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Delysias Schwester Fleur ist verliebt in den jungen Lord Sheldon und ganz London weiß es. Doch Lord Sheldon hat schon eine Verlobte und sein rücksichtsloser Onkel Magnus Fane versucht verbittert ihn davon abzuhalten, einen Skandal zu verursachen. Nach einer folgenschweren Entführung kommt es zu einer Konfrontation zwischen Magnus und Delysia – wird die Liebe siegen?
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Seitenzahl: 221
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2019
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
Im 17. und 18. Jahrhundert galt eine Verlobung als ebenso verbindlich wie eine Eheschließung. Es war unvorstellbar, daß ein Gentleman einen »Rückzieher« machte. In einem solchen Fall würde er gewöhnlich von dem Vater oder einem Bruder der Braut zum Duell gefordert, um ihre Ehre zu rächen.
Eine Verlobung kam zustande durch »den Tausch von Ringen, einen Kuß, einen Handschlag in Gegenwart eines Zeugen«. In Frankreich war auch die Anwesenheit eines Geistlichen erforderlich, und in der englischen Aristokratie war es Sitte, eine Verlobung in der London Gazette, später auch in der Times oder der Morning Post anzuzeigen.
Nach altem jüdischen Brauch war eine Verlobung offiziell vorgeschrieben und ebenso verbindlich wie die Trauung selbst. In Europa hat sich die Verlobung als formeller Brauch vielfach bis heute erhalten.
Doch so manche Verlobung wurde gebrochen, und oftmals brannte einer der Beteiligten kurz vor der Hochzeit durch. Wilhelm der Eroberer verliebte sich in Matilda, eine junge Frau, die bereits einem anderen versprochen war. Er warb auf sehr rauhe Weise um sie ja, er schlug sie sogar, doch sie, verliebte sich in ihn und trug als erste Frau die Krone der Königin von England.
Delysia Langford stieg aus der leichten, nur mit einem Halbverdeck ausgestatteten Postkutsche, die sie vom Land in die Stadt gebracht hatte. Unwillkürlich musterte sie das hohe, düstere Haus, das sie seit geraumer Zeit nicht mehr betreten hatte, mit einem Anflug von Besorgnis.
Sie war ziemlich sicher, daß sie tausenderlei Dinge vorfinden würde, die ihrer Aufmerksamkeit bedurften, sobald sie ihren Fuß über die Schwelle gesetzt hätte. Im Augenblick fühlte sie sich jedoch so ausgelaugt, daß sie nur noch den einen Wunsch verspürte, sich auszuruhen.
Streng ermahnte sie sich, diesen Wunsch rasch zu vergessen, denn gewiß benötigte ihre Schwester Fleur ihre Hilfe, und auch das Haus hier in London dürfte ohne ihre Aufsicht in ziemliche Unordnung geraten sein.
Es war nun über ein Jahr her, seit sich ihr Vater, ein hervorragender Reiter, bei einem Sturz so schwere Verletzungen zugezogen hatte, daß er ihre ganze Aufmerksamkeit und Pflege vierundzwanzig Stunden am Tag in Anspruch genommen hatte.
Sir Kendrick Langford war ein überaus intelligenter Mann, ein anerkannter Pferdezüchter, der von jedermann in der Grafschaft, in der er lebte, bewundert wurde. Doch niemand, nicht einmal seine größten Verehrer, hätten behaupten mögen, daß er ein angenehmer Patient wäre.
Der Reitunfall hatte ihm ein gebrochenes Bein, mehrere angebrochene Rippen und eine ganze Reihe leichterer Blessuren eingetragen, die nur langsam verheilen wollten.
Da es schier unmöglich gewesen war, eine zuverlässige Krankenschwester zu bekommen, abgesehen von der Hebamme des Dorfes, die sich des Nachts mit gelegentlichen Schlückchen Gin wachzuhalten pflegte, war seiner älteren Tochter Delysia die Aufgabe zugefallen, Sir Kendrick von Kopf bis Fuß zu bedienen, ohne dafür auch nur ein Wort des Dankes zu erhalten. Und da er auf einen Sündenbock angewiesen war, mit dem er herumschimpfen konnte, wenn er Schmerzen hatte, war es wiederum Delysia gewesen, die sich nicht nur seine Flüche, sondern auch seine ständige Nörgelei darüber hatte anhören müssen, daß offenbar weder sie noch die Ärzte in der Lage wären, ihn wieder auf die Beine zu bringen.
