Glaubenskämpfer - Johanna Domek - E-Book

Glaubenskämpfer E-Book

Johanna Domek

0,0

Beschreibung

Für Sr. Johanna ist klar: Der aufrichtige Dialog zwischen den Religionen beginnt bei uns selbst. Das vorliegende Buch zeugt davon, was ein Gespräch zwischen den Vertretern verschiedener Weltreligionen auslösen kann, und welchen Erkenntnisgewinn das Miteinander-Sprechen hat. Vor allem aber macht es sich mitten in dieser verwirrenden Welt auf eine Spurensuche des christlichen »Glaubenskampfes" im besten Sinn, in der Bibel, in der monastischen Tradition und letztlich bei uns selbst.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 150

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Johanna Domek

Glaubenskämpfer

Der aufrichtige Dialog zwischen denReligionen beginnt bei uns selbst

Ein CAMINO-Buch aus der

© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2017

Alle Rechte vorbehalten

Für die Texte der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift,

vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe

© 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Umschlagmotiv: © akg-images, Erich Lessing

Josse Lieferinxe (tätig in der Provence 1493–1505/08)

»Die Kreuzigung«, Ausschnitt: Michael im Kampf mit dem Drachen

Paris, Musée du Louvre

Lektorat: Claudia Gröhn

Satz: B. Herrmann, Freiburg

Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín, Tschechische Republik

www.caminobuch.de

ISBN 978-3-96157-013-3

Auch als E-Book erhältlich unter ISBN 978-3-96157-992-1

Inhalt

Vorwort von Thomas Laue

Der aufrichtige Dialog beginnt bei mir selbst

Der persönliche Hintergrund zu den »Glaubenskämpfern«

Die Zusage

Die persönlichen Gründe der Zusage

Eine dringende Botschaft von Papst Franziskus

Muslimische Stimmen

Gefragte Aufrichtigkeit

Kampf, Krieg und Schwert

In den Evangelien

In den Psalmen

In der Offenbarung des Johannes

Motiv: Drachenkampf

In den Briefen des Neuen Testaments

Geistlich kämpfen

Ein Thema der Mönchsväter

Motiv: Vom großen und vom kleinen Dschihad

Kurs: Benediktinisch leben1

Antonius (251–356)

Motiv: Dämonenkampf

Evagrius Pontikus (345–399)

Dorotheus von Gaza (510–580)

Benedikt von Nursia (480–547)

Leben Benedikts

Regel Benedikts

Schlussgedanken

Nachwort von Kutlu Yurtseven

Anmerkungen

Bildnachweis

Danksagung

Autorin

Vorwort

von Thomas Laue

Den Arbeiten des Regisseurs und Autors Nuran David Calis am »Schauspiel Köln« liegt ein besonderes, aus der Sicht des Theaters beinahe schizophrenes Prinzip zugrunde: Für Aufführungen wie »Die Lücke«, die das hinterhältige Nagelbombenattentat des rechtsterroristischen NSU in der Kölner Keupstraße zum Thema hat und in der Anwohner der Straße und Schauspieler des Kölner Ensembles gemeinsam auf der Bühne stehen, oder nun das Religionsprojekt »Glaubenskämpfer« gibt es keinen fertigen Theatertext. Dort, wo normalerweise ausführlich über Rollenprofile und Möglichkeiten der Textinterpretation diskutiert wird, sitzen sich zu Probenbeginn einfach Menschen gegenüber, die sich vorher kaum kennen, und beginnen miteinander zu sprechen. Und gut acht Wochen – so lang dauert am Theater in der Regel ein Probenzeitraum bis zur Premiere – machen sie eigentlich nichts anderes, als einander zuzuhören und sich gegenseitig die Meinung zu sagen. Sie erzählen von sich und ihrer Sicht auf die Welt, von dem, was sie umtreibt, von ihren Hoffnungen und manchmal auch von ihrer eigenen Ratlosigkeit. Und sie reagieren aufeinander und auf das, was sie in den Proben von den anderen zu hören bekommen. Sie fragen nach und geben Antwort, streiten auch und manchmal stellen sie durchaus verwundert fest, dass das, was sie eben noch mit Unverständnis erfüllt hat, schon am nächsten Tag ihre Perspektive verändert oder die eigene, sicher geglaubte Position erschüttert hat. Und gleich danach geht es weiter damit, in die nächste Runde des Gesprächs.

