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Mit dem Antikriegsfilm Die Brücke wurde Volker Lechtenbrink als Fünfzehnjähriger über Nacht berühmt. Später überzeugte er auch als Sänger, Regisseur und Intendant - und immer wieder auf der Theaterbühne. Den "Bruder Leichtfuß", wie ihn der Spiegel einmal nannte, retteten manchmal nur eine Portion Glück und geduldige Freunde. Er erzählt von einer herzlichen, chaotischen Patchworkfamilie, von großen Kollegen wie Hildegard Knef und Anthony Quinn, von Freunden wie Peter Maffay und Kris Kristofferson, von Fußball mit Uwe Seeler und Günter Netzer, von der Neigung älterer Männer zu jüngeren Frauen und vom Glück, ganz allein auf einer kleinen Insel zu sein.
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Seitenzahl: 328
Volker Lechtenbrink
Gib die Dinge der Jugend
mit Grazie auf!
Mein Leben
1. Auflage 2010
Copyright © 2010 by
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
www.hoca.de
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
ISBN 978-3-455-50049-3
Datenkonvertierung eBook:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
www.kreutzfeldt.de
Widmung
Für Robert, Saskia und Sophie
Inhalt
1 In Frankreich 9
2 Die Zunft der Schauspieler 14
3 Wie alles anfing 17
4 Ein Film über die Elbe, Horst Frank und viele Tourneen 25
5 Die Knef 30
6 Was Wolfgang Borchert, Oscar Wilde und Erich Kästner verbindet 37
7 Wie Robert de Niro mein Freund wurde 46
8 Eine frühe Liebe – Nadja Tiller 54
9 Hauptmanns Ratten und weiße Rosen 59
10 Anfängerjahre in Hannover 75
11 König Lear und die geliebten Franzosen 82
12 Der Chef 90
13 Der Durchbruch – Bernhard Wickis Film Die Brücke 98
14 »Ich will Anthony Quinn!« 111
15 Wie Tolstoj meinen Wehrdienst verhinderte 121
16 Wie das losging mit mir und dem Leben 130
17 Von Pilcher und Populärem 136
18 Das Feuerschiff, Schauspielunterricht und Gustav Knuth 143
19 Amerika, früher und später 162
20 Premierenfieber 174
21 Wichtige Menschen, Fußball und ein strapazierter Engel 182
22 Die Großen meines Metiers 197
23 Der Macher in den Charts 210
24 Der Steppenwolf 226
25 Zurück zum Theater! Bad Hersfeld und der Faust in vier Minuten 240
26 Geliebte Pannen und geliebte Präsidenten 259
27 Als Intendant in Bad Hersfeld und »immer gut drauf« 273
28 Vom Geldverdienen und von Wünschen, die bleiben 286
Bildnachweis 304
Hier sitz ich nun in Frankreich auf einem Berg im Luberon, allein mit meinem Hund, ausnahmsweise einmal für kurze Zeit ohne meine Frau, dafür aber mit einer Schreibmaschine und den Worten von Jeannette im Ohr: »Dann mach es doch endlich, schreib es auf, es scheint dir doch was daran zu liegen, da oben hast du Muße, niemand stört dich, gib dir einen Ruck, und du wirst froh sein, wenn du es endlich getan hast.«
Jürgen Flimm, der Regisseur und Großintendant, sagte unlängst fast dasselbe, nur dass er noch nicht wusste, dass ich bald auf einem Berg im Luberon sitzen würde. Eigentlich bin ich viel lieber am Meer, doch hier sitze ich nun schon zum x-ten Mal. Wahrscheinlich, weil ich letztendlich Jeannette nicht widerstehen kann, deren Vorstellung vom Paradies mit der Gegend und dem Flair hier nahezu identisch ist.
Das liegt daran, dass Jeannette, als sie endlich aus Ost-Berlin in die Welt durfte – 1989 also, als die Mauer geöffnet wurde –, mit ihrem damaligen Freund zu seiner Mutter nach Südfrankreich gefahren ist. Die Mutter hatte dort ein Haus gemietet – um zu leben, nicht bloß für den Urlaub –, und das war für Jeannette nach dem ganzen grauen DDR-Leben wie ins Paradies fahren. Da waren plötzlich Lavendelfelder, lebensfrohe Menschen, Musik und Tanz und Lust. Die Mutter ihres Freundes, Christa Rossenbach – auch eine Schauspielerin –, wurde für sie ein Vorbild. So wollte sie sein, so gastfreundlich und lebensfroh und patent und eine gute Köchin obendrein ...
Der Luberon und die Stadt Apt wurden für Jeannette zu einem Sehnsuchtsort. Sie hat zunächst zwei Sommer dort verbracht, und dann starb Christa Rossenbach, mit nur fünfundfünfzig Jahren. Jeannette aber hielt dem Luberon die Treue; später ist sie mit mir hingefahren, hat mir die Gegend gezeigt, in unserem zweiten gemeinsamen Sommer, und danach sind wir sieben Mal wieder hingefahren. Sieben Mal, das ist eine Zahl, die etwas bedeutet. Für mich bedeutete die Gegend zunächst nicht viel – ich wollte erst einmal all das kennenlernen, was sie so faszinierte, wollte wissen, wo sie glücklich war und ob sie wieder so glücklich sein würde, und das war sie dann auch. Jeannette blühte in Frankreich immer total auf, es war ihre Lebensart, es entsprach ihr, und so sind wir fast jedes Jahr ein Mal hingefahren. Manchmal mit meiner Tochter Sophie, manchmal ohne Sophie, einmal sogar mit Billy – also meiner ersten Frau – und Sophie, die aus einer anderen Ehe stammt, ein schönes kunterbuntes Miteinander!
Im Elsass haben wir immer zwei Tage lang eine Pause eingelegt, immer in demselben wunderbaren kleinen Hotel Les Deux Clés – »Die zwei Schlüssel« –, bei einer netten Familie, die auch ein Weingut hat ... Wir sind zusammen durch die Vogesen gewandert und hatten so einen sanften Einstieg in den Urlaub. Eine Art Urlaub vor dem Urlaub. Und dann kam Jeannettes Luberon.
