Good Morning, Mr. Mandela - Zelda la Grange - E-Book

Good Morning, Mr. Mandela E-Book

Zelda la Grange

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Beschreibung

Ein einzigartiger Blick auf den wahren Nelson Mandela.

Zelda la Grange war fast zwanzig Jahre lang die persönliche Assistentin von Nelson Mandela. Eine junge weiße Frau, geprägt von der rassistischen Politik des südafrikanischen Apartheidregime. Die zunächst als Sekretärin für Mandela arbeitete und schließlich zu einer der engsten Vertrauten jenes Mannes wurde, der ihr jahrzehntelang als Feindbild gegolten hatte. Aus der Schreibkraft wurde eine Frau, die mit Nelson Mandela um die Welt reiste, bei Treffen mit Bill Clinton, Johannes Paul II, Yassir Arafat, Morgan Freeman und Gaddafi dabei war und die ihn bis zu seinem Tod begleitete. Und die wie keine andere den wahren Nelson Mandela kennenlernte. Jene außergewöhnliche Persönlichkeit, die niemanden unbeeindruckt ließ und zugleich überraschend humorvoll war. Eine Hommage an Mandelas inspirierendes Vermächtnis und ein Aufruf, dass es nie zu spät ist, ein besserer Mensch zu werden.

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Seitenzahl: 704

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Zelda la Grange war fast zwanzig Jahre lang die persönliche Assistentin von Nelson Mandela. Eine junge weiße Frau, geprägt von der rassistischen Politik des südafrikanischen Apartheidregime. Die zunächst als Sekretärin für Mandela arbeitete und schließlich zu einer der engsten Vertrauten jenes Mannes wurde, der ihr jahrzehntelang als Feindbild gegolten hatte. Aus der Schreibkraft wurde eine Frau, die mit Nelson Mandela um die Welt reiste, bei Treffen mit Bill Clinton, Johannes Paul II, Jassir Arafat, Morgan Freeman und Gaddafi dabei war und die ihn bis zu seinem Tod begleitete. Und die wie keine andere den wahren Nelson Mandela kennenlernte. Jene außergewöhnliche Persönlichkeit, die niemanden unbeeindruckt ließ und zugleich überraschend humorvoll war. Eine Hommage an Mandelas inspirierendes Vermächtnis und ein Aufruf, dass es nie zu spät ist, ein besserer Mensch zu werden.

Der Nummer-1-Bestseller aus Südafrika!

ZELDA LA GRANGE, geboren 1970, wuchs während der Apartheid in Südafrika auf. Seit 1992 war sie zunächst in verschiedenen Bereichen als Sekretärin für die Regierung tätig. 1994 begann sie, im Büro des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Südafrikas zu arbeiten. Über 19 Jahre war sie in verschiedenen Funktionen für Nelson Mandela tätig – als Schreibkraft, Privatsekretärin, Office-Managerin, als seine Pressesprecherin und, bis zu seinem Tod, als seine persönliche Assistentin. Seit 2002 arbeitete sie festangestellt für die Nelson Mandela Stiftung. Zelda la Grange lebt in Pretoria.

Zelda la Grange

Good Morning,Mr. Mandela

Nelson Mandelas persönliche Assistentin erzählt

Aus dem südafrikanischen Englischvon Ute Brammertz

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen. Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Good Morning, Mr Mandela« bei Allen Lane / Penguin, London.

1. AuflageCopyright © 2014 by Zelda la Grange (Pty) Ltd.Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenSatz: Uhl + Massopust, AalenUmschlaggestaltung: semper smile, München nach einem Entwurf von Laila Mjøs/[email protected] 978-3-641-15546-9V002Besuchen Sie unseren LiteraturBlog www.transatlantik.de!www.btb-verlag.dewww.facebook.com/btbverlag

Inhalt

Karte

Vorbemerkung der Autorin

Prolog: Zeldina

ERSTER TEIL »Wenn es nicht gut ist, lass es sterben« 1970–1994

1 Kindheit

2 Wandel

ZWEITER TEIL Anbruch eines neuen Morgens 1994–1999

3 Wie ich Mr. Mandela kennenlernte

4 Mitarbeiterin eines Präsidenten

5 Mit einem Präsidenten auf Reisen

6 Wettlauf mit der Zeit

DRITTER TEILTürhüterin bei dem berühmtesten Mann der Welt 1999–2008

7 Reisen und Konflikte

8 Zusammenarbeit mit Weltpolitikern

9 Urlaub und Freunde

10 Die größte Wohltätigkeitsveranstaltung meines Lebens

VIERTER TEIL »Was nun?« 2009–2013

11 Bis zum Schluss bleiben

12 Abschiednehmen

13 Tot weersiens Khulu!

Danksagung

Bildnachweis

Quellen

BILDTEIL

Vorbemerkung der Autorin

Im Juni 2013 führte der Sohn des treuen ANC-Aktivisten Oliver Tambo, Dali Tambo, ein Interview mit dem Präsidenten von Simbabwe, Robert Mugabe. Mugabe sagte: Nelson Mandela ist ein zu großer Heiliger. Er hat in seinem eigenen Land Weiße zu Lasten der Schwarzen zu gut behandelt. Manche stimmten dem zu, andere legten Widerspruch ein. Bis zu einem gewissen Grad steckte wohl ein Fünkchen Wahrheit in den Worten des Mannes. Man konnte es durchaus so sehen. Und dennoch hatte Madiba selbst vor langer Zeit in einem Gespräch mit Richard Stengel gesagt, aus dem in Bekenntnisse zitiert wird: »Die Menschen werden den Eindruck haben, dass ich in den Leuten zu viel Gutes sehe. Ich muss mit dieser Kritik leben und habe versucht, mich darauf einzustellen, denn ob es nun so ist oder nicht, es ist etwas, was ich für gewinnbringend halte. Es ist eine gute Sache anzunehmen, auf der Grundlage zu handeln, dass … die anderen Menschen integer und ehrenhaft sind … weil man tendenziell Integrität und Ehrenhaftigkeit anzieht, wenn das die Sichtweise ist, mit der man die Menschen betrachtet, mit denen man zusammenarbeitet.«

Anlässlich des Mugabe-Interviews fühlte ich mich für diese Wahrnehmung, Nelson Mandela habe Weiße zu gut behandelt, irgendwie verantwortlich. Er hat mich tatsächlich gut behandelt, doch ich möchte glauben, dass er stolz darauf war, wie er dieses unbedeutende Leben veränderte. Des Öfteren sagte er, wenn man nur einen Menschen zum Besseren bekehre, habe man bereits seine Pflicht getan. Er hat nicht nur mein Leben verändert, sondern Millionen andere. Er hat viel mehr getan, als von einem einzigen Menschen erwartet werden kann, und vielleicht hat er es dafür doch verdient, als Heiliger gepriesen zu werden.

In einem anderen Gespräch mit Richard Stengel sagte Madiba: »Die eigene Pflicht besteht darin, mit Menschen als Menschen umzugehen, und nicht weil man glaubt, dass sie Engel seien. Und deshalb, sobald man also weiß, dass ein Mensch diese Tugend, aber auch jene Schwäche hat, arbeitet man mit beidem, stellt sich auf diese Schwäche ein und versucht, ihm bei ihrer Überwindung zu helfen. Ich will mich nicht von der Tatsache ängstigen lassen, dass ein Mensch bestimmte Fehler gemacht und dass er menschliche Schwächen hat. Ich kann mich davon nicht beeinflussen lassen. Und deshalb kritisieren [mich] viele Menschen.«

Ich versuche, mir nicht die Frage zu stellen: »Warum ich?« Ich möchte gar nicht erst ergründen, warum Nelson Mandela gerade mich ausgewählt hat. Wenn ich es aber doch tue, kommen mir die oben stehenden Zitate in den Sinn. In unseren gemeinsamen neunzehn Jahren lernte er meine Schwächen kennen, er lernte auch meine Stärken kennen, und er investierte in meine Stärken, um mich zu dem Menschen zu machen, der ich heute bin.

Ich habe ihm beinahe zwanzig Jahre gedient und bin seine persönliche Assistentin gewesen, bis er uns am 5. Dezember 2013 verließ. Im Jahr 2009 beschloss ich, mit dem Schreiben dieses Buches anzufangen, um ihm Tribut zu zollen. Hauptsächlich wollte ich meine Erlebnisse festhalten, weil ich hoffte, dass andere durch diese Geschichte ebenfalls verändert und beeinflusst werden würden. Mein Buch ist deshalb ein Tribut an Khulu, wie ich ihn kannte.

Dies ist nicht seine Geschichte. Es ist meine Geschichte, und ich bin damit zufrieden. Doch die Leser werden vielleicht enttäuscht sein, falls sie erwarten, dass ich allzu viel schmutzige Wäsche wasche. Dem Vertrauen, das mir Nelson Mandela geschenkt hat, werde ich niemals respektlos begegnen. Es gibt keine größere Ehre, die er mir hätte erweisen können – als mir zu vertrauen –, und ich habe vor, dieses Vertrauen für den Rest meines Lebens nicht zu enttäuschen. Die Entscheidung, worüber ich geschrieben und was ich weggelassen habe, basiert auf diesem Vertrauen. Deshalb handelt es sich hier um kein Enthüllungsbuch.

