Gisbert der Klarsichtige - Maria Seidemann - E-Book

Gisbert der Klarsichtige E-Book

Maria Seidemann

4,8

Beschreibung

Peggy und Paul staunen nicht schlecht, als Gisbert, der tollpatschige Knappe aus dem Mittelalter, bei ihnen auftaucht. Über ein geheimes Zeitloch in der alten Burgruine ist er in die Jetzt-Zeit gelangt und will bei den Geschwistern bleiben. Na ja, eigentlich würde er genauso gerne ein ruhmreicher Ritter in seiner eigenen Zeit werden - aber er sieht nun mal so schlecht! Für Peggy und Paul steht fest: Erst einmal braucht Gisbert eine Brille, so kann er vielleicht doch noch seine mittelalterlichen Abenteuer bestehen. Doch dann überredet Gisbert Paul, mit ihm in die gefährliche Ritterzeit zu kommen ... Ein neues spannendes Abenteuer mit Gisbert nach >Gisbert der Kurzsichtige<. INHALT: 1. Gisbert ist wieder da 2. Nachrichten aus der Zukunft 3. Alarm auf der Burg 4. Der Sohn eines Penners? 5. Mittelalter ist viel zu stressig! 6. Gisbert der Klarsichtige 7. Rose und Adler 8. Herzog Albin macht Pläne 9. Überraschende Einladung

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Seitenzahl: 69

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Impressum

Maria Seidemann

Gisbert der Klarsichtige

ISBN 978-3-95655-155-0 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 2003 im Deutschen Taschenbuch Verlag, München.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2014 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Gisbert ist wieder da

In der Nacht hat es geregnet. Die Morgensonne scheint auf die feuchten Steinplatten in der Fußgängerzone, Dunstwölkchen schweben über den Pfützen. Gelbe, herzförmige Blätter taumeln von den Linden am Markt.

»Der Sommer ist endgültig vorbei«, mault Peggy. Sie schlenkert ihre Schulmappe am Schulterriemen und stößt bei jedem zweiten Schritt missmutig mit dem Fuß gegen den Bordstein.

Paul zuckt mit der Schulter. »Na und? In vier Wochen sind schon wieder Herbstferien.«

Er zieht seine Schwester beiseite, weil ihnen ein Gabelstapler entgegenkommt. Der Stapler hat einen Turm Tomatenkisten geladen und kurvt geschickt zwischen den Marktständen hindurch. Plötzlich ein dumpfer Knall! Holz splittert, eine Frau schreit auf.

Erschrocken drehen sich Paul und Peggy um. Die ganze Ladung Tomaten ist auf die Steinplatten gekippt! Zerbrochene Kisten liegen zwischen roten, matschigen Haufen.

Quer über den Markt flüchtet eine dünne Gestalt mit flatternden, schulterlangen Haaren. Die Gestalt trägt ein graues, knielanges Hemd, Ledersandalen und am Gürtel einen Dolch.

Verblüfft reißen die Geschwister die Augen auf.

»Das ist doch ...«, murmelt Paul und schiebt seine heruntergerutschte Brille hoch.

»Gisbert!«, schreit Peggy und rennt der Gestalt nach, die in der Rathauspassage verschwunden ist.

Sie holen Gisbert vor der Tiefgarage ein. Er scheint sich gar nicht zu wundern, dass er ihnen hier begegnet.

»Ich habe euch so lange gesucht!«, sagt er vorwurfsvoll und außer Atem von seiner Flucht vor dem Tomatenfahrer. »Gestern habe ich den ganzen Tag vergebens vor eurer Schule gewartet.«

Peggy verdreht die Augen. »Gestern war doch Sonntag! Was machst du überhaupt hier? Wieso bist du nicht zu Hause in deiner Burg? Bist du etwa abgehauen? Durch das Zeitloch?«

Gisbert nickt nur. Schweigend stehen sie einander gegenüber - die Geschwister und der Knappe Gisbert aus dem Mittelalter. Ein unbehagliches Gefühl ergreift von Paul Besitz. Gisberts Auftauchen bringt bestimmt Ärger und einen gewaltigen Haufen Probleme — wie damals in den Sommerferien, als sie Gisbert zum ersten Mal getroffen haben. Als sie zufällig in der Burg das Zeitloch entdeckten und sich plötzlich im zwölften Jahrhundert wiederfanden. Als Gisbert schwer krank wurde und nur deshalb am Leben blieb, weil sie ihn durch das Zeitloch mit in die Gegenwart nahmen und ins Krankenhaus brachten. Paul bekommt jetzt noch Herzklopfen, wenn er an die Gefahren und Verwicklungen zurückdenkt, die sie bewältigen mussten, bis jeder wieder dort war, wo er hingehörte: Gisbert im Mittelalter und die Geschwister zu Hause, in der Gegenwart, in Sicherheit.