Der Luberon ist ein Gebirgszug, er liegt nicht direkt am Meer, die Städte Avignon und Apt sind etwa vierzig Kilometer voneinander entfernt, auch nach Aix-en-Provence ist es nicht weit. Apt, so eine Art Zentrum des Luberon, liegt zwischen dem Plateau von Vaucluse und dem eigentlichen Gebirgszug in einem Tal, das Calavon heißt. Wohin man schaut, nichts als Rebflächen und Obstplantagen, es ist eine richtig üppige Gegend, bunt und üppig. Besonders gut kann man das von Bonnieux aus sehen. Bonnieux heißt so viel wie »guter Ort«, und das ist, finde ich, auf wunderschöne Weise untertrieben, denn ganz sicher ist Bonnieux eine der schönsten Kleinstädte auf der Welt. Der Ort liegt auf einem Hügel, man blickt weit, weit über das ganze Land ... Man schaut nicht nur anders, man atmet sogar anders, so eine Art Gegend ist das. Ja, Jeannette hatte schon recht mit ihrer Entdeckung, und ich habe es immer genossen, wenn wir zusammen hier waren und einfach nur schauten.
Diesmal allerdings bin ich allein losgefahren mit unserem Hund Gibson, weil Jeannette noch drehen musste in Wismar. Ich bin schon mit dem Vorsatz zu schreiben hierher gefahren. Das hat im letzten Jahr begonnen. Damals hatten wir noch zwei Häuser gemietet – eins nach dem anderen, versteht sich! –, das eine weiter unten im Ort und das andere noch für die letzten vierzehn Tage. Das zweite Haus hatte es mir besonders angetan. Es lag einsam auf einem Berg, ganz simpel, aber sehr geschmackvoll eingerichtet, man kam raus, und da standen dann nur so ein rustikaler Biertisch und eine Holzbank, und man konnte weit über die Landschaft gucken, weit über dieses freie Berggelände ...
Und dort kann man im Grunde nichts anderes machen, als ein Buch zu schreiben. Da hab ich angefangen. Oder da hat es angefangen. Ich hab in einer guten Stimmung begonnen, weil die Welt vor einem Jahr in Ordnung war, und mein Leben war es auch. Der Hund und ich da oben – eigentlich eine schöne Stimmung, eine schöne Art von Alleinsein. Ich hab mich jeden Morgen hingesetzt und gesagt, jetzt geht’s los. Und nun sitze ich wieder da, allein im Luberon, und schreibe weiter, ermutigt von Jeannette, auch wenn sie nicht da ist.
Auch andere haben gesagt: Schreib es auf. Selbst in einem Verkehrsstau bekam ich das ja zu hören! Eben von Jürgen Flimm. Wir saßen in einer Limousine des Produzenten Helmut Ringelmann. Man kann sagen, immer wenn in deutschen Fernsehfilmen geschossen wird, hängt der Ringelmann mit drin. Als Produzent. Derrick, Siska, Der Kommissar, Der Alte – alles mit diesem tollen Mann. Jürgen Flimm und ich und der »Cheffahrer Josef« also im Stau, Jürgen Flimm hatte zuvor verzweifelt versucht, ein Taxi zu bekommen. Er hatte für diesen Tag nahtlos einen Termin nach dem anderen mit hochgehandelten Theaterregisseuren und Intendanten und stand enorm unter Zeitdruck. Also nahm er meine Einladung in den Fond des Wagens meines hochgeschätzten Arbeitgebers gern an. Gegen den Stau war aber kein Kraut gewachsen, und so vertrieben wir uns die Zeit mit Anekdoten: »Weißt du noch ...?«, »Kannst du dich noch an ... erinnern ...?«, »Hast du jemals wieder was von ... gehört?«, »Lebt eigentlich ... noch?« – wir vergaßen die Welt um uns herum, und als wir nach ziemlich langer Fahr- und noch längerer Standzeit endlich vor den Münchner Kammerspielen hielten, sagte Jürgen: »Schreib das alles auf, du kannst das, du musst das machen, sonst wird man die Kollegen und ihre Geschichten vergessen.«
Und genau das will ich nicht, und ein paar von meinen eigenen Geschichten und Gedanken mochte ich auch gern festhalten. So lassen Sie sich einfach ein wenig unterhalten von einem Mann, dem man viele Berufe nachsagt, der unendlich viel ausprobiert hat, Höhen und Tiefen kennt, das Leben liebt und zur Melancholie neigt und den der Spiegel in einem Gespräch »Bruder Leichtfuß« nannte. So nannte der Spiegel übrigens einige Jahre später auch Jürgen Flimm. Sehen Sie, so etwas fällt einem ein, wenn man allein auf einem Berg im Luberon sitzt. Man erinnert sich. Man erinnert sich genau.
Schauspieler sind Egomanen, Mimosen, Traumtänzer, neidisch, immer durstig, dauergeil, lernfaul, größenwahnsinnig, realitätsfremd, jähzornig, Klatschmäuler, Hochstapler, Fremdgänger, geldgierig, verfressen, suchtgefährdet, arrogant, depressiv, feige, kindisch. – Und ungeheuer liebenswert. Manche. Existenzangst ist der Dämon eines Freiberuflers, es gibt Nächte voller Sorgen, schlaflose Nächte, oder man wacht auf, schweißgebadet. Was wird kommen? Wird was kommen? Wenn was kommt, wie wird das sein? Und was kommt danach, wenn überhaupt was kommt? Die Miete muss verdient werden, die Kinder brauchen neue Schuhe, die nächste Leasingrate fürs Auto ist fällig. Vielleicht klappt ja ein Drehtag. Oder ein paar Synchron-Takes. Oder ein Funk-Engagement.
Vor vierzig Jahren, als Günther Neutze, der später berühmte Stahlnetz-Kommissar, nach einer heftigen Premierenfeier halbtot im Bett liegt, gibt es zwar das Fernsehen, aber eher selten ausländische Filme zu synchronisieren, und dazu ein wenig Funk, also Radioarbeiten. Seine Frau versucht, ihn behutsam zu wecken.
