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Wer Nora Roberts mag, wird Debbie Macomber lieben!
Es ist Sommer geworden im Städtchen Cedar Cove. Jo Marie Rose, die Besitzerin des Rose Harbor Inn, verbringt die meiste Zeit im Garten – zusammen mit Mark Taylor, der ihr bei der Instandhaltung zur Hand geht. Und obwohl sie allen, und auch sich selbst, versichert, dass Mark nur ein Freund ist – sie muss ständig an ihn denken. Auch ihre Gäste haben mit ihren Gefühlen zu kämpfen: Ellie Reynolds ist in Cedar Cove, um sich mit einem Mann zu treffen, der ihr gehörig den Kopf verdreht hat. Maggie und Roy Porter wollen ihren Urlaub nutzen, den Funken zurück in ihre Ehe zu bringen. Was werden die lauen Nächte für sie alle bereithalten?
Die Rose-Harbor-Reihe:
Band 1: Winterglück
Band 2: Frühlingsnächte
Band 3: Sommersterne
Band 4: Wolkenküsse (Short Story)
Band 5: Herbstleuchten
Band 6: Rosenstunden
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Seitenzahl: 462
Buch:
Es ist Sommer geworden im Städtchen Cedar Cove. Jo Marie Rose, die Besitzerin des Rose Harbor Inn, verbringt die meiste Zeit im Garten – zusammen mit Mark Taylor, der ihr bei der Instandhaltung zur Hand geht. Und obwohl sie allen, und auch sich selbst, versichert, dass Mark nur ein Freund ist – sie muss ständig an ihn denken. Auch ihre Gäste haben mit ihren Gefühlen zu kämpfen: Ellie Reynolds ist in Cedar Cove, um sich mit einem Mann zu treffen, der ihr gehörig den Kopf verdreht hat. Maggie und Roy Porter wollen ihren Urlaub nutzen, den Funken zurück in ihre Ehe zu bringen. Was werden die lauen Nächte für sie alle bereithalten?
Autorin:
Debbie Macomber ist mit einer Gesamtauflage von über 170 Millionen Romanen eine der erfolgreichsten Autorinnen überhaupt. Wenn sie nicht gerade schreibt, ist sie eine begeisterte Strickerin und verbringt mit Vorliebe viel Zeit mit ihren Enkelkindern. Sie lebt mit ihrem Mann in Washington State und im Winter in Florida.
Von Debbie Macomber bei Blanvalet bereits erschienen:
Winterglück · Frühlingsnächte
DEBBIE MACOMBER
Sommersterne
Roman
Aus dem Amerikanischen von Nina Bader
Die Originalausgabe erschien 2014
unter dem Titel »Love Letters« bei Ballantine Books,
an imprint of The Random House Publishing Group,
a division of Random House, Inc., New York.
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Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
1. Auflage
Deutsche Erstausgabe Juni 2016 bei Blanvalet Verlag,
einem Unternehmen der
Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © 2014 by Debbie Macomber
Copyright © 2016 für die deutsche Ausgabe
by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
This translation published by arrangement with Ballantine Books,
an imprint of Random House, a division of Random House LLC.
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
Umschlagmotiv: Getty Images/Westend61;
Plainpicture/Johner/Hans Bjurling; StockFood/Natasha Breen
Redaktion: Ulrike Nikel
LH · Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-12617-9V001
www.blanvalet.de
Liebe Freunde,
eine der mir am häufigsten gestellten Fragen lautet: »Wo nimmst du eigentlich die Ideen für deine Geschichten her?« Die Antwort fällt für jedes Buch anders aus. Die meisten sind ein direktes Resultat von Dingen, die ich selbst erlebt habe oder die mir begegnet sind. Diese hier bildet keine Ausnahme.
Kurz nach dem Tod meiner Mutter fand ich ein Tagebuch, das sie während des Zweiten Weltkriegs geführt hatte. Eines von der altmodischen Sorte, in dem man über einen Zeitraum von fünf Jahren pro Tag ein paar wenige Zeilen notieren konnte. Jede Seite war ein Liebesbrief an meinen Vater, und in jeden Eintrag war ihr Herzblut geflossen. Ich las es mit Tränen in den Augen.
An einer Stelle stand, dass mein Vater seine Schwester beauftragt hatte, dafür zu sorgen, dass sie an ihrem Geburtstag einen Rosenstrauß bekam. Ihr Eintrag für diesen Tag lautete: Rosen von Ted. Mir geht das Herz auf. Später geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft, und monatelang hörte sie nichts von ihm, wusste nicht einmal, ob er noch lebte. Tag für Tag schrieb sie in ihr Tagebuch: kein Brief von Ted. Kein Brief von Ted. Und einmal fand ich die herzzerreißende Notiz: O Gott, bitte … All ihre Ängste kamen in diesen wenigen Worten zum Ausdruck. Dann endlich erhielt sie die Nachricht, dass mein Vater lebte. Danach blieben die Seiten leer.
Nachdem ich das Tagebuch gelesen hatte, kam mir die Idee, ein Buch zu schreiben, das Liebesbriefe zum Inhalt hatte.
Meine Heldin Jo Marie weiß schließlich, was es heißt, den geliebten Mann durch einen Krieg zu verlieren, und hütet den Brief, der sie nach seinem Tod erreicht, wie einen kostbaren Schatz. Paul schrieb ihn vorsorglich für den Fall, dass er nicht mehr nach Hause käme. Und ein junges Paar, Roy und Maggie Porter, das sich schon einmal getrennt hat und jetzt wieder in einer Krise steckt, findet dank eines Liebesbriefs wieder zueinander. Und dann ist da noch Ellie …
Halt, sonst verrate ich noch die ganze Geschichte, aber ich will euch ja nicht die Spannung verderben, sondern euch alles selbst erleben und herausfinden lassen.
Also lehnt euch zurück, und taucht in die Geschichte ein. Und wenn ihr das Buch gelesen habt, dann fühlt ihr euch hoffentlich stark genug, demjenigen, dem euer Herz gehört, einen Liebesbrief zu schreiben.