Zur Premiere der Aufführung bekommen die Zuschauer dann nichts anderes zu sehen, als diesen komplizierten Prozess des Miteinanderredens. Sie haben teil an einem intensiven, theatral verdichteten und in eine Struktur gebrachten Gespräch, dass das, was in den Proben noch über Wochen intim miteinander verhandelt wurde, nun in einem zweistündigen Konzentrat öffentlich macht und den Betrachter in einer Art dazugehören lässt, als habe er während der Probenzeit selbst mit am Tisch gesessen. Und selbst hier, im Repertoirebetrieb des Stadttheaters – der auf Wiederholbarkeit angelegt ist und in der die Zuschauer hoffen dürfen, immer ein künstlerisches Produkt von gleichbleibender Qualität erleben zu dürfen, egal, ob sie zur ersten oder zur 35. Vorstellung kommen –, ist der Text der Aufführung nicht endgültig festgeschrieben. Das nun öffentliche Gespräch geht weiter, es verändert sich Abend für Abend und entwickelt sich mit jeder Aufführung weiter, so wie sich die Menschen miteinander entwickeln, die an diesen Abenden zusammen auf der Bühne stehen.

Für eine solche Arbeitsweise braucht es Mut und Courage – Menschen, die bereit sind, sich einerseits mit einer starken Haltung in einen solchen Prozess hineinzubegeben und diese Haltung auch zu erklären und zu behaupten. Die aber andererseits offen genug sind, ihrem Gegenüber zuzuhören und bereit, sich gegebenenfalls auch von ihm erschüttern zu lassen.

Einer dieser Menschen ist Johanna Domek, Ordensschwester der Benediktinerinnen in Köln-Radeberg. Ich bin ihr begegnet, als wir für das Projekt »Glaubenskämpfer« auf der Suche nach Menschen waren, die bereit sind, im Theater über ihren Glauben und über Gott zu reden. In einer Zeit, in der die Frage nach Glauben und Religion wieder stärker ins Zentrum von gesellschaftlicher Auseinandersetzung, aber auch von Politik rücken, und in der sich gleichzeitig vor jedes Nachdenken über Glauben oder jedes innehaltende Reflektieren über Religion die Bilder von Extremismus und Radikalität schieben, haben wir nach Menschen Ausschau gehalten, die die Frage, ob es einen Gott gibt, rundheraus mit »Ja« beantworten und die sich in ihrem Alltag von diesem Glauben an Gott – an ihren Gott – leiten lassen.

Als ich Schwester Johanna das erste Mal in den Besucherräumen des Klosters in Köln gegenübersaß, war ich beeindruckt von ihrer Klarheit und Stärke und gleichzeitig von der Neugier und Offenheit, mit der sie dem Besucher aus der säkularen Welt des Theaters begegnet ist. Ich fühlte mich nicht nur in meinem Ansinnen ernst genommen, sondern durchaus auch durchschaut. Schon das erste Gespräch mit ihr war nicht nur ein professionelles Interviewen einer potenziellen Mitstreiterin für das Projekt, sondern sofort die ernsthafte Auseinandersetzung und gegenseitige Öffnung für die Inhalte des Projektes selbst. Kurz: Ich wusste, sie ist genau die Besetzung, die ich suchte, für die christliche Position bei den »Glaubenskämpfern«, in denen die drei großen monotheistischen Glaubensrichtungen vertreten sein sollten. Sie lehnte zunächst ab. Zu kostbar erschien ihr der kontemplative Alltag in den Räumen des Klosters, zu groß die Gefahr, dass das, wofür sie lebt, während der Probenzeit aufgrund des großen Zeitaufwandes beschädigt werden könnte. Dass sie dann trotzdem eingestiegen ist, hat dann wiederum auf schöne Art mit ganz unterschiedlichen Gruppen von Glaubenden zu tun: Einerseits mit den Theaterleuten, die, wenn sie einmal daran glauben, der Richtigen begegnet zu sein, nur schwer vom Gegenteil zu überzeugen sind und sehr hartnäckig sein können. Und mit der Glaubensgemeinschaft der Ordensschwestern des Benediktinerinnenklosters, die die Theaterleute zum Gespräch eingeladen und danach Schwester Johanna den Rücken gestärkt und sie auf diese Reise in die Welt des Theaters geschickt haben.

