Goethe würde Metal hören - Caro Blofeld - E-Book

Goethe würde Metal hören E-Book

Caro Blofeld

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Beschreibung

Was ist schlimmer? Noch ein Buch über Schule? Oder noch ein Buch über Corona? Sie haben Glück! Ich nehme Ihnen diese Entscheidung ab: Ich schrieb beides. Anfang 2020 war der ursprüngliche Plan, ein Buch über meine Erfahrungen als (vielleicht manchmal etwas unkonventionelle) Deutschlehrerin zu schreiben. Leider kam dem Schreibfluss eine Pandemie in die Quere. Ich nehme an, Sie haben es mitbekommen. Also das mit der Pandemie. Da ich in erster Linie schreibe, um Erfahrungen und Erlebnisse auf meine eigene (minimal sarkastisch-zynische) Art zu verarbeiten, kam ich also nicht umhin, zusätzlich zu meinen Geschichten zu mir und dem Thema Deutschunterricht, auch den ein oder anderen Gedankengang zum vergangenen Schuljahr »unter Pandemiebedingungen« zu verfassen. Die Mixtur, die am Ende daraus entstand, mutet offen gestanden selbst mir etwas merkwürdig an. Aber wenn Sie mich kennen, dann wissen Sie: Das muss so!

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Inhalt

PLAYLIST

Intro

(Metallica – Welcome Home (Sanitarium))

Über Deutschlehrkräfte

(W.A.S.P. – Teacher)

FCK CRN (Juli 2020)

(Naglfar – A Swarm of Plagues)

Einfach episch

(Equilibrium – Born to Be Epic)

Feminine Fabelwesen

(Nervosa – Raise Your Fist!)

Long Story Short

(Bal-Sagoth – Atlantis Ascendant)

Kleine Welt

(JBO – Wacken is nur einmal im Jahr)

Drama Baby!

(Motörhead – In the Name of Tragedy)

Pudding

(Darkthrone – Too Old Too Cold)

Explicit Lyrics

(Nightwish – Dead Boy’s Poem)

Rhetorische Resterampe - Die Allegorie

(Manowar – Kings of Metal)

Q.E.D.

(Karloff – The Sound of Discipline)

Rhetorische Resterampe – Die Alliteration

(Kreator – Hail to the Hordes)

Sprachver(w)irrungen

(Knorkator – Buchstabe)

Rhetorische Resterampe – Die Anapher

(Black Sabbath – Sabbath Bloody Sabbath)

Lehrergesundheit – Das Leiden hat kein Ende

(Midnight – Degradation)

Rhetorische Resterampe – Die Ellipse

(Pain – Bye/Die)

Next Level Shit

(Korpiklaani – A Man with a Plan)

Rhetorische Resterampe – Der Euphemismus

(Orden Ogan – Come with me to the other side)

Einfach

(Blind Guardian – Mirror Mirror)

Rhetorische Resterampe – Die Hyperbel

(Five Finger Death Punch – 100 Ways to Hate)

Epochaler Exkurs

(Shylmagoghnar – Squandered Paradise)

Rhetorische Resterampe – Die Ironie

(Crematory – Irony of Fate)

Science please! (Juli 2020)

(Mantar – Age of the Absurd)

Rhetorische Resterampe – Die Klimax

(Clawfinger – Biggest & the Best)

Müsli-Stigma

(Paradise Lost – Say Just Words)

Rhetorische Resterampe – Die Metapher

(Judas Priest – Painkiller)

Wes Brot ich ess ... (August 2020)

(Rotting Christ/Moonsorrow – Non serviam)

Rhetorische Resterampe – Der Neologismus

(In Flames – Clayman)

Gefährlicher Salat

(Emperor – Cosmic Keys To My Creations And Times)

Rhetorische Resterampe – Das Oxymoron

(Angel Witch – Angel Witch)

Blofeld proudly presents ...

(Vreid – Speak Goddamnit)

Rhetorische Resterampe - Der Parallelismus

(Sentenced – Killing me, Killing you)

Corona- und andere Eltern (August 2020)

(Children Of Bodom – Children Of Decadence)

Rhetorische Resterampe - Das Pars pro Toto

(Orphaned Land – All Is One)

Fragmentierte Erinnerung

(Finsterforst – Rauschende Nächte)

Rhetorische Resterampe - Die Personifikation

(Bathory – Mother Earth Father Thunder)

Egal

(WIZO – Raum der Zeit)

Rhetorische Resterampe - Die rhetorische Frage

(Black Messiah - Soeldnerschwein)

Goethe würde Netflix kucken ... äh, was?

