerklich nicht sonderlich begabt, wäre ich ohne jemanden wie ihn, der prompt und zuverlässig plötzlich anfallende Reparaturen erledigte, aufgeschmissen. Da musste ich mich wohl oder übel damit abfinden, wenn es mal nicht nach meinen Vorstellungen lief. Wie eben die Sache mit dem Rosengarten.
Ich beobachtete ihn, sah, wie er sich aufrichtete und sich mit dem Unterarm über die Stirn wischte. Als habe er meine Anwesenheit auf der Veranda erst jetzt bemerkt, warf er mir einen missmutigen Blick zu.
»Gedenkst du dich schon wieder zu beschweren?«, rief er mir schroff zu.
»Ich habe keinen Ton gesagt.«
Angesichts seiner miesen Laune zwang ich mich, den Mund zu halten. Nicht dass mir etwas entschlüpfte, das ihn noch mehr verärgerte. Ihm genügte nämlich bisweilen ein einziges falsches Wort als Vorwand, um die Arbeit für diesen Tag zu beenden.
»Du brauchst gar nichts zu sagen«, gab er mürrisch zurück. »Ich kann auch Stirnrunzeln deuten.«
Selbst Rover, der sensibel auf unfreundliche Stimmen reagiert, hob jetzt den Kopf. Schaute mich auffordernd an, als erwarte er von mir, Mark Kontra zu geben. Was ich am liebsten getan hätte, doch widerwillig bezwang ich mich, lächelte stattdessen zuckersüß und verkniff mir die süffisante Retourkutsche, die mir auf der Zunge lag.
Gott sei Dank rechnete Mark pro Auftrag und nicht pro Stunde ab, dachte ich im Stillen.
»Sag einfach, was du auf dem Herzen hast.«
»Nun, eigentlich sollte der Rosengarten vor dem Tag der offenen Tür angelegt werden, oder nicht?« Ich tat mein Bestes, um mir meinen Frust nicht anmerken zu lassen.
»Dann hättest du mich vielleicht etwas früher daran erinnern sollen«, knurrte er.
»Das habe ich. Mehrmals.«
»Muss mir wohl entfallen sein.«
»Schon gut, reg dich nicht auf«, lenkte ich ein.
Zu diesem Zeitpunkt lohnte es sich ohnehin nicht mehr, darüber zu streiten. Die Einladungen fürs Wochenende waren verschickt, die Gäste würden erscheinen, ob der Rosengarten nun fertig war oder nicht. Er würde es nicht sein, denn alles andere käme einem Wunder gleich, und es lohnte nicht, deswegen einen Zank vom Zaun zu brechen.
Ehrlich gesagt, war ich im Grunde nicht ganz unschuldig an der Verzögerung. Ich lud Mark oft zum Kaffee ein, bevor er überhaupt mit der Arbeit begann. Trotz seiner häufigen Anfälle von Reizbarkeit mochte ich ihn, und er war inzwischen sogar ein enger Freund geworden. Der engste vermutlich, den ich in Cedar Cove hatte. Außerdem fand ich ihn ausgesprochen interessant und wollte so viel wie möglich über ihn in Erfahrung bringen. Leider war er nicht sehr redselig. Dabei besaß er einen trockenen Humor, war gewitzt und schlagfertig und verfügte über einen immens großen Wortschatz. Mit ein Grund, warum man bei einer Partie Scrabble mehr über ihn herausfand als bei einem Gespräch.
Sogar jetzt noch, nachdem wir uns fünf Monate kannten, wich er direkten Fragen aus und sprach nie über persönliche Dinge. Ob er je verheiratet war oder ob es irgendwo Familienangehörige gab, das wusste ich nicht. Nur dass er allein lebte, Telefonieren hasste und Süßigkeiten liebte. Das eine war nicht zu übersehen, das andere hatte ich im Laufe unserer Bekanntschaft ebenso herausgefunden wie seinen Perfektionismus.
Mehr vermochte ich nicht über einen Mann zu sagen, den ich im Schnitt fünfmal in der Woche sah. Außer vielleicht, dass er mich gern besuchte. Aber nicht etwa, weil er meinem Charme erlegen wäre – da gab ich mich keinen Illusionen hin – , eher schon meinen Plätzchen wegen, an denen er sich ausgiebig gütlich tat. So nett ich diese Kaffeepausen auch fand – für Marks Arbeitstempo waren sie Gift, und ich sollte sie zumindest bei eiligen Projekten nach Möglichkeit unterbinden.
