Glücklich sterben? - Hans Küng - E-Book

Glücklich sterben? E-Book

Hans Küng

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Beschreibung

»Gerade weil ich an ein ewiges Leben glaube, darf ich, wenn es an der Zeit ist, in eigener Verantwortung über Zeitpunkt und Art meines Sterbens entscheiden.« Mit diesen Worten stellt Hans Küng die kirchliche Lehre auf den Kopf, denn bisher galt: aushalten, bis zum Schluss, denn allein Gott bestimmt das Lebensende. Seitdem Hans Küng als junger Priester das qualvolle Sterben seines Bruders mit ansehen musste, seit er Zeuge des Dahindämmerns seines Freundes Walter Jens wurde, ist in ihm die Überzeugung gewachsen, dass niemand zu einer solchen Existenz gezwungen sein muss. So verbindet Hans Küng frühere Texte über das Sterben mit seinen Glaubensüberzeugungen und theologischen Einsichten, die er eindrücklich im Gespräch mit Anne Will offenlegte, zu einer klaren Position: »Glückliches Sterben« im Sinne von Hans Küng hat nichts mit »Selbstmord« zu tun, sondern meint ein menschenwürdiges Ende des Lebens.

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Meinen Ärzten, Therapeuten, Pflegern und allen, die mir beigestanden haben, in Dankbarkeit.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2014

ISBN 978-3-492-96776-1

© Piper Verlag GmbH, München 2014 Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ein persönliches Vorwort

»Sie gefährden Ihr ganzes großes Lebenswerk durch Ihr dezidiertes Eintreten für Selbstverantwortung im Sterben.« So oder ähnlich haben sich seit Erscheinen des dritten Bandes meiner Memoiren »Erlebte Menschlichkeit« (Oktober 2013) nicht wenige Freunde und Leser mündlich oder schriftlich mir gegenüber geäußert. Solche Einwände nehme ich sehr ernst, möchte ich doch nicht vor allem mit dem Thema Sterbehilfe der Nachwelt in Erinnerung bleiben. Meine Einstellung zum Sterben kann man letztlich ja nur dann richtig bewerten, wenn man etwas weiß von meinem lebenslangen Bemühen um grundlegende Themen wie die Gottesfrage, das Christsein, ewiges Leben, Kirche, Ökumene, Weltreligionen, Weltethos …

Ich bekenne mich nach wie vor zur ersten der vier »unbedingten Weisungen« eines Weltethos, zur »Verpflichtung auf eine Kultur der Ehrfurcht vor allem Leben«, wie sie das Parlament der Weltreligionen in Chicago 1993 proklamiert hat: »Aus den großen alten religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit vernehmen wir die Weisung: Du sollst nicht töten! Oder positiv: Hab Ehrfurcht vor dem Leben! Besinnen wir uns also neu auf die Konsequenzen dieser uralten Weisung: Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Kein Mensch hat das Recht, einen anderen Menschen physisch oder psychisch zu quälen, zu verletzen, gar zu töten.« Doch gerade weil »die menschliche Person unendlich kostbar und unbedingt zu schützen« ist, und dies bis an ihr Ende, muss genau überlegt werden, was dies im Zeitalter einer Hochleistungsmedizin bedeutet, die das Sterben weitgehend schmerzlos herbeizuführen, aber auch in vielen Fällen beträchtlich hinauszuzögern vermag.

Dieser Problematik möchte ich mich hier in aller Offenheit stellen und möchte gerade niemanden von all den Vielen enttäuschen, denen ich oft über Jahrzehnte in mancher Hinsicht Orientierung geben konnte. Andererseits aber erfahre ich nun so viel Zustimmung und Bestärkung von religiösen wie nichtreligiösen Menschen, die mir dankbar sind für den Mut, gerade als christlicher, ja katholischer Theologe kompetent und ehrlich diese emotional wie politisch schwer belastete und entsprechend kontrovers diskutierte Frage der Sterbehilfe anzusprechen.

Man wird also unterscheiden müssen zwischen dem breiten Konsens in Bezug auf die Ehrfurcht vor dem Leben und dem Dissens bezüglich der Art und Weise einer Sterbehilfe. In den Weltethos-Dokumenten findet man zwar allgemein ein nachdrückliches Plädoyer für Ehrfurcht vor dem Leben, aber keine Stellungnahme zur speziellen Frage der Sterbehilfe, da sich zur Zeit diesbezüglich weder zwischen den Weltreligionen noch innerhalb der einzelnen Religionen ein Konsens feststellen lässt.

Mein Vorstoß bezüglich der Sterbehilfe ist meine höchst persönliche Angelegenheit, nicht etwa die der Stiftung Weltethos. Und so bitte ich denn in aller Bescheidenheit diejenigen, die meine Auffassung teilen, weiter um ihre Unterstützung, und diejenigen, die sie ablehnen, um das Bemühen, meine Auffassung vielleicht besser zu verstehen. Zu diesem Zweck habe ich dieses Buch geschrieben. Es ist kein völlig neues Opus – das habe ich mir 2013 in meinen Abschiedsreden verboten –, aber doch ein neues Opusculum, das jedem Leser eine Klärung und Vertiefung ermöglichen sollte.