(Tesla – Last Action Hero)

Rhetorische Resterampe - Der Sarkasmus

(Sepultura – Sarcastic Existence)

Augen zu, Nase raus und durch (Oktober 2020)

(Nocte Obducta – Zurück im bizarren Theater)

Rhetorische Resterampe - Das Symbol

(Kampfar – Icons)

Der Endgegner

(Samael – Baphomet’s Throne)

Rhetorische Resterampe - Die Synästhesie

(… And Oceans – White Synthetic Noise)

Mut zur Bildungslücke

(Death – Lack of Comprehension)

Rhetorische Resterampe - Die Tautologie

(Motörhead – Killed by Death)

Schulklassengesellschaft

(Grave Digger – Rebellion)

Rhetorische Resterampe - Der Vergleich

(Accept – Fast as a Shark)

Rheumatisches Risiko (Januar 2021)

(Lifelover – Led by Misfortune)

Rhetorische Resterampe - Die Wiederholung

(Dope – Spin me Round)

Utopia

(Helloween – Future World)

Rhetorische Resterampe - Der Zynismus

(Venom – Black Metal)

Lektion gelernt?! (Juni 2021)

(Devildriver - Shitlist)

Playlist auf Spotify:

https://spoti.fi/3mI6DsP

Intro

METALLICA – WELCOME HOME (SANITARIUM)

Kuckuck. Ich bin’s wieder.

Falls Sie mein erstes Buch kennen, wissen Sie bereits, worauf Sie sich einlassen. Dann muss ich hier gar nicht lange um den heißen Brei schwafeln.

Falls Sie es nicht gelesen haben: warum nicht? Es ist gut!

Nein, nein, schon ok. Ich bin nur ein kleines bisschen beleidigt und kann Sie beruhigen. Sie haben aufgrund Ihrer exorbitanten Bildungslücke keinerlei Verständnisprobleme zu befürchten, es sei denn, Sie haben in der Schule nie richtig lesen gelernt. (Der Lehrer war schuld, stimmt’s?) Aber anders als bei der Serie Dark, muss man nicht Quantenphysik studiert haben, um meinen Ausführungen folgen zu können.

Ab sofort wird auch gegendert. Beim letzten Mal habe ich das nicht getan. Dafür entschuldige ich mich aufrichtig. Immerhin bin ich Vorbild. Irgendwie. Also, ein bisschen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, dass Sie diesmal hier wirklich etwas lernen sollen. Zum Beispiel, dass Goethe und Heavy Metal zwei Dinge sind, die prima miteinander harmonieren. Und warum man zwingend zwei Staatsexamen benötigt, um ein Fenster zu öffnen. Ihr hart verdientes Geld wird jedenfalls gut investiert sein. Ich komme aus Schwaben, vertrauen Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.

Auch der musikalische Unterhaltungsfaktor wird wieder nicht zu kurz kommen. So beglücke ich Sie in den nachfolgenden Kapiteln erneut mit Stücken feinsten Edelmetalls für die Ohren. Immer mit der leisen Hoffnung im Hinterköpfchen, Sie alsbald in der Metal-Gemeinde begrüßen zu dürfen.

Über Deutschlehrkräfte

W.A.S.P. – TEACHER

In einer Schule in Baden-Württemberg, da unterrichtete eine Deutschlehrerin ...

Zumindest versuchte sie es. Nun ja, sagen wir, sie bemühte sich stets. Dabei erlebte sie tagein tagaus illustre Abenteuer. Sie bezwang Monster (Kolleg*innen), überwand Hindernisse (Dialekt) und errang Erfolge (Ferien).

Nee, Schluss jetzt mit dem intertextuellen Kokolores.

Das Gute an Schule ist: Fast jeder war da und »bildet« sich nun seine eigene Meinung darüber.

Das Beschissene an Schule ist: Fast jeder war da und »bildet« sich nun seine eigene Meinung darüber.

Ob er gefragt wurde oder nicht. Meistens wurde er das übrigens nicht, aber das hindert die wenigsten daran, nichtsdestotrotz oder gerade deshalb, ihre Meinung kundzutun.