Vor sich hinbrummend, fuhr Mark gemächlich fort, Rasenstücke auszustechen und aufzustapeln, um Platz für die Rosenbeete zu schaffen. Dabei ging er so sorgfältig vor, als würde er exakt abgemessene Portionen einer Hochzeitstorte servieren. Jedes Quadrat hatte genau dieselbe Größe. Vermutlich bis auf den Zentimeter.
Ich musste an mich halten, um nicht aus der Haut zu fahren, denn im Moment ging mir seine pingelige Art schwer auf die Nerven. Trotzdem blieb ich noch eine Weile auf meinem Beobachtungsposten und genoss die laue Luft und den Sonnenschein. Lust, nach drinnen zu gehen, verspürte ich außerdem deshalb nicht, weil Fensterputzen anstand. Eine Arbeit, die mir verhasst war wie kaum etwas anderes. Doch es musste getan werden, und da brachte ich es lieber rasch hinter mich.
Ich beschloss angesichts des schönen Wetters, mit den Außenseiten anzufangen, holte von drinnen einen Eimer mit heißem Seifenwasser, Schwämme und Tücher und stellte eine Leiter an die Hauswand auf der Veranda. Wenn Paul noch am Leben wäre, würde er statt meiner auf die Leiter steigen, dachte ich unwillkürlich. Dann schüttelte ich den Kopf und erinnerte mich daran, dass ich mit meinem Mann gar nicht nach Cedar Cove gezogen wäre.
Manchmal fragte ich mich, ob Paul die Frau, zu der ich im Laufe des letzten Jahres geworden war, überhaupt wiedererkennen würde. Schließlich kannte ich mich mitunter selbst nicht mehr. Wie sollte ich auch, nachdem meine gesamte Welt aus den Fugen geraten war.
Mein dichtes, dunkles Haar trug ich jetzt viel länger, fast bis auf die Schultern, und band es meist einfach zusammen, während meine Frisur früher immer sorgfältig geschnitten und gestylt war.
Ich sähe mit meinem Pferdeschwanz aus wie ein Teenager, lautete Marks Kommentar, der sich eigentlich eher selten zu solchen Dingen äußerte. Ich wertete das als Kompliment, wenngleich das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von ihm beabsichtigt war. Überhaupt bezweifelte ich, dass er viel Zeit in der Gesellschaft von Frauen zu verbringen pflegte, denn manchmal ließ er, ohne es böse zu meinen, ziemlich rüde Bemerkungen vom Stapel.
Meine äußere Erscheinung hatte sich nicht nur hinsichtlich der Frisur grundlegend verändert. Verschwunden waren die schicken Kostüme, die Bleistiftröcke und die maßgeschneiderten Blazer, die zu meinem Businessoutfit in der Bank gehörten. Jetzt trug ich meist Jeans und einen Pullover und darüber eine Latzschürze. Zu meiner eigenen Überraschung hatte ich nämlich entdeckt, wie viel Freude ich am Kochen und Backen fand.
Morgens stand ich gerne in der Küche und rührte dieses oder jenes zusammen. Früher war derlei undenkbar für mich gewesen, schon allein aus zeitlichen Gründen. Jetzt hingegen verschlang ich Kochbücher genauso begeistert wie einen New-York-Times-Bestseller.
Meine Gäste dankten mir meine kulinarischen Experimente, vor allem meine Kreativität beim Backen. Sie schätzten die nachmittäglichen Leckerbissen, köstliche Kekse und immer neue Muffinvarianten, ebenso wie das frisch gebackene Brot, das ich mit sichtbarem Stolz zum Frühstück auftischte. Ich selbst hatte dank all dieser Backorgien ein paar Pfund zugenommen und arbeitete gerade daran, sie wieder zu verlieren. Zum Glück passten meine Lieblingsjeans noch.
Ich zwang meine Aufmerksamkeit zurück zu den schmutzigen Fenstern, tauchte den Schwamm in das Seifenwasser und stieg die ersten drei Sprossen der Leiter hoch, um Staub und Schmiere mehrerer Monate von den Scheiben zu waschen. Der beißende Geruch des Essigs, den mir meine Mutter zum Fensterputzen empfohlen hatte, nahm mir fast den Atem. Vermutlich weil ich zu viel reingekippt hatte, immerhin eine halbe Flasche. Jetzt roch der Wassereimer wie ein Gewürzgurkenfass.