Wie ihr wisst, freue ich mich immer, von meinen Lesern zu hören. Ihr erreicht mich über meine Website DebbieMacomber.com oder über Facebook. Und wenn euch danach ist, könnt ihr mir auch einen Brief schreiben und ihn an P.O. Box 1458, Port Orchard, WA 98366 schicken.
Viel Spaß und herzliche Grüße,
Debbie Macomber
Für Steve und Robin Black
Danke für eure Freundschaft, die erstklassigen Weine
und dafür, dass ihr Wayne und mir eine eigene Reihe
Weinstöcke geschenkt habt.
Mögen sie endlose Ströme von Wein produzieren!
1
Hätte mir jemand vor zwei Jahren prophezeit, mir werde dereinst in dem kleinen Küstenort Cedar Cove ein Bed&Breakfast gehören, dann würde ich ihn ausgelacht haben. Allerdings hätte ich mir ebenso wenig träumen lassen, mit achtunddreißig Jahren Witwe zu sein. Wenn ich eines gelernt habe durch all die schmerzlichen Lektionen, die das Leben für mich bereitgehalten hat, dann dies: Für die Zukunft gibt es keinerlei Garantien.
Und so kam ich hierher, begann tagtäglich Betten abzuziehen, Toiletten zu putzen und selbst bei fünfunddreißig Grad Hitze Plätzchen zu backen. Und zu meiner großen Überraschung gefiel es mir. Na ja, das Toilettenputzen nicht unbedingt, aber so ziemlich jeder andere Aspekt dieses neuen Lebens, das ich mir aufgebaut habe.
Zwei Jahre sind vergangen, seit ich vom Tod meines Mannes erfuhr. Obwohl ich es anfangs nicht für möglich hielt, machte ich irgendwann die Erfahrung, dass ich trotz meiner Trauer zwischendurch auch wieder fröhlich sein, wieder etwas empfinden und sogar wieder lachen konnte.
Zunächst undenkbar für mich, denn als mir die US-Army mitteilte, dass Paul bei einem Hubschrauberabsturz auf irgendeinem Berghang in Afghanistan ums Leben gekommen sei, brach für mich eine Welt zusammen, und es schien kein Morgen mehr zu geben. Um zu verhindern, dass mir die Kontrolle über mein Leben gänzlich entglitt, begann ich nach etwas zu suchen, woran ich mich festhalten konnte.
Und das wurde das Rose Harbor Inn.
Fast jeder warnte mich, die Pension zu kaufen: meine Familie, meine Freunde, mein Arbeitgeber. Wieder und wieder bekam ich zu hören, eine solche Veränderung sei zu drastisch und ich solle lieber ein Jahr warten. Schieb es zwölf Monate auf, hieß es. Zwar hörte ich mir geduldig die gut gemeinten Ratschläge an, ließ mich jedoch nicht beirren und verfolgte weiter meine Pläne. Ich wusste, dass es nur zwei Möglichkeiten für mich gab: entweder einen radikalen Neuanfang zu wagen oder langsam den Verstand zu verlieren.
Ob es leicht gewesen sei, werde ich manchmal gefragt.
Nein, das war es nicht. Zunächst einmal musste ich eine Menge investieren, bevor ich überhaupt etwas verdiente. Und große Sprünge lassen sich mit der Vermietung von Zimmern sowieso kaum machen. Man kommt gerade so über die Runden und das auch bloß dann, wenn man die ganze Arbeit alleine macht. Und das tat ich, zumal ich jeden Cent, der übrig blieb, für Verbesserungen am Haus und für Neuanschaffungen brauchte.
Nachdem ich das Bed&Breakfast in Cedar Cove erworben hatte, änderte ich den Namen in Rose Harbor Inn. Rose wegen meines Nachnamens, Pauls Namen, und Harbor, weil ich mir einen schützenden Hafen wünschte, um meine Wunden zu heilen. Ich ließ eigens ein neues Schild aufstellen.
Entworfen und angefertigt wurde es von einem hiesigen Handwerker, der mir empfohlen worden war und der sich darüber hinaus als überaus brauchbar für alles erwies, was so an Reparaturen, Verschönerungen und Umgestaltungen anfiel.
Ein ebenso unentbehrlicher wie rätselhafter Mann und dazu verschlossen wie eine Auster.
Während des vergangenen Jahres habe ich Mark Taylor fast jeden Tag gesehen, manchmal zwei- oder dreimal täglich, und trotzdem außer seinem Namen und seiner Adresse so gut wie nichts über ihn in Erfahrung gebracht. Okay, seine Talente als Kunsttischler und seine Vorliebe für meine Erdnussbutterplätzchen sind mir ebenfalls nicht entgangen. Vermutlich war er in seinem früheren Leben bei der Army, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Aber wo und wie lange und in welcher Position, das hat er mir nicht verraten. Bloß vage etwas von Problemen gemurmelt, obwohl ich brennend gern mehr gehört hätte. Immer wieder passierte mir Ähnliches mit ihm, und das machte mich ganz verrückt.
Es war, als würde man ständig an einem juckenden Flohstich kratzen und die Sache dadurch nur schlimmer machen.
Da ich kaum etwas wusste, erging ich mich in allerlei wüsten Fantasien und wilden Spekulationen, malte mir Dutzende von Gründen aus, warum Mark sich so beharrlich weigern könnte, über seine Vergangenheit zu sprechen. Neben harmlosen Erklärungen schossen mir dabei auch ziemlich absonderliche und sogar furchterregende Szenarien durch den Kopf.
Sooft ich auch versuchte, ihm seine Geheimnisse zu entlocken – bei Mark Taylor biss ich auf Granit. Und so blieb meine Neugier unbefriedigt und nagte an mir. Eher würde man es schaffen, Marmor mit Marshmallows zu bearbeiten, dachte ich so manches Mal verärgert.
Zum Glück ließ mir meine Arbeit meist keine Zeit, über solche Dinge nachzudenken.