Unterrichtet man dazu noch die hiesige Landessprache, fühlen sich sofort alle doppelt kompetent.

Trotzdem (oder wiederum deshalb) denken viele beim Wort »Deutschunterricht« nur an eines: Gelb!

Diese widerlichen kleinen Heftchen, bei deren Anblick sich jedem die genauso gelben Zehnägel hochrollen, der jemals eine deutsche Schule besucht hat.

Ja, der ominöse Herr Reclam hat eine Menge Sachen geschrieben. Und einige davon sind wirklich nur so semi spannend. Manche Menschen wurden zu Schulzeiten durch die pissgelbe Pflichtlektüre gar dermaßen traumatisiert, dass sie es bevorzugen, nie wieder ein Buch anzufassen. (Was man denen auch anmerkt, wenn man ehrlich ist.) Um dem vorzubeugen, habe ich diverse spezielle Strategien entwickelt, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, die aber wiederum bei vielen Deutsch-Kolleg*innen dazu führen mögen, dass denen sich die gelben Zehnägel hochrollen.

Deutsche Lehrerkräfte sind allesamt Akademiker*innen, von denen einige lieber woanders wären. Darf man nie vergessen, wenn man mit denen redet. Das sind die studierten Germanist*innen, die mit Rechtschreib- und Grammatikunterricht grandios unterfordert, ein trauriges Deutsch-Dasein fristen, intellektuell beim Lesen dümmlicher Inhaltsangaben platter Kurzgeschichten verkümmern und in die Tischkante beißen, wenn sie »widerspiegeln« zum gefühlt trillionsten Mal falsch lesen müssen. Dieses akademische Defizit muss dann in den Pausen im Lehrerzimmer ausgeglichen werden, was sich in geschwollenen Gesprächsduellen zwischen Sprachwissenschaftler*innen äußert. Am Ende gewinnt der- oder diejenige, der oder die die meisten exotischen Fremdwörter in viel zu lange hypotaktische Satzgefüge stopft, bis selbst Heinrich von Kleist in Tränen ausbrechen würde.

Manchmal findet man aber auch den Antagonisten des unterforderten Übergermanisten: Den Zweitfach-Verzweifler. Das sind die, die zu Studienbeginn fix noch ein zweites Fach gebraucht haben, da dies nun leider Voraussetzung dafür ist, in Deutschland den Lehrberuf auszuüben. Dann nimmt man da halt Deutsch. Kann man ja schon. (Das, meine lieben Leser*innen, war Ironie! Diese wird Ihnen im Laufe dieser Ausführungen eventuell noch häufiger unter die Augen kommen. Zur Sicherheit blättern Sie kurz auf Seite 107.)

Dass eine rudimentäre Kenntnis der deutschen Sprache zwar ganz hilfreich in einem Germanistikstudium sein kann, man damit allein aber keinen literarischen Blumentopf gewinnt, merkt man spätestens im Einführungsseminar Literaturwissenschaft, wo man feststellt, dass man da ganze Bücher lesen muss. Obwohl man das in der Schule doch schon so gehasst hat, weil die eigene Deutschlehrkraft so eine Niete war.

Oh! Moment.

Wir befinden uns gerade an einem Punkt der Erkenntnis. Lassen Sie uns darum kurz innehalten und das zelebrieren ...

Ok, reicht.

Fragen Schüler*innen im Deutschunterricht, warum zum Henker sie nun genau diesen alten Schinken eines schon längst sich unter der Erde befindenden Hoschis lesen müssen (und das werden sie fragen, vertrauen Sie mir), dann lautet die Antwort eines Zweitfach-Verzweiflers unter Umständen: »Das weiß ich jetzt auch nicht.«

Zack, schon ist eine ganze Generation potenziell lektürebegeisterter Nachwuchsliteraten versaut.

Wenn Sie jetzt denken, bei einem Über-Germanisten müsste der gegenteilige Effekt eintreten. Nope.

Die exorbitante Mega-Begeisterung für Geschichten alter weißer Männer, die meist seit Jahrhunderten megatot vor sich hinschimmeln, mündet meist in einer megapeinlichen Trotzreaktion der Lehrkraft. Denn wenn sie feststellt, dass ihre Schüler*innen die Begeisterung bestenfalls albern finden und sich einen Scheißdreck für Goethe oder Schiller interessieren, fühlen sich einige Deutschlehrer*innen in höchstem Maße persönlich angegriffen, was dann wiederum in langjährigen Grabenkämpfen zwischen Beschulten und Beschulendem münden kann.