Außerdem ist es weder ein Buch voller großer politischer Einsichten noch eine thematische Analyse seines Lebens. Es ist die einfache Geschichte meiner Erlebnisse mit ihm. Eine der wichtigsten Lektionen, die ich im Laufe der Jahre von diesem großen Mann gelernt habe, und die mir später im Leben noch einmal von seiner Frau Graça Machel bestätigt wurde, lautet, dass man nur einem einzigen Menschen gegenüber Rechenschaft abzulegen hat, und zwar sich selbst. Man muss abends mit den eigenen Gedanken und dem eigenen Gewissen zu Bett gehen, und nach der Niederschrift dieses Buches brauche ich das angenehme Gefühl, auf dem Kopfkissen eines reinen Gewissens zu ruhen. Ich muss ihn stolz machen, denn so sehr es sich auch anfühlt, als wären unsere Leben in den letzten beiden Jahren von Negativität und Aufruhr überschattet gewesen, gibt es da auch eine schöne Geschichte zu erzählen – und ich darf mir eingestehen, dass ich Teil dieser Geschichte bin und es meine Pflicht ist, sie zu erzählen. Vor allem muss ich in meinem Herzen wissen, dass er mit dem, was ich erzählt habe, zufrieden wäre, würde er dieses Buch lesen, und dass er den einzelnen Details zustimmen könnte. Da ich sechzehn der letzten neunzehn Jahre tagein, tagaus mit ihm verbracht habe, habe ich eine Vorstellung davon, was in seinen Augen an die Öffentlichkeit dringen dürfte und was nicht. Und Letzteres gilt es zu schützen.

Das Buch ist eine Sammlung von Anekdoten – manchmal auf meine eigenen Kosten –, die aus einem erfüllten Leben stammen. Da gibt es kein Bedauern, nur Lehren, die zu ziehen sind. Ich bin emotionale Milliardärin, und wenn in meinem restlichen Leben nichts Außergewöhnliches mehr passieren sollte, werde ich dennoch bis zu meinem Todestag mit diesen Erinnerungen zufrieden sein. Ich habe ein reiches Leben geführt. Die meisten Menschen werden das, was ich mit angesehen habe, nicht erleben, und deshalb ist meine Geschichte eine des Wandels, der langsamen Metamorphosen des Geistes und eines Glaubenssystems, bis hin zu meinem heutigen Standpunkt. Der Leser oder die Leserin muss entscheiden, ob es irgendeinen Teil gibt, mit dem er oder sie sich identifizieren kann, oder Lehren, die sie aus meiner Geschichte ziehen können. Die Entscheidung liegt nicht bei mir.

Es wäre auch falsch anzunehmen, ich wäre der einzige oder ein besonderer Mensch um Madiba herum gewesen. Ich hatte eine bestimmte Funktion in seinem Leben, hauptsächlich im Hinblick auf sein öffentliches Leben. Doch es gibt noch viele andere, Haushaltspersonal, Büroangestellte, Sicherheitskräfte und medizinisches Personal, die ebenso wichtige Aufgaben innehatten und auf die er stark angewiesen war. Manche sind in meine Geschichte einbezogen worden, doch ich konnte schlichtweg nicht jedem Einzelnen meine Anerkennung zollen.

Ich habe ausnahmslos mein Bestes versucht – mehr habe ich nicht zu geben. Ich hoffe, ein klein wenig zu Nelson Mandelas Vermächtnis beizutragen, indem ich die Privilegien und Erfahrungen, die mir zuteilwurden, an jeden weitergebe, der offen ist, sie zu empfangen. Wenn ich auch nur ein einziges Leben dadurch verändere, dass ich einen anderen Menschen mit meiner Geschichte berühre, habe ich meine Pflicht getan.

Ich verbleibe, auf ewig verbunden und zu Dank verpflichtet …

Prolog: Zeldina

Es war Anfang der 2000er Jahre. Ich war über dreißig, stand vor der Tür des Präsidentenamtes in Johannesburg und erwartete wie üblich die Ankunft von Nelson Mandela, um ihn zu empfangen, in sein Büro zu begleiten und über die Veranstaltungen des Tages zu unterrichten. Wenn sein Wagen um die Ecke bog, strahlte ich jedes Mal, egal, unter wie viel Druck ich stand. Das Lächeln in meinem Gesicht war voller Liebe und Bewunderung, vielleicht so, wie man beim Anblick der eigenen geliebten Großeltern lächeln würde. Sein Wagen hielt an, die Leibwächter stiegen aus. Wir begrüßten uns und tauschten kurz Höflichkeitsfloskeln, bevor sie Madiba die schwer gepanzerte Wagentür öffneten, damit er aussteigen konnte. Madiba ist Nelson Mandelas südafrikanischer Clanname. Es ist auch der Kosename, mit dem ihn die Menschen liebevoll bezeichnen. Manche nennen ihn Tata, was »Vater« bedeutet, doch die meisten Leute verwenden Madiba, wenn sie über ihn sprechen oder ihn anreden. Ich nannte ihn Khulu, eine verkürzte Version von Tata um’khulu, was »Großvater« heißt.

Während er ausstieg, trafen sich unsere Blicke. »Guten Morgen, Khulu!«, rief ich. Er nannte mich Zeldina. Man reichte ihm seinen Spazierstock, damit er sich beim Aussteigen darauf stützen konnte. Der Stock war aus Elfenbein, ein Geschenk seines guten Freundes Douw Steyn. Für materielle Dinge hatte er sonst nicht viel übrig, doch sein Stock gehörte zu den wenigen Gegenständen, die er schätzte und mit seinem Leben beschützte.

»Guten Morgen, Zeldina«, sagte er, als er aus dem Wagen stieg. Das Gesicht erstrahlte mit seinem üblichen Lächeln, auch wenn ich eine gewisse Reserviertheit bemerkte. Sobald ihm die Leibwächter auf die Beine geholfen hatten, gaben sie ihn an mich weiter. Er stützte sich immer auf seinen Stock und hielt sich mit der linken Hand an meinem Arm fest.

»Wie geht es Ihnen heute Morgen, Khulu?«, fragte ich.

»Mir geht es gut, Zeldina«, erwiderte er zwar, fuhr aber nicht wie üblich fort, indem er sich nach meinem Wohlbefinden erkundigte. Das war ein weiteres Anzeichen dafür, dass ihn etwas bedrückte. Auf dem Weg in sein Büro ließ ich ihm ein paar Augenblicke Zeit, um sich zu sammeln, bevor ich anfing, ihn mit Informationen bezüglich des Tages zu überhäufen. Sobald seine Bürotür geschlossen war, öffnete er sich.

»Wissen Sie, Zeldina, vergangene Nacht hatte ich einen Traum.«

»Ja?«, fragte ich.

»Ich habe geträumt, dass Sie mich verlassen, dass Sie mich im Stich gelassen haben …«, sagte er.

Ich war sprachlos. Ich? Zelda la Grange? Nelson Mandela verlassen? Wie konnte er sich nur vorstellen, dass ich so etwas täte? Damals hatte ich schon fast zehn Jahre für ihn gearbeitet. Was konnte ihm das Gefühl vermitteln, ich würde ihn verlassen? Ganz im Gegenteil, aufgrund meiner frühen Kindheit war doch ich diejenige mit den Verlassensängsten. Ich musste ihn beruhigen. Dazu legte ich meine linke Hand auf seine linke, mit der er sich an meinem rechten Arm festhielt. »Khulu, ich würde so etwas niemals tun, und Sie sollten sich darüber bitte auch nie wieder Gedanken machen. Ich kann Ihnen versichern, dass ich Sie nicht verlassen werde.« Und dann fuhr ich weniger ernsthaft fort. »Außerdem glaube ich sowieso, dass Sie eher mich verlassen oder davonjagen werden, bevor ich Sie verlassen kann.«

Er sah mich an, lachte halbherzig und hob die Augenbrauen. »Das werde ich niemals tun.«

So herzlich war unsere Beziehung. Wir brauchten die gegenseitige Bestätigung. Wir kümmerten uns umeinander. Ich habe diesen Mann, der früher einmal als Volksfeind galt, lieben gelernt. Damals hatte er Angst in uns ausgelöst. Als weiße Afrikaaner im Südafrika der Apartheid aufgewachsen, hatten wir ein Leben lang eben die Menschen unterdrückt, die Nelson Mandela repräsentierte. Er war die Stimme der Unterdrückten und des Freiheitskampfes. Weniger als fünfzehn Jahre nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis stand ich nun hier und versuchte dem Mann, den wir einst verachtet hatten, mein hingebungsvolles Engagement zu erklären.

Apartheid war das System, das die weiße Regierung in den 1940er Jahren in Südafrika eingeführt hatte. Apartheid befürwortete die Vormachtstellung der Weißen und die Unterdrückung der Schwarzen und war ein eindeutiges Gesetzeswerk, das in Südafrika für die Trennung und Segregation von Weißen und Schwarzen sorgte. Die Apartheidsgesetze wurden in Kirchen und Schulen, an Stränden und in Restaurants sowie an all den Orten gewahrt, wo sich die weiße Minderheit durch die Gegenwart schwarzer Menschen eingeschüchtert fühlen könnte.

Dennoch ging ich als Erwachsene den Großteil meines Berufslebens neben Nelson Mandela her – wobei wir uns aneinander festhielten. Ich war ein junges Afrikaanermädchen, dessen Ansichten und Denkweise von dem größten Staatsmann unserer Zeit verändert wurden. Doch für mich war er mehr als mein moralisches Gewissen. Ich hatte gelernt, Zuneigung für ihn zu empfinden – weil er Zuneigung für mich empfand. Er prägte und änderte mein Denken, denn dass er eine weiße, Afrikaans sprechende junge Frau als seine persönliche Assistentin einstellte, war nicht nur beispiellos, es war schlicht undenkbar.