»Günther, aufstehen. Du hast um zehn Probe.« »Absagen.«
Etwas später: »Günther, steh doch auf! Du hast um eins Umbesetzungsprobe.«
»Absagen.«
Nun etwas heftiger: »Aufstehen, Günther!! Du hast um drei noch einen Funk.«
Günther streckt die Hand aus: »Tablette!«
Den Schauspieler Robert Atzorn kennen Sie aus der Fernsehserie Unser Lehrer Doktor Specht oder als Kommissar Holicek aus dem Hamburger Tatort. Ein Könner, der seit vielen Jahren gut im Geschäft ist. Mit Atzorn also stehe ich im Fahrstuhl eines Wiener Hotels. Wir haben uns ewig nicht gesehen und stellen einander daher natürlich die obligatorische Frage: »Und? Was treibst du so?«
»Ach, weißt du, im Moment ist alles bestens. Ich dreh hier eine schöne Rolle. Siebzig Drehtage. Aber danach ...?«
Das sitzt einfach ganz tief in uns drin, und dem ist auch mit Logik nicht beizukommen.
Kommt ein Schauspieler zum Arzt. Nach der Untersuchung sagt der Arzt: »Ich muss Ihnen eine traurige Mitteilung machen: Sie haben nur noch drei Monate zu leben.«
Sagt der Schauspieler: »Aber Herr Doktor, wovon denn?«
Eine Schauspielerfamilie: Günther Neutze war der ältere Bruder von Horst-Michael Neutze und dem Jüngsten im Trio, Hans Lothar Neutze. Der ließ das Neutze einfach weg und machte als Hanns Lothar eine sagenhafte Karriere bis zu seinem viel zu frühen Tod. Nicht dass sich die beiden anderen über mangelnde Erfolge beklagen konnten, aber »Hannsi«, wie wir ihn liebevoll nannten, toppte sie halt noch. Das tat ihrer Bruderliebe jedoch keinerlei Schaden an, denn Neid war ihnen ein Fremdwort. Die drei waren unzertrennlich und hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Sie waren das deutsche »Rat Pack« der fünfziger und sechziger Jahre. Ihre Späße waren berüchtigt, ihre bacchantischen Gelage Gesprächsstoff und ihr Stehvermögen legendär. Und: Sie waren Vollprofis im Beruf. Kein Wunder, stammten sie doch alle drei aus der »hannoverschen Ballhof-Schmiede«, einem Theater, dem der einmalige Intendant Kurt Ehrhardt seine Handschrift verlieh und das für seine grandiosen Männerspieler berühmt war. Kurt Ehrhardt (1900–1971) war eine Theaterlegende – Schauspieler, Regisseur und eben auch Theaterleiter. Günter Strack, Heinz Bennent, Rolf Boysen gingen aus seiner Schule hervor. »Als er kam«, erinnert sich der Autor Horst Schule 2008 in einem Beitrag für die Online-Ausgabe der Zeit, »geriet die ganze plüschverträumte Hoftheatertradition, die Hannover in so bemerkenswerter Weise auszeichnete, ins Wanken.«
An dem fulminanten Erfolg hatten natürlich auch ganz phantastische Frauen, hatten Schauspielerinnen ihren Anteil – aber davon später. Und davon, dass auch ich dorthin engagiert wurde, ebenfalls später.
Ich stand schon als Kind auf der Bühne. Ich war zehn, als ich mit ebenjenem »Hannsi« (Lothar) zum ersten Mal spielte. Das Theater war die Bühne des Thalia Theaters in Hamburg, das Stück Fanny von Marcel Pagnol, und ich spielte Hannsis Sohn. Soweit ich mich erinnern kann, war es eine Familienchronik, zum ersten Mal gespielt um 1930. Es geht um eine südfranzösische Familie und um die Hafenstadt Marseille. In Césars Bar am Kai treffen sich die kleinen Leute, wie man so sagt, und nach und nach erfahren wir ihre Geschichte. Das Stück ist später auch verfilmt worden. Vielleicht ist damals schon meine Liebe zu Südfrankreich geweckt worden, wer weiß. Marius ist der Sohn von César, dem Wirt. Er heiratet Fanny, und dann wird die Familiengeschichte erzählt, alles sehr pittoreske Typen. Ich als Cesario – Sohn des Marius – kriegte eine schwarze Perücke auf, weil alle Südfranzosen gefälligst schwarzhaarig sein müssen – mein erstes Theaterstück mit Perücke. Und mein drittes Theaterstück überhaupt. Mein erstes Theaterstück war Lawalu im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, ein Märchen, und »Lawalu« bedeutete »Land Wasser Luft«. Das Ganze fand unter der Regie von Peter Gorski statt, was nur deshalb wichtig ist, weil Gorski der Adoptivsohn von Gustaf Gründgens war – und deshalb saß Gründgens oft bei uns in der Probe. Also kann ich sagen: Ich hab unter den Augen von Gründgens Theater gespielt. Eines Tages hat er mich tatsächlich herangewinkt und gesagt: »Du könntest dir überlegen, ob das nicht ein Beruf für dich sein könnte.« Da war ich zehn Jahre alt. Spätestens von da an hab ich es dann schon genau überlegt, aber wenn ich ehrlich bin: Ich hatte es eigentlich von Anfang an überlegt. Ich hab auch nie an einen anderen Beruf gedacht.
Das zweite Stück war Barfuß nach Athen, ein Stück über Sokrates. Den Sokrates spielte der wunderbare Heinz Klevenow, ein Schauspieler, der mich mit seiner irrsinnig tiefen Stimme beeindruckte, und auch da spielte ich wieder einen Sohn – seinen. Meine Erinnerung daran ist mittlerweile etwas verschwommen, aber die Begegnung mit Hannsi verschwamm nicht. Er hatte da schon so eine väterliche Hand auf mich gelegt, vielleicht hat er ja seine Vaterrolle ernst genommen. Von da an verfolgte er meinen Werdegang, und wir haben uns hier und da getroffen und auch zusammen Fernsehen gemacht.