Es erfüllt mich mit Dankbarkeit, dass mir noch die Kraft geschenkt war, dieses Buch zu vollenden. Spüre ich doch in der Endphase der Abfassung, wie meine Kräfte schwächer werden und mir auch manche geistige Tätigkeiten zur großen Anstrengung werden. Zweifellos könnte man an einigen Stellen dieses Buches noch weitere Details und Präzisierungen anbringen, doch hat ja mein Buch nicht etwa den Anspruch, die komplexe Frage der Sterbehilfe definitiv zu klären. Vielmehr will es einen Beitrag in einem andauernden Diskussionsprozess leisten und die Stimme eines christlichen Theologen einbringen, der von dieser Problematik selbst existenziell betroffen ist.

Von Herzen danke ich allen, die mir in dieser schwierigen Thematik mit vielfältigem Rat und wichtigen Informationen hilfreich waren, und allen, die ganz praktisch am Entstehen dieses Buches mitbeteiligt waren.

Tübingen, im Juni 2014

Hans Küng

Einleitung: Kann Sterben glücklich sein?

Sind Sterben und Glück nicht klare Gegensätze? »Dieser Mensch hat noch einmal Glück gehabt«, sagt man von einem, der beim Autounfall hart am Tod vorbeikam. Und meint damit das Glück des Zufalls, wofür die englische wie die lateinische Sprache mit »luck« und »fortuna« ein eigenes Wort zur Verfügung haben. Ebenso gibt es mit »happiness« und »beatitudo« ein eigenes Wort für das Glück der Erfüllung.

Der Mensch kann mitten im Alltag das kleine Glück des erfüllten Augenblicks erleben – etwa durch ein gutes Wort, eine freundliche Geste oder durch den Dank für eine von ihm erwiesene Wohltat. Ja, er kann bisweilen auch das große Glück eines momentanen Spitzenerlebnisses erfahren – etwa im Rausch der Musik, in einem überwältigenden Naturerlebnis, in der Ekstase der Liebe.

Nur eines kann der Mensch nicht: einer glücklichen Hochstimmung Dauer verleihen, weder durch Geld noch durch Alkohol oder Drogen. Gewiss vermögen höchst unterschiedliche Informationen im menschlichen Gehirn Endorphine, Glückshormone zu produzieren und so euphorische Glücksgefühle hervorzurufen. Doch Gewöhnung führt zur Abstumpfung; unser neurobiologisches Glückssystem ist nicht auf Dauerbetrieb angelegt. Fausts flehentliche Bitte an den Augenblick höchsten Glücks, »Verweile doch, Du bist so schön!«, kommt nicht von ungefähr und wird nicht erhört.

Ein anderes freilich scheint dem Menschen vielleicht möglich: Statt einer anhaltenden glücklichen Hochstimmung eine durchgehaltene glücklicheGrundstimmung, die ihnselbst in verzweifelten Situationen nicht verzweifeln lässt, sondern sein Vertrauen trägt. Gemeint ist konkret: grundsätzlich einverstanden sein mit dem Leben, wie es nun einmal ist, ohne sich jedoch mit allem abzufinden. Eine glückliche Grundstimmung heißt also ein Leben in Einklang, im Reinen mit sich. Und da frage ich mich: Lässt sich eine solche Grundhaltung nicht auch angesichts aller menschlichen Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit bis hinein ins Sterben durchhalten?

Die »ars moriendi«, die »Kunst des Sterbens«, beschäftigt mich, seitdem in den 1950er-Jahren mein Bruder Georg monatelang an einem unheilbaren Gehirntumor leiden musste, bis er am Wasser in der Lunge erstickte. Sie drängte sich mir besonders auf, seitdem etwa von 2005 an mein lieber Kollege und Freund Walter Jens, obwohl bestens betreut, in seiner Demenz bis zu seinem Tod 2013 dahindämmerte. Diese Erfahrungen bestärkten mich in der Überzeugung: So will ich nicht sterben! Aber sie machten mir zugleich die Herausforderung deutlich, den Zeitpunkt für ein selbstverantwortetes Sterben nicht zu verpassen.

Dies vertraten der Literat Walter Jens und ich in den 1990er-Jahren gemeinsam in Vorlesungen des Studium Generale an der Universität Tübingen und 1995 im gemeinsamen Buch »Menschenwürdig sterben: ein Plädoyer für Selbstverantwortung«, dessen Neuausgabe 2009 ich noch mit »20 Thesen zur Sterbehilfe« und Inge Jens mit einem wertvollen persönlichen Beitrag ergänzte.