»Was machst du da?«, rief Mark mir quer durch den Garten zu.
»Wonach sieht es denn aus?«
Er stieß den Spaten ins Gras und marschierte über den Rasen auf mich zu wie ein in die Schlacht ziehender Soldat, die Stirn missmutig in Falten gelegt.
»Komm da runter.«
»Wie bitte?«
Ich verharrte wie erstarrt auf meiner Leiter. Sollte das ein Scherz sein?
»Du hast mich genau verstanden.«
Ungläubig sah ich ihn an. Kam ja wohl kaum infrage, mir von Mark vorschreiben zu lassen, was ich auf meinem eigenen Grund und Boden anstellen durfte.
»Leitern sind gefährlich«, warnte er und stemmte die Fäuste in die Hüften.
Ich ignorierte seine Worte, kletterte noch eine Sprosse höher und begann das Fenster zu putzen.
»Weißt du nicht, dass bei sechzig Prozent aller Unfälle im Haushalt jemand von einer Leiter fällt?«
»Das habe ich bislang nie gehört. Und im Übrigen werden sechzig Prozent aller Statistiken aus dem Ärmel geschüttelt.«
Wenn ich gehofft hatte, meine Antwort würde ihm ein Lächeln entlocken, so irrte ich mich. Stattdessen verfinsterte sich seine Miene zusehends.
»Du solltest nicht auf dieser Leiter herumklettern. Um Himmels willen, Jo Marie, sei doch vernünftig.«
»Ich? Wer bitte ist hier unvernünftig?«
»Es ist gefährlich, was du da treibst.«
»Meinst du, ich brauche ein Sicherheitsnetz?«
Er tat so, als würde ich auf einem Fenstersims im neunundfünfzigsten Stock eines sechzigstöckigen Gebäudes balancieren und nicht auf einer Trittleiter.
Mark gab keine Antwort, sondern presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Ich will mich mit dir nicht darüber streiten.«
»Gut, dann lass es. Ich putze die Fenster, und du kannst dich weiter mit meinem Rosengarten befassen.«
»Nein«, beharrte er.
»Nein?«
»Ich bleibe hier stehen, bis du mit diesem Unsinn aufhörst und runterkommst.«
Ich seufzte. Mark behandelte mich wie ein Kind und nicht wie eine erwachsene Frau, die durchaus imstande war, auf sich selbst aufzupassen.
»Vermutlich muss ich auch noch dankbar sein, dass du dich um mich sorgst.«
»Mach dich nicht lächerlich«, gab er zurück. »Von mir aus kannst du dir ruhig den Hals brechen, nur möchte ich nicht dabei sein und zusehen.«
»Wie nett von dir«, murmelte ich sarkastisch.
Heute reizte Mark mich wirklich bis aufs Blut, und es fiel mir schwer, meine Verärgerung zu unterdrücken. Das Beste war, ihn einfach zu ignorieren und weiter Fenster zu putzen. Als ich mit den oberen beiden fertig war und mich anschickte, die Sprossen hinunterzusteigen, stand Mark jedoch bereits unten und hielt die Leiter fest.
»Bist du immer noch da?«, fragte ich, obwohl die Antwort auf der Hand lag.
Als er nicht antwortete, wurde ich gemein. »Ich bezahle dich nicht dafür, dass du hier herumstehst und mir bei der Arbeit zusiehst«, giftete ich ihn an.
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Schön. Ich kündige.«
»Nein, das tust du nicht.«
In Sekundenschnelle verließ er die Veranda und stapfte durch den Garten, drückte mit jedem seiner Schritte Verärgerung aus. Ich sprang die letzten beiden Sprossen hinunter und folgte ihm, um ihn zurückzuhalten und zur Rede zu stellen. Ich war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren, so sehr regte mich sein Machogehabe auf. So zumindest empfand ich in diesem Augenblick sein Verhalten.
»Du kannst nicht kündigen«, rief ich. »Und mir meinen Garten halb umgegraben hinterlassen, das geht erst recht nicht.«
Mark tat, als habe er nichts gehört. Sammelte Spaten, Forke und andere Geräte ein, die im Gras herumlagen.
»Wir haben einen Vertrag«, erinnerte ich ihn.
