#golittleheart - Samantha Geidel - E-Book

#golittleheart E-Book

Samantha Geidel

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Beschreibung

Vom Anfang bis zum Ende - unser Leitspruch, unser Versprechen an unseren Sohn Rafael. Ich erzähle die ganz intime und emotionale Geschichte meines verstorbenen Sohnes auf meine eigene Art und Weise - als liebende und pflegende Mutter. Das Buch hält unsere gemeinsame Zeit hier auf Erden für immer fest. Es beschreibt Rafaels Fußspuren, die er bei so vielen Menschen hinterlassen hat. Vom ersten bis zum letzten Atemzug. Ich erzähle über den täglichen Balanceakt zwischen Leben und Tod, Hoffen und Bangen und dem immer wiederkehrenden Glauben an das Gute, an ein persönliches Wunder für Rafael. Mein letztes Versprechen an mein geliebtes Kind, dass ich sein heldenhaftes Leben niederschreibe, halte ich mit diesem Buch ein. Nun möchte ich, dass auch ihr diesen kleinen, besonderen Jungen und seinen einzigartigen Weg kennenlernt. Rafael, du wirst so sehr geliebt. Bis zum Himmel und wieder zurück. #golittleheart

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Mein geliebter Sohn,

Ich habe dir versprochen, dass ich dein heldenhaftes Leben niederschreibe.

Es ist schwer für eine liebende Mama, die ihr Baby verloren hat, die passenden Worte zu finden.

Aber wie bei allem, gebe ich mir die größte Mühe, deinem Leben, deinem Wesen und vor allem deinem Kampfgeist gerecht zu werden.

Du bleibst unvergessen. Ein Leben lang. Nein, sogar für immer. Denn wer weiß schon was über die Unendlichkeit, außer dir und den anderen vielen Engeln im Himmel?

Dieses Buch widme ich dir, ganz alleine nur dir.

Weil ich dich liebe und ich dich immer in meinem Herzen tragen werde.

Bis in die Unendlichkeit.

Deine Mama

Inhaltsverzeichnis

Das sind wir

Wir erwarten ein Baby mit Herzfehler

Mal über den Tellerrand schauen - Der pränatale Eingriff

Wir gehen den Weg mit Frankfurt

01.12.2020 - Der zweite Geburtstag

#golittleheart - Eine Geschichte, die berührt

Quarantäne - Willkommen in meiner persönlichen Hölle

Die Entlassung - Nach 56 Tagen nach Hause

Unser Alltag, unsere Zeit zu Hause - Als Familie

Herzkatheter 02.03.-10.03.2020

Unsere letzten drei Wochen zu Hause - Unser einziger Familienausflug und unser einziges Osterfest

Wertvolles Gedankengut -

„Liebes Tagebuch …“

Zurück auf Anfang - Die Zeit nach der OP und die Verlegung nach Frankfurt

Vom Anfang bis zum Ende - Wie wir es versprachen

Wie geht es uns heute?

Gedichte an Rafael

Danksagung

KAPITEL EINS DAS SIND WIR

Mein Name ist Samantha und als ich begann, dieses Buch zu schreiben, bin ich 32 Jahre alt und wohne in Leipzig. Meinen Ehemann Philipp habe ich über die Arbeit kennengelernt. Ich kann stolz sagen, dass wir in der heutigen Zeit kein Tinder-Paar sind. Ich habe eine Tochter, ihr Name ist Mara, in unsere Ehe mitgebracht und Philipp liebt sie wie ein eigenes Kind.

Trotz vieler Gegensätze ziehen wir uns an und haben beschlossen, unser Leben miteinander zu teilen. Uns zu lieben und zu ehren, in guten, wie in schlechten Zeiten.

Der Wunsch nach einem gemeinsamen Kind bestand von Anfang an.

Wie bei allem im Leben hat man mal mehr oder mal weniger Glück. Ein gutes Jahr haben wir, wie man so schön sagt, an einem gemeinsamen Baby gebastelt.

Am 27.05.2020 durfte ich dann endlich einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen halten. Wir haben es geschafft. Ich war endlich schwanger. Das Beste aus uns beiden hat sich nun vereint und sollte in mir heranwachsen.

Eine ganze Weile blieb unser Wunder noch ein Geheimnis. Meine Angst war groß, dass das Baby vorzeitig abgehen könnte oder kein Herzschlag mehr zu sehen wäre.

An unserem Hochzeitstag, dem 12.06.2020, lüfteten wir das Geheimnis und waren überglücklich und voller Vorfreude auf die uns bevorstehende Zeit.

Leider war unser erstes Ehejahr geprägt von Tränen, Angst um unser Baby, wohnlicher Trennung und einer fehlenden Leichtigkeit.

Ich gebe auf den nächsten Seiten ganz intime Einblicke in unser Leben. In meine Gedanken, welche ich in den schlimmsten Stunden meines Lebens hatte. Ich zeige auf, dass es nicht nur Glück und Freude gibt, sondern auch Krankheit und Trauer und dass Gesundheit ein großes Geschenk ist. Ich möchte Menschen Mut und Kraft schenken, um für ihre Kinder zu kämpfen. Den Willen, sich groß zu machen in der heutigen Gesellschaft, um gehört zu werden.

Aber in erster Linie möchte ich mein Kind ehren und eine Erinnerung an ihn schaffen.

KAPITEL ZWEI

WIR ERWARTEN EIN BABY MIT HERZFEHLER

Es war nun meine zweite Schwangerschaft und sie unterschied sich sehr von meiner ersten. Selbstverständlich hatte ich mit der allbekannten Übelkeit und der Müdigkeit zu kämpfen. Ich spürte sehr zeitig schon Rückenschmerzen, aber im Großen und Ganzen fühlte ich mich gut. Ich war im Reinen mit mir und meinem Körper und liebte meinen kleinen Kugelbauch. Zu wissen, dass wir bald zu viert sein würden, machte mich unglaublich glücklich.

Meine erste Schwangerschaft mit Mara endete in der 31. Schwangerschaftswoche, da ich eine vorzeitige Plazentaablösung hatte. Bis zu diesem Tag wusste ich nicht mal, dass es sowas gibt.