Sie sehen also: Weder In- noch Überkompetenz sind in dieser Sache von Nutzen.

Achso, ich wollte Ihnen doch eigentlich etwas über meinen Deutschunterricht erzählen und Sie klüger machen.

Jetzt ist das Kapitel allerdings schon recht lang geraten. Das möchte ich Ihrer Konzentration nicht zumuten. Schließlich sollen Sie hier was lernen. Darum gönne ich Ihnen am besten eine kleine Pause vom Deutschunterricht und wir sehen uns in ein oder zwei Kapiteln hier wieder. Aber nicht zu spät kommen! Sonst nachsitzen!

FCK CRN (August 2020)

NAGLFAR – A SWARM OF PLAGUES

Noch im Juli 2020 hatte ich mir fest vorgenommen, nichts über fucking Corona zu schreiben. Allein aus dem Grund, da jeder, inklusive mir selbst, bis obenhin gepflegt die Schnauze voll von diesem Thema hatte. Viel lieber hätte ich etwas dazu geschrieben, wie völlig am Arsch die Kulturbranche seither ist. Im Gegensatz zu politisch ausschlachtbaren Themen scheint das so ziemlich allen scheißegal zu sein. Künstler*innen betreuen nicht gratis die Blagen und bringen künftig auch keine Wählerstimmen für die CDU. Außer vielleicht Dieter Nuhr.

Ich möchte gerne darüber schreiben, wie sehr mir Konzerte fehlen. Und Festivals. Und Kabarett. Und Theater. Aber ich werde natürlich hauptsächlich über Schule schreiben. Als ob das Thema in den Medien bisher vernachlässigt worden wäre. Dabei tummeln sich seit April in fast jeder Talkshow illustre »Bildungsexpert*innen«. Das ist die Sorte Mensch, die das letzte Mal eine Schule von innen gesehen hat, als Adenauer seine erste Kanzlerschaft absolvierte.

Mit Corona begann im März 2020 ein munteres mediales »Hau-den-Lehrer«. Eltern, Politiker*innen, Journalist*innen. Alle wollten (gerne auch ungefragt) erklären, wie Lehrer*innen ihren Job korrekt auszuführen hätten.

Darum müsste ich über Schule in Zeiten der Pandemie gar nichts mehr sagen. Denn alle anderen wissen anscheinend selbst am besten Bescheid.

Was ich Ihnen aber erzählen kann, ist, wie ich persönlich diese seltsame Zeit erlebe. Völlig subjektiv. Fern von öffentlichem Dauergenöle und politischem Dudeldei. Ich gehöre nicht zu den oben beschriebenen ›Bildungsexpert*innen‹, werde also auch nicht in Talkshows eingeladen. Meine eigene Schulzeit ist nur knapp zwanzig Jahre her. Und ich unterrichte auch erst seit zehn Jahren selbst. Also entschuldigen Sie bitte meine lückenhafte Expertise.

Auch ich habe, wie eigentlich jeder außer denen mit Ahnung, noch bis lange in den März 2020, Covid-19 als nebensächlich und ungefährlich abgetan. Doch nach und nach wurde mir klar, dass wir dieses Mal vielleicht nicht so glimpflich davonkommen könnten. Mein typisch deutsches Wohlstands-Unverwundbarkeitsgefühl bröckelte. Trotzdem hätte ich bis zuletzt nie damit gerechnet, unsere eiserne Bildungsministerin würde vor einem lächerlichen Virus klein beigeben und die Schulen dichtmachen.

»Wie geht es jetzt weiter?«

»Wann dürfen wir wieder in die Schule?«

»Dürfen wir überhaupt unseren Abschluss machen?«

Die Ohnmacht, auf die Fragen meiner Schüler*innen keine Antwort zu haben, machte mich komplett fertig.

Dazu kamen meine eigenen:

»Darf ich bald wieder unterrichten?«

»Wird es danach noch allen gut gehen?«

(Werden es überhaupt alle überleben?)