»Dann verklag mich doch.«
»Mit Vergnügen, das werde ich tun. Gleich morgen früh setzt sich mein Anwalt mit dir in Verbindung.«
Zwar hatte ich gar keinen, hoffte aber, dass Mark das nicht wusste und dass die bloße Drohung reichte, ihn zur Besinnung zu bringen. Ich hätte es besser wissen müssen: Er zuckte mit keiner Wimper.
Wie konnte er sich nach all den Monaten der Zusammenarbeit so anstellen? Wegen einer absoluten Nichtigkeit einfach alles hinschmeißen. Es war total albern. Als sei er selbst zu dieser Erkenntnis gelangt, drehte er sich plötzlich um. Erleichtert, dass er zur Vernunft gekommen zu sein schien, trat ich auf ihn zu.
»Gib deinem Anwalt meine Handynummer«, sagte er.
Mich traf der Schlag, und meine Stimmung sank endgültig auf den Nullpunkt.
»Grandiose Idee. Du vergisst die Hälfte der Zeit, es mitzunehmen, und wenn du es dabeihast, ist der Akku fast leer.«
»Wie dem auch sei. Dann gib ihm eben auch die Nummer meines Geschäftsanschlusses – falls du so wild darauf bist, mich zu verklagen.«
»Das werde ich tun.«
Mein Rücken versteifte sich, als ich Mark hinterherschaute, der gerade das Grundstück verließ. Rover neben mir legte den Kopf zur Seite, als fiele es ihm ebenfalls schwer zu verstehen, was sich soeben abgespielt hatte und weshalb.
»Du brauchst keine Angst zu haben, er ist es nicht wert«, sagte ich, kauerte mich neben ihn und tätschelte seinen Kopf. »Alles dauert ohnehin zehnmal so lange wie vereinbart.« Daraufhin hob ich in der Hoffnung, Mark würde mich hören, die Stimme und fügte hinzu: »Gott sei Dank, dass wir ihn los sind.«
Ich richtete mich wieder auf und wartete, bis Mark außer Sicht war. Dann erst gestattete ich mir, resigniert die Schultern hängen zu lassen, denn trotz meiner forschen Worte war mir elend zumute.
Es war verrückt. Kaum eine Stunde zuvor hatten wir auf der Veranda Kaffee getrunken, und jetzt drohte ich Mark mit einer Klage. Als ich zu meinen Fenstern zurückkehrte, war ich völlig aufgewühlt und legte meinen ganzen Frust ins Putzen. Mit dem Resultat, dass ich in Rekordzeit fertig war. Gleichzeitig taten mir meine Oberarme ganz schön weh. Eine Sekunde lang war ich versucht, Mark anzurufen und ihm mit heimlicher Genugtuung mitzuteilen, dass ich meine vorgeblich lebensgefährliche Tätigkeit heil überstanden hatte. Ich ließ es bleiben.
Zuerst würde er sich bei mir entschuldigen müssen, beschloss ich. Hätte er mich nämlich nicht wie ein Kind behandelt, wäre das alles nicht passiert. Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, wie stur er war und dass ich lange auf eine Entschuldigung warten durfte. Bis in alle Ewigkeit. Wenn er ankündigte, alles hinzuschmeißen, dann meinte er es auch so.
Mein Zorn hielt bis zum Abend an. Ich wollte es mir nicht eingestehen, doch ich vermisste Mark bereits. Und zwar gewaltig. Inzwischen war ich irgendwie daran gewöhnt, dass er ständig vorbeischaute und sei es bloß wegen einer Tasse Kaffee und der Plätzchen. Im Grunde kamen wir gut miteinander zurecht. Als Freunde, mehr war da nicht. Aber gerade das wusste ich zu schätzen: dass wir einfach nur Freunde sein konnten.
Um mich abzulenken, ging ich in mein kleines Büro, das praktischerweise direkt hinter der Küche lag, und schaute mir die Reservierungen an.
Zum Wochenende würden Gäste eintreffen. Der erste Name, den ich auf der Liste sah, war jener der mysteriösen Mary Smith. Sie hatte kurz nach der Übernahme der Pension angerufen, um ein Zimmer zu reservieren, und war mir wegen ihrer zögerlichen Stimme im Gedächtnis geblieben. Ich gewann damals den Eindruck, als sei Mary Smith nicht sicher, ob sie das Richtige tat und wirklich anreisen würde. Irgendwie rechnete ich damit, dass sie in letzter Minute absagte.