Es ging damals, im Februar 2017, alles sehr schnell. Ich hatte extreme Bauchschmerzen und musste mich übergeben. Eine sehr gute Freundin fuhr mich dann ins Krankenhaus. Im Ultraschall sah ich damals selbst, dass da irgendwas nicht normal aussah. Es wurde gar nicht viel geredet, sondern sofort gehandelt.

Ich erinnere mich nur noch an die Sätze des Chefarztes:

„Macht den OP klar! Holt den Anästhesisten! Wir müssen das Baby holen, sonst sterben sie beide!“.

Ich fühlte damals nur unglaubliche Angst. Alles lief wie in einem schlechten Film ab. In absoluter Kurzzeit.

Meine Tochter Mara kam mit einem Notkaiserschnitt zur Welt. Heute ist sie vier Jahre alt. Ein bildhübsches Mädchen. Super sportlich. Und das Wichtigste - sie ist gesund.

Aufgrund einer nicht gut durchbluteten Plazenta kam meine Tochter so früh zur Welt.

Ich hatte große Bedenken, dass mir das bei meiner zweiten Schwangerschaft wieder passieren könnte. Um mich und das Baby abzusichern, kontaktierte ich den Chefarzt, welcher 2017 meine Tochter zur Welt brachte. Er sicherte mir damals zu, dass ich mich an ihn wenden dürfe, wenn ich ein zweites Kind erwarten sollte. Und tatsächlich hielt er sein Versprechen.

Mein Mann und ich stellten uns dann gemeinsam zum ersten Gespräch in der Klinik bei ihm vor. Zusätzlich zu den Terminen beim Frauenarzt war mir die Kontrolle sehr wichtig. Ich wollte einfach nichts verpassen und gegebenenfalls handeln, bevor es zu spät sei.

Beim Ultraschall stellte sich heraus, dass meine Plazenta gut durchblutet war, aber man wollte dennoch kein Risiko eingehen. Deshalb wurde ich nun im vier Wochen Rhythmus zur Kontrolle bestellt und musste ab diesem Tag ASS 100 einnehmen, um mein Blut zu verdünnen. Das sollte die Durchblutung fördern und einer erneuten Frühgeburt vorbeugen.

Nun konnte ja nichts mehr schief gehen, dachte ich mir. Endlich erlebe ich - vielleicht - eine Schwangerschaft bis zum Ende der 40. Schwangerschaftswoche.

Kein erneuter Kaiserschnitt. Ich könnte dieses Baby vielleicht auf natürlichem Wege zur Welt bringen. Wir sind nun in den besten Händen. Alles wird gut.

Das Schicksal hatte aber einen anderen Plan mit uns, mit unserem Kind. Es stellte uns vor schwere Aufgaben und Entscheidungen.

Am 04.08.2020 waren wir wieder zur Kontrolle in der Klinik. Ich war zu diesem Zeitpunkt in der 18. Schwangerschaftswoche.

Da das Baby gerade optimal lag, entschied sich die Oberärztin, alle Organe genauer anzuschauen. Sie nannte es

„eine frühe Feindiagnostik“.

Diese wäre eigentlich erst zwei bis vier Wochen später fällig gewesen. Aber zuallererst wurde uns das Geschlecht mitgeteilt.

Wir erwarteten einen kleinen Jungen. Was absolut nicht zu übersehen war. Noch bevor die Oberärztin das Geschlecht aussprach, sagte ich zu meinem Mann:

„Wir bekommen einen Jungen!“.

Philipp konnte sein breites Grinsen vor lauter Freude gar nicht zurückhalten. Es war sein größter Wunsch, einen kleinen Jungen zu bekommen. Nun war er nicht mehr in der Unterzahl in unserer Familie. Daher freute er sich sehr über die männliche Unterstützung.

Die Oberärztin begann nun mit der Darstellung aller Organe im Ultraschall. Alles sah normal aus. Die Blase war gefüllt. Das Gehirn und der Kopf waren altersgerecht entwickelt. Alle Extremitäten waren vollständig zu sehen.

Aber beim Herzchen schallte sie irgendwie lange. Deutlich länger als bei den anderen Organen. Und sie nahm eine Herzfrequenz immer und immer wieder auf. Ich wurde plötzlich extrem nervös und fand die Situation sehr merkwürdig. Es wurde sehr ruhig im Raum. Voll konzentriert schaute sie auf den Bildschirm.

„Ich hole mir kurz eine zweite Meinung ein und komme gleich wieder.“, sagte sie.

Ich musste direkt weinen. Obwohl ich noch nichts wusste, keinen Verdacht, keine Diagnose. Ich wusste aber: Hier stimmte etwas nicht. Philipp nahm meine Hand und versuchte mich zu beruhigen:

„Es wird schon nichts sein. Sie will sich sicherlich nur absichern.“.

Eine zweite Oberärztin kam hinzu und beurteilte das Herzchen unseres Sohnes. Sie bestätigte den Verdacht ihrer Kollegin.

Sie vermuteten bei unserem Sohn eine Aortenklappenstenose, eine Verengung der Aortenklappe.

Was für eine Stenose? Was ist das? Und was ist eine Aortenklappe? Nie zuvor hatte ich davon gehört. Ich kannte mich absolut nicht mit dem menschlichen Herzen aus. Wieso auch? In meiner Welt passierte sowas doch immer nur anderen. Jetzt plötzlich waren wir betroffen.

Hier eine kurze Erklärung, was dieser Herzfehler bedeutet: Die verengte Aortenklappe wird zum Hindernis für den Blutfluss aus dem Herzen in den Kreislauf. Der Herzmuskel wird dadurch stark belastet, da er mehr leisten muss als eigentlich vorgesehen. Im weiteren Verlauf kann die Pumpleistung der linken Herzkammer schlechter werden.