Wenige Stunden vor der Schulschließung im März 2020 bekamen wir, wenn schon nicht von ganz oben, dann doch von unserer Schulleitung, konkretere Anweisungen. Zum Glück verfügt unsere berufliche Schule über eine vergleichsweise hervorragende digitale Infrastruktur. Über einen internen Messenger sollten wir unsere Klassen erreichen können. Es entbehrte natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass ein paar Kolleg*innen die Anleitung für dieses digitale Tool zunächst in Papierform ausgehändigt werden musste. Prima Voraussetzung für den nun anstehenden Fernunterricht.

Ich hingegen blieb ausnahmsweise verhalten optimistisch. Übers Wochenende erstellte ich Pläne, wann ich welcher Klasse welche Infos via besagtem Messenger zukommen lassen wollte. Voller Tatendrang setzte ich mich montags zu Dienstbeginn an den heimischen Privat-PC (ja, Lehrkräfte bezahlen ihre Arbeitsgeräte in der Regel selbst. Anderes Thema). Ich loggte mich in den Messengerdienst ein ... Server down. Überlastet.

Stunden später warf ich mein erarbeitetes Konzept über den Haufen und suchte nach Alternativen, die nicht nur daraus bestehen sollten, alle Arbeitsblätter als PDF stupide im Schulnetzwerk hochzuladen. Weitere Stunden später, als ich fluchend alle Arbeitsblätter stupide als PDF im Schulnetzwerk hochgeladen hatte, stellte ich aber eines fest:

Ich jammerte auf ganz schön hohem Niveau.

Welche Schulen verfügten überhaupt über digitale Kommunikationswege, die zusammenbrechen könnten? Das kam wiederum solchen Lehrkräften zu Gute, die Angst hatten, bei Verwendung eines Computers versehentlich das Internet zu löschen oder die Apokalypse auszulösen. (Obwohl: letztere haben wir ja schon. Wer von euch war das?) Deshalb ließen diese Kolleg*innen es gleich. Ja freilich gab es die Lehrkräfte, die sich in den Monaten der Schulschließung und des Fernunterrichts nen faulen Lenz gemacht haben. Oder dachten Sie ernsthaft, die mutieren während einer Pandemie plötzlich zum Superlehrer? Wer vorher schon dachte, Unterricht bestehe daraus, dreißig Jahre lang dieselben alten Arbeitsblätter auszuteilen, warum sollte der plötzlich megahippen Online-Unterricht schmeißen? Das sind dann genau die, die als Pars pro Toto der gesamten schwarmintelligenten Lehrerschaft den medialen und elterlichen Shitstorm befeuern. Natürlich gibt es die vereinzelt an fast jeder Schule. Aber überall gibt es auch genau das Gegenteil davon. Und den großen grauen Rest irgendwo dazwischen. Zu dem gehöre auch ich.

Ich war dankbar für jedes digitale Instrument, das es mir ermöglichte, mit meinen Schüler*innen zu kommunizieren, auch wenn ich nicht immer genau wusste, wie das richtig ging. Also falls irgendwer demnächst aus Versehen Skynet startet ... Sie wissen, wo Sie mich finden. Obwohl, dann wahrscheinlich eher nicht mehr.

Zum Theater um überlastete Server kam alsbald das Theater um datenschutzkonforme Plattformen für Videokonferenzen. Zur Corona-Pandemie gesellte sich die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder gab es keinen Online-Unterricht oder in der Video-Klassenkonferenz plöppte plötzlich ein Porno auf. Hatte man sich letztendlich auf ein weitgehend pornofreies Programm verständigt, scheiterte es mancherorts am ländlichen Raum: Viele meiner Schüler*innen verfügten schlicht nicht über eine stabile Internetverbindung. Wenn Papa gleichzeitig Homeoffice machte und die kleine Schwester Mathe, war’s das mit dem Deutschunterricht bei Frau Blofeld. So sparte man sich zumindest den Datenschutz. Denn dafür hätte es eine schnelle einheitliche und sichere Lösung gebraucht. Vielleicht bei der nächsten Pandemie.

Viel wichtiger schien in den Kultusministerien bundesweit die Frage: Wie prügeln wir unsere Nachwuchs-Elite trotz globaler Vollkatastrophe zum Abitur? Denn was ist schlimmer als ein Weltuntergang? Richtig! Ein Weltuntergang ohne Abi!