ERSTER TEIL »Wenn es nicht gut ist, lass es sterben«1970–1994

1 Kindheit

Am 29. Oktober 1970 kam ich in Südafrika, in Boksburg, östlich von Johannesburg, auf die Welt und wurde nicht ausgesetzt, sondern sollte es zu etwas bringen, wie die meisten Babys, die in diese Welt hineingeboren werden.

Am gleichen Tag begann für Nelson Mandela bereits sein neuntes Jahr im Gefängnis. Er war seit 1962 inhaftiert und dann im Laufe des Rivonia-Prozesses 1964 des Hochverrats schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zusammen mit anderen politischen Gefangenen war er auf Robben Island, einer trostlosen Insel vor der Küste von Kapstadt, eingesperrt, weil sie Widerstand gegen die Apartheid geleistet hatten.

Damals arbeitete mein Vater für eine Baufirma, meine Mutter war Lehrerin. Sie waren sehr arm. Ihr einziges anderes Kind, mein Bruder Anton, war bei meiner Geburt drei Jahre alt. Da unsere Eltern weiß waren, genossen wir von Geburt an rechtliche Privilegien. So war es 1970 in Südafrika.

Obwohl die Familien meiner Eltern jeden Dezember denselben Urlaubsort besucht hatten, lernten sich meine Eltern erst in Boksburg kennen, als meine Mutter bereits auf Lehramt studierte und mein Vater bei der Post arbeitete.

Die Familie meines Großvaters stammt von französischen Hugenotten ab, die im Laufe der 1680er Jahre aus dem Süden Frankreichs geflohen waren, um der Verfolgung der Protestanten durch die katholische Amtsgewalt zu entkommen. Die Familie La Grange kam ursprünglich aus einer Gemeinde namens Cabrières in der Gegend von Avignon. In späteren Jahren entdeckte ich diesen Ort für mich und besuchte ihn im Zuge meiner Arbeit für Nelson Mandela zweimal.

Mein Vater war eines von zwei Geschwistern. Seine Eltern lebten in Mossel Bay, einer Küstenstadt an der malerischen Garden Route in der Kapprovinz. Die Schwester meiner Großmutter war die erste zur Apothekerin ausgebildete Frau in Südafrika. Bis zum heutigen Tag besitzt und führt die Familie Scholtz eine angesehene Apotheke in der Stadt Willowmore in der Provinz Ostkap. Folglich war sie eine recht beeindruckende Frau, zu der wir aufgrund ihrer einzigartigen Leistung selbstverständlich aufblickten.

Den Vater meines Dads hatte ich sehr gern. Er hieß Anthony Michael, aber wir nannten ihn einfach »Oupa Mike« (Opa Mike). Er besuchte uns ein paarmal im Jahr und wohnte dann jeweils wochenlang bei uns. Er rauchte Pfeife, und der Geruch des Rauchs störte uns. Immer saß er auf einem besonderen Stuhl und wischte die Hand ständig an der Armlehne ab. Seine Haut war alt und rissig, der Tabak steckte vom Pfeifestopfen in diesen Rissen fest. Wenn er unser Haus verließ, war die Armlehne – sehr zum Verdruss meiner Mutter – jedes Mal schwarz, aber niemand verbot ihm je, im Haus zu rauchen.

Meine Mutter war die Älteste von drei Geschwistern aus der Familie Strydom. Die einzige bekannte Familie mit diesem Nachnamen war diejenige von J. G. Strijdom (manchmal auch Strydom geschrieben), des sechsten Premierministers von Südafrika, der von 1954 bis 1958 im Amt gewesen war. Sein Nachfolger war der »Vater der Apartheid«, H. F. Verwoerd. Als ich als Kind etwas über Premierminister Strijdom lernte, redete ich mir ein, dass wir irgendwie miteinander verwandt wären, auch wenn keine echte Verbindung bestand.

Der Vater meiner Mutter war bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen, als meine Mutter erst zwölf Jahre alt war. Ich fragte sie häufig, ob sie sich noch an die Nacht erinnere, in der sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters erhielten. Meist vermied sie, über dieses Thema zu sprechen, sagte jedoch, dass sie sich entsinne, geweckt worden zu sein, als jemand an ihre Haustür klopfte, und dann gehört zu haben, wie meine Großmutter hysterisch weinte.

Meine Großmutter hatte nicht viele Möglichkeiten, was das Aufziehen ihrer Kinder betraf. Sie erledigte Büroarbeit für die South African Railways. Damit war es ihr finanziell unmöglich, drei kleine Kinder allein großzuziehen.

Sie entschied, meine Mutter – da sie die Älteste war – in ein Waisenhaus zu schicken. Das Kinderheim befand sich in Kapstadt, weshalb meine Mutter diese Stadt bis zum heutigen Tag verabscheut. Für sie haftet ihr der Gestank des Verlassenwerdens an.

Meine Ma sah ihre Geschwister und meine Großmutter nur einmal im Jahr während der Ferien im Dezember. Beide Familien, die La Granges wie auch die Strydoms, zelteten während der Dezemberferien in derselben Gegend in der Nähe von Mossel Bay, nämlich in Hartenbos. Doch, wie gesagt, sie wussten nichts voneinander.

Die Kindheitserinnerungen meiner Mutter beschränken sich auf Leid, Vernachlässigung und Traurigkeit. Die Welt litt unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs und erholte sich nur langsam von der Wirtschaftskrise. Meine Mutter bekam diese Folgen, selbst als Afrikaanerkind in den 1940er Jahren in Südafrika, durch Armut zu spüren. Ich bewundere sie sehr dafür, dass sie meiner Großmutter gegenüber keinen Groll hegt, so schwierig die Umstände für meine Großmutter auch gewesen sein mögen.

Grandma Tilly, die Mutter meiner Mutter, war Teil unseres Alltags, obwohl sie meine Mutter als Kind weggegeben hatte. Sie wohnte in unserer Nähe, und ich besuchte sie oft auf meinem Heimweg von der Grundschule, da sie praktischerweise auf halbem Weg zwischen unserem Haus und der Schule lebte. Bevor Grandma Tilly näher zu uns zog, hatte sie auf der gegenüberliegenden Seite der Union Buildings gewohnt. Die Union Buildings auf dem Hügel über Pretoria, der administrativen Hauptstadt Südafrikas, waren von Herbert Baker gebaut worden und dienten als Sitz der Apartheid-Regierung. Imposant, monumental und schön – für meine Familie war es, als wohnte sie gegenüber des Weißen Hauses.

Jeden Sonntag kamen die La Granges und die Strydoms, die Familie meines Onkels, zum Mittagessen in die Wohnung meiner Gran und gingen anschließend auf den gepflegten Rasenflächen der Union Buildings spazieren. Die Union Buildings standen für absolute Autorität, also stiegen wir die Stufen mit großem Respekt hinauf. Meine Cousinen, mein Bruder und ich spielten auf dem Gelände, rollten immerzu lachend die abfallenden Rasenflächen hinunter. Wir waren glückliche Kinder, die im Südafrika der Apartheid aufwuchsen.

Wir waren eine typische privilegierte weiße Familie, die durch gute Schulbildung, den Genuss öffentlicher Dienstleistungen und das Gefühl, Anspruch auf das Land und seine Ressourcen zu haben, von der Apartheid profitierte. Die Apartheid war die politische Lösung unseres Regimes, um Segregation und die Trennung der Rassen, Klassen und Kulturen durchzusetzen.

In den späten 1950er Jahren ernannte der damalige Staatspräsident Hendrik Verwoerd die Apartheid zum »Programm«. »Unser Programm lautet gutnachbarliches Verhältnis«, was heißen sollte, der Afrikaaner kümmere sich um alle Volksgruppen in Südafrika. Doch in Wirklichkeit war die Apartheid eine Methode, Afrikaaner von der Wirtschaft, den Möglichkeiten und dem Reichtum an Bodenschätzen des Landes auf Kosten anderer profitieren zu lassen.

Bis in die Mitte der 1970er Jahre hatte die Apartheid-Regierung einen rassistischen Staat erschaffen, der auf Entscheidungen basierte, die in den Union Buildings getroffen worden waren. Schwarze und weiße Menschen wurden getrennt, und es war ihnen untersagt, über Rassengrenzen hinweg zu heiraten, sich anzufreunden, miteinander Sex zu haben oder in denselben Städten zu wohnen. Dies waren die Bestimmungen des sogenannten Group Areas Act in Südafrika, eines Versuches, Menschen daran zu hindern, sich frei zu bewegen und ihr Leben innerhalb derselben Grenzen zu leben. Schwarze durften nicht mit denselben Bussen fahren oder im selben Meer baden wie Weiße. Aufgrund seiner Apartheidspolitik wurde Südafrika 1974 von den Sitzungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen ausgeschlossen, und im Zuge einer 1977 verabschiedeten Resolution wurde ein gesetzlich vorgeschriebenes Waffenembargo gegen uns verhängt. Doch die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich lehnten den Ausschluss Südafrikas aus der UNO ab, obwohl dieser in etlichen Resolutionen gefordert wurde.

Auch wenn mein Land ein internationaler Außenseiter war, spielten und lachten wir Kinder weiterhin am Sitz der Regierung. Das lag daran, dass mein Volk geschützt war. Geschützt vor Männern wie Nelson Mandela. Menschen wie ihn fürchteten wir – sie waren schwarz und fest entschlossen, die Regierung zu stürzen und die weiße Überlegenheit infrage zu stellen.