Doch Delysia liebte ihren Vater hingebungsvoll.
In seinen gesunden Tagen hatte es ihr nicht nur große Freude bereitet, mit ihm auszureiten und ihn bei seinen vielfältigen Unternehmungen zu begleiten, sondern sie hatte ihm auch sehr gern zugehört.
Sir Kendrick war ein äußerst brillanter Mensch mit beträchtlichem Wissen auf vielen verschiedenen Gebieten, und da er keinen Sohn hatte - eine herbe Enttäuschung! -, hatte er Delysia wie einen Jungen erzogen.
Er beriet sich mit ihr, was seine Pferde betraf, und sie war jederzeit bereit, das wildeste von ihnen zu reiten.
Er brachte ihr bei, mit dem Gewehr umzugehen, und wenn sie auch nie an diesem ausschließlich männlichen Sport teilnehmen durfte, wenn Gäste im Haus waren, gingen sie doch oft zusammen auf die Jagd nach Rebhühnern, Fasanen, Tauben und Kaninchen. Mit der Zeit hatte sie sich zu einem beinahe ebenso treffsicheren Schützen entwickelt, wie er selbst einer war.
All diese Vergnügungen hatten jedoch mit jenem Unfall ein jähes Ende gefunden. Sir Kendrick blieb seitdem ans Bett gefesselt, und seine Ansprüche an Delysia wurden so exzessiv, daß schließlich der Hausarzt einschritt.
»Es geht Ihnen jetzt besser, Sir Kendrick«, sagte er mit fester Stimme, »und ich bestehe darauf, daß Sie einen unserer Kurorte, vielleicht Cheltenham oder Harrogate, aufsuchen. Ich bin überzeugt, eine Behandlung mit Massagen, warmen Bädern und anderen Annehmlichkeiten, die Ihnen gewiß zusagen, werden die letzten Spuren Ihrer Verletzungen beseitigen.«
Sir Kendrick hatte sich zuerst geweigert, solch eine Idee überhaupt in Betracht zu ziehen, doch schließlich ein wenig widerstrebend eingeräumt: »Vielleicht haben Sie recht. Ich will nicht den Rest meiner Tage als Krüppel zubringen.«
»Das ist äußerst unwahrscheinlich«, entgegnete der Arzt. »Aber Sie brauchen die richtige Behandlung, die wir Ihnen hier nicht zuteilwerden lassen können, damit Sie bald wieder im Sattel sitzen.«
»Also gut, setzen Sie Ihren Kopf durch«, lenkte Sir Kendrick ein. »Delysia wird schon dafür sorgen, daß ich mich unter all den Invaliden nicht zu Tode langweile.«
»Miss Delysia wird Sie nicht begleiten.«
Sir Kendrick sah ihn erstaunt an.
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich werde ganz offen zu Ihnen sein, Sir Kendrick, da ich Sie nun schon lange Zeit kenne und nicht nur Ihre ganze Familie betreut habe, sondern einen jeden von Ihnen achte und schätze ...«
Er hielt einen Moment lang inne, doch als Sir Kendrick etwas sagen wollte, fuhr er fort: »Ich will mich nicht noch um einen weiteren Invaliden kümmern müssen, was unvermeidbar wäre, falls Miss Delysia nicht strikte Ruhe bekommen sollte.«
»Wovon reden Sie da überhaupt?« grollte Sir Kendrick.
»Ich sage Ihnen ganz offen, Sie haben Ihre Tochter in einem solchen Maße überanstrengt, daß ich fürchte, sie ist nahe an einem Zusammenbruch.«
»Einen solchen Unsinn habe ich mein Lebtag noch nicht gehört!«
»Ist Ihnen eigentlich bewußt, wie viele Stunden sie Sie täglich seit über einem Jahr bedient hat?« entgegnete der Arzt. »Lehnen Sie sich einmal zurück und rechnen Sie nach, wie viele Male Sie sie diese letzte Woche aus dem Bett gerissen haben.«
Sir Kendricks Miene verriet Schuldbewußtsein.