Das ging los, als ich fünfzehn war. Ich erinnere mich an einen dieser frühen Filme: Der schlechte Soldat Smith. Das war 1963, eine Produktion des Südwestrundfunks. Hannsi spielte darin den Smith, und ich hatte irgendeine kleinere Rolle, aber das war nicht wichtig; wichtig war, dass wir gelegentlich beieinander sein konnten und zusammen spielten. Und viel später, als ich wirklich Schauspieler wurde, konnte ich am Morgen nach einer Premiere die Uhr danach stellen: Wenn ich an meinen Briefkasten ging, war ein Telegramm von Hannsi drin, und darin stand zum Beispiel: »Hab dich gestern gesehen – stop – kannst weitermachen«, oder: »War gut – stop – könntest du vielleicht auch mal beruflich machen – stop – Dein Hannsi«. Da machte ich es aber schon lange beruflich! Das war so seine Art zu flapsen. Es gibt Menschen, die triffst du im Leben und die liebst du einfach, und das war bei uns so.
Dabei war Hanns Lothar eigentlich kein väterlicher Typ, eher ein Hallodri und ein toller Lebemann, aber bei mir hatte er so eine Art fürsorgliche Hand. Ich hegte eine unendliche Bewunderung für ihn, aber nicht aus ehrfürchtiger Distanz, sondern mich ihm dabei nahe fühlend. Immer hatte er Zeit für mich, immer konnte ich mir Rat holen, immer hatte ich das Gefühl, von ihm ernst genommen zu werden und etwas Besonderes zu sein.
1967 ist Hanns Lothar bei den Proben zu Die Caine war ihr Schicksal am Theater in Hamburg gestorben, siebenunddreißig Jahre alt. »Er war ein leptosomer Hans Albers, der noch immer die Tugenden der schlimmen und freizügigen Schwarzmarktjahre zur Schau trug: ein Underdog, doch jederzeit schnodderig und gelassen, ein Davongekommener, der sowohl als Kippensammler wie als Mann im Cockpit gute Figur machte.« Das schrieb der Regisseur Frank Wisbar in seinem Spiegel-Nachruf, und das gefällt mir, bis auf das Wort »leptosom« vielleicht.
Hanns Lothar war wohl mein einziges »Vorbild«, wenn man das so nennen will, und lange Jahre wollte ich auch keinen Tag älter als siebenunddreißig werden und hab einiges dafür getan – bis der Zeitpunkt immer näher kam und ich doch zu sehr am Leben hing.
Den Kapitän Queeg in Die Caine war ihr Schicksal spielte damals Hansjörg Felmy. Ihn werden wir bei einer Feier in Margit Bönischs Münchner Privattheater »Komödie im Bayerischen Hof« ehren. Denn Hannes hat uns verlassen. Er war ein feiner Kerl. Ein Mann, mit dem man Pferde stehlen konnte. Ironisch und vor allem selbstironisch. Und er war einer der beliebtesten Stars, die unser Land je hatte.
Vor Jahren waren wir monatelang mit dem Stück Ein heißes Herz auf Tournee. Das Stück spielt in einem Soldatenlazarett mit Neuseeländern, Australiern, Schotten und Amerikanern, eine ganz bunte Mischung.
Mit Hansjörg Felmy in Ein heißes Herz
Der Amerikaner im Stück heißt Hank und wurde von Hansjörg Felmy gespielt, mit einem ganz kleinen Stottern – eine wahnsinnige Rolle für Hannes. Ich spielte den Schotten Lecklin McLecklin, der nur noch eine Niere hat und sich vor dem Sterben fürchtet. Nein, eigentlich haben die anderen Angst um ihn, denn sie lieben ihn alle, weil er der Jüngste unter ihnen ist. Auch eine schöne Rolle. Da war ich Anfang zwanzig. Übrigens gab es eine einzige Frauenrolle, die hat Marion Michael gespielt, aus der später für eine kleine Weile ein großer Star werden sollte.
Das Stück um das verrückte Lazarett haben Hannes und ich und die anderen ungefähr dreihundertmal gespielt. Und daraus ist die lebenslange Freundschaft mit Hansjörg Felmy entstanden. Hannes hat es dann immer noch weitergespielt – ohne mich, als ich beschlossen hatte, dass nun dringend mal wieder etwas anderes gespielt werden musste –, aber so eine Art von Überdruss war Hannes fremd. Er sagte immer: »Och, weißt du, Kleiner, wenn ich das schon gelernt hab, dann spiel ich’s halt noch ein bisschen weiter, dann muss ich nix Neues lernen!«
Er hat das Stück dann, glaube ich, noch zweihundert weitere Male gespielt. Eine heute unvorstellbar lange Zeit, doch Hannes lernte nicht gern neue Texte, und wenn das Stück erfolgreich lief, die Kollegen stimmten, der Applaus brandete, die Kasse klingelte – warum dann nicht weiter und weiter? Und es hat ja in der Tat einen Riesenspaß gemacht. Wenn wir in unseren großen Wagen in eine neue Stadt einfuhren, drehte einer unserer Kollegen, ein beleibter, vollbärtiger Typ, stets die Scheibe runter und fragte denersten erblickten Einwohner: »Entschuldigen Sie bitte, wo bumsen denn hier die Fremden?«
Beim nächsten Stopp drehte ein hagerer Kollege an der Scheibe, wies in den Fond des Wagens und fragte: »Wo kann ich denn hier diesen Neger abgeben?«, und unser farbiger Darsteller des Blossom, Robert Owens, machte dazu ein mitleiderregendes Gesicht. Ja, so sind Schauspieler – ich habe Sie gewarnt!
Wenn wir das Hotel betraten, sagte Hannes stets an der Rezeption, nachdem er als Star huldvoll die ersten Zeichen von Verehrung entgegengenommen hatte: »Ja, wir freuen uns auch sehr, bei Ihnen zu wohnen, aber um uns richtig wohlzufühlen, müssen wir noch ein wenig die Halle umräumen. Sie haben gewiss nichts dagegen?!«
Wir waren super eingespielt und legten auf dieses Stichwort sofort los. Nach kürzester Zeit stand nichts mehr, wo es vorher gestanden hatte, und die Halle war nicht wiederzuerkennen. Hannes pflegte dann mit großer Geste zu sagen: »So ist es schön. So kann man leben. Wenn Sie das bitte während unseres Aufenthalts so lassen würden.«
»Aber gern, Herr Felmy.«
Und so blieb es dann auch.
