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Goethe lernte in Wetzlar 1772 Charlotte Buff kennen und verliebte sich in sie. Charlottes Gefühle gingen jedoch über Sympathie nicht hinaus. Das hinderte jedoch Goethe nicht, in seinem Roman "Die Leiden des jungen Werther" Charlotte als Vorbild für die Romanfigur Lotte zu nehmen und dichterisch das Verhältnis so zu gestalten, wie er es in der Realität gerne gehabt hätte. Der Autor dieses Buches zeichnet den Lebensweg der echten Charlotte nach, die sich mit der unerwarteten und ungewollten Publizität arrangieren musste.
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Seitenzahl: 109
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Vorwort
Charlottes Kindheit und Jugend
Die Verlobung
Goethe
Abschied von Wetzlar
In Hannover ab Juni 1773 bis 1800
Nach Kestners Tod
Der Lebensabend
Literaturhinweise
Im Rahmen meiner Familienforschung, bei der ich auch einige weiter entfernte Verwandte erfasste, stieß ich auf eine Charlotte Buff. Erst als ich ein paar Details zu dieser Charlotte sammelte, wurde mir schlagartig klar, dass es sich um eine der Frauen um Goethe handelte, und dass sie, vereinfacht ausgedrückt, Goethe als eine Art Vorlage für die weibliche Hauptfigur in dem Roman „Die Leiden des jungen Werther" diente. Werther selbst hat, zumindest im ersten Teil des Romans, stark autobiografische Züge. Der Roman ist also über weite Teile eigentlich eine nur leicht verschleierte Beschreibung eines Paares „Goethe und Charlotte", so wie Goethe es in seinen Träumen gerne gesehen hätte.
Bei dem Sammeln von Einzelheiten entstand mehr und mehr ein faszinierendes Gesamtbild, das ich aus mehreren Literaturstellen zusammenstellen konnte, wobei viele Details einem Buch von Oskar Ulrich: „Charlotte Kestner" entnommen werden konnten. Dieser Hannoveraner Heimatforscher hatte schon vor über 100 Jahren detailliert, aber im Sprachstil seiner damaligen Zeit, das Leben von Charlotte sehr detailreich dargestellt. Heute ist das Buch von 1921, genauso wie der Nachdruck von 1987 vergriffen.
Aber es reizte mich, die Lebensgeschichte von Charlotte nochmals in komprimierter Form niederzuschreiben, dann natürlich auch in einem Erzählstil, der für heutige Ohren gewohnter klingt. Wozu dann die Zitate aus den Briefen (um 1800) und die Zitate aus Oskar Ulrichs Buch (um 1920) einen interessanten Gegensatz bilden.
Ich hoffe, mit diesem Ansatz den Leserinnen und Lesern ein interessantes und mit Freude zu lesendes Thema anzubieten. Von Wertungen und Interpretationen habe ich mich weitgehend ferngehalten (immer ist mir das nicht geglückt, manchmal musste ich auch selbst was dazu sagen), ich möchte es den Lesern überlassen, die eigenen Schlüsse zu ziehen und sich selbst ein Bild zu machen.
Klaus le Vrang Januar 2024
Bevor wir uns Charlotte selbst zuwenden, schauen wir uns die Familie an, in die sie hineingeboren wurde. Väterlicherseits war es ursprünglich eine Pastorenfamilie: Der Großvater Christoph Buff, dessen Vater schon Pfarrer war, war seit 1706 „bestellter Pfarrer des Deutschen Ordens zu Steinbach, auch Schiffenberg", in der Nähe von Gießen. Dessen Sohn Heinrich Adam Buff, Charlottes Vater, brach mit der Familientradition und studierte – wohl ohne große Begeisterung – Rechtswissenschaft, scheint aber keinen Abschluss erlangt zu haben. Jedenfalls sah seine berufliche „Karriere" so aus, dass er, durch väterlichen Einfluss, 1740 eine Stelle als „Castnerey-Verwalter des Deutschen Hauses zu Wetzlar" erhalten hatte. Er füllte die dortige Tätigkeit wohl zu hoher Zufriedenheit aus, nach 15 Jahren wurde ihm „wegen seines in des hohen Ordens Dienste bezeigten Eiffers und Fleißes der Charakter als Amtmann beygelegt." Seine Aufgaben als Verwalter, ob mit oder ohne den Titel „Amtmann", bestanden im wesentlichen in der Verwaltung der Ordensländereien, er musste die Pachten und Zinseinnahmen eintreiben und monatliche Berichte abliefern. Diese Tätigkeit war anspruchsvoller als die Verwaltung eines „einfachen" landwirtschaftlichen Gutes, denn die Besonderheit des Besitzes des Deutschen Ordens bestand unter anderem darin, dass das „weltliche Recht" sozusagen an dem Hoftor endete und innerhalb des Deutschen Hauses das kirchliche Ordensrecht galt. Konflikte dadurch waren nahezu vorprogrammiert, deren Lösung immer wieder auch zu seinen Aufgaben gehörte. Dafür hatte er aber in dem großen Haus freie Wohnung, gerade bei hoher Kinderzahl ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Der Deutschordenshof in Wetzlar Silberstiftzeichnung von Carl Stuhl, um 1850, Städt. Sammlungen, Wetzlar
Der Deutsche Orden ist eine römisch-katholische Ordensgemeinschaft. Ich habe nicht herausfinden können, ob es seinerzeit irgendwelche Diskussionen dazu gab, Fakt ist aber, dass ein weltlicher Mitarbeiter, der einer protestantischen Pfarrerfamilie entstammte, als Verwalter des katholischen Deutschordenshofes zu Wetzlar eingesetzt wurde. Aber – die Wahl war offensichtlich nicht schlecht.