Unbeirrt fuhr der Arzt fort: »Cheltenham dürfte mit seinen Einrichtungen und der ganzen Atmosphäre Ihren Ansprüchen mehr als jeder andere Ort genügen. Wenn Sie dorthin fahren, werde ich Miss Delysia zu ihrem eigenen Vergnügen nach London schicken, was ihr schon die ganze Zeit über besser angestanden hätte, als sich hier als Krankenschwester aufzuarbeiten, ohne dafür Lohn oder Dank zu erhalten.«
Sir Kendrick sah aus, als wollte er seinen Protest anmelden, aber der Arzt fügte hinzu: »Ich finde auch, daß Sie mittlerweile sehr gut ohne Miss Delysia zurechtkommen können, während Ihre andere Tochter, Miss Fleur, sie nötig hätte.«
Sir Kendrick wußte nur zu genau, worauf der Arzt mit dieser letzten Bemerkung anspielte.
Selbst in der tiefen Provinz waren ihnen Geschichten über Fleur zu Ohren gekommen, entweder durch ihre Angehörigen, die von Zeit zu Zeit vorbeigeschaut hatten, um sich nach dem Befinden von Sir Kendrick zu erkundigen, oder, auf mehr versteckte Weise, durch ihre Freunde.
»Was, zum Teufel, treibt Fleur da eigentlich?« hatte Sir Kendrick Delysia erst vor zwei Tagen gefragt.
»Ich habe keine Ahnung, Papa. Du weißt, sie ist eine sehr schlechte Briefschreiberin, und erst gestern abend ist es mir durch den Kopf gegangen, daß es schon sehr lange her ist, seit sie das letzte Mal zu Hause war.«
»Schreib ihr, daß ich sie zu sehen wünsche.«
Delysia hatte dem zugestimmt, doch als sie sich an ihren Sekretär gesetzt und zur Feder gegriffen hatte, war ihr bewußt geworden, daß es vergeudete Zeit wäre.
Sie wußte, Fleur ging das Land auf die Nerven und Vaters Krankheit noch mehr.
»Dieser Ort ist wie ein Leichenschauhaus«, hatte sie sich bei ihrem letzten Besuch beklagt. »Ehe Papa seinen Unfall hatte, kamen wenigstens hin und wieder ein paar Männer auf einen kurzen Besuch hierher, um ihn wegen seiner Pferde zu sprechen, oder ich konnte mit ihm zu einem Jagdtreffen reiten und sicher sein, dort ein paar sympathische Leute zu treffen. Aber jetzt ...«
Sie hatte den Satz mit einer bezeichnenden Geste ihrer Hände abgeschlossen und ihre Schwester angesehen, und Delysia hatte verstanden, daß Fleur nach dem gesellschaftlichen Treiben in London die Wildnis von Buckinghamshire wirklich sehr langweilig vorkommen mußte. Auch ihr selbst fehlten die Reitausflüge, die sie so sehr genossen hatte, die Jagden im Winter und natürlich all die vielen Freunde ihres Vaters.
Diese hatten zu Anfang weder Zeit noch Mühe gescheut, ihn zu besuchen und sich nach seinem Befinden zu erkundigen, doch nachdem Monat um Monat vergangen war, waren ihre Besuche immer spärlicher geworden. Delysia vermutete, daß sie es nicht gerade anregend fanden, neben seinem Bett zu sitzen und den endlosen Klagen über seine Schmerzen zuzuhören.
Jetzt war sie all diesen Belastungen dank der Hilfe des Familienarztes entkommen, aber ihr war klar, daß nun in London ein anderes Problem, nämlich Fleur, auf sie wartete.
Auf den ersten Blick hätte wohl niemand Delysia und Fleur für Schwestern gehalten, so verschieden waren sie in Charakter und Aussehen, doch jede von ihnen war auf ihre eigene Art bildhübsch.
Delysia war von einer Schönheit, die auf den ersten Blick nicht sensationell wirkte, aber wenn die Leute, insbesondere Männer, Fleur das erste Mal sahen, verschlug es ihnen die Sprache. Sie glaubten, ihren Augen nicht zu trauen, und guckten und guckten, bis sie sich überzeugt hatten, daß es sie wirklich gab.
Es war ihre Mutter, Lady Langford, gewesen, die eigens die beiden leicht wunderlichen Namen ihrer Töchter ausgesucht hatte, weil sie beide als Babys so süß gewesen waren.