Meine Eltern waren beide keine Politiker und arbeiteten auch nicht für die Regierung. Doch wir unterstützten das Regime. Damit waren wir wohl auch Rassisten. Damals entsprachen wir der typischen Afrikaaner-Mittelschichts-Familie: gesetzestreue Bürger und Cheerleader für alles, was Kirche und Regierung vorschrieben. Unser Respekt vor Autorität und die Verbindung zur Niederländisch-reformierten Kirche ersetzten den gesunden Menschenverstand. Wie jede andere Afrikaans-Familie gingen wir ausnahmslos jeden Sonntagmorgen in die Kirche und nahmen an allen damit einhergehenden Aktivitäten teil, um uns als Vorzeigebürger zu präsentieren.

Bei uns zu Hause herrschte Apartheid. Wir lebten die Segregation. All dies war akzeptabel und unumstößlich, nicht nur, weil die Regierung der an der Macht befindlichen National Party es so vorschrieb, sondern auch, weil unsere Kirche es befürwortete.

Schwarz war jeder, der nicht weiß war. Farbige und Inder waren in unseren Augen auch schwarz. »Farbige Menschen«, die im Südafrikanischen als »brown people« bezeichnet werden, stammten von anderen Volksgruppen ab, genau wie die Afrikaaner, aber manche ihrer Vorfahren waren dunkelhäutig. Deshalb wurden sie in Südafrika als »schwarz« eingestuft.

Der weiße Afrikaaner weist einen gemischten Stammbaum auf, mit holländischem, französischem, deutschem und britischem Blut. Obwohl es damals undenkbar gewesen wäre, haben wissenschaftliche Studien mittlerweile ergeben, dass beinahe alle weißen Afrikaaner DNS besitzen, die sich auf schwarze und farbige Vorfahren in Südafrika zurückführen lässt – Fakten, die nicht alle weißen Afrikaaner ohne Weiteres akzeptieren.

Zu Zeiten der Apartheid machte man sich keinerlei Gedanken über solche Dinge, sondern lebte einfach vor sich hin. Ich wusste, dass alle Schwarzen ein Passbuch bei sich tragen und ihre Passbücher ohne besonderen Grund der Polizei vorzeigen mussten, wenn sie angehalten wurden. Ich wusste aber nicht, dass sie sich nur in Gegenden aufhalten durften, zu denen sie laut ihrer Pässe Zutritt hatten. Wenn sie für eine bestimmte Gegend keinen Pass vorweisen konnten, wurden sie wegen Verletzung des Passgesetzes verhaftet und ins Gefängnis geworfen, bevor man sie in ihre eigene Region abschob. Besaß man einen Pass für Johannesburg, konnte man sich nicht in Pretoria aufhalten – zwei knapp dreißig Meilen voneinander entfernte Städte. Auf diese Weise gelang es der Regierung, die Bewegungen der Schwarzen zu kontrollieren.

Laut unserer Kirche waren wir im Recht. Wir handelten »rechtens«. Und ja, es war auch rechts, in der Bedeutung einer rechten Gesinnung. Der ultimative Konservatismus.

Wie die meisten weißen Familien hatten wir eine schwarze Haushaltshilfe bei uns wohnen. Sie hieß Jogabeth. Rückblickend lässt sich eigentlich nur sagen, dass die meisten weißen Kinder meines Alters von Schwarzen großgezogen wurden. Es waren nämlich nicht nur Hausangestellte, sondern auch Ersatzmütter. In meiner Kindheit war Jogabeth bis zu einem gewissen Grad und innerhalb von Grenzen – Apartheidsgrenzen – Teil unserer Familie. Sie lebte in einem Hinterzimmer mit Toilette, aber ohne Badewanne oder Dusche. Sie hatte einen separaten Becher und separates Besteck und durfte »unsere« Sachen nicht benutzen. Ich kann mich zwar nicht erinnern, dass meine Eltern ihr je gesagt hätten, sie dürfe keine unserer Sachen benutzen, aber sie wusste es und wir wussten es. Es blieb unausgesprochen. Dennoch war Jogabeth meine Rettungsleine.

Einen Schwarzen zu berühren war tabu. Abgesehen von dem Umstand, dass man Weiße als überlegen betrachtete, zog man uns in dem Glauben groß, dass Schwarze nicht so sauber wie wir wären, angeblich rochen sie anders, und auch die Beschaffenheit ihrer Haare war anders als bei uns. Man dachte nicht im Traum daran, die Haare oder das Gesicht eines schwarzen Menschen zu berühren. Das war einfach unvorstellbar. Dennoch trug mich Jogabeth auf dem Rücken, als ich noch ein Kleinkind war. Auch wenn ich niemals ihre Haare angefasst hätte, spendeten mir ihre Hände, Arme und ihr Busen jedes Mal Trost, wenn ich trostbedürftig war. Weil sie uns Kinder großzog, war sie in unseren Augen nicht so schwarz wie andere Schwarze. Sie stellte keine Bedrohung für uns dar, sie diente uns – folglich war sie für uns annehmbarer als andere schwarze Menschen.

Ich erinnere mich an viele Gelegenheiten, wenn mein Bruder mich ärgerte und Jogabeth mich trösten musste, nachdem ich die Schlacht verloren hatte. Sie war mein Zufluchtsort, und ich wusste, solange sie sich um mich kümmerte, war ich vor den Schikanen meines Bruders in Sicherheit. Bei solchen Gelegenheiten fand ich damals Trost in ihren Armen, dicht an ihrer Brust.

Als ich zwölf war und mein Vater für die South African Breweries arbeitete, wo er es letztlich bis zum Logistikleiter brachte, spielten politische Unruhen aufgrund der Apartheid zum ersten Mal in meinem Leben eine Rolle. Das Hauptquartier der SAB befand sich im Poyntons Building in der Church Street, Pretoria. Am Freitag, den 20. Mai 1983 sollte mein Vater geschäftlich nach Kapstadt fliegen. Kurz vor 16 Uhr erschütterte eine Bombenexplosion die ganze Stadt Pretoria bis in ihre Grundfesten. Der Vorfall kam sofort in den Nachrichten, und es hieß, die Autobombe sei direkt vor dem Poyntons Building detoniert.

Daraufhin rief meine Mutter sofort bei meinem Dad im Büro an, doch niemand ging an den Apparat. Sie rief gegen 18 Uhr beim Flughafen an, um nachzuprüfen, ob er geflogen war, doch die Flughafenbehörde weigerte sich wie immer, Auskunft über Passagiere zu erteilen. Wir fanden niemanden, der bestätigen konnte, ob sich mein Dad während des Anschlags immer noch in dem Gebäude aufgehalten hatte, ob er es sicher vor dem Zeitpunkt der Explosion verlassen hatte oder ob er möglicherweise zurzeit des Anschlags vorübergegangen oder aus der Tiefgarage gefahren war. In der Nähe des Sitzes seiner Firma hatte er häufig Geschäftsessen in Restaurants, und wir fürchteten schon das Schlimmste. Erst gegen neun Uhr abends, bei seiner Ankunft in dem Hotel in Kapstadt, rief er an, um uns Bescheid zu geben, dass er in Sicherheit sei. Das waren die längsten fünf Stunden meines Lebens. Wir waren erleichtert, dass er unversehrt war. Ich fragte nicht, warum der Widerstand gegen die Apartheid so heftig ausfiel oder derart brutale Formen annahm. Die Gewalt bestärkte mich nur noch in dem Glauben an die Apartheid, und damit an den naturgegebenen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß.

Umkhonto we Sizwe (MK), der militärische Arm der Oppositionsorganisation African National Congress, übernahm die Verantwortung für den Bombenanschlag, bei dem 19 Menschen ums Leben kamen – acht Schwarze und elf Weiße. Außerdem gab es mehr als 217 Verletzte. Die Bombe in der Church Street ging mitten im Berufsverkehr hoch. Die beiden an der Planung und Durchführung des Bombenanschlags beteiligten Männer waren ebenfalls ums Leben gekommen, da die Bombe versehentlich zu früh detoniert war.

Umkhonto we Sizwe, der »Speer der Nation«, wurde 1961 gegründet, nachdem Nelson Mandela und andere Gründungsmitglieder des MK entschieden hatten, dass Gewalt in Südafrika zunehmend zur einzigen Möglichkeit wurde, der von der Apartheid-Regierung ausgeübten Gewalt zu begegnen. Da die Regierung Gewalt einsetzte, um den ANC zu bekämpfen und Schwarze durch die Apartheidsgesetze zu unterdrücken, war der MK die Reaktion des ANC auf ebendiese Gewalt. In Nelson Mandelas Rede während der Schlussmomente des Rivonia-Prozesses 1964, als er wegen terroristischer Akte angeklagt wurde, und nachdem er und andere zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden waren, stellte er über den MK fest: »Es wäre unrealistisch und falsch von afrikanischen Führern, weiterhin Frieden und Gewaltlosigkeit zu predigen – in einer Zeit, in der die Regierung unseren friedlichen Forderungen mit Gewalt begegnet.«

Nachdem Mr. Mandela 1962 nach Äthiopien und Marokko gegangen war, um sich militärisch ausbilden zu lassen und Unterstützung für den MK zu sichern, war er zur Gewalt bereit. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob er während seiner Haft wusste, was die Kader des ANC draußen taten, und ob man die Inhaftierten bezüglich solcher Gewaltakte zu Rate zog. 1983 war Oliver Tambo Präsident des ANC. Nelson Mandela war damals bereits fünfundsechzig, verbrachte sein zwanzigstes Jahr in Haft, und die Kommunikation mit Gefangenen war schwierig. Ich fragte ihn später, ob er von dem Bombenanschlag in der Church Street gewusst habe, und er sagte, man habe sie erst nach dem Vorfall informiert.