Für uns brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Wie kann es sein, dass mir nach meiner ersten Schwangerschaft sowas widerfährt? Hatte ich etwas falsch gemacht? Mich nicht gut verhalten in den letzten Wochen, sodass ich dem Baby geschadet hatte? Fragen über Fragen zogen durch meinen Kopf. Ich suchte den Fehler bei mir und wollte eine plausible Antwort, wieso es unseren Sohn treffen musste.

Wir verließen die Klinik mit einem sehr, sehr schlechten Gefühl. In einem vier wöchigen Rhythmus sollten wir uns nun immer wieder vorstellen und das Herzchen kontrollieren lassen.

Ich weiß noch wie heute, dass ich meine Mama anrief und ihr vom Befund erzählen wollte, aber nicht konnte. Ich bin in Tränen ausgebrochen. Ohne zu wissen, was dieser Herzfehler eigentlich bedeutet. Welche Folgen dieser hat. Ich wusste nur, dass das wichtigste Organ im menschlichen Körper, das Herz, der Motor für unser ganzes Leben, nicht in Ordnung war.

Mein Mann ist autodidaktisch veranlagt. Er begann sofort das Internet zu durchsuchen. Ihm war es wichtig, genau zu wissen, was dieser Herzfehler konkret bedeutet. Und was man vielleicht unternehmen könnte.

Schnell begriffen wir, dass dies ein schwerer, folgenreicher und verheerender Herzfehler sein kann. Er aber durch diverse Operationsmethoden möglicherweise behandelbar wäre. Man kann so ein Herzchen nicht heilen, nur versuchen, diesen Fehler so gut es geht zu korrigieren und den Betroffenen somit ein normales Leben ermöglichen.

Sollte die Verengung der Aortenklappe zu einer Verschlechterung der Pumpkraft der linken Herzkammer führen, hätte unser Baby kein funktionierendes Zwei-Kammer-Herz-System. Zu deutsch: Unser Baby würde ohne Eingriff oder Hilfe nur wenige Stunden nach der Geburt sterben.

Von diesem Tag an war es also unser Ziel, unserem Kind ein funktionierendes Herz zu ermöglichen. Wir wollten, dass er ein Leben haben wird, dass er die normalen Sachen des Alltags machen kann. Aber wir wollten auch nicht unseren Egoismus über sein Wohl stellen. Wir wollten nicht auf Krampf, dass er lebt, nur weil wir es wollen. Wir wollten immer, dass er den Weg geht, den er bereit ist zu gehen. Und wir gehen ihn mit. Vom Anfang bis zum Ende.

Die Wochen vergingen. Wir dachten oft einfach nicht an die Diagnose. Versuchten, die Schwangerschaft zu genießen. Die nächsten Kontrolltermine waren immer unauffällig. Die Herzleistung war gut. Sodass man uns sogar sagte, wenn es so bliebe, unser Baby normal auf die Welt kommen könne und vielleicht keinen Eingriff benötige. Das stimmte uns total positiv. Nichtsdestotrotz hatten wir vor jeder Kontrolle große Angst, dass es schnell in eine andere Richtung gehen könnte.

Am 14.10.2020 waren wir wieder zur Routinekontrolle. Dieses Mal mit einem super Gefühl. Die letzten Termine waren immer gut. Wieso sollte also heute was anders sein?

Die Ärztin legte das Ultraschallgerät auf meinen Bauch und schallte das Herz. Und ich erkannte sofort, dass da etwas anders war. Das Herzchen sah auf einmal verändert aus. Die linke Herzkammer war ballonartig und mit einer dicken weißen Umrandung. Normalerweise haben Herzkammern eine spitz zulaufende Form, ähnlich wie eine Paprika. Philipp und ich wussten sofort, dass plötzlich nicht mehr alles gut war. In der damaligen Beurteilung stand: Aortenklappenstenose mit Endokardfibroelastose linker Ventrikel. Zu deutsch: Die linke Kammer hatte sich vergrößert, weil sie mit viel Kraft gegen die Verengung arbeitete und daraufhin Narbengewebe entsteht. Die linke Herzkammer ist also nicht mehr in der Lage, den Kreislauf mit sauerstoffreichem Blut zu versorgen, wenn das Baby zur Welt kommt.

Wir besprachen sofort weitere Vorgehensweisen mit den Ärzten. Viele gab es leider nicht. Eine Option wäre eine Abtreibung gewesen. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich mich an diesem Tag in der 28. Schwangerschaftswoche befand. Ein Abbruch der Schwangerschaft war keine Alternative für uns. Eine weitere Option war, dass das Baby engmaschiger kontrolliert wird und wir mit Kardiologen besprechen, wie es nach der Geburt weitergeht.

Ich war geistig komplett abwesend bei diesem Gespräch. Zum Glück nahm Philipp die Zügel in die Hand und sprach mit den Ärzten. Er hatte sich schon viel belesen zu dieser Diagnose und wusste, was das heißt. Er stellte konkrete Fragen und war klar und deutlich.

Wir hatten nun also ein sehr krankes Baby in meinem Bauch. Welches aktuell allein durch mich überlebte. Durch meine Plazenta, um genau zu sein. Skurril, oder? Wenn man überlegt, dass meine Plazenta Mara fast das Leben gekostet hätte und sie unseren Sohn nun am Leben erhielt.

Dieser Herzfehler ist eine verdammte Laune der Natur. Es kommen im Jahr viele Babys mit Herzfehlern zur Welt. Jedes hundertste Kind hat einen angeborenen Herzfehler. Für mich sind diese kleinen Menschen so perfekte Wesen. Sie kommen rein, unschuldig und unerfahren auf diese Welt. Und werden so krank geboren.

Und nun auch unser Sohn. Unser absolutes Wunschkind.

Nach dem Termin kamen wir nach Hause und ich verkroch mich ins Schlafzimmer und weinte. Stundenlang. Ich wollte mit niemandem reden. Ich wollte niemanden sehen. Ich war einfach traurig und verstand es nicht.

Ich spürte doch seine Bewegungen. Er strampelte und war gut gewachsen. Wir hatten bereits ein 3D Ultraschallbild und wussten wie er aussehen würde, wie hübsch er doch bereits war.

