Gott 2.0. Grundfragen einer KI der Religion. [Was bedeutet das alles?] - Ahmad Milad Karimi - E-Book

Gott 2.0. Grundfragen einer KI der Religion. [Was bedeutet das alles?] E-Book

Ahmad Milad Karimi

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Beschreibung

Bisher haben sich die drei abrahamitischen Religionen Islam, Judentum und Christentum mit den theologischen Problemen, die mit Künstlicher Intelligenz (KI) verbundenen sind, kaum auseinandergesetzt. Inwiefern verändert KI Glauben, Spiritualität oder religiöse Praxis? Benötigen wir eine radikal neue Theologie, die KI und die Folgen als ihren eigenen Bestandteil begreift? Und welche Aufgaben hätte solch eine neue, radikale Theologie?

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Ahmad Milad Karimi

Gott 2.0

Grundfragen einer Theologie der KI

Reclam

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FürE. I.

 

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962326

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962326-9

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014591-3

www.reclam.de

Inhalt

1 Zur Einführung

2 Der unverfügbare Mensch

Alles kreist um den Menschen

Narrative haben Bedeutung

Widerstand gegen Entmenschlichung

Menschsein als theologische Frage

Intelligenz und Theologie

3 Der imperfekte Mensch

Der Mensch als ›jeder Bewunderung würdiges Lebewesen‹?

Der antiquierte Mensch

Der geglättete Mensch

4 Der erweiterte Mensch

Das große Versprechen

Die Selbsttransformation

Vom Verhängnis, ein Mensch zu sein

5 Über den Menschen hinaus

»Keine Nostalgie für ›den Menschen‹!«

Advent einer KI

6 Warum Gott nicht genügt

Der unübertreffliche Gott

Die Superintelligenz

Gott werden

Gottessehnsucht

7 Theologie der Imperfektibilität

Der Mensch als Wesen der Grenze

Pizzeria im Paradies

Der schwarze Bildschirm

Theologie der Imperfektibilität

Literaturhinweise

Zum Autor

Veröffentlichungen (Auswahl)

1 Zur Einführung

Der süße Schlaf

In einer Episode der US-amerikanischen Animationsserie The Simpsons mit dem Titel »B. I.: Bartificial Intelligence« beobachten zwei grüne, krakenähnliche Außerirdische ein Baseballspiel der Menschen.1 Das Spiel erscheint ihnen derart langweilig, dass sie den Verlauf der Zeit beschleunigen. Es wird immer schneller und noch schneller, bis ein Schwarzes Loch sich auftut, das alles, einschließlich Planeten, Gestirnen und des gesamten Universums, verschlingt. Schließlich erscheint Gott als älterer, bärtiger Mann in einem weißen Gewand, der verlegen um sich blickt und ebenfalls von diesem Sog verschlungen wird. Dies ist das erste Mal nach 17 Staffeln der Serie, dass das Antlitz Gottes gezeigt wurde, um sich gleich wieder von ihm zu verabschieden.

Warum aber wird in einer Episode, in der es um KI Intelligenz (KI) geht, Gottes Antlitz offenbart und zugleich vernichtet? Gott 1.0 scheint sich nicht gegenüber einer Intelligenz behaupten zu können, die nicht nur sein Werk optimieren will, sondern auch ihn als entbehrlich versteht.

Die Episode ist eine Horrorepisode der Serie, denn hier wird der Wunsch nach Beschleunigung des Lebens mit seinem beschleunigenden Untergang gleichgesetzt. Die unvollkommene Welt mit ihren fehlbaren Menschen geht zugrunde, und nicht einmal Gott kann dies verhindern, weil er selbst mit seinem Werk untergeht. So könnte man den Vorspann dieser Episode deuten, die dann in mehrfacher Perspektivierung die Herausforderungen der KI als eine Art technologische Optimierungsvision thematisiert. Die Frage bleibt jedoch unbeantwortet, ob alles aufgrund seiner Unvollkommenheit oder aufgrund der Vision, diese Unvollkommenheit in Vollkommenheit zu verwandeln, untergeht.