Natürlich sorgte auch ich mich um meine Abi-Klassen. Aber ich sorgte mich genauso um meine round about zweihundert Lehrlinge, die im Mai ihre duale Ausbildung abschließen sollten. Andere Lehrerkräfte in ganz Deutschland sorgten sich um ihre Realschüler*innen oder ihre Hauptschüler*innen. Wieder wurde gezeigt, worauf es in diesem Land wirklich anzukommen schien. Ich könnte kotzen ob so viel Überheblichkeit und Lebensferne. Gerade zu der Zeit (ich schrieb dieses Kapitel wenige Tage, bevor hier in Süddeutschland das Schuljahr 19/20 endete), als in Zeitungen und Regionalfernsehen allerorts den »erfolgreichen Abiturienten« gratuliert wurde. Für Berufsschüler*innen hatte ich noch nie solch einen Bericht gesehen. Das sind jährlich weitaus mehr. Immerhin wurde ihnen hier dadurch Erleichterung verschafft, dass kurzum die beruflich irrelevanten Fächer Deutsch und Politik aus der anstehenden Prüfung gestrichen wurden. Meine Fächer. Mit einem kleinen Schrieb des Kultusministeriums verpuffte nach den Osterferien 2020 meine Daseinsberechtigung. Zumindest in der Berufsschule. Und es verpufften somit meine grob zweihundert Prüfungen, die ich eigentlich hätte korrigieren müssen. Upsi. Naja. Abi ist eh wichtiger. Oder so. Das war übrigens eine der wenigen Verordnungen des Okkultusministeriums, die ich nicht erst aus den Nachrichten erfahren durfte, da sich diese genauso wenig um berufliche Schulen zu scheren scheinen wie die Politik. Sämtliche Infos zu organisatorischen Abläufen und Vorgaben erhielten wir noch später als die allgemeinbildenden Schulen. Das will was heißen. Wenn mich Schüler*innen fragten, wie es denn nun nach den Ferien weiterginge, entgegnete ich schlicht:

»Schaut Nachrichten. Mehr weiß ich auch nicht.«

Irgendwann hieß es dann (in den Nachrichten), dass nach den Osterferien zumindest die »Prüfungsklassen« in die Schulen zurückkehren sollten. Fun Fact: An einer durchschnittlichen beruflichen Schule sind allein das mehrere hundert Menschen. Während der ersten Welle der Pandemie. Hurra!

Ich wollte ums Verrecken nicht in der Haut der Schulleitungen stecken, die zum Erlass, der freitags eintrudelte, für Montag Konzepte erarbeiteten, die sie nach dem nächsten Erlass wieder über den Haufen schmeißen mussten. Das alles mit dreißig Prozent weniger Mitarbeiter*innen. So viele spielten im Team Risikogruppe. Und zwischen Ostern und Pfingsten war ich eine davon. Da Cortison und Corona sich nicht so gut miteinander vertragen hätten, hockte ich also noch länger daheim. Ich fauler Lehrer™. Zu meiner großen Angst, mich anzustecken, kam das noch größere schlechte Gewissen, meine Schüler*innen und ja, auch meine Kolleg*innen im Stich zu lassen. Und ganz nebenbei im Kollegium das Gerücht zu streuen, ich sei endlich schwanger. Wurde ja auch Zeit. Dieses Gerücht verpuffte allerdings, da ich es schaffte die Medikation so weit zu drücken, dass ich nach Pfingsten wieder zum Dienst antreten konnte.

Was ich dort vorfand, ähnelte anfangs stark einer Zombie-Apokalypse: Absperrbänder. Warnschilder. Festgelegte Laufwege. Mit Masken verhüllte Gesichter. Überall wehte der Geruch von Desinfektionsmittel durch die Flure. Da nach den Prüfungen weitaus weniger Schüler*innen anwesend waren, glich das Gebäude zeitweise einer Kulisse aus The Walking Dead. Inklusive heruntergekommenem Interieur.

Doch der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Mit den Wochen etablierte sie sich: die »neue Normalität«. Sie lebte sich ein. Machte es sich gemütlich. Man nahm sie kaum noch wahr. Manche arrangierten sich so gut damit, dass bei ihnen das Gefühl aufkam, die Pandemie sei vorüber. Da konnte man die Maske auch lässig unter der Nase tragen. Oder ganz weglassen. Und Abstand ist ja auf Dauer auch kein durchzuhaltendes realistisches Konzept. Außerdem machen Masken krank und schränken die Grundrechte ein!!!