Wenn wir nach der Vorstellung besonders gut drauf waren, setzten wir sechs Kerle uns schon mal mit unserer bezaubernden Kollegin Marion Michael zusammen, um etwas Besonderes auszuhecken. Marion Michael war zu der Zeit schon allgemein bekannt aus Liane, das Mädchen aus dem Urwald, der Film war damals eine Sensation, denn sie spielte nackt, nur mit einem Lendenschurz bedeckt – und ihre schönen langen, blonden Haare bedeckten vorn das weibliche Potenzial ...
Hardy Krüger spielte den Mann, den Lover, der sie dann im Urwald entdeckt, der sie zivilisiert und so weiter und so weiter. Der Film war aber nicht nur ein Skandal, sondern vor allem ein riesiger Erfolg, auch wenn Hardy Krüger meinte, es sei der schlechteste Film, den er jemals gedreht habe ... Jeder kannte den Film, und Marion wurde durch diesen einen Film ein großer Star. Sie spielte noch viele weitere Rollen, bis ein schwerer Autounfall ihr ganzes Leben verändert hat. Mit dem Älterwerden hatte sie es dann schwer; der Filmemacher Horst Königstein drehte einen traurigen und liebevollen Film über Marion Michael – »Marion, das Mädchen aus dem Urwald«. Offenbar hatte sie ihn in seiner Jugend genauso beeindruckt wie viele andere junge Leute.
Für uns aber war Marion kein Star, und schon gar kein trauriger. Sie war einfach ein richtig guter Kumpel, und entsprechenden Unsinn konnte man mit ihr aushecken. Zum Beispiel stiegen wir mitsamt Marion, alle nur mit einem Badelaken bekleidet, in den Fahrstuhl und drückten den Knopf zur Halle. Als sich dort die Tür öffnete, schauten wir in die überraschten, ratlosen Gesichter und sagten dann freudestrahlend: »Die Sauna ist besetzt«, und fuhren wieder nach oben. Dort stiegen wir Männer aus, Marion fuhr allein erneut nach unten, die Tür öffnete sich, einige Herren wollten einsteigen, sie aber sagte spitz: »Tut mir leid, Damentag!« – und fuhr wieder hoch. Wir hatten uns inzwischen blitzartig angezogen, stiegen ein, Marion aus. Wir fuhren hinunter, die Tür ging auf, und wir grüßten freundlich. Da kam Marion auch schon die Treppe herunter, und wir fragten sie: »Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?« – Natürlich so laut, dass es jeder hören konnte. Und Marion gab ebenso laut zurück: »Ach, Leute, ich war noch ’ne Runde in der Sauna.«
Dann gingen wir unser Nachtmahl speisen. Zusammen. Immer zusammen. Wenn ich heute von Tourneen höre, dass nach kurzer Zeit keiner mehr mit dem anderen spricht, auf den Raststätten alle an verschiedenen Tischen sitzen, jeder im eigenen Auto fährt, der Hauptdarsteller penetrant auf einem Hotel mit Golfplatz besteht, in dem er dann natürlich allein wohnt – ohne »die Truppe«, da sich kein Tourneeunternehmer leisten kann, dort die ganze Mannschaft unterzubringen –, dann geht mir der Hut hoch. Leute, was ihr nicht alles verpasst! Theater, und besonders Tourneetheater, ist Teamwork. Da muss zusammen gejubelt und gelitten, gefeiert und getrauert werden. Da ist man, wenn man sich darauf eingelassen hat, für die Vertragsdauer Teil einer Künstlerfamilie. Und wie in jeder »ordentlichen« Familie gibt es Oma und Opa, Mama und Papa, Onkel und Tanten, die lieben Kleinen und vielleicht noch ein Haustier. Und die fahren nun über Land und müssen sich gegenseitig schützen, respektieren und die Tage genießen, denn sonst sind solche Tourneemonate verlorene Lebenszeit. Wenn es aber gelingt, ist es der Himmel auf Erden.
Gerade bekam ich eine SMS vom Norddeutschen Rundfunk. Der Redakteur Alexander von Sallwitz schrieb, dass ihm meine Sprecherstimme in einem Film über die Elbe ausnehmend gut gefallen hat. Der Film Land im Gezeitenstrom von Manfred Schulz ist aber auch so ein richtiger Hingucker, es hat mich gefreut, dass so etwas im deutschen Fernsehen möglich ist, und vor lauter Begeisterung haben wir gleich im Studio »beschlossen«, dass wir eine Fortsetzung machen. Na ja, entscheiden werden das andere. Aber gefreut habe ich mich doch sehr – sitze ich ja nun schon vier Tage einsam an meiner Schreibmaschine. Angestarrt von meinem Hund, der das Unternehmen Buch, so scheint es, entsetzlich öde findet. Das ganze Geklapper übt auf ihn offenbar überhaupt keinen Reiz aus. Der Hund ist der Meinung, dass man die Zeit weitaus besser nutzen könnte. Wer weiß? Vielleicht hat er recht. Es ist ungewohnt für einen Schauspieler, so ganz allein zu sitzen und zu arbeiten – und nicht alle Tage eine Reaktion auf seine Arbeit zu bekommen, sei es auf der Probe von einem Regisseur, sei es vom Publikum. Oder am liebsten von Jeannette und allen anderen auch. Aber Jeannette ist nicht hier, und ich mache weiter. Das Kompliment des Leiters der NDR-Geschichtsredaktion hat mich aber schon ein wenig aufgerichtet. Wir sind ein eitles Pack. Und immer brauchen wir Streicheleinheiten. Ja, das ist so. Der Hund schaut mich zweifelnd an. Aber vielleicht will er auch nur eine Wurst.