Auf der Bühne hat sich das, was die Idee des Projektes war, sehr eingelöst. Es wurde – und wird immer noch – tatsächlich über Gott geredet. Über Gott reden heißt in diesem Fall nicht die Kleriker sprechen lassen oder die Berufsglaubenden – nicht die Imame, nicht die Pfarrer, nicht die Rabbiner. Es geht nicht um eindeutige Antworten, nicht um Erklärungsmodelle von Religionswissenschaftlern oder Philosophen, auch nicht um triumphale Gottesbeweise, nicht um die Schriften und nicht um die Frage, wer denn nun recht hat in der Auseinandersetzung der Religionen untereinander. Sondern es geht um Menschen und ihr Verhältnis zu ihrem Gott. Ein Verhältnis, das niemals ohne Widersprüche ist und das immer ein Ringen bleibt. Es handelt von Menschen, die hier und heute leben und die um etwas kämpfen und fest an etwas glauben, Menschen, die bereit sind, darüber zu sprechen und andere an diesem Gespräch teilhaben zu lassen. Mitten in dieser verwirrenden Welt.

Wie viel ein solches Gespräch auslösen kann, und welchen Erkenntnisgewinn das Miteinandersprechen hat, wenn man auch denen zuhört, die an etwas anderes glauben als man selbst, davon zeugt in beeindruckender Weise dieses Buch.

Der aufrichtige Dialog beginnt bei mir selbst

Ein Jahr liegt zwischen dem Tag, an dem ich zu schreiben beginne, und dem Gespräch, mit dem diese Geschichte begann, genau ein Jahr. Jemand hatte, wie das oft geschieht, um ein Gespräch gefragt. Als wir dann sprachen, gut und lebendig und dazu noch inspirierend, zeigte sich, dass mein Gegenüber, Thomas Laue, damaliger Chefdramaturg am »Schauspiel Köln«, mich fürs Mittun an einem Theaterprojekt gewinnen wollte. Auf die Hintergründe, wie es dazu kam, werde ich gleich eingehen. Aber zuvor möchte ich auf die Quintessenz eingehen, die mich dazu inspiriert hat, dieses Buch zu schreiben.

Das Thema des inneren Glaubenskampfes bewegt mich nachhaltig. Jedoch wurde mir nach den reichen Erfahrungen des Entstehungsprozesses der Dialoge zwischen den Religionen, im Laufe des gesamten Theaterprojektes, bewusst, worin der eigentliche Kern einer verantworteten Auseinandersetzung mit den verschiedenen Religionen liegt: in meinem persönlichen Umgang mit Religion und in meinem Gottesbild. Ich begann, auf dem konkreten Hintergrund der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation, ganz neu, die Texte der Bibel und der monastischen Tradition zu den Themen Kampf, Krieg und Schwert zu befragen. Neben Texten des Alten und Neuen Testaments, wie der Psalmen und Evangelien, traf ich dabei schnell auf Zeugnisse von Menschen, wie den Mönchsvätern Evagrius Pontikus, Antonius oder Benedikt von Nursia, die sich vor allem dem inneren Glaubenskampf gestellt haben. Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse sind brandaktuell und können uns heute, im Umgang mit dem Fremden, ein großer Schatz sein. Klar wurde dabei, dass die ehrliche Auseinandersetzung mit dem anderen erst fruchtbar zu Frieden und Respekt beitragen kann, wenn die eigenen Glaubensangelegenheiten zur Sprache kommen durften. Jede Begegnung lässt uns ja nicht nur den anderen kennenlernen, sie lädt uns vor allem ein, uns selbst besser kennenzulernen. Und eine Auseinandersetzung kann nur gut werden, soweit sie auf der Auseinandersetzung mit sich selbst aufbaut. Von diesem Herzensanliegen wird das vorliegende Buch handeln. Doch zuvor möchte ich auf die Hintergründe eingehen, die diese Auseinandersetzung erst ermöglichten.