Gerade eben hatten die Hendersons aus Texas ausgecheckt. Sie waren nach Cedar Cove gekommen, um ihren Sohn zu besuchen, der am nahe gelegenen Marinestützpunkt Bremerton stationiert war und sich kürzlich mit einer Einheimischen verlobt hatte. Und die wollten die Eltern natürlich kennenlernen. Lois und Michael waren nette Leute und angenehme Gäste gewesen, wie man sie gerne beherbergte.
Es war ein ständiges Kommen und Gehen, und nicht immer konnte ich mir die Namen merken. Aber die Gäste, die sich für das bevorstehende Wochenende angemeldet hatten, die würde ich mein Leben lang nicht vergessen.
Da war zunächst Eleanor Reynolds. Bei ihrem ersten Anruf hatte sie leicht spröde und ein wenig pedantisch geklungen, weshalb ich zunächst auf eine Buchhalterin oder Bibliothekarin mittleren Alters getippt hatte. Das glaubte ich mittlerweile nicht mehr. Denn bei einem zweiten Telefongespräch stornierte Ellie, wie ich sie nennen sollte, die Buchung, um sie beim dritten zu erneuern. Eine eher sprunghafte Dame offenbar. Da ich während der letzten Wochen nichts mehr von ihr gehört hatte, ging ich indes davon aus, dass es bei der Reservierung blieb und Ellie irgendwann am Nachmittag eintreffen würde.
Maggie Porter schien völlig anders zu sein. Locker und offen, lebhaft und fröhlich. Diesen Eindruck vermittelte sie zumindest. Gemeinsam mit ihrem Mann Roy wollte sie sich ein gemütliches Wochenende gönnen, eine Auszeit, wie sie es nannte. Ein Geschenk der Schwiegereltern übrigens, die sich zudem bereit erklärt hatten, die Kinder zu hüten. Ich war gespannt auf das junge Paar.
Rovers Bellen verriet mir, dass jemand den Weg zur Vordertür heraufkam.
Ich sah auf meine Uhr. Hatte ich etwa nicht auf die Zeit geachtet, und die ersten Gäste standen schon auf der Matte? Leider passierte mir das nämlich häufiger, als ich zugeben mochte. Als mein treuer Vierbeiner jedoch zur Tür rannte, wusste ich, dass es kein Fremder war. Mark Taylor stand draußen.
Perfekt, dachte ich. Da konnte ich ihn erneut ins Kreuzverhör nehmen und mich diesmal mit Glück nicht vom Thema ablenken lassen. Irgendwann musste es mir schließlich gelingen, ihn festzunageln.
Ich hielt Mark die Tür auf. Er hatte sich vor zwei Monaten ein Bein gebrochen, aber alles war gut verheilt und nichts zurückgeblieben. Nicht einmal ein ansatzweises Hinken. Damals hatte ich ihm seine Verletzung fast übel genommen, denn dadurch war seine Arbeit an meinem neu zu gestaltenden Rosengarten endgültig zum Erliegen gekommen. Schon vorher hatte er damit herumgetrödelt – Woche um Woche war die Sache einfach nicht vorangegangen.
Allerdings, das lässt sich nicht leugnen, ist Geduld nicht gerade meine Stärke, und es war nicht immer fair, ständig an ihm herumzunörgeln. Doch sobald alles fertig war, verrauchte auch der letzte Rest meines Ärgers. Jetzt fehlte nur noch der Pavillon, und ich hatte Mark ein Foto aus einer Zeitschrift als Muster gegeben. Genau so wünschte ich es mir für meinen Garten.
Ich war wie besessen von diesem Pavillon. Er musste her, auf Biegen oder Brechen. Im Geiste sah ich mich, Rover neben mir, in der Abenddämmerung mit einem Getränk dort sitzen, während die Sonne wie ein pink- und orangefarbener Ball langsam hinter der Bergkette der Olympic Mountains versank. Von der Terrasse hinter dem Haus aus ließ sich dieses Schauspiel zwar ebenfalls genießen, aber diesen Platz überließ ich meist meinen Gästen. Schließlich warb ich in meinem Prospekt mit einem Foto dieses wirklich imposanten Sonnenuntergangs. Mark hatte es aufgenommen. Zu seinen vielen unterschiedlichen Talenten gehörte ebenfalls das Fotografieren, wenngleich er mein Lob stets mit einer unwilligen Geste abtat, als wären ihm Komplimente peinlich.
Mark trat ins Haus und begrüßte Rover auf die für ihn typische Art, indem er ihn brummelnd als nichtsnutzigen Köter bezeichnete. Anfangs hatte ich protestiert und mir solche Bemerkungen verbeten. Dann kapierte ich, dass er es bloß darauf anlegte, mich auf die Palme zu bringen, und seitdem tat ich ihm den Gefallen nicht mehr.
»Hast du eine Minute Zeit?«, fragte er.
»Klar. Was gibt es denn?«
Statt zu antworten, ging er ins Frühstückszimmer und legte einen zusammengerollten Bogen Zeichenpapier auf einen der Tische.
»Ich habe die Pläne für deinen Pavillon fertig.«
Welch eine Überraschung. Ich war davon ausgegangen, dass er fünf oder sechs Monate brauchen würde, um das Projekt anzupacken. Immerhin hatte er von Anfang an klargestellt, dass er vorher andere Aufträge erledigen müsse. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob das stimmte oder ob er mich damit zu ärgern hoffte. Jedenfalls blickte ich nach wie vor weder bei Marks Termingestaltung durch, noch vermochte ich ein System zu erkennen, nach dem er Prioritäten setzte.
Wenn man einmal davon absah, dass ich generell ganz unten auf seiner Liste landete.
»Das ist ja toll«, sagte ich und bemühte mich, nicht allzu euphorisch zu klingen. Schon allein aus Selbstschutz. Um nicht enttäuscht zu sein, wenn es am Ende erneut nicht so lief, wie ich erwartete, und er die Geschichte nicht zügig vorantrieb.