Schließlich habe ich 2013 im letzten Kapitel meines dritten Memoirenbandes »Erlebte Menschlichkeit« auf 50 Seiten meine persönliche Krankheitsgeschichte (Parkinson, Makuladegeneration, Polyarthritis in den Fingern …) und meine Haltung zum Sterben beschrieben. Dies legte ich in aller Offenheit dar, nicht zuletzt, um in der deutschen Öffentlichkeit, die noch immer unter dem kollektiven kollektiven Trauma der Nazimorde am angeblich »lebensunwerten Leben« leidet, Verständnis zu wecken für die heutige Problematik eines immer weiter künstlich hinausgeschobenen Lebensendes.

Es gehört für mich zur Lebenskunst und zu meinem Glauben an ein ewiges Leben, mein zeitliches Leben nicht endlos hinauszuzögern. Wenn es an der Zeit ist, darf ich, falls ich es noch kann, in eigener Verantwortung über Zeitpunkt und Art des Sterbens entscheiden. Wenn es mir geschenkt sein sollte, möchte ich gerne bewusst sterben und mich menschenwürdig von meinen Lieben verabschieden. Glücklich sterben heißt für mich nicht ein Sterben ohne Wehmut und Abschiedsschmerz, wohl aber ein Sterben in völligem Einverständnis, in tiefster Zufriedenheit und in innerem Frieden. Das bedeutet im Übrigen auch das in viele moderne Sprachen eingegangene, aber von den Nazis schändlich missbrauchte altgriechische Wort »eu-thanasia«: ein »gutes«, »richtiges«, »leichtes«, »schönes«, »glückliches Sterben«.

Also ein »Requiescat in pace, er/sie möge ruhen in Frieden«. Alles noch zu Ordnende geordnet, in Dankbarkeit und in vertrauendem Gebet. Dies ist nicht nur eine Wunschvorstellung. Ich kenne Menschen, die in diesem Sinn glücklich gestorben sind: Meine Mutter gehört zu ihnen. Diese Haltung gründet für mich letztlich in der Hoffnung auf ein definitiv gelingendes, ewiges Leben, in einer anderen Dimension des Friedens und der Harmonie, andauernder Liebe und bleibendem Glück. Dies ist meine von der Bibel gespeiste Vorstellung von einem glücklichen Sterben.

Damit ist schon deutlich geworden: Solch glückliches Sterben hat nichts zu tun mit einem eigenmächtigen, gar noch zur Provokation der kirchlichen Autorität geplanten unseligen »Selbstmord«, wie mir manche Stimmen in den Medien, aber auch in persönlichen Zuschriften unterstellten. Einzelne Vertreter der »kirchlichen Lehre« aber, von der meine Auffassung abweicht, haben offensichtlich noch nicht begriffen, dass sich auch unser Verständnis sowohl vom Anfang wie vom Ende des Menschenlebens mitten in einem epochalen Paradigmenwechsel befindet, der weder mit der Vorstellungswelt und Begrifflichkeit der mittelalterlichen noch der orthodox-protestantischen Theologie durchschaut und gemeistert werden kann. Heutzutage muss doch die enorme Lebensverlängerung aufgrund der früher unvorstellbaren Fortschritte der modernen Medizin und Hygiene in Betracht gezogen werden; zu berücksichtigen sind aber auch die korrigierenden nachmodernen Einsichten in die Grenzen einer rein naturwissenschaftlich-technisch argumentierenden und operierenden Medizin. Der Sinn für die Notwendigkeit einer die Menschlichkeit schützenden ethischen Fundierung einer ganzheitlichen Medizin ist gewachsen. Auch in der katholischen Kirche besteht seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus Hoffnung auf größere Offenheit und erbarmende Hilfestellung in solchen notorisch schwierigen Fragen. Für ihn ist das Christentum keine abgehobene doktrinäre Ideologie, sondern ein Weg, den man erlernt, indem man ihn geht.

Auf manche in dieser Einführung angesprochenen Fragen war auch die prominente Fernseh-Moderatorin Anne Will in einem Gespräch mit mir eingegangen, das vom Ersten Deutschen Fernsehprogramm ARD am 20.November 2013 ausgestrahlt und vom Sender Phoenix am 2. Januar 2014 wiederholt wurde. Das Gespräch bildet die Plattform meiner weiteren Überlegungen. Ich bin meiner gescheiten und einfühlsamen Gesprächspartnerin von Herzen dankbar dafür, dass sie mir gestattet, diesen lebendigen und ungekünstelten Dialog hier zu veröffentlichen. Wollte ich doch wie gesagt kein völlig neues Buch schreiben, wohl aber zur Klärung und Vertiefung meiner Auffassung beitragen, auch auf schriftlich und mündlich geäußerte Einwände eingehen und dafür auf frühere Texte zurückgreifen sowie neue Kommentare hinzufügen. Einer breiteren Öffentlichkeit – und angesichts der gegenwärtigen Diskussion in Parlamenten, Berufsverbänden, Gerichten und Kirchen besonders Politikern, Ärzten, Juristen und Seelsorgern – möchte ich Stoff zu kritisch-selbstkritischen Reflexionen bieten. Dies alles in der Hoffnung auf eine interessierte und zugleich verständnisvolle Diskussion.

Gespräch mit Anne Will