Der persönliche Hintergrund zu den »Glaubenskämpfern«

Die Zusage

Das Stück war in der Linie des sogenannten »Recherchetheaters« geplant, und hatte zum Ziel, das Wort von den »Glaubenskämpfern« aufzugreifen und zu thematisieren, das durch die aktuell weltpolitischen Entwicklungen und Brisanz bei vielen neu ins aufgewühlte Bewusstsein gebracht worden war. Das Ganze sollte an einem konkreten Ort verwurzelt sein: der Stadt Köln. Man wollte dabei gläubige Vertreter der drei monotheistischen Religionen ins Gespräch bringen, die gemeinsam mit Kölner Schauspielern – die darin die säkulare Welt zu vertreten hatten – auf der Bühne stehen und miteinander ins Gespräch kommen.

»Der Autor und Regisseur Nuran David Calis hat Glaubende getroffen. Christen. Muslime. Juden. Er hat mit Imamen gesprochen, mit Pfarrern, Rabbinern, einer katholischen Nonne und einem ehemaligen Domprobst. Er hat Hassprediger eingeladen und ist Salafisten begegnet, Konvertiten, radikalen Fanatikern, Dogmatikern und Gelegenheitsbetern. Einige von ihnen stehen nun gemeinsam mit den Kölner Schauspielern auf der Bühne und kämpfen um nicht weniger als das: Unseren Glauben.«1

Dreimal habe ich Nein gesagt, auchwennmichdie Sache von Anfang an faszinierte. Zu viel schien mir dagegen zu sprechen, dass ich als Nonne das auf einer Bühne mitmache. Heute bin ich sehr froh, beim vierten Mal auf die Frage mit Ja geantwortet zu haben. Und ich bin dankbar dafür, dass die Schwestern unseres Klosters dieses Projekt, nicht ohne, dass sie viele Fragen dazu stellten, wohlwollend bejaht und in ihrer interessierten, betenden Weise mitgetragen haben.

Ende Februar 2016 war die Premiere im großen Saal, Depot 1, im »Schauspiel Köln«. Von Anfang an war das Stück von den Medien in Presse, Rundfunk und Fernsehen stark – und bis auf wenige Ausnahmen sehr positiv – aufgenommen worden. Auch vonseiten der Kirche und der Orden gab es nicht wenig lebendiges, ermutigendes Echo. In einem Jahr wurde das Stück zwanzigmal gespielt, einmal davon im Rahmen der Autorentage am »Deutschen Theater« in Berlin, Anfang Februar 2017 im Kontext der Lessingtage am »Thalia Theater« in Hamburg.

Die persönlichen Gründe der Zusage

Abgesehen vom brennenden Thema des auch geistlich so wichtigen Wortes »Glaubenskämpfer«, war es natürlich das Faszinierendste, darüber hinaus in einen Prozess mit Gläubigen anderer Religionen einzusteigen – nicht für einen Abend oder in einer Podiumsdiskussion, sondern in eine länger andauernde Geschichte, in der wir uns immer wieder begegnen würden. Bestechend war auch die Tatsache, dass nicht etwa eine der Religionen, sondern die säkulare, fragende Welt dazu einlud. Das Ganze roch nach einem Glaubensabenteuer, das es zu wagen mir schließlich wert war.