Nach dem Vorspann geht es im ersten Teil der Episode um Bart, den Sohn der Familie Simpson. Der fällt nach einem Sprung aus dem Fenster ins Koma. Die Familie bekommt dafür einen Roboter als Ersatzsohn. Er übertrifft alle Erwartungen in einer Perfektion, die für die Familie überwältigend ist. Bart und die Trauer um ihn sind vergessen, doch erwacht er plötzlich aus dem Koma, so dass sich die Familie zwischen ihm und dem Roboter entscheiden muss. Bart, der in jeder Hinsicht dem Roboter unterlegen ist, wird von der Familie ausgesetzt; was sich wie ein Sieg der Technologie über den Menschen anfühlt, ist in Wahrheit der Sieg des Menschen über sich selbst. Nicht der Roboter hat hier den Menschen verdrängt, sondern der Mensch (die Familie) den Menschen (Bart) – aber warum?

Eine Antwort findet sich möglicherweise in der Episode selbst, wenn dort unter anderem die Rituale des Halloween-Festes thematisiert werden, bei denen sich jeder als diejenige Person verkleidet, die er an diesem Abend gerade sein möchte. Keiner will er selbst sein. Niemand ist, was er vorgibt, und genau das ist, was jeder wünscht und weiß, denn darin besteht ja gerade das Spiel, für einen Abend eine Wunschfigur zu sein, die man jenseits der jeweils eigenen Lebensverstrickung gerne wäre. Hinter den Masken und Kostümen verbergen sich Menschen mit all ihren Schwächen und Fehlbarkeiten, mit ihren Falten, Narben und Sorgen. Aber sichtbar und fühlbar soll allein der glatte Schein sein, den sie selbst erzeugen.

Das beste Kostüm soll auf diesem Fest ausgezeichnet werden; als sich aber herausstellt, dass die Gewinnerin keine maskierte, verkleidete, sondern eine echte Hexe ist, wird ihr der erste Preis aberkannt. Als Rache verwandelt sie jeden in das, was sein Kostüm darstellt.

Was bedeutet das alles?

Der ungebrochene Wunsch des Menschen nach Optimierung stellt einen wichtigen Beweggrund der KI dar, sich nicht nur auf die Gestaltung der Welt, der Gesellschaft und der sozialen Beziehungen, sondern insbesondere auf den Menschen selbst zu beziehen. Darin ist KI aber mit der Religion verwandt. Doch diese ›Verwandtschaft‹ lässt sich nur schwer direkt beobachten. Wie religiös ist aber KI und wie viel KI ist im religiösen Denken verankert? Das digitale Zeitalter hat durchaus ›theologische Mucken‹. Doch stellt sich vor allem die Frage, inwiefern KI Glauben, Spiritualität und religiöse Praxis verändert, verfremdet oder revolutioniert.

Dabei werden die vielfältigen Implikationen der KI für das menschliche Leben nicht nur in der Kognitionswissenschaft und KI-Forschung reflektiert und hinterfragt, sondern KI provoziert auch verstärkt philosophische und ethische Debatten. Wie steht es aber um die Theologie, also um eine reflektierte und rationale Auseinandersetzung religiösen Denkens in Bezug auf die KI?

Wie kann die Theologie auf die KI und deren digitalisierte Verflechtung in unserem Leben reagieren? Inwiefern lassen sich Grund- und Grenzfragen menschlicher Existenz im Lichte der KI untersuchen? Wer sind wir, wir Menschen, als intelligente, sowohl lebendige als auch immer geschichtliche Wesen, die sich immer mehr der Herausforderung ausgesetzt sehen, in vielen kognitiven Leistungen weit übertroffen zu werden? Kurz: Inwieweit verändert das Mensch-Maschine-Verhältnis den Gottesbezug des Menschen?

Die Theologinnen und Theologen haben sich mit den Fragen und Herausforderungen der KI auseinandergesetzt; doch auffällig ist dabei, dass keine eigene Theologie der KI aus dem Horizont der jeweiligen Religionen entwickelt wird, sondern – wenn auch intensiv und vor allem weitgehend allein in ethischer Hinsicht – Inhalte und Herausforderungen der KI im Horizont der traditionellen Theologien durchdacht werden. Das ist zu würdigen. Es stellt sich aber die Frage, ob eine ausschließlich ethische Auseinandersetzung ausreichend ist, um der rasanten Entwicklung der KI-Forschung und KI-Entwicklung gerecht zu werden.