Von seiner Persönlichkeit her muss Heinrich Adam ein bemerkenswerter Charakter gewesen sein, ich möchte mit einigen kurzen Schlagworten aus den Beschreibungen und auch einigen Ausschnitten aus Briefen von ihm einen Eindruck skizzieren: Er lebte einfach und regelmäßig, am wohlsten fühlte er sich unter freiem Himmel. Ein scharfer Ritt und die Jagd waren seine liebsten Beschäftigungen in freier Zeit. Bis ins hohe Alter war er rüstig und kerngesund, und übte noch mit Mitte siebzig seine Amtsgeschäfte aus – immer unter der Devise: „rasch zugreifen und das Nächste mit voller Kraft besorgen". Aber er war auch oft starrköpfig und ein echter Choleriker. Als er, schon im hohen Alter, in der Amtsstube in einem Dorfe nahe Wetzlar seiner Arbeit nachging, trat ein Bauer ein, der es nicht für nötig hielt, seine schmauchende Pfeife aus dem Mund zu nehmen. Der handelte sich damit dann auch prompt eine Ohrfeige ein. - Wir heute fühlen uns auf den Behörden bisweilen auch schlecht behandelt, aber so krass kommt es zumeist doch nicht.
In ähnlich konsequenter Weise führte er auch seine Familie, streng auf Ordnung und Pünktlichkeit achtend. Zu Mittag hatten alle rechtzeitig zum Tischgebet zu erscheinen, das galt über die ganzen Jahre, auch als seine Söhne schon erwachsen waren. Noch 1786, also mit 75 Jahren, schrieb er:
„Ich bin gottlob noch gesund und will, solang ich noch lebe, Herr in meinem Haus sein und mich nicht zu Tode ärgern; der Sohn muß dem Vater und nicht dieser dem Sohn nachgeben, und der Sohn dem Vater gehorchen; dieses will das 4. Gebot haben, und dann soll es den Kindern wohlgehen und diese lange leben."
Heinrich Adam Buff (1711 - 1795) Ölbild im Lottehaus in Wetzlar
Dies ist aber nur eine Facette seiner Persönlichkeit, denn zugleich war er in seiner direkten Art ein liebevoller Vater, viele, die ihn im Kreise seiner Familie erlebt hatten, hoben das herzliche Verhältnis der Familienmitglieder untereinander hervor. Und im hohen Alter war er ein seinen vielen Enkeln besonders zugewandter Großvater. Diese, auch vom Vater bestimmte häusliche Atmosphäre hatsicherlich Charlotte rnitgeprägt.
Aber einen noch wesentlicheren Einfluss dürfte ihre Mutter gehabt haben, die eine ganz ungewöhnliche Frau gewesen sein muss. Magdalena Ernestine Feyler, geboren 1731, war die Tochter eines Offiziers. Ihr Vater, Peter Ernst Feyler, zuletzt Major, war Kommandant einer kleinen hessischen Besatzung in der Reichsstadt Wetzlar. Seine Tochter, Charlottes Mutter, war erst 19 Jahre alt, als sie 1750 den doppelt so alten Heinrich Adam Buff heiratete. Übrigens, getraut wurde das junge Paar vom Vater des Bräutigams.