Er entrollte den Papierbogen und beschwerte ihn oben und unten mit Salz- und Pfefferstreuern.
Auf Anhieb gefiel mir, was ich sah. »Wann hast du das denn gezeichnet?«, erkundigte ich mich.
»Vor ein paar Wochen.«
Und er zeigte es mir erst jetzt?
»Gefällt es dir oder nicht?«
Ungeduld klang aus seiner Stimme, denn in dieser Hinsicht stand Mark mir kaum nach.
Ich war nicht die Einzige, die ein Geduldsproblem hatte.
»Und ob«, versicherte ich, »allerdings habe ich vorab ein paar Fragen.«
»Und die wären?«
»Was wird mich das Ganze kosten?«
Er verdrehte die Augen, als hätte ich eine unzumutbare Forderung an ihn gestellt. »Willst du etwa einen Kostenvoranschlag?«
»So läuft das normalerweise.«
Er seufzte und wirkte leicht gekränkt. »Eigentlich solltest du mittlerweile darauf vertrauen, dass ich dir faire Preise mache.«
»Das tue ich durchaus, doch so einen Pavillon hinzustellen dürfte nicht ganz billig werden, und ich brauche einen Anhaltspunkt, um planen zu können. Abstottern ist ja wohl kaum drin, oder?«
Er zuckte die Achseln. »Nee.«
»Dachte ich mir.«
»Okay, dann kriegst du eben deinen Kostenvoranschlag – beschwer dich aber anschließend nicht über dadurch bedingte Verzögerungen.«
»Kannst du mir nicht grob über den Daumen gepeilt sagen, womit ich rechnen muss?«, bohrte ich nach, obwohl sich Marks Rechnungen tatsächlich immer in vernünftigen Grenzen hielten.
Seine Antwort bestand darin, dass er einen kleinen Spiralblock aus seiner Hemdtasche zog, ein paar Seiten umblätterte, irgendwelche Zahlen betrachtete und mit gerunzelter Stirn zu rechnen begann. Anschließend nannte er eine Summe, mit der ich leben konnte.
»Klingt gut.« Ich versuchte, mir meine Erleichterung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.
»Also abgemacht?«
Ich begutachtete den Entwurf erneut. Es handelte sich praktisch um eine Kopie der Vorlage. Perfekt, soweit ich es beurteilen konnte, und mit Sicherheit ein Gewinn für das Rose Harbor Inn, denn ich plante den Pavillon nicht nur selbst zu nutzen, sondern ihn auch für kleine Empfänge und Feiern zu vermieten.
»Abgemacht«, sagte ich aufgeregt, und diesmal bemühte ich mich nicht, meine Emotionen vor Mark zu verbergen. Rover wedelte mit dem Schwanz, als würde er sich ebenfalls freuen.
»Gut.« Mark rollte den Papierbogen zusammen, streifte ein Gummiband darüber und schnupperte plötzlich. »Du hast Plätzchen gebacken«, stellte er fest und fügte stirnrunzelnd hinzu: »Und das bei der Hitze?«
»Gleich frühmorgens ging es gerade noch.«
Ich war nie eine Langschläferin, habe nie wie meine Freundinnen an den Wochenenden bis zehn oder elf Uhr im Bett gelegen. Für mich war die Nacht um sieben zu Ende, allerhöchstens schaffte ich es bis acht.
»Wie früh?«
»Vier Uhr.«
Mark schüttelte den Kopf und schnitt eine Grimasse, als hätte er unerwartet in etwas Saures gebissen. »Zu früh für mich.«
»Ist es ebenfalls zu früh, sie zu probieren?«
Es verstand sich von selbst, dass er auf dieses Angebot gewartet hatte.
»Ich könnte mich überreden lassen.«
Natürlich. Dass Mark Taylor nämlich Plätzchen ablehnte, kam nicht vor. Und das, obwohl man ihm diese ausgeprägte Vorliebe für Süßes absolut nicht ansah. Mark war schlaksig, mindestens einen Meter neunzig groß und hager und schien ständig einen Haarschnitt zu benötigen. Ein attraktiver Mann, der noch besser aussähe, wenn er mehr Wert auf sein Äußeres legen würde. Aber offensichtlich interessierten ihn solche Dinge nicht.
Im Gegensatz zu Mark kämpfte ich eher mit meinem Gewicht. Wie Paul es so nett auszudrücken pflegte, hatte ich »Kurven an den richtigen Stellen«. Mal nahm ich zu, mal ab und versuchte, den Zuwachs an Pfunden durch ausreichende Bewegung in Grenzen zu halten. Hauptsächlich durch lange Spaziergänge mit Rover und durch Gartenarbeit. Zwangsläufig kleidete ich mich zweckmäßig und band mein schulterlanges dunkles Haar meist im Nacken zusammen.
Mark folgte mir in die Küche. Rover lief voraus. Die Erdnussbutterplätzchen lagen zum Abkühlen auf einem Rost. Ich reichte Mark einen Teller, forderte ihn auf, sich zu bedienen, und schenkte uns Kaffee ein.
Als wir einander am Küchentisch gegenübersaßen, stützte ich die Ellbogen auf und musterte ihn eindringlich. Erst nach dem dritten Plätzchen bemerkte er meine forschenden Blicke.
»Was ist?«
In seinen Mundwinkeln klebten Krümel. Er hatte einen schönen Mund, fiel mir erstmals auf.
»Wie bitte?«, gab ich leicht abwesend zurück.
»Du starrst mich an.«
Ich zuckte die Achseln. »Ich habe gerade nachgedacht.«
»Hat das dein Gehirn überanstrengt?«, erkundigte er sich süffisant.
»Sehr komisch.«
Ein besserer Kommentar zu diesem lahmen Versuch, witzig zu sein, fiel mir leider nicht ein.