»Delysia bedeutet entzückend«, hatte sie später zu ihrer ältesten Tochter gesagt, »und du warst nicht nur ein entzückendes Baby, sondern in jeder Beziehung zum Anbeißen. Ich war so begeistert von dir, mein Schatz, daß ich fand, Delysia sei genau der richtige Name für dich.«
»Er ist ziemlich ausgefallen, Mama, und die Leute sind jedes Mal überrascht, wenn sie ihn hören.«
Lady Langford lachte.
»Die Leute lieben Überraschungen, und nicht nur dein Vater hat die vornehme Gesellschaft oft überrascht, sondern auch ich!«
Das war wahr, denn Lady Langford war eine anerkannte Schönheit und tatsächlich einmal heimlich mit einem ausländischen Prinzen verlobt gewesen.
Er war auf einen Besuch nach England gekommen und hatte sich Hals über Kopf in das schönste Mädchen verliebt, das er je zu Gesicht bekommen hatte.
Während Verhandlungen im Gange gewesen waren, um es einem Ausländer und Angehörigen einer europäischen Königsfamilie möglich zu machen, eine Engländerin zur Braut zu nehmen, war sie Sir Kendrick begegnet.
Ausgesprochen fesch und elegant, mit einem Ruf, ein Herzensbrecher zu sein, hatte er einen einzigen Blick auf sie geworfen, und sie auf ihn, und beide hatten gewußt, daß es für sie auf der ganzen Welt niemand anderen von Bedeutung mehr gab.
Da es ihnen eine ganze Menge Unannehmlichkeiten und peinliche Auseinandersetzungen ersparte, hatten sie gemeinsam Reißaus genommen und geheiratet, noch ehe jemand bemerkt hatte, was geschehen war, und Zeit gehabt hätte, Einspruch zu erheben.
Der fremde Prinz war vollkommen verzweifelt. Die Familie von Lady Langford, die am Hof zu dem engen Kreis der persona grata zählte, war über ihr Verhalten völlig aufgebracht und ließ nichts Gutes an ihr, da sie sich unterstanden hatte, so ungestüm zu handeln.
Entgegen aller Voraussagen verlebten die Langfords fünfzehn ausgesprochen glückliche Jahre miteinander, die ihnen wie ein Geschenk des Himmels vorkamen. Dann war Lady Langford im Wochenbett an den Folgen einer Totgeburt gestorben.
Halb außer sich über ihren Verlust, hatte sich ihr Mann in der ersten Zeit auf so ungezügelte und unberechenbare Weise benommen, daß seine Freunde um seinen Gemütszustand ernstlich besorgt waren.
Schließlich hatte er sich, eigenartig genug, aufs Land zurückgezogen und sich nur mehr seinem Pferdesport und der Erziehung seiner beiden Töchter gewidmet.
Es war Delysia gewesen, die gerade vierzehn Jahre alt, begriffen hatte, daß sie sich um ihren Vater kümmern und ihm den Verlust ihrer Mutter, so gut es ging, ersetzen mußte.
Sie hatte auch das Gefühl gehabt, daß sie versuchen sollte, Fleur eine Mutter zu sein, doch war ihr das in weit geringerem Maße gelungen als die Betreuung ihres Vaters.
War ihre Mutter schon hitzköpfig, leidenschaftlich und darauf aus gewesen, ihren eigenen Willen durchzusetzen, so war Fleurs Charakter nicht nur ähnlich veranlagt, sondern in seiner Art tausendmal starrsinniger und, wie Delysia befürchtete, beinahe unkontrollierbar.
Alles was sie wollte, war, sich zu amüsieren, und das hieß von ihrer frühesten Jugend an nichts anderes, als daß sie jeden Mann in ihrer Umgebung dazu zu bringen versuchte, ihr zu Füßen zu liegen.
Da sie so ziemlich das wunderschönste Mädchen war, das ganz Buckinghamshire je zu Gesicht bekommen hatte, fiel ihr das nicht sonderlich schwer.
Schließlich, im Alter von siebzehn Jahren, beschloß Fleur, nach London zu gehen, um den galanten jungen Herren der oberen Gesellschaft, von der sie schon so viel gehört hatte, den Kopf zu verdrehen.
Der König war in jenen Tagen bereits betagt, und allenthalben schien das Leben am Hofe weit weniger ausgelassen und reizvoll als in der Zeit seiner Regentschaft.