Natürlich spielte ich diesen Gedanken des Schwangerschaftsabbruchs in meinem Kopf durch. Man hätte meinem Sohn eine Kaliumchlorid-Lösung injiziert. Dadurch käme es zum Herzstillstand und somit zum Tod. Man bringt das Kind dann still zur Welt.

Allein dieser Gedanke machte mich fertig. Ich konnte mein Baby doch nicht einfach aufgeben. Es musste doch eine Lösung geben. Mein wunderschöner kleiner Junge. Er musste doch leben dürfen.

Auf der anderen Seite wusste ich mittlerweile auch, was es bedeuten würde, wenn ein Kind mit diesem Herzfehler zur Welt kommt. Sie benötigen mindestens drei große Herz-Operationen, in denen der Kreislauf auf ein Ein-Kammer-Herz-System umgestellt wird.

Ich wollte das alles nicht. Ich wollte keine OP für mein Baby, ich wollte aber auch nicht, dass es in meinem Bauch stirbt und ich es still zur Welt bringen muss. Ich wollte das alles nicht. Am liebsten hätte ich die Pausetaste gedrückt und die Welt angehalten. Alles auf Anfang zurückgespult.

Während meine Welt zusammenbrach und ich nur weinte, suchte mein Mann nach einer anderen Option. Er hatte vor wenigen Wochen gelesen, dass man pränatale Eingriffe vornehmen lassen kann. Also Eingriffe am Baby, aber noch im Mutterleib. Klingt irgendwie gruselig und ich wusste nicht, wie das funktionieren sollte. Aber es geht.

Philipp fand einen Fetalchirurgen in Mannheim: Professor Dr. Thomas Kohl. Er kontaktierte ihn am gleichen Tag noch per E-Mail und schickte ihm alle Befunde und erklärte die aktuelle Situation und bat um seine fachliche Einschätzung.

Ich werde in diesem Buch viele Ärzte oder Kardiologen erwähnen. Ich fragte alle im Vorfeld, ob ich sie namentlich erwähnen dürfe. Manche stimmten zu und andere nicht. Es werden deshalb manche Ärzte mit vollständigem Namen und andere nur mit ihren Initialen erwähnt.

Am nächsten Tag rief Prof. Dr. Kohl meinen Mann an und sagte folgende Worte:

„Der Zug ist bereits losgefahren. Wenn wir aber schnell genug handeln, können wir noch aufspringen und Ihrem Sohn helfen.“.

Dazu müssten wir uns allerdings persönlich in Mannheim vorstellen, da er sich ein Bild vom Herzchen machen müsse. Wir bekamen einen Termin für den darauffolgenden Tag um 10:00 Uhr in Mannheim.

Im ersten Moment überforderte mich diese schnelle Entscheidung, nach Mannheim zu fahren. Wir setzten plötzlich alles in Bewegung, um unser Baby zu retten. Ohne großartig nachzudenken, handelten wir einfach. Nur wenige Wochen vorher war ich eine glückliche, schwangere Frau, die ein Baby erwartete. Innerhalb kürzester Zeit wandelte sich der Plan unseres Lebens schlagartig.

Wir regelten die Unterbringung meiner Tochter für die Reise nach Mannheim und besorgten uns einen Überweisungsschein.

Mitten in der Nacht ging es für uns dann los. Die Fahrzeit beträgt etwa fünf Stunden. Also zehn Stunden für die Hin- und Rückfahrt. Für eine Schwangere eine eher unangenehme Reise.

Am 16.10.2020 lernten wir dann also Prof. Dr. Kohl kennen. Nie zuvor bin ich auf so einen emphatischen Arzt gestoßen. Er machte einen sehr umfangreichen Ultraschall.

In einem darauffolgenden Gespräch erklärte er uns, welche Optionen wir nun hätten.

Ähnlich wie bereits in Leipzig stand zum einen der Abbruch der Schwangerschaft im Raum. Zum anderen die Geburt des Kindes am Ende der Schwangerschaft und die folgende Umstellung des Kreislaufs auf ein Ein-Kammer-Herz-System. Oder der Versuch, mit Hilfe eines pränatalen Eingriffes in der Schwangerschaftszeit die linke Herzkammer zu retten. Dazu wird mit Hilfe einer minimalinvasiven Operation die Aortenklappe am Herzen des Babys dilatiert, also geweitet, um die linke Herzkammer wieder zu entlasten. Sodass sie sich erholen kann und wieder funktioniert. Am Ende des Tages ist das Herz ein Muskel. Wenn dieser überarbeitet ist, braucht er Regeneration, um sich zu erholen. Sowas kennt man vielleicht, wenn man einen Muskel, beispielsweise beim Sport, zu sehr in Anspruch genommen hat. Und genau so war der Grundgedanke beim Herzen unseres Sohnes.

Wir entschieden uns sofort für Variante drei. Ohne große Bedenkzeit war uns klar, dass wir diesen Weg gehen wollten.

Natürlich ist so eine OP nicht ganz ohne Risiko verbunden. Die Mortalitätsrate, also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baby diesen Eingriff nicht überlebt, liegt bei etwa 20%. Für uns zählten die 80%, die aussagen, dass er überleben würde. Und es war eine Chance, die uns und vor allem ihm gegeben wurde, dass er ein besseres Herzchen bekommen könnte.

KAPITEL DREI

MAL ÜBER DEN TELLERRAND SCHAUEN - DER PRÄNATALE EINGRIFF

Am 21.10.2020 ging es für uns erneut nach Mannheim für die stationäre Aufnahme. Ich war in einer Zeit schwanger, in welcher eine weltweite Pandemie herrschte: Corona.

Aus diesem Grund gab es strenge Hygieneregeln, vor allem in Krankenhäusern. Mein Mann durfte so gut wie zu keiner Untersuchung mit, musste viel draußen vor verschlossenen Türen warten. Und von den Besuchszeiten möchte ich gar nicht erst anfangen. Diese beliefen sich auf eine Stunde pro Tag. Philipp nahm sich für die Zeit ein Zimmer in Mannheim. Nah am Klinikum. Um trotzdem in meiner Nähe sein zu können und mich mental zu unterstützen.