Horst Frank
Kein Schauspieler kann genug Anerkennung bekommen. Nicht einmal der größte Star. Das war auch bei einem wie Horst Frank nicht anders. Unsere jungen Kollegen lagen ihm zu Füßen. Sie liebten es, wenn er von Afrika und seiner Ranch erzählte oder von den Ateliers in Frankreich, Italien, England, Spanien und Amerika. Von den schönsten Frauen und den männlichsten Männern dieser Welt, mit denen er gearbeitet und manchmal auch gelebt hat. Horsti war ein »Outlaw«. Ihm haftete etwas Geheimnisvolles an, etwas Verruchtes, Verrücktes, Schräges. Er war spannend.
Wir waren mit Woody Allens Kugeln überm Broadway auf Tournee gewesen und spielten das Stück nun bei meiner Freundin Margit Bönisch in München. Kugeln überm Broadway ist in Mafiakreisen angesiedelt, und ich habe Regie geführt und Cheech, den Gangster, gegeben, der zur Bewachung einer Theaterproduktion abgestellt wird, in der das Liebchen des Gangsterbosses die Hauptrolle spielt. Die ist unübertroffen herrlich dämlich, so Marilyn-Monroe-mäßig – also, so wie in manchen Filmen mit Marilyn Monroe. Blond, vollbusig, und sie spricht immer mit so einem albernen kleinen Kiekser, das klassische Revuegirl, das aber prompt als Erstes sagt: »Ich will kein Revuegirl mehr sein!«
Der Mafiaoberboss hat nun also den Gangster Cheech abgestellt, um zu beobachten, dass mit dem Mädchen nichts Falsches passiert auf der Bühne, dass sie richtig präsentiert wird. Horst Frank spielte den Theaterdirektor, der immer mit großem, weißem Schal herumläuft und immerzu zwischen Agenten und Produzenten zu vermitteln versucht und von der Kohle vom Mafiaboss lebt, was ihn nicht daran hindert, ihn zu verabscheuen, weil der ihm immer reinredet, dieser blöde, ungebildete Mafiatyp. Cheech seinerseits, der Aufpasser, verliebt sich während der Produktion – aber nicht in das Mädchen, sondern in das Theater. Die Bühne fasziniert ihn, und auch das scheinbar so untalentierte Mädchen hat plötzlich einen Riesenerfolg, weil sie ganz super spielt. Das Stück ist – einfach verrückt, also, Woody-Allen-mäßig verrückt.
Das ist jetzt zehn Jahre her. Es war die letzte Rolle von Horsti, das letzte Mal, dass er Theater gespielt hat, 1999. Dann sollten wir das Stück noch mal wiederholen, und wir haben es auch wieder aufgenommen, aber da mussten wir ohne Horst auskommen, weil unser Horst gestorben war.
Die jungen Schauspieler vor allem haben ihn sehr vermisst, sie hingen ja wirklich an seinen Lippen. Und tatsächlich hatte er eine unglaubliche Ausstrahlung. Er konnte auch viel erzählen, denn, ja, das war ein satt gelebtes Leben, in jeder Hinsicht.
Mit Jeannette in Kugeln überm Broadway
Weit über hundert Vorstellungen hatten wir mit ihm, immerhin. Jeden Tag kam Horst, wie auch schon auf der Tournee zuvor, gegen vier Uhr ins Theater. Er packte seine Schminkutensilien aus, zündete seine obligatorischen Kerzen an, bügelte manchmal, wenn ihm danach war, auch eigenhändig sein Hemd, setzte sich in seinen Sessel, bekam seinen x-ten Kaffee, steckte sich seine x-te Zigarette an und konzentrierte sich. Schon bald darauf betraten die ersten jungen Mitspieler das Haus. Für sie eigentlich ungewöhnlich früh, aber sie wollten sich die Zeit mit Horst einfach nicht entgehen lassen. Und er genoss es. Tag für Tag. Bei einer solchen Gelegenheit erzählte er ihnen auch, warum er jeden Tag mindestens eine Bockwurst aß – weil er im Krieg im Schützengraben unter unsäglichem Hunger gelitten und fiebrige Wachträume von riesigen Bockwürsten gehabt hatte, hatte er sich geschworen: Sollte er jemals wieder nach Hause kommen, dann würde er jeden Tag eine Bockwurst essen und sie genießen.
Die Wiederholungstournee fand ohne Horsti und seine Geschichten statt. Er war verhindert, wie er sagen würde. Als Erstes wird er da oben wohl eine Bockwurst gegessen haben.
»Stört es Sie, wenn ich schon rauche, während Sie noch essen?«
»Ich weiß es nicht, bisher hat es noch keiner versucht.« Pause.
Ich wollte mitsamt meiner Frage im Boden versinken. Endlich schallendes Gelächter: »Lass sie dir schmecken, Völker, ich qualm gleich mit.«
Das war die Knef. Sie liebte solche kleinen Provokationen, und Tonio, ihr Mann, ebenso. Nichts Schöneres, als Leute aus dem Konzept zu bringen. Zum Beispiel im Hotel: »Wie hätten Sie die Eier gern, Mister Cameron?«
»Am liebsten gestreichelt.«
Wir hatten uns gerade erst kennengelernt und wollten am nächsten Tag mit den Proben zu Mrs. Dally beginnen, einer Arbeit, die uns zwei Jahre lang zusammenschweißen sollte und mich nachhaltig beeindruckte. Als Dritter im Bunde sollte am nächsten Tag noch Günter Pfitzmann dazustoßen, den ich ja schon von der Brücke her kannte und auf den ich mich riesig freute. Doch jetzt brachte mir erst einmal Hilde, wie ich sie sehr schnell nennen durfte, unter Anfeuerungsrufen Artischockenessen bei. »Ja, ziehen, Völker, nicht so kräftig, ja, so ist es fein, und eintunken, ja, und zuzeln.«
Auf diese ermutigende Weise habe ich in den folgenden Monaten einige exquisite Speisen kennen- und richtig zu handhaben gelernt. Auch meine Whiskeykenntnisse wurden extrem erweitert, denn das Paar Knef/Cameron reiste mit einer eigenen Bar. Einem riesigen Schrankkoffer, der, wenn man ihn aufklappte – und das tat man täglich –, die Ausmaße und den Inhalt einer kleinen, gut sortierten Bar hatte. Dafür, dass er immer gut sortiert war, sorgte der unvergleichliche Uli Uhlitz, ein ehemaliger Tänzer, der, und das fasste er durchaus als Kompliment auf, Mädchen für alles war. Für alles, außer für die Maske. Dafür war »Mohrle« zuständig. Und dann gab es noch die Konstellation der Sterne, und dafür war Carroll Righter in Hollywood verantwortlich. Kaum eine wichtige Entscheidung wurde getroffen, ohne den »lieben Carroll« zu befragen. Das hatte sich Hilde in ihrer Broadway-Zeit mit Silk Stockings so angewöhnt, und das behielt sie konsequent bei. Sie war extrem abergläubisch, selbst für eine Künstlerin ungewöhnlich abergläubisch. Die häufigen Anrufe nach Übersee kosteten damals ein Vermögen, aber das scherte sie nicht. Sie hatte es ja, und sie war sorglos im Umgang mit ihrem hart erarbeiteten Geld, dazu noch äußerst großzügig, ja freigebig.