Doch einige junge Stutzer, die Fleur bei einigen Anlässen in den wenigen benachbarten Häusern anderer begüterter Familien Buckinghamshires kennengelernt hatte, hatten ihr in den Kopf gesetzt, daß die noble Gesellschaft, in der sie eine wichtige Rolle spielten, nur darauf wartete, eine junge Dame wie sie in ihre Reihen aufzunehmen.
Fleur selbst hatte denn auch Lady Barlow, eine entferntere Verwandte der Langfords, ausfindig gemacht, die von der Idee entzückt war, die Rolle ihrer Gesellschafterin zu übernehmen.
Ohne Vater oder Delysia auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen, hatte es Fleur so einzurichten gewußt, von Lady Barlow am Hofe eingeführt zu werden, als sich der König wieder in London aufhielt.
Das sollte sicherstellen, daß man sie kannte und beachtete; war dieses Ziel einmal erreicht, glaubte sie ihren persönlichen Erfolg so gut wie gesichert.
Sir Kendrick war es immer schwergefallen, Fleur auch nur den geringsten Wunsch auszuschlagen, da sie so sehr ihrer Mutter glich, und hatte ihr erlaubt, in den Augen Delysias geradezu astronomische Summen für Kleider auszugeben.
Er vergaß darüber geflissentlich, daß seine ältere Tochter ihr Debüt in der Gesellschaft bereits zwei Jahre früher hätte absolvieren müssen.
»Ich möchte dich hier bei mir haben«, hatte er gesagt, »später werden wir dann vielleicht das Haus in London herrichten.«
Delysia hatte zugestimmt, weil sie allein zustimmte, was ihr Vater von ihr verlangte.
Genaugenommen war sie auch gar nicht so sehr an dem gesellschaftlichen Leben in der Stadt interessiert und fühlte weder Groll noch Neid, als Fleur sich aufmachte, sich in eine Welt zu stürzen, die in ihren Augen voll abenteuerlicher Erlebnisse war.
Dann, drei Monate später, als es gerade so ausgesehen hatte, als dächte Sir Kendrick daran, nach London zu gehen, schlug das Unheil zu.
Nach dem Unfall war es für Delysia selbstverständlich gewesen, bei ihrem Vater zu bleiben. Dieser verlor allmählich jegliches Interesse daran, zu erfahren, was Fleur so machte und welch zweifellosen Erfolg sie hatte.
Tatsächlich hatte Fleur zu Delysia gesagt, als sie das letzte Mal nach Hause gekommen war: »Es klingt etwas vulgär, aber ich würde sagen, ich bin das Herz-As von St. James.«
»Das freut mich, Liebchen«, antwortete Delysia und dachte bei sich, daß wohl niemand lieblicher aussehen könnte als Fleur mit ihrem goldenen Haar, den blauen Augen und ihrem strahlenden Gesicht.
Fleur hatte nicht nur ein hübsches Gesicht, sie war verführerisch, bezaubernd, übermütig und völlig unberechenbar.
Es dürfte unvermeidlich sein, kam es Delysia in den Sinn, daß andere Frauen auf sie eifersüchtig waren, und Fleur selbst räumte offen ein: »Die ehrwürdigeren Damen rümpfen die Nase über mich und stufen mich als liederlich ein. Natürlich bin ich flotter als diese alten Schnepfen! Ich gehe überallhin, wo sich etwas tut, lasse keine einzige größere Gesellschaft aus und habe an jedem Finger mehr Liebhaber, als ich zählen kann!«
»Hast du schon einmal ans Heiraten gedacht, Liebste?« fragte Delysia. »Du bist immerhin achtzehn, und wenn Mama noch lebte, würde sie dir sicher raten, einen der vielen Anträge anzunehmen, die dir gemacht werden.«
Delysia sprach ein wenig zögernd.
Es würde Fleur gleichsehen, wenn sie nun auf sie losginge und mit einem Redeschwall überschüttete, daß sie keine Lust habe, etwas derart Langweiliges anzustellen, wie zu heiraten, wo es ihr gerade so phantastisch gehe, weil sie frei und ungebunden sei.