Der ANC wusste, dass er das rassistische Regime zum Handeln zwingen musste. Zu diesem Zweck würden sie Gewalt anwenden müssen. Die Regierung war nicht bereit, die Apartheid abzuschaffen oder die Lebensbedingungen der Schwarzen zu verbessern, lieber bekämpfte man den schwarzen Widerstand mit Gewalt. Die Reaktion des ANC daraufhin war eine gewaltsame. Sie taten dies, indem sie sich auf strategisch wichtige, für den Staat entscheidende Einrichtungen konzentrierten. Das Poytons Building war von strategischer Bedeutung, da sich darin das Hauptquartier der südafrikanischen Luftwaffe befand.

Im Allgemeinen nahm ich nicht wahr, was im Land vor sich ging, weder die Armut der Schwarzen noch die Gewalt, doch ich wusste, dass wir in getrennten Kokons lebten und einander in einer erbitterten Schlacht bekämpften, weil wir nicht nebeneinander existieren konnten. Aufgrund unserer Lebensweise wurde uns von klein auf eingebläut, sich abzuwenden und wegzugehen, wenn sich einem ein Schwarzer näherte. Man führte keine Unterhaltungen und hatte sogar Angst vor ihnen. Sie waren nicht unsere Freunde. Ich war recht zufrieden mit meinem Leben, wie es war, und wusste von jungen Jahren an, dass wir Türen und Fenster zusperrten, weil wir Angst hatten, nachts von schwarzen Menschen überfallen zu werden. Es kam mir nie in den Sinn, dass uns auch weiße Menschen Schaden zufügen könnten. Immer waren es »Schwarze«. Ich fragte nicht, warum sie uns überfallen könnten oder wer sie waren oder wie ihr Leben aussah. Ich wusste nur, dass sie gefährlich waren.

Sonntags beteten wir feierlich in der Kirche für die Männer, die unsere Grenzen verteidigten. Es war richtig, weil alle anderen es auch taten. Na ja, alle anderen Weißen in meiner Gemeinde. Ich wusste nicht, um welche Grenzen es sich handelte, aber ich wusste, dass sie gegen Schwarze kämpften. Mein Wissen beschränkte sich darauf, dass Weiße die Grenzen vor dem Eindringen weiterer schwarzer Menschen schützten. Wie eigenartig, dass man dann nicht die Frage stellte, welche schwarzen Menschen dies waren. Schützten wir unsere Grenzen gegen das Eindringen weiterer schwarzer Menschen, oder schützten wir unsere Grenzen gegen andere militärische Truppen in der Region, die in Südafrika eindringen mochten, um den ANC zu unterstützen? Man bekam lediglich zu hören: Wir kämpfen gegen schwarze Kommunisten. Ich wuchs in dem Glauben auf, alle Schwarzen wären Kommunisten und Atheisten. Doch sonntags versammelten sich Schwarze in kleinen Gruppen unter freiem Himmel und hielten Gottesdienste ab. Ich ignorierte diesen Anblick und kann mich nicht erinnern, dass mich der Widerspruch zu dem, was man mir beigebracht hatte, je gestört hätte. Als Kind ist es leicht mitzulaufen, wenn man in einer sicheren Umgebung aufwächst. Wäre ich unterdrückt gewesen, ohne eine anständige Schule, ohne ein richtiges Haus, ohne Strom- und Wasserversorgung, ich hätte vielleicht andere Fragen gestellt, und mein Gehirn hätte sich schon in jungen Jahren mit Fragen der Ungerechtigkeit beschäftigt. Aber dem war nicht so.

Außerdem ist mir heute klar, dass sich die Gemeinschaft, in der man aufwächst, für eine bestimmte Lebensart entscheidet. Die Menschen um einen herum, die Erwachsenen, bestimmen, was gesellschaftlich akzeptabel ist und was nicht. Man lebt dieses Leben, ohne dass einem klar wird, dass es jenseits davon auch noch Leben gibt: Themen, Politik, Weltgeschehen und Trends, die Einfluss auf die eigene Welt haben. Wenn man behaglich lebt, stellt man keine Fragen, und ich hatte keinen Grund, infrage zu stellen, was außerhalb unserer vier Wände vor sich ging. Kein Mensch wird als Rassist geboren. Man wird erst durch die Einflüsse um einen herum zum Rassisten. Und ich war mit dreizehn Jahren zur Rassistin geworden. Dieser Rechnung zufolge hätte ich niemals zu der Assistentin werden dürfen, die dann am längsten für Nelson Mandela tätig gewesen ist. Doch genau das geschah.

2 Wandel

Vielleicht gab es etwas in meiner Kindheit, das dazu führte, dass ich zu Nelson Mandela passte.

Während meiner Jugend litt meine Mutter häufig an schweren Depressionen und weinte tagelang oder blieb im Bett. Wir wurden zwar nie vernachlässigt, aber ich erinnere mich sehr wohl an ihre Traurigkeit. Man fühlte sich machtlos, etwas dagegen zu tun, weil man nicht begriff, worum es sich handelte.

Bis zum heutigen Tag ist meine Mutter einer der anständigsten, sanftesten Menschen, die ich kenne. Eine Dame. Sie hat in meiner Gegenwart nie geflucht oder Schimpfwörter benutzt. Sie hat auch nie herablassend mit jemandem oder über jemanden geredet, noch nicht einmal angesichts von Menschen, die sie erzürnten oder ihr auf irgendeine Art Schaden zufügten. Sie hat eine Gelassenheit an sich und behält ihre heftigen Emotionen tief in ihrem Innern. Ebenso wenig kann ich mich daran erinnern, dass sie jemals übermäßig glücklich oder über etwas aus dem Häuschen gewesen wäre, denn sie ist von Natur aus gemäßigt. Die Zeit, die sie während ihrer Jugend im Waisenhaus verbracht hatte, lehrte sie offensichtlich, ihre Gefühle zu verbergen. Das veränderte sie. Später im Leben, während meiner Jahre bei Nelson Mandela, erkannte ich dieses Vergraben des eigenen Ichs wieder. Um das Gefängnis zu überleben, hatte auch er seine Gefühle unterdrücken müssen.

Mein Dad ärgerte sich oft über die Depressionen meiner Mom. Sie stritten dann deswegen und zankten sich, weil meine Mom so passiv war. Mein Dad ist ein geselliger Mensch, je mehr Leute, desto besser, wohingegen meine Mutter ihren Freiraum braucht und nicht gern unter Menschen ist. Ich habe diesen Hang zum Ungeselligen von meiner Mutter geerbt. Doch keiner von uns war sich darüber im Klaren, wie schwerwiegend die Probleme meiner Mom tatsächlich waren.

Eines Freitagnachmittags, nachdem ich bei einer Freundin spielen gewesen war, fand ich bei meiner Heimkehr das Haus leer vor. Als ich die Küchentür öffnete, hörte ich Moms Auto in der Garage. Ich machte die Tür zur Garage aber nicht auf, sondern schlüpfte einfach ins Haus und saß faul herum. Nach einer Weile merkte ich, dass sich der Wagen immer noch in der Garage befand, im Leerlauf. Aber ich hörte sie nicht das Garagentor öffnen, um loszufahren. Also beschloss ich nachzusehen, was vor sich ging. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, dass meine Mutter mit dem Kopf an der Scheibe des Wagens lehnte, als ich die Tür zwischen Haus und Garage aufmachte. Sie schien zu schlafen. Ich stürzte zur Wagentür und versuchte, sie zu öffnen. Sie war abgesperrt. Da bemerkte ich einen Schlauch, der aus dem Fenster kam, und verfolgte ihn bis zum Auspuff des Wagens. Erst da traf mich die Wirklichkeit wie ein Schlag. Sie wollte Selbstmord begehen. Ich schrie und weinte gleichzeitig und versuchte, die Tür mit Gewalt zu öffnen.

Ich war zwölf Jahre alt und hatte zu wenig Kraft, um etwas auszurichten. Ich hämmerte gegen das Fenster, doch sie reagierte nicht. An die übrigen Ereignisse erinnere ich mich nicht mehr. Ich weiß aber noch, dass ich meine Großmutter anrief und sie schnell da war, weil sie gleich um die Ecke wohnte. Dagegen weiß ich nicht mehr, wie meine Mom aus dem Wagen und in ihr Schlafzimmer gelangte, ich weiß auch nicht, zu welcher Zeit Anton, mein Bruder, nach Hause kam oder wann der Arzt eintraf oder die beste Freundin meiner Mom erschien. Ich erinnere mich nicht, ob jemand, und wenn ja, wer meinen Dad anrief, der sich wieder einmal auf Geschäftsreise befand. Ich erinnere mich nicht daran, wo er war, und ich erinnere mich auch nicht, wie man ihn erreichte – Handys gab es damals noch nicht. Ich erinnere mich sehr wohl daran, dass es der letzte Tag in meinem Leben war, an dem ich etwas roch. Und dieser Geruch war Benzin. Die Ärzte sagen, mein Geruchssinn sei durch den Schock abhandengekommen, eine psychosomatische Reaktion auf ein Trauma.

Meine Mom kam in eine Klinik für Menschen mit Depressionen und wurde auf Medikamente eingestellt. Ich fragte mich immerzu, warum sie beschlossen hatte, mich zu verlassen. Es erinnerte daran, wie es ihr mit ihrer Mom ergangen war. War ich nicht gut genug? Liebte sie mich ausreichend, um zu leben? Waren es die endlosen Streitereien zwischen mir und meinem Bruder, die sie zu dieser Tat trieben? Ich war nie wütend auf meine Mutter, vielleicht eher traurig, und ich fühlte mich im Stich gelassen.