»Okay, dann frage ich dich ganz konkret, worüber du nachgedacht hast.«
»Über dich.«
»Über mich?« Er griff nach seiner Kaffeetasse und trank einen Schluck. »Nicht gerade das interessanteste Thema, finde ich.«
»Ganz im Gegenteil. Wenn ich bedenke, dass wir zwar seit meiner Übersiedlung nach Cedar Cove praktisch befreundet sind, ich jedoch so gut wie nichts von dir weiß, dann gibt mir das durchaus zu denken.«
»Da ist nichts, was du wissen müsstest.«
»Warst du je verheiratet?«
Die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich. »Man sollte meinen, dass du dich mit wichtigeren Dingen beschäftigen könntest.«
»Nicht wirklich. Ich vermute, dass du immer alleine gelebt hast. Darauf lässt zumindest dein Haus schließen.«
»Wenn ich mich recht erinnere, bist du uneingeladen bei mir hereingeschneit.«
Prompt nahm ich eine Verteidigungsstellung ein. »Stopp! Ich habe dir etwas zu essen gebracht, als du mit einem gebrochenen Bein dalagst.«
»Ich hatte dich nicht darum gebeten«, hielt er dagegen.
»Versuch bitte nicht, das Thema zu wechseln oder mich abzulenken, indem du einen Streit vom Zaun brichst. Also: In deinem gesamten Haus gibt es keinen einzigen persönlichen Gegenstand. Keine Bilder, keine Fotos, nichts.«
Er schüttelte den Kopf, als wüsste er nicht, wovon ich redete. »Ich habe eben kein Faible für Wohndesign. Willst du mir raten, künftig diese Sendungen anzusehen, die du so toll findest? Wo etwa eine Essecke mit einer Colaflasche und einer Angelrute dekoriert wird?«
»Nein«, stellte ich klar. »Ich denke, dass du vielleicht mit neuer Identität in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurdest.«
Mark, der gerade von seinem Kaffee getrunken hatte, musste so heftig lachen, dass er sich verschluckte und einen Teil des Kaffees in die Tasse zurückprustete.
»Ich meine es ernst«, sagte ich leicht pikiert.
»Lieber Himmel, du hast eine ziemlich ausufernde Fantasie.«
»Na schön, dann liege ich mit dieser Vermutung eben falsch. Bevor ich weiterrate, beantworte doch einfach meine Frage.«
Er seufzte, als würde das Thema ihn langweilen. »Welche Frage?«, sagte er, griff nach einem weiteren Plätzchen und erhob sich, um die Tasse in die Spüle zu stellen.
»Warst du je verheiratet?«, wiederholte ich mit Nachdruck.
Er sollte merken, dass ich es ernst meinte und entschlossen war, seine Geheimniskrämerei zu beenden.
»Ich vermag mir nicht vorzustellen, warum du so etwas wissen willst. Und im Übrigen geht es dich eigentlich nichts an.«
Aha, jetzt wies er mich in meine Schranken.
»Ich bin einfach neugierig«, erwiderte ich betont harmlos.
»Lass es. Ich bin nicht so interessant. Bis später«, sagte er und stapfte zur Vordertür hinaus.
»Ist das ein ungeselliger Zeitgenosse«, murmelte ich.
Rover legte den Kopf schief, als würde er mir beipflichten, und beobachtete mich, als ich zum Telefon griff. Ich war nämlich nicht gewillt, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Diesmal nicht. Wenn er es nicht anders wollte, würde ich zu Plan B greifen und Peggy Beldon anrufen.
Ihr und ihrem Mann Bob gehörte das Thyme and Tide, ein weiteres B&B der Stadt. Inzwischen hatte sich zwischen uns so etwas wie Freundschaft entwickelt, und ich war Peggy dankbar für mannigfache Hilfe und viele wertvolle Ratschläge. Und natürlich dafür, dass sie mir oft Gäste schickte, wenn ihre Kapazitäten erschöpft waren. Sie war es auch gewesen, die mir Mark wärmstens empfohlen hatte.
»Jo Marie«, hörte ich sie sichtlich erfreut sagen. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich habe eine Frage«, begann ich vorsichtig, weil es mir ein bisschen peinlich war, meine Neugier in Bezug auf Mark so offen zu zeigen.
»Also los, heraus damit.«
»Mich interessiert, was du wohl über Mark Taylor zu berichten weißt.«
»Oo-kay.« Sie zog das Wort in die Länge und schien irgendwie befremdet.
»Es ist nichts Romantisches, keine Sorge«, fügte ich rasch hinzu.
»Das habe ich auch nicht angenommen«, erwiderte Peggy. »Ich habe lediglich gezögert, weil ich dir nicht viel erzählen kann. Im Grunde weiß ich kaum etwas von ihm.«
»Tut das überhaupt jemand?«, hakte ich nach.
Peggys Erklärung bestätigte mich in meinem Verdacht, dass es mit Mark Taylor eine besondere Bewandtnis haben musste und dass es sich wahrscheinlich um etwas ziemlich Düsteres handelte. Womöglich sogar um etwas Unheilvolles oder Gefährliches.
»Wenn du willst, kann ich Bob fragen. Er ist im Moment nicht da, müsste aber bald zurückkommen. Ich wollte in ungefähr einer Stunde zur Bäckerei gehen. Wir könnten uns dort treffen, und ich erzähle dir, was Bob gesagt hat.«
»Großartig. Ich werde da sein«, versprach ich und hoffte, bald mehr über Marks sorgfältig gehütete Geheimnisse zu erfahren.
2
Ellie Reynolds’ Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als sie mit dem Shuttlebus vom Flughafen Seattle nach Cedar Cove fuhr. Sie hoffte, dass sie keinen Fehler machte. Zu deutlich hatte sie noch die Warnungen ihrer Mutter im Ohr, sich nicht mit Tom Lynch zu treffen. Wie misstönende Kirchenglocken hallten sie in ihrem Kopf wider und setzten sie außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen.