Die restlichen Zimmer waren bis auf eines im Erdgeschoss für eine Gruppe reserviert. Der Anruf war von einem Kent Shivers gekommen, der mit seiner Frau Julie demnächst die goldene Hochzeit feierte. Offenbar hatte die Familie sie zu einem großen Fest überredet, obwohl Kent über den ganzen Rummel alles andere als begeistert zu sein schien.
Ich ging in die Küche und überlegte, was ich essen könnte. Da ich keinen großen Appetit verspürte, begnügte ich mich mit Chips und Salsa, die ich schnell in mich hineinstopfte, um anschließend Erdnussbutterplätzchen zu backen, meine Lieblingskekse. Erst als sie auf der Arbeitsfläche abkühlten, fiel mir ein, dass es auch Marks Lieblingsgebäck war.
Der elende Streit wollte mir einfach nicht aus dem Kopf.
Unruhig tigerte ich in der Küche auf und ab und beneidete Rover, der mit sich und der Welt zufrieden auf dem Läufer vor dem Kühlschrank lag, seinem bevorzugten Schlafplatz.
Nach einer Weile beschloss ich, oben in meinem Wohnschlafzimmer ein wenig zu stricken, was normalerweise Wunder wirkte. Heute nicht, denn ich machte einen Fehler nach dem anderen. Entnervt gab ich auf und stopfte mein Strickzeug in den Korb zurück. Im Fernsehen gab es nichts Interessantes, und das Buch, das mich am Abend zuvor noch gefesselt hatte, langweilte mich.
Keine Frage, woher diese innere Unruhe rührte. Im Nachhinein wünschte ich, einen kühlen Kopf bewahrt zu haben, statt dermaßen aus der Haut zu fahren. Und das wegen solcher Peanuts. Trotzdem versuchte ich mein Verhalten zu rechtfertigen und Mark eine gehörige Portion Schuld zuzuschieben.
Was hätte ich denn tun können? Mark war schließlich derjenige, der den Streit vom Zaun gebrochen und die Sache auf die Spitze getrieben hatte, oder etwa nicht? Wie konnte man bloß wegen etwas so Läppischem wie Fensterputzen auf einer Trittleiter dermaßen überreagieren? Und sich so irrational verhalten? War ich da nicht im Recht gewesen, mir diese Anmaßung zu verbitten?
Dennoch stimmte es mich traurig, dass es so weit gekommen war.
»Denk nur an all das Geld für Mehl und Zucker, das du künftig sparen wirst«, sagte ich laut zu mir selbst, aber selbst in meinen Ohren klang der Scherz lahm.
Okay, zugegeben. Ich würde Mark vermissen.
2
In dieser Nacht schlief ich nicht gut, was nach dem Zerwürfnis mit Mark nicht weiter verwunderlich war. Doch obwohl ich mich schlecht fühlte und meine heftigen Reaktionen bedauerte, beharrte ich weiterhin darauf, im Prinzip recht zu haben. Insofern nämlich, dass es niemandem zustand, mir in meinem eigenen Haus Vorschriften zu machen.
Wenn Mark vertragsbrüchig wurde, dann sollte er eben. Ich würde es nicht verhindern können, nachdem die Drohung, ihn zu verklagen, wirkungslos von ihm abgeprallt war. Aus meiner Sicht blieb mir nichts anderes übrig, als die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen und darauf zu hoffen, dass der Sturm sich bald legte.
Da ich kein Gästefrühstück zubereiten musste, konnte ich bis gegen Mittag, wenn Mary Smith auftauchte, frei über meine Zeit verfügen und es nach Herzenslust genießen, dass niemand mit irgendwelchen Wünschen an mich herantrat. Ich ging in die Küche, machte mir einen Kaffee und nahm ihn mit auf die vordere Veranda, schaute Rover zu, der eifrig sein Geschäft verrichtete und den Rasen bewässerte. Sobald er fertig war, sprang er die Verandastufen mit einer Eile hoch, als würde ihn jemand verfolgen.
Nach dem gestrigen Sonnentag zeigte sich der Himmel heute grau und wolkenverhangen. Es sah nach Regen aus, aber noch gab ich die Hoffnung nicht auf, dass die Sonne irgendwann durchkam. Während ich mit vorsichtigen Schlucken meinen heißen Kaffee trank, betrachtete ich meinen Garten, in dem ich statt blühender Rosen aufgegrabene Beete und gestapelte Rasenstücke sah.