Jene Ereignisse 1982 in der mit Abgasen gefüllten Garage bestimmten für immer meine Beziehungen. Ich habe schreckliche Angst, verlassen zu werden. Allein gelassen zu werden. Als Folge lege ich ein übersteigertes Kompensationsverhalten an den Tag. Ich opfere mich auf, um es anderen recht zu machen, und hoffe und versuche, eine Situation zu vermeiden, in der ich verlassen werde. Und mit der Angst vor dem Verlassenwerden kommt das ständige Bedürfnis nach Bestätigung. Es ist nicht das ideale Rezept für Beziehungen der romantischen Art, aber es ist ideal, wenn man das eigene Leben der Arbeit und dem berühmtesten Staatsmann der Welt widmet. Wie es das Schicksal so wollte, brauchte Nelson Mandela jemanden, der sich ihm ganz widmete. Ihm half. Er brauchte jemanden, der immer da war. Stets verfügbar, um ihn zu unterstützen, und außerdem verlässlich. Wir ergänzten uns auf eine Art, die ein bisschen etwas von gegenseitiger Abhängigkeit hatte. Mein Befürfnis, es dem anderen recht zu machen, passte zu seinem Bedürfnis nach absoluter Loyalität.

Doch so weit war es noch nicht. 1988 wurde ich achtzehn und machte meinen Schulabschluss. In den Nachrichten kamen hauptsächlich Berichte über getötete Polizisten oder »Kader«, wie man Freiheitskämpfer nannte. Kein Monat verging, in dem nicht irgendwo im Land ein Bombenanschlag verübt wurde. Es kam so häufig vor, dass man schließlich nicht mehr auf Zahlen achtete. Überall war Tod. Südafrika stand kurz vor einem Bürgerkrieg. Immer häufiger brach Gewalt aus, und für die Mittelschicht aus weißen Afrikaanern schien ein Krieg gegen die Schwarzen vielleicht sogar die einzige Lösung zu sein.

Für mich ging das Leben jedoch wie gewohnt weiter. Mein Vater hatte mich gefragt: »Was möchtest du studieren?« Ich hatte zwar keine Ahnung, aber da ich regelmäßig am kulturellen Leben der Schule teilgenommen hatte, beschloss ich auf eine Schauspielschule zu gehen. Mein Vater reagierte mit einem definitiven »Nein« und meinte, wenn man nicht Sandra Prinsloo sei – eine der erfolgreichsten und renommiertesten Schauspielerinnen Südafrikas –, hätte man keine Erfolgsaussichten in den darstellenden Künsten. Es war mein Lebenstraum, Schauspielerin zu werden. Ich erinnerte mich, wie ich in meiner Kindheit immer Sekretärin gespielt hatte, wenn ich meinen Dad am Wochenende in sein Büro begleitete. Wie es zu der Zeit die meisten Afrikaaner-Eltern getan hätten, überredete mich mein Vater dazu, eine Berufslaufbahn zu wählen, bei der die Sicherheit des Arbeitsplatzes Vorrang vor den eigenen Wünschen und Leidenschaften hatte. So entschied ich mich für einen dreijährigen Diplomstudiengang zur Vorstandssekretärin an der Technicon (jetzt die Tshwane University of Technology) in Pretoria.

Im September 1989, beinahe ein Jahr nach meinem achtzehnten Geburtstag – dem Alter, in dem südafrikanische Bürgerinnen und Bürger wahlberechtigt werden –, wurden Parlamentswahlen abgehalten. Schwarze waren ausgeschlossen. Unter den Apartheidsgesetzen durften keine farbigen, indischen oder schwarzen Menschen wählen. In Südafrikas letzten landesweiten, auf Rasse basierenden Wahlen verlor die National Party an Boden. Es gelang ihr lediglich, sich 48 Prozent der Stimmen zu sichern. Die National Party hatte seit 1948 geherrscht. Ihre Politik basierte auf Apartheid, Segregation und der Förderung des Afrikaaners. Ihre Anhänger wurden Nats genannt. Als strenge Konservative, die sogar noch konservativer als die Nats war, wählte ich 1989 die Conservative Party.

Die Nats fingen allmählich an, von Reformen zu sprechen: Schwarzen das Wahlrecht einzuräumen, dem Group Areas Act und der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe ein Ende zu bereiten. Die Conservative Party war gegen jegliche Veränderung der Apartheidsgesetze, und in dem Jahr wurde sie zur offiziellen Opposition, indem sie sich 31 Prozent der weißen Wählerstimmen sicherte. Obwohl die damalige Gesamtbevölkerung auf etwa 30 Millionen geschätzt wird (offizielle Zahlen stehen nicht zur Verfügung, da Schwarze nicht als Bürger galten), waren nur ungefähr 3,1 Millionen Wähler (alle weiß) registriert, von denen lediglich knapp über eine Million für die Reformpolitik der National Party abstimmte.

Ohne dass ich etwas davon ahnen konnte, hatte Nelson Mandela am 4. Juli 1989 sein erstes Treffen mit dem damaligen Präsidenten P. W. Botha gehabt. Mr. Botha war für seine ablehnende Haltung zur Herrschaft der schwarzen Mehrheit bekannt, doch dass er gewillt war, sich mit Mr. Mandela zu treffen, deutete an, dass Zugeständnisse gemacht werden sollten. Zu dem Zeitpunkt verbrachte Nelson Mandela gerade sein sechsundzwanzigstes Jahr im Gefängnis. Er war zur Galionsfigur der Unterdrückten in Südafrika geworden, obwohl ihn abgesehen von seinen Kadern nur sehr wenige Menschen wirklich kannten. Er war dabei, zum Symbol der Freiheit für die Massen in Südafrika zu werden, auch wenn die Bilder, die von ihm erschienen, ausnahmslos aus den 1960er Jahren stammten oder Skizzen davon waren, wie die Leute ihn sich damals vorstellten. Niemand erhielt je Zutritt zu dem Gefängnis, um Fotos des alternden Nelson Mandela zu machen.

P. W. Botha trat im August 1989, einen Monat vor den Wahlen, unvermittelt von seinem Präsidentenamt zurück, weil der damalige Bildungsminister F. W. de Klerk nach einem Treffen mit dem Präsidenten von Sambia, Kenneth Kaunda, seiner Meinung nach nicht Rücksprache mit ihm gehalten hatte. Mr. Botha fühlte sich in seiner Autorität untergraben. Mr. de Klerk wurde für den Monat vor den Wahlen zum kommisarischen Präsidenten ernannt.

Damals hatte man Nelson Mandela in das Victor Verster Prison in Paarl in der Nähe von Kapstadt verlegt. Er traf sich regelmäßig mit Präsident de Klerk, und Mr. de Klerk verkündete die Freilassung der ersten langjährigen politischen Häftlinge kaum einen Monat, nachdem er Präsident geworden war. Dies war ein Meilenstein in der Geschichte Südafrikas: Wandel wurde unvermeidbar. Ich wusste nichts über die freizulassenden Gefangenen und kann mich kaum daran erinnern, der Ankündigung Beachtung geschenkt zu haben. Zu diesen Gefangenen zählten unter anderem Walter Sisulu, Andrew Mlangeni, Raymond Mhlaba and Ahmed Kathrada, ein paar von Nelson Mandelas engsten Freunden und Mitstreitern. Wer hätte damals gedacht, dass ich manche dieser Gefangenen später noch aufrichtig bewundern würde?

Am 2. Februar 1990 verkündete Präsident de Klerk die bedingungslose Freilassung von Nelson Mandela nach siebenundzwanzig Jahren Haft. Der Februar ist im Norden von Pretoria, wo meine Familie wohnte, einer der heißesten Sommermonate. Ich schwamm gerade in unserem Pool, als mein Vater ins Freie trat, und dass ich nun beobachtet wurde, lenkte mich ab. Ihm war anzusehen, dass ihn etwas beschäftigte. »Ja, Dad …?«, meinte ich. Er betrachtete mich nur und reagierte erst nach kurzem Schweigen auf meine Frage. »Jetzt stecken wir in Schwierigkeiten. Man hat den Terroristen freigelassen«, erklärte er. »Wen denn?«, fragte ich. »Nelson Mandela«, antwortete er. Ich hatte keine Ahnung, wer das war oder was das Ganze für uns bedeutete. Ich spürte, dass sich mein Vater Sorgen machte, schwamm jedoch weiter und überließ ihn seinen Gedanken.

Erst viel später, nachdem ich meine Stellung im Präsidentenamt angetreten hatte, erzählte mir Mr. Mandela, dass Mr. de Klerk ihn ein paar Tage vor der Ankündigung seiner Freilassung besucht hatte. Er hatte Mr. Mandela ungezwungen gesagt, dass er frei sei und gehen könne. Mr. Mandela gab zu verstehen, er könne nicht sofort gehen, und dass er seinen Leuten Zeit geben müsse, damit sie Vorbereitungen für seine Entlassung treffen könnten. Er erbat sich ein paar zusätzliche Tage, um den Menschen draußen zu ermöglichen, alles vorzubereiten. Wenn mir jemand nach siebenundzwanzig Jahren sagen würde: »Sie können gehen«, würde ich jegliche Höflichkeit über Bord werfen und einfach nach draußen laufen, doch Mr. Mandela wollte bleiben, um seinen Leuten Gelegenheit zu geben, sich vorzubereiten. Ich fragte ihn oft, ob er nicht Angst gehabt hätte, dass die Regierung es sich in den zusätzlichen Tagen anders überlegen könnte. Er sah mich an, überrascht, dass ich Menschen derart misstraute. »Nein«, sagte er dann lachend.