Unruhig presste und knetete sie ihre Hände, während sie aus dem Busfenster sah. Eine Frau mittleren Alters, die strickend neben ihr auf der anderen Seite des Ganges saß, schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Ob sie ihre Unsicherheit spürte, fragte Ellie sich und lächelte scheu zurück, bevor sie den Blick erneut auf die vorüberfliegende Landschaft richtete. Die Gegend glich in vieler Hinsicht ihrer Heimat in Oregon.
Im Laufe der Jahre war Ellie zweimal in Seattle und Umgebung gewesen: das erste Mal in der fünften Klasse mit ihrer Girl-Scout-Gruppe und später auf der Highschool als Mitglied eines Chors, der bei einer Weihnachtsveranstaltung aufgetreten war. Ansonsten hatte sie, genau wie ihre Mutter, Bend und die Region am Deschutes River so gut wie nie verlassen.
Seattle war ihr riesig vorgekommen, wie ein einziges großes Abenteuer. Damals jedoch hatte sie die Erlaubnis der Mutter gehabt – jetzt reiste sie ohne deren Segen. Trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre kam sie sich vor wie ein ungezogenes Kind, das sich den Wünschen seiner Mutter widersetzt.
Schluss damit, rief Ellie sich zur Ordnung.
Statt an ihre Mutter sollte sie lieber an Tom denken. Ein warmes Glücksgefühl durchströmte sie. Seit einigen Monaten standen sie via Facebook, SMS und E-Mail in Verbindung miteinander und telefonierten überdies häufig. Noch nie hatte sie so starke Empfindungen für einen Mann gehegt, schon gar nicht für einen, dem sie bislang nicht einmal persönlich begegnet war. Aber sie schienen viel gemeinsam zu haben, und es hatte gleich zwischen ihnen gefunkt. Beide mochten Fischtacos, schauten gerne in den Sternenhimmel, liebten lange Spaziergänge und klassische Romane.
Kennengelernt hatten sie sich über einen Online-Buchklub.
Tom, der früher auf einem U-Boot über die Weltmeere gefahren war, arbeitete jetzt auf der Marinewerft in Bremerton. Ein ehemaliger Navy-Soldat, in den Augen ihrer Mutter ein Seemann und damit suspekt. Virginia Reynolds hatte schockiert reagiert. Matrosen seien schließlich bekannt für ihre lockere Moral und hätten in jedem Hafen ein Mädchen. Von diesem Vorurteil ließ sie sich nicht abbringen. Trotzdem gelang es ihr nicht, die Tochter zu irritieren. So etwas glaubte Ellie einfach nicht von Tom. Er wirkte eher zurückhaltend, ein wenig schüchtern sogar. Genau wie sie selbst.
In Stresssituationen allerdings wuchs Ellie bisweilen über sich hinaus.
Wie auch in diesem Fall. Denn trotz der mütterlichen Warnungen hielt sie an Tom fest, fürchtete nicht, von ihm ausgenutzt zu werden. Alles, was sie über ihn wusste, verriet ihr, dass er aufmerksam und rücksichtsvoll, intelligent und fleißig war und in keinster Weise dem Klischee eines Seemanns entsprach, der mit den Gefühlen anderer spielte. Und seine Fotos bestätigten diesen Eindruck. Offen und ehrlich sah er aus. Ein Mann, der nie vorsätzlich etwas tun würde, das sie verletzte. Davon war sie überzeugt und deshalb bereit, ihm zu vertrauen und sich von ihrem Gefühl leiten zu lassen.
Und von ihrem Herzen.
An diesem Wochenende würden sie sich erstmals von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Es war Toms Vorschlag gewesen, sich im Rose Harbor Inn in Cedar Cove einzuquartieren. Jetzt, wo es ernst wurde, betete Ellie im Stillen, dass sie das Richtige tat. Sie hatte das Zimmer im Mai, also vor fast drei Monaten, reserviert, um es anschließend wieder abzusagen und dann erneut zu buchen.
Der Grund für ihre vorübergehende Wankelmütigkeit war natürlich ihre Mutter gewesen. Ihr hätte sie gar nicht erst von ihrem Plan erzählen sollen. Sobald sie nämlich erfuhr, dass Ellie beabsichtigte, sich mit dieser Internetbekanntschaft zu treffen, verlor sie vollends die Fassung, sprach von einem folgenschweren Fehler und orakelte düster, sie werde ihr Leben ruinieren.
Irgendwann hatte Ellie nachgegeben und Tom mitgeteilt, sie könne nicht kommen. Woraufhin er sogleich anbot, sich mit ihrer Mutter direkt in Verbindung zu setzen und ihr zu versichern, dass er keinerlei unehrenhafte Absichten hege. Ellie war gerührt, fand es aber unpassend. Schließlich war sie alt genug, eigene Entscheidungen zu treffen, und ihrer Mutter keine Rechenschaft schuldig. Um das zu beweisen, hatte sie ihren Rückzieher revidiert und das bereits abgesagte Zimmer wieder reserviert.
Und jetzt war sie auf dem Weg zu Tom.
Ein Piepton kündigte den Eingang einer SMS an. Sie kramte das Handy aus ihrer Handtasche und seufzte frustriert. Die Nachricht war nicht von Tom, sondern von ihrer Mutter.
Gib mir bitte Bescheid, dass alles in Ordnung ist.
Bin sicher gelandet, tippte Ellie rasch zurück.
Gott sei Dank. Du hast ja keine Ahnung, welche Sorgen ich mir mache.
Mir geht es gut, Mom.
Ellie stieß einen weiteren Seufzer aus, schob das Handy in ihre Tasche zurück und ignorierte den nächsten Piepton. Sie verspürte keine Lust, sich weiter die Bedenken ihrer Mutter anzuhören.
Virginias Problem bestand im Grunde darin, dass ihre eigene Ehe früh gescheitert war. Schon als Kind hatte Ellie sich Tausende Male anhören müssen, dass man Männern nicht trauen könne, dass die Kerle bloß auf den Herzen der Frauen herumtrampeln und sich am Ende aus dem Staub machen würden. So ihre eigene Erfahrung, warnte die Mutter. Deshalb sei sie entschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihr einziges Kind vor demselben Schicksal zu bewahren.