Wenn sie hundert Mark hatte, gab sie garantiert hundertzwanzig aus, und das setzte sich in den weitaus höheren Summen genauso fort. Es sollte sie später einmal in arge Bedrängnis bringen. Doch jetzt war jetzt, und man genoss das Leben, und die anderen, die nicht so viel hatten, sollten mitgenießen. Das unterschied Hilde wohltuend von anderen berühmten Kollegen, die auch gern am Abend in großer Runde am Tisch saßen und feierten, aber garantiert jedes Mal, wenn die Rechnung kommen sollte, auf der Toilette verschwanden, um ein extrem lange dauerndes Geschäft zu erledigen ... Sehr oft waren es Komiker, die auch mal gern bei der Weihnachtsfeier die Tischdekorationen mitgehen ließen oder in Hotels so viel vom Frühstücksbuffet abräumten, dass man annehmen musste, sie würden jetzt gleich in die Stadt fahren, um ihre Beute in karitativen Einrichtungen zu verteilen. (Ich bitte alle Komiker, die nicht geizig sind, um Milde!)
Hilde war ein Star. Hilde war eine Dame, sie war Kumpel, Freundin. Sie war total diszipliniert und arbeitete bis zur Erschöpfung. Für ihre Fans war sie eine Göttin. Die Fans reisten ihr zum Teil nach. Wenn wir in einer neuen Stadt ins Theater kamen, standen sie schon in freudiger Erwartung am Bühneneingang und warteten auf ihren Star. Und immer hatte die Knef ein freundliches Wort für jeden Einzelnen. Immer die Frage nach dem Befinden und immer die Freude darüber ausgedrückt, dass sie ja am Abend auch wieder für die- oder denjenigen spielen dürfe.
Welch ein Unterschied zu jenem »Schlagerkönig«, mit dem ich viele Jahre später das zweifelhafte Vergnügen eines gemeinsamen Auftritts hatte. Der schlich vor dem Auftritt durch einen Hintereingang und dick vermummt in die Halle, schnulzte sich, ununterbrochen Küsschen verteilend, mit seinem Song durch die Reihen seiner Fans, rannte aber sofort nach seinem Auftritt in seine Garderobe, wo er sich, aus Sorge, er habe sich irgendwo mit irgendetwas angesteckt, das Gesicht mit Methylalkohol abwusch, um dann, wie von Furien gehetzt und wieder vermummt, durch den Hintereingang zu verschwinden, durch den er gekommen war. Er wollte nicht »der Meute« begegnen, wie er seine Fans unter uns Kollegen nannte; in Interviews hingegen bezeichnete er sie stets als seine wichtigsten Zuhörer und unbestechlichsten Kritiker ...
Mit Hildegard Knef in den sechziger Jahren
»Die nicht gerechnet, die der Fluss verschlang«, würde Heini Baumann gesagt haben. Heinz Baumann, mein Freund, der Schauspieler. Wir haben in Bad Hersfeld zusammen Amphitryon gespielt. Und der Fluss ist voll von jenen, von denen Heini sprach. Sie merken sicher schon: Hannsi, Hannes, Heini, Hildchen? Nein, das mit den ›H‹ ist Zufall, aber das mit den Kosenamen ist doch so erstaunlich, dass ich’s erwähnen will. Es stimmt schon, wir Schauspieler neigen besonders dazu, jemanden sozusagen zu »verkosen«, wenn wir ihn stark ins Herz geschlossen haben, weil wir dann überlaufen vor Zärtlichkeit und unsere Theatralik uns nicht nur hysterisch und abhängig vom Beifall anderer, sondern eben auch liebevoll und namenserfinderisch macht. Ich habe schon die aberwitzigsten Namen bekommen, einer der normalsten war noch der Knef’sche »Völker«, und diese freigebige Verteilung von Kosenamen bewies mir jedes Mal, dass ich Menschen begegnete, denen ich einen Kosenamen wert war.
Nur meine Frau, Jeannette, hat auch im dreizehnten Jahr noch keinen richtigen Kosenamen für mich finden können, aber ich sage mir: Das beweist mir nur, dass sie die Suche so ausdehnt, um noch ganz lange bei mir bleiben zu können.
Jetzt kann sie aber erst einmal nicht bei mir sein. Gerade kam eine SMS, dass sich zwei Drehtage verschoben haben und daher unser Wiedersehen erst eine Woche später stattfinden wird. So ein Mist! Der Hund ist traurig, und ich würde jetzt gern ein Zigarillo rauchen. Aber das würde dem Hund nicht helfen – und mir schon gar nicht, denn ich habe aufgehört zu rauchen. Nach knapp fünfzig Jahren. Es sind jetzt schon drei Monate, und es ist verdammt hart, aber ich will es, und ich werde es schaffen! Vielleicht komme ich auch deshalb auf so komische neue Ideen wie das Schreiben?
Als ich vor ein paar Jahren das exzessive Trinken aufgab, hat mich das nicht weiter berührt. Ich habe es auf ein Glas Bier oder Wein hier und da reduziert und aus. Rauchfrei ist schwerer. Kleine Ironie am Rande: Als ich meiner Tochter Sophie, die in letzter Zeit bei fast jedem Zigarillo ein Protestgeheul angestimmt hatte, nach der Rückkehr aus ihren Sommerferien voller Stolz mitteilte, dass ich nun abstinent sei, sah sie mich ganz lieb an und sagte: »Und ich rauche jetzt, Paps.« So ist das mit den Kindern.