Zu ihrer Überraschung stützte Fleur die Ellbogen auf den Tisch, verbarg ihr hübsches energisches Kinn in den Händen und murmelte nachdenklich: »Natürlich habe ich daran gedacht, und ich war sehr versucht, den Antrag des Marquis von Gazebrooke anzunehmen, als er damit an mich herantrat.«
»Warum hast du ihn abgewiesen?«
»Er ist schon beinahe fünfzig und ein altes, aufgeblasenes Ekel«, entgegnete Fleur. »Außerdem hätte er gewollt, daß ich bei ihm in Northumberland in seinem riesigen dunklen Schloß wohnte, seinen Untergebenen den Kopf tätschelte und in guten Taten aufginge.«
Delysia mußte unwillkürlich lachen: »Das hört sich nicht gerade nach deinen starken Seiten an. Doch wäre es gewiß eine brillante Partie gewesen.«
Da Fleur schwieg, fragte sie nach einer Weile besorgt: »Du hast dich nicht etwa verliebt?«
»Nein!« antwortete Fleur entschieden. »Ein jeder, der mir auch nur eine Spur von Herzklopfen verursacht, ist entweder bettelarm oder völlig unbedeutend. Ich bin nicht so dumm, zu so jemandem ja zu sagen.«
»Du solltest dich aber auch daran erinnern«, entgegnete Delysia, »daß sich Mama und Papa Hals über Kopf ineinander verliebt haben und wie glücklich sie miteinander gewesen sind.«
»Ich weiß«, räumte Fleur ein, »doch wir beide sind nicht so dumm, Delysia, um nicht zu wissen, daß das mir eine Chance von eins zu einer Million gewesen ist.«
Sie schwieg einen Augenblick, ehe sie mit kalter Stimme fortfuhr: »In der feinen Gesellschaft heiraten Mädchen wie ich einfach den Höchstbietenden. Anders gesagt, sie angeln sich den Mann mit dem beeindruckendsten Titel und dem meisten Geld. Liebe, heißt es, kommt später.«
Delysia war bestürzt.
»Oh Fleur, so böse darfst du nicht darüber denken, und außerdem ist es nicht wahr. Kannst du dir vorstellen, daß Mama an irgendeinem anderen Mann als an Papa interessiert gewesen wäre? Und hat nicht Papa immer gesagt, daß es für ihn keine andere Frau mehr auf der ganzen Welt gegeben habe, von dem Augenblick an, als er sie das erste Mal gesehen hatte?«
»Ich weiß, ich weiß«, stimmte Fleur verdrossen zu, »aber solche Wunder geschehen heutzutage nicht mehr, zumindest nicht mir.«
»Schön, und was willst du nun tun?« fragte Delysia ein wenig hilflos.
Sie hatte das Gefühl, ihrer jüngeren Schwester nicht eine so große Stütze zu sein, wie sie eigentlich sein sollte.
Aber sie kannte sich so wenig in der Londoner Szene aus, daß sie sich dumm vorkam und nichts auf das zu entgegnen wußte, was Fleur sagte. Sie konnte sie nur reden lassen und dem zuhören, was sie zu berichten hatte.
Ihre Schwester rasselte eine ganze Liste weiterer Bewerber herunter, von denen auch Delysia das Gefühl hatte, daß sie nicht die Richtigen wären.
Entweder waren sie zu alt oder zu jung, ausgesprochen unattraktiv oder verschwendungssüchtig! Einige standen in dem schlechten Ruf, eine Schwäche für schöne Frauen und Alkohol zu haben, und es wäre sinnlos, sich auch nur ihre Namen zu merken.
»Die Wahrheit ist«, schloß Fleur, »ich glaube nicht, daß es überhaupt einen idealen Mann für mich gibt.«
»Es gibt ihn bestimmt«, widersprach Delysia, »aber du mußt die Geduld aufbringen, so lange zu warten, bis du ihn gefunden hast.«
»Wie du bereits festgestellt hast, bin ich inzwischen achtzehn, und die Leute erwarten von mir, daß ich mich verheirate. Meine Rivalinnen beten natürlich, daß es so schnell wie möglich passiere, damit ich ihnen nicht noch mehr Männer abspenstig mache!«
Delysia brauchte nur das bildhübsche Gesicht ihrer Schwester anzusehen, um zu wissen, was für eine Gefahr sie für die ehrgeizigem Pläne der anderen unverheirateten Frauen sein mußte.
Gleichzeitig wußte sie besser als jede andere, daß es Fleur schwerfallen würde, sich mit einem Mann häuslich niederzulassen, es sei denn, er wäre wirklich außergewöhnlich.
Sie redeten noch eine ganze Weile, bis Fleur, die natürlich nicht allein nach Hause gekommen war, sondern in Begleitung zweier Verehrer, die sie zu eskortieren und zu unterhalten hatten, zu der Ansicht gelangte, ihrer Gesellschaft zu bedürfen.