Erschwerend kam hinzu, dass Ellie nach der Scheidung für Virginia zum Mittelpunkt ihrer Welt geworden war, und bisweilen drohte sie die Tochter mit ihrer Fürsorge zu ersticken. Ellie sehnte sich verzweifelt danach, ihren eigenen Weg gehen zu dürfen, und fühlte sich gleichzeitig schuldig, weil sie wusste, dass sie ihrer Mutter alles bedeutete.
Das Telefon klingelte. Aber es war nicht wie erhofft Toms Nummer, die angezeigt wurde, sondern die von Virginia.
Ellie entschied, den Anruf nicht entgegenzunehmen. Die Frau auf der anderen Seite des Ganges schaute erneut neugierig zu ihr herüber. Sie ignorierte es. Ihre Gedanken kreisten wieder um ihre Mutter mit ihren tausend Ängsten und Vorbehalten, die sie allerdings, wenn sie ehrlich war, teilweise verstand. Sich mit einem Mann zu treffen, den sie nicht einmal persönlich kannte, dazu an einem fremden Ort, war schließlich nicht ganz ohne. Da hatte ihre Mutter nicht unrecht.
War es überhaupt möglich, jemanden allein durch Internetkontakte und Telefon richtig einschätzen zu können?
Das war der springende Punkt. Tom Lynch konnte alles Mögliche sein. Selbst Kriminelle, Serienvergewaltiger oder Massenmörder verstellten sich bisweilen geschickt und täuschten andere über ihr wahres Wesen, wie immer wieder zu hören und zu lesen war. Sie konnte in einen Albtraum geraten, der sie den Rest ihres Lebens verfolgen würde.
Virginia Reynolds hatte die Tochter inständig gebeten, sie bei dieser ersten Begegnung begleiten zu dürfen, und eine Zeit lang war Ellie nahe dran gewesen, es ihr zu erlauben. Aber das kam ihr dann doch zu albern vor. Diese Geschichte wollte und musste sie alleine durchziehen. Trotzdem würde sie Vorsicht walten lassen und Tom lediglich in der Öffentlichkeit treffen. Wenn sie danach die Beziehung weiterhin ausbaufähig fand, würde sie ihn nach Oregon einladen und ihn der Mutter vorstellen.
Ellie mochte vielleicht etwas introvertiert sein, naiv indes war sie beileibe nicht und selbst hinsichtlich dieses ungewöhnlichen Treffens nicht völlig frei von Zweifeln und Bedenken. Dennoch war sie bereit, das Risiko einzugehen und zu hoffen, dass sie sich in Tom nicht täuschte.
Als sie ihre E-Mails checkte, entdeckte sie endlich eine Nachricht von ihm. Wann sie ankommen werde, wollte er unter anderem wissen und deutete an, er plane etwas ganz Besonderes. Mit fliegenden Fingern schrieb sie ihre Antwort.
Irgendwie klang seine Mail ein bisschen geheimnisvoll. Ihre Mutter würde sich mit Wonne darauf stürzen, dachte sie unwillkürlich, und sofort Vergleiche mit ihrem Vater anstellen, die in der Regel damit endeten, man sehe ja, wohin das führe, wenn man auf sein Herz und nicht auf den Verstand höre.
Ellie konnte die Tiraden inzwischen im Schlaf herunterrattern.
Entgegen den Wünschen ihrer Eltern nämlich hatte sich Virginia auf einen jungen Mann eingelassen, den sie auf dem College kennenlernte. Eine große Liebe offenbar. Jedenfalls waren sie verrückt nacheinander gewesen. Ellies Großeltern indes reagierten alles andere als begeistert. Sie misstrauten Scott Reynolds von Anfang an und mochten ihn nicht. Zu großspurig, völlig oberflächlich und zudem aalglatt, fanden sie und warnten die Tochter. Er werde ihr das Herz brechen, sagten sie und behielten recht.
Aber die junge Frau, die damals die Welt einschließlich Scott durch eine rosarote Brille betrachtete, schlug alle Bedenken und Ratschläge in den Wind. Die Liebe machte sie blind. So blind, dass sie ihn am Ende sogar heimlich heiratete.
Anfangs fühlte sie sich im siebten Himmel, vor allem als sie schwanger wurde. Sie nannten das kleine Mädchen nach Virginias Mutter Eleanor, weil sie hofften, die Eltern dadurch gnädig zu stimmen.
Was auch zunächst funktionierte, denn die Eltern vergaßen den Streit und schlossen Virginia und Ellie, wie sie seit ihrer Geburt genannt wurde, gerührt in die Arme. Selbst mit Scott gaben sie sich angeblich Mühe, wenn sie den Worten der Mutter Glauben schenkte. Leider habe er das nie honoriert, pflegte sie stets hinzuzufügen.
Nicht lange, und die Probleme begannen.
Scotts Begeisterung über seine Rolle als Ehemann und Vater sei rasch abgeflaut, hörte Ellie immer wieder. Er musste aus Geldmangel sein Studium abbrechen und einen Job als Taxifahrer annehmen, von dem sie kaum leben konnten. Ein Darlehen, das die Eltern ihnen anboten, lehnte er rundheraus ab.
Eine alberne Reaktion nach Ansicht von Virginia, die sich daraufhin immer weniger in ihrer kleinen Wohnung und immer häufiger im elterlichen Haus aufhielt, was wiederum Verärgerung bei Scott erzeugte. Auf diese Weise schaukelten sie sich gegenseitig hoch, bis die Sache schließlich eskalierte. Und zwar dadurch, dass Virginias Vater eines furchtbaren Tages schwor, Scott mit einer anderen Frau gesehen zu haben.