Ich glaube man unterschätzt auch oft die Rolle der Väter. Klar wächst das Kind in der Mutter heran, aber es war Philipps erstes Kind. Sein kleiner Wunsch- Junge. Auch er war in großer Sorge um sein Baby und natürlich auch um mich, seine Ehefrau.

Ich sagte damals immer vorlaut, dass er nach Leipzig fahren könnte. Dass ich das hier alleine schaffen würde. Ich stark genug sei, diesen Weg alleine zu gehen. Ich durch diese Operation müsste und nicht er. Und dass er mir sowieso nicht helfen könne.

Ja, da hört man die starke Frau sprechen. Heute betrachtet, viele Monate später, bin ich froh, dass ich ihn an meiner Seite hatte.

Der Eingriff war für den folgenden Freitag, den 23.10.2020, vorgesehen. Ich wurde bewusst zwei Tage vorher aufgenommen, um alle Routineuntersuchungen durchführen zu können.

Tägliches CTG schreiben, so wie Ultraschalluntersuchungen standen auf der Tagesordnung.

Einen Tag vor meinem Eingriff fand ein weiteres Gespräch mit Prof. Dr. Kohl statt. Es handelte sich um eine detaillierte Aufklärung über den gesamten Verlauf des Eingriffes. Ein ganz wichtiger Punkt dabei war die Klärung von Fragen wie:

“Was wird unternommen, wenn das Herz vom Kind versagen sollte?”; “Soll versucht werden, es wiederzubeleben?”; “Wenn ihr Kind stirbt, wollen Sie es still zur Welt bringen oder sollte es direkt per Kaiserschnitt geholt werden?”; “Und wenn die Fruchtblase verletzt wird und das Kind frühzeitig geholt werden müsste, dürfte es dann hier auf der Neonatologie notversorgt werden?”.

Oh wow!!! Ich konnte diese Entscheidungen nicht treffen. Und wollte sie auch nicht treffen. Ich schaute Prof. Dr. Kohl mit einem leeren Blick an und brachte kein Wort heraus. Ein Hoch auf die damalige Maskenpflicht. Mein Gesichtsausdruck war einfach nur leer. Ich schlug vor, meinen Mann anzurufen und ihn zu fragen. Ich schaltete Philipp auf Lautsprecher und Prof. Dr. Kohl wiederholte sein Anliegen und seine Fragen. Mein Mann traf die Entscheidung, welche ich in meinen Gedanken bereits mehrfach durchgespielt hatte, und sprach sie aus. Wir entschieden uns dazu, dass unser Sohn bei eventuell auftretenden Komplikationen direkt geholt und medizinisch versorgt werden sollte. Wobei seine Überlebenschancen nicht gut gewesen wären, da er noch keine ausreichende Lungenreife gehabt hätte und zusätzlich zu seinem kranken Herzchen die Umstände eines Frühchens hinzugekommen wären. Aber eine Entscheidung musste her. Keine Option war wirklich schön.

Ich bin so dankbar, dass Philipp damals diese Entscheidung aussprach. Er war in diesen Momenten viel klarer als ich. Realistischer. Rationaler. Ich war geflutet mit Hormonen, spürte das Baby in mir. Eine rational richtige Entscheidung treffen konnte ich nicht.

Da war er nun. Der Tag der OP. Ich kann meine Gefühle heute gar nicht mehr beschreiben. Ich war aufgeregt und hatte so große Angst. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich zum OP Saal gefahren wurde. Mir war so kalt. Meine Gefühle gingen mit mir durch.

Ich besitze das große Talent, gewisse Situationen gut überspielen zu können. Man merkt mir selten an, wenn ich unsicher bin oder Angst habe. Ich mochte es nicht, wenn man tief in mich blicken konnte. So auch an diesem Tag. Ich führte noch scherzhafte Gespräche mit den Anästhesisten und unterdrückte meine Angst. Professor Dr. Kohl kam wenige Minuten vor meiner Vollnarkose nochmal zu mir und sagte, dass er meinen Mann anrufe und die Details direkt an ihn weitergeben werde. Ich sollte mir keine Sorgen machen und alles wird gut gehen. Mit diesen Gedanken, dass alles gut wird, schlief ich dann ein.

Der Eingriff dauerte länger als geplant. Die Zeit des Wartens muss die Hölle für Philipp gewesen sein. Er wartete stundenlang vorm Krankenhaus. Im Regen. Rauchte eine Zigarette nach der anderen. Im Minutentakt kamen Nachrichten von Freunden und Familie auf sein Handy, ob alles gut gelaufen sei.

Er musste alle vertrösten und wartete auf den Anruf vom Professor. Und endlich klingelte das Telefon:

„Dem Babychen und Ihrer Frau geht's gut.“.

Diese Worte lösten ein absolutes Gefühlschaos bei meinem Mann aus. Er war zu diesem Zeitpunkt in großer Angst um seinen Jungen, aber auch um mich. Philipp hatte eine unvorstellbare Angst, dass mir was passieren könnte bei dem Eingriff. Er war meiner Entscheidung gegenüber, ob ich die OP machen würde oder nicht, immer total offen. Er hätte mich nie dazu gezwungen oder versucht, mich zu überreden. Er zieht noch heute den Hut vor mir und liebt und respektiert meine Narben am Bauch.

Ich selbst befand mich noch im Aufwachraum. Ich wurde langsam wach und mein erster Griff ging Richtung Babybauch. Der Bauch war noch da. Das war das Wichtigste in diesem Moment für mich, denn ich wusste, dass mein Sohn noch bei mir war. Eine Schwester kam auf mich zu und fragte, ob alles okay sei. Ob mir schlecht wäre oder ob ich mich gut fühlte. Ich bat sie, mir ein Telefon zu bringen. Ich wollte Philipp anrufen. Da ich als gute Ehefrau seine Telefonnummer nicht auswendig wusste, hatten wir sie vorab in meiner Akte notiert. Die Schwester wählte seine Nummer und reichte mir den Hörer.