»Morgen früh fahren wir nach London zurück«, verkündete sie. »Harry und Willie finden es in diesem Haus genauso bedrückend wie ich, solange Papa so krank ist und die Diener schlechter Laune sind, weil es zusätzliche Arbeiten zu erledigen gibt.«
Delysia sah schuldbewußt drein.
»Oh, Liebste, das ist meine Schuld«, rief sie. »Wenn du es mich ein bißchen früher hättest wissen lassen, daß du uns besuchen wolltest, hätte ich zusätzliche Hilfen aus dem Dorf besorgen können. Es wäre ein Fehler, mehr Diener anzustellen, solange Papa krank ist. Sie würden sich im Haus nur gegenseitig auf die Füße treten, da es nichts zu tun gäbe. Aber das nächste Mal, bitte, sag mir wenigstens vierundzwanzig Stunden vorher Bescheid.«
Noch während sie sprach, las sie in dem Gesicht ihrer Schwester, daß es kein nächstes Mal geben würde.
»Bitte, Fleur, komm bald wieder nach Hause«, flehte sie. »Dann kannst du mir alles erzählen, was du so tust. Ich mache mir solche Sorgen, daß du ohne Mamas Hilfe Fehler begehen könntest, die du dein Lebtag lang bereuen würdest.«
»Das habe ich nicht vor«, antwortete Fleur, »und obwohl mir meine Cousine Sarah ständig in den Ohren liegt, einen Herzog zu heiraten, will ich in erster Linie glücklich werden.«
»Das ist eine vernünftige Einstellung«, pflichtete Delysia bei.
Gleichzeitig machte sie sich Vorwürfe, nicht mehr darauf geachtet zu haben, daß Fleur die richtige Art von Gesellschafterin hatte.
Sie hatte es völlig übersehen, daß ihre Schwester in jenes Alter gekommen war, in dem ihr die Einschränkungen, die sie auf dem Land zu erdulden hatte, allmählich zu viel wurden. Rückblickend dachte Delysia, daß es ihr wohl möglich gewesen wäre, für Fleur eine bessere Person als Lady Barlow zu finden, wenn sie nur eher bemerkt hätte, was vor sich ging.
Doch sie konnte die Zeiger der Uhr nicht zurückdrehen, und am nächsten Morgen, als sie ihre Schwester in dem eleganten Phaeton davonfahren sah, kutschiert von einem der beiden jungen Galans, während der andere neben ihnen einherritt, hatte sie das Gefühl, Fleur nach einer fernen Welt aufbrechen zu sehen, die sie selbst nie zu Gesicht bekommen würde.
Aber nun war sie auf Drängen des Arztes nach London gekommen.
Ein Diener in der Livree der Langfords, die ihn richtig fesch aussehen ließ, öffnete die Tür des alten Hauses.
»Guten Morgen«, sagte Delysia. »Ich nehme an, Mr. Wrightson hat Ihnen mein Kommen angekündigt.«
»Ja, Miss«, versicherte der Diener und eilte zu der Kutsche, um Delysias Gepäck, abzuladen.
Ehe sie taufgebrochen war, hatte Sir Robert zu ihr gesagt: »Wenn du nach London gehst, will ich nicht, daß du meinen Verwandten in derselben Weise auf der Tasche liegst, wie es Fleur im zurückliegenden Jahr getan hat. Sage Wrightson, er solle das Haus in Betrieb nehmen und alles für dich herrichten lassen.«
»Das Haus in London? Unser eigenes Haus?« hatte Delysia überrascht gefragt. »Aber es leben doch nur mehr die Verwalter dort.«
»Es sind wieder mehr Bedienstete eingestellt worden«, hatte ihr Vater geantwortet. »Ich, habe Wrightson ausgerichtet, daß Fleur jederzeit dort vorbeischauen dürfe. Und einige meiner Freunde haben es als Quartier benutzt, wenn sie nach London gefahren sind.«
»Davon hast du mir überhaupt nichts gesagt, Papa.«
»Ich habe wohl vergessen, es zu erwähnen«, hatte ihr Vater entgegnet. »Jedenfalls haben sich meine Freunde für die Gastfreundschaft bedankt, so daß ich annehme, daß sie mit dem Komfort zufrieden waren.«
Delysia war überrascht gewesen, da sie nicht im mindesten damit gerechnet hatte, daß das Haus in London, wohin ihr Vater so selten fuhr, geöffnet wäre.