Statt dass ich nun versuche, mit eigenen Worten ein Charakterbild der Mutter, Magdalena, zu entwerfen, möchte ich aus einem Brief ihres Schwiegersohnes, dem Ehemann von Charlotte, wortwörtlich (unter Beibehaltung auch der Rechtschreibung und Interpunktion) eine Beschreibung zitieren, die er, etwa ein halbes Jahr nach dem Tode seiner Schwiegermutter, im Herbst 1770 an seinen Freund von Hennings gesandt hatte:
„Ich habe Ihnen schon vor einigen Jahren eine Beschreibung der Familie meines Mädchens gemacht. Sie erinnern sich noch, daß ihre Mutter eine Hauptperson darin war; ich sage war, den ach! Sie ist es nicht mehr. Ich glaube Ihnen gesagt zu haben daß sie die beste Frau, die beste Mutter und das vollkommenste weibliche Geschöpf war, das ich kenne. Sanft ihr Character, weich, gefühlvoll ihr Herz, zugleich munter und heiter, (Ich zähle ihre Eigenschaften her, wie sie mir einfallen.) In ihrer Jugend war sie eine Schönheit, und noch am 40sten Jahre, nachdem sie 14 oder 15 Kinder gehabt, versah man sie zu Zeiten für eine ihrer Töchter. Ihre Miene war einnehmend und ganz Bescheidenheit, sittsam und jungfräulich. Sie erröthete noch wie das unerfahrenste Frauenzimmer für einen freien Ausdruck. Ihr Körper war weiblich, schwach und zart; auch ihre Seele war weiblich, aber sie dachte wie ein Mann, groß, edel und war oft heldenmüthig. Ohne piquant witzig zu seyn, konnte sie aufmuntern, anderer Mienen aufheitern, wie sie wollte und war sehr unterhaltend. Sie redete viel ohne Weibergeschwätz. Ihre Kinder waren ihr vornehmstes Geschäft; für diese sorgte sie unaufhörlich; sie hatte sie immer um sich und bildete ihre jungen Seelen, ohne daß die Kinder es selbst wußten, ohne Strenge, ohne Furcht, durch lauter Liebe und Zärtlichkeit; doch gestattete sie ihnen auch keine Unart. Die Kinder liebten ihre Mutter dagegen eben so zärtlich; nirgends waren sie lieber als bey ihr; wenn sie ausgieng betrübten sie sich, sie lagen ihr an bald wieder zu kommen, und wenn sie wieder kam war lauter Freude; sie hingen sich an sie und küßten sich dann wieder satt. Auch ausser dem Hause war sie verehrt und geliebt. Sie war jedermann; wenigstens unter dem Namen: Die Frau mit den vielen schönen Kindern bekannt. Von den Geringem verehrt, denn gegen jedermann war sie freundlich und gefällig, jedermann war ihr Nächster; ohne Reichthum that sie viel Gutes, entweder durch reellen Beystand, oder guten Rath, Zureden, trösten und aufmuntern, alles mit einem Anstande, der zugleich ihr gutes Herz, und ihren Verstand verrieth; ich meyne ihre Wohlthaten ertheilte sie mit einer solchen Leichtigkeit, woraus man sah, daß eine wahre innere Empfindung sie dazu veranlaßte, und doch mit einer Art, welche den Wohlthaten noch einen Werth mehr beylegte; gar vieles that sie heimlich, denn ihr Mann, zwar rechtschaffen und gut, und selbst gutthätig, machte gerne ökonomische Anmerkungen.
Von ihres Gleichen hochgeachtet und geliebt, und von den Vornehmern geachtet. Bey diesen vergab sie sich nichts, war bey verschiedenen, die sie ihrer würdig hielt, gern gesehene Gesellschafterin, auch vertraute Freundin und Rathgeberin. Außer dem, daß sie von solchen selbst gesucht wurde, und sich mit Vorbedacht suchen ließ, hatte sie auch noch, in Rücksicht dessen, daß ihre Familie groß war, und sie das Glück ihrer Kinder wünschte, und dazu anderer Beistand nöthig hielt, die Absicht, solche Leute zu conserviren, die ihr oder ihren Kindern nützlich seyn könnten... Sie war meine beste Freundin die ich je gehabt, und vielleicht je bekommen werde...“
Im September 1750 zog also das frisch vermählte Ehepaar Heinrich Buff und Magdalena, geb. Feyler in dem Deutschordenhof ein, und schon neun Monate und drei Tage nach der Eheschließung wurde 1751 die erste Tochter Wilhelmine Caroline geboren (ich erinnere an die oben zitierte Lebensdevise Heinrichs: rasch zugreifen und das Nächste mit voller Kraft besorgen).