Unter KI verstehe ich eine programmatisch installierte und zugleich nachahmende Denkform menschlicher Intelligenz, kurz: ein datenbasiertes System. Demnach ist die KI nicht denkfähig, sondern simuliert Denken und verfährt vereinfachend – KI ist alles, aber nicht intelligent. Ihre Realität ist eine durch die Darstellung oder Verarbeitung von Informationen in diskreter Form entwickelte Scheinwirklichkeit, die letztlich vom Menschen selbst geschaffen wurde.

KI-Technologien haben in die zahlreichen gesellschaftlichen Sphären Eingang gefunden, von der Kommunikation und Informationssuche bis hin zu den meisten Zweigen der Industrie und zur Medizin. Und wir können uns kaum unseren Alltag ohne den Einsatz der KI vorstellen, denn die Verwendung von Suchmaschinen, maschinellen Übersetzungen, automatisierten Sprachassistenten, digitaler Kunst, digitalen Kompositionen wird durch KI-basierte Systeme ermöglicht.

Jenseits der Frage nach der Beziehung zwischen Mensch und Maschine ergeben sich durch KI-Technologien weitreichende Implikationen für menschliche Identität, Weltbezogenheit, für das menschliche Sozialverhalten, Ethik und das Verständnis von Transzendenz. KI-basierte Systeme erzeugen digitale Kunstwerke, Musikkompositionen und Literatur. Die Entwicklung selbstfahrender Autos dürfte Verkehrssicherheit und Mobilität neu definieren. Darüber hinaus umfasst die KI auch medizintechnische Verfahren und Pflegeroboter, die Menschen mit Behinderungen bei alltäglichen Aufgaben unterstützen. Roboter werden zudem für soziale Interaktionen und sogar in Gottesdiensten eingesetzt.

Insofern scheint es nicht nur notwendig, sondern auch reizvoll zu sein, sich aus einer religionstheologischen Sicht mit KI auseinanderzusetzen, weil sie das Selbst-, Welt- und Gottesverständnis der Menschen derartig grundlegend betrifft.

In besonderem Maße steht die Theologie vor Herausforderungen durch die KI, und zwar unabhängig davon, ob es sich um starke KI oder schwache KI handelt, da beide Formen in entschiedener Weise den Menschen betreffen. Die Bezeichnung ›starke KI‹ beruht auf der Vorstellung, dass die menschliche Intelligenz künstlich duplizierbar wäre. Hingegen umfasst die ›schwache KI‹ KI-Systeme, die für bestimmte Anwendungen oder begrenzte Aufgaben entwickelt wurden und sich somit auf Teilaspekte der menschlichen Intelligenz konzentrieren.

Es ist bemerkenswert, dass der ausgesetzte Bart in der oben genannten Episode im Wald auf Roboter trifft, die ebenfalls aufgegeben wurden. Und der einzige Wunsch, den die Roboter dem Menschen Bart gegenüber äußern, lautet, dass sie sich nachts nicht ausschalten müssen, sondern einfach lernen wollen, sich hinzulegen und zu schlafen. An dieser Stelle zeigt sich die leise Sehnsucht nach menschlicher Natur, die nicht einfach abgeschaltet wird, sondern sich dem Schlaf anvertrauen will. Ähnlich heißt es auch in der Bibel: »Legst du dich, so wirst du dich nicht fürchten, sondern süß schlafen«2.

2 Der unverfügbare Mensch

Der Mensch als Subjekt der Theologie und die Frage der Intelligenz

Alles kreist um den Menschen

Theologie eröffnet die Möglichkeit, dass sich der Mensch, der um seine Endlichkeit, Bedingtheit und Fehlbarkeit weiß, im Lichte einer narrativen Tradition sieht, die die Frage danach, was und wer der Mensch sei, offenhält. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878–1965) erinnert an Rabbi Bunam von Przysucha (1765–1827), den großen Lehrer des Chassidismus, der zu seinen Schülern gesagt haben soll: »Ich habe ein Buch verfassen wollen, das sollte ›Adam‹ heißen, und es sollte darin stehen der ganze Mensch. Dann aber habe ich mich besonnen, dieses Buch nicht zu schreiben.«3 Der ganze Mensch bleibt anscheinend zwangsläufig unerzählt.

Theologie ist kein Glaube – Theologie reflektiert den Glauben, denkt über ihn nach. Daher dient die Theologie dem Denken des Glaubens und dadurch einer überzeugenden Begründung, warum Handlungen verantwortet werden können, die aus diesem kritischen Denken herrühren.