»Ich wollte mir doch nur etwas zu essen kaufen«, sagt Gisbert. »Mich hungert so! Ich habe den Wagen nicht gesehen, und die Kisten mit den roten Früchten sind gleich umgekippt, als ich dagegen gestoßen bin.«

Paul kann sich gut vorstellen, wieso Gisbert den Gabelstapler nicht gesehen hat. Schließlich hat er selbst bei seinem unfreiwilligen Aufenthalt in der Burg miterlebt, wie kurzsichtig Gisbert ist. Er müsste eine Brille tragen, denkt Paul, genau wie ich. Nur leider waren die Brillen im zwölften Jahrhundert noch nicht erfunden.

Peggy wühlt in ihrer Schulmappe und hält Gisbert die Frühstücksbox hin. »Du hast Glück, dass unsere Eltern verreist sind. Unsere große Schwester Katrin kümmert sich nicht drum, was wir als Schulfrühstück mitnehmen.«

In der Schachtel liegen Schokoriegel, eine Keksrolle und eine Banane. Gierig greift Gisbert zu.

Paul fragt: »Warum hast du uns gesucht? Warum bist du aus dem Mittelalter abgehauen? Was willst du hier?«

»Burggraf Berko ist tot«, antwortet Gisbert kauend. »Er ist bei dem Kaiserturnier schwer verletzt worden und an seinen Wunden gestorben. Herrin Ingeborg trauert um ihn und kümmert sich überhaupt nicht mehr um mich. Auf der Burg geht alles drunter und drüber. Der Mönch Eilif hat die Macht an sich gerissen. Er benimmt sich, als wäre er der Herr. Schon wochenlang hat er mir keinen Unterricht mehr erteilt. Er schikaniert mich und ermuntert das Gesinde, mich zu verspotten.«

»So ein Mist!«, murmelt Peggy mitfühlend.

»Aber dein Vater«, erinnert sich Paul. »Herzog Albin war doch unterwegs zu Berkos Burg! Haben eure Diener keine Angst, dass dein Vater sie bestraft?«

»Mein Vater ist nicht eingetroffen«, sagt Gisbert. »Wir haben keine Nachricht mehr von ihm bekommen. Wahrscheinlich ist er überfallen und getötet worden. Und Bruder Eilif denkt jetzt, er kann tun, wonach es ihn gelüstet.«

Auf der anderen Straßenseite bremst ein Fahrrad mit auffälligem Zebramuster. Der Fahrer ist ein Junge mit dunklen Locken.

»He, Peggy, du hast ja heute die Ruhe weg!«, ruft er. »Willst du dich vor dem Mathetest drücken?«

»Verdammt«, zischt Peggy. »Hab ich total vergessen! Carlo, du musst mich mitnehmen!«

Sie rennt über die Straße, schwingt sich hinter Carlo auf den Gepäckträger und klammert sich an ihm fest. Schnaufend tritt Carlo in die Pedale.

»Ich komme bestimmt auch zu spät«, sagt Paul hastig. »Ich muss ins Museum, heute ist der erste Tag von unserer Projektwoche!«

»Was immer dieses Wort bedeuten mag«, antwortet Gisbert, »ich komme mit dir.«

Entsetzt wehrt Paul ab. »Kommt nicht infrage!«

Gisbert schaut ihn traurig an. »Ich verstehe. Du schämst dich für mich, weil auch du mich für ungeschickt hältst. Dabei weißt du doch, dass ich kein Tölpel bin — ich sehe nur schlecht! Und ich dachte, du bist mein Freund ...«

»Nein, so habe ich das nicht gemeint«, beteuert Paul. »Aber wie soll ich denn den anderen erklären, wer du bist, die würden mich doch für bekloppt halten.«

»Bekloppt? Was bedeutet dieses Wort? Ist das ein Ausdruck für jemanden, der viele Freunde hat?«