Nicht unerheblich für mich persönlich Ja zu sagen, waren zusätzlich zwei Gründe. Der eine: Vor meinem Klostereintritt, in einer Zeit, in der ich nicht loskam von der Frage nach Gott, obwohl ich nicht mehr glauben konnte, dass es einen Gott gab, hatte ich begonnen, Vergleichende Religionswissenschaft zu studieren. Auf diesem Weg konnte ich mich damals dem Religiösen wieder annähern. Nach nur zwei Semestern Studium, nach einem ersten Feldstudium in dem Kloster, in dem ich heute lebe, und einer alles neu ordnenden Gotteserfahrung dort gab ich das akademische Studium auf und trat ins Kloster ein. Aber was ich in den zwei Semestern Religionswissenschaft gewann, insbesondere auch die phänomenologische Sichtweise auf Formen der Religionen und insbesondere des Gebets, gehört zu dem, was für mein Leben und Verstehen maßgeblich geworden ist.

Der andere Grund: Seit dem Jahr 2008 habe ich immer wieder Jahreskurse und Exerzitien zusammen mit Pater Fidelis Ruppert OSB in der Abtei Münsterschwarzach gehalten. Pater Fidelis ist bewandert und vertraut mit dem Lehr- und Erfahrungsschatz des alten Mönchtums und der benediktinischen Tradition, also der christlichen Glaubenserfahrung vieler Jahrhunderte. In diesen Kursen schöpfen wir daraus und versuchen, Impulse und Hilfe für das heutige Leben der Teilnehmenden mit ihren Fragen, Prägungen und Belastungen zu geben. Immer gehört zu den Themen, die uns da bewegen, auch das »Geistlich Kämpfen«. Die Veröffentlichungen von Pater Fidelis sind Fundgruben dafür.2

Eine dringende Botschaft von Papst Franziskus

Während ich noch um meine vierte Antwort rang, sah ich in den ersten Januartagen 2016 eine Videobotschaft von Papst Franziskus. Darin hieß es: »Der größte Teil der Erdbevölkerung bezeichnet sich als gläubig. Diese Tatsache sollte zu einem Dialog zwischen den Religionen ermuntern. Wir dürfen nicht aufhören, dafür zu beten und mit denen zusammenzuarbeiten, die anders denken. Und weiter: In dieser Vielfalt, in dieser Auffächerung der Religionen gibt es eine einzige Gewissheit, an der wir für alle festhalten: Wir alle sind Kinder Gottes. Es folgte die Einladung, wo es denn möglich wäre, den aufrichtige(n) Dialog zwischen Männern und Frauen der verschiedenen Religionen wahrzunehmen. Er solle Gerechtigkeit und Frieden bringen, so Papst Franziskus. Diese Videobotschaft, in der ein Rabbiner, eine Buddhistin, ein Priester und eine islamische Führungsperson stellvertretend für alle Menschen standen, kam für mich im richtigen Moment und hat mich bei der Entscheidung ermutigt.«3

Muslimische Stimmen

Hellhöriger geworden, hörte ich noch mehr, auch muslimische Stimmen. Denn ebenfalls im Januar 2016 trafen sich in Marakesch (Marokko) 250 Wissenschaftler, Regierungsmitglieder (Sunniten und Schiiten) aus 120 Ländern, eingeladen vom Ministerium für islamische Angelegenheiten und dem Forum für den Frieden in der muslimischen Gesellschaft, dabei auch etwa fünfzig Vertreter anderer Religionen, um miteinander über Fragen der Rechte religiöser Minderheiten in muslimischen Gebieten zu sprechen und zu einer gemeinsamen Erklärung zu finden. Diese wurde am 27. Januar 2016 unterzeichnet und fand weltweit Beachtung. Es ging um eine zeitgemäße Aktualisierung dessen, was es exemplarisch in der sogenannten Charta von Medina im siebten Jahrhundert und manchen Schutzbriefen schon gegeben hat.

»Die Lage in verschiedenen Teilen der muslimischen Welt habe sich aufgrund von Gewalt und bewaffneten Konflikten gefährlich verschlechtert und die legitime Autorität von Regierungen geschwächt«, heißt es laut Bericht weiter in der Erklärung.