Ich begriff natürlich erst viel später, was damals in Südafrika tatsächlich vor sich gegangen war. Ich ahnte ja nicht, dass Nelson Mandela bei seiner Entlassung bereits einundsiebzig Jahre alt war. Ich ahnte nicht, dass er während seiner Gefangenschaft seine Mutter und seinen Sohn verloren und dass man ihm damals nicht erlaubt hatte, auf ihre Beerdigungen zu gehen. Die Tatsache, dass er ein Mensch war, jemand mit Gefühlen, kam mir gar nicht erst in den Sinn. Ich wusste bloß, dass wir in Schwierigkeiten steckten, weil mein Dad das sagte.

1992 veranstaltete die weiße Regierung der National Party ein Referendum, um über die Zukunft der Apartheid entscheiden zu lassen. Doch natürlich war nur Weißen gestattet, ihre Stimme abzugeben. Das 1948 eingeführte Apartheid-System verkümmerte allmählich. Die weiße Bevölkerung wurde gebeten, sich für oder gegen die von Präsident de Klerk begonnene Reformpolitik auszusprechen. Sehr wenige Leute rechneten damit, dass die Reformen noch weitreichender sein würden, doch es war klar, dass die Apartheid allmählich ihre wenigen verbleibenden Befürworter in der internationalen Gemeinschaft verlor.

Insgesamt stimmten 2,8 Millionen Weiße in dem Referendum ab. 1,9 Millionen befürworteten die Reform und eine Wahl, bei der nicht-weiße Südafrikaner wählen durften. 875 000 meiner Landsleute stimmten gegen die Abschaffung der Apartheid. Ich stimmte ebenfalls mit »NEIN« ab. Und ich war stolz darauf. Dies war mein Beitrag, dachte ich, um sicherzustellen, dass das Land regierbar bliebe. Es gab stets die Angst unter weißen Afrikaanern, dass das Land unter der Führung von Schwarzen unregierbar werden würde und dass sie die Weißen ins Meer treiben und sich dafür rächen würden, was Weiße ihnen jahrhundertelang vorenthalten hatten.

Im Grunde war 1990 mit Mr. Mandelas Freilassung alles vorbei. Sie bezeichnete das Ende der Apartheid und den Anfang eines Landes, in dem der Grundsatz »Ein Mensch, eine Stimme« gelten würde, und zwar ungeachtet der Hautfarbe. Doch irgendwie ging das alles an mir vorbei, während ich mein Studentenleben führte – die Partys und das Büffeln bis spät in die Nacht, um die Arbeit nachzuholen, die aufgrund der Partys liegen geblieben war. Ich hatte nichts mit Politik am Hut und machte mir noch nicht einmal Gedanken darüber, in welche Richtung Südafrika steuerte, obwohl ich wusste, dass die Apartheid vorüber war und Schwarze sich nach Lust und Laune frei bewegen konnten. Bei Treffen nahmen wir manchmal flüchtig Bezug auf die innenpolitischen Entwicklungen, doch niemals kenntnisreich und im Detail. Alle kokettierten mit den Ängsten weißer Afrikaaner, dass wir tatsächlich »in Schwierigkeiten steckten«. Das war mein ganzes Verständnis der politischen Lage, und sonderlich beunruhigt war ich deswegen nicht.

Ich erinnere mich allerdings daran, über Ostern im April 1993 mit dem Auto zur Farm meines Onkels in Ellisras im Norden unterwegs gewesen zu sein, als wir im Radio die Nachricht hörten, dass der Anführer der Communist Party und Stabschef des militärischen Arms des ANC, der charismatische Chris Hani, umgebracht worden war. Für die Weißen in Südafrika stellten die Kommunisten die eigentliche Bedrohung unserer Sicherheit und finanziellen Zukunft dar. Irgendwie wurde Nelson Mandela auch als Kommunist betrachtet. Weil Südafrika beziehungsweise unsere weiße Welt von der Religion und den Vorschriften der Kirche beherrscht wurde, war es undenkbar, dass die Communist Party jemals einen rechtmäßigen Platz in Südafrika einnehmen sollte. Wir waren ein kapitalistischer Staat, in dem die Weißen sämtliche Ressourcen besaßen und kontrollierten.

Als ich später meine Eltern nach Chris Hani fragte, bekam ich zu hören, wer auch immer seine Ermordung in die Wege geleitet habe, habe einen großen Fehler begangen, denn obwohl Hani Kommunist gewesen sei, wäre er bestimmt immer noch besser für die Weißen als der sogenannte Terrorist Mandela. Die Erklärungen meiner Eltern verwirrten mich, denn in meinen Augen stellte alles Kommunistische eine ernsthafte Bedrohung dar, und während Nelson Mandela noch nicht einmal offiziell als Mitglied der Communist Party geführt wurde, war doch Chris Hani als Anführer dieser Partei gewiss gefährlicher! Meinen Eltern zufolge hatte Chris Hani eine gewisse Toleranz gegenüber Weißen an den Tag gelegt, wahrscheinlich weil er nicht auf Robben Island in Gefangenschaft gesessen hatte wie Nelson Mandela. Deshalb gingen sie offensichtlich davon aus, dass er nicht den Hass verspürte, von dem Mr. Mandela angeblich beherrscht wurde.

Wir ahnten ja nicht – und es war uns auch ganz gleich – , dass Mr. Mandela keinerlei Ressentiments hegte. Aus dem Gefängnis hatte er geheime Gespräche mit der Regierung geführt, entschlossen, einen friedlichen Übergang zu bewerkstelligen. Wie Ahmed Kathrada, einer von Madibas engsten Freunden und ein Mitgefangener, einmal gesagt hat: »Vergebung ist eine Entscheidung.« Von Natur aus rechnet man immer mit dem Schlimmsten, und so gingen wir davon aus, dass Nelson Mandela unseren Erwartungen gerecht werden würde.

In diesen fesselnden und gefährlichen politischen Zeiten verliebte ich mich, und es kam zur Verlobung. Wie bei den meisten jungen Afrikaanerinnen meines Alters beschränkten sich meine Ambitionen darauf, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Ich war erst zweiundzwanzig Jahre alt, aber das war egal. Außerdem hatte ich meinen Abschluss gemacht und 1992 meine erste Sekretärinnenstelle im Finanzministerium angetreten. Nachdem ich dort ein paar Monate lang gearbeitet hatte, wurde mir langweilig und ich bat um eine anspruchsvollere Arbeit. Man versetzte mich innerhalb desselben Ministeriums als Verwaltungsangestellte in die Personalabteilung, sodass ich in der Stadtmitte von Pretoria arbeitete.

Die Apartheid war zwar zu Ende gegangen, doch das Leben ging unverändert weiter. Im Alltag bekamen wir das Ende der Apartheid nicht zu spüren. Wir »lebten« die Apartheid weiterhin, auch wenn sich im Vorfeld der Wahlen von 1994 allmählich politische Veränderungen zeigten. In abgelegenen Gemeinden herrschten weiterhin Gewalt und Unruhen, und wir waren ständig mit den Bildern von Toten aus ländlichen Gegenden konfrontiert. Die Gewalt bestand nicht mehr nur in Schwarz gegen Weiß, sondern rührte mittlerweile auch von Spannungen zwischen dem ANC und der Inkatha Freedom Party her. Die IFP war damals die größte Konkurrenz des ANC.

Dann wurde meine Verlobung gelöst. Ich war verzweifelt und fühlte mich verloren. Wenn Beziehungen in die Brüche gehen, stürze ich mich gewöhnlich voll und ganz in die Arbeit, um mit dem Schmerz zu Rande zu kommen.

Am 10. Mai 1994 wurde Südafrikas erster demokratisch gewählter schwarzer Präsident ins Amt eingeführt. Ich war dreiundzwanzig Jahre alt und machte so viele Überstunden wie möglich, um meine Laufbahn in der Personalabteilung des Finanzministeriums voranzutreiben. Obwohl der Tag seiner Amtseinführung ein Feiertag war, befand ich mich auf dem Weg zur Arbeit, um Überstunden zu machen. Es herrschte kaum Verkehr, die Leute mieden die Straßen aus Angst, es könnte infolge der Einführung der ANC-Regierung zu Gewaltakten kommen. Sie wurde als Feindin aller Weißen eingeschätzt, selbst jener Weißen, die für die Reform und das Ende der Apartheid gestimmt hatten. Eine ANC-Regierung an der Macht, das bedeutete doch, dass die Mehrheit unserer Führungsriege nun aus Schwarzen bestehen würde, und das war eine ernsthafte Herausforderung der weißen Vormachtstellung. Die Zeit der Vergeltung war gekommen. Wir rechneten damit, dass die Schwarzen wegen der jahrhundertelangen Unterdrückung mit uns Weißen abrechnen würden. Überall in den Vororten waren Militärfahrzeuge sowie einsatzbereite Polizeiautos zu sehen. Dennoch hatte es keine Auswirkungen auf mein Leben, schließlich befand ich mich während der Amtseinführung in der behaglichen Sicherheit meines Büros. Solange die Polizei, die ja immer noch von dem vorherigen Regime stammte, auf den Straßen sichtbar präsent war, waren wir gewiss in Sicherheit. Ich erinnere mich noch, dass ich auf der Heimfahrt schwarze Menschen am Straßenrand sah. Es waren lächelnde Menschen, die glücklich aussahen und jubelten und tanzten. Meine Denkweise war schlicht: Ja, jetzt könnt ihr tun, was ihr wollt, aber bitte bringt uns heute Nacht nicht um, weil wir weiß sind.