Paul stöhnt. »Pass auf, Gisbert — wir könnten es doch so machen: Ich gehe jetzt zu meiner Klasse und du kehrst zurück ins Mittelalter. Heute Nachmittag treffen wir uns in der Burg, oben auf dem Turm, beim Zeitloch. Du wartest auf deiner Seite und ich komme zu dir rein. Um drei, einverstanden?«

Gisbert schüttelt den Kopf. »Bruder Eilil lässt das Zeitloch bewachen. Ich bin gestern in einem unbeobachteten Augenblick hinausgelangt, als alle zum Gebet an Berkos Sarg unten in der Gruft versammelt waren. Und ich gehe nicht zurück. Nie mehr! Im Technik-Zeitalter gefällt es mir besser als im Mittelalter.«

»Mensch, Gisbert!« Nervös schaut Paul auf seine Uhr. In genau vier Minuten muss er vor dem Museum sein! »Du findest dich doch hier gar nicht zurecht!«

»Deshalb will ich ja mit dir gehen, Paul! Wir sind Freunde, hast du das vergessen? Du hast mir das Leben gerettet und deshalb bist du für mich verantwortlich.«

»Ich nicht«, widerspricht Paul. »Carlos Vater hat dir das Leben gerettet, er hat dich operiert.«

Unschlüssig mustert er Gisberts Kittel, den Gürtel mit dem Dolch, die nackten Beine. Gisbert sieht nicht aus wie der Sohn eines Herzogs, sondern wie einer von den Pennern unten am Hafen. Paul stellt sich vor, was seine Klassenkameraden für Bemerkungen machen werden, wenn er mit Gisbert beim Museum auftaucht. Und erst seine Lehrerin!

Aber auf einmal sieht er, dass Gisbert trotz der warmen Septembersonne friert. So dünn ist er, und ganz grau um Mund und Augen! Wenn er nun wieder krank wird?

»Also gut«, seufzt Paul. Er holt seinen Sportanzug aus dem Rucksack und gibt ihn Gisbert. »Du kannst mitkommen, aber nur unter einer Bedingung: Du ziehst dir andere Sachen an und du hältst den Mund, verstanden? Alles andere besprechen wir hinterher zu Hause.«

In der Einfahrt zur Tiefgarage zieht Gisbert sich um. Das Hemd und den Dolch verstaut Paul in seiner Tasche. Es ist sieben Minuten nach neun Uhr.

2. Nachrichten aus der Zukunft

»Paul, du kommst fast eine Viertelstunde zu spät!«, sagt Frau Hansbach vorwurfsvoll.

»Tut mir leid, aber mein Cousin ist plötzlich gekommen und ... Also, das ist Gisbert. Meine Mutter hat gesagt, ich soll ihn ins Museum mitnehmen.«

»Deine Mutter hat das gesagt? So einfach geht das aber nicht!«

»Er ist ein Spezialist für das Mittelalter«, behauptet Paul. »Bitte, lassen Sie ihn mit reingehen!«

Gisbert legt die rechte Hand aufs Herz, lässt sich auf ein Knie nieder und neigt höflich den Kopf vor Frau Hansbach. »Sei gegrüßt, edle Herrin.«

Damit erzielt er einen Lacherfolg unter Pauls Mitschülern. Am lautesten lacht Melanie. Dabei wirft sie den Kopf zurück, sodass ihre vielen bunten Halsketten klirren.

Frau Hansbach aber ist ärgerlich. »Hört auf mit dem Theater! Diese Projektwoche soll uns natürlich Spaß machen, aber in erster Linie wollen wir dabei etwas über die Entstehung unserer Stadt lernen. Und wenn dein Cousin hier den Clown spielen will, muss er draußen bleiben.«

»Ach bitte, Frau Hansbach!«, sagt Melanie.

Wortlos dreht sich Frau Hansbach um und drückt auf den Klingelknopf neben dem Portal.

Gisbert kniet immer noch auf der Erde. Wütend zieht Paul ihn hoch. »Benimm dich anständig!«

»Mein Verhalten war anständig«, sagt Gisbert beleidigt. »Ich habe deine Herrin angemessen begrüßt.«

Paul stöhnt. »Frau Hansbach ist nicht meine Herrin, sie ist meine Lehrerin.«