Wenn es ihr überhaupt in den Sinn gekommen war, hatte sie abgedeckte Möbel und geschlossene Fensterläden vor sich gesehen, nur das Parterre bewohnt von dem alten Verwalterehepaar.
Doch nun vermutete sie, daß es Fleur gelegen gekommen war, ein Ausweichquartier in London zu ihrer Verfügung zu haben, ungeachtet des Umstandes, daß sie bei ihrer Cousine Sarah wohnte.
Mr. Wrightson war nicht nur der Londoner Rechtsanwalt ihres Vaters, sondern kümmerte sich auch um die übrigen Geschäfte, die auf dem Lande anfielen und hauptsächlich die Pferdezucht, Löhne und sonstige Rechnungen betrafen.
Delysia hatte erwartet, ihn im Haus anzutreffen. Stattdessen begrüßte sie der vertraute Butler, an den sie sich noch aus ihrer Kindheit erinnerte. Mit müden, schlurfenden Schritten mühte er sich den düsteren Korridor hinter dem Stiegenhaus entlang. Die Schuhe schienen ihm nicht mehr richtig zu passen, da seine Füße mit dem Alter zusammengeschrumpft waren.
»Es freut mich, Sie zu sehen, Miss Delysia«, sagte er ein wenig außer Atem. »Ich habe davon gehört, wie schlecht es um Ihren Herrn steht, und gedacht, Sie kämen nie mehr in die Stadt.«
»Jetzt bin ich da«, meinte Delysia lächelnd. »Ich habe gehört, das Haus ist seit einiger Zeit in Benutzung?«
»Ja, wir haben eine Reihe ganz ordentlicher Partys hier gehabt«, entgegnete der alte Newman. »Miss Fleur hat letzte Woche ein großes Dinner gegeben, und sie ist sehr zufrieden mit allem gewesen, was wir für sie getan haben.«
Delysia war äußerst überrascht, wollte es sich jedoch nicht anmerken lassen.
»Weiß Miss Fleur, daß ich heute ankomme?«
»Ja, Miss. Sie hat mir gesagt, ich solle Ihnen ausrichten, daß sie gegen vier Uhr zurück sei.«
»Vielen Dank«, entgegnete Delysia.
Sie ging automatisch auf den Salon im Erdgeschoß zu, von dem sie annahm, daß ihn ihr Vater bei seinen Aufenthalten in London benutzt hatte.
»Der große Saal ist wieder geöffnet, Miss«, sagte Newman. »Miss Fleur hat ihn neu einrichten lassen, und ich bin sicher, es wird Ihnen gefallen.«
Verwirrt ging Delysia die Treppe hinauf.
Wenn Fleur das ganze Haus benutzte, weshalb hatte sie ihr nie etwas darüber geschrieben?
Es schien äußerst verwunderlich, daß sie ihre eigenen Gesellschaften gegeben haben sollte, da sie doch immer betont hatte, wie hocherfreut ihre Cousine Sarah darüber sei, für sie in ihrem Haus in Islington Square aufwarten zu dürfen.
Ich frage mich, was da vor sich gehen mag, dachte Delysia.
Als sie einen Blick in den Saal warf, sah sie, daß er einen sehr attraktiven Eindruck machte, obwohl die Möbel nicht mehr an ihrem gewohnten Platz standen, den Mutter für sie ausgesucht hatte. Ein wahres Blumenmeer schmückte den ganzen Raum, und sie brauchte nur einen flüchtigen Blick auf die Kärtchen zu werfen, um zu wissen, daß sie allesamt für ihre Schwester bestimmt waren.
Da waren Körbe voller Orchideen, kostbare Gestecke langstieliger Nelken, und ein jedes Präsent trug den Namen des Verehrers auf seinem Kärtchen.
Es schien so befremdend, daß all diese Geschenke hierher gesandt worden sein sollten, daß sich Delysia, einem plötzlichen Verdacht folgend, zu Newman umwandte, der mittlerweile nach ihr die Treppe herauf gekommen war.
»Hat Miß Fleur hier gewohnt?« fragte sie.
Der alte Mann sah sie überrascht an.
»Sie wohnt seit zwei Monaten hier, Miss.«