Dieses religiöse Denken will nicht Glaubensinhalte festhalten, sondern sie durchdenken. Insofern steht im Mittelpunkt jener Religionen, die im Laufe der Zeit unterschiedliche theologische Traditionen hervorgebracht haben, der Mensch – als Subjekt des Glaubens.

Das bedeutet: Trotz der komplexen Herausforderungen, die KI mit sich bringt, bleibt der Mensch das Zentrum der Religion. In diesem Sinne sind Religion und KI eng miteinander verbunden.

Wer sind wir aber, wir Menschen? Für diese Frage, die nicht nur die Philosophie, sondern im Kern auch insbesondere die Theologie beschäftigt, werden wir offen werden müssen. Denn Menschsein lässt sich, gerade religiös betrachtet, nicht auf eine einzige Bestimmung reduzieren. Was Gläubigkeit jeweils bedeutet und welche Widersprüche ein gläubiges Leben zu bewältigen hat sind Fragen, die selbst zum Kern der Religionen gehören.

Die Frage, was Menschsein ausmacht, scheint eine Frage zu sein, mit der sich Religionen in einer dezidiert erzählerischen, narrativen Weise befassen. Theologie bleibt unentwegt auf zeitlose Narrative bezogen, die ihr Grundgeschehen begründen, wie Veden, Bibel oder Koran. Sie spannen allesamt Welten der Erzählungen auf.

Doch in dieser Hinsicht erklären religiöse Narrative nicht die Welt, sondern öffnen uns für eine Welt, die nicht vollständig erklärbar, aber erzählbar ist. Dies tun sie, indem sie die lineare Abfolge der Zeit durchbrechen, weil sie Vergangenes vergegenwärtigen und unsere Vorstellungen von Zukunft in die Gegenwart projizieren. Auf diese Weise wird nicht die Zeit selbst, ihr Geist oder Ungeist, maßgeblich für das theologische Unterfangen, sondern die narrative Auseinandersetzung mit ihr.

So gesehen sind religiöse Narrative unvergänglich, weil sie nicht überwunden, aber immer wieder und immer aufs Neue verwunden werden müssen. Wir werden weder mit Arjuna noch mit Abraham oder Moses ein für alle Mal fertig werden können, denn sie lassen nicht algorithmisch über ein kontrolliertes Ergebnis über sich verfügen.

Diese prinzipielle Unabgeschlossenheit des Narrativen stiftet eine Theologie, die radikal der Dynamik der Zeit unterworfen ist, aber sich zugleich an dieser Zeit abarbeitet. Abraham stellt somit keine bloß vergangene Gestalt einer vergangenen Zeit dar, die uns heute womöglich kaum noch etwas zu sagen hätte, im Gegenteil: Die Erzählung vergegenwärtigt Abraham als eine Gestalt der Gegenwart, als eine Identifikationsfigur, mit der wir hadern, mit der wir streiten oder mit der wir uns versöhnen können. Dies bedeutet vor allem, dass eine narrative Theologie nicht für sich bleiben kann, losgelöst von der gegenwärtigen Lebenswelt, sondern immer bezogen auf die jeweilige Gegenwart bleibt.

Dabei vollziehen sich religiöse Narrative in einem doppelten Sinne: Zum einen geht es dabei darum, das Individuelle zum Kollektiven hin, und zum anderen, das Vergängliche zum Überzeitlichen hin zu überschreiten. Demnach überführen die religiösen Narrative die individuellen Geschichten in eine existenzielle Wertigkeit.

Auf diese Weise gewinnt die Wirklichkeit des eigenen Lebens als ein kohärentes Ganzes eine Wahrheit, indem diese Wahrheit schöpferisch ist, fortwährend Sinn kreiert, das Besondere ins Allgemeine überführt und das Allgemeine im Besonderen ausleuchtet.

Narrative haben Bedeutung

Narrative besagen, dass es Bedeutung gibt. Veranschaulichen lässt sich dies insbesondere durch die biblisch-koranischen Narrative, die nicht mit dem Versprechen des Fortschritts, sondern nur mit dem Versprechen des Gelingens einer zeitlosen Gegenwart vereinbar sind.

In Veden, in Epen wie Ramayana und Mahabharata