Als Virginia ihren Mann zur Rede stellte, beharrte er darauf, dass es sich um eine Kollegin handelte, die überdies dreißig Jahre älter sei als er. Seine Frau weigerte sich, ihm zu glauben. Nachdem ihr Vertrauen ein für alle Mal erschüttert war, dauerte es nicht lange, und die Ehe war am Ende. Virginia kehrte mit ihrer Tochter endgültig zu den Eltern zurück, die sie mit offenen Armen empfingen, und so lernte Ellie, die fast noch ein Baby war, ihren Vater nie bewusst kennen.
Und jetzt drohte sich die Geschichte nach Virginias Überzeugung zu wiederholen, denn ihre eigene Tochter beging den gleichen Fehler wie sie und schlug die mütterlichen Warnungen in den Wind.
Als der Bus anhielt, konzentrierte Ellie sich wieder auf die Gegenwart. Sie befanden sich in einem Ort namens Gig Harbor, dessen Häuser am Hafen sehr malerisch wirkten. Sie hoffte, dass Cedar Cove sich als ebenso hübsch entpuppen würde wie dieses idyllische kleine Städtchen.
»Wie lange dauert es von hier bis Cedar Cove?«, fragte sie, sobald der Fahrer seinen Platz wieder eingenommen hatte.
»Es ist nicht mehr weit.« Er drehte sich um, um sie besser sehen zu können. »Keine vierzig Minuten mehr.«
Ellie bedachte ihn mit einem schwachen Lächeln. Je näher sie dem Ziel ihrer Reise kam, desto nervöser wurde sie. Hatte sie das wirklich getan, fragte sie sich. Einfach loszufahren, um einen wildfremden Menschen zu treffen? Und das zu allem Überfluss gegen den Willen ihrer Mutter?
»Vorher halten wir noch zweimal an«, fügte der Fahrer hinzu, während er den Motor anließ. »In Purdy und Olalla, danach kommt Cedar Cove.«
»Okay.«
»Holt Sie jemand ab?«, fragte der Fahrer und musterte sie im Rückspiegel. »Ein Familienangehöriger oder ein Freund?«
Sie nickte, obwohl es nicht Tom war, der sie erwarten würde.
Zwar hatte er vorgeschlagen, sich in der Werft freizunehmen und sie abzuholen, aber das wollte sie nicht. Es war ihr lieber, wenn sie sich vorher frisch machen, umziehen und hübsch herrichten konnte. Schließlich wünschte sie bei dieser ersten Begegnung so vorteilhaft wie möglich auszusehen. Doch dann hatte Jo Marie ihr bei ihrem letzten Anruf angeboten, sie an der Haltestelle aufzusammeln.
»Sieht aus, als würden wir schönes Wetter bekommen«, meinte die ältere Frau auf der anderen Seite des Ganges, die sich schon die ganze Zeit ausnehmend für Ellie zu interessieren schien. »Für einen kleinen Urlaub ist das die beste Zeit des Jahres. Sie besuchen jemanden, nicht wahr?«
»Ja, so ist es«, bestätigte Ellie.
Die Frau strickte eifrig weiter, ohne auf ihre Hände zu schauen. »Ich komme jedes Jahr hierher, um meine Kinder und Enkel zu besuchen. Tochter und Schwiegersohn arbeiten beide, und ich wollte nicht, dass sie extra einen freien Tag nehmen, um zum Flughafen zu kommen. Mein Enkel holt mich in Olalla ab.«
»Ich bin mit jemandem verabredet, der auf der Marinewerft arbeitet, und treffe ihn zum ersten Mal«, eröffnete Ellie der Fremdem und wunderte sich selbst über diese Freimütigkeit.
Wenn die emsige Strickerin auch nur ansatzweise ihrer Mutter glich, würde sie bald einen missbilligenden Kommentar zu hören kriegen. Aber sie wartete vergebens. Nichts kam. Offenbar gehörte ihre Nachbarin nicht zu jener Spezies, die immer mit dem Schlimmsten rechnete.
»Wir haben uns im Internet über einen Online-Buchklub kennengelernt«, erzählte Ellie weiter, »und dann hat er mir auf Facebook die Freundschaft angeboten … Es ist eine lange Geschichte.« Sie vermutete, dass sich die Frau mit sozialen Netzwerken ohnehin nicht so gut auskannte.
»Heutzutage lernen sich angeblich viele junge Leute auf diese Weise kennen.«
»Möglich. Für mich ist es das erste Date, das so zustande gekommen ist«, erwiderte Ellie. »Ehrlich gesagt bin ich schrecklich nervös.«
»Eine ziemlich romantische Angelegenheit, würde ich sagen.«
Ellie lächelte. Romantisch schon, dachte sie, doch zugleich riskant und dumm.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, mich bereits in ihn verliebt zu haben, obwohl unser Kontakt sich bisher auf Anrufe, E-Mails und SMS beschränkt hat.«
»Meiner Ansicht nach folgt Liebe selten den Gesetzen der Vernunft«, gab die andere zurück. »Ich heiße übrigens Martha.«
»Ellie.«
»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Meine Mutter hält gar nichts von dieser Reise.«
»Es fällt allen Müttern schwer, die Kinder ziehen zu lassen.« Ein nachdenklicher Ausdruck trat auf Marthas Gesicht, als würde sie sich an etwas aus ihrer Vergangenheit erinnern. »Als meine Tochter Marilyn Jack heiratete, fand ich die Vorstellung, dass sie künftig im Staat Washington leben würde, unerträglich. Von New Jersey aus gesehen liegt das immerhin auf der anderen Seite des Landes. Ich war sicher, dass sie einen großen Fehler machte, aber ihr gefällt das Leben hier oben in der Region Pacific Northwest. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, freue ich mich jeden Sommer auf diesen Besuch. Marilyn hat einen Friseursalon in der Harbor Street, der Hauptstraße von Cedar Cove. Und wo sind Sie untergekommen, Liebes?«
»Im Rose Harbor Inn.«
»Kenne ich, eine nette Pension. Wenn man von Marilyns Salon den Hügel hochgeht, kommt man dorthin. Von dem Grundstück aus hat man einen herrlichen Blick über die ganze Bucht.«
ENDE DER LESEPROBE