Es folgten:
1753 im Januar
Charlotte
1754 im Dezember
Ernestine (die im Alter von 8 Jahren verstarb)
1756 im September
Helene
1757 im November
Hans
Und jeweils in weiteren kurzen Abständen Wilhelm, Sophie, Ernestine, Friedrich, Dorothea, Georg, Amalia, Albrecht, Bernhard, Louis, Christian, insgesamt 15 Kinder, von denen 12 das Erwachsenenalter erreichten. Das letzte der Kinder, Christian Friedrich Julius wurde am 12. März 1770 geboren, die Mutter Magdalena verstarb am 13. März 1770, nachdem sie allerdings schon mehr als ein Jahr gekränkelt hatte.
Ansonsten kenne ich keine Berichte zur Kindheit und zu den Mädchenjahren von Charlotte, aber Charlotte und ihre ältere Schwester hatten mehr als die anderen Kinder noch die liebevolle Erziehung durch die Mutter erfahren können. Und prägend war sicher auch, dass in dem Deutschordenhof viel Platz, große Räume und viel Natur drumherum den Kindern ein Gefühl von Freiheit gegeben haben. Zudem gab es in dem Anwesen noch einen „Wohnnachbarn", den Prokurator Brandt, mit dessen Familie die Buffs befreundet waren, und auch Herr Brandt hatte Kinder, zwar „nur" zehn an der Zahl, aber auf diese Weise purzelten dort stets etwa 20 Kinder umeinander...
Mit der Schulausbildung hingegen wird es nicht so rosig ausgesehen haben, namentlich für die Mädchen. Die weiterführenden Schulen standen seinerzeit den Knaben offen, aber ein Mädchen, das über die Elementarkenntnisse hinaus eine Weiterbildung erhalten sollte, konnte diese zumeist nur über einen privaten Hauslehrer bekommen – ein Luxus, den sich ein Amtmann mit 12 Kindern nicht leisten konnte. Spezielle Unterlagen, die sich auf Lotte beziehen, liegen nicht vor, aber ich kann eine allgemeine Schilderung der damaligen Verhältnisse übernehmen und zugleich etwas darauf verweisen, was Charlotte in späteren Zeiten offensichtlich an Kenntnissen und Fähigkeiten hatte. Oder aber auch, wo ihre Lücken waren.
In Wetzlar existierte zur damaligen Zeit für Knaben, und zwar nur für diese, eine Anstalt der Jesuiten und auch die alte lateinische Stadtschule, hier war eine Weiterbildung möglich. Für die Mädchen gab es - nichts! Ich zitiere aus dem eingangs genannten Buch von Oskar Ulrich:
„Wir wissen nicht, wo sich die Töchter des Deutschen Hauses ihre Schulbildung angeeignet haben; doch können wir uns die Summe schulmäßigen Wissens, mit der sie ins Leben eintraten, kaum zu gering vorstellen. Lesen und Schreiben – dies mit vielen dialektischen Eigentümlichkeiten; Lotte schreibt z.B. noch jahrelang, nachdem sie ihre alte Heimat verlassen hat, den Namen ihres Freundes beharrlich nach heimischer Aussprache als „Göde“ [Anmerkung: „Goethe“] – dazu Katechismusunterricht und etwas Rechnen, damit war wohl die schulische Bildung abgeschlossen.“
Parallel waren allenfalls einige andere Dinge von Bedeutung, nicht unbedingt solche intellektueller Art, aber für die Chancen beim anderen Geschlecht oder später im Ehestand hilfreich. Dazu gehörten Handarbeiten, besonders feinere Stickereien, und Musizieren, vorrangig Klavierspiel (was allerdings voraussetzte, dass sowohl Begabung als auch irgendein Zugang zu den Instrumenten existierte). Zudem war eine Ausbildung im Tanzen, wenn auch in geringerem Umfang, mit vorgesehen.
Gerade bei Charlotte können wir davon ausgehen, dass es ihrer Mutter ein wichtiges Anliegen war, ihre Tochter in hausfraulichen Tätigkeiten heranzuziehen, aber bedingt durch den Umgang und die Besucher, auch wichtige Personen, im Haushalt werden vor allem die größeren Kinder eine gewisse Routine in Konversation und Benehmen (damals von ganz anderem Stellenwert als heute) mitbekommen haben.