Amphitryon mit Heinz Baumann in Bad Hersfeld
»Völker« kam übrigens daher, dass die Knef meinte, einer allein könne unmöglich so verrückt sein. Der Meinung waren später noch einige, doch nicht immer fielen die Namen, die sie mir gaben, so »kosig« aus.
Die Tournee, die Hildchen Knef, Günter »Paitze« Pfitzmann und »Völker« Lechtenbrink machten, schlug alle Rekorde. Wir spielten nur in großen Theatern, in vielen Großstädten längere Serien zwischen zwei und vier Wochen, und wir waren jeden Abend bis auf den letzten der Stehplätze, den es in vielen Häusern noch gab, ausverkauft. Wenn wir in eine neue Stadt kamen und am Theater vorbeifuhren, standen dort immer lange Schlangen von Menschen, die noch Billetts erhaschen wollten. Das war natürlich in erster Linie der großen Popularität der aus Amerika heimgekehrten, verehrten Diva zuzuschreiben, aber wir Männer hatten auch unsere Fans, sodass wir alles in allem ein potentes Trio abgaben. Es stimmte einfach alles, die Qualität der Aufführung, der Spaß beim Spielen, die Kollegialität untereinander, die Kritiken, die damals noch von so kompetenten und eleganten Autoren wie Friedrich Luft geschrieben wurden, die Begeisterung des Publikums und der abendliche Abschluss an der kleinen Schrankkofferbar in Hildes Garderobe mit den Honoratioren der jeweiligen Städte, die vor Erregung glühende Wangen hatten und der Knef zu Füßen lagen. Selbstverständlich fanden sich auch haufenweise berühmte Kollegen und Kolleginnen, Couturiers, Klatsch- und andere Journalisten sowie gewisse »Medienzaren« ein. Ich bekam oft den Mund vor lauter Staunen nicht zu. Wen sie alles kannte! Damals wusste ich ja noch nicht, dass ich mal mit Robert de Niro befreundet sein würde.
Zwei Tage war ich fort vom Berg. Für eine Lesung in Homburg an der Saar. Dort habe ich im Großen Haus des Stadttheaters gelesen, das war eine ziemlich beeindruckende Veranstaltung, denn da waren knapp tausend Leute gekommen, was für eine Lesung ziemlich gewaltig ist. Und da war ein tolles Publikum, die Bühne war schön ... Sie merken: Ich schwärme. Aber es kann einfach einen unheimlichen Reiz haben, wenn du allein auf der Bühne sitzt, nur ein Scheinwerfer drauf und eine bescheidene Leselampe. Und wenn du dann so wunderbare Sachen machen darfst. – Gut, ich erzähle jetzt ordentlich, versprochen! Den Abend hab ich so genannt: »Es gibt noch andere, die so empfinden wie ich«, und gleich werden Sie verstehen, woher der Titel kommt, auf den ich ein bisschen stolz bin. Es gibt, so habe ich herausgefunden, eine Parallele – nur für mich, ganz persönlich – zwischen einem Märchen von Oscar Wilde, Der glückliche Prinz, Gedichten von Erich Kästner und der Geschichte Schischyphusch von Wolfgang Borchert, die ich dann nach einer Pause lese. Die drei haben eigentlich, denkt man, nichts miteinander zu tun, weil sie aus verschiedenen Genres, aus verschiedenen Zeiten kommen – Wilde ein Autor des 19. Jahrhunderts in England, Borchert, der traurige Kriegsheimkehrer, der 1946 starb, und der komisch-melancholische Kästner, der 1899 geboren wurde und 1974 starb –, und trotzdem haben sie alle drei, unabhängig voneinander, einmal diesen Satz benutzt: »Es gibt noch andere, die so empfinden wie ich.«
Borchert hat das gesagt, nachdem er aus dem Krieg zurückgekehrt war und gefragt wurde, wie er denn jetzt die Welt empfinde. Da sagte er zunächst: »Ja, zerstört und kalt«, um dann hinzuzufügen: »Es gibt bestimmt noch andere, die so empfinden wie ich.«
Kästner schreibt es in dem berühmten Gedicht Ein Mann gibt Auskunft, und Oscar Wilde hat es während seines Prozesses ausgerufen, als man ihm vorwarf, ein »unnatürliches« Leben zu führen; es ging ja um die homosexuelle Beziehung mit seinem Freund Bosie, und da hat er ausgerufen: »Eure Lordschaft, es gibt noch andere, die so empfinden wie ich.«
Das fand ich spannend, dass drei ganz verschiedene Dichter diesen Satz gesagt haben. Alle drei haben mich eigentlich mein Leben lang beschäftigt. Ich hab immer Kästner gelesen, sehr früh habe ich mir bei meinen Eltern aus der hintersten Reihe Bücher geholt, da fand ich Fabian, der Sittenstrolch – so hieß das Buch damals noch vollständig – von Erich Kästner. Den musste ich schon allein deshalb lesen, weil er so versteckt stand, und sicher war ich auch begeistert, weil es ein ziemlich erotischer Roman ist. Natürlich hatte ich zuvor bereits Das fliegende Klassenzimmer und Pünktchen und Anton gelesen. Das hat mich einfach betroffen und erreicht, was Kästner geschrieben hat: die Beschreibungen von Ungerechtigkeit, wie messerscharf er die Unterschiede zwischen Arm und Reich analysiert, aber nie unmenschlich wird.
Oscar Wilde war ganz früher ein »Hero« von mir. Ich wollte ja immer anders werden als die anderen, ich wollte nie gleich sein, wollte ganz eigen werden. Oscar Wilde hat sehr konsequent sein eigenes Leben gelebt, das hat mir imponiert. Ich mochte zudem die Ironie, ich liebe seine Aphorismen, auch was auf der Tasse hier vor mir steht, die ich extra immer mitreisen lasse, wenn es nach Frankreich geht: »One of my greatest pleasures is to hear myself talk.«