Sie lachen? Lachen Sie auch über die »lustigen« rechtsesoterischen/veganen/Holocaust verharmlosenden Impfgegner*innen, die zu tausenden gegen die »Merkel-Diktatur« demonstrierten? Ja? Ok, sind auch alles Witzfiguren. Aber gefährliche Witzfiguren. Und was, wenn solche Witzfiguren in der Schüler-, Eltern, und sogar Lehrerschaft auftauchen?

Immer noch ist viel zu wenigen bewusst, wie wichtig es ist, Schüler*innen ein aufgeklärtes wissenschaftliches Weltbild zu vermitteln. Es rettet Leben. Ignoranz tötet. Dummheit ebenso. Aber dazu später mehr.

Also wie umgehen mit der Pandemie im nächsten Schuljahr, das in anderen Bundesländern bereits wenige Tage beginnt, nachdem hier unten die Sektkorken nach dem letzten Schultag geknallt haben?

Immerhin gab es für uns schon die Info, dass Prüfungsinhalte reduziert werden, um die Schüler*innen des kommenden Abschluss-Jahrgangs zu entlasten. Auf manche Themen können Auszubildende schließlich gut verzichten. Demokratiegeschichte zum Beispiel. Oder Grund- und Menschenrechte. Das freut auch die Witzfiguren.

Auch werden zunächst wieder alle Schüler*innen gleichzeitig in der Schule sein. Bei uns sind das nur über tausend. Aber wenn auf dem Flur (haha) und auf dem Pausenhof (hahaha) alle brav ihre Masken tragen (hahahaha), wird schon nichts passieren.

Teil der ausgeklügelten Hygienestrategie ist zudem ein raffiniertes Belüftungskonzept. Übersetzt: Die Fenster sind ständig offen. Im Grunde ändert sich in vielen unserer Klassenzimmer nichts, da wir aufgrund undichter Fensterrahmen dieses Belüftungskonzept seit Jahren praktizieren. In anderen Zimmern lässt sich das aber schwerlich umsetzen. Dort verweigern sich die renitenten Fenster einer Öffnung.

Wenn schon alle gleichzeitig wieder zur Schule kommen, wie wäre es mit regelmäßigen flächendeckenden gratis(!) Tests für Schülerschaft und Kollegium? Oder werden auch im nächsten Schuljahr Tests verweigert, wenn man keine Symptome aufweist? Obwohl man direkten Kontakt mit Infizierten hatte. Aber dann müsste man gegebenenfalls ganze Klassen in Quarantäne schicken. Oder gar Schulen wieder schließen. Oder doch lieber die Trump-Taktik? Wo nicht getestet wird, gibt es kein Virus!

Das waren wider Erwarten mehr als ein ›paar Worte über Schule und Corona‹. In den nächsten Monaten werden, so fürchte ich, auch noch ein paar mehr dazu kommen. Wenn ich mich einmal in Rage geschrieben habe, kann ich eben schwer damit aufhören. Also dürfen sie mich im neuen Corona-Schuljahr 2020/21 begleiten. Es bleibt spannend!

Ich hoffe inständig, dass all die anderen Themen und Probleme darüber nicht vergessen werden. Und dass manche Lektion, die uns das Virus gerade lehrt, hängenbleibt. Zum Beispiel, dass auch wir hier nicht unverwundbar sind. Und dass Schule mehr ist als Kinderaufbewahrung und Abschlussprüfungen.

Und jetzt verpiss dich, du bekacktes Virus! Ich will nach Wacken!!!

Einfach episch

EQUILIBRIUM – BORN TO BE EPIC

So, willkommen zurück zur Deutschstunde. Ich hoffe, Sie konnten sich etwas erholen. Nun tauchen Sie mit mir ein, in die bunte Welt des schulischen Literaturbetriebs. Blofeld’sche Art, versteht sich.

Ich legte mir in den vergangenen Jahren Strategien für den Deutschunterricht zurecht, bei denen sich Über-Germanist*innen wohl die grauen Nackenhaare sträuben würden, deren Effektivität sich jedoch bewährt haben.