Frustriert kehrte ich ins Haus zurück und beschloss, entweder Grace Harding oder Peggy und Bob Beldon, die in Cedar Cove ebenfalls ein B&B betrieben, zu fragen, wen ich statt Mark für die Gestaltung des Rosengartens anheuern könnte. Egal, wer es machen würde: Bei keinem würde es so lange dauern wie bei Mark – es sei denn, er ließe alles andere stehen und liegen.
Während ich Rover fütterte, hörte ich, wie eine Autotür geschlossen wurde. Verwundert sah ich auf die Uhr und stellte fest, dass es noch früh war, kaum halb acht. Die Seitentür ging auf, und jemand rief meinen Namen.
»Hier bin ich«, meldete ich mich, und Rover rannte los, um den Ankömmling zu begrüßen.
Hailey Tremont hatte soeben das letzte Jahr an der Highschool absolviert und kam zweimal in der Woche, um mir bei der Hausarbeit und anderen Dingen, die gerade anfielen, zur Hand zu gehen.
»Guten Morgen«, sagte sie, als sie die Küche betrat, und bückte sich, um Rover zu streicheln. Sie war ein hübsches Mädchen, klein und zierlich, freundlich und umgänglich. Wenn man sie ansah, fiel es schwer zu glauben, dass sie bereits achtzehn war.
Vor ein paar Wochen hatte Grace mich gefragt, ob ich Hilfe gebrauchen könnte. Hailey, deren Familie das Grundstück neben der Ranch von Grace und ihrem Mann bewohnte, suchte einen Aushilfsjob. Zum einen, um sich ein kleines Polster zuzulegen, bevor sie im Herbst mit dem College begann, und zum anderen, weil sie Erfahrungen sammeln wollte. Hailey träumte nämlich von einer großen Karriere in der Hotelbranche.
»Ich wollte mich bloß erkundigen, ob Sie mich Samstag oder Sonntag brauchen«, sagte sie.
»An welchem Tag ist eure Abschlussfeier denn?«
»Sonntag. Aber ich könnte zur Not am Vormittag arbeiten, falls Sie alleine nicht klarkommen.« Sie senkte den Blick. »Auch wenn meine Großeltern und meine Tante Melanie extra anreisen …«
Zwar wäre ich über ihre Hilfe weiß Gott froh gewesen, weil ich zum einen das Haus bis Sonntagmorgen voll hatte und zum anderen am Nachmittag der Tag der offenen Tür stattfand, doch dieser Tag der Abschlussfeier gehörte ganz allein Hailey und ihrer Familie. Das wollte und konnte ich ihr nicht verderben.
»Wie wäre es, wenn du heute und morgen nach der Schule kommst?« Ich blickte auf. »Oder bringt das deinen Terminplan durcheinander?«
»Nein, das passt perfekt.« Ihre Augen leuchteten auf. »Ich bin dann heute Nachmittag wieder da.«
»Ausgezeichnet.«
Hailey blickte auf ihre Uhr. »Ich muss jetzt zur Schule. Obwohl es eigentlich unsinnig ist, nachdem wirklich absolut nichts mehr ansteht. Andererseits sind es die letzten Tage, die wir alle gemeinsam verbringen.«
Ich erinnerte mich an meinen eigenen Schulabschluss. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, und die meisten meiner Highschoolfreunde hatte ich aus den Augen verloren. Nur zu den beiden besten Freundinnen aus jener Zeit hielt ich noch Kontakt. Diane war in Texas verheiratet und hatte zwei Kinder, während Katie in Seattle geblieben war und mit ihrer Familie, Mann und drei Kindern, im Norden der Stadt lebte. Zwar standen wir über Facebook und per E-Mail ziemlich regelmäßig in Verbindung, sahen uns aber eher selten. Immerhin hatte Katie mich in Cedar Cove besucht, kurz nachdem ich die Pension übernommen hatte, und war begeistert gewesen. Ich schwor mir, sie bald wieder einzuladen.
»Ich muss los, Unterricht hin, Unterricht her«, sagte Hailey und stieß ein kurzes Lachen aus. »Wir sehen uns dann heute Nachmittag.«
»In Ordnung.«
Sobald sie weg war, kramte ich die Rührschüssel heraus und alle Zutaten, die ich für Muffins benötigte. Gerade schlug ich das Kochbuch auf, als ich draußen ein Geräusch hörte. Ich hegte den leisen Verdacht, dass es Mark sein könnte. Als ich vorsichtig aus dem Fenster spähte, fand ich meine Vermutung bestätigt.