Im Vorfeld der Wahlen horteten manche Weiße aus Angst vor Bürgerkrieg, Gewalt und Chaos Konservendosen und leicht verderbliche Lebensmittel. Wir rechneten damit, dass Schwarze die Führung des Landes übernehmen und uns von nun an jeglicher Grundversorgung berauben würden, dass sie Läden plündern und völliges Chaos anrichten, die Wasser- und Stromversorgung weißer Vororte lahmlegen würden. Die Leute legten Vorräte an und sammelten Wasserflaschen, Kerzen, Konservendosen und was auch immer sich hielt und bei einem Notfall gebraucht werden würde. Wir rechneten mit Vergeltung.

Doch in dieser Nacht passierte nichts, und wir wachten alle am nächsten Morgen auf, kehrten zu unserer Arbeit und unserer normalen Lebensweise zurück, unberührt von den Ereignissen des vorangegangenen Tages und der Entscheidung, wer auch immer das Land regieren mochte. Das Leben ging auf seltsam unbeeindruckte Art weiter. Wir hatten immer noch unser Haus und waren immer noch am Leben. Aus dem Wasserhahn kam nach wie vor Wasser. Es gab keine Anzeichen dafür, dass mein Leben, meine Unwissenheit, meine Überzeugungen, meine Werte schon bald in den Grundfesten erschüttert und auf die Probe gestellt werden würden. Ich ahnte nicht, dass ich aus diesem paranoiden weißen Kokon der Angst und der Ablehnung herauskäme und dass der Mann, der mich herausführen – und mir dabei sanft die Hand halten – würde, Nelson Mandela selbst sein würde.

ZWEITER TEIL Anbruch eines neuen Morgens1994–1999

3 Wie ich Mr. Mandela kennenlernte

Schon bald nach den Wahlen 1994 musste die künftige Regierung neue Leute anheuern. Meine Abteilung wurde beauftragt, bei dem gewaltigen Projekt zu helfen, die ehemalige Apartheid-Regierung »repräsentativer« zu gestalten, mit anderen Worten: Wir hatten mehr Schwarze einzustellen. Es war der Beginn einer Transformation. Südafrika sollte im Namen aller regiert werden. All seine Bürger würden repräsentiert werden.

Abertausende Menschen bewarben sich. Es dauerte Wochen, bis wir für die ausgeschriebenen Posten eine Liste der aussichtsreichsten Bewerber erstellt hatten. Klar war, dass zwar ein Mangel an qualifiziertem Personal bestand, dass die Menschen in Südafrika jedoch tatsächlich verzweifelt nach Arbeit suchten. Viele Bewerbungen konnten aufgrund von Analphabetismus nicht bearbeitet werden, da Bewerbern während der Apartheid eine anständige Schulbildung verwehrt worden war. Ich gab mir große Mühe, diese Bewerbungen zu bearbeiten. Einen Anreiz dazu gab es nicht, aber es liegt in meiner Natur, eine mir gestellte Aufgabe in der kürzestmöglichen Zeit zu bewältigen. Ich gehöre zu den Menschen, die Dinge gern gedanklich abhaken, und häufig arbeite ich unnötig schnell. Ich war auf der Suche nach einer neuen Stelle, ich wollte einen Neuanfang, weg von meiner Verlobung, die in die Brüche gegangen war. Doch in der Zwischenzeit richtete ich all meine Aufmerksamkeit darauf, Bewerbungen zu bearbeiten.

Dann erzählte mir eine Kollegin von einer Stelle als Schreibkraft, die in einer Verwaltungsabteilung des neuen Präsidentenamtes ausgeschrieben war. Die Arbeit würde mit sich bringen, dass man sechs Monate im Jahr in Pretoria im Einsatz wäre und sechs Monate in Kapstadt. Wenn das Parlament tagte, wohnten und arbeiteten Politiker, ihre Familien und Mitarbeiter in Kapstadt, da sich unser Parlament dort befindet. Sobald das Parlament in die Sommerpause aufbrach, zogen alle wieder nach Pretoria, in die Verwaltungshauptstadt. Davon hatte ich schon immer geträumt, und der Umstand, dass es sich um eine niedrigere Stelle als meine derzeitige handelte, tat nichts zur Sache. Außerdem sprach mich an, dass die ausgeschriebene Stelle für den Minister ohne Geschäftsbereich war. Ich dachte mir, jemand ohne Geschäftsbereich habe gewiss nicht viel zu tun, folglich könne es nicht allzu anstrengend sein, für ihn zu arbeiten. Später erfuhr ich natürlich, dass »ohne Geschäftsbereich« lediglich bedeutete, dass der Minister Ad-hoc-Probleme übertragen bekommen konnte und deshalb keinen festen Geschäftsbereich und keine fixen Aufgaben hatte, um die er sich kümmern musste.

Ich führte schon bald Gespräche in meiner eigenen Abteilung, um meine Vorgesetzten darüber zu informieren, dass ich mich auf die Stelle hin bewerben wolle, vorausgesetzt ich würde im Falle einer erfolgreichen Bewerbung bei gleichem Gehalt versetzt werden. Sie stimmten zu.

Das Vorstellungsgespräch fand in den Union Buildings statt. Nicht nur, dass ich nicht mehr auf dem Rasen herumrannte, jetzt war auch noch ein Schwarzer der mächtigste Mann in Südafrika. Und er stellte sicher, dass Menschen wie ich, konservative weiße Afrikaaner, an dieser neuen Regierung teilhatten. Die Leute waren freundlich und entspannt. Mir fiel auf, dass da immer noch viele weiße Gesichter waren, obwohl die neue ANC-Regierung längst an der Macht war.

Während des Vorstellungsgesprächs trat eine schwarze Dame ein. In ihrem bunten Satinoutfit gab sie ein für mich ungewohntes Bild ab – eine Schwarze, die so stilvoll gekleidet war und offensichtlich etwas trug, das teurer war als das kostspieligste Outfit meiner Mutter. Die Unterbrechung des Vorstellungsgesprächs kam völlig unerwartet. »Ich brauche eine Schreibkraft, und es ist mir egal, ob sie schwarz ist oder weiß, aber ich brauche sie auf der Stelle!«, rief sie meinen Gesprächspartnern zu. Lächelnd dachte ich: Ich bin genau, was Sie suchen. Ich hatte keine Ahnung, welche Position sie innehatte. Sie wechselte kurz ein paar Worte mit den beiden Leuten, die das Vorstellungsgespräch mit mir führten, und ging dann wieder. Meine Gesprächspartner riefen Stunden nach dem Vorstellungsgespräch bei mir an und erkundigten sich, ob ich an einer Stelle als Schreibkraft direkt im Präsidentenamt selbst interessiert sei, und man erklärte mir, dass dies bedeuten würde, ich hätte im persönlichen Büro des Präsidenten zu arbeiten. Mir ging es nur um Kapstadt, und da mir versichert wurde, die Stelle sei zu den gleichen Bedingungen wie der ausgeschriebene Posten, bekundete ich mein Interesse.

Man sagte mir, bei der Dame, die vorhin während des Vorstellungsgespräches eingetreten sei, handele es sich um die Privatsekretärin des Präsidenten. Ich verstand es so, dass ich für sie, Mary Mxadana, arbeiten würde, und fand, sie sah recht angenehm aus. Während meiner Arbeit im Finanzministerium hatte man mich damit beauftragt, zwei junge schwarze Beamte einzuarbeiten, die in unsere Abteilung gekommen waren, nachdem der Wandel eingesetzt hatte. Sie wirkten freundlich, und unsere Zusammenarbeit gestaltete sich letztlich gut. Langsam, aber sicher fing ich an, Schwarze ein kleines bisschen anders wahrzunehmen. Ich hatte nicht mehr länger instinktiv Angst vor allen Schwarzen. Ich fing an, mich in ganz normaler Sprache mit ihnen zu unterhalten, ohne zu glauben, sie verstünden lediglich gebrochenes Afrikaans oder Englisch. Mary war freundlich und nahm mir meine Nervosität, obgleich ich immer noch gewisse Zweifel hegte.

Mir wurde klar, dass ich mich bei dieser Arbeit näher am politischen Zentrum der Überzeugungen befände, die ich immer noch ablehnte, doch ich dachte, es sei nur ein Job, und dass ich nicht viel mit echter Politik zu tun haben würde. Ich war zu Kompromissen bereit und liebäugelte zu dem Zeitpunkt mit dem Gedanken, dass mir der Präsident der Inkatha Freedom Party, der Opposition des ANC, Dr. Mangosuthu Buthelezi, eigentlich gefiel. Ich mochte ihn, seitdem ich ihn während des Wahlkampfes im Fernsehen gesehen hatte, und dachte, wenn ich schon meine Meinung über ihn geändert hatte, könnte Nelson Mandela doch auch nicht so schlimm sein. Ich war gewillt es auszuprobieren, sah aber ganz realistisch, dass mich nichts daran hindern würde zu gehen, sollte mir die Arbeit dort nicht behagen.

Wenn ich mich recht erinnere, war ich einfach nur erleichtert, als mir die Stelle telefonisch angeboten wurde. Zwei Wochen nach dem Vorstellungsgespräch nahm ich meine Tätigkeit als erste ministerielle Schreibkraft im Präsidentenamt auf.

Am 12. Oktober 1994 betrat ich die Union Buildings zum ersten Mal als Mitarbeiterin von Präsident Mandelas eigenem Büro. Ich hatte Bilder von ihm gesehen, wusste aber nichts über ihn – abgesehen von dem Umstand, dass er lange auf Robben Island im Gefängnis gewesen war und … meine Familie ihn als Terroristen betrachtete. Ich erwartete nicht, mit ihm persönlich zu tun zu haben oder ihn je zu Gesicht zu bekommen.