Anders als die Zweitfach-Verzweifler*innen bin ich der festen Überzeugung, dass durchaus klassische Schullektüre existiert, die um einiges besser ist als ihr Ruf. Und überhaupt. Schüler*innen, die in meinem Beisein für ein literarisches Werk das nichtssagende Wort »Buch« verwenden, kriegen gleich mal ne verbale Nackenschelle. Damit das nie wieder passiert (natürlich passiert es wieder), gestalte ich die Ausführungen über die drei literarischen Großformen auf meine ganz eigene Art.

Beginnen wir bei der etwas dümmlich anmutenden Frage: Was ist ein Buch? Primär erst einmal nur ein paar Seiten zusammengepapptes Papier, auf denen Zeug steht. Somit kann man mit der Bezeichnung eigentlich nix falsch machen. Jetzt sagen Sie hoffentlich nicht morgens zu Ihrem Partner:

»Gib mir bitte zwei Kleidungsstücke aus dem Schrank!«

Das sollten Sie schon etwas präziser formulieren. Sonst gehen Sie am Ende ohne Hose, dafür mit einer doppelten Schicht Oberbekleidung zur Arbeit. Ähnliche Schwierigkeiten habe ich mit Aussagen wie:

»Ich habe in diesem Monat schon vier Bücher gelesen.«

Das mag beim unkritischen Zuhörer Eindruck schinden, ist aber meist der klägliche Versuch intellektueller Augenwischerei. Es macht einen Unterschied, ob Sie in vier Wochen alle drei Bände Herr der Ringe und ganz lässig nebenbei die Buddenbrooks gelesen haben oder vier Pixi-Bücher. Dennoch sind per definitionem alles Bücher. In der Regel bezeichnet der Laie jene Textansammlung als Buch, die Sprachwissenschaftler*innen genauer als epische Literatur kennzeichnen. Schüler*innen rasten meist schon beim Wort »episch« völlig aus, impliziert es doch vermeintliche Überlänge, gepaart mit unbändiger Langeweile. Genau genommen bedeutet das Wort aber nur »erzählend«. In epischer Literatur wird also erzählt. Nicht mehr und nicht weniger. Und ja, natürlich kann das auch in episch-öder Länge geschehen. Aber ungeachtet dessen haben alle epischen Werke eines gemeinsam: den Erzähler. Genauer, die Erzählperspektive! Hier klinken sich oft die Ersten aus mit dem klassischen Einwand: »Oh je, das konnte ich mir noch nie merken!«

Dann lernen Sie es jetzt! Verdammt!

Ich konnte früher auch nicht Schlittschuhlaufen, bis ich es einmal versucht habe. Dann stellte ich schnell fest: Ich kann es wirklich nicht. Aber immerhin habe ich es versucht. Die damit einhergehende Gehirnerschütterung habe ich auch überstanden. Glaube ich. Beim Lesen haut’s einen im Normalfall wenigstens nicht auf die Fresse.

Tatsächlich tun sich vor allem die Schüler*innen mit erzähltheoretischen Grundlagen schwer, die ein Buch bisher nur dazu verwendet haben, den wackelnden Monitor zu stabilisieren, um konzentriert Playstation zocken zu können. Fürchterlich? Überhaupt nicht! Sogar brillant. Noch besser als eine Deutschlehrerin, die sich selbst für Literatur begeistert, ist nämlich eine, die sich selbst auch noch fürs Zocken begeistert. Das kann zwar dazu führen, dass das eine oder andere Unterrichtsgespräch etwas vom eigentlichen Thema wegführt, hat aber den Vorteil, dass ich selbst die Perspektive wechseln kann, um meinen Zöglingen literarische Perspektiven lebensnah zu erläutern.

Beginnen wir mit einer der beliebtesten: der Ich-Erzählperspektive. Als Leser*in nimmt man aktiv teil am Geschehen, da man sich IN der Hauptfigur der Geschichte wiederfindet. Man sieht, hört, fühlt und weiß alles, was der Ich-Erzähler bzw. die Hauptfigur weiß. An was erinnert uns das? Richtig! Ego-Shooter natürlich! Nun hat Call of Duty im Gegensatz zu Hermann Hesse keinen Nobelpreis gewonnen. Aber erfahrungsgemäß kann sich jede*r Sechzehnjährige besser in Ersteres hineinversetzen. Das allein genügt mir völlig.