Da stand er im Garten bei den Grassoden, die er ausgestochen hatte, um dort Rosenbüsche zu pflanzen. Offenbar machte ihm unser Streit genauso zu schaffen wie mir, und er wollte die Dinge in Ordnung bringen. Höchstwahrscheinlich würde er gleich wieder zu arbeiten beginnen und so tun, als habe es den gestrigen Zwischenfall nie gegeben.
Gerührt, weil er den ersten Schritt tat, beschloss ich großmütig, keine Entschuldigung zu verlangen. Zumal ich mittlerweile einsah, dass ich ihm wahrscheinlich ebenfalls eine schuldete. Jetzt empfand ich bloß Erleichterung, denn unsere Meinungsverschiedenheit hatte mich doch gewaltig belastet.
Trotzdem beschloss ich, meine Freude nicht zu offen zu zeigen. Nicht dass es am Ende wirkte, als würde ich Abbitte leisten. Ich würde einfach ganz cool bleiben, ein paar Minuten warten, bevor ich ihm eine Tasse Kaffee anbot und beiläufig die Muffins erwähnte. Dann sah ich ja, wie er reagierte. Die Zeit verstrich sehr langsam, und ungeduldig schaute ich immer wieder auf die Uhr. Dann endlich waren fünf Minuten vergangen, und ich griff nach einem Kaffeebecher, füllte ihn, trug ihn nach draußen und blieb auf der obersten Stufe stehen.
Mark war nirgends zu sehen.
Ich hatte keine Ahnung, wo er stecken könnte, bis ich die angelehnte Tür des Werkzeugschuppens entdeckte. Also stieg ich die Stufen hinunter, ging zu dem Schuppen hinüber, öffnete die Tür ganz und knipste das Licht an. Kein Mark weit und breit. In dieser kurzen Zeit, in nur wenigen Minuten, war er gekommen und wieder gegangen. Meine Hoffnungen auf ein Ende unseres Zerwürfnisses zerplatzten wie Seifenblasen. Er war lediglich hier gewesen, um alles abzuholen, was sich von seinen Gerätschaften in meinem Schuppen befand.
Wie es aussah, war es ihm mit seiner Kündigung ernst. Bitterernst. Er hatte die ganze Nacht Zeit gehabt, über alles nachzudenken. Wenn er seine Meinung auch im Licht des neuen Tages nicht revidierte, bereute und bedauerte er sichtlich nichts. Enttäuscht starrte ich vor mich hin, als ich in der Ferne das Telefon klingeln hörte. Schnell hastete ich ins Haus zurück.
»Rose Harbor Inn«, meldete ich mich und hoffte, dass ich nicht so atemlos klang, wie ich mich fühlte.
»Guten Morgen«, begrüßte mich eine freundliche Männerstimme.
»Guten Morgen«, erwiderte ich.
»Ich wollte fragen, ob Sie ab morgen für das Wochenende noch etwas frei haben.«
»Gerade mal ein Zimmer.« Das wusste ich, auch ohne in meinem Reservierungsbuch nachzuschauen.
»Wunderbar, reservieren Sie es. Ich fahre Kent und Julie Shivers von Portland herüber. Mein Name ist Sutton, Oliver Sutton, und ich bin ein Freund der Familie. Ich werde ebenfalls an der Goldhochzeitsfeier teilnehmen.«
»Fein, ist bereits notiert.«
Ich fragte mich, warum eine Familie aus Oregon eigens den langen Weg nach Cedar Cove auf sich nahm, um in unserer verschlafenen Stadt eine goldene Hochzeit zu feiern. Vielleicht würde ich es ja am Wochenende herausfinden.
»Wäre es möglich, den Shivers ein Zimmer im Erdgeschoss zu geben?«, fragte Oliver Sutton. »Aufgrund des Fotos auf Ihrer Homepage nehme ich mal an, dass es in Ihrem Haus keinen Aufzug gibt.«
»Nein, das sehen Sie richtig. Die Gästezimmer verteilen sich auf drei Stockwerke – eines liegt ganz unten.«
Es handelte sich um mein Lieblingszimmer, weil es, größer als die anderen, mit einem kleinen Sofa und einem Kamin ausgestattet war. Außerdem bot es einen herrlichen Blick über die Bucht, und an klaren Tagen sah man sogar die Olympic Mountains im Hintergrund schimmern. Ein atemberaubend schönes Bild, von dem man sich nur schwer losreißen konnte.