Philipp war im ersten Moment erschrocken, weil nun wieder eine Mannheimer Telefonnummer anrief. Er hatte die Befürchtung, dass nun im Nachhinein etwas passiert sein könnte.

Ich hörte die Angst in seiner Stimme, als er ans Telefon ging:

„Schatz, ich bin’s Samantha. Ich liege im Aufwachraum. Wie geht's dem Baby?“.

Ich weiß noch, wie er sagte, dass unser Sohn es überlebt habe und der Eingriff erfolgreich war. Ich fing direkt an zu weinen. Ich war so glücklich, dass wir diesen Schritt geschafft hatten. Dass unser gutes Gefühl, den 80% zu vertrauen, richtig war.

Philipp erklärte mir, dass sie das Baby noch drehen mussten, weil er mit dem Rücken nach vorne lag. Deshalb dauerte es länger. Und dass die Aortenklappe um ein Millimeter geweitet werden konnte.

Ein Millimeter klingt vielleicht nicht viel, aber das war es. Wenn man bedenkt, dass das Herz in dieser Schwangerschaftswoche so groß wie eine Kastanie ist.

Ziemlich bewegende Bilder, wie ich finde. Und ja, das sind ich und mein Baby auf diesen Bildern. Ich bin immer wieder verblüfft, was alles medizinisch möglich ist.

Ich bin diesem Arzt noch heute, lange Zeit später, unheimlich dankbar. Die Heilung von Babys ist für ihn eine absolute Herzensangelegenheit und ich würde mich ihm immer wieder anvertrauen.

Danke Prof. Dr. Kohl. Wir sind Ihnen unglaublich dankbar, dass Sie diesen Weg mit uns gemeinsam gegangen sind und immer für uns da waren.

Für mich galt nun erstmal strikte Bettruhe. Ich durfte nur aufstehen, um auf die Toilette zu gehen. Ansonsten musste ich liegen. Jegliche körperliche Belastung hätte dazu führen können, dass meine Fruchtblase einen Schaden erleiden könnte.

Kurz nach der OP trat sogar Fruchtwasser aus den Einstichstellen aus. Alles ganz normal. Aber es war schon ziemlich beängstigend.

Aber eine große Sorge bestand immer noch für mich: Wie geht's meinem Baby? Nach meiner Vollnarkose war ich nun wieder geistig da, konnte aber das Baby noch nicht spüren. Durch die Vollnarkose der Mutter werden die Kleinen automatisch mit in Narkose versetzt. Sie nehmen das Narkosemittel über die Nabelschnur auf. Anders wäre so ein Eingriff auch nicht vorstellbar, wenn das Baby Purzelbäume im Bauch schlagen würde.

Erst am späten Abend merkte ich meinen kleinen Schatz ganz langsam. Zarte Tritte, minimale Bewegungen. Aber ich merkte ihn und ich wusste, dass auch er sich jetzt erholen würde.

Drei Tage später wurde ich dann entlassen und es ging mit einem guten Entlassungsbrief, besseren Werten und glücklichen Eltern nach Hause.

Tatsächlich ist so eine Operation nicht zu unterschätzen. Ich hatte danach große Schmerzen. Es fühlte sich an, als hätte ich Muskelkater im Bauch. Aber so richtig bösen Muskelkater. Ich sollte Zuhause nach wie vor viel liegen. Nichts mehr heben. Mich nicht mal nach dem Wäschekorb bücken. Alles war zu gefährlich und hätte dem Baby schaden können. Das war wirklich sehr schwer für mich, weil ich immer was im Haushalt mache. Immer viel unterwegs bin und nicht lange still sitzen kann. Aber das war die Pille, die ich nun schlucken musste. Alle Erledigungen blieben nun an meinem Mann hängen und er wurde kurzerhand zum Hausmann umfunktioniert .

Am 03.11.2020 stellten wir uns wieder in Leipzig vor. Die Idee war, einen gemeinsamen Plan mit Prof. Dr. Kohl und den Leipziger Kollegen zu erstellen. Es stand schon fest, dass unser Junge etwas eher geholt werden müsse, um das Herzchen besser behandeln zu können. Also außerhalb des Mutterleibs, direkt am Baby.

In Leipzig nahm uns eine Hebamme in Empfang und sie war so glücklich uns und vor allem mich mit Babybauch zu sehen. Sie war ebenfalls in großer Sorge gewesen, ob der Eingriff gut funktionieren würde. Mein Mann und ich hatten nun den guten Befund aus Mannheim in der Hand und gingen total positiv in die Ultraschallkontrolle. Leider schlug sich unsere Euphorie schnell nieder.

Die Kollegen aus Leipzig sahen fast keine Verbesserung. Für sie sah das Herz wie vor der OP aus.

Das war ein absoluter Rückschlag für Philipp und mich. Wir dachten, es ginge nun endlich bergauf und dann das.

Im Verlauf dieses Buches spreche ich immer von den Städten Leipzig und Frankfurt. Konkret meine ich damit das Leipziger Ärzteteam und das Frankfurter Ärzteteam. Philipp und ich sagten umgangssprachlich immer nur die Städtenamen zueinander. Die jeweilige Stadt stand symbolisch für uns also für die vertretenden Ärzte.

Leipzig schlug vor, das Baby frühestens in der 36. Schwangerschaftswoche zu holen und es dann erst einmal intensiv auf der Neonatologie zu behandeln und anschließend, wenn es stabil sei, ins Herzzentrum Leipzig zu verlegen. Mit diesem Vorschlag und einem sehr schlechten Bauchgefühl verließen wir das Krankenhaus. Mein Mann rief sofort in Mannheim bei Prof. Dr. Kohl an und berichtete vom ärztlichen Austausch der Leipziger. Auch er konnte es nicht glauben, dass keine Veränderung sichtbar sei und wollte uns deshalb persönlich für eine weitere Kontrolle sehen. Ich sollte dieses Mal vorsichtshalber Sachen für eine stationäre Aufnahme mitbringen, weil eine Sauerstofftherapie eventuell in Frage kommen könnte, um dem Baby zu helfen. Das bedeutet, dass die Mutter mehrere Stunden am Tag Sauerstoff über eine Maske einatmet, dieser kommt beim Kind an und kann ihm helfen. Diese Therapie steckt noch in den Kinderschuhen, aber Prof. Dr. Kohl konnte damit schon Erfolge verzeichnen und kranke Herzen heilen.