»Die Gelehrten rufen islamische Bildungsinstitutionen und Autoritäten auf, ihre Lehrpläne zu überarbeiten. Es gebe Material, das zu Aggression und Extremismus anstifte, zu Krieg und Chaos führe und damit ›zur Zerstörung unserer geteilten Gesellschaften‹.«

An der Konferenz nahmen neben Muftis, Richtern, Rechtsgelehrten und muslimischen Autoritäten auch Nichtmuslime teil. Zu den Rednern der dreitägigen Veranstaltung gehörte der irakische Patriarch Louis Raphaël I. Sako, der unter anderem Christenverfolgung und Diskriminierung im Irak beklagte. Mitverantwortlich für die Auslöschung der Christen im Nahen Osten machte er den Westen (kann/dtj).4

Bereits einige Jahre vorher, am 13. Oktober 2007, hatte es aus dem Königlichen »Aal-al-Bayt-Institut« für islamisches Denken in Jordanien einen Offenen Brief von 138 muslimischen Theologen mit dem Aufruf zu Frieden und Zusammenarbeit an Papst Benedikt XVI. und alle Führer von christlichen Kirchen in der ganzen Welt gegeben.

Darin lese ich: »Die Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Christen ist nicht einfach eine Frage des höflichen ökumenischen Dialogs zwischen ausgewählten religiösen Führern … Christen und Muslime stellen nachweislich mehr als ein Drittel beziehungsweise mehr als ein Fünftel der Menschheit … Wenn Muslime und Christen nicht miteinander im Frieden leben, kann es auf der Welt keinen Frieden geben. Angesichts der schrecklichen Waffen auf der Welt, angesichts der nie zuvor dagewesenen Verflechtung zwischen Muslimen und Christen kann keine Partei einseitig einen Konflikt gewinnen …

Und all diejenigen, die dessen ungeachtet um ihrer eigenen Zwecke willen in Konflikten und Zerstörung schwelgen oder der Ansicht sind, letztendlich aus diesen Gewinn ziehen zu können, wollen wir sagen, dass auch unsere unsterblichen Seelen auf dem Spiel stehen, wenn wir keine ernsthaften Anstrengungen unternehmen, miteinander in Frieden und Harmonie zu leben. Gott sagt im Heiligen Koran: ›Allah gebietet Gerechtigkeit und uneigennützig Gutes zu tun und zu spenden wie den Verwandten; und Er verbietet das Schändliche, das offenbar Schlechte und die Übertretung. Er ermahnt euch, auf dass ihr es beherzigt‹ (Die Biene, 16:90). Jesus Christus hat gesagt: ›Selig, die Frieden stiften …‹ (Matthäus 5,9), und ebenso: ›Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?‹ (Matthäus 16,26).

Deshalb sollten unsere Differenzen nicht zu Hass und Streit zwischen uns führen. Lasst uns vielmehr miteinander um Rechtschaffenheit und gute Werke wetteifern. Lasst uns einander respektieren, lasst uns fair, gerecht und freundlich zueinander sein, lasst uns in einem echten Frieden, in Harmonie und in gegenseitigem Wohlwollen miteinander leben.«5

Gefragte Aufrichtigkeit

Zurück zum Stück. Aufrichtigkeit war gefragt, immer und jetzt war sie gefragt. Denn es sollte in dem Theaterstück ja nicht primär um Religionswissen gehen, sondern der eigene Glaube sollte zu Wort kommen. Man hatte nicht die Kompetenz offizieller Religionsvertreter gesucht, sondern die von Gläubigen mit ihren im Glauben eingebetteten Erfahrungen, und das eben in der Bereitschaft zum Gespräch mit anderen und Andersgläubigen. Anstelle von Theologien sollte der Einstieg über religiös geprägte Biografien geschehen, verortet in einer Stadt, in der wir miteinander leben.

»Wie über Gott reden, wie soll das gehen?«, so beginnt das Stück. Wie ehrlich reden und doch verständlich? Wie viel Zeugnis war nötig, wie viel Vertrauen und Offenheit möglich? Wie konnte man das Eigene deutlich sagen, in der Verschiedenheit, und gleichzeitig ein lebendiger Ausdruck der Ehrfurcht vor dem anderen sein?