»Ist das Zimmer denn frei? Ich fürchte nämlich, dass Kent die Treppen nur schwer schafft. Obwohl er es nie zugeben würde.«
»Das lässt sich ohne Weiteres einrichten: Ich tausche einfach die Zimmer. Allerdings gibt es einen kleinen Preisunterschied.« Es war nur fair, ihm das nicht zu verschweigen.
»Kein Problem. Setzen Sie es auf meine Rechnung.«
»Okay. Haben Sie bezüglich Ihres eigenen Zimmers ebenfalls einen besonderen Wunsch?«
Er zögerte. »Annie Newton hat auch ein Zimmer reserviert …«
»Ja, das hat sie«, antwortete ich ein wenig irritiert.
Natürlich würde Annie mit von der Partie sein. Sie war schließlich die Enkelin der Shivers und hatte, soweit ich wusste, die Familienfeier überhaupt angeregt. Da sie in Seattle lebte, war sie ein paarmal vorbeigekommen, um sich alles anzusehen und zu besprechen. Partys zu planen war nämlich ihr Beruf.
»Wenn es geht, hätte ich gerne ein Zimmer auf derselben Etage wie Annie.«
»Das lässt sich einrichten«, versprach ich, denn noch konnte ich mit den Zimmern nach Gutdünken jonglieren.
»Perfekt. Ich komme dann Freitag, also morgen, zusammen mit den Shivers. Wir werden um die Mittagszeit eintreffen.«
Am späten Vormittag erfüllte der Duft von Karotten-Ananas-Muffins meine Küche. Es war ein neues Rezept, das ich schon lange ausprobieren wollte. In die Füllung kamen außerdem Walnüsse, Rosinen und Leinsamen, und wenn mich meine Nase nicht trog, würden die Muffins nicht nur köstlich riechen, sondern genauso schmecken. Später würde ich noch Plätzchen für den Tag der offenen Tür backen, nahm ich mir vor.
Als Hailey gegen zwei aufkreuzte, war ich mittendrin. Einiges war noch im Ofen, anderes stand bereits neben den Muffins zum Abkühlen auf der Arbeitsplatte. Und für den großen Rest hatte ich gerade einmal die Zutaten herausgesucht.
»Wo soll ich anfangen?«, fragte sie, nachdem sie ihren Rucksack in mein Büro gestellt hatte.
Ich gab ihr eine detaillierte Liste, die ich früher am Tag gemacht hatte. Sie las sie durch, stellte mir ein paar Fragen und ging an die Arbeit. Währenddessen füllte ich den Geschirrspüler, verstaute die Plätzchen in einem luftdichten Behälter und wischte die Arbeitsflächen ab.
Draußen näherte sich ein Taxi. Ich blickte aus dem Fenster, sah, wie der Fahrer parkte, ausstieg und die Beifahrertür öffnete. Eine Frau, bei der es sich eigentlich nur um Mary Smith handeln konnte, glitt heraus und betrachtete das Haus einen Moment lang. Mit ihrer klassisch-eleganten Kleidung wirkte sie wie eine Frau, die eine leitende Position innehatte.
Ich band meine Schürze ab und ging ihr mit Rover im Schlepptau entgegen.
»Hallo«, sagte ich. »Ich bin Jo Marie Rose. Herzlich willkommen im Rose Harbor.«
»Danke«, gab sie mit einem leichten New Yorker Akzent zurück.
Dicht vor ihr stehend war nicht zu übersehen, dass ihr das teure Designerkostüm bestimmt eine Nummer zu groß war und dass der um ihren Kopf gewundene Schal geschickt den Umstand verbarg, dass sie ihre Haare verloren hatte. Mary Smith schien sich kürzlich einer Chemotherapie unterzogen zu haben. Sie hatte Krebs, und ich fragte mich unwillkürlich, was sie in dieser Situation von New York nach Cedar Cove und ins Rose Harbor geführt haben mochte.
3
Von dem langen Flug von Newark nach Seattle erschöpft, legte sich Mary auf das Bett und schloss die Augen. Der Wunsch, Cedar Cove zu besuchen, hatte sie überkommen, nachdem bei ihr Brustkrebs diagnostiziert worden war. Es war eine spontane Idee gewesen, geboren aus der Furcht zu sterben, aber in Wahrheit hatte sie nie damit gerechnet, die Reise wirklich anzutreten.
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