Ich war fertig mit den Nerven. Ich lag doch erst im Krankenhaus und war von meiner Tochter getrennt gewesen. Nun sollte ich wieder nach Mannheim? Ich war gerade mal drei Tage zu Hause. Aber es nützte nichts. Wir packten meinen Koffer für eine stationäre Aufnahme, kümmerten uns erneut um die Betreuung meiner großen Tochter und besorgten einen Überweisungs- und Einweisungsschein. Am nächsten Tag ging es für uns wieder los. Fünf Stunden Autofahrt nach Mannheim. Ich lag die meiste Zeit auf der Rücksitzbank, weil ich aufgrund des Eingriffes nicht lange sitzen konnte. Außerdem hatte ich mit starken Rückenschmerzen zu kämpfen.

In Mannheim angekommen, begrüßte uns der Professor. Er begann direkt mit dem Ultraschall und konnte mich beruhigen. Das Herz war genauso wie im letzten Ultraschall nach dem Eingriff. Anders als die Ärzte in Leipzig schaut Prof. Dr. Kohl sich tagtäglich diese kleinen Herzen an. Misst Drücke, Blutdurchflüsse und und und. Alles mit der neuesten Technik und bis ins kleinste Detail. Deshalb vertraute ich seiner Meinung einfach mehr. Trotzdem waren die Leipziger Kollegen super. Immerhin hatten sie die Aortenklappenstenose erst erkannt. Aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass es richtig wäre, den Weg mit Prof. Dr. Kohl zu gehen.

Wir probierten noch die Sauerstofftherapie, aber ich und mein Baby waren dafür nicht die passenden Patienten. Deshalb wurde ich wider erwarten nicht stationär aufgenommen.

Am Ende des Ultraschalls stellten wir dem Professor das weitere Vorgehen seitens Leipzig vor. Mit einer Entbindung in der 36. Schwangerschaftswoche war er nicht ganz einverstanden. Er glaubte, wenn man zu lange warten würde, könnte der Zustand des Herzchens wieder in die andere Richtung kippen und sich wieder verschlechtern. Man sollte das Kind bald holen und die Aortenklappe nochmals weiten. Nur dieses Mal am Baby selbst und mit Hilfe eines Herzkatheters. Ein Herzkatheter? Das nächste Wort, welches ich bis zu diesem Tage nicht kannte. Das sollte sich bald ändern.

Professor Dr. Kohl fragte uns, ob wir auch bereit wären nach Frankfurt zu gehen. Er habe dort einen guten Freund, Professor Dr. Dietmar Schranz, dieser sei eine Koryphäe auf dem Gebiet der herzkranken Babys. Er rief ihn sofort an und erzählte von unserem Fall. Für Philipp und mich war sofort klar: Wir gehen den Weg in Frankfurt zusammen mit Prof. Dr. Kohl und Prof. Dr. Schranz, auch wenn wir Prof. Dr. Schranz noch nicht kannten. Wir vertrauten blind.

Es wurde alles in die Wege geleitet und ich sollte auf den Anruf aus der Uniklinik Frankfurt warten. Wir waren dann also wieder wenige Tage zu Hause in Leipzig und genossen die Schwangerschaft, so weit es uns möglich war. Der Anruf aus Frankfurt ließ nicht lange auf sich warten. Der Entbindungstermin für unseren Sohn stand somit fest.

Am 11.11.2020 sollte unser kleines Herzchen geboren werden.

Es war ein durchaus komisches Gefühl, zu wissen, dass genau an Tag X sein Kind kommen würde und dass man somit nur noch wenige Tage schwanger sein wird. Was macht man da also als schwangere, hormongeflutete Frau? Richtig. Man bestellt sich nochmal eine Fotografin nach Hause und macht schöne Bilder als Erinnerung an eine tolle Kugelzeit.

Leider liebte ich meinen Babybauch nicht immer. Nach der letzten schlimmen Diagnose war ich nicht mehr gerne schwanger.

Ich habe meinen Bauch nicht gerne gezeigt, nicht gern angefasst. Das lag aber nicht daran, dass ich mein Baby nicht liebte, sondern weil wir so viele Entscheidungen treffen mussten. Und ja, wir unterhielten uns auch über das Thema Schwangerschaftsabbruch. Und allein der Gedanke an solch einen Abbruch, ließ mich so traurig werden und ich schämte mich so sehr, dass ich dies überhaupt in Erwägung gezogen hatte. Man kann sagen, ich fühlte mich meinem Baby gegenüber schlecht, als würde ich es verraten. Er wuchs normal in mir heran, bekam von alldem nichts mit und wir sprachen darüber, wie es weitergehen würde.

Irgendwie schaffte ich es mit der Zeit, mich und meine Gedanken zu akzeptieren. Und meinen Bauch wieder zu lieben. Ihn zu zeigen, zu streicheln. Mit jedem Tritt war ich froh, dass er da war, es ihm gut ging. Und ich habe meinen Kugelbauch bis zur letzten Minute genossen und alle Zweifel hinten angestellt.

KAPITEL VIER

WIR GEHEN DEN WEG MIT FRANKFURT

Am 09.11.2020 begann unsere Reise mit Frankfurt. Wir sollten uns zwei Tage vor dem festgelegten Kaiserschnitt vorstellen, um alles zu planen. Ich erinnere mich noch, dass wir sehr zeitig da sein mussten. Ich glaube, es war 08:00 Uhr. Also mussten wir, wie so oft, in der Nacht losfahren.

Ich hatte meinen Koffer großzügig gepackt, da ich wusste, dass ich länger dort bleiben werde. Bequeme Klamotten für lange Krankenhaustage und eine Decke meiner großen Tochter, damit sie auch bei mir wäre, wurden gepackt.

Meine Mara ließ ich nun für unbestimmte Zeit in Leipzig zurück. Ich versuchte beim Abschied nicht zu weinen, aber es war sehr schwer. Zum Glück stecken kleine Kinder sowas ganz gut weg und können sich schnell ablenken und auf andere Gedanken bringen.

Meine stationäre Aufnahme sollte erst am 10.11.2020 sein. Also nahmen Philipp und ich für eine Nacht ein Hotel.

Der Tag der Vorstellung in der Uniklinik in Frankfurt war sehr lang. Ich war müde, hatte Hunger und war schwanger. Mehr ist meiner damaligen Gefühlslage nicht hinzuzufügen. Wir sprachen mit verschiedenen Menschen, erklärten, wieso wir da seien und welchen Weg wir bis jetzt schon gegangen waren. Ich konnte unsere Geschichte schon fast wie eine Tonbandaufnahme abspielen.

Es erfolgte selbstverständlich ein Ultraschall, um das Herz zu beurteilen. Da lernten wir zum ersten Mal einen unserer Kardiologen kennen: Dr. med. A. E..

Er sagte beim Ultraschall, dass er und sein Team viele Tricks hätten, unter anderem das Einsetzen von Plugs, um unserem Baby einen Start ins Leben zu schenken. Ich verstand nur Bahnhof. Plugs? Was sind Plugs? Und wieso Tricks? Ich dachte, die Aortenklappe muss nur nochmal geweitet werden? Dürfte ich bitte wieder die Pausetaste drücken? Es forderte mich nicht nur, es überforderte mich.

Oh Mann! Plötzlich überkam mich alles und ich hinterfragte, ob das alles richtig sei. Sollten wir unseren kleinen Jungen wirklich schon jetzt holen lassen? Wollten wir nicht lieber warten? Neben seinem Herzchen wird er dann auch ein Frühchen sein. Wird er das schaffen? Wie hoch sind die Erfolgschancen? Wurde sowas schon mal mit anderen Babys gemacht? Und gibt es denn wirklich keine Alternativen?

Unser Baby sollte als Frühchen zur Welt kommen. Glücklicherweise hatte ich mir in Leipzig noch zwei Spritzen zur Lungenreife des Babys injizieren lassen. Diese Empfehlung kam von Frankfurt, um dem Kleinen einen besseren Start ins Leben zu verschaffen.

Problematisch wurde es, als uns in Frankfurt noch kein Einverständnis für den geplanten Kaiserschnitt gegeben wurde. Wir sollten nach allen Untersuchungen erstmal die Klinik verlassen und auf einen Anruf warten. Die Ärzte der Geburtsabteilung sahen keine Notwendigkeit darin, das Baby eher zu holen, weil die Schwangerschaft reibungslos verlief. Die Kardiologen waren anderer Meinung, da man nur in diesem frühen Zustand Hilfe leisten könne. Nun musste eine Einigung gefunden werden und so lange warteten Philipp und ich. Wir fuhren in die Stadt und versuchten, die Zeit irgendwie zu nutzen.

Ich bin ein Mensch, der ganz fest glaubt, dass alles nicht ohne Grund passiert. Und manche Entscheidungen und deren Folgen genauso gewollt sind. Weil alles einen Grund hat, den wir vielleicht erst irgendwann verstehen werden. Und deshalb dachte ich an diesem Tag, dass wir möglicherweise nicht nach Frankfurt sollten, weil die Ärzte zu keiner Einigung kamen. Dass wir doch den Weg mit dem Leipziger Team gehen und das Baby erst in der 36. Schwangerschaftswoche holen könnten. Zwischenzeitlich telefonierten wir sogar mit unseren hiesigen behandelten Ärzten und berichteten, was gerade passierte und dass wir uns unschlüssig seien. Eine Entscheidung konnte uns leider niemand abnehmen.

Ich rief dann meine Mama an, erzählte ihr von meinen Bedenken und dass ich nicht wisse, was richtig und was falsch sei. Vielleicht lag es auch daran, dass ich wusste, dass Frankfurt eben nicht Leipzig war. Dass ich viele Kilometer von zu Hause entfernt stand und meine Tochter nicht sehen würde.

Ich wusste bis dato noch nicht mal wo ich wohnen würde nach der Entlassung. Alles stand in den Sternen und war so unsicher.

Und dann klingelte Punkt 17:00 Uhr mein Telefon und eine Frankfurter Telefonnummer rief an:

„Frau Geidel, wir bestätigen Ihnen den geplanten Kaiserschnitt am 11.11.2020. Kommen Sie bitte morgen vormittag zur stationären Aufnahme ins Haus 14.“.

Und somit war die Entscheidung getroffen und ich dachte, dass es nun richtig sein muss, wenn die Ärzte sich so entschieden haben. Ich schmiss meine Ängste und Bedenken über Bord und wusste, dass ich es irgendwie schaffen werde. Ich hatte auch keine andere Wahl. Wir waren nun so weit gegangen, den restlichen Weg würden wir nun auch meistern.

Am nächsten Morgen fuhr Philipp mich ins Krankenhaus und ich checkte ein. Er selbst kam erst am Abend dazu, weil er sich einen negativen Corona-Abstrich besorgen musste. Er fuhr zum Flughafen und ließ sich dort testen.

Wir bekamen ein Familienzimmer und verbrachten die letzte Nacht schwanger im Krankenhaus. Und wieder mal war ich sehr froh, dass ich ihn an meiner Seite hatte. Ich hatte wirklich große Angst vor dem Kaiserschnitt. Bei meiner großen Tochter war es damals ein Notkaiserschnitt unter Vollnarkose. Dieses Mal sollte ich wach dabei sein.

Unsere letzte Nacht war recht schlaflos. Der Gedanke, zu wissen, dass mein kleines Baby in wenigen Stunden auf die Welt kommen würde, war so surreal. Unsere große Reise, die uns bevorstand, war total ungewiss. Es konnte so ziemlich alles passieren. Es konnte in jede Richtung gehen. Wir hatten es einfach nicht in der Hand.